Ausland
MATALA
Zauber der Primitivität Global Village: Wie die Alt-Hippies von Matala den Griechen neuen Mut geben wollen
Der gelernte Zimmermann war in den etwas wie das Gegenteil des Fortschritts infach nur den ganzen Tag rumgehangen? In den Höhlen gelegen sechziger Jahren einer der ersten deut- sein. Es war toll.“ Sie suchten nach eigener Identität, neuund gekifft? Über das unendliche schen Bewohner der abgelegenen Bucht, Blau der Bucht von Matala das Hier und wo der Sage nach der in einen Stier ver- en Werten und anderen Formen des Zuwandelte Zeus die schöne Europa an sammenlebens. Sie fanden Gleichgesinnte Heute vergessen? Nein, da sei mehr gewesen, damals in Land trug. Damals entwickelte sich der in den primitiven Felslöchern, sie entdieser berühmten Hippie-Kolonie auf Flecken auf halbem Weg zwischen San deckten Retsina und Sirtaki und die GastKreta, sagt jemand, der dabei war. Und Francisco und Goa gerade zu einer Euro- freundschaft der Bauern, die sie mit Brot der sich, wie Hunderte anderer hierher pazentrale für Sinnsucher und Aussteiger und Bohnensuppe durchfütterten. Doch viele Klischees von heute über Zurückgekehrter, heute gern daran erin- aus aller Welt. Und Will ist einer der letznert: Fritz Will, 74, ein Aussteiger aus ten Bewohner von damals. Noch heute die Zeit von gestern sollen nie gestimmt wohnt der Maler, Autor und Hobby- haben: von wegen freie Liebe, Drogen dem Westfälischen. und Verwahrlosung. „Alles Quatsch“, Damals sei auch Politik gemacht sagt Shirley. Feste Paare seien in worden: Interessiert beäugt von ein Matala die Regel gewesen, wennpaar einheimischen Fischern und Oligleich, nun ja, vielleicht nur wochenvenbauern, sei es um den weltweiten weise fest. Kampf gegen den Vietnam-Krieg geSie erzählt von alten Freunden, von gangen. Genau dafür hätten die Hipdem hohen Richter aus Bonn, dem pies gesorgt, die sich hier in den präPhilosophen aus Lausanne oder dem historischen Felsenhöhlen von Matala Maler aus Kanada, mit dem sie auch eingenistet hatten. mal zusammen war und der inzwi„Wir haben nicht einfach nur so schen Galerien in New York betreibt. rumgelegen am Strand“, sagt Will, Alle hätten später was erreicht. „Es „wir wollten die Welt verändern, war die beste Zeit meines Lebens“, Vietnam war ein Teil davon.“ Wehrschwärmt Pam. dienstverweigerer aus aller Welt hatte Und dann kraxeln die beiden alt gees bald hergezogen. Selbst ein Star wordenen Schwestern gemeinsam mit wie Joni Mitchell habe hier gelebt. Freundinnen von damals noch einmal Ach, die Tage von Matala: „Wir hatten die Felsen hoch zu ihren einstigen einen Traum“, sagt Alt-Hippie Will. Schlafstätten: zur wohl luxuriösesten Nun steht er wieder in der Bucht, Höhle mit drei Kammern knapp über mit seinem grauen Haar und dem weidem Meeresspiegel, die sie „Hilton“ ßen, zotteligen Rauschebart, wie einer genannt hatten, oder zur größten, mit anderen Zeit entsprungen. Um ihn hesechs Schlafplätzen eine Etage höher, rum feiern an diesen Pfingsttagen Tau„Globe City“. Dann stürzen sie sich sende die Wiederauferstehung von mit Blume im Haar zurück ins FestgeMatala. „Today is life, tomorrow never tümmel am Strand. comes“, der alte Hippie-Spruch steht Maria Petrakagiorgi, Bürgermeistefrisch getüncht an der Hafenmauer; rin von Matala und mit 44 Jahren eine jetzt ist jetzt, ein Morgen gibt es nicht Generation jünger als ihre Besucher, – vor dem Hintergrund der Finanzkri- Ex-Hippie Will, Ehefrau: „Ein bisschen wie Kirmes“ hofft, dass das Hippie-Revival dazu se, die ein ganzes Land, womöglich einen ganzen Kontinent an den Abgrund geologe mit seiner Familie ganz in der beiträgt, „einen Teil der Depression zu vertreiben“, die sich über das krisengetreibt, klingt der Spruch zynisch und passt Nähe. Erinnern will sich auch Shirley Read- schüttelte Griechenland gelegt hat. „Lebt so gar nicht zur nostalgiegetränkten SanftJahn, 66. Sie ist extra aus San Francisco jetzt, besser wird’s nicht werden“, fordert mut der alt gewordenen Rückkehrer. Denn von überall her sind sie gekom- angereist, ebenso wie Pam, 68, ihre sie ihre Gäste auf. Petrakagiorgi gehört men, die Hippies von damals. Noch einmal Schwester, die aus Sydney eingeflogen der Regierungspartei Pasok an, offenbar wollen sie jung sein, zumindest im Kopf, ist. „Ich fühle mich, als wäre ich nach weiß sie, wovon sie spricht. und zwar an ihrem „Ort der Sehnsucht“. Hause gekommen“, sagt Shirley, die zum Fritz Will hofft darauf, dass die alte Sie sind dem Ruf des Bremer Autors ersten Mal nach 44 Jahren wieder in Hippie-Tugend der Anspruchslosigkeit Arn Strohmeyer gefolgt, der ein paar sei- Matala ist. noch einmal neu erblüht. „Alle verlangen Damals, 1967, habe sie gemeinsam mit von den Griechen doch, dass sie wieder ner alten Bekannten angemailt und zu einem Matala-Ehemaligentreffen aufge- Pam den „Zauber der Primitivität“ ge- eine Stufe runterschalten und ihre Befordert hatte. Den Rest erledigten Face- sucht. Von dem habe sie sich gefangen dürfnisse zurückschrauben“, sagt er, „vielbook und Twitter. „Ein bisschen wie Kir- nehmen lassen und sei für ein paar Wo- leicht kann ja ganz Europa etwas von uns mes“, findet Will das Treiben nun, aber chen geblieben. Pam kam dann noch lernen.“ es erfüllt seinen Zweck: „Wir wollen uns zwei weitere Sommer: „Die Amerikaner Er hat einen Traum, immer noch. flogen gerade zum Mond, wir wollten so ja erinnern.“ MANFRED ERTEL MANFRED ERTEL/DER SPIEGEL
E
108
D E R
S P I E G E L
2 5 / 2 0 1 1