barbaresco und der nebbiolo
Ein Mann, ein Dorf
zwei konträre konzepte, eine erfolgs geschichte. auf diesen kurzen nenner könnte man die geschichte des barbaresco bringen. das winzige dorf, das den gleichnamigen wein hervorbringt, beherbergt nämlich beides: italiens berühmtesten winzer sowie die möglicherweise beste winzer genossenschaft des landes. Kann Wein weiblich sein? Oder männlich? Die Rede ist jetzt nicht von der Pflanze, der Rebe. Der hat man das Geschlechtsleben ja bereits energisch ausgetrieben. Im Weinberg darf sich nicht einfach hemmungslos vermehrt werden, wo kämen wir denn da hin! Ganz züchtig, ausschließlich durch Ableger, darf Wein sich fortpflanzen, ohne Spaß am Sex, denn nur so ist garantiert, dass die Jungpflanzen von derselben Beschaffenheit sind wie die Mutterpflanzen. Wenn von maskulinem oder femininem Wein die Rede ist, geht es um das fertige Getränk. Gern wird unterstellt, dass „die Frau an sich“ es zart und elegant liebt. Ein femininer Wein wäre also ein feiner, eleganter Wein, das Gegenteil von einem wuchtigen, kantigen, womöglich mit harschen Gerbstoffen durchsetzten Tropfen. Die Frage nach der Zuordnung zu einem Geschlecht ist im Fall des Barbaresco insofern von Bedeutung, als er stets in Bezug auf den aus derselben Rebsorte gekelterten Barolo definiert und dabei immer als der elegantere, zartere, eben der femininere der beiden beschrieben wird. Wer daraus schließen wollte, dass der Barbaresco ein Leichtgewicht ist, läge allerdings gründlich daneben. Italien ist einer der weltgrößten Weinexporteure. Logisch, dass die weltumspannende Beliebtheit des italienischen Weins nur möglich ist, weil die meisten seiner Vertreter leicht zu trinken sind. Valpolicella, Pinot Grigio oder Soave bieten unkomplizierten Genuss, dafür braucht es kein Wein-Abitur. Aus dem gewaltigen italienischen Wein-Ozean ragen allerdings die drei großen B heraus wie schroffe Felsklippen: Barolo, Barbaresco und Brunello sind die drei steinernen Monumente, die eben nicht den leichten
Trinkgenuss bieten, sondern im Wortsinne anspruchsvoll sind: Sie beanspruchen den Weintrinker, wollen ergründet und verstanden werden. Zwei von ihnen entstehen im Piemont; die beiden Orte, nach denen sie benannt sind, Barolo und Barbaresco, liegen kaum 20 Kilometer Luftlinie auseinander. Südwestlich der Provinzhaupstadt Alba die Ortschaft Barolo, im Nordosten Albas und in nächster Nähe zum Fluss Tanaro das 700-Seelen-Dorf Barbaresco, der Wortherkunft nach das Barbaren-Dorf. Der Barbaresco ist also einer dieser drei mächtigen Weine. Insofern ist die Sache mit der femininen Zartheit doch äußerst relativ. Barbaresco kann nicht ohne Verweis auf Barolo erklärt werden. Der ist und bleibt die Referenzgröße, weil er die längere Tradition, das größere Anbaugebiet, die höheren Lagen, die strengeren Regeln hat. Beide, Barolo wie Barbaresco, werden aus Nebbiolo-Trauben gekeltert. Die Traube reift spät, wird oft erst im Oktober gelesen, wenn la nebbia, der Nebel, in den Weinbergen hängt. Beide müssen, um unter den Ortsnamen vermarktet zu werden, zu 100 Prozent aus Nebbiolo gewonnen sein. Die Rebe ist nicht ganz einfach. Sie reift spät und ist dadurch einigem Risiko durch wechselhaft-herbstliches Wetter ausgesetzt. Sie stellt hohe Ansprüche an den Standort und findet den besten Platz eben in ihrer Piemonteser Heimat. Zum Hansdampf-inallen-Gassen taugt sie nicht. Das macht sie attraktiv für alle, die im Wein neben dem sinnlichen auch den intellektuellen Genuss suchen, für die Wein nicht nur lecker, sondern auch authentisch und ein Spiegel seiner Herkunft sein soll. Die Nebbiolo-Traube ist von markanter Säure geprägt, ihre Schalen geben zudem jede Menge Gerbstoffe ab, die anfangs hart und kantig sind. Zwei Eigenschaften, die ebenfalls verhindern, dass Barolo oder Barbaresco jedermanns Liebling würde. Die sich aber auch zum Vorteil auswirken: Die Säure macht den Wein zum idealen Essensbegleiter für die deftige Piemonteser Küche, die Gerbstoffe schenken dem Wein ein langes Leben. Wer also Geduld hat und dem Wein mal eben zehn bis 20 Jährchen Zeit zum Reifen zugesteht, erhält einen seidig-eleganten, vielschichtigen Wein. Das könnte man wieder feminin nennen – beim Barolo wie beim Barbaresco.
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Angelo Gaja ist ein ausdruckstarker Mensch, auch ohne Worte.
Mit den Unterschieden verhält es sich ein wenig wie bei Zwillingen: Sie können einander so sehr ähneln, und doch bleibt lebenslang der später Geborene der ewige Zweite. Der Barolo ist und bleibt also der große Bruder, die Reihenfolge ist unumkehrbar. Zweitrangig ist Barbaresco aber schon lange nicht mehr. Seit wann, das ist recht präzise anzugeben – nämlich seit er kam: Angelo der Große. Angelo der Erneuerer. Angelo, der den Barbaresco neu erfunden hat. Angelo Gaja.
Plötzlich berühmt Torre del Bricco, Turm des Hügels, heißt der stattliche mittelalterliche Wehrturm, der das Dorf Barbaresco überragt. Er gilt seit Jahrhunderten als Wahrzeichen des Orts. Inzwischen ist ein weiteres Wahrzeichen hinzugekommen. Es ist nicht weithin sichtbar, sondern besteht aus einem kleinen Stück Papier mit vier dicken weißen Lettern auf schwarzem Grund – und man muss es sich schon leisten können, es nach Hause mitzunehmen. Es handelt sich um das Etikett des berühmtesten Barbaresco-Produzenten, ach was, des berühmtesten Winzers von ganz Italien. GAJA steht auf dem Etikett, und das muss schon fast reichen. Klein und unscheinbar und nur aus nächster Nähe zu entziffern steht darunter dann Barbaresco, dazu der Jahrgang und, kaum noch wahrnehmbar, die übrigen vom Gesetz vorgeschriebenen Informationen. Angelo Gaja also, Jahrgang 1940, Sohn des Giovanni Gaja, Enkel des Weingutgründers Angelo Gaja, hat die Piemonteser Weinwelt auf den Kopf gestellt. Wenn heute das Piemont als Italiens vornehmste Weinregion gilt, 42
ist das großteils sein Verdienst. Das wissen auch die übrigen Winzer zu schätzen, selbst wenn sie Gajas Ideen nicht teilen. Ziemlich heftig hat der energiegeladene Angelo nämlich das Piemont aufgemischt, hat althergebrachte Vorstellungen mir nichts dir nichts über Bord geworfen und damit viele vor den Kopf gestoßen. Ein moderater Alkoholgehalt von zwölfeinhalb Prozent? Ist für Schwächlinge! Bedächtiger Ausbau in großen, alten Fässern? Ach, die Ewiggestrigen! Die kleinen französischen Barriques mussten es auf einmal sein. Die geben, weil frisch ausgeflämmt, ordentlich Röst- und Gewürznoten – Vanille! – an den Wein ab. Zuvor aber kam der Most in Edelstahl, wo er während der Vergärung gekühlt wurde, damit der volle Beerengeschmack erhalten bleibt. Der Wein soll eine Wucht sein. „Ist er zu stark, bist du zu schwach“, war das Motto, und Weinfreunde aus aller Welt vergötterten ihren Angelo dafür. Dann kam er auch noch auf die Idee, die internationalen Sorten Cabernet und Merlot zu pflanzen, und selbst sein eigener Vater fand, das sei eine Schande. Ironisch nannte Angelo den Wein denn auch Darmagi – Schande. Die internationale Weinkritik aber lobte den Neuerer in den höchsten Tönen. Dass sich Modernisierer und Hüter der Tradition stritten wie die Kesselflicker – sei’s drum. Die internationale Weinwelt richtete ihre Aufmerksamkeit auf das Piemont, und davon profitierten alle, egal wie groß oder klein, wie alt oder neu ihre Holzfässer waren. Selbst Gaja ist inzwischen ein Stück vom Holzweg abgekommen, setzt die Eichenfässchen behutsamer ein als zu Beginn. Dass extreme Barrique-Noten, bei denen Vanille den typischen Duft von Teer und Rosen übertönt, doch nicht das Wahre sind, hat er als einer der Ersten begriffen.
Übernommen hatte Angelo Gaja das Weingut 1961 von seinem Vater Giovanni, der viele Jahre Bürgermeister von Barbaresco war. Gegründet hatte es 1859 Großvater Angelo als winziges Zwei-Hektar-Gut. Rotweine waren damals noch süßlich, auch der Barbaresco. In Barolo aber, wo all die Aristokraten mit ihren guten Beziehungen zu Frankreich saßen, hatte ein Franzose es geschafft, den Wein erstmals vollkommen durchgären zu lassen. Die Hefe hatte den gesamten Zucker in Alkohol verwandelt, der Wein war staubtrocken. Auch hier, in Barbaresco, arbeiteten sie daran, dem Nebbiolo den Zucker komplett auszutreiben. 50 Jahre nach dem ersten trockenen Barolo hatte schließlich auch Barbaresco seinen ersten modernen Rotwein. Diesen Quantensprung in Sachen Weinqualität verdankte es Domizio Cavazza, Direktor der Genossenschaft und zugleich Direktor der Weinbauschule in Alba. Die produttori, wie die Genossen hier kurz genannt werden, beeindrucken bis heute mit überdurchschnittlicher Qualität. Grundsätzlich ist das Genossenschaftswesen einer Spitzenqualität nicht zwingend förderlich. Es hilft dem finanzschwachen Einzelnen, weil Kosten für Gerät und Vermarktung geteilt werden. Es stachelt aber nicht unbedingt zum Ehrgeiz an – schließlich verschwinden die eigenen Trauben, selbst wenn sie von allerhöchster Güte sind, in der Regel im großen Einerlei, und statt des eigenen Namens steht bloß der Gruppenname auf dem Etikett. Die Genossen aus Barbaresco haben es trotzdem verstanden, durch ein System von Kontrollen und finanziellen Anreizen ein ungewöhnlich hohes Niveau zu erreichen. Für viele Kenner der italienischen Weinwelt sind die Produttori die beste Genossenschaft Italiens. Seit 1967 – dem Jahr Sechs nach Angelo Gajas Amtseinführung auf seinem Weingut
– füllen sie die Weine aus ihren besonderen Lagen, ihren Grands Crus, getrennt ab.
Feine Unterschiede Wer tiefer in die Materie eintauchen und den Charakter der einzelnen Lagen ergründen will, dem sei eine horizontale Barbaresco-Verkostung ans Herz gelegt. Begeben Sie sich mit einer interessierten Freundesrunde zu Tisch und probieren all die Einzellagenweine, die die Produttori anbieten – Asili, Montefico, Montestefano, Muncagatta, Ovello, Pajé, Pora, Rabajà und Rio Sordo – aus ein und demselben Jahrgang. So, im unmittelbaren Vergleich, werden Sie die feinen Unterschiede wahrnehmen können, die zwischen Weinen bestehen, die vielleicht nur wenige 100 Meter entfernt voneinander wachsen und doch aufgrund unterschiedlicher Bodenverhältnisse ganz verschiedene Charaktere entwickeln. Die Produttori liefern Barbaresco für etwas mehr als 20 Euro die Flasche, die feinen Lagenweine sind für rund 30 Euro zu haben. Alles ausgezeichnete Rotweine, die ausschließlich in großen Holzfässern reifen. Die Genossen sind keine Revoluzzer. Ihr Stil hat sich beständig entwickelt, über Jahre und Jahrzehnte hinweg, dabei haben sie durchaus so etwas wie Vollkommenheit erreicht. Ihre Weine sind stimmig, in sich ruhend. Dass sie so gut arbeiten, liegt natürlich auch an ihren jeweiligen Chefs. Das Sagen im Keller hat Gianni Testa, eine Spitzenkraft. Unternehmensleiter ist der promovierte Agronom Aldo Vacca; er war, bevor er 1991 als kaufmännischer Direktor bei den Produttori anheuerte, bei Angelo Gaja im Marketing tätig.
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genusstipp Barbaresco ist seinem Wesen nach kein Solist, sondern ein Essensbegleiter. Ist der Barbaresco noch eher jung und gerbstoffreich, gleicht am ehesten ein Stück gegrilltes, halbblutiges Entrecôte vom Rind die jugendlichen Ecken und Kanten aus. Für den Wein in besten Jahren kommt jedes Schmorgericht ebenso recht wie Pasta mit Sugo von Wild. In der Trüffelsaison ist das Schlichteste das beste: tajarin, die feinen Bandnudeln, ordentlich mit Trüffeln überhobelt. Für Käse − unter den Käsesorten des Piemont ragt der köstlich mürbe Castelmagno heraus − muss der Wein unbedingt gereift sein. Einem bereits sehr reifen Barbaresco verpasst ein Gericht mit gebratener Leber eine regelrechte Verjüngungskur. Im Fachhandel sollte ein Barbaresco zwischen 25 und 40 € kosten, ausgesuchte Einzellagen bis zu 60 €. Trinken Sie jetzt die Jahrgänge 1997 und 1998, und warten Sie noch mit 1996 und 1999!
Mausempfehlungen für königlichen Barbaresco Ada Nada www.adanada.it Angelo Gaja www.gajawines.com Bruno Giacosa www.brunogiacosa.it Bruno Rocca www.brunorocca.it Ca del Baio www.cadelbaio.com Cantina del Pino www.cantinadelpino.com Cigliuti Fratelli www.cigliuti.it Cisa Asinari dei Marchesi di Gresy www.marchesidigresy.com Cogno, Novello www.elviocogno.com Cortese Giuseppe www.cortesegiuseppe.it La Spinetta www.la-spinetta.com Orlando Abrigo www.orlandoabrigo.it Pelissero www.pelissero.com Prinsi www.prinsi.it Produttori del Barbaresco www.produttoridelbarbaresco.com Punset di Marina Marcarino www.punset.com Rocca Albino www.roccaalbino.com Sottimano www.sottimano.it
Dessen Marketing weist originelle Züge auf: Wer die Webseite gajawines.com anklickt, erblickt nur die vertrauten weißen Buchstaben auf schwarzem Grund. Sonst nichts. Wer sich so einen Scherz leistet, muss sich seiner selbst und seines Erfolges schon sehr sicher sein. Mangelndes Selbstbewusstsein hat denn auch noch keiner Angelo Gaja nachgesagt. 44
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Der Winzer, der dem als feminin geltenden Barbaresco einen klotzigen Schuss Testosteron verpasst hat, hat gleichzeitig den Grundstein dafür gelegt, dass sein Luxus-Wein – auf ganz andere Art – wieder weiblich wird. Nach und nach überlässt er nämlich seinen beiden Töchtern Gaia und Rossana das Steuer. Gaia ist ein charismatisches Strahlekind, mit wachem, offenem Blick, klarer Stimme und sicherem Auftreten – ganz der papà. Natürlich macht sie Marketing. Die jüngere Schwester Rossana, die Introvertiertere, hat erst einmal Psychologie studiert: „Das hilft, um in dieser Familie bestehen zu können.“ Derart gefestigt hat sie dann Önologie studiert und außerdem im toskanischen Familiengut das Weinhandwerk von der Pike auf gelernt. Jetzt steht sie Kellermeister Guido Rivella, der seit 1970 so zuverlässig wie innovativ Angelos Weg mitgeht, zur Seite. Nicht zu vergessen Angelos Frau Lucia, die für die Verwaltung des Unternehmens verantwortlich ist. Keine kleine Aufgabe, denn von der winzigen Zwei-Hektar-Klitsche des Großvaters hat sich das Gut zum in alle Welt exportierenden Betrieb gemausert, der allein im Piemont 100 Hektar bewirtschaftet und weitere Flächen in der Toskana bearbeitet. Angesichts der Bedeutung, die Gaja für die Entwicklung und das Renommee des Barbaresco besitzt, überrascht, dass er nur einen einzigen Wein als Barbaresco etikettiert. Er ist, wie es die Vorschrift gebietet, aus 100 Prozent Nebbiolo. Seine exorbitant teuren Lagenweine – Sori Tildin, Sori San Lorenzo und Costa Russi – nennt er nicht so. Das darf er auch nicht, denn er mischt ihnen einen geringen Anteil Barbera unter. Angelo Gaja erlöst für seine Lagenweine trotz der scheinbaren Herabstufung auf die geringer geschätzte Bezeichnung Langhe Nebbiolo DOC irre Preise. 200, 300 Euro und mehr, je nach Jahrgang, sind für die Einzelflasche fällig. Da kann er auch selbst mal großzügig einkaufen gehen. Den seinem Weingut gegenüberliegenden Palazzo, der sich einst im Besitz des ersten Direktors der Genossenschaft befand, hat Angelo Gaja vor wenigen Jahren seinem Gut einverleibt, ein unterirdischer Gang verbindet heute beide Gebäude. Seinen Status als ungekrönter König des Dorfs kann dem Bürgermeistersohn nun wirklich keiner mehr streitig machen. Nur die ehemalige Dorfkirche San Donato gehört ihm nicht, die bleibt Gemeinde-Eigentum. Heilige Messen werden hier nicht mehr gehalten, höchstens Wein-Messen: Das säkularisierte Gotteshaus beherbergt die Barbaresco-Vinothek. rz
Ruhige Abendstimmung in der Haupt straße von Barbaresco.