3 minute read

Kolumne

Der «Burj Khalifa» in Dubai oder der Turmbau zu Babylon

Ist die Menschheit in den letzten dreitausend Jahren dem Himmel tatsächlich näher gekommen?

Wir besuchten Dubai. Kaum waren wir dem Schiff entstiegen, sassen wir schon in einem schaukelnden Kleinbus und wurden ins Stadtzentrum gefahren. Der Führer hatte versprochen, uns das höchste Gebäude der Welt aus einer ganz besonderen Perspektive zu zeigen. Wir wurden eine lange Steintreppe hinuntergeführt bis ans Geländer einer Kanalpromenade. Es lag dichter Nebel über dem Wasser. Ich knurrte: «Jetzt ist der Turm 828 Meter hoch, und wir können nichts davon sehen!» Aber da geschah das (vom Guide natürlich geplante) Wunder: Der Nebel begann zu wallen und wie jeden Vormittag ging mit der steigenden Sonne der Vorhang auf und enthüllte den schimmernden Prachtbau. Ich musste mich fast auf den Rücken legen, um alles bis zur Spitze aufs Bild zu bekommen.

Liebe Leserinnen und Leser, können Sie sich eine Gebäudehöhe von über 800 Metern überhaupt vorstellen? Zur Veranschaulichung: Wenn man diesen Turm auf den Brienzerseespie-

Peter Santschi Brienz

gel stellen würde, könnte man vom obersten Stockwerk aus den Gästen auf der Axalper Bellevueterrasse zuwinken. Ein gigantischer und ausgesprochen eleganter Bau! Und fragen Sie jetzt ja nicht, was so etwas kostet. Diese Fragestellung ist in den Vereinigten Arabischen Emiraten absolut nicht relevant. Das Erdöl sprudelt noch immer ergiebig, und was vom Herrscher gewünscht wird, kann realisiert werden, sofern es technisch machbar ist. Es gibt bald eine Weltausstellung in Dubai. Da ist ein noch höherer Bau geplant, um sicherzustellen, dass nicht irgendein anderes Land bis dann den Höhenrekord an sich reissen kann. Architekten, Ingenieure, Techniker und Künstler aus aller Welt waren am «Burj» beschäftigt. Und nicht zu vergessen: Tausende von Fremdarbeitern aus dem ganzen Nahen Osten arbeiteten über mehrere Jahre an dem Monsterbau.

Da schweiften, wie so oft auf meinen Reisen, die Gedanken ab, und ein Bild des berühmten Kunstmalers Pieter Bruegel kam hervor: der Turmbau zu Babel! Dies ist doch eine der zeitlosen Geschichten aus dem Alten Testament. Ein fremdes Volk siedelte sich im Land an. Um seine Überlegenheit zu beweisen, begann man, einen Turm zu bauen, der bis an den Himmel reichen sollte. Das Bild war zu meiner Lehrerzeit in der damaligen Jugendbibel abgedruckt und hat den Kindern jeweils grossen Eindruck gemacht. Die Geschichte nimmt in der

«So soll uns vor Augen geführt werden, wie unsere Zukunft und die unserer Kinder aussehen könnte. Aber aufgepasst: Auch der ‹Burj Khalifa› reicht bei weitem nicht in den Himmel.»

Bibel nur wenige Zeilen ein. Trotzdem ist sie sehr bekannt. Der Herrscher Nimrod wollte den Turm so hoch bauen, dass er bis in den Himmel reiche – ein Versuch der Menschheit also, Gott gleichzukommen. Gott aber verwirrte die Sprache der Bauenden, sodass sie einander nicht mehr verstanden und den Bau aufgeben mussten.

Und nun bewundern wir in Dubai den «Burj Khalifa». Daneben gibt es in Dubai auch den «Burj al Arab», das grossartige Hotel in Form eines arabischen Segelschiffes; es gibt aufgeschüttete Inseln, die von oben gesehen die Form von Palmen haben. Man kann in einer Riesenhalle sogar Ski fahren, obwohl ringsum Wüstentemperaturen herrschen. Es gibt skurril verdrehte Wolkenkratzer und eine Hochbahn, welche die Fahrgäste ohne Personal über die Stadt transportiert. Die Gesetze der Physik scheinen mit raffinierter Technik und schwindelerregenden Geldsummen ausser Kraft gesetzt zu sein. So soll uns vor Augen geführt werden, wie unsere Zukunft und die unserer Kinder aussehen könnte. Aber aufgepasst: Auch der «Burj Khalifa» reicht bei weitem nicht in den Himmel. Auch die Männer, die bis zum Mond geschossen worden sind, haben zwar Neues entdeckt – aber absolut nichts Himmlisches gefunden. Gott musste nicht einmal die Sprachen verwirren, um zu verhindern, dass die Menschen seiner Schöpfung gleichkommen. Mein Blick senkt sich zu den Palmen am Kanalufer. Wunderbar elegant geschwungene Stämme. Prächtige Naturfarben und perfekt geformte Blätter, die im leichten Wind zittern, dazu oben am Stamm die schweren Kokosnüsse als Zeichen von Fruchtbarkeit und Sinnbild für die Einmaligkeit der Schöpfung. Ich atme tief durch und erkenne die wirklich wahre Schönheit. Will ich nun mit diesem Text von einer Reise nach Dubai abraten? Nein! Die Stadt ist hochinteressant und regt zu vielen wertvollen Gedanken und Gesprächen an. Aber ich habe ins letzte Dia von meinen Reiseerinnerungen hineingeschrieben: «Man muss Dubai einmal gesehen haben – aber das reicht dann…»

This article is from: