kultur Nach seiner Freilassung erlebten Gisela und John Paul Getty in Rom 1974 eine Art Honeymoon. Er war noch frei von Drogen. Wenig später heirateten sie in der Toskana
G I S E L A G E T T Y gehörte zu
den It-Girls der Siebzigerjahre. In GALA spricht sie über die rauschhafte Liebe zu Öl-Erbe John Paul Getty III, seine brutale Entführung und das Leben danach
»Ein normales Leben? Das war unmöglich« 86
E s sollte ein Sommer der Liebe werden, doch es wurde ein furchtbares Jahr: Im Juni 1973 kidnappte die italienische Mafia John Paul Getty III, 16-jähriger Enkel des Öl-Milliardärs John Paul Getty. Doch der Großvater weigerte sich, das Lösegeld von 17 Millionen Dollar zu zahlen. Erst als die Entführer Getty ein Ohr abschnitten und drohten, ihn umzubringen, kam es zur Geldübergabe und Freilassung. Seine Geschichte wurde jetzt verfilmt (ab sofort im Kino). GALA traf Gisela Getty – heute 68, damals 24, Geliebte und spätere Ehefrau des Entführten – in ihrer Münchner Wohnung. Getty ist Künst lerin und Fotografin. Eine attraktive, vitale Frau, die mit ihrer eigenen Geschichte – wild, unglaublich und sehr bewegend– im Reinen ist. Wann haben Sie sich in Paul verliebt? Wir trafen uns 1972 in einer KünstlerTrattoria in Rom. Da tauchte dieser bildschöne Junge auf, groß, rote Locken. Zwischen mir, meiner Zwillingsschwester Jutta und Paul gab es sofort einen Erkennungsmoment. Wir wussten einfach, wir gehören zusammen. Paul war unser Drilling. Aber ich habe mit meiner Schwester abgemacht, dass ich ihn kriege und sie Bob Dylan. (lacht) Es war der Sommer der Liebe. Wussten Sie, wer er war? Das war uns alles gar nicht klar. Wir waren naiv, junge Hippies, Materielles hat uns null interessiert. 1973 wurde Paul von der Mafia entführt. Wie haben Sie davon erfahren? An dem Tag wollte er mich dringend treffen. Ich glaube, er hat irgendetwas geahnt. Er hat mir einen Heiratsantrag gemacht. Das wollten wir nachts mit
1975 in Malibu: Gisela und John Paul Getty III mit ihrem gemeinsamen Sohn Balthazar, 1, und der kleinen Anna, 3 (sie entstammte Giselas Kurz-Ehe mit Rolf Zacher) Unten: Gisela Getty mit ihren Kindern bei der G edenkfeier für ihre 2017 verstorbene Schwester Jutta
In „Kidnapping Paul“ (Weissbooks Verlag) schildern die Zwillinge Gisela Getty und Jutta Winkelmann die Zeit rund um Gettys Entführung aus ihrer Sicht
»Keiner hat geglaubt, dass die Entführung ernst war«
unseren Freunden feiern, aber er ist nicht gekommen. Da wussten wir, dass etwas nicht stimmt. Dann gab es ein Lebenszeichen. Es kam der erste Brief aus seiner Gefangenschaft – an seine Mutter Gail, aber an unsere Adresse gerichtet. Wir gaben der Polizei den Brief … … und prompt wurden Sie auch verdächtigt. Die Polizei glaubte, dass wir für die Baader-Meinhof-Gruppe Geldgeschäfte machen, um Waffen zu kaufen. Oder wir hätten gemeinsame Sache mit Paul gemacht und verstecken ihn. Wir wurden nächtelang unter schlimmsten A ndrohungen verhört. Keiner hat geglaubt, dass die Entführung echt war. Auch Pauls Mutter zunächst nicht. Wie haben Sie die Monate s einer Gefangenschaft erlebt? Das Leben ging weiter. Wir wurden als neue It-Girls entdeckt, Carlo Ponti wollte uns einen Vertrag geben. Wir wurden von Paparazzi verfolgt. Ich hatte auch einen Freund, aber es war klar, dass ich zu Paul gehöre. Wir kannten keine ausschließliche Treue. Wie wirkte er nach seiner Freilassung auf Sie? Er wirkte erst sehr stark, da war ich erstaunt. Er war wie durch eine Art Geburtskanal gegangen. Wie ging Ihr Leben weiter? Der Getty-Familienrat beschloss, uns nach Amerika zu schicken. Da sollte Paul zur Schule gehen. Unter der Bedingung wollte der Großvater uns monatlich ein bisschen Geld geben.
Da hatten Sie gerade geheiratet und waren mit Ihrem Sohn Balthazar schwanger. Konnten Sie in den USA ein normales Leben führen? Das war unmöglich nach der Erfahrung, die Paul gemacht hatte. Er war berühmt, hatte ein „Rolling Stone“- Cover, jeder kannte ihn. Ganz Hollywood nahm uns auf wie verlorene Kinder, alle besuchten uns in unserem kleinen Häuschen oder haben uns eingeladen. Weihnachten waren wir bei Barbra Streisand; Dennis Hopper und Leonard Cohen waren gute Freunde. Aber Paul war traumatisiert. Er hat nicht daran geglaubt, dass ihm jemand helfen kann. Er war nicht bereit, darüber zu reden, und ist immer mehr in die Drogen eingestiegen. Wie verlief Ihre Ehe? Wir hatten kaum Geld, 1000 Dollar im Monat, die Hälfte ging für die Miete drauf. Einen Alltag hatten wir nicht. w Paul hatte viele Affären, zog mit
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kultur Die Hippie-Zwillingsschwestern Gisela Getty (r.) und Jutta Winkelmann 1973 in Rom, kurz vor der Entführung Gettys. Zuvor hatten sie in der Berliner APO-Szene gelebt, später wohnten sie mit „Kommune 1“Gründer Rainer Langhans zusammen. Mit ihm ist Gisela Getty bis heute eng befreundet
seinen Freunden und Dealern rum, feierte Partys. Es war Sex, Drugs and Rock’n’Roll. Und doch hatten wir dieses Vertrauen: Gemeinsam können wir es schaffen. Wie war Pauls Verhältnis zu Ihrem gemeinsamen Sohn Balthazar und Ihrer Tochter Anna? Er war übermäßig kinderlieb und immer sehr süß mit ihnen. Trotzdem gab es eben den verstörenden Faktor, dass er sich Heroin spritzte … … bis zu seinem Schlaganfall im Jahr 1981. Paul hatte Nierenprobleme, nahm immer mehr Drogen. Ich glaube, unbewusst wollte er allem ein Ende setzen. Dann lag er plötzlich im Koma, er hatte eine Überdosis Pillen und Alkohol. Als er aus dem Koma erwachte, war er ein Pflegefall. Wie haben Sie das verkraftet? Es war schwierig. Das war eigentlich gar nicht mehr Paul, er konnte nicht sprechen, hat später Sachen gestammelt. Ich musste eine neue Sprache lernen. Man musste viel Geduld aufJohn Paul Getty III mit seiner Mutter Abigail „Gail“ Harris auf der Polizeistation in Kalabrien direkt nach der Freilassung. Sie hatte ihren Sohn direkt neu eingekleidet
bringen, um zu wissen, was er wollte. 1993 ließen Sie sich auf Wunsch von Pauls Mutter scheiden. 2011 verstarb er. Ich habe die letzten zwei Jahre seines Lebens bei Paul und seiner Mutter in London gewohnt. Aber es war qualvoll, wie man versucht hat, ihn am Leben zu halten. Die Mutter bestimmte schließlich: Jetzt ist Schluss. Sein Geist war frei. Wie war das für Ihre Kinder? Sie haben sehr geweint. Vorher mussten sie immer stark sein, jetzt kam der Schmerz über den Verlust des Vaters extrem heraus. Mein Sohn Balthazar erlitt einen Zusammenbruch … Er nahm später auch Heroin. Die Männer in der Familie Getty sind fragil. Auch Pauls Vater hatte ja schon Drogenprobleme. Damit drückt sich die Liebe zum Vater aus: Schau, ich mach’s wie du. Balzy sagte mir einmal: „Eigentlich kannte ich Papi gar nicht.“ Heute hat er die Sucht zum Glück überwunden, auch seiner Kinder zuliebe. Aber er hat ein schweres Erbe zu tragen. Würden Sie im Rückblick e twas anders machen? Ich würde mein ganzes Leben anders machen, schon deswegen, weil ich nicht an Wiederholungen glaube. Ich habe vieles bereut, habe für vieles auch bezahlt. Ich denke aber trotzdem, dass ich ein gutes Leben habe, da ich durch den spirituellen Weg mit Rainer Langhans ein großes, glückliches Schicksal habe mit allen Extremschmerzen. Das scheint dazuzugehören, und ich habe das Gefühl, allmählich wird es leichter.
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SANDRA REITZ
A L L E S G E L D D E R W E LT
DER FILM Die fünfmonatige Entführung des 16-jährigen John Paul Getty III erschütterte 1973 die Welt. Grandios spielt CHRISTOPHER PLUMMER in Ridley Scotts Thriller über den damaligen Fall den grausamen Großvater des Opfers (u. mit Charlie Shotwell als Paul). MICHELLE WILLIAMS brilliert als verzweifelte Mutter des Entführten.
FOTOS: JUTTA WINKELMANN, ACTION PRESS, PEOPLE PICTURE, BRAUER PHOTOS, PICTUE ALLIANCE, ALL THE MONEY IN THE WORLD/TOBIS (2), PR
»Paul war traumatisiert. Aber er wollte nicht darüber reden«