© Oliver W. Schwarzmann - www.oliver-schwarzmann.de
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Auf der Suche nach postpersönlichen Realitäten. Oder: Wie das Internet seine Zukunft als Medium der Nähe aufs Spiel setzt Teil 1: Der Fluss der Kommerzialisierung Das Web ist längst erwachsen geworden, heißt es. Das Internet ist auch kein bloßer Informa�onskanal mehr, sondern ein Beziehungsmedium. Darin kann sich nicht nur jeder mit jedem vernetzen, seine Gedanken mit dem Rest der Zivilisa�on teilen, sondern auch gemeinsam mit anderen Usern an einer neuen Welt bauen - interak�v im mul�medialen Schwarm, in Echtzeit und ohne das eigene Zimmer verlassen zu müssen. Es ist schön im Netz zu sein, doch ist es das wirklich? Freilich, das Internet ist gegenwär�g, immer ak�v und überall zugänglich. Und es verbindet die Welt, zweifellos. Was aber ist aus den Utopien der 1990er Jahre geworden, die uns von virtuellen Abenteuern und der Eroberung neuer Cyberwelten erzählt haben? Das Web ist seinen Kinderschuhen entwachsen, heißt es. Bedeutet: Es ist ernster geworden, realis�scher, pragma�scher, ein global etablierter Kommunika�onsstandard eben. Das Netz kommt aber auch desillusioniert und visionsfrei daher. Waren die Webfirmen der ersten Stunde noch mit Pioniergeist und Enthusiasmus im digitalen Neuland unterwegs musste schon die erste Genera�on der virtuellen Siedler schnell lernen, dass das Internet kein klassischer Markt ist, auf dem klassische Geschä�e zu machen sind. Die Old Economy 1:1 in die New Economy zu übersetzen, war und ist kein Erfolgsrezept. Das Medium hat seine eigenen Gesetze. Nur wenige Start-ups von einst haben überlebt; das Netz empfiehlt sich zwar durchaus als Refugium für neue Dienstleistungen, an deren virtuelle Stände sich allerdings nur Besucher locken lassen mit der Einladung „Eintri� frei“. Das Bezahl-Web teilt das Schicksal des Bezahl-Fernsehens: Ein großes DirektzahlerPublikum gibt es (noch) nicht. Gleiches erlebt die Finanzdienstleistung seit Jahrzehnten: Bis heute konnte sich eine vom Kunden direkt bezahlte Finanzberatung nicht durchsetzen. Doch der Kommerz ist wie Wasser, er findet immer seinen Weg in die Portemonnaies der Interessierten. Was in der Finanzbranche die Provision ist, sind im Web also die Werbeeinnahmen, Sponsoringmodelle und versteckten Nutzungsgebühren. Was geradezu langweilig wirkt, bedenkt man die eigentlichen Chancen des Mediums: Das Internet ist eine perfekte Mind-Maschine für die Gestaltung der Wirklichkeit - was wir im Web a�rak�v
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finden, besitzt auch in der wirklichen Welt enorme Anziehungskra�. Ein Verstärkungsmechanismus, der sich mi�lerweile empirisch belegen lässt: Virtuelle Sympathie und digitale Verbindungen steigern die realen Verkaufserfolge. Hinzu kommt, dass die nun nachfolgenden Genera�onen bei der Alltagsbewäl�gung generell, in ihrem Einkaufsverhalten im Besonderen, zunehmend und irgendwann vollends auf simulierte Game-Erfahrungen zurückgreifen. Die Wirtscha� der Zukun� wird folglich nur als intelligente Spielform erfolgreich funk�onieren. Eine Entwicklung, die dem heu�gen Internet-Business klare Aufgaben stellt: Die Generierung von engen Web-Freundscha�en und der Bau eines interak�ven Game-Kosmos, in dem den Usern die kommenden Marken gleich als komple�e Interak�onswelten begegnen, zumindest in Gestalt raffiniert gestalteter Levels, sind angesagt. Cyber-Rela�ons, Spielefantasien, Marke�ng und Vertrieb verschmelzen also miteinander zu einer Businesskompetenz, die sich darum bemüht, neue Realitäten zu designen. Denn der Kunde kau� in Zukun� keine Produkte mehr, sondern die Erfahrung mit neuen Wirklichkeiten. Wann wird das Web soweit sein? Bereits 1994/1995 meinte ich, diese Entwicklung stünde kurz bevor. Damals dachte ich auch, das Web würde zur globalen Kulturrevolu�on ausholen und sich unmi�elbar zum Lab für neue Realitätserlebnisse manifes�eren. Ich sprach auf Vorträgen von Visionen wie die Entstehung einer poli�schen Hyper-Krea�vität im Sinne der Geburt eines weltweiten, gesellscha�sübergreifenden Meta-Bewusstseins. Fantasierte zudem von mul�medialer Transzendenz, einer Art virtueller Metaphysik und Übersinnlichkeit, geschaffen durch simulierte Welten und eine medial erweiterte Wahrnehmung. In diesem Zusammenhang beschrieb ich das Surfen durchs Netz als eine neue Medita�onsform, spekulierte dabei, ob sich wohl WebSchamanen etablieren werden als Mi�ler oder Intermediäre zwischen virtuellem und physikalischem Kosmos. Und nicht zuletzt hoffte ich auf die Entstehung von Cyber-Paradiesen, die als perfekte Vorbilder einer idealen Umwelt neue Ökobewegungen ins Leben rufen sollten, frei nach dem Mo�o: Computerfreaks re�en den Planeten. Aus dem Allem ist bis heute (noch) nichts geworden. Was für die einen der Weg zur Mediendemokra�e darstellt, betrachten andere als Pla�orm für Selbstdarsteller, Senfdazugeber und Denunzianten. Und Geld im Web zu verdienen, ist nach wie vor ein ökonomisches Mysterium. Obwohl das Internet unser Leben bereits völlig verändert hat. Doch wo wird uns dessen Evolu�on tatsächlich hinführen?