Neue Handelswelten - Konsumententrends

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November 2004

Neue Handelswelten Expedition in die Zukunft des Konsums

Vordenker Oliver W. Schwarzmann

Handel mit Wandel Der Konsum ist seit Jahren die Achillesverse der deutschen Konjunktur. Als gängige Erklärung hierfür werden die herrschenden Zukunftsängste der Konsumenten angeboten. Doch stimmt das wirklich? Natürlich sind die Zeiten unsicherer geworden, sowohl ökonomisch und in Folge beruflich als auch geopolitisch. Zudem präsentieren sich die Zeiten schnelllebiger, die Zukunft scheint kürzer und unmittelbarer, lange Distanzen lassen sich kaum mehr überblicken. Zudem wächst der Anteil an Sicherungsausgaben für die persönliche Zukunftsqualität am Erwerbseinkommen. Und sicherlich gibt es Zurückhaltungseffekte als Reaktion darauf, doch Menschen können Unsicherheit nicht lange aushalten. Die neue Antwort auf die vielen möglichen Risiken ist eine Konzentration des Konsumenten auf das Wesentliche, das Sinnvolle, das Nützliche, das Eigentliche – und im Konsum gilt „das Vielleicht“. Die Konsummärkte sind auf Grund der hohen materiellen Sättigung nicht mehr geprägt von Erstbedürfnissen, sondern folgen Zusatzbedürfnissen, die keine zwingende Konsumnotwendigkeit ausstrahlen, sondern allesamt optional angelegt sind. Konsumprodukte lassen sich daher nicht mehr auf Basis einer Mangel-Bedarfssituation verkaufen, sondern müssen durch eben zusätzliche, immaterielle Mehrwerte zu neuer Attraktivität finden. Motive ersetzen Bedürfnisse. Der Konsum wandelt sich vom Produktmarktplatz zum Forum für Marketing- und Serviceleistungen.

Service-Agreements ersetzen Produkte Doch nicht nur das „Warum“ des Konsumierens definiert sich neu, sondern auch das „Wie“ erfährt eine tiefgreifende Veränderung: Analysen zeigen, dass der Kunde sich nicht mehr zum anstrengenden Einkauf begibt, sondern einen Inspirations-Trip zu neuen Anregungen und Ideen für seine persönliche Lebenskunst unternimmt, bei dem alle Sinne angesprochen werden wollen. Der

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Erlebnisreichtum des Shoppens ist wichtiger als die Breite des Produktsortiments. Deshalb inszeniert der Handel zunehmend faszinierende Erlebniswelten, innerhalb derer Produkte als Merchandisingartikel passend zum Thema positioniert werden. Dabei avancieren Produkte immer mehr zum modularen Element einer weitreichenden Servicedimension: Langfristige ServiceAgreements ersetzen isolierte Produkte. Und die bisherigen Rabattschlachten gehen über in eine Vollfinanzierungskultur: Die Bezahlung eines Produktes wird vom Prozess des Einkaufens entkoppelt. Der Bereich der Konsumkredite verschiebt sich daher zunehmend von den Banken zum Handel. Kommen wir zum Eingangsstatement zurück: Die Analysen der Future Business Group belegen, dass die deutschen Konsumenten keine wirkliche Angst-Society sind, sondern gezielter und qualifizierter shoppen. Viele der befragten Konsumenten gaben auf die Frage nach den Gründen der Konsumzurückhaltung zu Protokoll, es mache keinen Spaß in Deutschland Geld auszugeben. Und: Die Rabattschlachten haben die Preisglaubwürdigkeit zerstört. Die neue FutureBusiness-Group-Studie dazu: Über 70% der Befragten halten den reduzierten Preis für den wirklichen Warenwert. Der Handel wird daher verstärkt Glaubwürdigkeits- und Vertrauensbotschaften aussenden, um ein neues Wertbewusstsein herzustellen.

Aus Käufermärkten werden Verdrängungsmärkte Der Konsument ist sich seiner Kaufmacht durchaus bewusst und setzt seine Ressourcen –Zeit, Aufmerksamkeit und Kapital– strategisch ein: Ökonomische Leitprinzipien werden in den privaten Alltag übernommen. Mit der parallelen Ausbreitung der Massenmedien stehen dem Kunden zunehmend mehr Wissen und Marktzugänge zur Verfügung: Die daraus entstehende, bisher nie da gewesene Transparenz treibt den Wettbewerb. Aus den aktuellen Käufermärkten werden Verdrängungsmärkte. Die erfordern vom Handel eine permanente Attraktions-Inszenierung seiner Positionierung sowie eine hohe Absicherung der Kundenbeziehungen. Die Loyalität der durch die hohe Konsummobilität zunehmend illoyalen Konsumenten sichern Unternehmen durch privilegierte, personalisierte und innovative Servicebeziehungen. Dabei wird der aktuelle Trend zum Boni- und Rabattcouponing ausgereizt; wir gehen davon aus, dass dieses Phänomen um 2006 seinen Zenit erreicht haben dürfte. Danach entwickelt sich eine Couponing-Kultur, die dem Kunden keine Prämien bietet, sondern privilegierte, weil limitierte und exklusive Dienstleistungen. In welchen Bereichen wird sich der Service noch entwickeln?

Vom Service zum integrativen Assistenzsystem Viele Konsumenten verstehen unter Service einfach ein hohes Maß an Freundlichkeit und motivierter Ideen-Beratung. Wir sprechen vom Trend zum Customer-Careing: Das aktive Kümmern

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um den Kunden wird zum Wettbewerbsfaktor Nummer 1. Allerdings ist das Take-Care-Prinzip nicht an Personen gebunden; zunehmend mehr technische Assistenzsysteme werden den Kunden im Konsum unterstützen. Self-Discounting-Systeme, die den Selbstbedienungsansatz weiter qualifizieren werden, liegen im Trend. Gleiches gilt für den Internethandel: Multimediale Serviceportale mit individuell anpassungsfähigen Assistenzsystemen und hohem Erlebniswert werden boomen. Die Self-Discounting-Systeme nutzen den ohnehin stark wirkenden Trend zum Do-it-yourself (DIY). Die Folge des DIY-Booms ist, dass der Konsument vom passiven Verbraucher zum aktiven Gestalter avanciert: Integrative Shopping- und modulare Produktsysteme mit hohen DIY-Komponenten kommen auf den Markt, verstärkt für Single-Haushalte, deren Anzahl vor allem in den Cities weiter zunimmt. Je stärker der Kunde in das Handels- und Produktsystem sinnvoll integriert werden kann, desto größer der Markterfolg. Der Verdrängungswettbewerb verlagert sich vom Kampf um Inhalte zum Wettstreit um Interaktion. Mittels dieser Entwicklung kommt dem Pointof-Sale (PoS) eine wichtige Bedeutung zu: Er formt sich vom bisherigen, repräsentativen und dekorativen PoS zum Animations-PoS, der den Kunden zur Interaktion anregt. Die Trends nach Selbstbestimmtheit und Individualisierung finden in diese Konsumentwicklung Einzug: Der Konsument zeigt sich zunehmend verkaufsresistenter, will sagen: der Kunde will sich nichts mehr verkaufen lassen, sondern selbst wählen. Je höher der Wunsch nach individueller Selbstbestimmung durchdringt, desto größer wird die Entscheidungsmenge und desto höher ist der Orientierungsanspruch des Konsumenten. Die Folge ist ein wachsender Informations- und Kommunikationsbedarf, den der Kunde eigenständig steuert, indem er selbst recherchiert. Die seit Jahren steigenden Researchquoten im Internet belegen diesen Trend. Dabei orientieren sich Konsumenten an unabhängigen Daten wie Ratings, Tests und Expertenurteile. Die Folge ist ein Boom von Tests- und Ratgebermedien. Auf die wachsende Researchfrequenz im Web reagieren die Unternehmen mit dem Ausbau von Präsenz- und Suchwortmarketingsystemen. Je mehr Eigenkompetenz und individueller Anspruch vom Kunden in den Markt wandern, desto komplexer und qualifizierter wird der Absatzprozess mit dem Effekt einer Verlängerung der Vermarktungszeiten.

Motive der Altersgruppen durchmischen sich Der Blick in die Langfristprognose der Einkommen zeigt einen stabilen Wachstumstrend bei tendenziell rückläufigem Anteil der Arbeitseinkommen und einer Zunahme der Vermögenseinkünfte. Diese Entwicklung verläuft zunehmend inhomogen: Es kommt durch Verengung des demografischen Vermögenstrichters – immer weniger Nachkommen erben immer mehr Geld - und des konjunkturellen Einkommenstrichters – qualifizierte Spaltung des

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Arbeitsmarktes – zu einer wachsenden Verklumpung der Einkommensstrukturen: Eine wachsende Marktkonzentration ist die Folge. Dabei ist der demografische Shift von außerordentlicher Bedeutung. Die Bevölkerungsentwicklung in Deutschland ist auf Grund der niedrigen Geburtenquote mit 1,3 Kindern pro gebärfähiger Frau seit Jahren rückläufig. Der demografische Knick ist unausweichlich: In wenigen Jahren werden vermehrt Senioren die Konsumlandschaft bestimmen, ab 2010 wird sich diese Entwicklung beschleunigen. Die rückläufige Anzahl der Kinder und Jugendlichen führt dazu, dass ihre Pro-Kopf-Kaufkraft steigt. Kids und Jugendliche sind experimentelle Event-, Mode- und Spontan-Shopper mit situativer Konsumneigung und einem ausgeprägtem Interesse am dynamischen Design ihrer Ich-Performance. Dabei sind Popgrößen ihre Ikonen, die zunehmend im Merchandising-Konsum eingesetzt werden, der in einer multimedialen und mobilen Erlebniskultur inszeniert wird. Die Entwicklung der Konsumentengruppe der Mid-Ager (rd. 30 – 54 Jahre) zeigt durch die demografische Verschiebung eine Blasenbildung: Ihr Potenzial in Anzahl und Kaufkraft steigt kurzfristig an, nimmt jedoch langfristig ab. Sie zeigen eine stagnative bis rückläufige Konsumneigung wegen verstärkter Konzentration auf ihre Zukunftsvorsorge – sie sind als Ressourcenkonsumenten und Sicherheitssparer äußerst konsumund preissensibel. Durch die schnell steigenden Lebenserwartungsperspektiven zeigt sich eine überproportionale Volumenentwicklung der 55plus-Gruppen gegenüber jüngeren Gruppen. Die Senioren repräsentieren eine langfristig ansteigende, aber differenzierte Kaufkraftentwicklung durch die zitierte Vermögens- und Kapitaleinkunftskonzentration. Senioren besitzen eine qualitative Konsumneigung und schätzen Kontinuität und Pflege des Bestands, was zu einer Entschleunigung der Produktlebenszyklen führen wird. Ihre Hauptkonsumfokus wird liegen auf Investitionen in körperliche und geistige Vitalität, Mobilität, Bildung, kulturelle Anregung und Beziehungen. Senioren werden die Konsumkultur in eine benutzerfreundliche und persönlich geprägte AssistenzServicekultur verändern.

Interessant ist ein weiterer Effekt in der Konsumpsychologie: Motive, die sich an ganzheitlicher Inspiration, individuellem Sinnpotenzial, kultureller Anregung und persönlicher Entwicklung orientieren, tauchen in allen Altersgruppen auf und durchmischen sich. Es entstehen situative Motiv-Konstellationen und übergreifende Themenkulturen. Senioren orientieren sich zunehmend an Jugendlichkeit, jüngere Konsumenten entdecken Premium- und kulturellen Life-Style-Konsum. Das heißt: Eindeutige Zielgruppe sind kaum mehr auszumachen. Vielmehr ersetzen SpecialInterest-Clans die bisherige Zielgruppendefinition. Der Fachhandel wird einen hochspezialisierten Clan-PoS inszenieren mit sehr klarem USP-Profil, der Massenhandel setzt auf ein breites Band an Konsum-Animationen. Beiden Konsumarten ist gemeinsam, dass sie eine eigenständige Botschaft

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am Markt platzieren. Denn die Botschaft, die für den Kunden bedeutsame, weil persönlich faszinierende Kult-, Kultur- und Kunstelemente enthält, löst die bisherige Marke ab. Und der Kunde? Der Kunde wird zur Marke.

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