Nr. 95, März 2013
Gewaltfreie Strategien für sozialen Wandel
Nonviolent action training, Santiago Chile. Foto: WRI Ist Strategie zu einem Modewort in den gewaltfreien sozialen Bewegungen geworden? Ich frage mich das seit ich wiederholt bei Treffen solcher Bewegungen höre: "Wir müssen strategisch sein" oder "Warum interessieren sich die Leute nicht für Strategien?". Es scheint, dass wir Strategie mit Effektivität und Erfolg assoziieren. Wenn ein bestimmtes Problem geändert werden soll, ist dann eine klare Strategie der Hauptschlüssel zu dem, was Bewegungen erreichen können? Wenn ja, was macht dann eine gute Strategie aus? Und was hilft Gruppen, solche Strategien zu entwickeln? Diese Fragen haben wir uns bei War Resisters' International seit vielen Jahren gestellt. Zuerst einmal: Was verstehen wir unter Strategie? Leute verwenden das Wort auf die unterschiedlichsten Weisen. Es gibt vor allem eine Unterscheidung zwischen Strategie und Taktik. Im Handbuch für gewaltfreie Kampagnen der WRI steht: "Taktiken sind die tatsächlichen Mittel, die verwendet werden, um ein Ziel zu erreichen, während Strategie der allumfassende Plan einer Kampagne ist (einschließlich komplexer Vorgehensmuster, Aktivität und Entscheidungsfindung), der dann zu der taktischen Ausführung führt. Strategie ist ein langfristiger Aktionsplan, um ein besonderes Ziel zu erreichen. Strategie wird von Taktik oder Sofortmaßnahmen mit vorhandenen Ressourcen unterschieden, da Strategien umfassend durchdacht sind und oft praktisch geprobt werden. Strategien werden angewandt, um das Problem oder Probleme leichter zu verstehen und zu lösen.
Das ist ein linearer Ansatz, bei dem das Schlüsselwort "Planung" ist: man plant jeden Schritt.
Marshall Ganz schlägt einen weniger linearen Ansatz vor und argumentiert: "Strategie ist, wie wir das, was wir haben, in das verwandeln, was wir brauchen, um zu bekommen, was wir wollen. Strategie ist, wie wir unsere Ressourcen in die Macht umwandeln, unsere Ziele zu erreichen. Sie ist der konzeptionelle Link zwischen Zielsetzung, Zeitablauf und Taktiken, mit denen wir Ressourcen mobilisieren und anwenden, und den Ergebnissen, die wir zu erzielen hoffen."
Es gibt viele Definitionen für Strategie und sie wirken unterschiedlich für die unterschiedlichen Zwecke. Oft ist der Anfangspunkt einer Strategie die Überlegung, was wir tun können, um einen Wandel zu bewirken, die unseren Motivationen entspricht, und was möglich ist. Das definiert verschiedene Aspekte Ihrer Strategie: welche Ziele haben Sie, was ist Ihre Aussage, wer ist Ihre Zielgruppe, welche Taktiken setzen Sie ein, usw. Daraus einen Plan zu machen, kann die Effektivität erhöhen, aber Kampagnen müssen flexibel sein: man muss berichtenswerte Aktionen schaffen, Interesse von anderen Leuten erregen und vielleicht die Opposition auf dem falschen Fuß erwischen. Während eines kürzlich stattgefundenen Strategie Trainingstreffens wurden wir gebeten, unsere am meisten strategische und am wenigsten strategische Erfahrung in einer Gruppe zu Fortsetzung auf Seite 2
Editorial
Gewaltfreie soziale Bewegungen haben oft – oder denken, sie hätten – eine Vorstellung von den Problemen, denen wir uns gegenüber sehen, und eine von der Welt, in der wir gerne leben würden. Die Herausforderung besteht darin zu wissen, wie man vom Problem zum Aufbau der Vision fortschreitet. Es gibt viele Faktoren, die einen Einfluss darauf haben, welche Aktionen wir unternehmen, um den Status quo zu verändern. Oft ist der Startpunkt die Motivation der Gruppe: Man trifft sich und denkt: „Also, was können wir in dieser Lage tun?
Die Frage, was zu tun ist, ist nicht leicht zu beantworten. Es ist leicht, in eine Routine wiederholter Aktivitäten zu fallen, die man mag oder in denen man Erfahrung hat, ohne darauf zu achten, ob sie auch wirksam sind. Identität ist wichtig, also sind Routinen nicht immer schlecht, aber es ist wichtig, sie infrage zu stellen und zu reflektieren, ob man Dinge auch anders machen könnte. Meinesteils vertrete ich die Ansicht, dass Training in Gewaltfreiheit diesen Prozess erleichtert.
In dieser Ausgabe des „Zerbrochenen Gewehrs“ untersuchen wir verschiedene Fälle, wie Gruppen in Richtung auf strategisches Handeln arbeiten. Ein Artikel von Rasmus Grobe untersucht, wie Aktivisten die Theorie der sozialen Bewegungen nutzen können. Majken Jul Sørensen stellt das Konzept der DilemmaAktionen vor, am Beispiel der „GazaFlotille“. Igor Seke und Boro Kitanoski werfen einen Blick auf die Kriegsdienstverweigerung als Strategie gegen Militarismus. Alex Rayfield und Laura Shipler Chico teilen mit uns die Herausforderungen von solidarischer Arbeit in West Papua und Kenia. Schließlich breitet Jungmin Choi die Phasen aus, die die Bewegung gegen den Bau eines Flottenstützpunktes auf der Insel Jeju durchlaufen hat und nutzt dabei das Modell des Bewegungs Aktionsplans. Das Kennenlernen unterschiedlicher Erfahrungen kann dazu anregen, über den Tellerrand hinauszuschauen. Ich hoffe, dass diese Geschichten Euch im gleichen Maße inspirieren wie mich.
Javier Gárate