Die Bändigung des Ungewissen – die Zukunft des Versicherungsmarktes von Oliver W. Schwarzmann - Teil 1
Ungewisse Zukunft? Die Zukunft ist ungewiss. Das ist gewiss nichts Neues, niemandem ist es bisher gelungen, die Zukunft exakt vorherzusagen. Doch die Zukunft ist heute ungewisser denn je. Denn der Globus ist in Bewegung - die globale Dynamik des Wirtschaftskosmos erzeugt in ihrer Beschleunigung der internationalen Wechselwirkungen neue, unberechenbare Situationen im irrwitzigen Tempo. Die Gegenwart erscheint wie aufgebläht: Unterschiedlichste Entwicklungen finden mittlerweile zur gleichen Zeit statt und die vielschichtigen und unkalkulierbaren Effekte dieser multiplen Welt setzen die Beziehung von Ursache und Wirkung außer Kraft. Kontinuität und Verlässlichkeit entfallen, Unmittelbarkeit löst Langfristigkeit ab, Planbarkeit, Beherrschbarkeit, Kontrolle und Steuerung verlieren ihre Wirkung.
Der Ausbruch der aktuellen Wirtschafts- und Finanzkrise hat deutlich gezeigt, wie instabil und störanfällig dieses hochkomplexe, globale Spiel tatsächlich ist - wie schnell die überfinanzierten Dominosteine vom internationalen Parkett in die nationalen Volkswirtschaften und lokalen Betriebe fallen, wie eng die Verkettung zwischen den weltweiten ökonomischen Kräften ist und wie groß sich die Abhängigkeit zwischen Spekulation und Realwirtschaft entwickelt hat. Die Bewältigung der Krisenfolgen wird andauern, zweifellos. Danach wird nichts mehr so sein, wie es vorher war, soll eine positive und zukunftsweisende Aufbereitung der Krise gelingen. Denn Krisen stehen nicht einmal in einer spontanen Welt wie der unseren wie ungebetene Gäste plötzlich vor der Tür und verändern das Tagesgeschehen über Nacht. Nein, sie sind die Spitze von andauernden Veränderungsprozessen. Für den Finanzmarkt und in Folge für die Finanzdienstleistung tut sich mit der Krise ein besonderer Wandel auf – der Kampf um Glaubwürdigkeit. Denn Ernüchterung und Skepsis herrschen: Der einstige Mythos des expansiv prosperierenden Finanzmarktes ist ebenso gebrochen wie der Glaube an die Unbesiegbarkeit hochspezialisierter Finanzjongleure. Und zwar endgültig. Was schon immer
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unbestrittene Wirklichkeit war, avancierte zur Gewissheit: Der blaue Planet ist keine Papierwelt. Und gedruckte Versprechungen mögen zwar wie Wundertüten aussehen, sind aber keine Füllhörner. Früher oder später müssen alle Versprechen real eingelöst werden.
Auch diese Veränderung kam nicht von ungefähr: Das Image der Finanzberatung stand schon immer in der Diskussion, ebenso wie das in den letzten Jahrzehnten herangewucherte Ausmaß eines unüberschaubar gewordenen Finanzmarktes. Letztlich hat die Krise das schwelende Misstrauen der Kunden vollends entfaltet und nicht wenige Skeptiker in ihren Befürchtungen bestätigt. Was der Markt nunmehr fordert, ist die moralische Reinigung seiner Akteure und für die Zukunft eine Orientierung zu einem absolut nachhaltigen Wachstum, gerichtet auf eine produktive Balance zwischen substanziellen Werten und virtuellen Fantasien. Bedeutet für Finanzdienstleister: Sie müssen um neues Zutrauen kämpfen. Und es wird nicht ausreichen, alte Tugenden wie Seriosität, Größe, Sicherheit und Kompetenz zu beschwören. Diese Botschaften erreichten den Kunden schon vor der Krise, jetzt klingen sie vielmehr wie Hohn. Nein, heute und in Zukunft geht es um eine emotional transparente Form der Kommunikation, um Integrität und Authentizität – kurzum: die Firmenphilosophie, ihre ethische Substanz ebenso wie ihre Ernsthaftigkeit stehen im Mittelpunkt von Markenmanagement und Beratungsstrategien. Ob sich eine grundlegende ethische Wende am Finanzmarkt wirklich vollziehen wird, wird die Zukunft zeigen, ist also ungewiss. Doch schon heute begleitet sie das Geschäft der Finanzinstitutionen und den Alltag ihrer Berater – in Gestalt hoher Kundenansprüche.
Keine Unterscheidung möglich? Kundenansprüche? Die unsicheren Zeiten, wie die jetzigen, liefern Versicherungsunternehmen eigentlich perfekte Vorlagen für ihr Business. Denn eine unberechenbare Welt ist ein Universum voller Risiken, die es abzusichern gilt. Doch der Markt bleibt hinter seinen Möglichkeiten zurück. Natürlich, die Krise wirkt wie eine Notbremse, in Unternehmen wie bei Privathaushalten gleichermaßen. Nicht nur das: Auch die historische Struktur des Marktes löst sich auf – die finanzielle Spaltung der Gesellschaft schreitet unaufhaltsam voran. Zu den Ursachen zählt die seit den 1970er Jahren entfachte qualitative Spaltung des Arbeitsmarktes, die eine wachsende Vertikalisierung der Einkommensverteilung nach sich zieht. Zudem wirkt die zunehmende Verengung des Eigentums- und Erbschaftstrichters – wegen geringer Geburtenquoten verfügen immer weniger Nachkommen über immer größere Kapitalmengen, erben immer gigantischere Vermögen. Diese Entwicklung bedeutet nicht nur das Ende der Mittelschicht, sondern sie ordnet den Absatzmarkt für Finanzdienstleister neu – es gibt zunehmend weniger Personen, die als potenzielle Klientel in Frage kommen, wobei sich diese
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aufgrund des erwähnten Strukturwandels wachsender Kaufkraft erfreut. Heißt für den Markt: Die Kundenanzahl sinkt, während die Pro-Kopf-Investitionskraft zunimmt. Bedeutet für den Vertrieb: Notwendige Verbreiterung des Einzelkundengeschäfts unter erschwerten Bedingungen – denn gleichzeitig verschäft sich der Verdrängungswettbewerb.
A propos Wettbewerb – eigentlich fordert der Kampf um Kunden von Versicherungsunternehmen wahrnehmbare Unterscheidungsmerkmale und eine klare Positionierung. Das Alles scheint aber nicht am Markt anzukommen: So zeigen unsere Umfragen in der neuesten Untersuchung zur „Zukunft des Versicherungsmarktes“, dass 84% von 1.750 befragten Personen im Alter von 30-55 Jahren keine maßgebliche Unterscheidung zwischen den Versicherungsunternehmen wahrnehmen können. Einstimmiger Tenor der Befragten: „Die sind doch alle gleich, machen alle dasselbe.“ Kein Wunder, dass 86% der befragten Gruppe, die Anzahl der am Markt verfügbaren bzw. angebotenen Produkte für zu hoch halten. Ein Urteil, das sich auf drei wesentliche Begründungen stützt: „Produktangebote sind nicht unterscheidbar“, „Produktangebote sind nicht zu überblicken“ und „Produktangebote ähneln sich zu sehr bzw. sind austauschbar“.
Fehlende Überschaubarkeit Fehlender Überblick, keine Transparenz und eine hohe wahrgenommene Austauschbarkeit führen zu eindeutigem Desinteresse. Insbesondere bei den 19- bis 35jährigen Kunden, eine für Versicherungen wichtige, weil investitionsrelevante Zielgruppe, macht sich Belanglosigkeit gegenüber Finanzfragen breit, wie unsere weiteren Untersuchungen zeigen – die Gruppe ist zwar mehrheitlich an der Zukunft stark interessiert, was sich aber in keinen Appetit auf Versicherungsprodukte niederschlägt. Mehr noch: Der Abschluss von Versicherungsverträgen vermittelt nicht mehr die Zukunftssicherheit wie einst in der Vergangenheit. Eine Versicherung sehe man nicht als aktives Zukunftsmanagement, klingt es mehrheitlich aus den Reihen der Befragten. Man sei sich zwar über die Notwendigkeit einer Absicherung bewusst, so die einhellige Meinung, messe ihr aber nicht den Stellenwert eines persönliches Zukunftsplanes ein. Ein hierfür häufig genannter Grund – es fehle bei Finanzanbietern generell ein „weitreichendes, konzeptionelles Engagement“. Begründung: Versicherer böten keine Zukunftsangebote über ihren Produkthorizont hinaus. Es gehe ihnen nach wie vor um den schnellen Abschluss. Und nach diesem erhalte der Kunde lediglich einmal im Jahr ein standardisiertes Informationsschreiben, wenn überhaupt.
Doch nicht nur die Fülle und offensichtliche Ununterscheidbarkeit von Versicherungsunternehmen und ihren Finanzprodukten führen zu einer Konfusion am Markt, zu dieser Haltung addiert sich ein
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weiteres Verhaltensmerkmal: Lange Zeithorizonte sind speziell für die untersuchte Altersgruppe nicht mehr zu überblicken, was die Motivation für lange Vertragslaufzeiten enorm schmälert. Der „perspektivische Zeitwert“, eine von unserer Researchgruppe seit 1997 jährlich gemessene Einschätzung verschiedener Zielgruppe über ihren „Eindruck zeitlicher Überschaubarkeit“ sinkt kontinuierlich – zuletzt auf einen Wert unter 6 Monaten. Eine krisenbedingte Angabe, zweifellos. Dennoch reiht sich der Wert in den seit Jahren zunehmenden Trend zum kurzfristigen Handeln ein. Ein Verhalten mit paradoxen Zügen: Kunden investieren kurzfristig, tun dies aber langfristig. Viele Vermögensstrategien haben sich auf diese Weise zu punktuellen Engagements entwickelt. Die Folge: Langfristige Kontrakte werden von vorneherein gemieden, laufende Verträge frühzeitig aufgelöst. Der Markt fordert mittlerweile auch von Kapitalanlagen mit hohen Laufzeiten die Flexibilität eines Tagesgelds.
Teil 2 – die Zukunft des Versicherungsmarktes: Marken, Mehrwert und Vertrieb
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