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Strukturen im Wandel Die Dynamik der Marktpolarisierung Ganz oben (im Prestige) oder ganz unten (im Preis): Was dazwischen liegt, wird von den Verbrauchern zunehmend verschmäht. Wachstumschancen im Premiumsegment auf der einen Seite, konsequente Preisorientierung auf der anderen – die Gesellschaft verändert sich, und mit ihr der Markt. irtschaftspolitiker beschwören zwar gern die Nüchternheit der Zahlen, müssen aber oft genug vor der Psychologie kapitulieren. Fakten sind das eine, ihre Bewertung etwas ganz anderes. Ob jemand seine eigene Lage als gut beurteilt, hängt weniger von den objektiven Gegebenheiten ab, sondern vor allem davon, ob es den anderen besser oder schlechter geht. Nicht die isolierten Tatsachen, sondern der Vergleich bestimmt die Selbstwahrnehmung. Die Kaufkraft eines heutigen Sozialhilfeempfängers ist nicht niedriger als die eines durchschnittlichen Arbeitnehmers Anfang der sechziger Jahre. Aber während knapp 20 Jahre nach Kriegsende die bundesrepublikanische Gesellschaft von einer allgemeinen Aufstiegserwartung geprägt war, breitet sich heute die Angst vor dem sozialen Absturz aus. „Es findet eine Polarisierung der Einkommensgesellschaft statt“, meint Wolfgang Twardawa, Division Manager Marketing der GfK. „Wie eine unserer Studien ermittelte, kommen nach ihrer eigenen Einschätzung etwa 50% der deutschen Haushalte mit ihrem Einkommen zurecht. 25% meinen, sie könnten sich fast alles leisten, und die restlichen 25% erklären, sie könnten sich nahezu nichts mehr leisten. Allerdings decken sich diese subjektiven Angaben keineswegs immer mit der realen Einkommenssituation. So gehören durchaus auch Sozialhilfeempfänger zu der Gruppe der Zufriedenen, während manche Gutverdienenden über ihren Mangel an finanziellen Möglichkeiten klagen. Und noch eine wichtige Diskrepanz zeigt unsere Untersuchung: die in der Beurteilung des gegenwärtigen und des zukünftigen Einkommens. Viele, die sich heute zu der Mittelgruppe oder gar dem oberen Viertel rechnen, betrachten ihre Einkommensentwicklung mit Skepsis und Sorge.“
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Auch wem es heute gut geht, kann sich nicht sicher sein, daß es so bleibt. Diese Destabilisierung der Perspektiven, die Bedrohung des Lebensstandards durch Arbeitslosigkeit oder durch die Veränderungen im Alter, lösen vertraute Verbraucherschemata zunehmend auf. Kaufkraft läßt sich nicht mehr mit Konsumbereitschaft gleichsetzen. Um ihre Zukunft zu sichern, leisten sich auch viele Gutverdienende nicht mehr das, was sie eigentlich könnten. „Wir haben heute eine Sparquote von 11%, das bedeutet etwa ein Sparvolumen von ca. 156 Mrd. Euro. Und diese Größenordnung entspricht ungefähr dem Umsatzrückgang im Einzelhandel des Non-FoodBereichs. Während hier der Umsatz einen Verlust von 5% in 2004 hinnehmen mußte, konnte er im Food-Sektor um 1% gesteigert werden – ein typisches Konsumverhalten für Zeiten, in denen vorrangig gespart wird. Man hält sich bei den größeren Anschaffungen zurück: So war beispielsweise das Durchschnittsalter der Autos auf deutschen Straßen noch nie so hoch wie heute. Aber wenn man sich im Großen viel versagt, gönnt man sich mehr im Kleinen.“ Lust auf Luxus Doch nicht überall dominiert der Wille zur Sparsamkeit. Zwar stellten die GfK-Forscher in einer ihrer jüngsten Studien fest, daß etwa 20% der deutschen Haushalte einen Wechsel von der Hersteller- auf die billigere Handelsmarke beabsichtigen. Doch sie beobachten auch eine Gegenbewegung: Etwa ein Drittel der Handelsmarkenkäufer will wieder „zur starken Marke, insbesondere der Premiummarke“ zurückkehren. „Diese Abwendung vollzieht sich in einem großen Schritt nach oben, von dem das mittlere Produktsegment, dem keine Profilierung durch Preis oder Prestige
gelingt, nicht profitiert“, erläutert Twardawa. „Nach Geiz kommt Reiz. Gemäß dem Motto ,Ich bin mir auch mehr wert’ wollen Leute, die es sich leisten können, wieder etwas ganz bewußt genießen. Das gilt übrigens nicht nur für Produkte, sondern auch für den Ort, wo sie einkaufen. Die tristen Warenregale der Discounter, oft als Arm-biente verspottet, entsprechen nicht diesem Bedürfnis nach Erlebnis und Flair.“ Es waren die Yuppies in den 80ger Jahren, die einen wesentlichen Beitrag zur Aufwertung von Aldi & Co leisteten. Smart und selbstsicher, demonstrierten sie Preisbewußtsein in dem Wissen, sich auch das Gegenteil erlauben zu können. Doch der Börsencrash und der unaufhaltsame Anstieg der Arbeitslosigkeit, die längst nicht mehr nur die Geringqualifizierten bedroht, markieren den Weg der Mittelschicht in eine tiefe Verunsicherung. Die Tristesse der Discounter-Filialen, früher als Ausdruck zweckmäßiger Nüchternheit geschätzt, wird heute allzuleicht zum Spiegelbild jener Trostlosigkeit, der unsere Gesellschaft anheimzufallen droht und die den Wunsch nach persönlicher Abgrenzung provoziert. Mit der Nähe zu den gesellschaftlichen Verlierern wächst das Bedürfnis zu zeigen, daß man nicht zu ihnen gehört. „Die Attraktivität von Premiumprodukten liegt in ihrer Exklusivität, in der Privilegierung durch ihren Besitz“, meint Oliver Schwarzmann,
Vorstand der Future Business Group. Das Verlangen nach dem Besonderen setzt den Preis als Hemmnis außer Kraft: Nach Angaben der GfK ist bei den Produkten des täglichen Bedarfs jeder vierte Marktführer sogar Preisführer.
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Hybrider Käufertypus Aber diese neue Lust auf Luxus bedeutet keine generelle Absage ans Preisbewußtsein. Vielmehr setzt sich, so Twardawa, der hybride Käufertypus immer stärker durch, der in seinen Konsumneigungen keinem homogenen Verhaltensmuster mehr folgt. Dieser Wechsel seiner Prioritäten und Vorlieben erschwert die Einordnung des Verbrauchers in zuverlässige Kategorien. Ob jemand Marken- oder Billigprodukte kauft, läßt sich heute nicht mehr so leicht aus seiner Zugehörigkeit zu einer sozial oder altersdefinierten Zielgruppe ableiten. „Ein und derselbe Konsument trifft in unterschiedlichen Situationen unterschiedliche Entscheidungen. Es gibt viele, die konsequent zu billigen Waschmitteln greifen und an der Käsetheke die teuersten Waren wählen. Ebenso ist es ganz normal, mittags aus Zeitmangel Fast Food zu essen, aber sich abends mit seinen Freunden beim besten Italiener der Stadt zu treffen. Viele Kaufentscheidungen werden einfach situationsbedingt getroffen. Und diesen Aspekt
muß eine effiziente Werbung viel stärker berücksichtigen und ansprechen. Die bloße Ausrichtung beispielsweise auf die begehrte Zielgruppe der 20- bis 49jährigen erweist sich oft als viel zu ungenau und führt zu erheblichen Streuverlusten. Eine Konsequenz, die viele werbungtreibende Unternehmen in Zeiten verknappter Budgets nicht hinzunehmen gewillt sind – wie auch ihr wachsendes Interesse an ControllingMaßnahmen zeigt, mit denen die Wirkung von Werbung überprüft werden kann. Das Marketing braucht präzisere Methoden zur Kundenanalyse: die Differenzierung des Kaufverhaltens nach Warengruppen bzw. Marktsegmenten und situativem Bedarf.“ Der Verbraucher ist zwar unberechenbarer geworden, aber von seiner Multioptionalität macht er keineswegs einen willkürlichen Gebrauch. Billige Waschmittel und teurer Käse – solche Präferenzen zeigen u. a. auch den großen Einfluß, den die Verbraucherorganisationen auf die Meinungsbildung haben. In einem Vergleich der Stiftung Warentest schnitten die Waschmittel der Discounter sehr gut ab, was die Verbraucher nachhaltig beeindruckte; bei Käse hingegen akzeptieren sie aus guten Gründen den Preis eher als Indikator für Qualität. „Die Konsumenten lassen sich durch die Testurteile führen“, meint Schwarzmann. „Die Bedeutung dieser ProduktRankings ist enorm und wird in Zukunft
sicher noch steigen.“ Die Folgen solcher Bewertungen zeigt auch der Prozeß, den die Filmschauspielerin Uschi Glas kürzlich (unter großer Anteilnahme der Boulevard-Presse) gegen die Stiftung Warentest führte und verlor: Nach Veröffentlichung negativer Testergebnisse über ein Kosmetikprodukt ihres Namens brach der Umsatz um über 70% ein. Auch zum Siegeszug der Handelsmarken hat die unabhängige Institution wesentlich beigetragen, indem sie ihnen eine den Markenprodukten vergleichbare Qualität attestierte. Eine Akzeptanz, die ohne objektive Fürsprache nicht zu erreichen gewesen wäre. Hier hat sich ein kritisches Korrektiv etabliert, ein Machtfaktor in der öffentlichen Wahrnehmung, mit dem Marketingkonzeptionen zu rechnen haben. Entscheidender Mehrwert Die Ansprüche der Verbraucher ändern sich, und für Hersteller wie Händler wird es zur Überlebensfrage, ob es ihnen gelingt, sich rechtzeitig darauf einzustellen. „Die Spaltung des Marktes auf Kosten der Mitte wird sich fortsetzen: Der Zunahme von Discountern steht der Premiumbereich mit einer großen Entwicklungsdynamik gegenüber“, prognostiziert Oliver Schwarzmann. „Massenware läßt sich künftig nur noch über den Preis absetzen. Um ihre Kosten
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zu senken, werden viele Supermärkte Personal einsparen und zu technologisierten Assistenzsystemen übergehen. Aber der Preis darf nicht isoliert als Warenwert gesehen werden. Entscheidend ist der Mehrwert, der dem Kunden geboten wird.“ Zu diesen Zusatzleistungen rechnet Schwarzmann auch Finanzierungsangebote. Er verweist auf die Automobilbranche, die, als sie in den 70er Jahren in eine Absatzkrise geriet, die Kreditvergabe an Kunden als Kaufimpuls entdeckte. „Dieses Modell wird sich nun auch in den anderen Konsumbereichen durchsetzen. Immer mehr Produktanbieter werden zu Finanzdienstleistern werden. In absehbarer Zeit wird man auch Lebensmittel bei Aldi auf Kredit kaufen können“, meint Schwarzmann und fügt warnend hinzu: „Diese Möglichkeiten werden allerdings zu einer weiteren Verschuldung der Schwellenhaushalte führen.“ Bereits heute ist die Bilanz beunruhigend: Im Januar dieses Jahres ist die Zahl der insolventen Privathaushalte gegenüber dem Monat des Vorjahres um knapp 40% gestiegen. Doch nicht nur die ökonomischen, sondern auch die demographischen Veränderungen in der Bevölkerung haben Auswirkungen. „Während ein Teil der Supermärkte sich den Discountern annähern wird, werden wir aber auch eine Renaissance des klassischen Verkäufers als Einkaufscoach erleben“, so Schwarzmann. „Die Zahl der alten Menschen, die durch die Do-it-yourselfGesellschaft überfordert sind, steigt. Daher wird es für manche Supermärkte lukrativ sein, sich auf deren Bedürfnis nach Hilfe und Beratung auszurichten.“ Weitere Profilierungsmöglichkeiten für den Handel sieht Schwarzmann in einer attraktiveren Warenpräsentation, einer Inszenierung von Produkten unter thematischen Schwerpunkten. „Produkte sind in Zukunft materialisierte Geschichten“, meint Schwarzmann, „und der Handel wird zum Abenteuerspielplatz, auf dem diese Geschichten erzählt werden. Wer sie gut erzählt, gewinnt.“ Im Erlebniswert, dem Übergang von der bloßen Produktpräsentation zum Entertainment, sieht Schwarzmann auch einen der Gründe für den Erfolg des Internet-Auktionshauses ebay. „Hier wird der Käufer zum Sieger über die anderen Bieter, der Konsum zu einem spannenden Wettkampf“, analysiert der Marktforscher. „E-commerce funktioniert nur, wenn die unterhaltenden Optionen des Internet genutzt werden. In-
ternet-Shopper wollen schauen und nicht lesen, ein virtuelles Bilderbuch, aber keine langen Texte. Eine große Chance bietet die Interaktivität, durch die der Einzelne individuell angesprochen werden kann – darauf kommt es an.“ Mythos der Marke Der Trend zur Individualisierung zeigt sich auch im Warenangebot. Je größer die Produktdifferenzierung, desto mehr können individuelle Erwartungen berücksichtigt werden – was auch die Preisakzeptanz fördert. „Die Lebenszyklen der Produkte werden immer kürzer“, konstatiert Schwarzmann, „und das wird auch dazu führen, daß sich die Marke immer mehr von den einzelnen Produkten abkoppelt, zu einer Meta-Marke wird.“ Während z.B. früher die Marke Nivea mit der berühmten blauen Dose identifiziert wurde, assoziieren heute die Konsumenten mit ihr das Ver-
sprechen eines besonderen Pflegeerlebnisses, das nicht mehr an einzelne Artikel gebunden und daher auf alle (ihres Namens) übertragbar ist. „Der ständige Drang nach Innovationen kommt natürlich an seine Grenzen und verlagert sich deshalb von den Produkten auf die Marke selbst“, urteilt Schwarzmann. „Je stärker eine Marke, d.h. je innovativer ihr Markenkern gestaltet ist, desto weniger ist sie auf immer neue Produkte angewiesen. Bei einem Ferrari z.B. ist kaum noch etwas zu verbessern, aber das schadet seiner Attraktivität nicht im geringsten, weil der Mythos Ferrari lebendig gehalten wird. Diese Einzigartigkeit ist auch der beste Schutz vor Konkurrenz – eine Produktinnovation ist leicht zu kopieren, aber nicht der Mythos einer Marke. Man kann es mit Elvis Presley vergleichen: Seit seinem Tod gibt es zahllose Nachahmer, aber jede Kopie bestätigt nur die Unerreichbarkeit des Originals.“ Ung
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