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Stomatologie-Quiz: Leitsymptom – Multiple Flecken auf der Zunge
Patientengeschichte Beim 27-jährigen männlichen Patienten wurden im Rahmen der zahnärztlichen Untersuchung fl eckenartige Veränderungen am Zungenrücken und den Zungenrändern bemerkt. Dem Patienten sind diese Veränderungen kaum aufgefallen und er weiss somit nicht, seit wann sie vorhanden sind. Er hat keine Schmerzen. Er hat nie geraucht. Seine allgemeinmedizinische Anamnese ist unauffällig.
Klinischer Befund Extraoraler Befund: Der extraorale Befund war unauffällig. Die Lippen waren normal in der Grösse und hatten keine Läsionen.
Intraoraler Befund: Beim intraoralen Befund war die Zunge sofort auffällig. Betreffend ihrer Grösse war sie in der Norm. Die üblichen Bewegungen wie Protrusion und Elevation waren uneingeschränkt möglich und unauffällig. Mittig auf dem Zungenrücken war ein normales Areal mit Papillen erkennbar. Anterior, posterior und auf beiden Seiten waren jedoch viele gelblich-weissliche, teils fl eckig, teils linienartige Zeichnungen zu sehen. Weiss-gelbe Linien demarkierten runde oder halbrunden Areale, welche rot erschienen. Zudem fi elen von den Rändern zur Mitte hin verlaufende Furchen auf.
Fragen zum Befund 1) Welches sind die Verdachts- und Differenzialdiagnosen? 2) Wer ist davon betroffen und können andere Krankheiten assoziiert sein? 3) Welche Therapie ist indiziert?

Abbildung 1
PD Dr. med. dent. Valérie G. A. Suter Klinik für Oralchirurgie und Stomatologie der Universität Bern


Abbildung 4

Abbildung 5 Abbildung 5

Abbildung 6 Abbildung 6

Abbildung 7

Korrespondenz: PD Dr. med. dent. Valérie Suter Klinik für Oralchirurgie und Stomatologie Zahnmedizinische Kliniken der Universität Bern Freiburgstrasse 7, 3010 Bern valerie.suter@zmk.unibe.ch
Lösungen
1) Auf dem Zungenrücken und -rand sind atrophisch-rote Areale zu erkennen. Diese sind zudem durch einen weisslich-gelblichen Saum demarkiert. Diese Zeichnungen sind durch Veränderungen der Papillae fi liformes (fadenförmige Papillen) bedingt. In den roten Arealen sind die Papillae fi liformes atrophisch bis fehlend und im Bereich der weisslichen Demarkierung verstärkt verhornt. Typisch ist, dass die roten Areale nicht immer an der gleichen Stelle vorkommen. Oft bringen die Patientinnen oder Patienten Fotos mit verschiedenen Erscheinungsbildern mit. Häufi g sind sie – wie bei unserem beschriebenen Patienten – asymptomatisch. Symptome in Form von Brennen können jedoch vorkommen – dies verstärkt beim Genuss von gewissen Speisen wie sauren oder scharfen Lebensmitteln. Die Diagnose lautet «Lingua geographica». Die Diagnose wird ohne Zusatzuntersuchungen aufgrund der typischen klinischen Merkmale gestellt. Zudem sind auf der Zunge Furchen zu erkennen, was einer Lingua plicata entspricht, die nicht selten kombiniert mit der Lingua geographica vorkommt. Differenzialdiagnostisch ist an eine Atrophie des Zungenrückens bei systemisch bedingten Mangelerscheinungen wie z.B. von Vitamin B12 oder Eisen zu denken. In diesem Fall würden jedoch die weissen Demarkierungen fehlen und meist ist ein einziges, grösseres Areal bzw. der ganze Zungenrücken atrophisch. Im Rahmen einer intraoralen Candida-Infektion kommt es bei der erythematösen Form auch zu roten Arealen. Diese sind nicht selten mit weissen Pseudomembranen assoziiert, welche abstreichbar sind oder auch mit Hyperplasien, bedingt durch eine chronische Candidiasis. Durch einen Abstrich kann die Candidiasis mikrobiologisch nachgewiesen werden. Bei einem einzelnen zentralen atrophischen Areal vor dem Sulcus terminalis handelt es sich um eine Glossitis rhombica mediana (Abbildung 4). Früher als Missbildung missdeutet, ist sie heute einer chronisch entzündlichen Ver - änderung zuzuordnen, oft auch Candidaassoziiert. Beim oralen Lichen planus – eine Krankheit der Mundschleimhaut mit immunologischem Prozess – kann der Zungenrücken auch atrophische Areale, meist zusammen mit weissen Linien (Wickham’sche Striae) und weissen plaqueartigen Veränderungen aufweisen (Abbildung 5). Diese sind typisch für den oralen Lichen planus und sind auch an weiteren Lokalisationen der Schleimhaut der Mundhöhle zu fi nden.
2) Die Lingua geographica kommt bei Frauen etwas häufi ger als bei Männern vor. Die Ursache ist nicht bekannt. Es wird ein genetischer Hintergrund vermutet, weshalb oft mehrere Mitglieder einer Familie betroffen sind. Sie kommt bereits bei Kindern und am häufi gsten bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen vor. Die Häufi gkeit wird auf ca. 2-5 % der Bevölkerung geschätzt. Meist ist nur die Zunge betroffen, aber auch andere intraorale Schleimhäute können rot-atrophische, durch eine gelb-weisse Linie demarkierte Areale aufweisen. Beim vorher beschriebenen Patienten waren solche Läsionen am Mundboden (Abbildung 6) und am Planum buccale beidseits (Abbildung 7) zu fi nden. Dieses Erscheinungsbild wird dann als Exfoliatio areata mucosis oder Erythema migrans bezeichnet. Die Lingua plicata kann (ca. in 10–20 %) mit der Lingua geographica vergesellschaftet sein. Die Lingua plicata kommt jedoch häufi ger bei älteren Menschen vor und betrifft mehr Männer. Sie kann in Zusammenhang mit dem seltenen Melkersson-Rosenthal-Syndrom vorkommen, bei dem mit der Lingua plicata Schwellungen der Lippen und eine Fazialparese auftreten. Auch beim Down-Syndrom kommt die Lingua plicata häufi g vor. Ein häufigeres Vorkommen der Lingua geographica und plicata wird bei PsoriasisBetroffenen (Schuppenfl echte) mit und ohne begleitende Arthritis beschrieben. Es wird dabei ein ähnlicher genetischer Hintergrund (Assoziation mit dem HLA-cw6) vermutet. Die Lingua geographica ist zudem als mögliche Nebenwirkung bei der Einnahme von bestimmten Medikamenten (z.B. Angiogenesehemmer) aufgefallen.
3) In den meisten Fällen macht die Lingua geographica keine Symptome. Dann reicht eine gute Information der Betroffenen mit Hinweis auf die Harmlosigkeit. Bei Brennen ist das Vermeiden von reizenden Getränken und Speisen wie Saures und Scharfes zu empfehlen. Bei der Lingua plicata empfi ehlt sich die Reinigung der Falten mit einer weichen Zahnbürste oder einem Zungenschaber, um die Akkumulation von Materia alba und Mikroorganismen (u.a. Pilze) in den Falten zu vermeiden und auch Mundgeruch vorzubeugen.