Schwein gehabt tortellini, parmigiano, mortadella, pavarotti − in der emilia klingen speisenbezeichnungen wie musik und sängernamen wie nahrhafte leckerbissen. die hauptstadt bologna trägt den beinamen la grassa − die fette − und ist auch noch stolz darauf. doch wer meint, in der emilia würde nur gesungen und geschlemmt, soll wissen: hier ist auch die gelehrsamkeit daheim. in bologna steht die älteste universität europas. Die Lebenskunst, in Italien ohnehin daheim, haben sie in der Emilia zur Perfektion entwickelt. Der Inbegriff von Genuss all’emiliana: in einem Ferrari, Lamborghini oder Maserati die Weinberge des Lambrusco entlangfahren, ein Restaurant ansteuern und gleichzeitig hören, wie Pavarotti Arien von Verdi singt. Denn alles kommt aus diesem Streifen Land, der sich am Südufer des Po Richtung Adria entlangzieht: die fetzigsten Sportwagen der Welt, der prickelndste Rotwein, der berühmteste Schinken, der monumentalste Käse, die dickste Wurst, der imposanteste Tenor, der populärste Opernkomponist. Es ist eine gesegnete Landschaft, hier gedeiht vieles: Mais, Weizen, Reis, Apfel-, Birnen- und Zwetschgenbäume und Weinreben. Mit dem Mais werden Schweine gefüttert, deren Keulen sich in Parmaschinken verwandeln. Aus dem Weizen mahlen die Mühlen feinstes Mehl für die Herstellung der köstlichsten Teigwaren. Auf flachen Weiden grasen die Rinder, die die Milch für den Weltkäse Parmigiano reggiano liefern. Breit und träge fließt der Po von Westen nach Osten in die Adria, über die Jahrtausende hat er fruchtbarste Böden angeschwemmt. Bologna, Modena, Reggio Emilia und Parma – sie alle profitieren davon. Mit jedem Städtenamen verbindet sich eine kulinarische Spezialität, oder auch mehrere. Bologna steht für die beliebteste Pasta-Sauce, das ragù alla bolognese. Die Sauce aus durchgedrehtem Rindfleisch, etwas Schweinefleisch und Mortadella, dazu Karotten und Stangensellerie, Zwiebel, Knoblauch und Weißwein köchelt stundenlang vor sich hin. Denn es dauert, bis Geschmack und Konsistenz zur absoluten Perfektion zusammenwachsen. Aus Bologna stammt auch die Mortadella, die Monster-Wurst mit dem sanften Rosa-Ton und dem betörenden Knoblauchduft, den weißen Speckstücken und dem Durchmesser eines Platztellers, wahlweise mit oder ohne Pistazien im Angebot. Üblicherweise wird sie hauchfein aufgeschnitten, und zu Brot ist das prima. Seite 164 − 165: Ein Sportwagen der Marke Lamborghini auf der Autobahn Strada del Sole. Seite 166: Tortellini werden in der Region per Hand geformt.
Wer aber eine urige Brotzeit all’emiliana genießen will, säbelt besser eine knapp zwei Zentimeter dicke Scheibe von der Wurst und schneidet sie in mundgerechte Würfelchen, die jeweils mit einem kräftigen Schluck Lambrusco heruntergespült werden. Rustikal, aber lecker! Parma ist Namensgeberin höchster kulinarischer Prominenz: Parmaschinken und Parmakäse, besser bekannt als Parmesan. Die ebenso delikate wie originelle Coppa di Parma, luftgetrockneter, mit Zimt gewürzter, aufgerollter Schweinenacken, verschwindet fast hinter so viel Berühmtheit. Der Käse entsteht aus der Rohmilch von ausschließlich mit Frischfutter ernährten Tieren. Basis ist eine Mischung aus der teilentrahmten Abend- und der Morgenmilch, dazu kommen Lab zum Gerinnen sowie Salz – nichts weiter. Gut 600 Liter braucht man für einen Käselaib, der am Ende knapp 40 Kilo wiegt. Wer sich also 100 Gramm Parmesan einverleibt, was beim Knabbern schnell passiert, weil er so unvergleichlich fein und würzig schmeckt, hat damit ein Konzentrat aus eineinhalb Litern Milch intus! Neben so einem wuchtigen Käselaib ist ein ganzer Parmaschinken, das luftgetrocknete Hinterteil des Schweins, fast ein Leichtgewicht. Stattliche acht Kilo bringt so ein gut gereiftes edles Teil in etwa auf die Waage, und wer
Der Aceto tradizionale extra vecchio fließt zäh wie Honig aus der Flasche.
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Unaufdringliche Eleganz und farbenfrohe Natürlichkeit, das ist Bologna.
die Metzgereien in den Gassen der Bologneser Altstadt sieht, in denen die ganze Decke voller Schinken hängt, kann sich ausrechnen, dass da beachtliche Werte zusammenkommen. Der Wohlstand der Region zeigt sich in der Emilia eben nicht in erster Linie mit edlen Karossen auf der Straße, sondern bevorzugt auf dem Teller. Die Keulenform des Parmaschinkens ist so etwas wie das inoffizielle Wahrzeichen der Region. Oder ist es inzwischen sogar schon amtlich? Das Schwein hat es weit gebracht in der Emilia. Selbst die Kirche, weltlichen Werten ja nicht gänzlich abhold, hat dem Schwein ein Denkmal gesetzt, in Parma prangt es über dem Portal des spätromanischen Doms San Dominio. Ein Jahreszeitenreigen ist dort in Stein gehauen; und als Sinnbild für den Herbst hat der Bildhauer einen Mann geschaffen, der mit einer Hand ein ganzes Schwein an seinem Hinterlauf hochhält und sich anschickt, dem Tier mit einem großen Messer zu Leibe zu rücken. Trotz aller Prominenz versteckt sich das leckere Tier manchmal ganz gern, zum Beispiel in tortellini und capelletti, mezzelune und ravioli. Damit es auch nicht durch den hauchdünnen Nudelteig hindurch zu sehen ist, lässt es sich noch mit einer daunenweichen Schicht aus Butter-Käse-Sahnesauce zudecken. Wie kommt es bloß, dass die dicksten Menschen Europas ganz woanders zu finden sind? 168
Flüssiges Gold aus Weintrauben Alles scheint hier üppiger, gehaltvoller, nahrhafter zu sein als andernorts. Selbst der Essig, sonst Inbegriff einer dünnen, sauren Flüssigkeit, tropft hier klebrig, dick und süß auf den Teller. Was für eine Leckerei! Mit Recht sind die Menschen aus Modena stolz auf ihren Aceto balsamico tradizionale di Modena. Er wird seit vielen Jahrhunderten auf dieselbe Art hergestellt: Gekochter Most aus Trebbianound Lambrusco-Trauben wird in einer Batterie von Fässern aus unterschiedlichen Holzarten gelagert. Durch Verdunstung konzentrieren sich die Inhaltsstoffe des Essigs, bis eine fast schwarze, intensiv würzige, süß-saure, zähflüssige Köstlichkeit entsteht, die tropfenweise zum Verfeinern von Fleischgerichten und Desserts verwendet wird. Holzart und Abfolge der Fässer, in die der Essig immer wieder umgefüllt wird, sind ausschlaggebend: Während das Holz des Maulbeerbaums ein dunkelfruchtiges Aroma abgibt, erinnert der Essig aus einem Wacholderfass mehr an Körnergewürze wie Piment, Koriander und Wacholder. Die Intensität steigt mit dem Alter des Mutterfasses. Mindestens zwölf Jahre sind es für Aceto balsamico tradizionale, 25 Jahre für den Extravecchio, der langsamer aus der kleinen bauchigen Flasche tropft und noch vielschichtiger schmeckt. Die Preise – bis zu 60 Euro für den Tradizionale und 90 Euro
für den Extravecchio sind atemberaubend. Und doch lebt kaum eine Familie von der Essigproduktion allein. Es ist viel Liebhaberei und Traditionsbewusstsein dabei, und die Produktion läuft nie im großen – industriellen – Stil ab. Probiert man den Aceto balsamico di Modena dagegen, der den Tradizionale-Geschmack mehr oder weniger gelungen imitiert, wird der Unterschied sonnenklar. Für den Salat wäre echter Tradizionale viel zu teuer. Aber Vanilleeis oder frische Erdbeeren mit einigen Tropfen Extravecchio haben manchem das Herz und in der Folge die Brieftasche geöffnet. Das nötige Kleingeld ist auch bei Freunden edlen Blechs gefragt, denn nicht nur den Kulinarikern, auch Motorenund Technikbegeisterten hat die Emilia einiges zu bieten. Ferrari in Maranello, Maserati in Modena und Lamborghini in Sant’Agata Bolognese gehören hierher ebenso wie der Zweiradhersteller Ducati in Borgo Panigale, einem Stadtteil Bolognas. Die Dichte dieser Luxusgefährte ist im Grunde genommen nicht höher als in anderen Städten, doch verweisen die Emilianer immer wieder stolz auf deren Heimat. Und vor dem Geburtshaus Enzo Ferraris in Modena, das als Museum wiedereröffnet wurde, wird bei Stadtführungen ein ehrfürchtiger Stopp eingelegt. Vorbilder braucht das Land, im realen Leben wie im Film. Don Camillo und Peppone sind die unsterblichen
Helden der Emilia. Durch die Verfilmung der Romane Giovannino Guareschis mit Fernandel und Gino Cervi in den sechziger Jahren erhielt die touristisch verkannte Region einige internationale Aufmerksamkeit. Gedreht wurden diese Klassiker der Filmgeschichte in Brescello, westlich von Modena. Der Priester Don Camillo und der kommunistische Bürgermeister Peppone vertreten die beiden Weltanschauungen, die bis heute der Gegend ihren Stempel aufdrücken: Don Camillo für tradierte Werte, Menschlichkeit, Humor und Obrigkeitshörigkeit, Peppone dagegen für politische Aufbruchstimmung, dynamische Moderne und manchmal etwas überhasteten, bisweilen verbissenen Vorwärtsdrang. In den Filmen über die beiden schlitzohrigen Rivalen spielt das Essen eine – bei der Herkunft! – überraschend untergeordnete Rolle. Das liegt aber an der Zeit, in der sie spielen: Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg waren selbst hier in der Emilia die fetten Zeiten vorübergehend unterbrochen. In gepflegter Rivalität sind auch die größeren Städte der Emilia-Romagna, angefangen von Piacenza im Westen bis Rimini an der Adria, einander verbunden. Besonders zele briert wird diese Konkurrenz zwischen Modena und Reggio Emilia, wenn es um den besten Lambrusco geht, und auch zwischen der Hauptstadt Bologna und dem in unmittelbarer Nachbarschaft gelegenen Modena.
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Ein beliebter Klassiker: hauchdünn geschnittener Parmaschinken auf Melone.
Modena ist eine Handels- und Handwerkerstadt mit einem starken bäuerlichen Fundament. Sie hat sich aus einem unabhängigen Herzogtum entwickelt, das dem Weltlichen zugewandt war. In Modena geht es friedlich zu, hier ist der bürgerliche Wohlstand zu Hause. Die Einwohner der Kleinstadt handeln und leben heute von Dienstleistungen, mittelständische Betriebe dominieren. Die Modeneser sind zufriedene Menschen, sie haben sich ihre Stadt und das Leben im Laufe der Jahrhunderte so angenehm wie möglich gestaltet – architektonisch, kulturell und kulinarisch. Autos sind aus der Innenstadt verbannt worden, Fahrradfahren ist angesagt. Menschen jeglichen Alters, in Bürokluft, im knallbunten engen Radlerdress oder in der Soutane, radeln durch die Stadt. Touristen verirren sich selten hierher. Das Zentrum ist geprägt von Gebäuden des 14. und 15. Jahrhunderts mit eher schlichten Fassaden, die mit ihren Bogengängen vor Regen und Sonne schützen. Einer davon führt zum Teatro Comunale, das im Jahre 1841 eröffnet wurde und ausschließlich der Musik gewidmet ist. Die in Italien bekannten Opernkomponisten Donizetti, Bellini und Rossini führten ihre Werke hier auf, viele Jahrzehnte später debütierte Luciano Pavarotti, der ein gebürtiger Modeneser war, in diesem bezaubernden Theater, das nun seinen Namen trägt. Die verspielte Innenarchitektur mit den geschmückten Logen stammt aus galanteren 170
Zeiten, in denen kleine Nebenräume genutzt wurden, um sich anderen Freuden als der Musik hinzugeben. Alternativ bereitete die Dienerschaft das ebenfalls elektrisierende Essen dort vor. So viel Lebensart musste damals schon sein. In Modena wurden auch die Tortellini erfunden. Gern erzählt man die Geschichte von einem Gasthaus, in dem sich Venus mit einem jungen Gott vergnügte. Der Wirt, in anderen Versionen auch der Koch des Etablissements, war nach einem ungebührlichen Blick durchs Schlüsselloch vom Bauchnabel der Venus derart fasziniert, dass er ihn in Teig nachformte. Gefüllt werden diese kleinen erotischen Erinnerungen mit Ricotta und Spinat, mit Fleisch, mit Kürbis, einfach mit allem, das sich zerkleinern und in Teigtaschen packen lässt.
Bologna mit den vielen Namen Einen erfrischenden Kontrast zum zurückhaltenden Charme Modenas bietet die großstädtische Kapitale mit ihren fast 400.000 Einwohnern. Bologna gehörte im Mittelalter zum ersten Vatikanstaat in Italien, war also aufs Engste mit der Kirche liiert. Gleichzeitig stand es für die aufgeklärte Welt der Universitäten und war bis vor wenigen Jahren eine Hochburg der Kommunisten und Linken.
lombardei Piacenza
venetien
Po A1
Ferrara
2 Parma
1
3
Reggio Emilia
Modena
4
A15
ligurien
A13
Bologna
emilia-romagna
10 5
20 10
30 15
20
40
50 km
25 mi
Ravenna
Dozza Imola
Faenza 5
Forli
Anbaugebiete 1 Reggiano Lambrusco 2 Lambrusco Salamino di Santa Croce
Cesena 6
toskana
3 Lambrusco di Sorbara
Rimini
A1
4 Lambrusco Grasparossa di Castelvetro
und di Modena
marken
5 Albana di Romana 6 Sangiovese di Romana
Diese Spannung dokumentiert der verbreitete Ausspruch, dass die Bologneser mangiapreti seien, Priesterfresser. Die Stadt atmet Geschäftigkeit und ist ein wichtiger Bahnknoten in Italien. Neben den gut gekleideten Italienern im korrekten Anzug prägen die Studenten das Stadtleben. Sie leben auf den Plätzen, in den Cafés und gehen in der Via Zamboni einkaufen. Ein bei den Bolognesern beliebter, ruhiger Ort in der Stadt ist die Piazza Santo Stefano. Ungewöhnlich der dreieckige Grundriss, an dessen Kanten Wohngebäude, Paläste und die Kirche Santo Stefano aus verschiedenen Jahrhunderten ihren Platz finden. Die Stadt hat fast so viele Titel wie geschichtsträchtige Plätze. Alle Beinamen definieren wichtige Aspekte in der Geschichte und Gegenwart der Stadt. So bezieht sich La Dotta, die Gelehrte, auf Bologna als Universitätsstadt. Innerhalb der Mauern der Stadt wurde im Jahre 1088 die erste Universität Europas gegründet, an der die Fächer Medizin und Recht gelehrt wurden. Das geistige Kapital der Zukunft belebt die Stadt auf eine andere Weise als früher, als die Studentenschaft sich politisch stärker engagierte und demonstrierend durch die Straßen zog. Bologna La Rossa, die Rote, bezieht sich nicht nur auf die Tatsache, dass die Stadt eine Hochburg der Linken und Kommunisten war, sondern auch auf die roten Backsteingebäude, die das Stadtbild prägen. Der Beiname La Turrita, die mit den vielen Türmen,
charakterisiert die Stadt als Ort des Wohlstands und bezieht sich auf die Geschlechtertürme, die sich Adelsfamilien im 12. und 13. Jahrhundert errichten ließen, ähnlich denen in San Gimignano. Weniger als 20 von ehemals 180 blieben der Stadt als Wahrzeichen erhalten. Und eine weitere Parallele tut sich auf, denn die beiden Türme Garisenda und Asinell in der Innenstadt neigen sich in beängstigender Weise, da der Boden unter ihnen im Laufe der Jahrhunderte Zentimeter für Zentimeter nachgegeben hat. Der Schiefe Turm von Pisa lässt grüßen. Schließlich Bolognas populärstes Attribut: La Grassa, die Fette. Das ist, logisch, auf das gemünzt, was in der Emilia im Allgemeinen und in Bologna im Besonderen auf den Tisch kommt: üppiges Essen, basierend auf Rind- und mehr noch auf Schweinefleisch. Kommt nun aber die als so typisch bolognesisch geltende Mortadella überhaupt von hier? Manche glauben zu wissen, dass die Riesenwurst, weil aus Schweinefleisch erzeugt, genau genommen zum kulinarischen Schaffen Modenas gehört. Rinder und Schafe seien nämlich Grundlage für die Küche Bolognas, da sie zur christlichen Liturgie gehören, argumentieren die Feinschmecker. So können die Menschen nach Herzenslust debattieren und sich immer entspannt um die Herkunft und den Besitz ihrer kulinarischen Reichtümer streiten. Am besten bei einem Glas Lambrusco di Sorbara aus Modena, der hervorragend zur Mortadella passt. ls /rz
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