verwundernswert

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© Oliver W. Schwarzmann - www.oliver-schwarzmann.de

Oliver W.

Schwarzmann

KOLUMNE Verwundernswert oder: Der Blick ins Fenster Der Blick aus dem Fenster öffnet einen spaltbreiten Horizont. Wir blicken durch ihn vielleicht auf blühende Landschaften, grüne Flächen mit pastellgetönten Pausen. Und auf Wolken, die sich frech vor die Sonne drängeln, als wollten sie um Einlass bitten in die Bewunderung der Betrachter. Darunter sind Autos, die laut an uns vorbeirasen, als ginge es um die Flucht vor Langeweile. Unsere Aufmerksamkeit fällt womöglich auf rührselige Nachbarn, die ihre Mülltonnen frühzeitig rausstellen und nach Entleerung flink wieder unsichtbar verstauen. Abfall ist Privatsache. Oder wir sehen nicht wirklich überraschend die, die vor ihrer eigenen Türe kehren und auf die ungekehrten anderer schielen. Es fallen natürlich auch die in den Augenblick, die in ihren Gärten nach jungen Trieben und ewigem Frieden schürfen. Und letztlich atmen leise die hinterm Fenster, die im Dunkel ihres Vorhangschattens ihre Welt behüten. So läuft das Leben am Fenster vorbei, während wir auf der Kehrseite versuchen, anders als das zu sein, was wir sehen. Anders ist auch ein Blick ins Fenster der Welt. Gerade, im Moment. Die Natur- und Atomkatastrophe in Japan überstrahlt alles. Es ist schon erstaunlich, welche Analogie das Desaster zu Godzilla-Filmen besitzt. Die verseuchte Bedrohung erwachte immer wieder zum Leben. Wie ein warnendes Menetekel. Doch die Japaner haben das unheilbringende Monster mit ihrer technologischen Überlegenheit bisher stets besiegt. Man wünscht ihnen dieses Happy-End. Und bewundert ihre Helden. Helden bekommen immer die größten Grabsteine. Wo einst Brücken waren, klaffen nun Lücken. Nicht nur in den zerstörten japanischen Gebieten, sondern auch in den Beziehungen zwischen Wählern und Politikern. Atomenergie bleibt Tückentechnologie. Und wird für die brückengläubige Regierung zur Hängepartie. Das ist das einzige, was sicher ist. Die Atomkraft verseucht die weißen Westen strahlender Persönlichkeiten. Deshalb gibt es eine Erholungspause. Doch in der atomaren Fastenzeit können weder Kernkraftwerke geprüft noch neue Brücken gebaut werden. Vielleicht geht es beim Moratorium gar nicht um die Zukunft des Kerns, der sich und andere spaltet, sondern darum, die Halbwertszeit der Angst auszuloten. Drei Monate sind dabei mehr als grenzwertig. Der Ausstieg aus der Kernkraft ist zwar nur der halbe Weg zur Glückseligkeit, Deutschland ist keine Insel. Aber er ist ein Zeichen ohne Rauch. Für Alternativen, die weltweit funktionieren (müssen). Vielen geht das nicht vorhandene Geld aus. Portugal muss womöglich auch unter den EU-Rettungsschirm. Sanierungsplan gescheitert, Ministerpräsident zurückgetreten. Angst vor Euro-Krise? Regierungen merken: Es ist einfacher Geld auszugeben, das man nicht hat, als solches einzuteilen, mit dem man rechnen muss. Das gute Image des Sparens wird auf Kosten anderer zur Belastung.


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Oliver W.

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KOLUMNE Europa muss endlich komplett zusammenwachsen, braucht eine gemeinschaftliche Identität. Ohne ein kollektives Bewusstsein kommt keine europaweite Harmonisierung zustande, jedes Land wurschtelt weiter nach eigenen Maßstäben mit fremdem Netz. Die Zahler haben irgendwann die Nase voll von leeren Taschen. Das wäre die tatsächliche Krise, Euro und Europa würden auseinanderfallen. Deshalb: Solidarität ist richtig, aber nur gegenseitig. Bei Geld hört die Freundschaft auf. Bei Krediten muss sie beginnen. Nun, das einzige, was man ohne Geld machen kann, sind Schulden. Und Schulden sind ein globales Phänomen. Wer glaubt, dass die bisher angesammelten, weltweiten Staatsschulden irgendwann zurückgezahlt werden können, ist ein beneidenswerter Optimist. Nach Abwertung kommt eine neue Währung, eine Weltwährung vermutlich. Für die das Gleiche gilt wie für den Euro: Nur gemeinsame Harmonie hält eine Währung stark. Dann wären wir ein globales Dorf (erinnert sich noch jemand an diesen Begriff?). Harmonie herrscht auch im Wahlkampf. Eigenharmonie. Ich fahre durch die Straßen, wohin man schaut – Wahlplakate. Überall säumen fröhliche und zuversichtlich gestimmte Gesichter den Weg. Unermüdlich lächelnd. Inmitten von ebenso lächelnden Statisten. Meister Proper zwischen weißen Riesen. Mega-Kerls. Ab und an Supergirl und Wonderwoman dazwischen. Und ihre Wahlslogans sind für die Ewigkeit gemacht: Es wird alles besser, Schuld sind die anderen. Es ist sehr schwer in diesen Tagen, Klischees auszuweichen. Klischees überzeichnen die Wahrheit. Was die Wahrheit idealisiert, ist Schönheit. Liz Taylor ist tot. Die schöne Geliebte starb an einem kranken Herzen. Wenn Idole der eigenen Kindheit sterben, ist das ein wenig wie der Verlust eines geliebten Schmuckstücks. Doch die Erinnerung bleibt; sie macht unsterblich. Unsterblich ist auch die Romantik des Frühlings. Und der Frühling zelebriert sich mit sonnigem Einstand. Die Sonne ist nicht nur ein Energiebündel, sondern die beste Motivationskünstlerin. Sie erhellt den Blick. Ja, die Sonne hat recht: Nichts verändert die Gegenwart mehr, als die Kraft einer zuversichtlichen Perspektive. Und wenn es regnet? Nun, dann kann man ja immer noch aus dem Fenster blicken.


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