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Kaufrausch im Schrebergarten : Textarchiv : Berliner Zeitung Archiv

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Te xt ar c h iv Kaufrausch im Schrebergarten Während der klassische Einzelhandel in der Krise steckt, erlebt der Direktvertrieb eine Renaissance Charlotte Bartels

BERLIN, 1. Mai. Wenn der Kunde nicht zum Produkt kommt, kommt das Produkt eben zum Kunden. Das ist das Arbeitsmotto von Margrit Jacobs. Seit 1984 ist sie Verkäuferin für die Firma Vorwerk. Bis zu zehn Mal in der Woche führt sie auf Kochparties das Küchengerät "Thermo-Mix" vor. Dieser schrotende, wiegende und kochende Mixer mit Heizstab ist im Handel nicht zu haben. Wer kennt sie nicht: die Tupper- oder Kochparties im Wohnzimmer oder den Staubsaugervertreter an der Haustür. Das nennt die Wirtschaft Direktvertrieb. Wer möchte, kann im eigenen Wohnzimmer Bausparverträge abschließen, ComputerEnzyklopädien, Duftkerzen, Fertighäuser, allergikergeeignete Kosmetik, Einbauküchen, Haustüranlagen und natürlich Staubsauger kaufen. Vier von zehn Fertighäusern und sogar 80 Prozent der Versicherungen gehen über Direktvertrieb an den Abnehmer. Strom an der Haustür Während der Einzelhandel 2004 einen Umsatzrückgang von 1,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr zu verbuchen hatte, erzielten die Unternehmen des Direktvertriebes ein Umsatzplus von einem Prozent. Seit dem Jahr 2002 sind die Umsätze der Direktvertriebler durchschnittlich um 3,3 Prozent gestiegen, während der Einzelhandel im Mittel um 1,2 Prozentpunkte schrumpfte. Oliver W. Schwartzmann, Geschäftsführer der Future Business Group, einem Institut für Zukunftsforschung, spricht sogar von einer Renaissance des Direktvertriebs. Auf Grund der schwachen Inlandsnachfrage suchten viele Unternehmen wieder den direkten Kontakt zum Kunden, nachdem sie das jahrelang der Werbung überlassen hätten, so Schwartzmann. Seit einiger Zeit schickt beispielsweise das Unternehmen Yellow-Strom seine Vertreter direkt an die Haustüren. "Der Einzelhandel kann sich einiges bei den Direktvertrieblern abgucken", sagt Tanja Prillwitz, Spezialistin für Einzelhandel bei der Industrie- und Handelskammer Berlin.

20.04.2010 15:50


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Auf den Tupper- und Kochparties werde erstmal gut gegessen und getrunken. Wenn für das leibliche Wohl gesorgt sei, ließen die Gäste gerne den einen oder anderen Euro für ein paar Tupperdosen oder einen neuen Küchenmixer springen. Emotionen auslösen - das sollte auch das neue Motto des Einzelhandels sein, so Prillwitz. Die Rabattschlachten in Deutschland und die damit einhergehenden Niedrigpreise machten die Einstellung kompetente Berater im Geschäft häufig unmöglich. Der Einzelhandel müsste es endlich schaffen, eine ähnliche Wohlfühlstimmung wie bei den Direktvertrieblern zu erzeugen. Gute Beispiele hierfür seien Restaurants und Cafés in Kaufhäusern oder Sitzecken zum Schmökern in Buchhandlungen, sagt die Expertin. Der Vorteil des Direktvertriebs: die Verkäufer finden eine solche Wohlfühlstimmung schon vor. Das eigene Wohnzimmer oder das der Freundin biete eine ganz andere Atmosphäre als ein anonymes Kaufhaus. Margrit Jacobs geht sogar einen Schritt weiter. Sie trägt ihren "Thermo-Mix" nicht nur in Wohnungen. Seit einiger Zeit kommt sie auch auf Campingplätze und geht in Schrebergärten. Ein Verkaufsgespräch zwischen Wohnwagen und Vorzelt ende häufig mit einem Kaufvertrag, sagt Jacobs. Eine ernstzunehmende Konkurrenz für den Einzelhandel sieht IHK-Expertin Prillwitz im Direktvertrieb allerdings nicht. Ihrer Meinung nach kaufen überwiegend Hausfrauen, die nicht die Gelegenheit haben, ständig shoppen zu gehen, via Direktvertrieb. Auch Anja Paulsen-Stock vom Bundesverband Direktvertrieb glaubt zwar an ein positives Wachstum der Branche. Aber die Zahl der möglichen Kunden sei begrenzt. Es gebe viele Leute, die man über Direktvertrieb nicht erreichen könne. Der Direktvertrieb bleibe deshalb eine Vertriebsform neben vielen anderen. Nicht überrumpeln lassen Kaufen via Direktvertrieb birgt allerdings auch Risiken. Peter Lischke, Verbraucherschützer von der Verbraucherzentrale Berlin, warnt vor allzu schnellen Vertragsabschlüssen. Häufig würden die geschulten Verkäufer den Überrumplungseffekt an der Haustür ausnutzen, um dem Kunden überteuerte Produkte aufzuschwatzen. "Lassen sie sich nicht unter Zeitdruck setzen und so zu einer vorschnellen Unterschrift bringen", empfiehlt Lischke. -----------------------------Strategien gegen Nepp Informieren: Wer als Verbraucher ein Geschäft im Direktvertrieb abschließen will, sollte nicht übereilt handeln. Verbraucherschützer empfehlen, sich zunächst ein paar Prospekte oder Informations-Blätter über das Produkt geben zu lassen. Diese kann man dann in Ruhe studieren. Auch Preisvergleiche lohnen. Viele Waren oder

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vergleichbare Produkte sind im Einzelhandel billiger. Widerrufen: Bei Haustürgeschäften gilt eine Widerrufsfrist von zwei Wochen. Das bedeutet, dass der Verbraucher innerhalb dieser Zeitspanne schriftlich vom Kaufvertrag zurücktreten kann. Einen Grund muss er dafür nicht nennen. Maßgeblich zur Einhaltung der Frist ist der Poststempel - also nicht der Tag, an dem der Widerruf beim Verkäufer eingeht. Im Prinzip reicht eine Postkarte, um vom Geschäft zurückzutreten. Aus Beweisgründen empfiehlt sich aber ein Einschreiben. -----------------------------Foto: Der Klassiker: Seit Jahrzehnten vertreibt die Firma Tupperware Haushaltswaren im Direktvertrieb.

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