Journal Frankfurt_Februar_2018

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FILM

Ein Leben wie ein Film Text: Nils Bremer

WIR VERLOSEN 60 × 2 TICKETS für die PREVIEW von Ridley Scotts „Alles Geld der Welt“ im ELYSEE 2 (E-Kinos an der Hauptwache) am 13.2. um 18.30 Uhr, Filmlänge; 133 Minuten, nach dem Film folgt ein gut 30-minütiges Gespräch mit Gisela Getty. journal-frankfurt.de/preview, Teilnahmeschluss: 9.2., Kennwort: „GETTY“.

Es gibt Geschichten in unserer Welt, die erscheinen irgendwie filmreif und irgendwie unglaublich. Doch sie ereignen sich tatsächlich, ständig vermutlich und oft, ohne das eine große Zahl von Menschen davon erfährt. Vor zehn Jahren erschien das Buch „Die Zwillinge oder Vom Versuch, Geist und Geld zu küssen“. Darin erzählte der Autor Jamal Tuschick zusammen mit Jutta Winkelmann und Gisela Getty deren unwirkliche Lebensgeschichte, die sie von Kassel in die große weite Welt der Hippie-Bewegung führte, in Kommunen und gefährliche Liebschaften, mitten hinein auch in die Proteste, in versuchte Umstürze. Das Buch war das erste, was im damals neu gegründeten Frankfurter Verlag weissbooks erschien, wir interviewten die beiden Zwillingsschwestern in unserem Verlag, machten Fotos im schon damals zusammenstürzenden alten Polizeipräsidium gleich gegenüber, die Sonne schien, aus heutiger Sicht auch ein fast unwirklicher Tag, inspirierend und irgendwie anders. Nun ergibt sich gewissermaßen fast ein Ringschluss. Zur Premiere des Films „Alles Geld der Welt“ kommt Gisela Getty wieder nach Frankfurt, bei weissbooks erscheint „Kidnapping Paul“, ein reich bebilderter Erinnerungsband an ebenjene Entführung, die damals Schlag-

zeilen machte und die heute Hollywood zu elektrisieren scheint. Der Film von Ridley Scott (siehe auch unsere Rezension auf der folgenden Seite), ist nicht der einzige, der sich eines folgenschweren Zusammentreffens zwischen dem 17-jährigen Milliardärsenkel John Paul Getty III widmet. Der Sender FX will bald die Serie Trust herausbringen, Regie führt Danny Boyle, Hillary Swank und Donald Sutherland spielen die Hauptrollen, und dort tauchen die Zwillinge, anders als bei Scott, in abgewandelter Form auf – mit den beiden Schauspielerinnen hat Gisela Getty schon Band geknüpft, die jungen Damen haben sich gleich als regelrechte Fans des Lebens der beiden gezeigt. Das mag an der Unerschrockenheit, vielleicht auch der Unbedarftheit gelegen haben, mit der die beiden einst auf die Welt zustürzten. Gisela Getty hat die 68er-Zeit einst so charakterisiert: „Für uns Frauen gab sie den Anstoß, uns außerhalb sämtlicher Strukturen auszuprobieren, uns selbst zu erfinden. Es war kein Opfer-Feminismus, nach dem die Männer alle dran schuld sind, wir wollten selber in die große Unsicherheit gehen. Und da stößt man natürlich schnell an Grenzen. Wenn eine Frau den Himmel will, muss sie durch die Hölle gehen.“ Und

Fotos: TOBIS, Jutta Winkelmann

„Alles Geld der Welt“ von Ridley Scott zeigt die Entführung des Milliardärsenkels John Paul Getty III – nach der Film-Preview spricht Gisela Getty über ihren einstigen Mann und den Sommer 1973.

FREIKARTEN

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was für eine Hölle das war. Die italienische Mafia, mit deren Gestalten sich John Paul Getty III umgibt, und die sein Geld wollen, er aber nur die Freiheit von seiner Familie, geht mit ihnen alles andere als zimperlich um. Dramatisch wird im Buch erzählt, wie die Schwestern, in der Hoffnung auf die Finanzierung eines Filmprojekts, im Haus finsterer Männer eingeschlossen sind, die nur auf das eine aus sind (und auf übermäßigen Drogenkonsum). Die Ereignisse des Sommers 1973 in Rom werden also im Buch erzählt. Und eben in jenem Film von Ridley Scott, stark besetzt mit Michelle Williams, Mark Wahlberg und Charlie und Christopher Plummer – letzterer wurde als Ersatz für den wegen seiner Missbrauchsskandale in Ungnade gefallenen und rausgeschnittenen Kevin Spacey später hinzugefügt. Der Film wird für den Oscar gehandelt, mit Golden Globes wurde er schon bedacht. Die Geschichte konzentriert sich hier mehr auf das Binnenverhältnis dieser Über-Familie, auf den störrischen Alten, der die Forderungen der Entführer für überzogen hält, der sein Geld nicht für sie rausrücken will, selbst als die Mafiosi dem Teenager ein Ohr abschneiden und es zusenden. Schließlich, die Zerstückelung des Enkels

ist angedroht, lenkt der alte Getty ein, zahlt weniger als verlangt, vermutet eigentlich seinen Enkel hinter der Entführung und sagt später: „Ich habe 14 Enkel und wenn ich nur einen Penny Lösegeld bezahle, habe ich 14 gekidnappte Enkel.“ Nach fast einem halben Jahr Gefangenschaft kommt dieser eine Enkel frei, sein Leben am Faden. Der Film muss vieles ausblenden und macht das durchaus geschickt. Im Buch nun werden viele Leerstellen gefüllt, nicht minder spannend und teilweise im Plauderton erzählte Unglaublichkeiten. Im Vorwort von Gisela Getty heißt es: „Dieses plötzliche und geballte Auftauchen eines Themas, das Jutta und mich vor weit über 40 Jahren in Atem hielt, zwingt mich, unsere Geschichte – die Geschichte von einem Zwillingspaar und einem Milliardärsenkel – noch einmal anzuschauen und zu reflektieren. Ich muss dies vor allem deshalb tun, weil zwei der drei Protagonisten des Dramas, Jutta und Paul, schon über das große Wasser gegangen sind. Beide starben im Monat Februar, getrennt durch sechs Jahre: Paul am 5. Februar 2011 und Jutta am 23. Februar 2017.“ In jenem Interview, das wir vor zehn Jahren mit beiden Schwestern führten, meint

Gisela Getty: „Man hat das als intensives Leben erfahren, nicht als etwas Schreckliches. Auch diese Gangs­ter­geschichten, in die wir da gerieten. Das war teilweise schon wie im Film – und man fragt sich, wie der wohl ausgeht …“ Woraufhin Jutta Winkelmann in ihrer unnachahmlichen Art entgegnete: „Ach, alte Frauen werden nicht entführt.“ Nun entführt sie der Film von Ridley Scott in einer Vorpremiere zunächst in die Welt der 70er-Jahre – und anschließend gibt Gisela Getty in einem gut halbstündigen Gespräch Auskunft über ihre ganz persönliche Sicht auf die damalige Zeit. Preview: Alles Geld der Welt, 13.2., Einlass 18 Uhr, Filmbeginn: 18.30 Uhr, nach dem Film folgt ein Gespräch zwischen Gisela Getty und JOURNAL-Chefredakteur Nils Bremer

Gisela Getty/ Jutta Winkelmann: Kidnapping Paul – Die Geschichte einer Entführung, weissbooks, 196 Seiten, 22 Euro


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