DIPLOMARBEIT Alpinerer Architekturen
ausgeführt zum Zwecke der Erlangung des akademischen Grades eines Diplom-Ingenieurs unter der Leitung Ao.Univ.Prof. Mag.phil. Dipl.-Ing. Dr.phil. Peter Mörtenböck E 264/2 Institut für Kunst und Gestaltung
eingereicht an der Technischen Universität Wien Fakultät für Architektur und Raumplanung
von Andreas Kofler 9725706 Viktorgasse 15/5, 1040 Wien
Wien, am 05.10.2005
ALPINERER ARCHITEKTUREN
(X)004
EINLEITUNG (01)006
ALPEN(TOURISMUS) Die Alpen Alpentourismus
(02)017
INSZENIERTE AUTHENTIZITÄT Tourisme (Inszenierte) Authentizität
(03)026
(POSTMODERNE) LANDSCHAFT (Postmoderne) Landschaft Landschaft und Tourismus
(04)037
SERVIERVORSCHLÄGE (Süd)Tiroltourismus Serviervorschläge
(06)062
DIE GESELLSCHAFT DES SPEKTAKELS Pingpongpostmoderne® & Post-PostmoderneRV Pingpongpostmoderne® & Nicht-OrteMA Pingpongpostmoderne® & JunkspaceRK Andere RäumeMF/HotelzimmervandalismusJC
(07)067
PERITRANSPLANTATIONEN® & ÜBERBLENDUNGEN Peritransplantationen® & Überblendungen
(08)073
DIE (TIROLER) MODERNE IN (SÜD)TIROL Die (tiroler) Moderne in (Süd)Tirol Nordkettenbahn(en)
(09)078
EVERYTHING IS A COPY OF A COPY OF A COPY Die touristisch stark entwickelten Gebiete Kofler zwischen den Wänden
(05)051
(10)128
Pingpongpostmoderne® Raumplanung Peri-Urbanisierung Gesetze zum Tourismus in Südtirol
Pingpongpostmoderne®=JunkspaceRK Dekorierter SchuppenRV+EnteRV=Pavillon®
PINGPONGPOSTMODERNE®
DEKORIERTER SCHUPPENRV +ENTERV=PAVILLON®
(Y)132
DER STATUIERENDE (STABILISIERENDE) ENTWURF
Einleitung Die Neuordnung nach dem totalen Chaos, das der Zweite Weltkrieg hinterlassen hat, enthielt eine Utopie von einer neuen, freien und gerechten Struktur im heterogenen Europa. War die Geschichte eher ein gegeneinander als ein miteinander, so wollte man die Chance ergreifen, etwas Gemeinsames zu erschaffen. Doch Europa hat bisher keine überzeugende Bild- und Architektursprache gefunden und wie in Amerika gibt es auch in Europa das gleiche Missbehagen gegenüber der modernen Stadt, die gleiche Nostalgie gegenüber dem Alten und Bewährten.1 Hinter der statischen Flagge und den unstatischen Zusammensetzungen (EU-15/EU-25/Eurozone/Eurovision/UEFA/Songcontest/EURATOM/BENELUX/Schengen) hat sich ein sektorales Europa entwickelt, das nur gelegentlich geografischen, topografischen, nationalstaatlichen, prävalent regionalen Grenzen entspricht. Europa funktioniert wie die japanischen «Transformer»: ein verwandelbarer Roboter, der sich mit wenigen Handgriffen zu einem Auto, einem Flugzeug, einer Kampfstation, etc. umwandeln lässt. Das sektorale Europa lässt auch in Architektur und Urbanismus undifferenzierte Spezifizierungen entstehen. Regional gut interpretierte Phänomene, wie das der shrinking cities, werden deduktiv redundant auf die europäische Stadt oder auf die ganze €urozone ausgelegt. Disziplinär paralysierte Städtebauinstitute generalisieren diese progressiv neologierten Verdichtungen und Dekomprimierungen für sub-, x- oder nur urbane Gebiete und relativieren Erscheinungsformen und Typologien in den Tausendermaßstab. Während Städte über professionelle Steuerung hinaus modernisiert werden, ist der Architekt, Städtebauer oder Landschaftsplaner nicht mehr fähig große Bereiche des urbanen Raums zu beschreiben bzw. zu beeinflussen, denn das zunehmende Zusammenwachsen zu einem gesamteuropäischen Wirtschaftskörper hat zwangsläufig stadt- und landschaftsräumliche Konsequenzen die die nationalstaatlichen Grenzen überborden. Die neuen Städte sind das Ruhrgebiet, die Côte d‘Azur, die Costa Iberica, die Randstad, das Industriedreieck Genua-Mailand-Turin. Die neuen planungsökonomischen Staaten sind die «goldene Banane» 2, der «Sun-Belt»3, die Alpen. Die einzelnen Sektoren beziehen dabei ephemere Stadien, die in ihrer Eventualität und Unstabilität Ausnahmezustände zu konstanten Zwischenstadien werden lassen. Die wirklichen Axiome eruieren sich nur noch in den Erweiterungen und Umstrukturierungen selbst. Architektur, Raumplanung und Urbanismus sind Wissenschaften die es ermöglichen diese Maßstäbe zu durchwandern, aber in ihrem eigenen Grundvokabular nur sehr unpräzise Formulierungen geben können. Die phobische Konsternation Situationen zu benennen und zu verstehen die scheinbar nur vereinzelt, lokal und zeitlich bedingt auftreten, lässt ein Zusammenführen ähnlicher oder gleicher Phänomene nicht wirklich zu. Das von Rem Koolhaas in Harvard geleitete Harvard Project on the City untersucht jährlich, dort wo sich die Stadt am intensivsten ändert, ein anderes Sujet (Pearl River Delta/Shopping/Lagos). Von jeder Analyse über das Funktionieren städtischer Systeme wird destilliert, wo etwa 50 neue Wörter eingeführt werden um damit das Vokabular des Städtebaus zu erneuern. Diese Diplomarbeit versucht genauso das statische Vokabular des Urbanismus zu erweitern und spart an einigen Stellen nicht an etymologisch unspezifischen Neologismen, die vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt mit anderen konkurrieren bzw. wieder aufgegriffen werden.
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1 AMO/Rem Koolhaas und Foreign Policy Center: Das Bild Europas. Ausstellung im Haus der Kunst (HDK) in Zusammenarbeit mit der Europäischen Kommission Brüssel, München, 11.10.2004 - 9.1.2005: 1.
4 Architektenkammer der Provinz Bozen: Dorf und Stadt.Wohngebiete in Südtirol nach 1970, Bozen 1997
5 Stratigrafie bzw. -graphie oder Schichtenkunde ist ein Teilgebiet der Geowissenschaften. Der 2 Ausdruck Stratigrafie, Die Banane ergibt sich gebildet aus dem lateiaus der Einteilung nischen stratum=Lager, Europas in Aktiv- und Decke und Griechischen Passivräume, die der grápheïn=(be)schreiben Franzose Roger Brunet bezeichnet die Untersu1989 bezeichnete. chung von Schichtungen Sie erstreckt sich von und ihre zeitliche den alten Stahl- und Zuordnung. StratigraKohleindustriezentren fische Analysen sind vor um Manchester und allem für die Geologie Birmingham über den und Archäologie von Großraum London, Bedeutung und helfen den nördlichen Raum bei der relativen oder Belgiens, den südlichen absoluten Datie-rung Teil der Niederlande, die von Ablagerungen und Randstad, das deutsche Formationen. Ruhrgebiet, Frankfurt am Main bzw. das Rhein-Main-Gebiet, die Schweiz und endet schließlich im Nordwesten Italiens bei den Städten Turin, Mailand und Genua. Wenn noch die so genannte Goldene Banane dazu zählt, fährt dieser Großraum entlang der Mittelmeerküste fort und endet erst in Spanien bei Valencia. Das alte Modell besitzt also eine Nordsüdausdehnung von etwa 1.300 km (Westostausdehnung: circa 900 km) und geht dabei durch acht Länder, die alle bis auf die Schweiz zur EU gehören und den Kern dieser darstellen. In dieser Region leben allein 40% der EU-Bevölkerung. 3 Der europäische «sunbelt» erstreckt sich entlang der Mittelmeerküste von Nordspanien (Barcelona) über das südliche Frankreich (Marseille, Nizza) bis zur norditalienischen Adriaküste. Neben der Verlagerung von Forschungseinrichtungen und Industriebetrieben spielen hier vor allem der Tourismus und die wachsende Zahl von Alterswohnsitzen eine wichtige Rolle.
Die wissenschaftliche Arbeit soll einen der Europäischen Sektoren bzw. ein Europäisches Zertifikat atomisieren: das der Alpen bzw. das des alpinen. Denn auch wenn das Alpine immer auf soziokulturelle Einheit zu verweisen scheint, ist diese bedeutend heterogener als die wirtschaftlich-politische. Eng verbunden mit dem deckungsgleichen Einsatz des Alpinen ist die Architektur im und der Tourismus selbst. Die formale Differenzierung und die Unterschiedlichkeit der vernakularen Architektur die man im ganzen Alpenraum vorfindet, lassen allerdings die Frage aufkommen was, über seine etymologische Bedeutung hinaus, alpin bedeutet und welche die Parameter sind die es bestimmen. Die in Südtirol in den letzten Jahrzehnten entstandene (alpine) Architektur ist von postmodernen Distorsionen geprägt, die ein evolutives Entwickeln bzw. eine Typologie vermuten lassen, die Aufschluss über die Fakultät des Alpinen geben kann. Südtirol, als eine der Schnittmengen der neuen planungsökonomischen Staaten der europäischen Raumordnung, ist bestimmt durch Städte mit großer historischer Bedeutung, einem stark selbstreflexiven Kulturraum, industrieller Konjunktur (mit entsprechenden austreibenden Gewerbeflächen) und einer «freien» Landschaft mit hohem touristischen und ökologischen Wert. Letztere als wesentlicher Indikator der Landesidentität und des Tourismus ist konstitutiv durch Urbanisierung gefährdet, die antagonistisch die Frage aufwirft wie man eine Region entwickeln kann, die eigentlich davon lebt, dass sich in ihr nichts ändern darf. Es gilt für sie die weitgehend unversehrte Landschaft als gültiges Bild, dem die tatsächliche und alltägliche Zunahme der Verbauung und Landnahme gegenübersteht. Alles sollte so bleiben wie es ist, nur die Frequenz und der Ertrag sollten sich erhöhen.4 Ein Versuch retroaktiv eine Grundtypologie, einen nie bestandenen Prototypen, sichtbar zu machen verpflichtet die Neu- und Umbautätigkeit im Südtiroler Tourismus als ein Ergebnis, und somit auch Ausgangspunkt, um stratigrafisch 5 die relativen bzw. absoluten Datierungen von der gegenwärtigen Subsistenz der alpinen Architektur zu subtrahieren und dessen Entstehung zu rekonstruieren: Eine Visualisierung der kleinsten gemeinsamen Struktur der alpinen Architektur bzw. ein Röntgen, eine retroaktive Atomisierung. Die Diplomarbeit als Bericht dieser Unternehmung ist über die Konstruktion von Neologismen hinaus aus verschiedenen Theorien und Standpunkten unterschiedlicher wissenschaftlicher Bereiche zusammengesteckt, die in ihrer relativen Authentizität, Haltbarkeit und Kompatibilität erst im Text strapaziert werden. Ein funktionierender Logismus oder Paralogismus in den Schlussfolgerungen bestätigt oder verwirft somit die einzelnen Theorien. Der Paralogismus als falscher Fehlschluss, als Folgerung aus (unter Umständen richtigen) Voraussetzungen, hat aber oft Querschnitte und Schnittmengen entstehen lassen die, falls sie von mir nicht schon zu detailliert weiterbearbeitet worden sind, an anderer Stelle wieder aufgegriffen werden könnten. In diesem Sinne funktioniert diese Diplomarbeit als ungeordnetes abécédaire der Alpen und der alpinen Architektur bzw. des alpinen Tourismus. Die Nummerierung der Kapitel selbst funktioniert als Serviervorschlag: Kapitel 1-10 lesen sich auch unabhängig und teilweise in schon fast beliebiger Reihenfolge, bzw. ist Kapitel Y (das sich mit Kapitel 10 deckt), als zweiter Teil dieser Einleitung X, ein Versuch eines statuiernden bzw. stabilisierenden Entwurfs.
[Eurovision]
[EU-Transformers]
[Grafik/Fotomontage: Theo Deutinger]
[Grafik/Fotomontage: Theo Deutinger]
[Europa, Satellitenaufnahme]
00 (X)ALPINERER ARCHITEKTUREN
Die Alpen Die Alpen sind Europas größtes und höchstes Gebirge, der Name kommt aus dem Lateinischen und steht für «montes albes����������������������� ���������������������������� » (weiße Berge). Davon sind die meisten zwischen 3.000 und 4.300 m hoch, der höchste ist der Mont Blanc (4.810 m). Die Alpen entstanden in der Tertiärzeit (vor 65-2 Millionen Jahren) als Faltengebirge, d.h. durch zwei Schollen der Erdkruste die sich verschieben, gegenseitig hoch drücken und auffalten. Die heutige Gebirgsform bekamen die Alpen durch Flussabtragung und vor allem durch die abtragende Tätigkeit der Gletscher in den Eiszeiten. Die Alpen erstrecken sich 150-250 km breit über 1.100 km von Genua bis Wien und umfassen dabei eine Fläche von 191.287 km2. Bereits seit der Zwischeneiszeit besiedelt, sind die Alpen dank der großen Anzahl von Tälern das höchstbesiedelte Hochgebirge der Erde und haben mit 13.000.000 Einwohnern eine Bevölkerungsdichte von 240 EW/km2 (dauerhaft besiedeltes Gebiet) bzw. 60 EW/km2 (gesamte Fläche).1 In Europa haben nur die Niederlande eine höhere Bevölkerungsdichte mit 368 EW/km2. 2 Die acht Alpenstaaten umfassen 6.200 Gemeinden, 1.000 Täler und circa 100 Regionen, in denen drei große Sprachgruppen, die romanische, die germanische und die slawische, aufeinander treffen. Nur Grenoble und Innsbruck haben mehr als 100.000 Einwohner. Der Alpenbogen hat sich im europäischen Kontext als Regenerationsmotor herauskristallisiert und schon sehr früh seine Position als Rückzugsort Europas definiert. Derzeit schützen 66 regionale und nationale Naturparks 11,3% der Fläche, berücksichtigt man weitere Arten von Schutzgebieten, dann steht mehr als ein Viertel der Fläche des Alpenraums bereits unter Schutz. 3 Dementsprechend werden die Alpen in mehreren rezenten Publikationen4/5 als European Central Park bezeichnet. Der Fremdenverkehr ist für die Alpen, neben der Energiewirtschaft (Wasserkraft), dem Salzbergbau, der Milch- und Mastwirtschaft, der größte Wirtschaftsbereich und wichtiger Anteil am Bruttosozialprodukt. Für den Tourismus stehen circa fünf Millionen Ferienbetten zur Verfügung um einen jährlichen Besucherstrom von 120 Millionen Feriengästen, mit 500 Millionen Übernachtungen, aufzunehmen. Einzelne Regionen wie Tirol, werden jährlich von doppelt so vielen Touristen besucht wie Griechen land;6 die gesamten Alpen betreiben einen Viertel des Welttourismus. Der European Central Park verdankt seine Entstehung der zentralen Lage und damit intensiver Interaktion mit seinen umliegenden Städten: Heute befinden sich vier der Top-Ten-Städte mit der höchsten Lebensqualität an seiner unmittelbaren Grenze, mit Zürich als Nummer Eins.7 Die Flughäfen von München und Zürich können jährlich jeweils über 20 Millionen Passagiere aufnehmen; Wien, Stuttgart, Genf, Basel/Mülhausen und Salzburg über 30. 8 Innerhalb von zwei Autostunden können 80 Millionen Menschen (das entspricht etwa einem Viertel der EU-Europäer) die Alpen erreichen.9 Der Alpentourismus ist trotzdem keine flächenhafte, sondern punkt- und bandförmige Extensivierung die sich an besonderen Stellen (Seeufer, Talschlüsse, etc.) konzentriert 10, und dementsprechend auch wirtschaftlich konsolidiert. Darüber hinaus erhält der Alpenraum bei den politikbestimmten Finanzströmen größere Beiträge vom Staat als die nicht-alpinen Regionen. In der Schweiz sind das jährlich 530 Schweizer Franken mehr Subventionen und 710 Franken mehr Finanzausgleich pro Kopf. Der Alpenraum profitiert zusätzlich von Quersubventionen bei öffentlichen Dienstleitungen wie Post oder Stromversorgung. De facto sind die geografisch-topografisch bedingten Mehrausgaben der Gemeinden im Berggebiet aber oft nicht größer als die sozial bedingten Mehrausgaben der übrigen Gemeinden. Die hö00 (01)DIE ALPEN
1 Alpine Space Programme, CommunityInitiative INTERREG IIIB. http://www. alpinespace.org: 15.02.2005: 1. 2 Regina Barth-Grössler/Theo Deutinger: European Central Park. Aus: GAM 01 Tourismus und Landschaft, Graz 2004: 2.
10 Werner Bätzing: Kleines Alpen-Lexikon (UmweltWirtschaft-Kultur), München 1997: 4. 11 Helen Simmen, Michael Marti, Stephan Osterwald, Felix Walter: Die Alpen und der Rest der Schweiz: Wer zahlt - wer profitiert? Forschungsbericht NFP 48, Zürich 2005.
3 12 Internationale AlpenEbd. 3. schutzkommission CIPRA: http://www. 13 cipra.org: 15.02.2005: 3. Die Alpenkonvention wurde von fünf der acht 4 Alpenstaaten bereits raAngelus Eisinger, Michel tifiziert. Italien, Schweiz Schneider: Stadtland und die Europäische Schweiz (Untersuchungen Union stehen (Mai und Fallstudien zur 2005) noch aus. räumlichen Struktur und Entwicklung in der 14 Schweiz), Basel 2003. Ebd. 4. 5 Ebd. 2. 6 Interview mit Andreas Braun: Klischees sind unbezahlbar. Aus: Scapes: Ermittlung der möglichen Landschaften, Bozen 2004. 7 Ebd. 2.
15 http://www.argealp.org/: 15.02.2005. 16 «NUTS» ist die Abkürzung für «Nomenclature des unites territoriales statistiques», Systematik der Gebietseinheiten für die Statistik.
8 Spiegel Almanach 2001, Hamburg 2001. 9 Ebd. 1.
[Grafik/Fotomontage: Theo Deutinger]2
[Grafik/Fotomontage: Theo Deutinger]2
heren staatlichen Beiträge für den Alpenraum erklären sich viel eher durch einkommensbedingte Wohlstandsunterschiede. In der Schweiz hätte der nicht-alpine Raum ohne jegliche Ausgleichsmechanismen für den alpinen, rund 31% mehr Einkommen pro Kopf.11 Die Gesetzgebung und strukturelle Systematisierung der Alpen ist uneinheitlich und von den einzelnen Alpenstaaten bzw. der Europäischen Union bestimmt. Verschiedene Organisationen definieren allerdings einheitliche Ziele und Leitlinien und bilden so die eigentliche Regierung des Alpenstaates. Die umfassendste Organisation ist die Internationale Alpenschutzkommission CIPRA (Commission Internationale pour la Protéction des Alpes): Ein nichtstaatlicher Dachverband von etwa hundert Verbänden und Organisationen aus allen Alpenstaaten. Die CIPRA arbeitet laut Eigendefinition für eine nachhaltige Entwicklung der Alpen, und setzt sich für die Erhaltung des Natur- und Kulturerbes, der regionalen Vielfalt und für Lösungen grenzüberschreitender Probleme im Alpenraum ein.12 1991 wurde nach Vorbereitung durch die CIPRA die Alpenkonvention unterzeichnet: ein völkerrechtlicher Vertrag zwischen Deutschland, Frankreich, Italien, Liechtenstein, Monaco, Österreich, Schweiz, Slowenien und der Europäischen Union.13 Vertragsziel war der Schutz der Alpen und deren nachhaltige Entwicklung unter Berücksichtigung der Schutz- und Nutzungsinteressen. Alpenverfassung vs. EU-Verfassung. Weitere Arbeitsgemeinschaften auf Länderebene sind institutionalisierte Formen staatenübergreifender politischer Zusammenarbeit im Alpenraum;14 sie schließen wiederum einzelne Regionen zusammen. Die Arge Alp (Arbeitsgemeinschaft Alpenländer), bemüht sich «gemeinsam interessierende Probleme in gutnachbarlicher Weise zu lösen.»15 Mitgliedsländer der 1972 gegründeten Arge Alp sind der Freistaat Bayern; die Länder Vorarlberg, Tirol und Salzburg; die Region Lombardei und die Autonomen Provinzen Bozen und Trient; die Kantone Graubünden, St. Gallen und Tessin. Als Ergänzung zur Arge Alp wurde 1978 die Arge Alpen-Adria (Arge der Ostalpen) und 1982 die COTRAO (Arge der Westalpen) gegründet. Nach ähnlichem Schema funktionieren u.a. Organisationen wie: AGEG (Arge Europäischer Grenzregionen), VRE (Versammlung der Regionen Europas), REGLEG (Conference of European regions with legislative power), CALRE (Europäische Regionale Gesetzgebende Parlamente), Arge Donauländer, Arge Alpenstädte, die Vereinigung der Gewählten der Bergregionen, Euromontana, Interregio und Regionalp. Zusammen mit den Alpenvereinen und weiteren lokalen, regionalen, überregionalen und überstaatlichen Organisationen bilden sie ein kaum nachvollziehbares Netzwerk, das sich vor allem mit Themen wie Kultur, Bildung, Umwelt, Raumordnung, Landwirtschaft, Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Tourismus beschäftigt. Ihre Entstehung wird wiederholt durch die Notwendigkeit der Vertretung vor den eigenen, alpenfernen Zentralregierungen und der Differenzierung zwischen inner- und außeralpiner Bereiche legitimiert. Zusätzlich kommen zu diesen Einteilungen und Zusammenschlüssen noch territoriale Dispositionen, wie die statistischen der NUTS16. So wie es ein selektiv zusammensetzbares Europa der NATO, Eurozone, EU-25, Schengen, UEFA und Eurovision gibt, gibt es die Alpen der Arge Alp, der Interregio und der Alpeninitiative.
[Joël Tettamanti: Stadtland Schweiz, 2002]
[Joël Tettamanti: Stadtland Schweiz, 2002]
[Joël Tettamanti: Stadtland Schweiz, 2002]
[Joël Tettamanti: Stadtland Schweiz, 2002]
[Joël Tettamanti: Stadtland Schweiz, 2002]
00 (01)DIE ALPEN
Alpentourismus «Die Tourismusgeschichte ist reich an Legenden. Das liegt daran, dass sie eine erstaunliche Gegenwart zu erklären hat. Und da der Tourismus nun einmal unverzichtbares Komposit unserer Lebenswelten ist, sind die darüber zurechtgelegten Geschichten auch Versuche, unser heutiges Sein plausibel zu erklären.»17 Bernhard Tschofen
Der Alpinismus begann mit der Herausforderung und dem Wettlauf um die Gipfel-Erstbesteigungen. Er entstand geschichtlich 1336, mit der Erstbesteigung des Mont Ventoux (ein 1.912 m hoher Berg in der französischen Provence) durch den italienischen Literaten Francesco Petrarca, aber erst 1786 folgten mit dem Mont Blanc und 1800 dem Großglockner die großen Berge der Alpen. Im 18. Jahrhundert galten die Berge noch als schrecklich. Reisende die über die Alpen mussten, reisten bewaffnet, mussten viel Zeit und Geld investieren und ließen sie gerne wieder hinter sich. Doch die Darstellung der montes horribles in der Kunst veränderte sich: Die Alpen verloren ihren Schrecken, die Natur «wurde» sanft und bildete die Antithese zur Stadt. Das aufstrebende Bürgertum des 19. Jahrhunderts sehnte sich nach Unverfälschtem und determinierte die Entdeckungszeit des Alpentourismus: die Erkundung der Alpen, der «schönen Landschaft».18 Am 14. Juli 1865 endeten die «Goldenen Jahre» des Alpinismus und der Wettbewerb um die großen Erstbesteigungen, mit jener des 4.478 m hohen Matterhorns durch Edward Whymper. Whymper kam aus London und wurde vorerst von einem Verleger als Illustrator in die Alpen geschickt wo er sein Interesse für das Bergsteigen entdeckte. Mit der Erstbesteigung des Matterhorns gewann er das Wettrennen gegen seinen langjährigen Rivalen Jean Antoine Carrel. Beim Abstieg stürzten alle 3 Engländer die Whymper begleiteten tödlich ab. Am gleichen Tag bestieg in Vorarlberg Johann J. Weilenmann erstmals den Piz Buin und markierte damit den Beginn des klassischen Alpinismus für die Ostalpen.19 Whymper war einer der ersten Alpinisten, die ihre Abenteuer in populären literarischen Darstellungen verbreiteten. Neben seinen Publikationen finden sich in denselben Jahren auch Touristenbeschreibungen anderer Alpinisten. Aus den vereinzelten Werken entwickelte sich langsam ein Genre und gewann an Format: sein Gegenstand war die systematische Erschließung der Alpen. Die Reiseführer als Surrogat des Wanderns enthüllten sich als Kräfteersparnis. Das Bürgertum genoss in dieser euphorischen Epoche die Möglichkeit sich die Mühe zu kaufen und deren Bild und Tugend zu bewahren ohne Last auf sich nehmen zu müssen. 20 Hinter dem, was vorerst ausschließlich als literarisch-formale Veränderung erschien, entwickelte sich der organisierte und vergleichsweise versachlichte Alpinismus. Von Anbeginn bezog der Tourismus in den Bergen seine Popularität aus dem Glauben an die Alpen als spezifischer Erfahrungsraum, in dem das Andere in Natur und Kultur quasi vor der Haustüre auf Entdeckung wartet.21 Mit der Gründung der ersten Alpenvereine etablierte sich der Alpinismus als Massenbewegung einer bürgerlichen Schicht und agierte dementsprechend elitär. Im ständigen Ringen um sein Selbstverständnis schuf er sich innerhalb weniger Jahre seine eigene Sprache und seine eigenen Rituale. Die Alpenwelt wurde der städtischen Zivilisation gegenübergestellt, «der Alpinismus argumentierte aus der Moderne heraus und in die Moderne hinein».22 Im Zeitalter der Moderne (geschichtlich in der Industriegesellschaft, philosophisch in der Zeit nach Hegels Tod) spielte die schöne und erhabene Landschaft im gesellschaftlichen Leben eine wichtige Rolle als Kompensation der verloren gegangenen Einheit zur Natur. 23 Seit Albrecht von Hallers
17 Bernhard Tschofen: Prädikat «alpin». Aus: GAM 01 Tourismus und Landschaft, Graz 2004. 18 Ebd. 4. 19 Bernhard Tschofen: Berg, Kultur, Moderne (Volkskundliches aus den Alpen), Wien 1999: 5. 20 Roland Barthes: Mythen des Alltags, Paris 1957. 21 Bernhard Tschofen: Komm, bleib! Laute und leise Holztöne alpenländischer Gastfreundschaft. Aus: zuschnitt.at Holz zu Gast, Ausgabe 5, MärzJuni 2002: 6. 22 Ebd. 5. 23 Werner Bätzing: Postmoderne Ästhetisierung von Natur versus «Schöne Landschaft» als Ganzheitserfahrung. Aus: Hegel-Jahrbuch 2000, Berlin 2000. 24 Benedikt Loderer: Der Untergang des Landes. Aus: Hochparterre Nummer 9, September 2003, 16. Jahrgang. 25 Ebd. 4.
[Votivtafel, 1741]34
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010(01)DIE ALPEN
26 Eckart Ehm: 10‘000 Hütten auf dem Wasserschloss Europas. Aus: Internationale Alpenschutzkommission CIPRA: 1. Alpenreport, Bern/Stuttgart/Wien 1998: 7. 27 Virginie Lefebvre: Picturesque of Sublime: Flaine and Avoriaz. Aus: GAM 01 Tourismus und Landschaft, Graz 2004. 28 Ebd. 4. 29 Hubertus Adam: Vom Inntal ins Hochgebirge, Zeugnisse einer alpinen Moderne in Tirol und Südtirol. Aus: archithese, Zeitschrift und Schriftenreihe für Architektur, 3.2005 Bauen in den Bergen, 35. Jahrgang, Zürich: 8. 30 Reinhard Knodt: Auf der grünen Wiese. Rede von Reinhard Knodt, gehalten am 27. Juni 2000 an der Gesamthochschule für Architektur und bildende Künste, Kassel. 31 Ebd. 6. 32 Ebd. 8. 33 Ebd. 5.
«Alpen» (1729) und Jean-Jacques Rousseaus «La Nouvelle Heloïse» (1761) war klar, dass in der Schweiz, in den Alpen, ein Volk von ländlich-sittlichen Bergbauern wohnt: treu, bieder, bescheiden, keusch und frei. Das Gegenteil der korrupten, überfeinerten, angeberischen, verhurten und geknechteten Städter.24 Überdrüssige Bürger mit Besitz und Bildung flohen aus dem Gestank der Städte und Fabriken des frühindustriellen Englands, um auf Berge zu steigen von denen es bis dato keine Nachrichten gab. 1857 gründeten sie in London den «Alpine Club», den ersten Alpenverein. Nur ein paar Jahre später folgten der Österreichische Alpenverein ÖAV (Wien 1862), der Schweizer Alpenverein SAC (Olten 1863), der Club Alpino Italiano CAI (Turin 1863) und der Deutsche Alpenverein DAV (München 1869) als «bildungsbürgerlicher Bergsteigerverein». Die Ziele waren neben der Durchforschung der Alpen auch die Erleichterung des Reisens zu und in den Alpen, der Bau von Wegen und Unterkunftshütten, sowie die Herausgabe von Landkarten und Tourenbeschreibungen. Bis 1880 wurden alle Hauptgipfel der Alpen bestiegen. Von den Alpenvereinssektionen erbaut entstand ein Netzwerk an hochalpinen Schutzhütten und Wegen.25 Zwischen 1868 und 1914 errichteten der Deutsche und Österreichische Alpenverein 323 Hütten.26 Die ersten Wintersportorte entwickelten sich aus bestehenden Dörfern oder Städten wie Megève, Saint-Gervais, St. Moritz und Chamonix. Hotels und Kuranlagen wurden entworfen, wobei man vernakular regionale und importierte Freizeitarchitektur übernahm.27 Die alpinen Palasthotels entstanden, Schmalspur- und Zahnradbahnen erschlossen Aussichtsgipfel. Die gebaute Infrastruktur konzentrierte sich zu Zweidritteln auf die Schweizer Alpen, 28 entwickelte dort aber auch Überkapazitäten. Während sich in Tirol das Neue Bauen in den Bergen vergleichsweise breitenwirksam durchsetzten konnte, konzentrierte es sich in der Schweiz auf Sanatorien wie die Zürcher Heilstätte in Davos oder das Bella Lui in Crans-Montana.29 Die gesellschaftlich führenden Schichten brachten ihr eigenes Leben aus den Städten in die Alpen mit und führten es dort als eine Art Erholung von sich selber durch. Man zog aus den Pariser, Wiener und Londoner Salons: eine Verlagerung der romantischen Sehnsucht wohlhabender Zivilisationskritiker nach Natur, Reinheit des Gefühls, Gesundheit und dem wahren Erlebnis erhabener Größe auf die grüne Wiese Europas. Nietzsche schrieb 1888 die heroischen Gebirgswanderungen seines erkenntnissüchtigen Alter Ego Zarathustra und seine zivilisations- und technikverachtende Philosophie auf einer Hotelterrasse im Oberengadin. Im Salon spielte er anschließend den Flügel. 30 Die erste touristische Expansionsphase, die Belle-Epoque-Ära, endete bereits 1914, dann verlangte eine gewandelte Haltung nach wahrnehmbarer Authentizität.31 Die Ideologie der Moderne mit ihrer Forderung nach Licht, Luft und Sonne, ihrer Verwurzelung im Hygienediskurs und ihrem Leitbild des sportlich aktiven Menschen entsprach dieser touristischen Neuorientierung. 32 Nach dem Ersten Weltkrieg wurde der Alpinismus zur Jugendbewegung: kulturkritisch und dabei doch den Strukturen der Populärkultur folgend. Die neuen Alpinisten standen stark im Gegensatz zu ihren Vorgän gern, kamen auch im Winter wieder und brachten mit dem Skilauf einen neuen Stil in die Berge.33 Ab 1927-28 wurden die ersten Skilifte errichtet. Der Alpentourismus dagegen brach in der Zwischenkriegszeit zusammen und löste das Ende der Palasthotels aus. Private Ferienhäuser entstanden. Mit dem PKW begann in den Fünfzigerjahren eine neue Form des Alpentourismus, der sich von den vorgegebenen Linien der Eisenbahn löste und Gebiete erreichte die bis zu diesem Zeitpunkt nur auf Tagesausflügen besucht wurden. Ab 1955 setzte der Sommermassentourismus ein, ab 1965 der Wintermassentourismus. Die jährlich zweistelligen Wachstumsraten för011(01)DIE ALPEN
[Arnold Fanck, G.W. Pabst: Die weiße Hölle vom Piz Palü. D 1929, 133 min]
[A. Perren-Barberini: Matterhorn]
[Caspar David Friedrich: Wanderer über dem Nebelmeer, 1818]
[Arnold Fanck: Im Kampf mit dem Berge. D 1921, 60 min.
[Jacques Tati: Playtime. F/I, 1967]
derten hektische Bau- und Modernisierungswellen in den Tourismusorten: Hotels und Pensionen, später auch Eigentumswohnungen, Seilbahnen und Skilifte wurden gebaut. Zum ersten Mal besuchten große Menschenmengen die Alpen. 1958 präsentierten sich Italien, Österreich, Deutschland, Schweiz, Frankreich und Jugoslawien auf dem amerikanischen Markt erstmals unter einer Marke. The Alps wurden in Prospekten und auf Plakaten als die Attraktion Europas beworben, mit grandiosen Gipfeln, pittoresken Ortschaften, reichhaltiger Kultur und dem perfect winter. Die gemeinsame Werbeinitiative blieb aber eine Einzelaktion, selbst Nord- und Südtirol sehen sich bis heute mehr als Konkurrenten denn als Partner.34 Die Auswirkungen des Tourismus im Alpenraum, insbesondere auf das ökonomische und soziale System eines Bergdorfes bzw. auf die psychische und physische Gesundheit der Bewohner, zeigt die «Studie Alpendorf». Repräsentativ im Schweizer Saas Fee erhoben, handelt es sich um ein Dorf das erst 1951 durch den Bau einer Verbindungsstraße erschlossen wurde. Vor 1951 war Saas Fee sechs bis acht Monate pro Jahr von der Außenwelt abgeschnitten und somit gezwungenermaßen Selbstversorger. Die drastische Veränderung der ökonomischen Basis vom Primär- zum Tertiärsektor, zog einen alle Lebensbereiche umfassenden soziokulturellen Wandel nach sich. Während dieser Akkulturation, d.h. in der Zeit der Übernahme neuer Werte und Verhaltensweisen, erhob der Schweizer Arzt und Psychiater Gottlieb Guntern eine Studie die ihren Schnitt auf Daten von 1970 setzt.35 Vor allem bei den Jugendlichen konstatierte Guntern eine Orientierung an die hedonistische Lebensweise der Gäste, deren Diktion in Kontrast zum entbehrungsreichen und im Vergleich wenig attraktiven Leben der Eltern trat. Die Gäste dienten als Rollenvorbilder. Die Studie entdeckt aber auch ein verstecktes Matriarchat: die Frauen tragen die Hauptlast bei der Beherbergung der Touristen, was lange Tagesarbeitszeiten und hohe Verantwortung mit sich bringt: Über 50% der Frauen arbeiteten mehr als 12 Stunden, während dies bei nur einem Drittel der Männer zutraf. Weiters waren vor allem ältere Bewohner zum Erhebungszeitpunkt (1970) von einem cultural lag betroffen. Damit ist gemeint, dass Verhaltensweisen und Denkmuster nicht den Anforderungen der aktuellen ökonomischen Situation entsprechen, sondern hinterherhinken, den Anforderungen vergangener Zustände entsprechen. Im Zustand des cultural lag herrscht Verhaltensunsicherheit und Widerspruch. Dissonanzen in der Entwicklung des demografischen, ökonomischen, religiösen, politischen und soziokulturellen Subsystems erzeugen Kontradiktionen und zerstören das homöostatische36 Gleichgewicht. Reichen die vorhandenen Bewältigungsmöglichkeiten der Betroffenen nicht mehr aus, wird Stress hervorgerufen. Die Folgen sind Indikatoren zur indirekten Messung von Stress. Zu den Indikatoren gehören psychosomatische Störungen, Alkohol-, Tabak-, Tabletten und Drogenkonsum, psychische Erkrankungen und Kriminalität. Spezifisch in Saas Fee konnten Stressfolgen wie Alkohol und Tablettenkonsum 37 sowie psychosomatische Erkrankungen nachgewiesen werden. An die Stelle der physischen Belastungen durch körperliche Arbeit in einer hochalpinen Region treten vermehrt psychische Belastungsfaktoren, wie Zeitdruck, quantitative und qualitative Überforderung, Reizüberflutung oder Fremdbestimmung. Obwohl mit der Arbeit Gunterns eine Momentaufnahme eines Dorfes vorliegt, das sich 19 Jahre nach seiner Erschließung auf dem turbulenten Weg zu einem touristischen Zentrum befand, zeigt die Studie paradigmatischen Wert. Die Entwicklung in Saas Fee ist mit der vieler anderer Orte der Alpen vergleichbar, obgleich der Wandel dort meist nicht so abrupt vonstatten ging.38
012(01)DIE ALPEN
34 39 Josef Rohrer: Zimmer Virginie Lefebvre: frei. Das Buch zum Touri- Picturesque of Sublime: seum, Bozen 2003. Flaine and Avoriaz. Aus: GAM 01 Tourismus und 35 Landschaft, Graz 2004. Michael Anft: Die Studie «Alpendorf». 40 Auswirkungen des Herbert Hamele, Jacques Massentourismus auf das Perret, Diether Bernt, ökonomische und soziale Dominik Siegrist, System eines Bergdorfes. Enrico Camanni: Viele Aus: Heinz Hahn, H. Tourismus-PhilosoJürgen Kagelmann phien in den Alpen. (Hg.): Tourismuspsycho- Aus: Internationale logie und Tourismussozio- Alpenschutzkommission logie (Ein Handbuch zur CIPRA: 1. Alpenreport, Tourismuswissenschaft), Bern/Stuttgart/Wien München 1993: 9. 1998: 10. 36 Homöostase, Homöostasie, Homöostasis: Gleichgewicht der physiologischen Körperfunktionen; Stabilität des Verhältnisses von Blutdruck, Körpertemperatur, pH-Wert des Blutes u.a.. Aus: Duden, Bd.5: Fremdwörterbuch, Mannheim 2004.
41 Ebd. 10. 42 Ursula Faix: The Sound of Music. The Image of Architecture. Aus: GAM 01 Tourismus und Landschaft, Graz 2004. 43 Format. Österreichs Wochenmagazin für Wirtschaft & Geld. Nr. 4, 28. Jänner 2005.
37 Obwohl Männer sehr viel mehr trinken als Frauen, zeigen letztere 44 auch einen zunehmend Ebd. 7. erhöhten Alkoholkonsum, besonders 45 bei hochprozentigen Ebd. 10. Getränken. 12% der Befragten nehmen mindestens zweimal in der Woche Tranquilizer (dieses Ausmaß entspricht dem Stand in den USA im Jahre 1960). In Saas Fee sind hauptsächlich Frauen der Altersgruppe 44-55 Jahre betroffen. Der Tablettenkonsum ist zwei- bis dreimal so hoch wie derjenige der Männer und stellt somit das Komplement zum Alkohol der Männer dar. Annähernd die Hälfte der Befragten gibt an, mehr als einen halben Liter alkoholische Getränke am Tag zu konsumieren. Bauern, Bergführer, Gastwirte und Hoteliers stechen besonders hervor. 38 Ebd. 9.
Zwischen den großen Alpenländern lassen sich Tourismusstrategien und -entwicklungen unterscheiden, die auf unterschiedliche diachrone Identifikationsliaisons mit den Alpen schließen lassen. In Frankreich bot die in den Sechszigerjahren besonders starke Entwicklung des Wintertourismus in den Bergen eine Alternative zur Landwirtschaft an und wurde von der Regierung gefördert, die dazu eine eigene Behörde einrichtete. In der großen Raumplanungsperiode der 5. Republik wurde der sogenannte «plan neige» erstellt, der vor allem den Ausbau der Nordalpen finanzieren und Darlehen und technische Unterstützung für Bauunternehmen bereitstellen sollte.39 Ab 1958 entstand in Frankreich eine neue Struktur von Wintersportorten. Am Fuße der größten Skigebiete wurde in unbesetzter Landschaft ein durch Privatkapital und öffentliche Gelder finanzierter neuer Archetyp determiniert. Einzelne Planer-Errichter-Betreiber bauten zwanzig industrielle Wintersportorte: Archipele des Skisports mit zusammen über 500.000 Betten.40 Der österreichische Tourismussektor hingegen weist vor allem in den Alpen eine größtenteils kleinbetriebliche Struktur auf. Die Entwicklung dieser Struktur bestimmte die Bauentwicklung und das Erscheinungsbild der alpinen Tourismusorte, verursacht aber auch betriebswirtschaftliche Schwierigkeiten bei der Marktanpassung.41 Das erste Ortsbildschutzgesetz wurde 1968 in Salzburg erlassen, gefolgt 1974 von Wien, 1976 von Tirol sowie 1977 von der Steiermark. Im Ortsbildschutz schützte Österreich aber nicht den Lebensraum, sondern nur das Abbild dessen. Werden beim (Heimat)Film Bilder räumlich und zeitlich zu einem fiktiven Produkt kondensiert, was durch die Bewegung der Bilder eine reale Komponente erhält, verhält es sich beim Phänomen Ortsbild(schutz) genau umgekehrt: Ein statisches Bild wird als Schablone für Siedlungsstrukturen, also etwas Gegenwärtiges und im Verändern begriffenes, demnach sich bewegendes, herangezogen. 42 Heute erwirtschaften die 7.261 Hotels und Pensionen mit 270.000 Betten in den österreichischen Alpen jeden Winter 7,2 Milliarden Euro. Der größte alpine Grundbesitzer sind die Österreichischen Bundesforste (ÖBF), sowie der Alpenverein, der mit seinen 500.000 Mitgliedern mehr als 500 Schutz- und Skihütten betreibt. Weiters sind für Bergbauern, als Besitzer von Almen und Wälder, die vermieteten Liegenschaften durchaus rentabel: Ein an lokale Liftgesellschaften vermieteter Quadratmeter bringt durchschnittlich zehn Cent pro Saison ein und kann in der Regel im Sommer bewirtschaftet werden.43 Seit 1914 wurden aus den 323 Schutzhütten des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins 520. Insgesamt betreiben alle acht Alpenvereine über 1.600 Schutzhütten mit jährlich 12 Millionen Besuchern und 4 Millionen Übernachtungen.44 Nach dem Zweiten Weltkrieg änderten sich Struktur und Bedürfnisse der Gäste. In den frühen Sechzigerjahren setzte in der Schweiz der Massentourismus ein. Nach den Hotelpalästen der Belle Epoque entstand durch die zunehmende Automobilisierung und dem aufkommenden Skitourismus zuerst in Graubünden, dann im Berner Oberland und später auch im Wallis eine ausgeprägte Parahotellerie. Bauland wurde extra für Ferien- und Zweitwohnungen ausgewiesen. Inzwischen kommen in der Schweiz vier Betten in Ferien- und Zweitwohnungen auf ein Hotelbett, auch wenn für Ausländer starke Restriktionen beim Erwerb bestehen. Ende der Siebzigerjahre schien der Höhepunkt des auf Potenzierung ausgerichteten Massentourismus erreicht zu sein.45 Für eine Neuausrichtung der Tourismuspolitik des Schweizer Bundes wurden das schweizerische Tourismuskonzept von 1979, der Tourismusbericht des Bundesrates von 1996 sowie die Botschaft des Bundesrates über die 013(01)DIE ALPEN
[Werbeplakat für den Wintertourismus um 1930]
[Avoriaz]
[Avoriaz]
[Die Familie Grimaldi in Gstaad]
[Brennerautobahn, 1974]
Verbesserung von Struktur und Qualität des touristischen Angebotes von 2002 ausgearbeitet.46 Als wesentlicher Bestandteil der Schweizer Wirtschaft sind 9% der Schweizer Erwerbstätigen im Tourismussektor beschäftigt, ein bedeutend höherer Prozentsatz als im Landwirtschaftssektor. 2001 wurden über den Tourismus in der Schweiz 22,4 Milliarden Schweizer Franken erwirtschaftet, dies entspricht 5,4% des Bruttoinlandsproduktes. 64% der Hotelkapazität des Landes liegt in den Bergregionen, die vor allem mit dem Wintertourismus arbeiten. Gegenwärtig sind 220 km² der Schweiz (0,5% der gesamten Fläche) präparierte Skipisten. Durch die Klimaänderung wird die Zahl der schneesicheren Regionen (über 1.200 Meter) von heute 195 auf 101 abnehmen (bei einem Anstieg der Temperaturen bis 2060 um 2°C, Schnee über 1.500 Meter). 47 In der Schweiz ist der Wintertourismus für 3% des Bruttoinlandsproduktes verantwortlich, in Österreich für 4%. Eine Erwärmung der durchschnittlichen Wintertemperaturen hätte nicht nur für die Schweizer Wintersportorte weitreichende Konsequenzen. Auch niedrig gelegene Wintersportregionen wie Kitzbühel oder Oberkärnten wären von der Klimaänderung stark bedroht. Beschneiungsanlagen könnten nur mehr in Lagen über 1.500 m eingesetzt werden. In den österreichischen Bundesländern Steiermark, Niederösterreich und Oberösterreich würde der Skitourismus fast völlig zum Erliegen kommen. In Westösterreich wäre mit einer Verkürzung der Wintersaison von gesamt einem Monat zu rechnen, was die ertragsstarken Perioden um Weihnachten und Ostern abschneiden würde. Der Skitourismus würde sich letztlich auf hochgelegene Regionen, insbesondere in Frankreich und der Schweiz, konzentrieren.
46 Bundesamt für Raumentwicklung (ARE), Eidg. Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK): Übersicht über die raumwirksamen Tätigkeiten des Bundes 2004, Bern 2004. 47 Angelus Eisinger, Michel Schneider: Stadtland Schweiz (Untersuchungen und Fallstudien zur räumlichen Struktur und Entwicklung in der Schweiz), Basel 2003. 48 Klimawandel als «Tourismus-Motor». http://www. orf.at/050522-87239/index.html: 23.05.2005 49 Österreichische Hoteliervereinigung (ÖHV): Weg von der touristischen Monokultur. Erste-HilfePaket für österreichischen Sommertourismus, Wien 2005.
3 The Museum of Contemporary Art Chicago/ Robert Fitzpatrick (Hg.): Universal Experience: Art, Life And The Tourist‘s Chicago, 2005. Eye. ��������������� 4 Bernhard Tschofen: Prädikat «alpin». Aus: GAM 01 Tourismus und Landschaft, Graz 2004: 2.
6 Cord Pagenstecher über Nina Lübbren, David Crouch (Hg.): Visual culture and tourism. Oxford, New York: 2003. 7 Ebd. 2.
[Jules Spinatsch (Temporary Discomfort II): Empty Sea, Pool and Sportsground. G8, Genua, Juli 2001]
Der ÖHV präsentierte bei dieser Tagung unter anderem auch ein «ErsteHilfe-Paket» für den österreichischen Sommertourismus, welches einen Österreichweiten Tourismus-Masterplan, Internationalisierung, den Gewinn junger Gäste, eine Verbesserung der Dienstleistungskette, Saisonverlängerung und Angebots-Inszenierung beinhalten soll. Bei der inszenierten Authentizität wurde auf «das steigende Bedürfnis der Gäste mit höherem Bildungsniveau und reichlicher Reiseerfahrung nach Angeboten mit inszenierter Ursprünglichkeit und Selbstfindungs- und Bildungsangeboten» verwiesen. 49 [Cédric Buchet]
014(01)DIE ALPEN
2 Michael Zinganel: Backstage Tourismus - Eine Einführung. Aus: Peter Spillmann/Michael Zinganel: Backstage*tours, Graz 2004: 1.
5 Wenn Frauen reisen... Aus: http://diestandard. at/?url=/?id=1630948: 10.05.2004.
In Österreich wurde 2005 im Rahmen einer Tagung der Österreichischen Hoteliervereinigung (ÖHV) aber auch davon gesprochen, dass die Folgen des Klimawandels eine tourismuswirtschaftliche Gelegenheit sein können. Denn langfristig würden Touristen wegen der immer heißeren Wetterperioden in den klassischen Urlaubsdestinationen, etwa am Mittelmeer, ihr Reiseziel in gemäßigte Breiten verlegen. Der Wiener Zukunfts- und Trendforscher Andreas Reiter schlug in diesem Zusammenhang vor «Urbanität in die Berge zu holen»: «Wenn es dort dann überall den ganzen Sommer 40 Grad hat und bei uns im Alpenraum ‹nur› 30 oder 25 Grad, dann wird diese alpine Höhenlage plötzlich sexy. Und genau das fehlt uns derzeit. Wenn es wirklich so weit kommt, dann werden wir allerdings neue Lifestyle-Sportarten oder alpine Beach-Sportarten erfinden müssen. Für mich ist der Klimawandel unzweifelhaft das Viagra des Sommertourismus. Er bietet (abgesehen von allen unbestrittenen negativen Begleiterscheinungen wie Unwetter) für den österreichischen Tourismus auch große Chancen. So wie Sand oder Schnee für Events in die Stadt geholt werden, müssen wir die Stadt in die Berge holen.»48 Andreas Reiter
1 Der Völkerbund (französisch: Société des Nations, englisch: League of Nations) nahm am 10. Januar 1920, kurz nach Ende des Ersten Weltkrieges, seine Arbeit auf um den Frieden dauerhaft zu sichern.
[Matterhorn/Disneyland (Anaheim), 1959.]
[Matterhorn/Disneyland (Anaheim), 1959. Das Matterhorn in Disneyland ist eine exakte geografische Angleichung an das wirkliche Matterhorn in der Schweiz im MaĂ&#x;stab 1/100 (bzw. 44,80 m HĂśhe)]
Tourisme Die französischen Wörter tourisme und touriste wurden erstmals von der Société des Nations1 als offizielle Begriffe verwendet um Reisende zu beschreiben, die länger als 24 Stunden im Ausland verbringen. Die Tourismusforschung versteht unter Touristen Individuen, die zumindest einmal jährlich länger als vier aufeinander folgende Tage ohne unmittelbaren dienstlichen Anlass an einen anderen, von ihrem Heimatort entfernten, Ort ver-reisen. Gemäß dieser Definition soll es zurzeit weltweit jährlich über 600 Millionen Touristen und Touristinnen geben,2 bis 2010 soll die Zahl der Menschen die international reisen eine Milliarde erreichen.3 Die Entstehungsgeschichte des modernen Tourismus reicht etwa von der Mitte des 18. bis ins erste Drittel des 19. Jahrhunderts. Nicht nur die (Schweizer) Alpen, sondern auch die Meeresküsten wurden durch Reisebeschreibungen in einer neuen Landschaftsbewertung verstanden. Reisen galt lange Zeit als etwas Männliches und war stark mit Bildung verbunden. Eine Apodemik (so nennt man die Reisekunst4) von 1791 enumeriert den dafür notwendigen Sachverstand: «Von folgenden Künsten und Wissenschaften ist es unumgänglich nothwendig, daß ein Reisender sich Kenntnisse erwerbe: 1. Gestzgebung, 2. Naturgeschichte, 3. Mineralogie, 4. Metallurgie und Chemie, 5. Mechanik., 6. Hydrostatik, Hydraulik und Architektur, 7. Perspektive, 8. Erdbeschreibung, 9. Navigation und Schiffsbaukunst, 10. Ackerbau, 11. Sprachen, 12. Arithmetik, 13. Zeichnen, 14. eine lesbare und geschwinde Hand, 15. Schwimmen, 16. oberflächliche medizinische Kenntnisse, 17. Musik, 18. Geschmack, 19. Menschenkenntnis, 20. Kenntnis des vaterländischen Staates, 21. vorläufige Bekanntschaft mit den Ländern, die man besuchen will.»5
Die Herausbildung des Tourismus im 19. Jahrhundert beruhte nicht zuletzt auf der wachsenden Bedeutung des visuellen Konsums. Fast gleichzeitig veranstaltete Thomas Cook die erste Pauschalreise (1841), brachte Karl Baedeker seinen ersten eigenen Reiseführer heraus (1842) und entwickelten Daguerre (1839) und Talbot (1841) die Fotografie. Orte wurden zu Sehenswürdigkeiten, sites zu sights, da sie nicht mehr benutzt, sondern betrachtet wurden. «Der Tourist unterschied sich vom Pilger dadurch, dass er die Kirche betrachtete, ohne zu beten.»6 Die Tourismuskritik ist durch die Verbindung zwischen Tourismus und visueller Wahrnehmung nicht nur integraler Bestandteil der Kultur des Reisens, sondern auch ihr ganz mächtiges Schwungrad: Sie lässt den Blick von abgenutzten Landschaften auf neue Destinationen richten und neue Praktiken und Stile entstehen, die als kulturkritische Antwort auf (einmal nicht weniger kulturkritisch verstandene) gängige Formen verstanden werden wollen.7 Die akademische Forschung und Auseinandersetzung mit Tourismus als Alltagsphänomen sind spezifische Ausformungen eines Bildungsbürgertums, das die Bedürfnisse der großen Masse nur schwer verstehen kann oder will und an einem Legimitationsproblem zu leiden scheint. Doch der Einfluss der Zeichentheorien und der Cultural Studies, selbst beeinflusst von Anthropologie, Ethnologie, Soziologie und ermutigt durch die kritische Kulturgeografie, haben der Wissenschaft einen neuen Zugang zu den unernsten Verhaltensformen die sich im Tourismus wieder finden eröffnet. Im Speziellen zu den ästhetischen Faibles und sozialen Verhaltensweisen, die stark an kollektiven Überschreitungen und an körperlichen Erfahrungen orientiert sind, d.h. über den unmittelbaren Lustgewinn der Akteure rezipiert werden.8 Letztlich ist aber auch die Tourismuskritik wiederum Form des Reisens.
[NL Architects: Cruise City, City Cruise, 2003.]
[La Construction de la tour Eiffel, 1889]
[Der Mont Ventoux als Etappe der Tour de France]
[Serviervorschlag der Schweiz. Postkarte]
[Die Eröffnung des Disneyland-Matterhorns. Anaheim, 14. Juli 1959]
017(02)(INSZENIERTE) AUTHENTIZITÄT
Der Tourismus benutzt aktuelle kulturelle Entwicklungen und findet sich im experimentellen Gebrauch neuer und traditioneller Medien wieder. Seit dem Iconic Turn9 in den Neunzigerjahren drohen wir «angesichts des Massenkonsums von Bildern in die ästhetische Unmündigkeit, in die Idolatrie zurückzufallen.»10 Aus diesem Zusammenhang heraus überschreitet die Visuelle Kultur als interdisziplinäres Plateau die Sektoralgrenzen der einzelnen Wissenschaften. Sie kann so den Tourismus als Netzwerk bzw. die Bedeutung seiner visuellen Praktiken und Repräsentationen in den touristischen Ritualen und Erfahrungen zurückverfolgen. Denn der Tourismus verlässt persistent die disziplinären Grenzen der Architektur um neue Strategien zu Gestaltung, Organisation und Mediation von visueller und materieller Kultur zu erproben, aber auch kommerziell zu pragmatisieren und dringt dabei zunehmend in den Alltag und die Visuelle Kultur der Reisenden ein. Die Tourismuspsychologie befasst sich vor allem mit Reisemotiven und -verhalten von Individuen, die Soziologie stellt das individuelle Verhalten und Erleben in den Kontext soziokultureller Prozesse und Strukturen. Die Theorierichtungen, wie symbolischer Interaktionismus, phänomenologische Soziologie, Semiotik, kulturvergleichende Analyse und die Theorien der Postmoderne, die sich mit personalen, ethnischen und kulturellen Identitäten, Erfahrungen und Ausdrucksmöglichkeiten befassen, werden dabei auch in der Tourismussoziologie stärker berücksichtigt.11 Die Tourismussoziologie ist keine fest etablierte, institutionalisierte Teildisziplin der Soziologie. Die zahlreichen soziologischen Arbeiten zum Tourismus (explorative, theoretisch-konzeptionelle und empirische) sichern für die Tourismussoziologie aber kein fundiertes Theoriesystem empirisch gesicherter Hypothesen. Die ersten soziologischen Betrachtungen des Fremdenverkehrs finden sich in den Dreißigerjahren wieder. Nach dem Zweiten Weltkrieg rief das anbrechende Zeitalter des modernen Massentourismus kritische Betrachtungen, umfassendere Darstellungen des Tourismus und einzelne empirische Untersuchungen hervor. Eine Intensivierung der Tourismussoziologie, die sich in der Entwicklung von Repräsentativuntersuchungen und in der Gründung internationaler und interdisziplinärer Fachzeitschriften sowie einiger Publikationen soziologisch relevanter Tourismusliteratur niederschlug, ist erst ab den Siebzigerjahren festzustellen. 12 Die Tourismustheorie wurde jahrzehntelang durch Positionen der klassischen Kulturkritik von Hans Magnus Enzensberger bestimmt, der Tourismus als eine zur bürgerlichen und Industriegesellschaft parallele Entwicklung versteht. Die entfremdeten Arbeits- und Lebensverhältnisse in den Großstädten treiben die Massen in die Flucht nach dem Versprechen authentischer Erfahrungen. Umgekehrt konstatierten Anthropologen und Ethnologen die Überformung dieser vermeintlich authentischen Kulturen durch Touristen und beklagten sie als wehrlose Auslieferung.13 In seinem Essay «Eine Theorie des Tourismus» von 1958 führte Enzensberger die Leitbilder, «unberührte Landschaft» und «unberührte Geschichte», auf die Freiheitsprojektionen der Romantik zurück, die eine Flucht vor der politischen Restauration nach der bürgerlichen Revolution, mehr noch vor der Entfremdung der Arbeitswelt verheißen. Die Touristen fliehen vor der Disziplinierung des Alltags der Industriegesellschaft. Diese individuellen oder kollektiven Ausbruchsversuche sieht Enzensberger zum Scheitern verurteilt, denn die Befreiung von der industriellen Welt hat sich selber als Industrie etabliert. Die Reise aus der Warenwelt wird ihrerseits zur Ware.14
8 Michael Zinganel: Tourismus und Theorie. Aus: Peter Spillmann/ Michael Zinganel: Backstage*tours, Graz 2004: 3.
15 Guy Debord: Die Gesellschaft des Spektakels, Paris 1967: 5.
9 Die Verlagerung von der sprachlichen auf die visuelle Information, vom Wort auf das Bild, vom Argument auf das Video.
17 Michael Zinganel: Alpe Aus: Peter Adria House. ����������� Spillmann/Michael Zinganel: Backstage*tours, Graz 2004.
10 Willibald Sauerländer: Iconic Turn? Aus: Hubert Burda, Christa Maar (Hg.): Iconic-Turn. Die neue Macht der Bilder. Köln, 2004.
16 Ebd. 1.
18 Cord Pagenstecher: Der touristische Blick. Visuelle Wahrnehmung im Tourismus. Aus: Peter Spillmann/Michael Zinganel: Backstage*tours, Graz 2004.
11/12 Heinz-Günther Vester: Tourismussoziologie. Aus: Heinz Hahn, H. Jürgen Kagelmann (Hg.): Tourismuspsychologie und Tourismussoziologie (Ein Handbuch zur Tourismuswissenschaft), München 1993: 4. 13 Ebd. 3. 14 Hans Magnus Enzensberger: Eine Theorie des Tourismus. Aus: Hans Magnus Enzensberger: Einzelheiten 1, Frankfurt 1962.
[Andreas Gefeller: Soma 002 Ed. II, 2000. 85x110cm]
[Andreas Gefeller: Soma 003 Ed. II, 2000. 112x139cm]
018(02)(INSZENIERTE) AUTHENTIZITÄT
Der Situationist Guy Debord sieht den Tourismus als Nebenprodukt der Warenzirkulation, als Konsum betrachtete menschliche Zirkulation. Er führt ihn im Wesentlichen auf die Muße zurück, das zu besichtigen, was banal geworden ist. «Die wirtschaftliche Erschließung des Besuchs verschiedener Orte ist bereits von selbst die Garantie ihrer Äquivalenz. Dieselbe Modernisierung, die der Reise die Zeit entzogen hat, hat ihr auch die Realität des Raums entzogen.»15 In der Neutralisierung der geografischen Entfernung, nimmt die Gesellschaft im Inneren die Entfernung als spektakuläre Trennung wieder auf. Der Architekturtheoretiker Michael Zinganel versteht zu allererst die Sehnsuchtsproduktion und die Medien, die diese kommunizieren, als Vorraussetzungen dafür, dass der touristische Ereignisraum aufgespannt werden kann. Zuerst der Buchdruck, dann das Kino und zuletzt das Fernsehen demokratisierten die Sehnsucht gewissermaßen, konnten ihre Erfüllung für die breite Masse aber noch lange nicht gewährleisten. Entscheidend dafür waren gesetzlich verankerte Mindestlöhne, Urlaubsrecht und Arbeitszeitverkürzung. Erst als Anfang der Sechzigerjahre die den Arbeitern und Angestellten zugestandenen Urlaubstage drei Wochen erreichten, machte es für Angehörige dieser sozialen Klassen Sinn, sich auf eine damals noch beschwerlichere Urlaubsreise zu begeben. Gleichzeitig ermöglichte ihnen das geringere Lohnniveau in den Zielländern, die angebotenen Dienstleistungen überhaupt konsumieren zu können. Und natürlich waren es technische Entwicklungen, die dem Tourismus der Eliten und dann auch dem Massentourismus immer neue Destinationen erschlossen. Die erste radikale Beschleunigung einer über Jahrtausende annähernd konstanten Reisegeschwindigkeit repräsentiert die Entwicklung der Eisenbahn. Eine beschränkte Flexibilisierung der Reiseziele ermöglichte der Bustourismus. Erst als der Anteil der Bahn-Reisenden in den Sechzigerjahren von Reisenden mit privatem Automobil übertroffen wurde und in den Achtzigerjahren auch von den Flug-Reisenden, begann die geografische Entgrenzung des Urlaubs. 16 Tourismus und Raum konstituieren sich dabei alternierend. Tourismus ist sowohl ein Prozess, durch den Orte erfahren werden, aber auch eine kulturelle Kraft die diese Orte und ihre Kulturen definiert, interpretiert und formt. Zinganel beobachtet bestimmte Architekturen als Verstärker der körperlichen Annäherung («Flirt de Luxe»), konkret: Bauformen die diesen Bedarf unterstützen. «Rustikale Diskotheken (Tenne, Almbar etc.), die authentische oder nachgebaute Almhütte und zu guter Letzt die Schirmbar - eine der erfolgreichsten Bauformen der Neunzigerjahre, die heute selbst bei Neubauten nicht fehlen darf. In ihrer Grundfunktion den Lusthäusern der Aristokratie nicht unähnlich, bilden sie sowohl konstruktiv als auch inhaltlich eine extrem reduzierte Struktur. Doch während in den historischen Vorbildern die Lustbarkeit in exklusivem Kreise ausgetauscht wurde, zielt die Schirmbar auf die Verdichtung der Begierden möglichst vieler - wie ihr Pendant, die Strandbar. Hohe Dichte, die zu körperlichen Berührungen führt, reichlich ausgeschenkter Alkohol, sinkende Hemmschwelle, laute Musik, wenig Gelegenheit für verbindliche Gespräche: dem Flirt steht nichts mehr im Wege.»17
[Andreas Gefeller: Soma 004 Ed. II, 2000. 112x139 cm]
[Andreas Gefeller: Soma 006 Ed. II, 2000. 150x190 cm]
[Andreas Gefeller: Soma 008 Ed. II, 2000. 47x60 cm]
[Andreas Gefeller: Soma 010 Ed. II, 2000. 85x110cm]
«Touristen sind Semiotiker, damit beschäftigt Zeichen und Symbole zu sammeln.»18 Cord Pagenstecher
[Andreas Gefeller: Soma 012 Ed. II, 2000 67x85 cm]
019(02)(INSZENIERTE) AUTHENTIZITÄT
Von besonderer Bedeutung für den seit den Neunzigerjahren verstärkt die britischen und angloamerikanischen Visual Studies rezipierenden deutschen Tourismusdiskurs ist der Soziologe John Urry. Er hat die Grundlagen entwickelt, Tourismus als Konsum von Zeichen und Bildern zu verstehen, d.h. als Abgleich der vor Ort erfahrenen Bilder mit jenen aus der Begehrensproduktion der Tourismusindustrie.19 «The ��������������������������������� gaze is constructed through signs, and tourism involves the collection of signs.» 20 ��������������������� Urry hat eine Charakterisierung des tourist gaze entworfen und versteht den gaze umfassend als eine Art Leitbild, an dem sich Wahrnehmungsmuster und Verhaltensrituale orientieren. Er unterteilt den tourist gaze in einen romantic gaze und einen collective gaze. Der romantische Blick ist auf der Suche nach Einsamkeit und einer sentimentalen Begegnung in einer von anderen Touristen nicht berührten Landschaft oder Geschichte. Im Zentrum steht dabei die authentische, fremde Gegenwelt. Dem romantic gaze entgegengesetzt, sieht Urry den collective gaze, den geselligkeits- und erlebnisorientierten Blick. Er setzt neben zahlreichen Aktivitätsangeboten auch die Anwesenheit anderer Touristen voraus. «It ������������������������������������������������������� is other people that make such places (...). Other people give atmosphere or a sense of carnival to a place.» Beispielhafte �������������� Objekte des kollektiven touristischen Blicks sind für Urry viel besuchte Seebäder wie Blackpool oder Ibiza, deren Attraktivität gerade darin liegt, dass man Teil der Masse wird, dass etwas los ist. Ähnliches gilt für Städte oder Vergnügungsparks.21/22
19 Ebd. 3. 20 John Urry: The Tourist Gaze (Leisure and Travel in Contemporary Societies), London 1990: 6. 21 Cord Pagenstecher: Enzensbergers Tourismusessay von 1958 - ein Forschungsprogramm für 1998? Aus: Tourismus Journal, 2. 1998. 22 Ebd. 6. 23 Ebd. 5. 24 Heinz-Günther Vester: Authentizität. Aus: Heinz Hahn, H. Jürgen Kagelmann (Hg.): Tourismuspsychologie und Tourismussoziologie (Ein Handbuch zur Tourismuswissenschaft), München 1993: 7.
28 Peter Spillmann, Michael Zinganel: Entgrenzter Tourismus. Aus: Peter Spillmann/Michael Zinganel: Backstage*tours, Graz 2004. 29 Reinhard Knodt: Ästhetische Korrespondenzen - Denken im technischen Raum, Ditzingen 1994. 30 Die Welt in Zahlen. Aus: brand eins Wirtschaftsmagazin 6/2004, Schwerpunkt: Leitbilder, Hamburg. 31 Ebd. 1.
25 Ebd. 4. 26 Erving Goffman: The representation of self in New York everyday life. ��������� 1959.
(Inszenierte) Authentizität «Die Gesellschaft, die ihre ganze Umgebung modelliert, hat sich eine spezielle Technik geschaffen, um die konkrete Basis dieser Aufgabengruppe zu bearbeiten: ihr Territorium selbst. Der Urbanismus ist diese Inbesitznahme der natürlichen und menschlichen Umwelt durch den Kapitalismus, der, indem er sich logisch zur absoluten Herrschaft entwickelt, jetzt das Ganze des Raums als sein eigenes Bühnenbild umarbeiten kann und muss.»23 Guy Debord
Authentizität bedeutet im Allgemeinen die Echtheit von Erfahrungen und Erlebnissen. Im Kontext des Tourismus: die Echtheit von touristischen Orten, Plätzen, Szenerien, Gegenständen (Souvenirs) und folkloristischen Darbietungen sowie von Interaktionen zwischen Touristen und der am Urlaubsort ansässigen Bevölkerung. Im angelsächsischen Raum und in der soziologischen und sozialpsychologischen Tourismusforschung seit Mitte der Siebzigerjahre bringt die Beschäftigung mit der Authentizität touristischer Szenerien und Erfahrungen eine kulturkritische Haltung gegenüber dem angeblich zur Inauthentizität verkommenden Tourismus zum Ausdruck.24 Es wird untersucht wie authentisch die Welt des Tourismus erlebt wird, wie die Tourismusindustrie Authentizität produziert und welche Konsequenzen die Vermarktung touristischer Erfahrungen, Räume und Gegenstände hat.25 Erving Goffman erklärte 1959 in seinem Beitrag zur Soziologie, wie in alltäglichen Interaktionen durch eine Vielzahl von Ritualen soziale Identitäten konstruiert werden und dadurch den Übergang vom Alltag in den Ausnahmezustand erleichtern.26 Interaktion ist ein Wechselspiel zwischen veröffentlichten (offenen) und verborgenen Handlungen und Zeichen, bei dem sich die Darsteller bemühen einen authentischen Eindruck zu vermitteln. Dabei wird darauf geachtet, die Hinterbühne (Goffman bedient sich der Analogie des Theaterspiels) dem Blick der Öffentlichkeit zu verbergen. Umgekehrt versuchen die Adressaten der Präsentation, diese auf ihrer Authentizität hin zu überprüfen, d.h. sie sind bemüht, einen Blick hinter
27 Ebd. 7.
[Marc Raeder: Package Holiday Hotel, 2000. 45x55cm. C-print, Diasec]
[Marc Raeder: Hotel Trinidad, 2001. 75x92cm, C-Print, Diasec]
020(02)(INSZENIERTE) AUTHENTIZITÄT
die Fassaden einzuholen.27 Besonders erfolgreich sind deshalb touristische Attraktionen, in denen eine «inszenierte Authentizität» nicht nur passiv konsumiert, sondern durch aktive Teilnahme an der Inszenierung mitgestaltet werden. Diese «Tourismusindustrie» ist mittlerweile so breit ausdifferenziert, dass sie auch den Distinktionsbedarf von Bildungsbürgertum und urbanen Subkulturen gleichermaßen zu bedienen weiß.28 Das ästhetisch-technische Allianzgeschehen Alpendorf beruht (ganz ähnlich wie bei einem Park) auf der Inszenierung von Atmosphäre durch Arrangement. Dass solche Inszenierungen heute meist Verkehrstechnikern und Hoteliers bzw. der Tourismusbürokratie überlassen bleiben, ist bezeichnend für den technischen Raum als Lebenswelt. Naturschönheit wird dabei zum Ambiente, zum technischen handling und gerätegestützten Abenteuer, in dem Parachuting, Skikarussell und Parkplatzbuffet zu Hauptattraktionen einer allgemeinen sportiven Festlichkeit avancieren, wie man sie auch aus Werbespots kennt. An diesen Erscheinungen lässt sich nachvollziehen, dass es dabei um Inszenierung und Teilnahme geht, denn oberflächlich unterscheiden sich fremdenverkehrsgerechte Alpendörfer kaum. Ihre Gleichförmigkeit rührt nicht von irgendeiner bewahrten Tradition, sondern von der Gleichförmigkeit ihrer Zwecke, aus Beherbergung, Panorama, Essen, Parkplätzen, Sportgeräten, Folklore und Friseuren den atmosphärischen Reiz eines gehobenen Kurhauses bei gleichzeitigem Kontrast zur (gleichfalls inszenierten) bäuerlichen derben, religiös und achtungsvoll empfundenen Natur. Dem Wahren und Guten näher, der großen Natur, der Religion, dem Schönen und dem Erhabenen, ist es zugleich doch, als sei man dem Wilden ausgesetzt und daher ganz besonders bewahrt und umsorgt. Im Versuch, Blickgewohnheiten beizubehalten, die durch die literarische Tradition vorgeformt sind, wird sich der Normalverbraucher der Alpenlandschaft natürlich von störenden Momenten abwenden. Doch was stört und was aus dem umgebenden Angebot zum jeweiligen atmosphärischen Entwurf, dem schönen Anblick, der Aussicht etc. herbeigezogen wird, liegt nicht eindeutig fest. «Der Vorteil des touristischen Alpendorfes als Ort ausagierter Touringkompetenz ist die Verfügbarkeit der Atmosphären einschließlich dessen, was sie hervorrufen, d.h. die Möglichkeit, ein ideales Naturverhältnis immer wieder neu in vielfältigen Metamorphosen zu entwerfen. Es wäre demnach ein ganz besonderer Luxus, sich inmitten der techno-ästhetischen Gesamtveranstaltung Alpendorf ausschließlich die kontemplative Einkehr im Angesicht mächtiger Alpengipfel heraussuchen zu wollen. Der durchschnittliche Alpendorf-Besucher will gerade nicht bloß schöne Natur mit daranhängendem Service-Teil; er will (das geht aus den vorhandenen Anlagen hervor) ein variierendes atmosphärisches Geschehen, an dem er Anteil hat; er will das ganze Fest, und er wird sich an dessen Einzelveranstaltungen nach Möglichkeit beteiligen.» 29 «Wahrscheinlichkeit, dass ein weltweit verkauftes Markenprodukt gefälscht ist: 1 zu 10.»30
[Marc Raeder: Dam gorg blau. Sierra de tramuntana, 2001. 75x92cm, C-Print, Diasec]
[Marc Raeder: Glasbottom boat, 1999. 45x55cm, C-Print, Diasec]
[Marc Raeder: Pool. Magaluf, 1998. 75x92 cm, C-Print, Diasec]
[Marc Raeder: Moros y Christians. Port de Soller, 2001. 75x92cm, C-print, Diasec]
Die Akteure der inszenierten Authentizität wissen bzw. nehmen in Kauf, dass die meisten Zeichen von Authentizität mit ziemlicher Sicherheit nur Teil inszenierter Erlebnislandschaften sind, u.a. auch etwaige Führungen in Backstagebereiche. Diese Authentizitäten werden für die Reisenden über Werbemedien konstruiert und dann vor Ort mehr oder weniger professionell choreografiert.31 Andere glauben machen, dass man es glaubt und das romantisierte Alltagsleben der besuchten Region kurzweilig leben, ist das stillschweigende Abkommen das die Authentizitätsuchenden sich gegenseitig zustecken. Ihr Selbstverständnis wird durch die Illusion der Anderen [Marc Raeder: Vantage Point. El Corredor, 2000. 75x92cm, C-print, Diasec]
021(02)(INSZENIERTE) AUTHENTIZITÄT
konstruiert, legitimiert und aufrechterhalten, wodurch schlussendlich der Eskapismus erst vollzogen werden kann («It is other people that make such places»). Der Philosoph Robert Pfaller macht in seinem Buch «Die Illusionen der anderen» in der Gesellschaft zirkulierende Illusionen als das allgemeine Lustprinzip in der Kultur aus. Für Pfaller ist dies der formale Oberbegriff für Aberglaube und Ideologie, für alles was in der Kultur an Mythen, Ein bildungen, tradierten Vorstellungen und Überzeugungen kursiert. Dabei geht er von der Beobachtung aus, dass Vorstellungen und Verhaltensweisen die gemeinhin als abergläubisch betrachtet werden, meist von einem besseren Wissen begleitet sind: Wir glauben und tun- Dinge, die wir im Grunde für unsinnig halten und wir glauben, dass andere wirklich daran glauben. Die Delegierung an andere entlastet von der Zumutung selbst daran zu glauben. Die Illusionen der anderen sind lustvoll aber auch von einer spezifischen Ambivalenz gekennzeichnet. Eine Form der Illusion ist die Höflichkeit: Eine praktizierte und wirkungsvolle Fiktion, die Pfaller als Glückstechnik anerkennt. Man tut so, als ob: als ob man einander respektiere, kompetent und sympathisch fände.32 Was die Tourismuskritik als eine Abtretung an das Pseudo-Ereignis33, die Simulation 34 oder die Hyperrealität35 versteht und die nach authentischer Erfahrung suchenden Touristen ernüchtert zurücklässt, sieht Maxine Feifer 36 im Touristen der Postmoderne als überwunden. Die Haltung des Post-Touristen besteht in einem spielerischen Umgang mit der touristischen Szenerie. Im Bewusstsein um ein Spiel ohne Authentizitätsvorgaben, wird er selbstbewusster Teilnehmer, geht nicht in der touristischen Rolle auf, sondern kann mit ihr umgehen und vermag sich von den Rollenerwartungen zu distanzieren. Las Vegas, Disneyland oder die postmoderne shopping mall werden den nach Authentizität fahndenden Touristen enttäuschen, während sie für den Post-Touristen höchst attraktiv sein können.37 Die inszenierte Authentizität bestimmt sich u.a. indem sie ihre eigene Identität zu einem brandscape werden lässt und somit ihr eigenes Produkt wird. Branding stammt aus der Viehzucht und beschreibt das Markieren der Tiere mit einem glühenden Eisen um das Vieh eindeutig als Besitz eines bestimmten Züchters identifizieren zu können. Gleichzeitig fungierte diese im engsten Sinn zu verstehende Marke auch als Gütesiegel: Das Versehen materieller Güter mit immateriellen Werten. Das Label des Herstellers sorgt nicht mehr lediglich für seine Urheberschaft und damit auch für die Qualität des Produktes, sondern soll dieses auch mit einem symbolischen und abstrakten Wert versehen. Unverkäufliches wie Lebensfreude, Urbanität oder Schönheit wirken als Anreize für den Kauf von Produkten, mit denen sie verbunden werden.38 «Die Marke ist ein Charakter, das Brandscape ihr Heim.» Die Idee des brandscape ist in dem esoterisch angehauchten Zweig des Marketings, der sich mit Branding beschäftigt (also dem Stilisieren einer Marke zu einem Charakter), ein relativ neues Konzept. Räume sollen die Marke, ihre Werte und Eigenschaften verkörpern: Das Erleben des Raums wird zum Markenerlebnis.39 Tirol brandmarkt sich seit Jahren mit einer großflächig und nachdrücklich verbreiteten corporate identity. Auf einer zweiten Ebene verstärkt die Architekturproduktion diese Marke ikonografisch und macht das Bild der Region medial vermittelbar und kommerziell nutzbar. Nahm die breite Öffentlichkeit bis vor kurzem noch wenig Notiz vom aktuellen Architekturgeschehen, kann heute ein Bauwerk eines prominenten Architekten entscheidend dazu beitragen, eine Stadt auf der Rangliste des Standortwett022(02)(INSZENIERTE) AUTHENTIZITÄT
32 Robert Pfaller: Die Illusionen der anderen - Über das Lustprinzip in der Kultur, Frankfurt 2003.
41 Die «Hadid-Schanze» und das Hotel Anton erhalten 2003 den Österreichischen Staatspreis für Architektur, der dem Thema «Tourismus und 33 Freizeit» gewidmet war: Daniel J. Boorstin: The «Die Schischanze ist Image: A Guide to Pseu- ein kompaktes Stück do-Events in America, Funktionalität, ein Gerät New York 1961. für den Hochleistungssport, geformt mit ma34 thematischer Präzision. Jean Baudrillard: Ameri- Die architektonische ca, London 1988. Herausforderung war, ein neues, ursprünglich 35 fremdes Element in eine Umberto Eco: Travels vorgegebene Figur einzuin hyper-reality. London betten: Das Café und die 1986. Aussichtsterrasse.» 36 Maxine Feifer: Going places, London 1985. 37 Ebd. 7. 38 Editorial. Aus: archithese, Zeitschrift und Schriftenreihe für Architektur, 6.2003 Branding, 33. Jahrgang, Zürich: 8. 39 Peter Lau: Bedeutende Orte. Aus: brand eins Wirtschaftsmagazin 10/2000, Schwerpunkt: Design, Hamburg. 40 Ebd. 8.
42 Anna Klingmann: Brandscapes. Aus: archithese, Zeitschrift und Schriftenreihe für Architektur, 6.2003 Branding, 33. Jahrgang, Zürich. 43 Kai Vöckler: Das Verschwinden der Alpen. Aus: Rüdiger Lainer, Heidi Pretterhofer, Dieter Spath: Lagerhaus Remake, Architektonische Handlungsansätze für die Umgestaltung des Handelsunternehmens «Unser Lagerhaus», Wien 2005. 44/45 Ebd. 2. 46 Bernhard Tschofen: Komm, bleib! Laute und leise Holztöne alpenländischer Gastfreundschaft. Aus: zuschnitt.at Holz zu Gast, Ausgabe 5, MärzJuni 2002.
[Cristo redentor (1921), Rio de Janeiro]
[Zaha Hadid: Bergisel Schanze (2002), Innsbruck]
bewerbs nach oben zu bringen.40 Seit 2002 steht die neue Bergisel Schanze von Zaha Hadid, wie der 38 Meter hohe Cristo redentor vom Corcovado in Rio de Janeiro, mit ausgebreiteten Armen über Innsbruck. Bereits 2000 wurden das Umspannwerk von UN Studio (Ben van Berkel, Caroline Bos) und das Hotel Anton von Wolfgang Pöschl und Dieter Comploj in St. Anton gebaut. 41 Im Gegensatz zu traditioneller Architektur, die ihre formale Artikulation auf kulturelle Aspekte, Kontext und Funktion stützt, manifestiert Markenarchitektur ihre eigene kulturelle Landschaft aus einer bestimmten Markenidentität. Im Ideal- und Tiroler Fall verkörpert eine Markenlandschaft neben einer Firmenphilosophie gleichzeitig ein Bild, um eine Marktpräsenz zu erlangen, sowie ein Erlebnis, um die Identifikation mit der Marke herzustellen. Markenlandschaften sind Produkte zweier Faktoren: Image und Erlebnis.42 «Die Alpen stehen für das Ursprüngliche, Ländliche und Dauerhafte schlechthin. Dieses Bild ist weitab in den europäischen Städten entworfen worden und bestimmt noch heute die Wahrnehmung.»43 Kai Vöckler, Urbanist.
Die semantische Genesis des Begriffs alpin ist schwer nachvollziehbar; wahrscheinlich weil es sich weniger um einen solchen handelt, sondern, wie vom Kulturwissenschafter und Kunsthistoriker Bernhard Tschofen im gleichnamigen Essay bezeichnet, mehr um ein Prädikat: alpin.44 Darin setzt Tschofen Tourismus und Architektur in den Kontext einer Alltagskultur der Moderne und den «traditionellen Mühen um die rechte Ästhetik im Tourismus». Das Deutungsparadigma des Alpinen entsteht aus Herkunft und Wirkung einer ästhetischen Disposition, die erst in der Moderne möglich geworden ist und diese als Satz von Zeichen, Mythen und Symbolen begleitet hat. Gleichwohl nach Stimmungen, Formen und Materialien offensichtlich kulturkritisch gelagert, kann sie im Kontext von Alltagskultur, Tourismus und Identitätsbildung als spezifische Form von Modernisierung verstanden werden. Denn das «Alpine steht im großen Ganzen nicht im Gegensatz zur Moderne, sondern ist eine soziale und historische Gleichzeitigkeit zu ihr (mit vielleicht ungleichzeitigen Rhetoriken und Ästhetiken). Das Echte und Unvermittelte herzustellen, genau darauf verstand sich die Moderne (wenn man sie, einen weiteren Kulturbegriff folgend, nicht als Stilepoche, sondern als Ensemble von Strategien, Erfahrung und Erwartung in ein zu bringen, verstehen will).»45 In weiten Teilen der Alpen hat bis weit ins 20. Jahrhundert ein kleinge werblich organisierter und vormodern anmutender Tourismus dominiert, der sich zunächst der vorhandenen Infrastruktur des Gast- und Beherbergungsgewerbes bediente und diese nach und nach für die neuen Bedürfnisse adaptierte. So trafen die Gäste in den Wirtshäusern der Dörfer und Landstrassen auf eine Wohnkultur, die in die Vergangenheit und damit in eine bessere Zukunft zu weisen schien. Historische Wohn- und Repräsentationsformen ländlicher Eliten, einmal als Volkskunst entdeckt und beschrieben, wurden zu Zeichen eines Kulturganzen: die Wohnstube mit der Diagonale von Tisch und Ofenecke etwa, der Herrgottswinkel, oder aber Truhen, Stühle und Tische bestimmter Formen. 46 Der Anthropomorphismus, als Zusprechen menschlicher Eigenschaften auf unbelebte Gegenstände, Tiere, Götter, Naturgewalten, findet im bzw. auch im Mythos des Alpinen statt. Als bildhafte Weltauslegung und Lebensdeutung in erzählerischer Berichtsform, versehen mit Symbolen, Visionen und fabulierenden Darstellungen, die jedoch eine allgemeine Wahrheit enthal ten oder enthalten können, stellt der Mythos das Handeln und Wirken 023(02)(INSZENIERTE) AUTHENTIZITÄT
von Göttern auch in Anlehnung an menschliche Verhältnisse dar. Roland Barthes hingegen beschreibt in seinen «Mythen des Alltags» einen unspezifischeren Mythos als kollektive, irrationale Vorstellung, der die göttliche Komponente fehlen lässt und an ihrer Stelle den allgemeineren Glauben an etwas Irrationales setzt. In Übereinstimmung mit der Etymologie ist für Barthes der Mythos eine Aussage. Für ihn kann alles, wovon ein Diskurs Rechenschaft ablegen kann, Mythos werden, aber nur die menschliche Geschichte lässt das Wirkliche in den Stand der Aussage übergehen. 47 «Der Mythos wird nicht durch das Objekt seiner Botschaft definiert, sondern durch die Art und Weise, wie er diese ausspricht. Es gibt formale Grenzen des Mythos, aber keine inhaltlichen. Jeder Gegenstand dieser Welt kann von einer geschlossenen, stummen Existenz zu einem besprochenen, für die Aneignung durch die Gesellschaft offenen Zustand übergehen.»48
Für Barthes kann die Mythologie nur eine geschichtliche Grundlage haben, denn der Mythos ist eine von der Geschichte gewählte Aussage - aus der Natur der Dinge vermag er nicht hervorzugehen. Da die Aussage eine Botschaft ist, kann sie sehr wohl anders als mündlich sein, kann auch aus Geschriebenem oder aus Darstellungen bestehen.
47/48/49/50 Roland Barthes: Mythen des Alltags, Paris 1957. 51 Bernhard Tschofen: Berg, Kultur, Moderne (Volkskundliches aus den Alpen), Wien 1999. 52 Marcel Meili: Vorwärts zur Natur? Die Urbanität hochalpiner Regionen. Aus: archithese, Zeitschrift und Schriftenreihe für Architektur, 3.2005 Bauen in den Bergen, 35. Jahrgang, Zürich: 9.
53 Werner Bätzing: Kleines Alpen-Lexikon (UmweltWirtschaft-Kultur), München 1997: 10. 54/55 Ebd. 9. 56 Marcel Meili leitet zusammen mit Roger Diener, Jacques Herzog und Pierre de Meuron das ETH Studio Basel, das seit 1999 als Dependance der Architekturabteilung der ETH Zürich besteht. Die Professoren arbeiten zusammen mit Studentengruppen und einem interdisziplinären Team an einem städtebaulichen Porträt der Schweiz. 57 Ebd. 10.
«Innerhalb der Ordnung der Wahrnehmung erregen gewiss Bild und Schrift zum Beispiel denselben Typus von Bewusstsein, und in der Abbildung liegen viele Lesearten beschlossen: ein Schema bietet sich für eine Bedeutung viel stärker an als eine Zeichnung, eine Imitation mehr als ein Original. Aber es handelt sich eben gerade hier schon nicht mehr um eine theoretische Darstellungsmethode: es handelt sich um dieses Bild, das für diese bestimmte Bedeutung gegeben wird. Die mythische Aussage wird aus einer im Hinblick auf eine angemessene Mitteilung bereits bearbeiteten Materie geschaffen.»49
Nach Barthes gehört der Mythos in eine Wissenschaft die über die Linguistik hinausgeht: in die Semiologie. Seine poststrukturalistische Position, von der aus er die Vieldeutigkeit eines Werkes betont, findet er im Guide Bleu (im bekannten Reiseführer). Dieser kennt die Landschaft kaum anders als unter der Form des Malerischen. Sich auf Andre Gide beziehend, der den alten Alpenmythos aus dem 19. Jahrhundert mit der helvetisch-protestantischen Moral in Verbindung brachte, findet Barthes im blauen Führer eine bürgerliche Rangerhöhung des Gebirges wieder, «der immer wie eine bastardhafte Mischung von Naturismus und Puritanismus wirkt (Erholung durch die reine Luft, moralische Ideen beim Anblick der Gipfel, der Auf stieg als Bürgertugend etc.)». Malerisch ist alles, was uneben ist: Unter den Landschaften, denen der blaue Führer ästhetische Existenz verleiht, findet man selten die Ebene, niemals das Plateau.50 «Als ein offenes Mythologem mit einem festen Kern und beweglichen Konturen nimmt das Alpine vieles in sich auf, was anderswo andere Etiketten trägt.»51 Bernhard Tschofen
[Joël Tettamanti: Xanadu (Madrid), 2004]
[Joël Tettamanti: Xanadu (Madrid), 2004]
Exponentiell zur Größe des Alpenanteils auf die gesamte Landesfläche, wird die Identität des Staates mehr oder vollständig in eine direkte Alpenidentifikation integriert: Die Schweiz ist zu 64,99% alpin, Österreich zu 65,52%. Neben einer europäischen Dimension der Alpen, gibt es in den einzelnen Alpenstaaten besondere Alpenmythen. Die Idee, die Bergwelt umfassend und überall in Beschlag nehmen zu können und zu müssen, ist ein Mythos, der seit dem beginnenden 19. Jahrhundert die Schweiz konstituierte und sich für die Kohärenz des Landes als grundlegend erwies.52 Die Schweiz generalisierte ihren Gründungsmythos auf die gesamten Schweizer Alpen und bereicherte es durch Elemente des romantischen Alpenbildes (freie [Joël Tettamanti: Xanadu (Madrid), 2004]
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Bergbauern=Urdemokratie), da sie mit der Herausbildung der europäischen Industriegesellschaft und der Transformation der Schweiz vom Staatenbund zum Bundesstaat (1848) eine neue staatliche Identität (gerade auch gegen die europäischen Nationalstaaten) aufbauen musste. Der Gründungsmythos der Schweiz (Rütlischwur 1291: Er enthält historische Elemente, die ideologisch wichtigen Bestandteile sind aber Legende) hängt zwar eng mit den Alpen zusammen, ist aber noch kein Alpenmythos, weil er sich auf die Inner- und Urschweiz bezieht. Während der nationalsozialistischen Bedrohung wurde dieser Mythos zum Gotthard-Mythos verdichtet.53 Indirekt in die Verfassung eingebunden, entfaltet er seither eine kontinuierliche Wirkung bis in die Regionalpolitik des 20. Jahrhunderts. Dem Mythos unterlegt ist eine isotopische Vorstellung des nationalen Territoriums, welche nicht nur auf die Kontrolle von extremen alpinen Lebensumständen ausgerichtet ist, sondern auch auf die flächendeckende Ähnlichkeit aller alpinen Orte untereinander. 54 «Es wurde nicht nur jeder Quadratkilometer des Landes kultiviert, so dass überall dort, wo Kühe stehen können, tatsächlich auch Kühe stehen; es wurden darüber hinaus in den Tälern mit großem Aufwand Bedingungen geschaffen, die letztlich für alle diese Orte vergleichbare Lebensumstände sichergestellt wurden. Was für die Schweiz des flachen Landes gilt, wurde somit auch auf die Berge übertragen. Bürger ist man, indem man an einem beliebigen Ort Wohnsitz und dort sämtliche Leistungen der Infrastruktur in Anspruch nehmen kann - von Busverbindungen und Eisenbahnanschluss über Schulen bis hin zum Gesundheitswesen.»55 Marcel Meili56
In Österreich gibt es zwar in Tirol Alpenmythen, die aber auf nationaler Ebene bis 1919 keinerlei Rolle spielten und erst wichtig wurden als sich das neue Österreich nach dem Ende des Habsburgerreiches eine eigene Identität aufbauen musste. Die ersten Ansätze in den Dreißigerjahren wurden bald abgebrochen und unterdrückt, der Aufbau des Alpenmythos fand erst in den Fünfzigerjahren statt. Da alle österreichischen Bundesländer Anteil an den Alpen haben, wurden sie als einigendes Element des neuen Österreich angesetzt («Land der Berge»). Die mangelnde Identifikation der Bewohner mit ihrem Staat wurde erfolgreich mit Anleihen aus dem romantischen Alpenbild als schönes Österreich hergestellt. Durch die Realisierung technischer Großprojekte von nationaler Bedeutung (Großglockner-Hochalpenstraße, Speicherkraftwerke Kaprun) und einer stark ideologisierten Aufwertung neuer Seilbahnen im Hochgebirge wurde das konservativrückschrittliche Alpenbild modernisiert und als heile Welt mit gelungener Synthese von Tradition und Fortschritt dargestellt.57
[Joël Tettamanti: Xanadu (Madrid), 2004]
[Joël Tettamanti: Xanadu (Madrid), 2004]
[Joël Tettamanti: Xanadu (Madrid), 2004]
[Joël Tettamanti: Xanadu (Madrid), 2004]
[Joël Tettamanti: Xanadu (Madrid), 2004]
025(02)(INSZENIERTE) AUTHENTIZITÄT
(Postmoderne) Landschaft Eng verknüpft mit der Tourismustheorie und mit den Änderungen von Sinneseindruck, Begriff und Erscheinung bezüglich Landschaft, ist die Landschaftsdefinition und -wahrnehmung selbst. Landschaft ist eine geistige Repräsentation, eine von uns geschaffene Wirklichkeit. Landschaft kommt in der Natur eigentlich gar nicht vor, weil wir Landschaften immer mit im Kopf vorgefertigten Gebilden verbinden, natürliche Landschaft mit Natur gleichsetzen, obwohl Landschaft doch das Ergebnis menschlicher Eingriffe ist. Landschaften entstehen durch Wahrnehmung und ästhetische Na turerfahrung, aber eigentlich ist auch Natur gestaltete Umwelt und damit wieder Landschaft. Landschaft ist das Ergebnis vielschichtiger Wahrnehmungsprozesse, ohne den menschlichen Betrachter gäbe es keine. 1 Mit seiner Besteigung des Mont Ventoux gilt Francesco Petrarca nicht nur als erster Alpinist oder Bergsteiger, sondern auch als Erster der Natur bewusst als Landschaft betrachtete und dem Naturbegriff die neuzeitliche Sicht gab. Ein Hirte, den Petrarca beim Aufstieg traf, versicherte ihm, dass es auf dem Berg nichts zu holen gäbe, außer zerrissener Kleidung und geschundener Glieder. Anstatt den Berg aus Notwendigkeit zu besteigen, widmete sich Petrarca diesem mühevollen Unternehmen da es sein Wunsch war, und begriff so Natur als ästhetisches Phänomen. Am Gipfel angelangt wurde Petrarca von der Weite des Blickes überwältigt: «Die Berge der Provinz von Lyon zur Rechten, zur Linken sogar der Golf von Marseille und der, der an Aigues-Mortes brandet, waren ganz deutlich zu sehen, obwohl dies alles einige Tagereisen entfernt ist. Die Rhône lag geradezu unter meinen Augen.»2 Nachdem sich Petrarca auf einen Felsen setzte um in den Bekenntnissen des Kirchvaters Augustinus zu lesen, entdeckte er dennoch unmittelbar den moralischen Einspruch gegen das lustvolle Vergnügen am Blick auf die Landschaft: «Und da gehen die Menschen hin und bewundern hohe Berge und weite Meeresfluten und mächtig daherrauschende Ströme und den Ozean und den Lauf der Gestirne und vergessen sich selbst darob.» 3 Schriftsteller und Maler erkannten Landschaft als sehens- und erlebenswert, als Spiegel der seelischen Befindlichkeit. Die Stilisierung der Landschaft findet sich noch heute im Touristen wieder und wird von der Tourismuswerbung aufgegriffen und umgesetzt. Der Tourist sieht die Landschaft, im Gegensatz zu einem Bauer oder Ingenieur, unter (rein) ästhetischen Gesichtspunkten. Natur wird betrachtet als ob sie Kunst, d.h. von Menschen geschaffen worden wäre. Was Natur ist, wird von Werbeagenturen bzw. der individuellen Erwartungshaltung vorgegeben. Wirklich sich selbst überlassene Natur erscheint dunkel und abweisend, furchterregend. Der Tourist sucht Abenteuer und Erlebnis, aber aus sicherer Entfernung. Klaus D. Hartmann vom Studienkreis für Tourismus Starnberg folgerte, dass Landschaft unter sehr subjektiven Gesichtspunkten wahrgenommen wird, dass die objektiven geografischen und biologischen Gegebenheiten einer Lokalität nur zu einem geringen Teil in diese Wahrnehmung einfließen. «Wie etwas als Landschaft wahrgenommen wird, präziser ausgedrückt: überhaupt erst zur Landschaft wird, ist von psychologischen Auslese- und Projektionsprozessen abhängig, die bestimmten Menschengruppen gemeinsam sind, aber auch individuelle Verschiedenheiten erkennen lassen.»4 Das Landschaftserlebnis ist ein wesentlicher Bereich des Tourismus. Abhängig vom Kulturkreis, dem der Tourist angehört, von seinen Wertvorstellungen und seiner Sozialisation, entwickelt er eine unterschiedliche Landschaftsästhetik, die sein Landschaftserleben, die Art der Landschaftswahrnehmung und sein daraus resultierendes Verhalten bestimmt. Entschei026(03)(POSTMODERNE) LANDSCHAFT
1 Christine Gamper: Mögliche Landschaften - über Blickrichtungen, «versteckte» Bilder und gestaltete Räume. Aus Scapes: Ermittlung der möglichen Landschaften, Bozen 2004.
5 Like Bijlsma, Terenja van Dijk, Filip Geerts: Editorial. Aus: NAi Publishers: OASE#64 Architecture and the Tourist Landscape, Rotterdam 2004.
6 Mary Shelley und ihr Ehemann Percy Bysshe Shelley verbrachten 1816 (im Jahr ohne Sommer) zusammen mit Lord Byron ihre Sommerferien am Genfer See 4 und vertrieben sich die Helmer Vogel: verregnete Zeit mit dem Landschaftserleben, Schreiben von GespenLandschaftswahrnehstergeschichten, woraus mung, Naturerlebnis, dann der 1818 veröffentNaturwahrnehmung. lichte Debütroman Mary Aus: Heinz Hahn, H. Shelleys Frankenstein or Jürgen Kagelmann The modern Prometheus (Hg.): Tourismuspsycho- entstand. Percy Shelley logie und Tourismussozio- verfasste wenig später logie (Ein Handbuch zur sein Drama Prometheus Tourismuswissenschaft), Unbound. Der Name München 1993: 56. Frankenstein geht wahrscheinlich auf die Burg Frankenstein zurück, die Mary Shelley bei ihrer Reise in die Schweiz entlang des Rheins kennen lernte. 2/3 Francesco Petrarca: Die Besteigung des Mont Ventoux (Brief an Francesco Dionigi von Borgo San Sepolcro), 1326.
7 Mary Shelley: Frankenstein, oder Der moderne Prometheus, 1818. Fassung: Reclam 1986, Seite 96. 8/9/10 Ebd., Seite 96/97/98.
[Anneliese Breitenberger. «Großer Preis» mit Wim Thoelke, 1981]
[Nikolaus Schletterer: Griessee, Wallis, 2000. 160x120cm, Diasec]
dend für die Art der Wahrnehmung sind die Erwartungen, die der Wahrnehmende an die Landschaft stellt bzw. ganze Schemata, die ganze Gruppen von organisierten Informationseinheiten repräsentieren und die zur Wahrnehmung und Identifikation von geografischen Räumen benutzt werden. 5 In Mary Shelleys Frankenstein6 versteckt sich das von Victor Frankenstein erschaffene Monster in den Bergen und der Dunkelheit der Nacht und Gewitter. Weiß Frankenstein bei seiner Heimreise von Ingolstadt nach Genf, die er auf sich nimmt um den Mord an seinem Bruder William zu betrauern, noch nicht dass Er der Mörder war, zeigen sich ihm die schneebe deckten Berge noch als «Paläste der Natur» und wecken starke Heimatgefühle: «Nur ein Einheimischer kann das Entzücken nachempfinden, das mich beim Anblick deiner Flüsse, deiner Berge und vor allem deines lieblichen Sees erfüllte.»7 Doch desto mehr er sich seiner Heimatstadt bzw. «der schwarzen Wand des Jura und dem strahlenden Gipfel des Mont Blanc» nähert, überkommen ihn die Gefühle und liest wiederum in der Natur nach dessen Ursache: «Ihr lieben Berge! Mein herrlicher See! Wie empfangt ihr einen Wanderer! Eure Gipfel sind klar; Himmel und See sind blau und unbewegt. Deutet dies auf Frieden, oder spottet ihr meines Glücks?»8 Nach einer dantesken Fahrt über den See, sucht er die Stelle auf an der sein Bruder ermordet worden ist. Und was sich ihm zuerst als Naturschauspiel darbietet («Während dieser kurzen Überfahrt sah ich Blitze über dem Gipfel des Montblanc in den herrlichsten Figuren spielen.»9), wandelt sich mit zunehmender Intensität («Das Echo wurde von Salève, dem Jura und den Savoyer Alpen zurückgeworfen. Zuckende Blitze blendeten mich, erleuchteten den See und verwandelten ihn in eine riesige Feuerfläche. Dann war einen Augenblick lang alles in pechschwarze Dunkelheit getaucht, bis das Auge sich von dem vorhergehenden Blitz erholt hatte.»), symphonisch zur Kulisse der Begegnung mit seiner eigenen Kreatur: «Ein Blitz erleuchtete die Gestalt und ließ mich deutlich seine Konturen erkennen; seine riesenhafte Statur und Ungeschlachtheit, gräßlich in ihrer Unmenschlichkeit, überzeugten mich sofort, daß es das Monstrum war, der widerliche Dämon, dem ich das Leben geschenkt hatte. (...) Die Gestalt hastete an mir vorüber, und ich verlor sie in der Finsternis. Kein menschliches Wesen hätte das reizende Kind vernichten können. Er war der Mörder.» 10 Anschließend flieht der «Teufel» zwischen den «Felsen des nahezu senkrechten Aufstiegs zum Salève», bald «hatte er den Gipfel erreicht und verschwand». Im August 1950 nahm auf einer Almhütte bei Vals eine beispiellose Hetzjagd nach dem zweifachen Frauenmörder Guido Zingerle ihr Ende, die damals die Bevölkerung von Nord- und Südtirol über Wochen in ihren Bann gezogen hatte. Der in Tschars geborene Zingerle wurde von den Medien als «Ungeheuer von Tirol» tituliert; Angst und Aufregung um den Frauenmörder erfasste damals den ganzen Tiroler Raum. Er lauerte seinen Opfern im Wald auf, verschleppte sie in Höhlen, vergewaltigte sie, deckte sie mit Steinen zu und ließ sie eines langsamen Todes sterben. Auslöser für die Hysterie und die starke Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit die dem Zingerle durch seine Taten zukam, war das starke Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung in den turbulenten Nachkriegsjahren. Die Berge und die Wälder, klassisches Refugium der Tiroler vor äußeren Feinden, durften nicht Schauplatz solcher Gräuel werden. Aber gerade dort passierte es: Auf jedem Weg, in jeder Almhütte, in jedem Stadel lauerte plötzlich Gefahr. Die Verfolgung trug dementsprechend alle Züge einer kollektiven Jagd, die weit über eine gewöhnliche Verbrecherjagd hinausging. Zingerle wurde zur blutrünstigen Bestie hochstilisiert, die Urängste freisetzt. Über die reale Be027(03)(POSTMODERNE) LANDSCHAFT
[Michael Schnabel: Stille Berge]
[Jules Spinatsch: Dischma, 1999. C-print 35/42 cm ed. 10 +1]
[Jules Spinatsch: Vals 2, 1999. C-print 35/42 cm ed. 10 +1]
[Jules Spinatsch: Snow Management/Alpine Units, 2003-2005. C-prints 80/100cm]
[Jules Spinatsch: Snow Management/Applied Landscapes, 2003-2005. C-prints 80/100cm]
drohung für arglose Wanderer und Beerenpflückerinnen hinaus wurde der flüchtige Mörder auch zum Symbol für die Gefährdung einer vor kurzem wiedererrungenen Ordnung.11 Als Zingerle in Innsbruck für seine Morde auf der österreichischen Seite Tirols verurteilt wurde, hob Staatsanwalt Dr. Hetzenauer in einem patriotisch gefärbten Plädoyer über den Mord hinaus, auch den Frevel an der Bergwelt hervor. Er bedauerte, dass es keine Möglichkeit gäbe, die Todesstrafe über den Angeklagten zu verhängen. Aus dem Zuschauerraum bekam er dafür lebhafte Zustimmung: «Für die Menschen unserer Stadt ist die mächtige und prächtige Bergwelt ein alltägliches Bild. Ist es da verwunderlich, dass die Engländerin noch am Tag ihrer Ankunft einen Spaziergang am Patscherkofel unternahm? Sie konnte ja nicht ahnen, dass der gesellschaftsfeindliche Triebmensch diese herrliche Bergwelt zu einem schweren Verbrechen missbrauchen wollte.»12 Bei der Aufregung und Angst um den Zingerle handelte es sich um eine auf die Wälder übertragbare. Dort führte er seine Morde aus, und dort versteckte er sich schlussendlich auch. Die Fahndung war die nach einer symptomatischen Gefahr, nach dem negativen Vorzeichen. Wäre er nie gefunden worden, wären Berge und Wälder, deren Wahrnehmung gerade in der Nachkriegszeit wichtige axiomatische Werte beinhalteten, damit auf unbestimmte Zeit assoziiert worden. Im Plädoyer des Staatsanwalts ging es ausdrücklich um diese Wahrnehmung, um die Sicherheit und Identität die sie der Bevölkerung gibt bzw. erzeugt und aufrechterhält. Zingerles unbestimmtes Verschwinden in den Wäldern wäre wie ein Fleck im Innsbrucker Panorama13 bestehen geblieben. «I just know I‘m gonna get lost in those woods again tonight»14
11 Heinrich Schwazer: Der Zingerle, Geschichte eines Frauenmörders, Bozen 2003.
17 Sheriff Harry S. Truman (gespielt von Michael Ontkean) wurde nach einem Mann benannt der ablehnte beim Aus12 bruch des Vulkans Mt. Ebd., Seite 153. St. Helens (1980), im Nordwesten des Bundes13 staates Washington, sein Das Innsbrucker Zuhause (die Mount Panorama zeigt Szenen St. Helens Lodge) zu aus der siegreichen verlassen und bei der Bergisel-Schlacht am 13. Eruption umkam. August 1809, in der ein Tiroler Volksaufgebot 18 unter Andreas Hofer Christian Rapp: Zwidie napoleonischen schen Naturapotheose und und bayerischen Besat- Körperkult (Eine Kurzzungstruppen besiegt. betrachtung des Genres Künstler: Michael Zeno Bergfilm). Essay zu «Kino Diemer, Franz Burger, Alpin» im Film Archiv u.a.. 10x100m, Öl auf Austria 2.12.-20.1.2004. Leinwand. http://www.filmarchiv. at/events/1203/txt01. 14 htm: 15.02.2005. Laura Palmer, in a tape to her psychiatrist made 19 the day of her death Bernhard Tschofen: Berg, Kultur, Moderne 15 (Volkskundliches aus den Twin Peaks, TV-Serie, 29 Alpen), Wien 1999. Episoden, USA 19901991. Regie: David 20 Lynch. Buch: ������������ David Werner Bätzing: Lynch, Mark Frost. Postmoderne Ästhetisierung von Natur versus 16 «Schöne Landschaft» als Andreas Rauscher: Die Ganzheitserfahrung. Aus: Metamorphosen von Hegel-Jahrbuch 2000, Lynchland. http://www. Berlin 2000. andreas-rauscher. de/david_lynch.htm: 21 25.09.2005. http://expedition.orf.at/: 01.02.2005.
Die von 1989 bis 1991 entstandene US-Serie Twin Peaks15 funktioniert als Vollendung und zugleich Verwerfung von David Lynchs Postmoderne. Twin Peaks erzählt die Geschichte des FBI-Agenten Dale Cooper und seinen Untersuchungen am Mord der Highschool-Schönheit und Homecoming Queen Laura Palmer. Dabei wird eine Kleinstadt im Nordwesten der USA nahe der kanadischen Grenze porträtiert, in der sich hinter der idyllischen Oberfläche aus malerischem Sägewerk und eindrucksvollem Wasserfall, die Abgründe des Grauens und Absurden auftun.16 In Twin Peaks ist wiederum die dichte Struktur des Waldes Blende für Missbrauch, Mord, Versteck für Leichen und illegale Drogenübergaben. Der Wald wird zum Schauplatz für Luigi Cherubinis Requiem in C-Moll. Von Dale Cooper im Pilotfilm als «Ort wo eine gelbe Ampel nicht bedeutet dass man noch Gas gibt, sondern dass man langsamer wird» beschrieben, wird Twin Peaks von den kalten und undurchdringlichen Nächten der Wälder umgeben. Eine mitten im Wald befestigte, an einer Schnur baumelnde Ampel, das Sägewerk und immer wieder der aus den Wäldern um Twin Peaks aufsteigende Nebel prägen das Gesamtbild der Serie. Die Menschen von Twin Peaks leben in schwach beleuchteten Räumen, eng von Dunkelheit und Wäldern umgeben. Der Baum auf dem Wohnsitz der Palmers scheint das Haus in Reichweite der Wälder zu halten und Dunkelheit einsickern zu lassen. Wald und Finsternis sind in Twin Peaks untrennbar - die Dunkelheit lebt in den Bäumen. Dementsprechend bieten sie Schutz und Geheimhaltung, stehen aber auch finsteren Kräften zur Verfügung. Der Eingang zur Black Lodge (Heimat des Killers Bob und eines ganzen Ensembles geisterhafter Gestalten), befindet sich in einem Wald mit dem bezeichnenden Namen Ghostwood Forest. «Die Eulen sind nicht was sie scheinen.» Die Black Lodge löst die Grenzen zwischen Innen und Außen auf.
22 Fernsehen: ORF mit Expedition zufrieden. Aus: Die Presse, 22.09.2004, Wien.
[Twin Peaks]
028(03)(POSTMODERNE) LANDSCHAFT
«Twin Peaks is different, a long way from the world... There‘s something evil out there, something very, very strange in these old woods. Call it what you want: a darkness, a presence. It takes many forms. But it‘s been out there for as long as anyone can remember...»17 �������������������� Sheriff Harry Truman
Landschaft wird in Literatur und Film sehr ambivalent verwendet. Einmal erst aus dem fragilen meteorologischen Gleichgewicht gebracht (Nacht, Winter, Unwetter/Frankenstein, Zingerle, Bob), thematisiert und repräsentiert Landschaft Angst und Undurchsichtigkeit. Arnold Fanck, deutscher (Berg)Filmpionier und gelernter Geologe, benutzte in seinen Filmen eine Rhetorik in der der Berg Partner, Schicksalsmacht oder überlegener Gegner ist. Der Mensch-Natur-Begegnung gab Fanck eindeutig den Vorzug vor der Mensch-Mensch-Begegnung. Denn Menschen müssen, selbst im Stummfilm, miteinander kommunizieren, der Dialog zwischen Mensch und Natur kann dagegen über Bilder ausgetragen werden: Geht es dem Helden übel, ziehen sich über ihm Wolken zusammen, geht es ihm wieder besser, klart der Himmel auf und helle Schneefelder bieten sich zum Skifahren an.18 «Es sind weniger die majestätischen Berge als die heimeligen, weniger die abweisenden als die einladenden. Landschaft ist streng organisiert und wird wohl dosiert verabreicht: Es ist eine konfektionierte und für die Angebote des Erlebnismarktes zurechtgemachte Natur, und sie strahlt weit aus den Berggebieten hinaus in die Täler und Ebenen. Man kann das an Baustilen beobachten, an der Dekoration der Häuser mit aufgemalten Berglandschaften, und man kann das vor allem - und dies scheint die wirkmächtigste Ebene kollektiver Geschmacksbildung zu sein - an der Gestaltung der alltäglichen Dinge beobachten.»19 Bernhard Tschofen
Im Übergang von der Moderne zur Postmoderne oder im Rahmen der Transformation der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft, die in den Fünfzigerjahren beginnt und in den Achtzigerjahren hohe Dynamik entwickelt, weicht die Bedeutung von Landschaft als Totalität, als Ganzheit, einer Ästhetisierung von ausgewählten Einzelelementen der Natur, und an die Stelle einer erlebten Naturganzheit tritt die mise-en-scène von Naturelementen zur Erzielung eines möglichst starken subjektiven Erlebnisses.20 Guido Zingerles lange Flucht verlief in direkter Linie über Berge und Täler, im übertragenen Sinne auch die ein halbes Jahrhundert später (2004) vom ORF produzierte Reality-Show «Expedition Österreich». Das Format gab vor die Distanz zwischen dem Achensee in Tirol und Wien in nur 77 Tagen Fußmarsch zu überwinden. Die Kandidaten durften sich mit Hilfe von Landkarten, Kompass und GPS von der vorgeschriebenen Route nur maximal 250 Meter entfernen, d.h. ein Korridor von 500 Metern Breite durfte nicht verlassen werden. Die Finalisten legten in fast drei Monaten eine Strecke von 387 Kilometern Luftlinie und 22.105 Höhenmeter bergauf und 22.872 Höhenmeter bergab zurück. Dabei erschwerten Hürden, wie Berge, Schluchten oder Seen den Weg erheblich.21 «Für uns ist das Projekt sehr erfolgreich ausgegangen, weil wir alle gesund sind», sagte ORF-Programmentwickler Tobias Krause am Ende der «Expedition Österreich». Quotenmäßig kamen die wöchentlichen Zusammenfassungen allerdings nur auf durchschnittlich 450.000 Zuschauer, mit einem Zielgruppen-Marktanteil von circa 23 Prozent. 22
[Twin Peaks]
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[Candida Höfer: Riesenrundgemälde Innsbruck 2004]10(Y)/2
030 (03)(POSTMODERNE) LANDSCHAFT
Landschaft und Tourismus Den Serviervorschlag, dem die Landschaft für den Tourismus zu entsprechen hat, findet man vor allem an bewusst gewählten Darstellungen, Bildausschnitten und Perspektiven, die Landschaftsrepräsentationen im visuellen Kunst- und Marketingbereich der Destinationen verlangen. Heinrich Caesar Berann (1915-1999) ist, durch die von ihm erarbeitete grafische Kombination aus der europäischen Bildkunst und Kartografie, der Begründer der modernen Darstellung von Panoramakarten. Vor allem seine Illustrationen von Skigebieten sind kartografischer Standard geworden. Berann erlangte eine eigene Technik der Landschaftsgestaltung, besonders charakterisiert durch seine unorthodoxe Art Bergzüge zu rotieren, Täler zu verbreitern und seine Auslegung der vertikalen Übertreibung. Auch das Verkehrsamt der Provinz Bozen bestellte 1954 bei Berann eine Panoramakarte die nahezu zwanzig Jahre in Gebrauch blieb. Sie stellt Südtirol aus einer ungewöhnlichen Perspektive dar: Unten im Vordergrund die Gletscher des Alpenhauptkammes, oben Gardasee und Poebene - wie auf einem Flug von Norden nach Süden. 23 Als Begründer der Panoramenkunst gilt der Ire Robert Barker, der seine Erfindung bereits im Jahre 1787 patentieren ließ. Im 19. Jahrhundert waren Rundbilder (sie waren bis zu 15 Meter hoch und 100 breit) sehr populär und entwickelten sich zum ersten Massenmedium. Unter anderem wurde auch in Innsbruck 1896 ein Rundgemälde eröffnet und von der Öffentlichkeit enthusiastisch gefeiert. Auf mehr als 1.000 m² werden die Ereignisse der dritten Schlacht um den Bergisel von 1809, in der die Tiroler die Franzosen schlugen, dargestellt. 1906 wurde es nach London gebracht und dort in der «Royal Austrian Exhibition» präsentiert. Rundgemälde verloren aufgrund des technischen und gesellschaftlichen Fortschritts an Bedeutung und die Panoramatechnik wurde durch spezielle Panoramafotoapparate in der Fotografie ermöglicht. Die touristische Landschaft ist eine durch funktionale und sozioökonomische Parameter entworfene. Das Resultat ist eine generische und neutrale Landschaft. Sie richtet sich auf die physische Erfahrung der Elemente aus, auf das Natürliche und das Sublime, nicht mehr auf eine ikonografische Wahrnehmung. Architektur kann auf zwei entgegengesetzte Weisen in diese Landschaft intervenieren. Die Erste basiert auf den Mythos der unberührten und authentischen Landschaft: In einem nostalgischen Reflex werden Architektur und die touristische Masse über die Landschaft vereinzelt, um kleiner zu erscheinen als sie wirklich sind. Das Ergebnis ist eine selbstzerstörerische Miniaturisierung der Landschaft, die ihr das wegnimmt was sie attraktiv macht: den große Maßstab und die Leere.24 Der zweite Ansatz ist eine touristische Infrastruktur die sich in einer changierenden Interaktion zwischen Gebäuden (dem mass-void) und der Umgebung positioniert. Die Architektur umrahmt die Landschaft und organisiert aktiv den Touristenstrom. Die Größe der Resorts (unausweichliche Natur des Massentourismus) trifft hier auf den großen Maßstab der Landschaft.25 Die binären Entscheidungsmöglichkeiten lassen sich überall dort lokalisieren, wo Planer mit der Integration neu gebauter Strukturen in eine virginale Landschaft konfrontiert sind. Virginie Lefebvre schildert in «Picturesque or Sublime: Flaine and Avoriaz» 26 die Entwicklung zweier Wintersportorte die aufgrund ihrer Entstehung der letzten Einordnung entsprechen. Für Lefebvre ergibt die Art wie diese die Bedürfnisse der Konsumgesellschaft erwiderten, noch eine weitere 031(03)(POSTMODERNE) LANDSCHAFT
[H.C. Berann: Alpen (Sommer), 1966-67]
[H.C. Berann: Südtirol mit Gossensaß (als Tor zum Süden) im Vordergrund]
[H.C. Berann: Cortina, 1956]
[H.C. Berann: Hakuba (Nagano), 1998]
[Avoriaz]
Unterscheidung in Malerisch und Erhaben. Avoriaz und Flaine sind beides Wintersportorte die über den plan neige (Schneeplan) der Französischen Regierung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in unbesetzter Landschaft gebaut wurden. Avoriaz veranschaulicht den Gedanken des modernen Malerischen. Die Entwickler von Avoriaz fassten eine Seilbahnanbindung an die Stadt Morzine ins Auge, um die Neuentwicklung eines entlegenen Ortes in den Bergen Hochsavoyens zu ermöglichen. Bei den Gebäuden für den auto freien Ferienort dachten sie an Beton mit Holzschindelverkleidung als Fassadenelement in Anlehnung an die regionale Holzarchitektur Savoyens. Ihre Architektur für Avoriaz vereint Symbolik mit Praktikabilität, sie setzen die Bergkulisse als Metapher ein, ahmten die Berghänge nach und bildeten so eine neue Landschaft. Bei der Erschließung dachte man ursprünglich an den Einsatz von Rentierschlitten, nach der ersten Saison liefen die Rentiere aber davon und die Idee wurde aufgegeben. Der Ferienort setzt die Topografie auf eindrucksvolle Weise ein: Er liegt in 1.800 m Höhe an einem steilen Nord-Süd gerichteten Hang, der von schroff abfallenden Felsen begrenzt wird. Die Gebäude sind Ost-West orientiert, entlang der Hauptachsen der Hänge. Avoriaz macht einen künstlichen Eindruck den Lefebvre auf eine doppelte Künstlichkeit zurückführt: Erstens der Versuch der Nachahmung der Berge, einem eindeutig unmöglichen Unterfangen, und zweitens im Bemühen, die regionale Architektur losgelöst von ihrem soziokulturellen Kontext zu duplizieren.27
[Manuel Pauli: Construire en montagne]24
032(03)(POSTMODERNE) LANDSCHAFT
23 28 Josef Rohrer: Zimmer http://www.flaine.com: frei. Das Buch zum Touri- 20.01.2005: 2. seum, Bozen 2003. 29 24/25 Éric Boissonnas: Flaine, Like Bijlsma, Terenja la création, Paris 1994. van Dijk, Filip Geerts: Aus: NAi Editorial. ��������� 30 Publishers: OASE#64 De Gaulle und Architecture and the Tour- seine Planer benützten ist Landscape, Rotterdam Hubschrauber zur 2004. Geländeauswahl von neuen Städten in der 26/27 Umgebung von Paris. Virginie Lefebvre: Picturesque of Sublime: 31/32 Flaine and Avoriaz. Aus: Ebd. 1. GAM 01 Tourismus und Landschaft, Graz 33 2004: 1. Ebd. 2. 34/35 Ebd. 1.
Das Gelände von Flaine soll vom Geophysiker Éric Boissonnas und dem Schweizer Architekten Gérard Charvez 1959 bei einer Skitour entdeckt worden sein.28 Die von Lefebvre recherchiert Geschichte (in einem Buch von Éric Boissonnas29 findet sich eine dritte Version, die allerdings Lefebvres recht nahe kommt) ist weniger romantisch, denn modern: Eric Boissonnas‘ Bruder Remy, ein Bankier, entdeckte den Bauplatz per Flugzeug. Das war damals nicht ungewöhnlich, denn das Flugzeug wurde in diesen Jahren von Planern häufig eingesetzt.30 Nach der Entdeckung des Standorts stieg Éric Boissonnas als Bauträger in das Projekt ein, bat Marcel Breuer als Architekt mitzuarbeiten und Emile Allais (dreifacher Weltmeister des ersten FIS-Rennens 1937 in Chamonix) wurde für die Planung der Pisten gewonnen.31 Mit Breuer, Inbegriff des Rationalismus, verkörpert Flaine einen vollkommen anderen Ansatz eines Wintersportortes: Die Stadt als paradigmatisches modernistisches Projekt. Das Büro Breuer beendete den endgültigen Masterplan im Jahre 1961, die Eröffnung fand schließlich 1968 statt. Flaine liegt in einem 1.600 m hohen Tal, die Berge der Umgebung steigen auf bis 2.500 m und weisen eine so komplexe Topografie auf, dass die Bauträger zum besseren Verständnis ein Modell bauen mussten.32 Das Zentrum von Flaine verteilt sich auf drei Niveaus, die durch zwei Aufzüge und zwei Fußgängerspuren miteinander verbunden sind: Flaine-Front de Neige (1.500 m), Flaine-Forum (1.600 m) und Flaine-Forêt (1.700 m). 33 Wie die Planer von Avoriaz, hatte Breuer eine autofreie Stadt mit kurzen Wegstrecken vor Augen, um Rücksicht auf jene zu nehmen, die Skier tragen. Dies führte zu einer Konzentration hoher Gebäude, im Unterschied zu den üblichen weit verstreuten Chalets. Zum anderen ging es darum die Gebäudeformen unaufdringlich mit der atemberaubenden dramatischen Kulisse der kahlen Felsvorsprünge, die das Tal an der Nordseite begrenzen, in Beziehung zu setzen. Im Gegensatz zu der vom Atelier d‘Architectur d‘Avoriaz vertretenen Position beschloss Breuer, einen Kontrast zur überwältigenden Landschaft zu schaffen. In Flaine sperren sich die Gebäude gegen den Hang und betonen so ihre Künstlichkeit.34 Flaine kostete den Boissonnas‘ 250 Millionen Francs (175 Millionen Euro). Obwohl ursprünglich eine Planungs- und Bauzeit von zehn Jahren vorgesehen war, fand am 17. Januar 1969 die Eröffnung statt. Während Avoriaz gut von den Besuchern aufgenommen wurde, reagierte die Öffentlichkeit auf Flaine nicht positiv. Breuer unterstreicht die unmenschlichen und erhabenen Merkmale der ungezähmten Berge. Die Gebäude von Flaine sind streng, die Fassaden aus roh behauenem Stein. Avoriaz spricht die Massen an, während sich Flaine weniger leicht erschließt und sich spröde gegenüber seiner Umgebung verhält. Avoriaz ist ein Versuch die regionale Architektur zu erneuern, indem Dächer als eindeutige Symbole des vom Menschen geschaffenen Objekts in den Bergen verwendet werden. Flaine lotet die Möglichkeit aus, die Landschaft mit einem modernistischen Objekt, das eindeutig künstlich ist, zu komplettieren.35 Ins Südtiroler Schnalstal kamen die ersten Skitouristen bereits nach dem Zweiten Weltkrieg, 1951 wurde der Ski-Club Schnalstal gegründet. Von 1956-64 entstanden erste Liftanlagen, die aber aus Schneemangel nicht immer in Betrieb genommen werden konnten. Bereits Anfang der Sechzigerjahre hatten eine kleine Gruppe junger Unternehmer die Absicht ein Skigebiet im Schnalstal zu errichten und gründete eine Gesellschaft mit ersten Plänen. Auch der Bauernsohn Leo Gurschler vom Kurzhof in Kurzras hatte seine Vorstellung von einem Skigebiet im hinteren Kurzras, wo er dann auch seine Lifte und ein Sporthotel baute. Seine Vision war 033(03)(POSTMODERNE) LANDSCHAFT
[Avoriaz]24
[Marcel Breuer]
[Flaine Ski Resort. Marcel Breuer, 1968]
[Hôtel Flaine. Marcel Breuer, 1968]
[Kurzras, Schnalstal]
es aber den Hochjochferner als Gletscherskigebiet zu erschließen und den wirtschaftlichen Aufschwung ins Tal zu holen. 1972 wurde sein Projekt nach Zusammentreffen von Politikern und Sachverständigen aus Südund Nordtirol von einer Kommission der Fachleute positiv begutachtet. Das Schnalstal wurde im Raumordnungsplan zu einem Schwerpunkt der Fremdenverkehrsentwicklung erklärt. Gurschler steuerte selbst einen Bagger auf der 3.212 m hohen Gradwand. Die Bergstation und die Talstation am Talschluss des Schnalstals im 2004 m hohen Kurzras wurden 1975 eröffnet und erschlossen ein 35 km langes Pistennetz. Nach Leo Gurschlers Vorstellungen sollten in Kurzras ein zehn Hektar großes Dorf mit 240 Bungalows und einem 80-Betten-Hotel entstehen. Die Landschaftskommission genehmigte aber statt mehrerer Großhotels einen «den in seiner Architektur den großen Linien der Berglandschaft folgenden» Block von drei Großbauten und reduzierte das Bauvorhaben auf nur drei Hektar. Nach dem Vorbild von Avoriaz entstanden 1981 eine Gebäudegruppe aus einem Appartementhaus und zwei Hotels mit zusammen 1.000 Betten. Die dazugehörigen Einrichtungen umfassen Aufenthaltsräume, zwei Restaurants, einen Kongresssaal, Geschäfte, Bars, eine Schwimmhalle und eine Tiefgarage. Die Konzentration ermöglichte ökologische Maßnahmen, die bei einer Verteilung der Bettenanzahl auf zwanzig herkömmliche Hotels nicht denkbar wären: eine große Tiefgarage, eine eigene Kläranlage, ein eigenes Elektrizitätswerk zur Speisung aller Licht- und Wärmequellen.36 Der Bau der Seilbahn wie auch die Hotel- und Appartementanlage wurden zum größten Teil aus Fremdkapital finanziert. Allein der erste Block kostete aber dreimal so viel wie geplant und die Kreditzinsen stürzten Gurschler in den Ruin. Auch wenn schon der Bau der Bahn viel teurer wurde als geplant und bis zur Eröffnung mehrmals ein Konkurs drohte, verkörperte Gurschler den Unternehmer mit Porsche und Hubschrauber, der Sinnbild der Unternehmergeneration im Tourismus der Siebziger wurde. Das neue Bauvorhaben führte letztlich dazu, dass 1983 sogar das Vermögen der Mutter in den Konkurs gezogen wurde und Gurschler im Alter von 36 Jahren Selbstmord beginn.37 Wenige Kilometer entfernt von Cortina d‘Ampezzo befindet sich die Feriensiedlung Corte di Cadore, die von Edoardo Gellner 1954 geplant wurde.38 Corte di Cadore ist ein von Gellner und dem Chef des E.N.I. Konzerns Enrico Mattei entwickeltes urbanistisches Konzept, das für über 6.000 Benutzer, mit einem Zentrum, Jugendeinrichtungen, Hotels etc. entwickelt wurde.39 Die eigens für die Angestellten der Ente Nazionale Idrocarburi (Nationale Gesellschaft für Kohlenwasserstoffe) entworfene Siedlung wurde zwischen 1954 (am 11. August 1958 eröffnet) und 1963 erbaut. Sie besteht aus 300 von ursprünglich 600 vorgesehenen Häusern, zwei Hotels, einer Kirche die von Carlo Scarpa entworfen wurde, einem Ferienlager, Sportzentrum, Campingplatz und mehreren Verwaltungsgebäuden. 40 Gellner entwickelte, in Zusammenarbeit mit dem Bauherren Mattei, für alle anfallenden Gebäudearten eine umfangreiche Typologie und ein Strukturmodell im Spannungsfeld von scheinbar zufälliger Verteilung der Wohneinheiten im Gelände und einer strengen, von der unmittelbaren Topografie unabhängigen Positionierung der Objekte. Als Architekt der Moderne, verwendete er Beton und Holz für seine Haustypologien, versuchte aber in der Sprache der Region zu bleiben, benutzte für die Interieurs (ähnlich den kalifornischen Architekten) Stein und Holz.41 Heute wird Corte di Cadore unter dem Namen «Corte delle Dolomiti» von einer Immobilienfirma aus Cagliari vermarktet. Sie wirbt vor allem damit, dass die über fünfhundert Objekte, fast vollständig von der Natur wieder eingenommen 034(03)(POSTMODERNE) LANDSCHAFT
39 Friedrich Achleitner: Edoardo Gellner oder die Renaissance einer Region, Turrisbabel (Trimestrales Mitteilungsblatt der 37 Kammer der ArchiJosef Rohrer: Zimmer tekten, Raumplaner, frei. Das Buch zum Touri- Landschaftsplaner, seum, Bozen 2003. Denkmalpfleger der Autonomen Provinz 38 Bozen) 9/1997: Edoardo Giovanni Dissegna: Gellner, Bozen 2003: 4. Edoardo Gellner, Corte di Cadore (Buchrezension), 40 Turrisbabel (Trimestrales Ebd. 3. Mitteilungsblatt der 41 Kammer der ArchiEbd. 4. tekten, Raumplaner, Landschaftsplaner, 42 Denkmalpfleger der Autonomen Provinz Bozen) http://www.cortedelle7/2003: Tourismus/Turis- dolomiti.it: 15.01.2005. mo, Bozen 2003: 3. 36 Architektenkammer Bozen: Architektur in Südtirol (1900 bis heute), Bozen 1993.
[Kurzras, Schnalstal]
[Corte di Cadore]
[Corte di Cadore]
[Architecture d‘Aujourd‘hui 126, 1966]24
035(03)(POSTMODERNE) LANDSCHAFT
sind und der exklusiven Lage zum Nobelferienort Cortina D’Ampezzo in unmittelbaren 10 km Nähe.42 Mit dem Projekt «Vue des Alpes» hat man die Möglichkeit, in einem fiktiven, exklusiv gerenderten Kurhotel fünf Tage lang ein Zimmer für einen digitalen Aufenthalt zu reservieren. Vue des Alpes und die umliegende Region befinden sich im autorschaftlichen Besitz von Monica Studer und Christoph van den Berg. Auf http://www.vuedesalpes.com kann man eines der neun anheimelnd ausgestatteten Doppelzimmer buchen. Die Region, in der das Hotel aufgebaut wurde, ist seit März 2000 mit verschiedenen 3DProgrammen entwickelt worden. Auf 1.600 m angelegt, bietet das 3D-Terrain circa 20 km2 Landschaft rund um einen idyllisch gelegenen Alpsee und den mittleren bis hohen alpinen Zonen nachgestaltet.43 Die Region wird durch gemappte Terrains und Updates mit weiterer Vegetation laufend ergänzt, so wie die Gleissenhorn-Seilbahn 2002: Sie verbindet den Vue des Alpes-See mit der Gletscherregion am 2.218 m hohen Seltengrat. Die Bergstation wurde neu an das bereits bestehende alte Gasthaus angebaut, von wo aus sich den Besuchern ein einmaliger Ausblick auf den höchsten Punkt der Region, das Gleissenhorn, sowie den Meschgletscher, bietet. Auf der Wetterstation am Seltengrat werden neben den meteorologischen Tagesmessungen auch verschiedene Wettersituationen mit der Panorama-Kamera eingefangen und im Netz ausgestrahlt.44 Der Entwurf des Kurhotels Vue des Alpes ist ganz im Stil eines Sporthotels der Sechzigerjahre gehalten. Die äußere Materialisierung wurde mit Bruchstein-Mappings für den Sockel sowie mit Texturen für hellblauen Putz, dunklen Holzriemen und Riffelglas beim Gebäude selbst visualisiert. Die Gäste des Vue des Alpes werden in neun komfortablen Doppel/Einzelzimmern von 13.5 m2 untergebracht. Jedes Zimmer hat eine große Terrasse mit Aussicht auf die Bergwelt und den See. Besuchern steht im Erdgeschoss der repräsentative Speisesaal und eine gemütliche Lounge mit Bar für den geselligen Aufenthalt zur Verfügung.45 Die Schweiz präsentierte sich 2005 auf der EXPO in Japan mit dem Projekt «Der Berg». Entworfen wurde die fiktive Bergkette (circa 35x24x8.4m) von Christoph van den Berg und Monica Studer. Das Innere des Schweizer Pavillons war als Alpenlandschaft mit Berg inszeniert. Die Besucher wurden mit einer speziell entwickelten intelligenten Armee-Taschenlampe durch den Pavillon geführt, die Erklärungen zu den Exponaten abgab, sobald sie diese beleuchten. Die vier Ausstellungsräume befanden sich in Tunnels im Inneren des Berges. Während in einem Raum sämtliche Klischees über die Schweiz als Alpenland bedient wurden, wurde in den drei anderen Ausstellungsräumen das Bild einer modernen und visionären Schweiz vermittelt.46
1/2 43/44/45 http://www.vuedesalpes. Hans Heiss: Zentralraum Wirtshaus. Aus: com/: 10.01.2005. Geschichte und Region/Storia & regione, 10. 46 Jahrgang, 2001, Heft 2: http://www.presence. Reisen im sozialen Raum, ch/d/500/502.php: Innsbruck/Wien/Mün20.08.2005. chen/Bozen, 2001. 3 Hermann Delugan: Versuch einer Anknüpfung an städtebauliche und bauliche Entwicklungen der Jahrhundertwende in Südtirol - Am Beispiel Meran. Aus: Paul Preims: Arunda 8+9, Architektur in Südtirol ab 1900, Meran 1979: 1. 4 Josef Rohrer: Zimmer frei. Das Buch zum Touriseum, Bozen 2003: 2. 5 http://www.expo2000. de/expo2000/geschichte/detail.php?wa_ id=7&lang=2&s_ typ=20: 10.05.2005. 6 Ebd. 2.
[Das Entwurfsmodell des Hotel Vue des Alpes]
[Der Berg. Weltausstellung 2005, Schweizer Pavillon. Aichi, Japan.]
[Der Berg. Weltausstellung 2005, Schweizer Pavillon. Aichi, Japan.]
036(03)(POSTMODERNE) LANDSCHAFT
(Süd)Tiroltourismus Tirol war dank seiner günstigen Verkehrslage seit dem Mittelalter die wichtigste Schnittstelle des transalpinen Transitverkehrs. Auch wenn der Alpenhauptkamm im Tiroler Raum mit 250 km seine größte Breite erreicht, ist er von dem geringen Höhenniveau der Passsysteme begünstigt und die Erosionskraft der Flüsse Etsch und Eisack, die direkt am Alpenhauptkamm entspringen, bahnt dem Verkehr einen natürlichen Weg. Die Verkehrsgunst des Landes förderte in der Grafschaft eine frühe Entstehung von Gasthöfen. Durch die gleichzeitige Integration und Segregation unterschiedlicher sozialer Gruppen im Wirtshaus erlebten seine Besucher konkrete Vorstellungen sozialer Ordnungen und Tableaus mit vorgestellten Gemeinschaften. Zeitgleich verfestigte der soziale Raum des Gasthofs nicht nur bestehende gesellschaftliche Vorstellungen, sondern entlastete die Gäste auch von ihrer jeweiligen sozialen Position.1 Die Wirtshäuser dienten 1809 bei der Erhebung Tirols gegen die bayerische und napoleonische Herrschaft als konspirative Treffpunkte.2 Die Freiheitskriege und die Heldentaten des «Sandwirten» Andreas Hofer lenkten große Aufmerksamkeit auf die Alpenregion. Deutsche und englische Dichter schrieben über das Land und machten es auch als Reisedestination bekannt. Die Romantik nahm die Furcht vor den Bergen, die Natur wurde besinnlich und schön. Als gegen Mitte des Jahrhunderts die Europäer begannen auf Kuren zu fahren, wandelten sich einige Städte schnell, um den neuen Ansprüchen zu entsprechen. In Südtirol wurde vor allem Meran bekannt, das wegen des bekömmlichen Klimas aufgesucht wurde. Der immer stärker werdende Fremdenverkehr war ab 1855 der Grund für städtebauliche Erweiterungen. Aber auch anderswo in Europa entstanden und entwickelten sich Kurorte, Städte für die Freizeit, als Folgeerscheinung des einsetzenden Wachstums der Industriestädte, gewissermaßen als integrierter Bestandteil derselben. Städte wie Meran entwickelten sich zu Ablegern der Großstädte und wurden durch einen selektiven Tourismus stark geprägt.3 Parallel wurden die Brennerstraße ausgebaut und um 1860 allmählich alle wichtigen Bahnstrecken fertig gestellt, 1867 auch die Strecke über den Brenner. Die Berge selbst wurden durch die Alpenvereine zum Erlebnisraum. Auf der Weltausstellung 1893 in Chicago präsentierte sich Tirol mit einem Gletscherdiorama, für das der bayerische Maler Michael Zeno Diemer beauftragt wurde, erstmals als Tourismusziel.4 Zeitgenossen beschrieben das elektrisch beleuchtete Alpenpanorama als künstlerischen Höhepunkt, der die Besucher mit Kuhglocken, Gebirgshörnern und Jodlern am Eingang anlockte und im Inneren mit elektrischen Windmaschinen in Sturmhöhen versetzte. 5 1900 wurde auf der Pariser Weltausstellung vor den Eiffelturm ein Chateau Tirolien gesetzt: ein Nachbau des Ansitz Thalegg in Eppan. 1904 präsentierte sich Tirol in St. Louis mit der Rekonstruktion eines ganzen Dorfes mit Höfen aus allen Teilen der Region, einem Schloss, elektrischen Eisenbahnen, Wasserfällen und einer Statue von Andreas Hofer.6 In Tirol entstanden ab 1900 die ersten Grandhotels, Promenaden und Villen. Doch 1918 verlief die Kriegsfront direkt durch das Ferienland: Hotels wurden als Lazarette umfunktioniert, andere durch Bombentreffer beschädigt. Nach Kriegsende war Tirol geteilt und Südtirol wurde für Italien neues Feriengebiet. In den Zwanziger- und Dreißigerjahren weckte der deutsche Bergfilm von Regisseuren und Darstellern wie Arnold Fanck, Luis Trenker und Leni 037(04)SERVIERVORSCHLÄGE
Riefenstahl von neuem die Begeisterung für das Gebirge. Klettern und Wandern wurden populär, das Skifahren eröffnete eine zweite Saison. Aber der kurze Aufschwung wurde durch den Zweiten Weltkrieg schnell beendet: Jüdische Gäste wurden interniert oder vertrieben, die Südtiroler wanderten nach der Option aus. Die Hotels füllten sich erneut mit Flüchtlingen und Verwundeten der Front. Nach Ende des Krieges sehnte man sich wieder nach Freiheit. Das Wirtschaftwunder ermöglichte es allen sozialen Schichten zu verreisen. Die heile Welt war das Ziel und ein Jahrzehnt später drangen die Touristen bis in die hintersten Täler vor, Autos brachten neue Mobilität. In den Sechzigerjahren erkannten viele Südtiroler Bauern im Tourismus eine neue Chance und richteten Fremdenzimmer ein. Das Privatleben ging dadurch verloren, aber die familiären Kleinbetriebe gefielen umso mehr durch ihre Gastfreundschaft. Die von Guy Debord beschriebene neue künstliche Bauernschaft (die Kräfte der geschichtlichen Abwesenheit) begann ihre eigene exklusive Landschaft zusammenzustellen, da die Geschichte, die es in den Städten zu befreien galt, in ihnen noch nicht befreit worden war.7 Zwischen 1956 und 1969 kam es in Südtirol zu einer Serie von Bombenattentaten, um die versprochene Autonomie von Italien einzufordern. 1961 wurden in der Herz-Jesu-Nacht (11. Juni) 37 Hochspannungsmasten gesprengt. Auch wenn sich mit den Anschlägen «ein mitteleuropäisches Ferienparadies über Nacht in einen Partisanenkriegsschauplatz zu verwandeln schien» gingen ausschließlich die Übernachtungszahlen der italienischen Gäste zurück. Die Übernachtungen von Ausländern nahmen trotz starker Militärpräsenz, strenger Grenzkontrollen und der vorübergehenden Wiedereinführung der Visumspflicht für Österreicher sogar zu.8 Die Zahl der Übernachtungen verdreifachte sich zwischen 1960 und 1970 auf über 10 Millionen. Aus den Bauernhöfen wurden Bettenhochburgen und stille Dörfer zu Touristenzentren. Trotz stark steigender Energiekosten wurden die Siebziger in Südtirol zum Jahrzehnt der Swimmingpools. Gemeinden, Hotels und Garnis verbesserten ihr Angebot durch neue Frei- und Hallenbäder. 1974, kurz nach der ersten großen Ölkrise, standen allein im Gastgewerbe 688 Schwimmbecken zur Verfügung, Zweidrittel davon waren beheizt. Bis 1977 stieg die Zahl der Schwimmbecken auf beinahe 1.000, nie entstanden so viele Schwimmbäder wie in den Jahren der stärksten Ölverteuerung.9 1980 überschritt Südtirol die Zahl von 20 Millionen jährlichen Übernachtungen, heute sind es 25 Millionen.
7 Guy Debord: Die Gesellschaft des Spektakels, Paris 1967. 8/9 Ebd. 2.
11/12/13 Ebd. 2. 14 http://www.suedtirolmarketing.info/: 15.02.2005.
15 10 Landesmuseum Schloss Stefan Zweig: Herbst Tirol: Gruss von Schloss Winter, 1913. Tirol. Historische Fotogra16 fien und Ansichtskarten, Hans Heiss: Magie und Bozen 2003. Mythos. Aus: ff Südtiroler Wochenmagazin vom 24. März 2005, Nr. 12: 3.
[Gesprengter Hochspannungsmasten, 1961]
[Europabrücke, 1963]
Serviervorschläge In den Fünfzigerjahren brachte die Firma Agfa eine Fotowanderkarte auf den Markt, in der die jeweils besten Plätze zum Fotografieren einer Region eingezeichnet waren. «Dem Ortsfremden gibt sie die Gelegenheit, seine Ferien als Photoamateur bestens zu nutzen; ein Blick in die Karte, und er sieht schnell und übersichtlich, wo es etwas zu fotografieren gibt, von welcher Dauer seine gewählten Photo-Wanderungen sind und wann ihm das richtige Photolicht zur Verfügung steht.»10 Lange blieb umstritten, ob Südtirol neben dem staatlichen Tourismusamt ENIT eine eigenständige Auslandswerbung betreiben dürfe, erst 1972 wurde dies mit dem in Kraft tretenden Autonomiestatut endgültig geklärt. Nach dem Untergang des Faschismus 1944 war das Verbot des Namens «Südtirol» ursprünglich aufrecht geblieben. Man wich auf die Doppelbezeichnung «Dolomiten/Tiroler Etschland» aus; 1951 durfte «Südtirol» in 038(04)SERVIERVORSCHLÄGE
[Törggelen in Südtirol/Italien, circa 1970]4
[Postkarte, circa 1980]4
Klammern auf einer Broschüre erscheinen, 1957 gleichberechtigt neben «Tiroler Etschland», 1969 verschwand der Ausdruck «Tiroler Etschland» (die wörtliche Übersetzung von Alto Adige) ganz.11 1976 fand der Wechsel vom Landesfremdenverkehrsamt (das der ENIT unterstand) zum Landesverkehrsamt statt. Mit dem Plan Tourismusorte zur Bildung regionaler Marken zu zwingen, wurde eine einheitliche Werbelinie durchgesetzt. Anfang der Achtzigerjahre gab das Landesverkehrsamt bei einer Münchner Agentur eine corporate identity in Auftrag, die künftig das Auftreten Südtirols auf dem Tourismusmarkt einheitlich bestimmen sollte. Zum Erkennungszeichen für Südtirol wurde ein gelber Streifen - Symbol für den Sonnenschein. 12 1992 wurde das Landesverkehrsamt von der «Südtirol Tourismus Werbung» (STW) abgelöst. Mit dem Wechsel zur STW trat eine Änderung ein, die bezeichnend für ein neues Südtiroler Selbstverständnis war. Im Logo verschwand der Untertitel «Dolomiten», an seiner Stelle erschien auch auf den deutschen Prospekten das italienische «Italia». Das neue Logo setzte auf eine Mischung aus deutscher und italienischer Kultur, die Südtirol vom Konkurrenten Nordtirol unterscheiden sollte.13 Die Bündelung der Werbetätigkeit, die seit 1992 für das gesamte «Produkt Südtirol» initiiert wurde, erreichte man 2000 mit der Gründung der Südtirol Marketing Gesellschaft (SMG), der offiziellen Dachorganisation des Südtiroler Tourismus. Ihr Ziel ist die Vermarktung Südtirols als touristische Destination im In- und Ausland in enger Zusammenarbeit mit den Tourismusorganisationen, Produktpartnern und Wirtschaftsverbänden im Hinblick auf die Dachmarke Südtirol. Neben der Bewerbung der Hauptmärkte Deutschland und Italien, ist es Aufgabe der SMG neue Märkte zu erschließen und die entsprechende Destinationsgesinnung zu schaffen.14
[Urlaubsparadies Pustertal, Südtirol (Dolomiten-Italien). Plakat, circa 1980]4
[Hotelprospekt 1975]4
«Norden und Süden, Stadt und Landschaft, Deutschland und Italien, all diese scharfen Kontraste gleiten sanft ineinander. Selbst das Feindlichste scheint hier gesellig und vertraut.»15 Stefan Zweig
Mit diesem Zitat aus einem Buch des österreichischen Schriftstellers Stefan Zweig, wurde 2005 «Magie der Vielfalt» präsentiert, der Katalog der Südtirol Marketing Gesellschaft. Mit einer Auflage von 90.000 Stück erschien er kurz vor der Leipziger Buchmesse und sollte die Leser der Bundesrepublik erreichen.16 Der Südtiroler Landtagsabgeordnete und Dozent für Zeitgeschichte Hans Heiss widmete weniger dem Werbemittel denn dem «flächendeckenden Identitätsbildner» ein Essay in der Südtiroler Wochenzeitschrift FF. Die «Magie der Vielfalt» entwirft ein neues Südtirol-Bild. Der Katalog besteht aus Bildsequenzen die mit Kurzgeschichten, Geschichte, Information und Lyrik untermalt werden. «Die Gattung verknüpft Gefühle und Einsicht, Attraktion und Darstellung zu einem emotiven Szenario. Bewegte Bilder, die die Fantasie der Betrachter antreiben, seine Gefühle kurz aktivieren, in einem Bad schneller Sachinformation wieder abkühlen, um dann den Blätternden sofort wieder durch neue Bilderfolgen zu tragen, bis er in ein Stadium wohliger Regression abtaucht.» Hans Heiss
Die Broschüre entspricht dem Dachmarkensatz: Südtirol ist «die kontrastreiche Symbiose aus alpin und mediterran, Spontaneität und Verlässlichkeit, Natur und Kultur», wie der SMG-Direktor Christoph Engl bei der Pressekonferenz anlässlich der Erscheinung erklärte. Es handle sich um ein emotionales Medium, welches die Begehrlichkeit für Südtirol steigern soll und alle Aspekte dieser Destination wiederspiegelt: Spracheigenheiten, Landschaften von alpin bis mediterran, Brauchtum und vor allem auch Produkte. «Geschichten über das Watten im Dorfgasthaus kommen genauso 039(04)SERVIERVORSCHLÄGE
[Hotelprospekt 1975]4
[Südtirol/Dolomiten-Italien, 1981]4
[Familie Reiterer, Hotel Viertlerhof ***, Hafling]
vor wie Bergsteigerlegenden, die alpin-mediterrane Küche, die Haflingerpferde, die Autonomie, Design und Architektur oder modernes Stadtleben». 17 Dem Betrachter präsentiert sich beim Blättern ein Land, das in sinnlicher Unmittelbarkeit erlebbar ist. Aber wie Heiss beobachtet, eröffnen sich nur wenige Bergpanoramen und Gipfelblicke aus der dominanten Obersicht in klassischer Eroberer-Manier des Erstbesteigers, stattdessen wird der Mensch, mitten in die Landschaft gestellt, zum Element von Wiese und Weinberg. Diese Optik verwandelt den Betrachter in ein Stück «atmende Natur, sie kappt radikal die Distanz zum Beschauten und will Objekt und Beschauer fallweise zur Einheit verschmelzen». Heiss entdeckt in dem auch in italienischer, englischer und niederländischer Sprache erschienenen Katalog die Voyeurs-Perspektive als wichtigste Ebene, in die der Betrachter gezogen werde.18
17 Pressemitteilung der Südtirol Marketing Gesellschaft SMG vom 09.03.2005 18/19 Ebd. 3.
«Natur ist nicht mehr für sich, sie ist gestaltet, geschaffen, konstruiert, in Wirklichkeit und Wahrnehmung. Diese Einsicht strahlt auch auf die Südtirolwerbung ab, die mit einer entsprechenden Naturrepräsentation reagiert. Es gibt weder unberührte Natur noch Landschaft, sie alle tragen Spuren der Zivilisation und der Benutzung. Nur drei Bergmassive sind wie am Tag der Schöpfung aufgenommen, Sella, Ortler und Rosengarten. Neben diesen Ursprungsmythen sind alle anderen Naturausschnitte als zivilisatorisch erschlossen markiert, oft nur mit einem Schuh, einem Gipfelbesteiger oder als leicht überdüngte Wiese.» Hans Heiss
23 Marc Angélil: Architektur ge-brand-markt. Aus: archithese, Zeitschrift und Schriftenreihe für Architektur, 6.2003 Branding, 33. Jahrgang, Zürich.
[Die Magie der Vielfalt]
[Die Magie der Vielfalt]
59 Prozent der Südtiroler Gäste kommen aus Deutschland, der Durchschnittsgast ist 53 Jahre alt. Er überschneidet sich altersmäßig damit recht gut mit dem Durchschnittszuschauer volkstümlicher Musiksendungen, die sich bestens als Werbeplattform für den Fremdenverkehr eignen und bis zu sieben Millionen Menschen erreichen. 2001 und 2002 strahlten ARD [Die Magie der Vielfalt]
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21 Ebd. 2. 22 Ebd. 4.
«Voyeur-Sein bedeutet, sich an einer Szene der Intimität weiden und doch sicheren Abstand halten zu dürfen: Dabei zu sein am Tisch mit kartenden Bauern, aber unbemerkt von ihnen, begrüßt von einer Radlergruppe, aber in freundlichem Abstand, eine Prozession aus der Nähe zu beobachten, ohne mitbeten zu müssen. Die komprimierten Bildausschnitte folgen exakt der Voyeursoptik. Blicke verknappen zu Emotionen, zu kurzen Flashes: das Leuchten eines Wasserspiegels, Designer-Schuhe im Schaufenster, ein soeben aus Öl geborenes Tirtl, ein Arrangement Bruschette vor einer schwimmenden Frauenkontur, Schneegleiter in harmonischer Bewegung. Vieles von unten, aus der Sicht der Überwältigung, daher zeigt «Magie der Vielfalt» Menschen selten ganz, sondern oft als Körperausschnitte, vor allem als Beine, als Metaphern der Mobilität.» Hans Heiss
Heiss erkennt das in «Magie der Vielfalt» präsentierte Südtirol als Nullzone einer globalisierten Welt, als Sonnenseite der Globalisierung. Es verschmelze «harmonisch Gegensätze, in einem Land das nicht harte Alternativen oder Entscheidungen abverlangt, sondern eine Fülle von Optionen bietet: Deutsch oder Italienisch, Stadt oder Land, Mediterranes oder Hochalpines, regionale Bodenständigkeit oder Weltläufigkeit». In Südtirol habe die Postmoderne überlebt, in der Harmonie der gastronomischen Freuden, der Vielfalt der Sprache, der Polyphonie der Kulturen. Trotzdem handle es sich um eine gebrochene Südtirol-Vision. «Magie der Vielfalt» fährt einen Slalom der Vermeidung, muss Bildausschnitte mit Bedacht wählen um nicht inmitten von Landschaftsdesaster zu landen. Die Zersiedelung und der anschwellende Verkehr werden in den Bildausschnitten geschickt umgangen, es gibt keine Andeutung eines Autos, keine Spur einer Autobahn oder Umfahrung, keine Probe neuer Hotelarchitektur, kein einziges Skikarussell.19
20 Hansjörg Gasser: Operation «EdelweißTattoo». Aus: Die Zeit, 25.09.2003 Nr.40, Hamburg: 4.
und ZDF 16 solcher in Südtirol spielenden Produktionen aus, an deren Kosten sich die SMG beteiligte.20 2002 förderte sie den «Grand Prix der Volksmusik» in Meran mit 55.000 Euro. 21 Zur Betreuung durch die SMG gehört die Unterbringung in den besten Hotels, das Erteilen von Fahrgenehmigungen auf Forst- und Bergstraßen, Hubschrauberflüge in den frühen Morgenstunden oder die Mobilisierung von ganzen Musikkapellen und Schützenkompanien. Im Gegenzug haben die Touristiker ein Mitspracherecht bezüglich der Drehorte. Außerdem versuchen sie, bestimmte wiedererkennbare Begriffe ins Drehbuch und Bilder vor die Kamera zu bringen. Die SMG hat dafür eigene Datenbanken angelegt: «Durchatmen und genießen», «300 Sonnentage im Jahr», «mediterranes Klima in Meran», «Dolomiten» statt «bleiche Berge». Weil allerdings die neue Zielgruppe der Südtiroler Tourismusstrategen zwischen 29 und 49 Jahre alt ist, lehnt die SMG auch vermehrt einzelne der zahlreichen Anfragen von Produktionsfirmen ab. Stattdessen soll künftig mehr die Präsenz in Abenteuer-, Reiseoder Aktivsportbeiträgen erreicht werden. Mit teuren, 20 Sekunden langen Fernsehspots wird parallel dazu die breite Masse angesprochen. Doch auch wenn die SMG, die Südtirol als Einheit bewirbt, weniger volkstümliche Musiksendungen anpeilt, haben die Tourismusvereine im Eisacktal, im Pustertal oder an der Eppaner Weinstraße ihre eigenen Kontakte zu Sendern und Produktionsgesellschaften.22 Co-Branding ist die Fähigkeit Bild zu sein und politischen und wirtschaftlichen Interessen zu dienen. Haben sich bestimmte Muster bewährt, werden sie immer wieder angewendet. Das Prinzip der Wiederholung führt zur Konvention. Mit disziplinarischer Konsequenz legt sie das gesellschaftliche Verhalten, die Mechanismen des Alltags, die Gestaltung der Umwelt fest. Das sukzessive Eindringen marktwirtschaftlicher Beziehungen in den gesamten gesellschaftlichen Bereich bestimmt auch immer den Raum und dessen Strukturen im ideologischen und auch physischen Sinn: den ethischen, sozialen, ökonomischen Raum, denjenigen der Privatsphäre und auch den urbanen öffentlichen Raum. Diese Räume sind nicht a priori gegeben, sie entstehen aus einem Prozess der Produktion. In diesem Zusammenhang spricht Henri Lefebvre in seinen Erforschungen zur Relation zwischen gesellschaftlichen Strukturen und den der baulichen Umwelt von einer Produktion des Raumes. Zunehmende Privatisierung gemeinnütziger Einrichtungen und der damit zusammenhängende Verlust des öffentlichen Raumes erzeugen dabei eine Homogenisierung vorherrschender Gesellschaftsformen, die kulturelle Vielfalt durch Einheitlichkeit ersetzt. In einer solchen Situation kann der Anspruch auf Autonomie der Architektur kaum aufrechterhalten werden. Rem Koolhaas sieht eine Auflösung ihrer Grenzen, hervorgerufen durch strategische Allianzen mit dem bis anhin aus dem Fachdiskurs ausgeklammerten Bereich der Ökonomie. Dies führt unweigerlich zu einer Kontamination der Disziplin. Die Mechanismen des Kapitals (¥€$), die an der Bildung unserer Umwelt teilhaben, sind mit jenen der Architektur identisch.23 «Globalization turns language into Junkspace. We are stuck in a speech-doldrums. The ubiquity of English is Pyrric: now that we all speak it, nobody remembers its use. The collective bastardization of English is our most impressive achievement; we have broken its back with ignorance, accent, slang, jargon, tourism and multitasking... we can make it say anything we want, like a speech dummy... Through the industrialization of language, there are too few plausible words left; our most creative hypotheses will never be formulated, discoveries remain unmade, concepts unlaunched, philosophies muffled... We inhabit sumptuous Potemkin suburbs of weasel terminologies... Abberant linguistic ecologies sustain virtual subjects in their claim to legitimacy, help them survive... Language is no longer used to explore, define, express, or to confront but to fudge, blur, obfuscate, 041(04)SERVIERVORSCHLÄGE
[Die Magie der Vielfalt]
[Die Magie der Vielfalt]
[Die Magie der Vielfalt]
[Die Magie der Vielfalt]
[Die Magie der Vielfalt]
apologize and comfort... it stakes claims, assigns victimhood, preempts debate, admits guilt, fosters consensus. Entire professions impose a descent into the linguistic equivalent of hell: condemned to a word-limbo, inmates wrestle with words in ever descending spirals of pleading, lying, flattening, bargaining ... a Faustian/satanic orchestration of the Rem Koolhaas meaningless...»24 ������������
Tourismus und Sprache haben gemeinsam, dass sie sich mittels eines Systems von erzeugten Symbolen ausdrücken. Sprache als Zeichensystem kann sich über die Übermittlung von geistigen Vorgängen hinaus auch an der Beschaffenheit dieser geistigen Konzepte (Wünsche, Gedanken) konstitutiv beteiligen. Tourismussprache ist Medium der Repräsentation bzw. Zustellung mentaler Entitäten (Konzepte, Begriffe), wobei letztere als unabhängig von der Sprache gedacht werden. Repräsentationsbeziehungen sind sozusagen keine sekundären Systeme zur sozialen Realität, sondern das primäre Terrain zur Begründung einer bestimmten Form des Sozialen. Man kann die Diktion des Tourismus als künstliche (formale) Sprache verstehen. Formale Sprachen sind mit Mitteln von Logik und Mengenlehre beschreibbar (aufzählbare Menge der Basisausdrücke, Regeln der Komposition, wohlgeformte Ausdrücke), eine vollständige Rekonstruktion einer formalen Sprache ist allerdings nicht möglich, denn auch die Logik ist aus der natürlichen Sprache abgeleitet. Die touristische Sprache legitimiert im Gast eine latente, semiologisch-selektive Legasthenie, in dem Sinne, dass der auditiven und visuellen Wahrnehmung und Verarbeitung der Sprache und vor allem der Phonetik zuvorgekommen wird. Ein Tourist lebt in Sequenzen und nimmt, wie in der «Magie der Vielfalt», seine Umwelt differenziert wahr. Seine Aufmerksamkeit lässt nach, wenn er auf Symbole (wie Buchstaben oder Zahlen) trifft, da er sie durch seine differenzierten Teilleistungen anders empfindet als «nicht legasthene Menschen». In diesem Sinne entwickelt die touristische Sprache Strategien und Techniken mit denen sie versucht sich im inneren Bildschirm des Gasts zu verankern. Als Therapiemethode bei Legasthenie wird oft die Neurolinguistische Programmierung (NLP) als sinnvoll erachtet. NLP geht davon aus, dass bei einer Legasthenie innere Prozesse dadurch gestört werden können, dass äußere Reize bestimmte Empfindungen auslösen, welche durch innere Bilder oder Gefühle überlagert sind. Ein sehr zentrales Instrument im NLP ist die bewusst erlernbare Fähigkeit zum Gegenüber Rapport («einen Draht») herzustellen. Rapport wird durch die intuitive oder bewusste Anwendung von Führung und Anpassung im Gespräch hergestellt. Zwei Elemente bilden den bewusst angewandten Rapport in der NLP: Pacing spiegelt den Kommunikationspartner und basiert auf der Erkenntnis, dass sich Menschen, die sich gut verstehen, angleichen (unter anderem in Tonfall, Lautstärke, Sprechtempo, Körperhaltung, Distanz, Direktheit des Auftretens) und Leading eröffnet neue körpersprachliche oder tonale Signale. Das der Tourismus in seinem Sprachgebrauch wirklich einer neurolinguistischen Praxis nahe liegt, die legasthen rezipiert wird, müsste ein Linguistiker verifizieren. Aber eine Dissoziation zweier Sprachgebräuche setzt sich ohne Zweifel als schizophrener Sprachgebrauch fort. In Südtirol sind über dies hinaus die Sprache des Tourismus und die domizilierte Sprache (der Dialekt) de facto zwei verschiedene, mit klar ablesbaren Nuancierungen. Mit dem Gast, dem hier unterstellt wird sich in einem Zustand entspannter Legasthenie zu befinden, wird auf Hochdeutsch, Italienisch, Französisch oder Englisch kommuniziert. Doch die wirkliche Sprache des neurolinguistisch programmierten Gastronomiepersonals ist der Südtiroler Dialekt bzw. Ladinisch oder Italienisch, weiters beim saisonalen Personal keine der legas042(04)SERVIERVORSCHLÄGE
24 Rem Koolhaas: Junkspace. Aus: Chuihua Judy Chung/Jeffrey Inaba/Rem Koolhaas/Sze Tsung Leong(Hg.): Harvard Design School Project on the City 2/The Harvard Design School Guide to Shopping, Köln 2002: 5.
25 Ebd. 2. 26 Für den in Meran ab 1855 einsetzenden Tourismus des europäischen Adels (und der Zuwendung des Österreichischen Kaiserreichs) war die Namensgebung der damals entstehenden Großhotels bezeichnend: Kaiserhof, Palasthotel, das geplante Majestic Hotel. In den Siebzigerjahren des 20. Jahrhunderts zeichnete sich eine verloren gegangene Überschaubarkeit der immer unwirtlicher gewordenen Groszstädte ab, aber auch der Identitätsfindung. Etymologisch Wiesengrund, Sonnenblick, Alpenrose, Tirolerhof, etc.: Die Wertvorstellungen der Großstädte bestimmten das Bauen und das Tirolerhaus, welches mit dem eigentlichen nichts mehr zu tun hatte. Rousseau plädierte für die Zuwendung zum einfachen Leben, zur Hütte, es wurde die Hütte mit Hallenbad daraus. 27 Ebd. 5. 28 «Mike» ist Teil einer Plakatserie von Mario Pruner, die erstmals 2003 in der Ausstellung «Ach, Himmel es ist verspielt» im A9 Forum Transeuropa (Wien) zu sehen war. Es assembliert Erinnerungsfragmente eines Südtirolaufenthalts des Künstlers. Die Rekonstruktion verschmilzt mit allgemeinen Bildern, Glücksvorstellungen und utopischen Lebensentwürfen zu einer konstruierten privaten Welt. Das Erinnerungsobjekt selbst wird zum Gegenstand der Sehnsucht.
thenen Autosuggestionsgäste. Stringent dazu lässt sich auch in der zitierenden Architektur der Symbolismus der Sprache eruieren. 1973 nahm die Redaktion des Duden das Wort «Törggelen» erstmals in ihre Wörterbücher auf. Das Törggelen wurde Mitte der Sechzigerjahre als spätherbstliches Urlaubsvergnügen vom Landesverkehrsamt lanciert um die Saison zu verlängern. In deutschen Reisebüros hieß es, unter einem so schwierigen Begriff könne sich niemand etwas vorstellen. 1965 überredete das Verkehrsamt dennoch mehrere Gastbetriebe um Bozen zu einem Pauschalprogramm: eine Woche lang wurde jeden Nachmittag unter der Führung eines Angestellten des Amtes eine Wanderung zu einem Buschenschank unternommen; dort spielte die Musik auf, jede Törggelewoche endete mit einem Brauchtumsabend. Im folgenden Jahr wurde die Aktion auf Brixen erweitert, dann auf das Burggrafenamt. Reiseveranstalter in Deutschland und Österreich zeigten nun doch Interesse, Prospekte und Plakate wurden gedruckt, Reisejournale schrieben begeisterte Berichte, und bereits 1970 kamen Zehntausende zu Kastanien und neuem Wein ins Land, zugleich aber wurden die Auswüchse (Grölen und Massenbesäufnisse) zum Sinnbild für den überbordenden Massentourismus.25/26 «Language is not the problem, just the new frontier of Junkspace. Mankind, torn by eternal dilemmas, the impasse of seemingly endless debates, has launched a new language that straddles unbridgable divides like a fragile pedestrian designer‘s footbridge... coined a proactive wave of new oxymorons to suspend former incompatibility: life/style, reality/TV, world/music, museum/ store, food/court, health/care, waiting/lounge. Naming has replaced class-struggle, sonorous amalgamations of status, high-concept and history.»27 Rem Koolhaas
[Mario Pruner: Mike, 2003. Plakat, 42x59,4cm]28
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[Josef Feichtingers «Saligtyrol». Plakat, 2005]
044ALPINERER ARCHITEKTUREN
____________________________________________________________________________________________________ 01 BESIEDLUNG Die geografische Beschaffenheit Südtirols beeinflusst die Siedlungsräume und die Bevölkerungsdichte. So leben 63 Einwohner auf einem km², ein Wert der weit unter dem EU15-Durchschnitt von 120 Einwohnern pro km² liegt. Auf rund 14% der Fläche, die unterhalb von 1.000 Höhenmetern liegt, sind rund 75% der Bevölkerung konzentriert. Auf den Zweidritteln des Landesgebietes die höher als 1.500 Meter liegen, wohnen nur etwa 4% der Bevölkerung. 1 Die besiedelte Fläche umfasst 170,35 km²; das entspricht 2,31% der gesamten Landesfläche (7.389,75 km²). Knapp Zweidrittel (70,6%) der Siedlungen befinden sich in besiedelbaren Zonen. Außerhalb davon liegen die restlichen 29,4%, deren Großteil aus Verkehrsflächen besteht. Das Dauersiedlungsgebiet beträgt in Südtirol 612,38 km². Davon sind 22,7% bereits genutzt, die restlichen 77,3% sind noch zu besiedeln. Laut amtlicher Bevölkerungsstatistik betrug die Bevölkerung Südtirols am 31.12.2003, 471.637 Personen, ein leichter Bevölkerungsanstieg (1,87%) im Vergleich zur Volkszählung 2001. Der Anteil der ausländischen Bevölkerung an der Gesamtbevölkerung hebt sich in Südtirol von den anderen Nachbarregionen ab: Mit einem Anteil von 4,1% leben in Südtirol, verglichen mit dem Ausländeranteil von Tirol (10%) und Bayern (9.5%) oder der EU15 (über 5%), verhältnismäßig wenig Ausländer. Südtirol hat drei Sprachgruppen: die deutsche, italienische und ladinische. Die Deutschsprachigen stellten bei der Volkszählung 2001 mit 296.461 Personen 69,15 Prozent der Bevölkerung, die Italiener mit 113.494 Personen 26,47 Prozent und die Ladiner mit 18.736 Personen 4,37 Prozent der Bevölkerung. ______________________________ __________________________________________________________________ GEGENWÄRTIGE SITUATION 170,35 km² 2,31% der gesamten Fläche
____________________________________________________________________________________________________ 1
Anton Aschbacher: Dorf und Stadt - Siedlungspolitik in Südtirol. Aus: Atlas 18, Viermonatliche Zeitschrift des Nationalinstituts für Urbanistik - Südtirol, Bozen 1999.
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____________________________________________________________________________________________________ 02 LANDWIRTSCHAFT Die landwirtschaftlich genutzte Fläche in Südtirol beträgt 867,35 km² (11,74% der Landesfläche), dazu kommen Wiesen im Ausmaß von 1.295,35 km² (17,53% der gesamten Fläche) und 51,05 km² Weiden (0,69%). Im Landwirtschaftssektor sind 25.900 Personen beschäftigt, 11,6% der Gesamtbeschäftigten. Die Anbaufläche für Obst beträgt circa 180 km², für Wein über 50 km². Die Kernobsternte (Äpfel und Birnen) betrug 2003 874.710 t, die Weinproduktion im selben Jahr 35.038 hl, davon wurden circa 30% exportiert. 1/3 aller Äpfel Italiens bzw. 10% ganz Europas werden von den 8.000 Obstbauern Südtirols produziert. Rund 50% der jährlich geernteten Menge werden exportiert. Die Anbaufläche im Gemüsebau wird auf rund 6,4 km² geschätzt, wobei besonders Kartoffeln, Blumenkohl, rote Rüben, Eisbergsalat, verschiedene Kopfkohlarten und Radicchio angebaut werden. In Südtirol gibt es 1.733 meist in Privatbesitz befindliche Almen mit einer Gesamtfläche von 2.487,5 km² (fast 34% der Landesfläche), davon sind 976,15 km² reine Weidefläche. Rund 95.000 Stück Vieh werden auf dieser Fläche jährlich gealpt. Ein Drittel der landwirtschaftlich intensiv genutzten Fläche verfügt über eine Beregnungsmöglichkeit, für die Bearbeitung der genutzten Flächen waren im Jahr 2000 über 83.000 landwirtschaftliche Maschinen im Einsatz. Südtirols 80.000 Melkkühe produzieren jährlich circa 360 Millionen Liter Milch, 3% der gesamten Milchproduktion Italiens. In 30.674 viehhaltenden Betrieben werden 144.196 Rinder (vor allem Braun, Fleck- und Grauvieh), 39.739 Schafe, 15.714 Ziegen, 4.725 Pferde, 250.863 Stück Geflügel und 27.753 Kaninchen gehalten. Die 15.804 Schweine (das Landwirtschaftsassessorat in Bozen schätzt 25.000) Südtirols reichen nicht für die knapp fünf Millionen Speckseiten, die jährlich produziert werden. 2004 waren es 18.450 Tonnen (4,1 Millionen Hammen à 4,5 kg), von denen circa 30% exportiert wurden. Die benötigten 2,5 Millionen Schweine werden vorwiegend aus Deutschland und den Niederlanden importiert. Zweidrittel der Produktion wird in Italien verkauft, der Marktanteil des Südtiroler Specks beläuft sich dort auf 60%, bei Markenspeck auf 90%. 30% gehen nach Deutschland, der Marktanteil des Markenspecks liegt bei 80%. Seit Juni 2004 wird Südtiroler Speck auch in New York an mehr als 200 Verkaufsplätzen angeboten. ______________________________ __________________________________________________________________ GEGENWÄRTIGE SITUATION 2.213,75 km² 29,96% der gesamten Fläche
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____________________________________________________________________________________________________ 03 WÄLDER Die Waldfläche in Südtirol beträgt rund 3.591,10 km² (48,60% der gesamten Fläche). Die Waldgrenze verläuft meistens bei 1.950 Meter ü.d.M., steigt örtlich bis über 2.200 m an (Ortlermassiv). Von den in Südtirol vorkommenden Baumarten haben die Fichte (60%), die Lärche (18%), die Kiefer (10%), die Zirbe (6%) und die Tanne (3%) die größte wirtschaftliche Bedeutung. Der Laubholzanteil (3%) ist gering und soll in Zukunft erhöht werden. 53% der Waldfläche, das sind 1.711 km², gehören Einzelbetrieben. Private Gemeinschaften verfügen über 15% der Waldfläche, 485 km². 28% der Waldfläche bzw. 900 km² sind im Besitz von öffentlichen Kör perschaften. Ein Anteil von 2% bzw. 62 km² gehören der Kirche. Die Landesforste verfügen über 1,5% der Waldfläche (50 km²). ______________________________ __________________________________________________________________ GEGENWÄRTIGE SITUATION 3.591,10 km² 48,60% der gesamten Fläche
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____________________________________________________________________________________________________ 04 WASSER Südtirol hat weniger Seen als andere Alpenregionen: insgesamt 176 natürliche stehende Gewässer, die eine maximale Länge von 100 Metern oder mehr aufweisen, ein Großteil davon liegt über 2.000 m ü.d.M. Dreizehn Seen besitzen eine Oberfläche von mehr als 5 ha, nur drei davon liegen unterhalb von 1.000 m. Die acht wichtigsten Seen umfassen eine Fläche von 3,97 km². Zehn Stauseen 11,73 km². Die dreizehn wichtigsten Flüsse und Bächer haben eine Gesamtlänge von 657,4 km. Jährlich fällt in Südtirol eine Wassermenge von etwa 5.000 Millionen m³ an Niederschlägen. 3% verbraucht die Landwirtschaft, 1,5% die Industrie und 1% wird als Trinkwasser verwertet. Bei einem Vergleich der Perioden 1880-1935 und 1936-1991 wurde in Nordtirol eine Zunahme der Winterniederschläge von 10%, in Südtirol hingegen eine Abnahme von 5% ermittelt. 2 Erste Beschneiungsanlagen wurden vor zwanzig Jahren in Enneberg und im Grödental errichtet. Die schneearmen Winter 1987/88 und 1988/90 hatten dann zur Folge, dass die Anzahl der Beschneiungsanlagen stark zugenommen hat und heute fast alle Skigebiete mit einer solchen Anlage ausgerüstet sind: 70-80% werden beschneit. Dieser Anteil ist der höchste im gesamten Alpenraum, wo sich durchschnittlich nur 27% (238,4 der 933 km²) der Skipisten beschneien lassen. 3 Aus einem Kubikmeter Wasser können durchschnittlich 2,5 m³ Schnee hergestellt werden. Bei einer Beschneiung von 30 cm (= Vorbeschneiung) werden dementsprechend 1.000-1.200 m³ Wasser pro Hektar benötigt. 1999-2000 wurde für die Schneeerzeugung eine Wassermenge von 3.656.659 m³ verbraucht, das entspricht 0,07% der jährlich in Südtirol fallenden Wassermenge durch Niederschläge. Weiters gibt es derzeit in Südtirol 50 öffentliche Freischwimmbäder, 20 öffentliche Hallenbäder, 954 Hotelfreibäder, 581 Hotelhallenbäder, 585 Whirlpools, 1.272 Hotelsaunas. ______________________________ __________________________________________________________________ GEGENWÄRTIGE SITUATION 43,80 km² 0,59% der gesamten Fläche
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Franz Fliri: Der Niederschlag in Tirol in den letzten 150 Jahren. Aus: Aktuelle Aspekte der Hydrologie, Vol. 53, 1993. Felix Hahn/CIPRA-International: Künstliche Beschneiung im Alpenraum, Schaan 2003.
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____________________________________________________________________________________________________ 05 TOURISMUS/UNPRODUKTIVE FLÄCHE In Südtirol spielt der Fremdenverkehrssektor eine bedeutende wirtschaftliche Rolle, im Jahr 2000: 876.551.000 Euro. Im Laufe des letzten Jahrzehnts machte die Wertschöpfung im Bereich «Hotels und Restaurants» einen Anteil von circa 9% am Bruttoinlandsprodukt Südtirols aus. Beachtlich höher wäre dieser Anteil, wenn neben den direkten Auswirkungen des Fremdenverkehrs auf die heimische Wirtschaft auch die indirekten Auswirkungen auf Sektoren wie Baugewerbe, Handel, Verkehr, Handwerk etc. berücksichtigt würden. Laut Eurostat beträgt in Südtirol das BIP pro Kopf knapp 32.000 Euro. Auf gesamtstaatlicher Ebene ergibt die direkt vom Tourismus erbrachte Wertschöpfung knapp über 3%, obwohl der Fremdenverkehr einen Hauptbereich der Wirtschaft in Italien darstellt. Der Tourismus bildet außerdem eine wichtige Beschäftigungsquelle und hat in Südtirol maßgebend dazu beigetragen, dass Landflucht verhindert werden konnte und eine dezentrale Wirtschaftstruktur sowie die Nahversorgung gefördert wurde. Im Jahr 2002 belief sich die Anzahl der im Bereich «Hotels und Restaurants» beschäftigten Vollzeitäquivalente (VZA) auf 27.400 Personen; davon waren 14.700 (54,0%) unselbstständig. Der Anteil des Fremdenverkehrs an der Beschäftigung betrug 11,7% auf Landesebene, auf nationaler Ebene 5,4%. Die Beschäftigungsentwicklung der letzten zehn Jahre im Bereich Fremdenverkehr zeigt eine gewisse Stabilität bei den selbstständig Beschäftigten, hingegen bei den unselbstständig Beschäftigten starke Schwankungen, welche von der Entwicklung der Fremdenverkehrsströme abhängig sind. Ein auffällig starkes Wachstum wurde Mitte der Neunzigerjahre und Anfang des neuen Jahrtausends verzeichnet. Die Gesamtfläche der Skipisten macht circa 45 km², die Gesamtlänge der Langlaufloipen 1.800 km aus. 85,9% der Landesfläche liegen oberhalb 1.000 m, 40% sogar über 2.000 m ü.d.M. ______________________________ __________________________________________________________________ GEGENWÄRTIGE SITUATION 1.370,75 km² 18,55% der gesamten Fläche
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GEGENWÄRTIGE SKIGEBIETE Skigebiete: 28 Fläche: 45 km² Länge: 1.609 km Aufstiegsanlagen: 551
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____________________________________________________________________________________________________ 06 WIRTSCHAFT Die Wirtschaft im alpenländischen Raum und die Südtirols, sind durch kleinstrukturierte Unternehmen geprägt. Durchschnittlich beschäftigen die Südtiroler Unternehmen 4 Mitarbeiter, während es in Tirol 8 oder in Bayern 12 sind. In der EU beschäftigt ein Unternehmen im Schnitt 6 Personen. Die Südtiroler Unternehmen sind zwar klein, dafür gibt es aber überdurchschnittlich viele pro Einwohner, auf 1000 Einwohner 108 Unternehmen. 96% der Unternehmen sind Kleinstunternehmen mit weniger als 10 Beschäftigten und es gibt lediglich 260 Unternehmen mit mehr als 50 Beschäftigten. Die Arbeitslosenrate liegt im gesamten Alpenraum unter dem EU25-Durchschnittswert von 9,1% (EU15= 7,7%), in Südtirol beträgt sie 2,6% (2003). In einer Veröffentlichung des EU-Statistikamtes Eurostat, die sich auf Zahlen von 2002 bezieht, liegt die Autonome Provinz Bozen mit 160% des EU-Schnitts an achter Stelle der EU-Regionen mit dem höchsten Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner. Im Vergleich zu den übrigen Regionen Italiens liegt Südtirol an erster Stelle, von den österreichischen Bundesländern hat lediglich Wien ein höheres BIP. Im Januar 2005 erklärt eine weitere, von der WIFO 4 durchgeführte Studie, dass Südtirol zwar über einen überdurchschnittlichen Wohlstand verfügt, jedoch nur eine durchschnittliche Wettbewerbsfähig keit hat. Die Produktivität betreffend liegt die Provinz im Vergleich mit den übrigen Alpenstaaten nur im Mittelmass und in der Reihung der 32 untersuchten Alpenregionen an 14. Stelle. Die niedrige Arbeitslosigkeit (2,4%5)hat zwar großen Wohlstand, aber auch eine nur durchschnittliche Wettbewerbsfä higkeit zur Folge. Nach der Untersuchung des Wirtschaftsforschungsinstituts, erreicht die Wertschöpfung pro Beschäftigten eine Summe von 55.000 Euro. Die nur durchschnittliche Produktivität (darunter versteht man das Verhältnis zwischen den produzierten Gütern und Dienstleistungen und den für die Produktion notwendigen Faktoren) sei darauf zurückzuführen, dass Sektoren mit einer niederen Produktivität, wie beispielsweise die Landwirtschaft, einen überdurchschnittlichen Anteil an der Südtiroler Gesamtbeschäftigung haben. Dieses Strukturproblem wird dadurch ausgeglichen, dass in den meisten anderen Wirtschaftsbereichen die Produktivität höher ausfällt als in den Nachbarregionen. ____________________________________________________________________________________________________ 07 ENERGIE 2002 produzierte Südtirol 5.136 Millionen kWh zu über 99% aus Wasserkraft und verbrauchte 2.600 Millionen (also etwa die Hälfte) davon. Diese wurden vor allem für das produzierende Gewerbe (37,65%) und den Dienstleistungsbereich (37,00%) verwandt, knapp 19% für den Haushaltsverbrauch. 11,2% der in Italien produzierten Wasserkraft kommt aus Südtirol. 97.26% des mit Wasserkraft erzeugten Stroms werden durch 27 große und 77 mittelgroße Kraftwerke produziert. 641 kleine Kraftwerke tragen nur 2,74% zur Stromproduktion und auch dementsprechend wenig zur Verringerung des CO2-Ausstoßes bei. Da Südtirol bereits ein Mehrfaches des Eigenbedarfs an Strom produziert sind Kleinkraftwerke stark umstritten. Das größte Wasserkraftwerk in Südtirol ist das der Enel (Ente Nazionale per l‘Energia Elettrica) in Kardaun, mit einer mittleren Nennleistung von 104.151 KW, und einer jährlichen Produktion von 680 GWh. Der Reschensee ist mit einem Fassungsvermögen von 116.000.000 m³ Südtirols größter Stausee, das Wasser wird für den Betrieb des Elektrowerkes Glurns der Sel-Edison genutzt. In Lappach ist die Staumauer des Nevessee 94,66 m hoch, acht Meter höher als jene des Grünsees in der Gemeinde Ulten (beides Enel Werke). Das Wasserkraftwerk der Etschwerke in Naturns hat mit 1.135 m die größte Fallhöhe. ____________________________________________________________________________________________________ 08 TRANSPORTINFRASTRUKTUR Insgesamt wird Südtirol von einem 284 km langen Eisenbahnnetz, einer Autobahn in einer Länge von 116 km, einem 2.063 km umfassenden Landesstrassennetz, 2.443 km Gemeindestrassen und 3.300 km Forststrassen durchzogen. Weiters gibt es 377 Seilbahnanlagen. Seit den Achtzigerjahren ist diese Zahl zurückgegangen, zumal kleine Anlagen durch größere und modernere ersetzt wurden. Im Jahr 2003 wurden drei neue Anlagen mit einer Förderleistung von über 2.000 bis 2.400 Personen pro Stunde errichtet. Die technologischen Neuerungen begünstigten den Zuwachs an Geschwindigkeit, Kapazität und Leistung der Anlagen und brachten eine rückläufige Anzahl der Skilifte bzw. eine zunehmende Zahl an automatisch kuppelbaren Umlaufbahnen mit sich. Von den 377 Seilbahnanlagen sind 153 (40,6%) Skilifte, 105 (27,9%) Sesselund Korblifte, 95 (25,2%) Umlaufbahnen und 22 (5,8%) Zweiseilpendelbahnen. Die Zahl der Förderleistung pro Stunde steigt jährlich und erreicht mittlerweile 459.990 Personen/Stunde. Südtirols Aufstiegsanlagen wären demnach im Stande in einer Stunde fast alle Südtiroler zu transportieren.
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WIFO (Handel-, Industrie-, Handwerks-, und Landwirtschaftskammer Bozen): Produktivität - Südtirol auf dem Weg in die Zukunft, Bozen 2005. Prozentanteil der Arbeitssuchenden an den Erwerbspersonen insgesamt im Jahr 2003. ASTAT: Südtirol in Zahlen 2004, Bozen 2004.
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Pingpongpostmoderne Mit der Sprengung der Wohnsiedlung Pruitt-Igoe in St. Louis am 15. Juli 1972 wurde, so der Architekturtheoretiker Charles Jencks, das Ende der Moderne eingeleitet.1 Auch wenn sich niemand mit dem polemischen Statement anfreundete, ernsthaft widersprochen wurde ihm nicht. Die darauf folgende Postmoderne lehnte das Innovationsstreben der Moderne ab und diffamierte dieses selbst als automatisiert und etabliert. Andererseits wurde mit der Forderung einer prinzipiellen Offenheit auf die Moderne Bezug genommen. Die Pingpongpostmoderne ist ein Neologismus, um den extremen Stilpluralismus als charakteristisches Element der Südtiroler Architektur zu benennen. Die Wortbildung (in Sinne Foucaults Juxtaposition) soll auf den repetitiven Gebrauch und das Kopieren der Postmoderne verweisen bzw. auf die Reproduktion von Elementen, die auf bereits reproduziertes Material zurückgreifen und die Fahndung nach dem Original, denn als authentisch geltend, überflüssig macht. Pingpong, weil in der Postmoderne ein so extremer Konsens gefunden wurde dass sie aus den engen Tälern nicht mehr entkommen kann, an deren Wände immer wieder hin und her geschmettert und bei Ausbruchsversuchen mit Regelmäßigkeit wieder abgleitet. Den Versuch einer Neologie, aufgrund des Bedarfs einer rechtfertigenden Existenzberechtigung, machen mitunter auch deren Autoren und Benutzer. Der Romantikstil oder die neue Romantik ist aus der Verlegenheit heraus entstanden, dass in einem Land, in dem Umbrüche und Veränderungen durch den Einfluss von unterschiedlichsten Kulturwelten gegen Stabilität korellieren, die Moderne dementsprechend unterrepräsentiert ist und sich nur in gewissen Gebäudetypologien entwickeln konnte. In den Katalogen und Werbungen ist der Südtiroler Stil «traditionell-rustikal», «alpenländisch», «tirolerisch», «Biedermeier», «hell mediterran», «gehoben bäuerlich», «zeitlos elegant». «Es geht nicht darum den alten Zeiten nachzutrauern, sondern sich dem zu widersetzen, wie sie behandelt werden, der Geschichtsschreiberei, der Transplantation, die man ihnen aufgebürdet hat, um sie zu normalisieren. Man hat sie groß gemacht. Operation um Operation, Chirurgie gegen Chirurgie, kann man sich auch das Umgekehrte vorstellen: wie «depotenzieren» (frz. minorer), ein von Mathematikern angewandter Begriff, wie eine depotenzierte Methode oder Methode der Depotenzierung aufstellen, um Prozesse des Werdens gegen die Geschichte freizusetzen.»2 Gilles Deleuze
Der versteckte Grundsatz, dass in Literatur, Film, Architektur und bildender Kunst nichts Neues mehr zu schaffen sei (eine Position, die schon Thomas Mann vertrat), rechtfertigt den manieristischen Umgang mit vorhandenem Material und kulminiert in einer Anhäufung von Zitaten verschiedenster Kunstperioden. Die scheinbare Rückbesinnung auf Geschichte und Traditionen erweist sich als Versuch, die überlieferten Verfahrensweisen zu einem neuen Ganzen zusammenzusetzen.3 Die regional unterschiedlichen Bauarten von Bauernhöfen wurden zu Abbildern einer Einheitsikone mit Satteldach, Balkon und viel Holz reduziert, in deren Hüllen sich dennoch die Wandlung zum digitalen Zeitalter vollzog. Mit einer additiven Reproduktion glaubt man die dörflichen Strukturen zu schützen, doch es wird nur das Bild gewahrt. Das Modell auf das als Referenzobjekt zurückgegriffen wird bzw. als Vorlage dient ist demnach ein simuliertes Objekt der Erwartungshaltung der Gäste. 4
[Pruitt-Igoe, 1972]
[Andy Warhol: Double Elvis, 1963]
[Atari: Pong, 1972]
[Joël Tettamanti: Feux, 2004]
[Guy Debord: Die Gesellschaft des Spektakels]
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[Hotel Cavallino Bianco, St. Ulrich in Grรถden]
«Die kapitalistische Produktion hat den Raum vereinheitlicht, der von keinen Außengesellschaften mehr begrenzt ist. Diese Vereinheitlichung ist zugleich ein extensiver und intensiver Prozess der Banalisierung. So wie die Akkumulation der für den abstrakten Raum des Marktes in Serie produzierten Waren alle regionalen und gesetzlichen Schranken und alle korporativen Beschränkungen des Mittelalters, die die Qualität der handwerksmäßigen Produktion aufrechterhielten, brechen musste, musste sie auch die Autonomie und die Qualität der Orte auflösen. Diese Macht der Homogenisierung ist die schwere Artillerie, die alle chinesischen Mauern in den Grund geschossen hat.» «Die autoritäre Entscheidung, die abstrakt den Raum zu einem Raum der Abstrakten anordnet, steht natürlich im Zentrum dieser modernen Konstruktionsbedingungen. Die gleiche Architektur erscheint überall dort, wo die Industrialisierung der in dieser Hinsicht zurückgebliebenen Länder beginnt, als der neuen gesellschaftlichen Existenzweise - die es dort ansässig zu machen gilt - adäquates Terrain.»5 Guy Debord
Die Pingpongpostmoderne weist neben ihrer etymologischen Verwandtschaft zur Postmoderne in der Methodik wesentliche Analogien zum Eklektizismus (von griech. eklektós «ausgewählt») auf. Anstelle eigener Kreativität versucht sie aus vergangenen Stilepochen das Schönste auszusuchen und in ihre Werke einzufügen. Die übernommenen Stilelemente werden dabei aus ihrem ästhetischen, sozialen und funktionalem Kontext gelöst und auf den bloßen Dekorationswert reduziert. Das Katalogdenken der Pingpongpostmoderne in der Zusammenführung architektonischer Elemente (Türmchen, Bögen, Säulen, Fassadenmalereien, Erker) zu stilistischen Anachronismen kommt der postmodernen Ästhetisierung von Natur und Landschaft nahe. Ästhetik bezieht sich nicht mehr auf Natur, sondern auf den Menschen, und sie wird nur noch dort ästhetisiert, wo sie unmittelbar einen Stel lenwert zur menschlichen Selbstinszenierung besitzt. Das sind bestenfalls kleine Naturausschnitte (ein steiler Hang, ein Abgrund, ein Fels, eine tiefe Schlucht), nie Natur oder Landschaft als selbstbestimmt.6 Der Hotelplaner Karl Landauer entwirft mit seinem Planungsbüro und Generalunternehmen im Bereich Tourismusbauten jährlich fünf bis zehn Hotels und führt unzählige Umbauten und Erweiterungen durch. Un ter anderem ist er Generalplaner und -unternehmer eines auf 31.000 m² angelegten Themenparks in Südkorea mit Skipisten, einem Fußballstadion, einem «Dorf Tirol» als Geschäfts-, Unterhaltungs- und Eventcenter, einem «Hotel Tirol» mit zwanzig Restaurants und einem «Schloss Tirol» mit einer 25 m hohen Eingangshalle. Das Hotel Tirol befindet sich im Muju Ski Resort und vermarktet sich als «World of Arts and Nature». Es verfügt über 742 Zimmer und einem Ballsaal der 700 Gästen Platz bietet. Beworben wird vor allem die architektonische Typologie als jene der Schweizer Alpen, deren Wände mit österreichischer Bildkunst und Holzarbeiten ergänzt wurden. Von letzterer wird vor allem die olfaktorische Wahrnehmung durch die verarbeiteten österreichischen Lärchen hervorgehoben, die den Hotelgästen den Eindruck vermitteln sich in den Alpen zu befinden. «Es gibt wichtigeres als den Stil!» In einem Interview mit Landauer, das in einer Ausgabe des Mitteilungsblatts der Architektenkammer der Provinz Bozen abgedruckt wurde, erklärt er die stark betriebswirtschaftlichen Entscheidungen die der Entstehung seiner Entwürfe zugrunde liegen. Die Entwicklung eines Projekts sieht Landauer vorrangig durch die Planung und Funktionalität der Wege, aufgrund derer er, unter Berücksichtigung der anderen Bereiche und deren Anordnung, Diagramme entwickelt, die das Hotel strukturieren. Dabei geht es nicht um den kürzesten, sondern ähnlich wie bei der Planung von Flughäfen, den verkaufs- und umsatzstärksten Weg, an dem Emotionen und Botschaften platziert werden. Die Tiroler Hotels unterscheiden sich 054(05)PINGPONGPOSTMODERNE
1 7/8 Charles Jencks: Die Es gibt Wichtigeres als Sprache der postmodernen den Stil! Ein Interview Architektur. 1978. mit dem Hotelplaner Karl Landauer. Zusammen2 gestellt von Wolfgang Gilles Deleuze: Ein Salcher. Aus: Turrisbabel Manifest weniger (2.) (Trimestrales MitteiDas Theater und seine lungsblatt der Kammer Minderheiten. Aus: Gilles der Architekten, RaumDeleuze: Kleine Schriften, planer, LandschaftsplaBerlin 1980. ner, Denkmalpfleger der Autonomen Provinz 3 Bozen) 7.2003: Touhttp://www.cpw-online. rismus/Turismo, Bozen de/lemmata/postmoder- 2003. ne.htm: 15.01.2005. 9 4 http://vorarlberg.orf. Ursula Faix: The Sound at/oesterreich.orf?read=d of Music��������������� . ������������� The Image of etail&channel=7&id=37 Architecture. Aus: GAM 8850: 20.05.2005. 01 Tourismus und Landschaft, Graz 2004. 10/11 Architektenkammer der 5 Provinz Bozen: Dorf Guy Debord: Die Gesell- und Stadt.Wohngebiete schaft des Spektakels, Paris in Südtirol nach 1970, 1967: 1. Bozen 1997: 2. 6 Werner Bätzing: Postmoderne Ästhetisierung von Natur versus «Schöne Landschaft» als Ganzheitserfahrung. Aus: Hegel-Jahrbuch 2000, Berlin 2000.
dabei in der Planung von Lenkungs- und Positionierungsstrategien kaum von denen in Las Vegas: Der Hotelgast muss immer wieder den Weg an Geschäften, Restaurants, Bars, Coffeeshops, entlang gehen bis er an sein eigentliches Ziel gelangt. Landauer erklärt die neue Romantik, die sich meist in den postmodernen Ausuferungen der Fassaden äußert, als den Erwar tungen von 70-80% der Gäste entsprechend, welche sich aus der Ablehnung der Großstädte nach Wärme und Geborgenheit sehnen und auch eine Emotionshaltung einnehmen, aufgrund der sie letztlich die Wahl des Hotels treffen. Eine Zukunft für Bauten im Tourismus mit einer modernen Architektursprache sieht Landauer in einem Bereich, den 5 bis höchstens 10% der Gäste wahrnehmen würden.7 «Wenn man schon goldene Wasserhähne hat, würde ich eventuell die Software anschauen. Vielleicht kann der Hotelier da etwas machen, ohne Erweiterungen zu bauen. Auf der anderen Seite ist es wichtig, dass wir uns bei Hotelbauten gewisse Reserveflächen immer für ein Highlight aufheben. Mit diesem Highlight kann man dann im Marketing sein Mailing rechtfertigen. Du kannst nicht jedes Jahr ein Mailing schreiben und jedes Jahr das gleiche rein schreiben. Wenn man alle zwei oder drei Jahre von einem neuen Highlight spricht, auch wenn es nur ein Highlight auf 16 m² ist, dann hat das Mailing viel mehr Wertschätzung und Wahrheit und man glaubt mehr an dieses Mailing. Wir haben ja hier das Hotel Alpenrose im Ort. Dort haben wir in den letzten 12 Jahren 18-mal gebaut. Klein und größer, immer wieder. Klar ist, und das wissen wir aus Erfahrung, dass wir alle 2 bis 3 Jahre den Gästen ein Zuckerl geben müssen. Und sei es nur eine kleine Kabine oder ein neues Haus.» 8 Karl Landauer
In Vorarlberg mehrt sich zur selben Zeit Widerstand gegen moderne Architektur. Dort wird gefordert dass die Gemeinden die Planungskompetenz wieder in die Region holen sollen. Die Vorarlberger Hoteliers wehren sich gegen Bauvorschriften die es kaum mehr möglich machen, traditionell zu bauen. Viele Hoteliers haben Angst um ihre Identität, denn Flachdächer werden aufgezwungen und um Vordächer muss gekämpft werden. Die Hoteliers fürchten um ihre Existenz, denn der moderne Baustil gefällt den Urlaubern nicht. Vertreter der Raumplanung hingegen sagen, dass man die Gäste «umerziehen» solle, damit ihnen der moderne Baustil gefällt.9
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Raumplanung Die ursprüngliche Besiedlung Südtirols begann in den Hochlandschaften und an den Mittelgebirgsterrassen. Erst später entstanden in den Tälern Ortschaften, meist im Bereich wichtiger Verkehrsrouten oder an Wasserläufen. Während auf den Anhöhen neue Höfe gegründet wurden, wuchsen in den Talsohlen die Ortschaften zu Dörfern oder Städten heran, keine dieser verlor den engen Kontakt zum Hinterland. Die verstreute Besiedlung am Berg und die konzentrierte im Tal entwickelten sich als zwei parallele Systeme in einem ausgewogenen Verhältnis gegenseitiger Abhängigkeit. Dieses Gleichgewicht bestand bis zur eintretenden Entwicklungsbeschleunigung gegen Ende des 19. Jahrhunderts, die vornehmlich durch die radikale Modernisierung des Infrastruktursystems angetrieben wurde; jedoch auf die Siedlungen der Talsohlen beschränkt geblieben ist. Im ländlichen Raum betrifft dies ausschließlich einzelne Gebiete mit besonderer Eignung für eine touristische Erschließung. 10 In Südtirol unterliegt die Dorf- und Stadterweiterung aufgrund der begrenzten Verfügbarkeit von Bauland und der speziellen politischen Situation seit 1972 einer neuen urbanistischen Regelung, deren Ziel eine 055(05)PINGPONGPOSTMODERNE
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räumliche Verdichtung der bestehenden Orte ist.11 Die Siedlungsstruktur Südtirols ist stark von der Topografie geprägt, welche zur Konzentration der Bevölkerung in den Talböden führt. «Die Täler füllen sich...» war der Titel einer Veröffentlichung in der Zeitschrift «Bauwelt»12 1972, auf die sich Anton Aschbacher 13 in einem Beitrag über die Siedlungspolitik in Südtirol, in einer Ausgabe der viermonatlichen Zeitschrift des Nationalinstituts für Urbanistik-Südtirol «Atlas», bezieht. «Dorf und Stadt» von Aschbacher14 und «Bauwelt» berichteten über eine Ausstellung des Arbeitskreises für Umweltgestaltung in Bozen 1972, anlässlich der angeführt wurde, dass in Südtirol «wie in anderen Ländern mit dichter werdender Besiedlung, die große Gefahr der Zersiedelung des Landes besteht. Der Zersplitterung der Städte in weit verstreute Quartiere, in Häusergruppen oder isolierte Einzelhäuser, wird durch die Bewegungsfreiheit der motorisierten Bewohner stark Vorschub geleistet. Die für städtische Bauten von bäuerlicher Grundlage übernommene Streubauweise gefährdet das Land, insbesondere eine Land- und Holzwirtschaft in hohem Maße. In den Berggebieten, in den Tälern so gut wie auf den Hochterassen, ist die Erschließung so zu lenken, dass die von Streubauten erfassten Lagen ausgenützt und die vorhandenen Lücken geschlossen werden, bevor die noch unberührten Gebiete angetastet werden. Dadurch können große Teile der schönen Landschaft von sinnlos verstreuter Verbauung mit Wohn- und Ferienhäusern wirksam geschützt werden. Die Konzentration der Bauten wirkt sich auch bezüglich der Kosten für die geregelte Erschließung des Baulandes günstig aus.» Aschbacher berichtete weiters über sehr detaillierte Trendanalysen und Prognosen der Entwicklung der Zweitwohnungen in Südtirol, die im selben Jahr (1972) innerhalb der Abteilung Raumordnung der Südtiroler Landesverwaltung durchgeführt wurden. «Dabei wurde insbesondere darauf hingewiesen, dass die attraktiven Fremdenverkehrsgemeinden im Bereich der Dolomiten über die Brennerautobahn (die damals noch vor der Fertigstellung stand) aus dem Raum München innerhalb von 3 Stunden und aus dem Raum Mailand innerhalb von 2,5 Stunden erreichbar wären. Die Zahl der nicht besetzten Wohnungen, auf Grundlage der offiziellen Bevölkerungs- und Wohnungszählungen, betrug im Jahre 1951 4,6% und im Jahre 1971 7,3% aller Wohnungen. In Berücksichtigung der Wohnungen in den Städten und des Anteils der zum Verkauf oder in Miete angebotenen wurde ermittelt, dass etwa 90% der nicht besetzten Wohnungen für Fremdenverkehrszwecke bestimmt wären. Es wurde eindringlich auf die umfassende Problematik einer unkontrollierten Entwicklung des Zweitwohnungstourismus hingewiesen, da diese nur zeitweise besetzten Wohnungen die Infrastruktur der Gemeinden stark belasten und den Erholungsraum durch die räumliche Ausdehnung der Siedlungen und der touristischen Einrichtungen einschränken. Es wurde auf die Notwendigkeit hingewiesen, dass das gesamte Alpengebiet als europäischer Erholungsraum erhalten werden sollte.»15 1991 erreichten die nicht besetzten Wohnungen mit 15,2% ihren höchsten prozentuellen Anteil. 2001 betrug er 12,4%, die touristisch stark entwickelten Gemeinden erhöhten diesen wesentlich durch ihre durchschnittlichen 31% in der Kategorie «andere Wohnungen» (ASTAT). Weitere Tourismusorte erreichten einen Anteil von nur noch weniger als 50% an ständig bewohnten Wohnungen: Hafling 46,3%, Welschnofen am Karersee 45,7%. 16 Die Analysen von 1972 wurden auch in den Berichten an den Landtag zu den Entwürfen für das Landesgesetz Nr. 38/1973 zitiert. Auch wenn sich die politischen Entscheidungsträger den Berichten der Techniker nicht unmittelbar anschlossen, wurden die wesentlichen Aussagen in die Landesgesetze, die offiziellen Entwürfe und auch formell genehmigten Planungs056(05)PINGPONGPOSTMODERNE
12 17 Ulrich Conrad: Südtirol: Ebd. 3. Die Täler füllen sich... (Aspekte einer in sich 18 geschlossenen alpinen Ebd. 2. Region). Aus: Bauwelt, 63.Jahrgang, H. 30/31, 19/20 31. Juli 1972. Marcel Meili: Vorwärts zur Natur? Die Urbanität 13 hochalpiner Regionen. Anton Aschbacher ist Aus: archithese, ZeitDirektor des Amtes für schrift und Schriftenreihe für Architektur, überörtliche Raum3.2005 Bauen in den ordnung der Provinz Bergen, 35. Jahrgang, Bozen-Südtirol. Zürich. 14/15 21 Anton Aschbacher: Dorf Bart Lootsma: Intelund Stadt - Siedlungspolitik in Südtirol. Aus: ligente Regionen. Aus: AZW, ArchitekturzenAtlas 18, Viermonattrum Wien: Hinterliche Zeitschrift des grund 26, 12. Wiener Nationalinstituts für Architektur Kongress. Urbanistik - Südtirol, Intelligente Regionen. Bozen 1999: 3. Intelligent Regions 12. bis 14. November 2004, 16 Wien 2005. Landesinstitut für Statistik ASTAT: Bewohnte und andere Wohnungen sowie andere Unterkünfte in den einzelnen Gemeinden - Volkszählung 2001. Aus: Statistisches Jahrbuch für Südtirol 2003, Bozen 2003.
instrumente aufgenommen.17 Mit dem Wohnbaureformgesetz von 1972 wurden einschränkende Bestimmungen für die Ausweisung von Bauland zu Wohnzwecken erlassen. Bei der Bemessung der Baugebiete in den Bauleitplänen der Gemeinden ist seitdem ausschließlich der für ein Jahrzehnt vorausschätzbare Wohnraumbedarf der ortsansässigen Bevölkerung zu berücksichtigen. 18 In der Schweiz wurden etwa seit dem Ersten Weltkrieg nicht mehr nur politische, sondern auch die Mittel staatlicher Lenkungsökonomie in Anspruch genommen, um ein politisches Gleichgewicht zu sichern, das durch Urbanität in den hochalpinen Regionen geschaffen wurde. Seit den Siebzigerjahren stiegen die regionalpolitisch motivierten Subventionen um dieses isotopische Projekt aufrechtzuerhalten. Doch in den letzten 15 Jahren kamen in der Schweiz verstärkt Zweifel auf, ob es möglichen sei diesen hohen Standard aufrechtzuerhalten. Studien belegten die Schwäche der Wertschöpfung und den demografischen Niedergang einzelner Hochgebirgsregionen in den letzten vierzig Jahren, politische Diskussionen über die «Krise der (alpinen) Regionen» setzten ein. Tatsächlich sinkt die Bewohnerzahl mancher Alpentäler schon seit 150 oder 200 Jahren und die Bergwelt, insbesondere natürlich die Landwirtschaft, scheint Opfer einer gegenwärtigen, global gewordenen Ökonomie zu sein.19 Die EU schätzt dass 30-40% der landwirtschaftlichen Flächen übernommen werden könnten. In Südtirol konnte diese Krise der alpinen Landwirtschaft, genauso wie in der Schweiz, vom aufkommenden und dann explodierenden Tourismus überdeckt werden. In der Schweiz kam aber der alpine Tourismus in den letzten zehn Jahren zusammen mit der regionalen Industrie in Schwierigkeiten und damit entstand ein öffentliches Bewusstsein, wie groß der Aufwand für die Erhaltung der Alpenregion als Lebensraum ist.20 In Südtirol würden sich der regionale Maßstab und die (weiterhin funktionierenden) Tourismus-Dörfer mit agrarischem Hintergrund in einer solchen Krise wahrscheinlich ökonomisch erfolgreich neu positionieren, die Raumplanung hätte allerdings größere Schwierigkeiten sich erneut und nur pragmatisch an eine «Neudemografisierung» anzupassen. Peri-Urbanisierung Durch die Urbanisierung wurden Kernstädte und ihr Umland bzw. Stadtgruppen zur primären Stadtform in Europa. Diese Räume haben heute eine urbane Form, d.h. sie funktionieren wie eine einheitliche, unabhängige Stadtregion oder ein Ballungsraum. Der Ausschuss der Regionen der Europäischen Union verwendet für diese Räume den Terminus «funktionale Stadtregionen» (FUR = Functional Urban Region). Die METREX, das Netzwerk europäischer Ballungs- und Großräume, definiert Ballungsregionen als größere Stadtregionen mit mindestens 500.000 Einwohnern, wovon es in Europa 120 gibt. In ihnen leben 60% der europäischen Bevölkerung, d.h. etwa 280 der 470 Millionen Einwohner Europas. Dies zeigt die Bedeutung der Wettbewerbs- und Funktionsfähigkeit dieser Ballungs- und Großräume für den wirtschaftlichen Wohlstand und die soziale Kohäsion in Europa.21 Eine Untersuchung der alpenregionalen Urbanisierung des Geografen Manfred Perlik belegt, dass dieser Raum in vielfacher Hinsicht mit den Städten und Metropolregionen verknüpft ist. Perlik widerlegt somit das Verständnis der Alpenregionen als unabhängig von globalen Prozessen und Ort einer tradierten, bodenständigen Lebensweise. In den Talregionen hat 057(05)PINGPONGPOSTMODERNE
in den vergangenen fünfzehn Jahren ein Prozess intensiver Verstädterung stattgefunden. Kai Vöckler, der in seinem Artikel «Das Verschwinden der Alpen»22 auf Perlik verweist, führt den Alpenforscher Werner Bätzing an, der beschreibt, dass sich der Alpenraum in die Einzugsbereiche europäischer Großstädte auflösen wird, wobei die einzelnen alpinen Teilräume größere Beziehungen zu ihrem Zentrum entwickeln als zu den benachbarten Alpengebieten. Vöckler sieht den Wandel in unserem Verständnis von Land, das nicht mehr als Raum der Agrarproduktion sondern des Erlebnisses willen aufgesucht wird. Es wird zum kulturellen Phänomen, in dem sich das agrarromantisch geprägte Bild der Kulturlandschaft als Projektion der Sehnsüchte nach Urwüchsigkeit und Ursprünglichkeit von der sozio-kulturellen Realität abspaltet. Die städtische Lebensweise und die Ausdehnung der Siedlungsfläche in die ländlichen Räume haben in Europa konstant zugenommen. Dieses Phänomen der «Peri-Urbanisierung» steht für die flächenextensive Ausdehnung städtischer Funktionen auf das Umland, ohne dass sich noch ein zusammenhängendes, als Stadt zu identifizierendes Kontinuum bildet. Die zunehmende Einbeziehung des ländlichen Raums in die sich immer weiter ausdehnenden Pendlerströme machen eine Unterscheidung zwischen Stadt und Land kaum noch möglich. Durch die hohe Mobilität der Bewohner der ländlichen Räume ist alles nach einer kurzen Autofahrt problemlos konsumierbar; das Land hat nahezu alles was die Stadt auch hat. Vöckler beschreibt die Konsum- und Lebensverhältnisse zwischen Stadt und Land als kaum mehr unterscheidbar, aber das Land kann einen unschlagbaren Surplus bieten: Natur und Tradition, auch wenn diese mit hohem Aufwand bewahrt werden müssen. Erstmalig in der Geschichte verspricht das Land mehr als die Stadt.23 Letztlich ist die Verkehrsplanung die einzige funktionierende Raumplanung. Karl Marx und Friedrich Engels hielten in ihrer «deutschen Ideologie» fest, dass «die Stadt die Tatsache der Konzentration der Bevölkerung, der Produktionsinstrumente, des Kapitals, der Genüsse, der Bedürfnisse ist, während das Land gerade die entgegengesetzte Tatsache, die Isolierung und Vereinzelung, zur Anschauung bringt. Der Gegensatz zwischen Stadt und Land kann nur innerhalb des Privateigentums existieren. Er ist der krasseste Ausdruck der Subsumtion des Individuums unter die Teilung der Arbeit, unter eine bestimmte, ihm aufgezwungene Tätigkeit, eine Subsumtion, die den Einen zum bornierten Stadttier, den Andern zum bornierten Landtier macht und den Gegensatz der Interessen Beider täglich neu erzeugt.»24 Guy Debord sieht in dieser von Marx und Engels beschriebenen «Isolierung und Vereinzelung» 25 des Landes den «Urbanismus, der die Städte zerstört und ein neues Pseudo-Land aufbaut, in dem die natürlichen Verhältnisse des alten Landes genauso wie die direkten und direkt in Frage gestellten gesellschaftlichen Verhältnisse der geschichtlichen Stadt verloren sind. Eine neue künstliche Bauernschaft wird durch die Bedingungen der Siedlung und der spektakulären Kontrolle in dem heutigen «geordneten Raum» geschaffen: Die Verstreuung im Raum und die bornierte Mentalität, die die Bauernschaft stets daran gehindert haben, eine unabhängige Aktion zu unternehmen und sich als schöpferische geschichtliche Macht zu behaupten, bilden wieder die Merkmale der Produzenten - und die Bewegung einer Welt, die sie selbst erzeugen, bleibt ihnen genauso unerreichbar, wie es der natürliche Rhythmus der Arbeit für die Agrargesellschaft war. Aber wenn diese Bauernschaft die unerschütterliche Basis des «orientalischen Despotismus» war und deren Zersplitterung selbst nach der bürokratischen Zentralisierung rief, als Produkt der Wachstumsbedingungen der modernen 058(05)PINGPONGPOSTMODERNE
22/23 Kai Vöckler: Das Verschwinden der Alpen. Aus: Rüdiger Lainer, Heidi Pretterhofer, Dieter Spath: Lagerhaus Remake, Architektonische Handlungsansätze für die Umgestaltung des Handelsunternehmens «Unser Lagerhaus», Wien 2005. 24/25 Karl Marx, Friedrich Engels: Die deutsche Ideologie, Berlin/DDR 1969.
26 Ebd. 1. 27 Josef Rohrer: Zimmer frei. Das Buch zum Touriseum, Bozen 2003. 28 Josef Rohrer: Monopoly. Aus http://www. ff-bz.com/php/article.phtml?issue_ id=3419&bgcolor=1: 15.05.2005. 29 Dekret des Landeshauptmanns vom 23. Februar 1998, Nr. 5 1) Durchführungsverordnung zum Landesraumordnungsgesetz Abschnitt VIII Erweiterung von Gaststätten: 4. 30 Thomas Demetz: Ampliamenti alberghieri e stato del territorio, Turrisbabel (Trimestrales Mitteilungsblatt der Kammer der Architekten, Raumplaner, Landschaftsplaner, Denkmalpfleger der Autonomen Provinz Bozen) 7/2003: Tourismus/Turismo, Bozen 2003: 5.
staatlichen Bürokratisierung wieder auftaucht, muss ihre Apathie diesmal geschichtlich erzeugt und erhalten worden sein; die natürliche Unwissenheit hat dem organisierten Spektakel des Irrtums Platz gemacht. Die «neuen Städte» der technologischen Pseudobauernschaft prägen in das Terrain deutlich den Bruch mit der geschichtlichen Zeit ein, auf die sie aufgebaut sind; ihr Motto kann lauten: «Hier selbst wird nie etwas geschehen und hier ist nie etwas geschehen». Weil die Geschichte, die es in den Städten zu befreien gilt, in ihnen noch nicht befreit worden ist, gerade darum beginnen die Kräfte der geschichtlichen Abwesenheit, ihre eigene exklusive Landschaft zusammenzustellen.» 26 Gesetze zum Tourismus in Südtirol Die Pingpongpostmoderne in Südtirol lässt sich u.a. auch auf gesetzliche und politische Ereignisse zurückführen. Gestützt auf den Landesentwicklungsplan (Lerop) des Magnago-Stellvertreters Alfons Benedikter hatte die Südtiroler Landesregierung nach dem Bauboom und den Konkursen der wilden Siebziger 1980 einen Bettenstopp verhängt. Da aber Bauprojekte, die bereits begonnen waren, noch ausgeführt werden konnten, erhöhte sich die Bettenzahl bis 1985 weiterhin beträchtlich.27 Die Wirtschaftsverbände tobten zwar, Investitionen in Hotelbauten waren aber bis auf weiteres durch strenge Urbanistikgesetze unterbunden. In den Neunzigerjahren ließ die Regierung Durnwalder zunächst die «qualitative Erweiterung» zu, mit der Gastwirte Speiseräume und Zimmer vergrößern, sowie Schwimmbäder, Wellness-Bereiche und Tennisplätze bauen konnten. Bald darauf ließ man auch der «quantitativen Erweiterung» nahezu freien Lauf. Bestehende Betriebe durften ihre Bettenzahl teils beträchtlich erhöhen, in Hotelzonen konnte von Grund auf neu gebaut werden.28 «In Südtirol galt seit den Sechzigern ein Baurecht, das neue Großhotels zwar so gut wie ausschloss, kleine Familienbetriebe aber begünstigte. Im «landwirtschaftlichen Grün» konnten bestehende Gastbetriebe auf 40 Betten aufgestockt werden, ab 1973 sogar auf 60 Betten. Zudem durften Bauern ihre Hofstelle um ein Bauvolumen von 2.500 Kubikmeter erweitern - genug für eine Pension mit 30 Betten. Dieses liberale Baurecht eröffnete Tausenden von Familien den Einstieg in die Tourismusbranche. Die Garni oder Pension mit Holzbalkonen und Geranien wurde zum touristischen Sinnbild für die Siebziger.» Josef Rohrer
Die Transformationstätigkeit in Südtirol stieß auf Gesetze, die man in den Durchführungsbestimmungen des Landesraumordnungsgesetzes von 1998 findet, aber auch Regelungen der qualitativen und quantitativen Erweiterungen gastgewerblicher Beherbergungsbetriebe. Das Gesetz nimmt eine Unterteilung der Gemeinden in drei Kategorien vor (strukturschwache, touristisch entwickelte und touristisch stark entwickelte Gemeinden), welche vor allem von zwei Indikatoren determiniert werden: die Beherbergungsdichte im Verhältnis zur ansässigen Bevölkerung und die Ausdehnung des Gemeindegebietes. Anteilsmäßig nehmen die als strukturschwachen eingestuften Gemeinden in Südtirol 45%, die touristisch entwickelten 48% und die touristisch stark entwickelten Gemeinden 7% ein. Als strukturschwache Gebiete gelten Gemeinden sowie ausgewählte Fraktionen, welche nicht mehr als 0,3 Gästebetten pro Einwohner und weniger als 8.000 Einwohner haben.29 In diesen Gebieten können im Rahmen eines Gesamtkonzeptes Touristikzonen ausgewiesen werden. Die Beherbergungsbetriebe in diesen Gemeinden haben aber keine gesetzlich geregelte Möglichkeit auf eine quantitative Aufstockung.30
[1950]27
[1960]27
[1980]27
[2000]27
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Als touristisch stark entwickelte Gebiete gelten Gemeinden, die mehr als 2.500 Betten besitzen und entweder ein Verhältnis von zwei Gästebetten pro Einwohner überschreiten und mehr als 75 Einwohner und Betten pro Quadratkilometer Gemeindefläche besitzen, oder ein Verhältnis von einem Gästebett pro Einwohner überschreiten und mehr als 110 Einwohner und Betten pro Quadratkilometer Gemeindefläche haben. Diesen Kriterien entsprechen Badia, Corvara, Kastelruth, Olang, Schenna, St. Christina in Gröden, Tirol und Wolkenstein in Gröden. 31 Die Beherbergungsbetriebe dieser Gemeinden können in Zusammenhang mit einer qualitativen Erweiterung ihre Bettenzahl um 5 Einheiten erhöhen. Im Dekret des Landeshauptmanns gibt es keine Vorschriften über die Frequenz der Aktualisierung der Daten, sie hängt direkt von der Landesregierung ab. Gegenüber der Regelung von 1998 sind Sexten und St. Ulrich als strukturstarke Gemeinden herausgefallen und Olang dazugekommen. Die restlichen Gemeinden oder Fraktionen gelten als touristisch entwickelte Gebiete, sie können ihre Bettenzahl ab 20% aufstocken. In den Gemeinden Bozen, Meran, Brixen und Bruneck sind die Er weiterungsmöglichkeiten der Betriebe auf das Doppelte der in den touristisch entwickelten Gebieten möglichen Erweiterung beschränkt. In Abschnitt III des Landesraumordnungsgesetzes, der den Gemeindebauleitplan festlegt, finden sich weiters Regelungen zur Sicherung der Fremdenverkehrsfunktion Südtirols. Um diese zu gewährleisten, dürfen die Gebäude bestehender Beherbergungsbetriebe auch im Falle eines Abbruchs und späteren Wiederaufbaus keiner anderen Zweckbestimmung zugeführt werden.32 Der Bau von Hallenbädern wurde für Betriebe mit mindestens 40 Gästebetten zulässig, wobei pro Gästebett fünf Quadratmeter Bruttogeschossfläche errichtet werden können. Der Bau von Konferenzräumen ist für Betriebe mit mindestens drei Sternen zulässig, wobei pro Gästebett fünf Quadratmeter Bruttogeschossfläche gebaut werden können. Für Räumlichkeiten zur Verabreichung, Zubereitung und Lagerung von Speisen und Getränke können acht Quadratmeter Bruttogeschossfläche pro Gästebett errichtet werden. Für die Kurabteilung können Betriebe mit mindestens drei Sternen, vier Quadratmeter Bruttogeschossfläche pro Gästebett bauen. Auf zwei Gästebetten kann ein Garagenplatz errichten werden. Die neu errechnete Anzahl der Garagenplätze kann wiederum um 20 % für das Personal ergänzt werden.33 Eine von Thomas Demetz34 beschriebene Durchsicht dieser Bestimmungen mit einer bedingten Anwendung in sogenannten touristisch stark strukturierten Gebieten hat sehr interessante Szenarien hervorgebracht. So können unter besonderen Vorraussetzungen Dreisternehotels ihre Größe verdoppeln und bei einem Kategoriesprung von einem Zwei- auf einen Dreisternebetrieb die ursprünglichen Dimensionen sogar um das 2,3fache erweitern.35 Ein Sprung von 3 auf 4 Sterne bedeutet eine mögliche Erweiterung auf das 2,6fache und von 2 auf 4 Sterne ermöglicht es sogar die 3fache Ausgangsgröße besetzen zu können. Ein solcher Maßstabsprung betrifft nicht nur die technischen, im Gesetz festgelegten Kubaturen, sondern bringt meist formale Ausuferungen mit sich die gesetzlich nicht festsetzt wurden. Das Neuangebaute besteht meist aus Erkern, Säulen oder Türmchen. Ob real oder nur aufgemalt, stellen sie ungeschickte Versuche dar, Authentizität zu vermitteln, den historischen Bestand aufzustocken oder zu wiederholen. Falsche Schlösser mit Garagenfronten verteilen sich inflationär über die Landschaft und verwandeln sie so in einen Themenpark. Die Pingpongpostmoderne ist das was Demetz als «postmoderne Distorsion» der letzten zwei Jahrzehnte beschreibt. 060(05)PINGPONGPOSTMODERNE
31 Ebd. 4. 32 Landesgesetz vom 11. August 1997, Nr. 13 1) Landesraumordnungsgesetz Abschnitt III Gemeindebauleitplan.
36 Hoteliers- und Gastwirteverband (HGV). http://www.hgv.it: 12.06.2005. 37 Ebd. 4.
38/39 Josef Rohrer: Disney mit Tirolerhut. Aus: ff Südtiroler Wochenmagazin 34 vom 24. Februar 2005, Thomas Demetz ist Stell- No. 8. vertretender Präsident des Nationalinstituts für Urbanistik (INU) - Südtirol. 33 Ebd. 5.
35 Ebd. 5.
Die Kategorisierung von Hotels durch Hotelsterne wurde eingeführt, um diese in Leistung und Qualität einzustufen. Die meisten europäischen Länder haben eine Hotelklassifikation, die entweder durch einen Verband oder durch eine Behörde geregelt wird. Schweden, Finnland und Norwegen gehören zu den wenigen Ländern, die kein einheitliches System haben. Auch über ein einheitliches europäisches System wird nachgedacht, obwohl dies sehr schwer umsetzbar wäre, da die Prioritäten jedes Landes und dessen Systems sehr unterschiedlich sind. Meist werden Skalen von einem bis fünf Sterne angewendet. Doch die Bewertungskriterien zwischen den einzelnen Ländern sind sehr unterschiedlich. Die Hotelkategorisierung wird in einigen Ländern durch den Gesetzgeber vorgeschrieben (Niederlande und Spanien) oder freigestellt (Deutschland und Österreich). In Südtirol können sich alle gastgewerblichen Beherbergungsbetriebe jederzeit neu einstufen lassen. Das Ansuchen muss bei der Gemeinde abgegeben werden. Betriebe, die um eine Einstufung als 4- oder 5-Sterne-Betrieb ansuchen, werden von einer Fachkommission überprüft.36 Die Richtlinien für die Einstufung der gastgewerblichen Beherbergungsbetriebe wurden 1989 in einer Durchführungsverordnung zum Landesgesetz bezüglich der Gastgewerbeordnung von 1988 37 festgesetzt. Die Entstehung der Pingpongpostmoderne kann aber nicht nur über die gesetzlichen Bestimmungen, sondern über die Zusammensetzung der örtlichen Baukommissionen in Südtirol deduziert werden. Baugenehmigungen erteilen in Südtirol die Bürgermeister denen (beratend) die Baukommissionen als Begutachtungsinstanz zur Seite steht, welche durch eine Überzahl Nichtkundiger gebildet ist: ein Bauer, ein Hotelier, der Feuerwehrkommandant, der Amtsarzt. Ein Überrest aus alten Zeiten als Sanitäts- und Sicherheitsnormen noch spärlich waren, aber gegenwärtig von den Normen die das Bauamt überprüft abgedeckt werden. Im Winter 2004 wurde in Südtirol heftig über eine Neuerung dieser Zusammensetzung diskutiert. Vorerst von den Grünen initiiert, die eine gründliche Reform der Gemeindebaukommissionen vorlegten, wurde der Beschlussantrag im Landtag von der Südtiroler Volkspartei (SVP) zuerst abgelehnt, um dann von letzterer (nahezu übereinstimmend) wieder aufgegriffen zu werden. 38 Eine Arbeitsgruppe, die von Landesrat Michl Laimer (SVP) eingesetzt wurde, sollte ein neues Raumordnungsgesetz schreiben und eine Reform der Baukommissionen beinhalten. Der Änderung gemäß sollen Amtsarzt, Feuerwehrkommandant und Vertreter der Hotellerie gestrichen werden, die Bauern dürfen ihren Vertreter nicht mehr unter sich aussuchen, sondern aus einer vom Bauernbund geführten Liste von Architekten, Ingenieuren und Agronomen. Vor allem die Rubrik um den Austausch von internen Laien mit externen Experten stieß auf massiven Widerstand. Die Grünen hingegen schlugen vor, in größeren Gemeinden oder Bezirksgemeinschaften sogenannten Gestaltungsbeiräte einzurichten, wie sie sich in Salzburg oder Vorarlberg schon seit Jahren bewähren. Die kleine Fachgruppe aus ortsfremden Architekten soll in öffentlichen Sitzungen über die Auswirkung von größeren Bauprojekten auf Orts- und Landschaftsbilder diskutieren und die Baukommissionen dadurch beraten.39 Gegenwärtig ist um das neue Raumordnungsgesetz wieder Ruhe eingekehrt, auch wenn Landesrat Laimer die Reform durchsetzen will. Der Hoteliersund Gastwirteverband (HGV) will die Unterscheidung zwischen strukturschwachen und touristisch stark entwickelten Gebieten reduzieren.
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Pingpongpostmoderne® & Post-PostmoderneRV Wie der Manierismus, der die Spätrenaissance als Epoche bezeichnet, kann man auch die Pingpongpostmoderne als eigene oder Spätepoche, Ende, Nachfolger oder Sequenz der Postmoderne verstehen. Manierismus und Pingpongpostmoderne reagieren in ihrer Abkehr von den harmonischen und ausgewogenen Kompositionen ihrer Vorepochen analog, was zu einer gesuchten, gezierten und spannungsgeladenen Manier führt/e, deren allegorische und enigmatische Darstellungen (eigentlich) nur von eingeweihten Kennern (besonders des aufstrebenden Bürgertums) verstanden werden sollten. War der Manierismus eine stilistisch selbstständige Übergangsphase, ist das die Pingpongpostmoderne nicht; ihre Ausmaße schon. Der Architekturtheoretiker Robert Venturi versteht die Gegenwart als manieristische Zeit («Mannerist Time»), als Post-Postmoderne. «Die Postmoderne war schrecklich, aber der Post-Postmodernismus von heute, der ein historisch industrielles Vokabular wieder belebt, macht das gleiche wie einen historischen Renaissancestil wieder zu beleben, denn die Industrielle Revolution ist jetzt genauso historisch wie die Renaissance. Jeder weiß wir leben in einer Post-Industriellen Zeit, dem Informationszeitalter - einer Zeit in der Architektur abstrakte Formen ablehnen und elektronische Ikonografie fördern soll!» 1 In der Pingpongpostmoderne induzieren die Erwartungshaltung der ���������������������������������������������������������������� Gäste und die Vorwegnahme durch die Gastgebenden das Zusammenfügen von Elementen, die Tradition und Moderne vereinen sollen, entsprechend 1:1 zu Regionalem mit Urbanem. Das macht die Pingpongpostmoderne zu einem regionalen Symptom einer allgemeinen Unentschlossenheit und Verlegenheit, die die Architekturtheorie im Umgang mit Raum erfasst. «God ����� is dead, the author is dead, history is dead, only the architect is left standing... an insulting evolutionary joke...» �2
RV Robert Venturi(/Denise Scott Brown)
1 «Postmodernism was horrible, but the postpostmodernism of today, which revives a historical 8 industrial vocabulary is Ebd. 2. doing the equivalent of reviving a Renaissance historical style, because the Industrial Revolution is as historical now as is the Renaissance. Everyone else knows we are in the Post-Industrial Age, the Information Age - in an age when architecture should reject abstract form an promote electronic iconography!» Interview with Denise Schott Brown & Robert Venturi by Rem Koolhaas & Hans Ulrich Obrist: Relearning from Las Vegas. Aus: Rem Koolhaas, Brendan McGetrick (Hg.): Content, 2004. 2 Rem Koolhaas: Junkspace. Aus: Chuihua Judy Chung/Jeffrey Inaba/Rem Koolhaas/Sze Tsung Leong(Hg.): Harvard Design School Project on the City 2/The Harvard Design School Guide to Shopping, Köln 2002: 1. MA Marc Augé
Pingpongpostmoderne® & Nicht-Orte MA «La vie c’est ailleurs (Das Leben ist anderswo)»3 Marcel Proust
Der französische Anthropologe Marc Augé versteht Nicht-Orte als Räume die man durchwandert, in denen man keine Wurzeln schlägt; Räume des Transits (Autobahnen, Flughäfen), des Konsums (Supermärkte, Hotelketten) und der Kommunikation (Fernsehbildschirme und Computer). Die in «Non-lieux» 4 definierte Übermoderne, die sich durch ein dreifaches Übermaß an Zeit, Raum und Individualität auszeichnet, sowie durch die Ausbreitung von «Nicht-Orten», die weder identitäts- noch beziehungsstiftend sind, droht unser Innenleben und unsere Imaginationskraft auszuzehren. So wie ein Ort durch Identität, Relation und Geschichte gekennzeichnet ist, definiert ein Raum, der keine Identität besitzt und sich weder als relational noch als historisch bezeichnen lässt, einen Nicht-Ort.5 Die wörtliche Übersetzung des griechischen utopia ist «Nicht-Ort» und leitet sich aus den griechischen Worten: eutopie (guter Ort) und outopie (kein Ort) ab. Er ist somit Ausdruck der Nicht-Lokalisierbarkeit, keinesfalls aber eines mangelnden Realitätsbezugs. Der Begriff Utopie stammt vom englischen Humanisten Thomas Morus (1478-1535), der einen erdichteten Reisebericht über ein erfundenes Land Utopia schrieb, in dem es im Gegensatz zu allen ihm bekannten Ländern größtmögliche Harmonie unter den Menschen und eine bessere Gesellschaft gibt.6 Oft bezeichnet der Begriff eine Gesellschaft in der Menschen ein alternatives Gesellschaftssystem 062(06)DIE GESELLSCHAFT DES SPEKTAKELS
7 Michel Foucault: Andere Räume. Aus: Karlheinz Barck, Peter Gente, Heidi Paris, Stefan Richter (Hg.): Aisthesis, Leipzig 1990: 3.
3 Marcel Proust: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit. Frankfuhrt 1967. 4/5 Marc Augé: Orte und Nicht-Orte - Vorüberlegungen zu einer Ethnologie der Einsamkeit, Frankfurt 1994. 6 Marion Thiem: Tourismus und kulturelle Identität, aus: Politik und Zeitgeschichte B47/2001: 2.
[Prometheus]
praktisch zu leben versuchen. Sozialistische und kommunistische Utopien behandeln die gerechte Verteilung von Gütern, oft bei gleichzeitiger Ab schaffung des Geldes, bis hin zu den im Situationismus (bei Paul Lafargue) existierende Vorstellungen der Abschaffung von der Arbeit an sich. Foucault sieht in Utopien Plazierungen ohne wirklichen Ort, «die Plazierungen, die mit dem wirklichen Raum der Gesellschaft ein Verhältnis unmittelbarer oder umgekehrter Analogie unterhalten. Perfektionierung der Gesellschaft oder Kehrseite der Gesellschaft, die Utopien sind wesentlich unwirkliche Räume.»7 Die Form der Utopie, oder zumindest eine der Industriegesellschaft, ist die Ferienkultur und ihre Kritik selbst, die Tourismuskritik. Sie bedient sich gerne des Neologismus von Augé. Der Widerspruch, dass im Tourismus ein Ort aufgesucht wird, ist nur ein scheinbarer: Die Lokalisierbarkeit bleibt eine Vorstellung, die Bilder des einfachen, aber glücklichen Lebens werden weder in der Ferienkultur noch in der Kultur der Zielregion verwirklicht. Es ist vielmehr kennzeichnend für die Säkularisierung, die Diesseitigkeit, die Machbarkeitsideologie und die einseitige Dominanz des Intellekts in der Industriegesellschaft, dass die Utopie nicht mehr an einem fiktiven, sondern an einem realen Ort gedacht wird.8 Die Orte als Schauplätze des Tourismus, die auch auf die Rezeption als solche bestehen, kommen wiederum in ihrer Austauschbarkeit der Definition der Nicht-Orte von Augé nahe. Das Gegenteil einer Utopie ist eine Dystopie (gr.: dys= un-, topos= Ort). Autoren dystopischer Szenarien (Aldous Huxley, George Orwell) versuchen mit Hilfe eines negativen Zukunftsbildes vor Entwicklungen in der Gegenwart zu warnen. In der Zeit der industriellen Revolution finden sich die ersten Dystopien. Doch ursprünglich gab es zwar Gegner von Naturwissenschaft und technologischem Fortschritt, aber selbst die Fortschrittgläubigen zweifelten an den technologischen Möglichkeiten. Erste Entwürfe dystopischer Szenarien entstanden erst als diese Vorstellungen durch die Realität eingeholt wurden. Zu finden u.a. bei E.T.A. Hoffmanns «Der Sandmann» oder Mary Shelleys «Frankenstein oder Der moderne Prometheus», wo der Untertitel (gr. der vorher Überlegende, der Vorausschauende) auf den in der griechischen Mythologie festgehaltenen Titanen, der den Menschen erschuf und ihm das Feuer brachte, hinweist. Weil er Zeus‘ Gesetze übertrat wurde er von ihm bestraft: Prometheus wurde an eine Säule gefesselt und ein Adler kam jeden Tag zu ihm um seine Leber zu fressen, die auch jeden Tag nachwuchs bis ihn Herakles befreien konnte. Die Pingpongpostmoderne produziert dezidiert Orte (die Leber des Prometheus) und versucht diese auch als solche zu postulieren. Nicht-Orte werden ausgeblendet, korrigiert, mit Holz verkleidet, nur zugelassen wenn sie unbedingt notwendig sind. Es ist weniger die Angst vor einer Invasion der Nicht-Orte, denn die, dass bereits vorhandene Orte als Nicht-Orte aufgedeckt werden könnten. Dadurch dass das angrenzende Alpenhaus in seiner Substituier- und Wiederholbarkeit ebenfalls als Nicht-Ort wahrgenommen werden kann, geht von den Franchiseunternehmen, die die Blicke und Rezeptivität von Gästen und Einheimischen für Nicht-Orte latent empfänglich machen könnten, eine imminente Gefahr aus. Südtirol vermarktet Orte, bietet aber (auch) Nicht-Orte an. Die Orte als Hotels, Restaurants, Architektur sind zwar in gewissem Maße identitäts- und beziehungsstiftend, nehmen aber der Imaginationskraft den größten Bestandteil ab. Nur allgemeine Identität, Relation und Geschichte lassen sich kennzeichnen, doch die Räume lassen sich weder als relational noch historisch bezeichnen, 063(06)DIE GESELLSCHAFT DES SPEKTAKELS
[Gea Casolaro: Arginale Eisackuferstraße. C-Print, 2000]
[Gea Casolaro: Laimburg. C-Print, 2000]
[Gea Casolaro: Via L. Böhler L. Böhlerstraße. C-Print, 2000]
[Gea Casolaro: Via Resia Reschenstraße. C-Print, 2000]
[Gea Casolaro: Corso Libertà Freiheitsstraße. C-Print, 2000]
sind Nicht-Ort. Disambiguität, Disgruenzen, Discounter, Disjunktionen, Diskontinuität, Diskordanz, Diskotheken, Diskretion, Diskurse, Dislokationen und Dislozierungen, Disney, Disparität, Dispatcher, Dispenser, Dispersion, Displays, Disponenten, Dispositionen, Dispositive, Disproportionalität, Disqualifikation, Dissimulation, Dissozialität, Dissoziation, Dissuasion, Distinguierung, Distinktion, Distorsionen, Distraktionen und Distraktoren, Distribuenten und Distribution, architektonische Dysmorphophobien9: die Dis- und Dys-Ismen potenzieren sich auch in Südtirol. Pingpongpostmoderne® & JunkspaceRK Raum wurde immer nur als sein Behälter verstanden. Die Nicht-Orte der Übermoderne von Augés und die Post-Postmoderne Venturis (wie auch die Pingpongpostmoderne) sind ein Raster an dem man Architektur über den sozio-ökonomischen Raum und dessen Form definieren kann. Aber dadurch, dass Raum unsichtbar ist, basieren auch die Theorien über die Produktion des Raumes auf sein Gegenteil: Substanz d.h. Architektur. Aber Architektur konnte nie Raum erklären. Für Rem Koolhaas ist Junkspace die Bestrafung für diese Mystifikation.10 Er postuliert, dass wir uns selbst zu einer lebenslangen Konsolidierung in Arbitrarität verurteilt haben, da wir das Utilitaristische verabscheuen und so die Polaritäten äquatorial geworden sind. Nichts liegt mehr dazwischen. Es gibt nichts mehr zwischen Einsamkeit und Aufruhr, zwischen Schönheit und Grobheit. Das neue Junkfood der Enteigneten ist Identität, die Nahrung der Globalisierung für die Konzessionslosen («the disenfranchized»). 11 Junkspace wirkt wie eine Abweichung, ist aber das Wesentliche, der Hauptbestandteil. Er ist das Produkt der Begegnung zwischen Rolltreppe und Klimaanlage, das in einem Brutapparat aus Gipskartonplatten aufgenommen wird. Kontinuität ist die Essenz des Junkspace: Er macht sich jede Erfindung die Expansion ermöglicht zu nutzen, greift auf jedes Mittel das Desorientierung hervorruft (Spiegel, Hochglanzfarbe, Widerhall) zurück, verteidigt die Infrastruktur des Nahtlosen: Rolltreppe, Sprinkleranlage, Brandabschluss, Heißluftvorhang, Klimatisierung. Junkspace ist versiegelt und wird, wie eine Blase, nicht von Struktur sondern von Haut zusammengehalten. Junkspace ist additiv. Schichtweise angeordnet und leichtgewichtig, auf die gleiche Weise zerstückelt, wie Raubtiere einen Kadaver zerreißen: einzelne Stücke, die von einem universellen Zustand abgetrennt werden. Es gibt keine Mauern mehr, sondern bloß noch Trennwände die einen Raum unterteilen. Die Konstruktion stöhnt unsichtbar unter der Dekoration oder ist die Dekoration: kleine Raumrahmen, die nominelle Lasten tragen. 12
9 Dysmorphophobie (gr.: dys= un-, miss- und morphe= Gestalt, äußere Erscheinung sowie phobios= Furcht, Angst, Scheu) stellt eine Sonderform der Hypochondrie dar. Sie ist gekennzeichnet durch eine obsessive Beschäftigung mit einem eingebildeten oder tatsächlichen körperlichen Makel in der eigenen Person. Die Möglichkeit einer Therapie der Störung besteht aus der Verabreichung von besonderen Antidepressiva (Serotoninaufnahmehemmern) und einer kognitiven Verhaltenstherapie. Betroffene glauben, dass die einzige Behandlungsmöglichkeit darin besteht, den Makel auf Dauer zu beseitigen (kosmetische und plastische Chirurgie).
MF Michel Foucault JC Johnny Cash 13 Angela Schoibl: Entscheidungsfindung im Rahmen der Südtirol Option. Seminararbeit an der Universität Salzburg, 2000. 14/15 Ebd. 3.
RK Rem Koolhaas 10/11/12 Ebd. 1.
[Ladurns Mon Dec 20 13:45:00 2004]
[Ladurns Wed Apr 6 14:19:22 2005]
Andere RäumeMF/HotelzimmervandalismusJC Am 21. Oktober 1939 schlossen Hitler und Mussolini ein Abkommen zur Assimilierung der deutschen und der ladinischen Minderheit in Südtirol. Die Mitglieder dieser beiden Sprachgemeinschaften mussten bis zum 31. Dezember 1939 für einen Verbleib in Italien (mit dem Verzicht auf die eigenen Rechte, Sprache und Kultur) oder für die Auswanderung ins Dritte Reich optieren, die «Option für Deutschland». Die Option bezeichnet diese Zeit zwischen 1939 und 1943 in Südtirol. 85-90% der Südtiroler optierten für das Deutsche Reich und schlossen sich in der Arbeitsgemeinschaft der Optanten für Deutschland (ADO) zusammen. Durch die Option wurden 064(06)DIE GESELLSCHAFT DES SPEKTAKELS
[Ladurns Sat Jul 16 12:37:38 2005]
viele Familien zerstört und die Spaltung der Südtiroler Gesellschaft wirkte noch viele Jahre nach. Die ersten Familien verließen schon 1939 ihre Heimat, bis 1943 waren etwa 75.000 Südtiroler ausgewandert. Durch den Einmarsch der Wehrmacht in Südtirol 1943 und die Errichtung der Operationszone Alpenvorland wurde die Auswanderung dann gestoppt. Da das Gebiet Südtirol auch nach dem Zweiten Weltkrieg beim italienischen Staat blieb, erhielten jene Optanten die im Land geblieben waren, nach dem Gruber-De Gasperi-Abkommen wieder die italienische Staatsbürgerschaft. Die Rückkehrer bzw. «Rücksiedler» mussten ihre Südtiroler Herkunft nachweisen und ihre Kinder durch einen Geburtsschein belegen, dass sie ein Anrecht auf die italienische Staatsbürgerschaft hatten. Die Prozesse der Entscheidungsfindung waren einerseits von Politik und den Verhältnissen im Südtirol des faschistischen Italiens geprägt, andererseits aber auch vom Rassegedanken des nationalsozialistischen Deutschlands. Da die Option offiziell eine freiwillige Entscheidung war, stellten die von den Umsiedelungspropagandisten ausgehenden ökonomischen Boykotte, Versammlungen, aber auch die Androhung und Ausübung von Gewalt innerhalb der Südtiroler Bevölkerung, eine wichtige Komponente für den Entscheidungsfindungsprozess dar. Der Druck von staatlicher Seite führte zu einem Einbußen des öffentlichen Raumes und einem Verlaufen der Gruppengrenzen entlang der verschiedenen Identitäten. Der Zwang vom Staat auf die Volksgruppe, machte letztlich auch die eigenen deutschen Werte, die Sprache und Kultur emphatisch wichtig. Signifikant erkennbar wurde, dass die Einteilung in politisch und privat nicht differenzierbar war/ist, da beide Bereiche des Lebens nicht klar abgegrenzt voneinander bestehen, sondern sowohl im Privaten politische Aktivitäten gesetzt werden, als ebenso umgekehrt Politisches durch Privates bestimmt wird.13 Man kann den ideologischen, als den in Foucaults «Andere Räume» spekulierten, Konflikt zwischen «den anhänglichen Nachfahren der Zeit und den hartnäckigen Bewohnern des Raumes»14 interpretieren. Der Strukturalismus, der Versuch zwischen den in der Zeit verteilten Elementen, «ein Ensemble von Relationen zu etablieren, das sie als nebeneinandergestellte, einander entgegengesetzte, ineinander enthaltene erscheinen lässt». Der Raum hat in der europäischen Erfahrung eine Geschichte, und es ist unmöglich, diese schicksalhafte Kreuzung der Zeit mit dem Raum zu verkennen. Im Weitwinkel der Überwachungskameras und des touristischen Serviervorschlags befinden wir uns, und Südtirol, de facto in Foucaults «Epoche des Simultanen, wir sind in der Epoche der Juxtaposition, in der Epoche des Nahen und des Fernen, des Nebeneinander und des Auseinander».15 Die meisten ausgewanderten Südtiroler sind nach 1945 wieder zurückgekehrt. Nach dem Krieg und mit dem aufkommenden Tourismus ging spätestens in den Sechzigerjahren für viele, die ihr Zuhause mit Ferienzimmern adaptierten um es zur Pension/Garni zu expandieren, das Privatleben im Mythos des politikfreien touristischen Raums wieder verloren. In seinem Paragrafen zur Raumordnung in «Die Gesellschaft des Spektakels» schreibt Guy Debord, dass die allgemeine Isolierungsbewegung, die die Realität des Urbanismus ist, auch eine kontrollierte Wiedereingliederung der Arbeiter nach den planbaren Erfordernissen der Produktion und des Konsums enthalten muss. «Die Integration in das System muss die isolierten Individuen als gemeinsam isolierte Individuen wieder in Besitz nehmen: die Betriebe wie die Kulturzentren, die Feriendörfer wie die großen Wohnsiedlungen sind speziell für die Ziele dieser Pseudogemeinschaftlichkeit organisiert, die das vereinzelte Individuum auch in die Familienzelle begleitet: Die verallgemeinerte Verwendung von Empfängern der 065(06)DIE GESELLSCHAFT DES SPEKTAKELS
[Ladurns Tue Oct 26 15:59:58 2004]
[Ladurns Fri Nov 19 11:45:55 2004]
[Ladurns Sun Nov 21 13:45:40 2004]
[Ladurns Mon Nov 29 10:35:00 2004]
[Ladurns Mon Dec 6 11:30:00 2004]
Spektakelbotschaft bewirkt, dass seine Vereinzelung von den herrschenden Bildern bevölkert wird, von Bildern, die erst durch diese Vereinzelung ihre volle Macht erreichen.»16 «Das Hotel ist einer jener Orte der Moderne, in denen Kultur zu ihrem Format kommt - durch Gestaltung, durch Konsum und den Handlungsanleitungen, die in den Dingen stecken. Um das nachzuvollziehen, genügt ein Blick auf Hotelarchitekturen, auf Stimmungsdekorationen oder schließlich Speisekarten und Menüangebote.»17 Das Hotel dient als Ersatz für den privaten Raum. Man benützt das Hotel jedoch stets im Wissen, es wieder zu verlassen. Man kann es weder als privaten noch als öffentlichen Raum bezeichnen oder begreifen. Das Hotel ist ein interkontinentales Zuhause,18 die Schnittstelle des aufmerksam simulierenden Post-Touristen zu den intensiviert kulturellen Repräsentationen regionaler oder nationaler Eigenarten. «Ich bin nicht glücklich damit, dass die Art von Hotelvandalismus, der ich den Weg bereitet habe, für viele Leute heute eine Art Totem darstellt, eine harmlose und bewundernswerte Mischung aus jugendlichem Übermut und Missachtung von Konventionen. Für mich war es damals etwas völlig anderes. Es war dunkler und tiefer. Es war Gewalt.»19 Johnny Cash
[Hubert Gostner: Bergbahn 1998. Mixed Media, 10x15x2,5cm]
066(06)DIE GESELLSCHAFT DES SPEKTAKELS
16 Guy Debord: Die Gesellschaft des Spektakels, Paris 1967.
1 SWZ, 11.7.1969, S.3. 2 Josef Rohrer: Zimmer frei. Das Buch zum Touriseum, Bozen 2003: 1.
17 Bernhard Tschofen: Prädikat «alpin». Aus: 3 GAM 01 Tourismus und Landschaft, Graz 2004. Köbi Gantenbein: Ein Seufzer im Landwassertal. Aus: Hochparterre 18 Nummer 10, Oktober Sascha Reichstein: 2004, 17. Jahrgang. Projektidee «Hilton». Aus: http://www. 4 backstage-tourismus.org: St. Galler Tagblatt vom 15.05.2005. 26.10.2004. 19 5 Christian Schachinger: Köbi Gantenbein: Liebe ist stärker als der Tod. Aus: Der Standard, Zauber auf dem Berg. Aus: Hochparterre 13./14.9.2003, Wien. Nummer 4, April 2004, 17. Jahrgang. 6 Il giornale dell‘architettura, N.26, Februar 2005.
Peritransplantationen® In Meran ging 1968 das Skigebiet «Meran 2000» mit einer modernen Seilbahn auf den Ifinger in Betrieb. Dank der Höhenstation mit ihren Ski- und Sesselliften schien für die Kurstadt ein neues Zeitalter anzubrechen. Nach dem Vorbild französischer Skiorte sollte an der Bergstation der Seilbahn ein 34-stöckiger Wolkenkratzer mit 1.000 Betten, Hallenbädern, Kurabteilungen und Nachtclubs entstehen. Die Wirtschaft schwärmte vom «Beginn einer neuen touristischen Entwicklungsphase», die Südtiroler Wirtschaftszeitung (SWZ) aber warnte: «Ein Wolkenkratzer in isolierter Lage mag noch gehen. Aber würde daraus ein Trend, so wäre das wohl eine Katastrophe.»1 Deren Redakteur Robert Huldschiner warnte immer wieder vor zu starker Verbauung der Landschaft Südtirols. Wegen des energischen Widerstands von Umwelt- und Heimatschützern verweigerte die Landesregierung eine Genehmigung für das Hochhaus. Zum ersten Mal scheiterte in Südtirol ein touristisches Großprojekt am Widerstand der öffentlichen Meinung. 2 Auf der Schatzalp in Davos ließ 1898-1900 der Holländer Willem Jan Holsboer 300 Meter über dem Dorf mit 500 Bauarbeitern in großen Erdbewegungen eine künstliche Geländeterrasse bauen. An diesem Ort, den er zwei Jahre lang gesucht hatte und den er nicht zuletzt wegen der maximalen Sonneneinstrahlung ausgewählt hatte, wurde ein Nobelkurhaus des aus St. Gallen stammenden Architekten Otto Willhelm Pfleghard und vom Zürcher Max Haefeli geplant, das heute ein Denkmal der frühen Betonarchitektur ist. Herzog & de Meuron präsentierten 2004 ein 105 Meter hohes Hochhaus (eine Erweiterung der Bergbahn und des alten Hotels) für die Schatzalp, das Graubündens höchstes Gebäude wäre. Mit dem Erlös des Wohnungsverkaufs wollten die beiden Schatzalp-Besitzer Pius App und Erich Schmid den Altbau sanieren. Die Studien zur Schatzalp, die Herzog & de Meuron im Basler Schaulager präsentierten, beinhalteten Formenmodelle von langen spitzwinkligen Dreiecken bis zu amorphen Waben. Versuche von räumlicher Organisation mit schneeflockenartigen Grundrissen hätten zu einer organischen, naturähnlichen Struktur geführt: «einem Tannenzapfen ähnlich», erläuterte Büropartnerin Christine Binswanger in der Oktoberausgabe der Schweizer Zeitschrift «Hochparterre».3 Pierre de Meuron präzisierte anlässlich einer Informationsveranstaltung für die Davoser Bevölkerung, der Turm werde «eine warme Sache, die das Auge anspricht, keine Fassade aus Glas und Stahl, weil das nicht in die Bergwelt passen würde». Die Kritiker warnten, wie 1964 in Meran, vor der präjudizierenden Wirkung des Projekts und dass die Natur der Schatzalp kein Hochhaus aufnehmen könne. Diese wäre ergänzend noch durch die Reaktivierung der stillgelegten Skilifte und Sesselbahnen im Strela-Gebiet und den Bau neuer Schneekanonen bedroht. Der Landschaftsschutz wollte verhindern, dass solch gigantische Projekte außerhalb der Baugebiete zur Regel werden. Der ETH-Architekturprofessor Adrian Meyer fürchtete dieses Präjudiz nicht: «Der Turm in den Bergen sei im Grundsatz nichts anderes als eine Staumauer, eine Bergstation oder eine Passstrasse.»4 Für den «den letzten Baum am Waldrand»,5 wie Pierre de Meuron das Projekt weiters begründete, müssten der Zonenplan, das Baugesetz und die generellen Gestaltungspläne geändert werden. Schließlich stimmte die Davoser Bevölkerung in einem Volksreferendum am 30. Oktober 2004 knapp (mit 1.985 zu 1.825 Stimmen) für die Umzonung des Projekts.6 Die Einsprachen der Stiftung für Landschaftsschutz und der Davos Klosters 067(07)PERITRANSPLANTATIONEN
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& ÜBERBLENDUNGEN
[Fotomontage des 1969 vorgestellten Höhenhotels auf Meran 2000]2
[Giacomo Matté-Trucco: Fabbrica FIAT del Lingotto, 1916-1926]
[Schatzalp Davos]
[Herzog & de Meuron: Schatzalp Davos]
[Herzog & de Meuron: Schatzalp Davos]
Bergbahnen AG bei der Bündner Standeskanzlei gegen die Änderung des Zonenplans lassen aber das Projekt noch weiter in Ferne rücken.7 MVRDV stellten im September 2004 Pläne für die Londoner Serpentine Gallery vor. In der Nachfolge von Oscar Niemeyer, Zaha Hadid, Daniel Libeskind und Toyo Ito, schlugen sie einen «grünen Hügel» als Volumen über dem 300 m² großen Altbau der Galerie vor. Die Serpentine Gallery lässt alle zwei Jahre in Zusammenarbeit Ove Arup Bauten entwickeln, ausstellen und nach Ablauf des Sommers versteigern. Der Hügel soll mit 23 Metern Höhe die Baumwipfel der Parkbäume überragen und von einer auf seinem Gipfel gelegenen Plattform einen Ausblick auf den Hyde Park ermöglichen. Im Inneren des Hügels sollen die Ausstellungsräume untergebracht werden. Für dessen Errichtung sind 200 Tonnen Stahl und Fundamente die 3 Meter tief reichen sollen erforderlich.8 Im Januar 2005 wurde bekannt, dass aufgrund technischer Schwierigkeiten bei der Umsetzung des Projekts das Bauwerk vermutlich erst 2006 fertig gestellt werden kann.9 Die Serpentine Gallery beauftragte kurzfristig Alvaro Siza und Eduardo Souto de Moura einen neuen Pavillon zu entwerfen. Ein formal sehr ähnliches Projekt wurde im Sommer 2005 auf der Kunstbiennale von Venedig realisiert. Hans Schabus‘ Überbauung des Österreichischen Pavillons mit einem künstlichen Berg löste die Architektur des Hofmann-Pavillons auf und übersetzte sie in eine neue Funktion. «Das Letzte Land» funktionierte als Gegenstück zu dem 1895 im Wiener Prater vom Theatermacher Georg Steiner und dem Architekten Oscar Marmorek gebaute «Venedig in Wien»: eine Lagune mit echten Gondeln und authentischen Gondolieri. 10 Die Besucher der Weltausstellung 1904 in St. Louis wurden auf eine simulierte Überquerung der Tiroler Alpen eingeladen. Nach einem Entwurf von Hermann Knauer war eine Bergsilhouette mit ihren schneebedeckten Gipfeln zu sehen. Eine Bergbahn führte in das teilweise massiv gebaute Gebirge hinein, dessen pittoreske Illusion durch gemalte Kulissen und folkloristische Auftritte wie Fronleichnamsprozessionen und Wandererszenen gesteigert wurde. Durch steinerne Tunnels, dunkle Wälder, vorbei an Bergseen fuhr man bis zum Zillertal, dessen Berggipfel über einen Aufzug erklommen werden konnten. Mit Blick auf den Königsee glitt man auf Rutschen wieder ins Tal hinab. Dioramen von den bayerischen Königsschlössern oder begehbare Burgen und Bergdörfer, in deren Straßen regionale Produkte verkauft wurden oder einer Dorfkirche, die Veranstaltungsort der Oberammergauer Passionsspiele war, vervollständigten das Bild. Höhepunkt dieser Tour bildete ein im Stile König Ludwigs II. eingerichtetes Lokal, das 3.000 Besucher gleichzeitig zu Schuhplattlermusik mit Bier versorgen konnte.11
7 St. Galler Tagblatt vom 05.01.2005. 8 http://www.baunetz. de/db/news/meldungen_artikel_fotos. php?news_id=79177: 25.02.2005.
13 Ebd. 1. 14 Rezension von Christian Rapp für das Filmarchiv Austria. http://www.filmarchiv.at/events/1203/ bergfilm/verlorenesohn. htm: 15.02.2005.
9 http://www.baunetz. de/db/news/meldungen_artikel_fotos. php?news_id=79692: 25.02.2005.
15 peri..., Peri...: (gr. perí «ringsum; um ... herum; in der Nähe, bei; ungefähr») Präfix mit der Bedeutung «um ... herum, umher, über 10 ... hinaus» Aus: Duden, Markus Mittringer: Bd.5: Fremdwörterbuch, Felsmassiv ohne Grundfe- Mannheim 2004. sten. Aus: Der Standard, 10.6.2005, Wien. 16 Christian Kühn: Solitär 11 oder im Rudel? Aus: aut. http://www.expo2000. Architektur und Tirol: de/expo2000/geschich- reprint (Ein Lesebuch zu te/detail.php?wa_ Architektur und Tirol), id=9&lang=2&s_ Innsbruck 2005. typ=20: 10.05.2005. 17 12 Michael Anft: Die MVRDV: Costa Iberica Studie «Alpendorf». Upbeat To The Leisure Auswirkungen des City, Barcelona 2000. Massentourismus auf das ökonomische und soziale System eines Bergdorfes. Aus: Heinz Hahn, H. Jürgen Kagelmann (Hg.): Tourismuspsychologie und Tourismussoziologie (Ein Handbuch zur Tourismuswissenschaft), München 1993. 18 King Kong, USA 1976. Regie: John Guillermin. Buch: Merian C. Cooper, Edgar Wallace.
[MVRDV: Serpentine Gallery, 2004]
Das 2000 erschienene «Costa Iberica» 12 ist auf ein Gebiet ausgelegt, in dem das sensible vertikale und horizontale Gleichgewicht zwischen Landschaft und Architektur, im Gegensatz zu den geschützten Alpen, bereits auseinander geraten ist. Die Costa Blanca wurde von Planern und Spekulanten seit den Sechszigerjahren derart misshandelt, dass ehemalige Fischerdörfer wie Benidorm heute mit Hotel- und Apartmenttürmen der größte Ferienort Europas sind. Die Skyline von Benidorm besteht aus rund 150 meist schlanken Turmhäusern von über 75 Metern Höhe, sowie einer Vielzahl zwanzigstöckiger Bauten, die den weit geschwungenen Strand vom Hinterland trennen, das sich wiederum vor einer Bergszenerie ausbreitet: die Skyline soz. verdoppelt. In den Alpen wird die topografische Situation 068(07)PERITRANSPLANTATIONEN
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& ÜBERBLENDUNGEN
[MVRDV: Densifying Benidorm, 2000]12
nicht durch eine Parallelsetzung zweidimensionaler Fassaden erlebt, also nicht durch eine parallele Reihung eigentlicher Schichten. Eine vertikale Form und Front die sich vor bzw. zur Bergsilhouette stellen würde, gilt als sich negativ auf das als sehr sensibel vermarktete Elektrokardiogramm auswirkend. Wenn Le Corbusier die Dolomiten als «das schönste Bauwerk der Welt» deklariert, beinhaltet dies auch die Enunziation, dass die Berge eine formale Heterogenität wie Bauwerke aufweisen können. Der Tourismus versucht nach Bedarf, abgestimmt mit Werbeprospekten und weiteren Repräsentationsmedien, einen größten gemeinsamen Nenner dieser Wahrnehmung vorwegzunehmen. In Südtirol entwickelte sich 1978, aus dem Versuch Tourismus mit Landwirtschaft gemeinsam zu vermarkten und den Südtirol-Touristen auch als Käufer von Südtiroler Produkten zu gewinnen, ein stilisierter weißer Bergzacken mit der Aufschrift «Südtirol». Das Logo wurde vom Landesverkehrsamt allerdings nur einmalig verwendet, da die Zacken nicht dem gemütlichen Bild entsprachen, das man den Urlaubern von Südtirol vermitteln wollte: Es setzte sich lediglich als Gütesiegel für landwirtschaftliche Produkte durch.13 In Luis Trenkers «Der verlorene Sohn» (1934) ist die berühmteste Szene die des Übergangs der Bergsilhouette der Dolomiten in die Hochhauslandschaft von Manhattan. Um die Schauplätze zu verbinden, setzte Trenker auf das Stilmittel der Überblendung. Der Film besteht aus konträren Schauplätzen, in die der Held fast unvermittelt eingelassen wird: Heimat und Fremde. Im Unterschied zur Festigkeit der Berge erweist sich im Film das imposante Bild der Stadt als bloße Maske hinter der sich eine deprimierende Realität verbirgt, und die formale Verwandtschaft erweist sich als Illusion. Umgekehrt zieht gegen Ende des Films eine Feuermaske, die in der Tiroler Rauhnacht getragen wird, Tonio (Luis Trenker) geradezu magisch in das heimatliche Idyll zurück.14 Bei allen Entwürfen findet eine Peri15transplantation® urbaner und alpiner Elemente statt, die ohne Aggregatzustand, wie in der Überblendung Trenkers, disloziert werden. Das Hochhaus, als amerikanische Steigerungsform des Städtischen, ist in Europa auch im urbanen Kontext als Solitär verdammt und wird nach kultureller Wetterlage als Signal der Modernisierung oder Bedrohung des historischen Bestandes wahrgenommen.16 Als Index für Urbanisierung und Moderne bedeutet eine Umsiedlung bzw. ein Angang dieser Struktur in eine antagonistische Landschaft u.a. das Kennzeichnen einer industrialisierten Autorität eines Gebietes. Die Typologie des Hochhauses resultiert aus einer (nur von der Technik begrenzten) endlichen Multiplikation und vertikalen Aufrichtung des Baugrundes. Eine solche Entwurfsentwicklung, in einer Umgebung in der Landschaft als Repräsentation des Unendlichen vorherrscht, wird als stark ikonografische Stellungnahme beachtet. Ähnlich der Akkulturation in der Alpendorf-Studie von Guntern, bei der eine Orientierung der Jugendlichen an die hedonistische Lebensweise der Gäste beobachtet wurde, 17 die sich in der Nachahmung gewisser Verhaltensmuster ausdrückt, sind die Peritransplantationen Ausdrucksform entsprechender Emulationen bzw. Differenzierungsdeklaration. Der entgegengesetzte Algorithmus des skalierten Berges oder des Skidomes in einer antithetischen Umgebung sichert einen ähnlichen Protagonismus wie die Narkotisierung und Verfrachtung King Kongs18 nach New York zu.
[Luis Trenker: Der verlorene Sohn, 1934]
[Luis Trenker: Der verlorene Sohn, 1934]
[Luis Trenker: Der verlorene Sohn, 1934]
[Elektrokardiogramm]
[King Kong, 1933]
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& ÜBERBLENDUNGEN
MVRDV sind schon 2000 mit dem niederländischen EXPO Pavillon in Hannover, mit einer solchen Peritransplantation auf bzw. aus mehreren Layern bekannt geworden. Generell wurden Peritransplantationen von MVRDV als Visualisierung von Verdichtungsprozessen und Funktionsstapelungen eingesetzt, die alpinen Szenarien die für das «Stadtland Schweiz» entwickelt wurden, auf Publikationen beschränkt. «Die Ebene verlangt eine vertikale Baugliederung; das Gebirge eine horizontale», schrieb Adolf Loos 1913 in «Regeln für den, der in den Bergen baut».19 Herzog & de Meuron drehen die Ebene um 90° und das Hotel Tirol von Karl Landauer in Südkorea dreht die Demografie Tirols um 90°: die Linie orthogonal zum Punkt. «Sous le pavé, la plage.»
De facto transformierten sich aber die vertikalen Hierarchien in Gebäuden auf fundamentale Weise bereits schon früher. Der Fahrstuhl griff in der Zeit zwischen 1890 und 1930 in die materielle und symbolische Ordnung mehrgeschoßiger Häuser ein: ein Umschichtungsprozess, der das Hotel genauso betraf wie das Miets- oder Bürohaus. Neben dem Bedeutungswandel hoch gelegener Räume ist der Fahrstuhl so etwas wie die Möglichkeitsbedingung für die Neucodierung der Vertikalen um 1900.20 Das in «Delirious New York» von Rem Koolhaas beschriebene Theorem von 1909 verhieß die Neugeburt der Welt im Spektakulären dieser vertikalen Stapelung. Es erklärte die ideale Performanz des Wolkenkratzers: Eine schlanke Stahlkonstruktion trägt 84 horizontale Ebenen, alle von der Größe des ursprünglichen Grundstücks. «Die Zeichnung legt sogar nahe, dass der Bau genau in dem Ausmaß ein Ganzes ist, in dem die Individualität seiner Ebenen gewahrt und genutzt wird, dass sich sein Erfolg daran bemißt, inwieweit er der Koexistenz der Ebenen einen Rahmen verleiht, ohne auf deren jeweiliges Schicksal Einfluß zu nehmen. Das Gebäude wird zu einem Stapel individueller Privatheit.» Jedes metropolitane Grundstück kann (zumindest theoretisch) eine unvorhersehbare und instabile Kombination simultaner Aktivitäten beherbergen: Der Wolkenkratzer als utopisches Instrument zur unbegrenzten Gewinnung von Neuland an einem einzigen städtischen Standort.21 & Überblendungen
19 Adolf Loos: Regeln für den, der in den Bergen baut. Aus: aut. Architektur und Tirol: reprint (Ein Lesebuch zu Architektur und Tirol), Innsbruck 2005. 20 Joseph Vogl (BauhausUniversität Weimar, Fakultät Medien): Antrag Forschungsprojekt «Künstliche Welten der Moderne: Raumstrukturen-Wissensordnungen-Ereignisformen». http://www.uni-weimar. de/medien/kuenstlichewelten/forschung/forschung_projekt.htm: 10.09.2005. 21 Rem Koolhaas: Delirious New York, A Retroactive Manifesto for Manhattan, New York 1994. 22 Lichtbildbühne, 24. Jg., Nr. 29, 3.2.1931. Nach: Christian Rapp: Zwischen Naturapotheose und Körperkult (Eine Kurzbetrachtung des Genres Bergfilm). Essay zu «Kino Alpin» im Film Archiv Austria 2.12.-20.1.2004. http://www.filmarchiv. at/events/1203/txt01. htm: 15.02.2005. 23/24 Vossische Zeitung, Berlin, Nr. 228, 14.5.1924. Nach: Ebd.
25/26/27 Christian Rapp: Zwi29 schen Naturapotheose und Ebd. 2. Körperkult (Eine Kurzbetrachtung des Genres Bergfilm). Essay zu «Kino Alpin» im Film Archiv Austria 2.12.-20.1.2004. http://www.filmarchiv. at/events/1203/txt01. htm: 15.02.2005: 2.
Bergfilme setzen gerne auf das Mittel der Überwältigung. Schon in der Frühzeit des Genres reagierte die Kritik auf Bergfilme mit Sprach- und Atemlosigkeit. Man sah sich «hochgerissen in den Sturm eines erregenden Erlebnisses» (Stürme über dem Montblanc, 1931),22 überwältigt von «bezwingender, erobernder Kraft» (Berg des Schicksals, 1924)23 oder erfasst vom «Grauen abgrundtiefer Spalten» (Die weisse Hölle vom Piz Palü, 1929). Dazwischen verschwand jedes reflektierende Subjekt und löste sich in «namenloser Schönheit» 24 auf. Die Pathosformel des Bergfilms ist eine des Bildes, plausible Handlungsabläufe und glaubwürdige Erzählungen sind eher nebensächlich. Stets ist die bergsteigerische Aktion der rote Faden und oft genug die eigentliche Legitimität des Films.25 «Bergfilme sind darin - man verzeihe den Vergleich - Sexfilmen verwandt, die gleichfalls mit der Dramaturgie periodischer Erregungen und zeitgerechter Erlösungen arbeiten. Die besten Bergfilme schaffen es, den «Akt» raffiniert zu verzögern und ein einigermaßen triftiges Motiv zu formulieren, warum ein Mensch im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte aus der waagrechten in die vertikale Fortbewegung wechseln sollte. In «Berg der Versuchung» dauert es über eine halbe Stunde, bevor sich Bergführer Spencer Tracy alias [Das Theorem von 1909]21
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& ÜBERBLENDUNGEN
28 Jürg Frischknecht: Braune waren fürs Engadin Gold wert. Riefenstahl, Trenker, Fanck und Flaig - Propaganda für den «Festsaal der Alpen», WOZ Wochenzeitung 16/03 vom 17.04.2003: «Das politische Chamäleon Trenker wäre ein Kapitel für sich. Mal versicherte er dem Führer in einem persönlichen Brief (1940) seine Treue, mal teilte er der Nachwelt mit, wie kritisch er dem Dritten Reich gegenübergestanden sei. Ein Schlitzohr und Wendehals und stets auf seinen Vorteil bedacht. Es kostete Trenker wenig Mühe, wichtige Episoden in seinem Leben frei zu erfinden. Oder im Leben anderer. Nach dem Krieg hausierte er mit (möglicherweise von ihm fabrizierten) vulgär-deftigen Tagebüchern der Eva Braun, auch bei der «Weltwoche» in Zürich, was der Bundespolizei nicht entging. Eine Zeit lang durfte Trenker seiner früheren Nazikontakte wegen nicht für mehr als fünf Tage in die Schweiz einreisen. Später war er auch wieder im Engadin anzutreffen, jedoch höchstens halböffentlich. Die meisten erinnern sich an den alten Charmeur wegen seiner zahlreichen Fernsehauftritte.»
Zacharias Teller endlich dazu bewegen lässt, mit seinem alpinistisch inkompetenten Bruder in die Wand zu steigen. In «Die weisse Majestät», einem Schweizer Bergfilm aus dem Jahre 1933, wartet das Publikum fast bis zum Ende, ehe der Protagonist im entscheidenden Wettkampf um den Gipfel seine Konflikte lösen darf. Viele Filmautoren geben sich weit weniger Mühe, den Showdown am Berg aus einem plausiblen Motiv heraus zu erklären.»26 Christian Rapp
Für den Kulturhistoriker Christian Rapp war der Bergfilm, wie auch andere Genres, stets abhängig von gesellschaftlichen Bewusstseinslagen und massenpsychologischen Trends. Auch wenn die kontinuierliche und anhaltende Faszination an Bergbildern und die darin gern beschworene ewige Schönheit der Natur vermuten lassen, dass man es beim Bergfilm mit einem geradezu zeitlosen Genre zu tun habe, das sich lediglich aus der Natur- und Sportbegeisterung des modernen Menschen nähren würde.27 Nach der Bergfilmzeit waren die Werke von Arnold Fanck, der spät der NSDAP beitrat, von der nationalsozialistischen Propaganda geprägt. Fancks berühmtester und kommerziell erfolgreichster Film ist «Die weisse Hölle vom Piz Palü» (1929), sein letzter Stummfilm mit Leni Riefenstahl und Ernst Udet. Heute wird «Die Weisse Hölle» meist in der kürzeren Tonfassung von 1935 gezeigt. Bei dieser Gelegenheit wurde einer der Hauptdarsteller (der junge Bergsteiger) umgetauft: vom inzwischen unpassend jüdisch tönenden «Karl Stern» in einen arischen «Heinz Brandt». Zudem wurde der Auftritt des inzwischen emigrierten, 1944 in Auschwitz ermordeten, Kurt Gerron herausgeschnitten. «So zeugt auch dieser formal herausragende Naturfilm vom unmenschlichen Rassenwahn der Nationalsozialisten», hält der Filmhistoriker Thomas Kramer fest. Luis Trenker realisierte als Regisseur im Engadin zwei erfolgreiche Spielfilme, einen großartig-bedenklichen und einen belanglosen: 1932 den Sommerfilm «Der Rebell» und 1938 den Winterfilm «Liebesbriefe aus dem Engadin». Beide Male inszenierte er gekonnt die landschaftliche Szenerie. Das Tiroler Freiheitsepos «Der Rebell» gilt als filmisches Meister- und als ideologisches Machwerk. In der Weihnachtswoche 1932 wurde der Film in Zürich groß lanciert, wenige Tage vor der Machtergreifung der Nazis folgte in Berlin die offizielle Uraufführung. Adolf Hitler und Joseph Goebbels waren «bis in die Seele ergriffen», beide sahen den Film mehrmals. Nach der Premiere lud Hitler Trenker und Kameramann Sepp Allgeier ins Braune Haus in München ein.28 Nach Aufkommen des Tonfilms (1930) zog der Heimatdiskurs, vorbereitet durch die populäre Romanliteratur des späten 19. Jahrhunderts, Tal und Dorf als neue Ebenen in das Genre des Bergfilms ein. Konflikte wurden zwar am Berg ausgetragen, waren aber häufig im Tal veranlasst worden. Berge sind Flucht- und Grenzreviere, in die sich die Protagonisten zurückziehen. «Das Alpine» wurde als Lebensumfeld gewöhnlicher Menschen dargestellt, die den Alltag zu bewältigen und Probleme zu lösen hatten: Etwa die Konkurrenz zwischen Einheimischen und Touristen (Der Sohn der weissen Berge, 1930), familiäre Zwiste (Geierwally, 1940), Naturgefahren (Der laufende Berg, 1941), den geringen sozialen Spielraum in der «Heimat» (Der verlorene Sohn, 1935; Die weisse Majestät, 1933) oder die Verteidigung des eigenen Lebensraumes (Berge in Flammen, 1931; Standschütze Bruggler, 1936; Der Rebell, 1932). Nicht mehr, wie in der ursprünglichen Form des Bergfilms (als Stummfilm bei Fanck), um gleichnishaft Selbstopfer zu vollziehen, sondern um sich für die «unten» im Tal zu rehabilitieren, um Vorwürfe zu entkräften oder einen Protest zu formulieren. «Heimat» ist in diesem Zusammenhang ein soziales Milieu im alpinen Lebensraum, das die 071(07)PERITRANSPLANTATIONEN
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& ÜBERBLENDUNGEN
Spielregeln für die Natur-Mensch-Begegnung mitbestimmt und sich etwa zwischen den Dreißiger- und Sechzigerjahren als Begriffsfeld zwischen die Kontrahenten gedrängt hat.29 Michael Zinganel beobachtete, dass während die ersten Heimatfilme der Nachkriegszeit noch stark vom wieder entdeckten katholischen Wertesystem gekennzeichnet waren und die Repatriierung von Kriegsheimkehrern als brave Förster und Jäger bzw. die Redomestizierung moderner Frauen als liebe, dienende Dirndln zum Inhalt hatten die es miteinander zu verheiraten galt (Der Förster vom Silberwald, 1954), in der zweiten Phase vergnügungssüchtige Deutsche mit einem hohen Anteil an musizierenden Stars (Peter Alexander, u.a.) in Österreich einfielen, die allerdings stets noch verheiratet werden mussten. In einer letzten Phase wurden die Alpen dann explizit als Erfahrungsraum für sexuelle Phantasien dargestellt (Drei Schwedinnen in Tirol, 1977; Liebesgrüße aus der Lederhose, 1973). Ein Image, das jahrzehntelang vor allem auch die Figur des Skilehrers zu repräsentieren und mitunter auch einzulösen hatte.30 Der Heimatfilm ist kulturell als Antwort auf die schweren äußeren Zerstörungen und das Unrecht des Nationalsozialismus zu sehen, der Begriffe wie Heimat und Tradition missbrauchte und für sich instrumentalisierte. Auch die sozialen Folgen des Zweiten Weltkrieges wie verwaiste Familien, Autoritäts- und Werteverlust werden mit idyllischen Gegenbildern aufgearbeitet. Präsentiert werden aber vor allem Landschaften die sich durch ihre Unberührtheit auszeichnen und durch den Krieg nicht zerstört wurden. Im Mittelpunkt der Heimatfilme stehen meist Autoritäten wie Ärzte, Förster oder Pfarrer. Gut und Böse ist sauber getrennt, die Handlung meist vorhersehbar. Der deutsche und österreichische Heimatfilm erreichte seine Blütezeit in den Fünfzigerjahren, um in den Sechzigerjahren wieder abzuebben. Als Nachfolger der Heimatfilme könnte man zahlreiche Fernsehserien sehen, in denen mit Autoritäten und Klischees gearbeitet wird (Die Schwarzwaldklinik, 1985; Der Bergdoktor, 1993).
072(07)PERITRANSPLANTATIONEN
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& ÜBERBLENDUNGEN
30 Michael Zinganel: Alpe Aus: Peter Adria House. ����������� Spillmann/Michael Zinganel: Backstage*tours, Graz 2004.
1 Bernhard Tschofen: Komm, bleib! Laute und leise Holztöne alpenländischer Gastfreundschaft. Aus: zuschnitt.at Holz zu Gast, Ausgabe 5, MärzJuni 2002. 2/3 Hubertus Adam: Adambräu - Umbau Sudhaus. Aus: Neue Zürcher Zeitung 19.03.2005. 4 Architektenkammer Bozen: Architektur in Südtirol (1900 bis heute), Bozen 1993: 1. 5 Clemens Holzmeister, 1937. Ebd. 6 Zeno Abram: Frühe Moderne. Aus: Paul Preims: Arunda 8+9, Architektur in Südtirol ab 1900, Meran 1979.
Die (tiroler) Moderne in (Süd)Tirol Einer neuen Situation des Tourismus in Tirol (mit dem jugendlich assoziierten Skilauf der Zwanzigerjahren) versuchten die Klassiker einer alpinen Moderne gerecht zu werden: Die Hotelbauten von Clemens Holzmeister, Lois Welzenbacher, Siegfried Mazagg und Franz Feßler, vor allem aber die nach Höhenstufen in ihrer Formensprache fein abgestimmten Tourismusbauten Franz Baumanns haben im Tirol der zwanziger Jahre neue Standards gesetzt. Weil sie dem Gast das Spiel mit Stimmungen und Symbolen nicht verweigern, ihr Griff zum Holz aber immer Interpretation und nicht Nachahmung ist, kann man auch manche zeitgenössisch als «kraftmeierisch» kritisierte Gestaltungsgesten verstehen. Dabei, schreibt wiederum Berhard Tschofen, ist der Zugang dezidiert urban: Wenn etwa in den Gaststuben Baumanns längs- und querliegende Hölzer flächig und kontrastierend einge setzt wurden und so eine internationale Formensprache lokal und vor allem situativ interpretiert wurde.1 Das von 1926 bis 1931 errichtete Gebäude der Brauerei Adambräu von Lois Welzenbacher, vertrat 1932 das zeitgenössische Bauen Österreichs auf der Ausstellung «Modern Architecture» im New Yorker Museum of Modern Art. 2 Während sich der Hotelbau in der Schweiz vorwiegend vor dem Ersten Weltkrieg ereignete, wurden Tirol und Südtirol hingegen zu einem Zentrum der alpinen Moderne der Zwanzigerjahre.3 Doch die frühe Tiroler Moderne endete für Südtirol bereits 1930, denn den Südtiroler Architekten wurde die Berufsbefähigung entzogen und die in Deutschland oder Österreich erstandenen Diplome nicht mehr anerkannt. In der Übergangszeit vor 1930 blieb aber die Verbindung zu Nordtirol noch aufrecht und auch in den darauf folgenden Jahren konnten u.a. Holzmeister, Baumann, Welzenbacher noch einige Bauten in Südtirol errichten, bei denen sie in einer künstlerischen Auseinandersetzung mit der Moderne die regionale Baukultur miteinbezogen.4 Clemens Holzmeister, der zwischen 1920 und 1930 in Bozen ein Architekturbüro zusammen mit Luis Trenker betrieb, entwarf das 1930 erbaute Hotel Drei Zinnen in Sexten. Der Baukörper ist eine plastisch gegliederte Großform mit prägnantem Sockel, sechs Geschoßen an einem Hang und Erschließung im dritten Stock. Holzmeister suchte nach der adäquaten Form für das Alpenhotel, dass «ob seiner besonderen Baumasse Verlegenheit bei der Einbindung ins Ortsbild bereitet. Der berechtigte Wunsch des Hotelgastes nach einem uneingesehenen Sonnenplatz vor seinem Zimmer fordert Lösungen, die in ihrer Erscheinung weder beim Herrenschloss noch beim Bauernhaus zu finden sind. Mit Mut muss die neue Form für die neuen Erfordernisse gesucht werden...» 5 Holzmeister, der Ludwig Mies van der Rohe sehr gut kannte (1936 wollte er ihm die Führung der Akademie in Wien übertragen), brachte ihn 1934 dazu einen Entwurf für eine (nicht ausgeführte) eigene Villa in Bozen anzufertigen.6 Nach dem Bau der Nordkettenbahn in Innsbruck entwarf Franz Baumann das Sporthotel Monte Pana in St. Christina in Gröden, das 1931 errichtet wurde. 1933 wurde die «Casa del Monte» von Wilhelm Sachs in Wolkenstein gebaut, 1934 das Schutzhaus Maria Flora von Ivo von Tschurtschenthaler am Sellajoch. Der Wohnturm Avivi-Rubinstein in Meran (1932) soll angeblich von Le Corbusier oder Erich Mendelsohn entworfen worden sein. Nach der faschistischen Machtübernahme begann der italienische Staat öffentliche Gebäude in Südtirol zu errichten und neue Städtebautheorien 073(08)DIE (TIROLER) MODERNE IN (SÜD)TIROL
[Ludwig Mies van der Rohe: Skizze für ein Haus in Bozen. 1934]6
[Clemens Holzmeister: Hotel Drei Zinnen, Sexten. 1930]4
[(Leo Bährendt) Franz Baumann: Sporthotel Monte Pana, Gröden. 1931]
[Wilhelm Sachs: Casa del Monte. 1933]4
[Wohnturm Avivi-Rubinstein, Meran. 1932]6
anzuwenden. Anfänglich noch nach antiquiertem Muster, wurden bald moderne Architekten engagiert die sich aber zwischen einer Herrschaftsarchitektur und einer rationalistischen Moderne nicht entscheiden konnten. Alle städtebaulichen Neuerungen, gleichermaßen die moderne Architektur, die von Berlin und Wien ausgingen, wurden nicht akzeptiert.7 1933 widmete sich die von Ezio Cingolani und Attilio Fontana geleitete Zeitschrift «Opere Pubbliche» in einer Ausgabe vollständig Südtirol. 1936 erschien «La casa per l‘Alto Adige», in dem Ergebnisse eines Wettbewerbs veröffentlicht wurden, der Gebäudetypologien für die Stadt und die Provinz Bozen hervorbrachte. Der Mailänder Architekt Gio Ponti plante 1930 im Auftrag des italienischen Fremdenverkehrsministeriums ein gigantisches Projekt zur Erschließung der Dolomiten. Zwischen Bozen und Cortina sollte sich die Haupttrasse eines 160 km langen Netzes an Seilbahnen spannen, mit Höhenhotels und Restaurants als Zwischenstationen. 8 Für die Hotelbauten entwarf Ponti einen variablen Prototyp, dessen Entwurfskonzept Überlegungen der beliebigen Erweiterbarkeit und Orientierung an Landschaft und Klima durch eine standardisierte Architektur zugrunde lagen. Ponti legte die Lösung eines nuovo schema dar. 9 In dem nie zur Ausführung gekommenen Großprojekt befand sich der Prototyp des Albergo Sportivo Valmartello al Paradiso del Cevedale. Ponti erhielt 1934 von einer Aktiengesellschaft den Auftrag für ein Alpinhotel, das (wiederum vom Fremdenverkehrsministerium favorisiert und unmittelbar durch die faschistische Partei unterstützt) weit entfernt von städtischen Zentren im deutschsprachigen Martelltal erbaut werden sollte. Das Hotel Paradiso entstand auf 2.160 m Höhe, umgeben von drei Dreitausendern. Dem Hotel waren verschiedene Funktionen zugedacht: die des Luxushotels als urbanem Mikrokosmos mit infrastruktureller Rundumversorgung, aber auch die eines Sporthotels für Bergtouristen und Alpinisten. Ponti entwarf einen nach Westen hin gekrümmten, dynamisch wirkenden Längsbau. Das fünfgeschossige Gebäude wurde von einem steilen Pultdach abgeschlossen und der Hauptfront asymmetrisch eine Terrasse vorgelagert, die den konvexen Schwung des Baukörpers betonen sollte. Mit dem Haupteingang und dem Stiegenhaus auf der Nordseite war weiters eine funktionelle Zweiteilung des Hotels an der Hauptfassade ablesbar. Der Westteil war den länger verweilenden Hausgästen vorbehalten, im Ostteil die Gäste der unteren Kategorien untergebracht. Die Differenzierung zwischen den verschiedenen sozialen Zielgruppen führte Ponti bis in die Ausstattungsdetails. So gestaltete er die Gesellschaftsräume im noblen Westflügel luxuriös aus (hier befand sich auch die Terrasse und die Zimmer in den darüberliegenden Stockwerken verfügten über Balkone), während er für den im Untergeschoß befindlichen Gemeinschaftsraum der Alpinisten Mobiliar entwarf, das sich stark an traditionell-rustikale Regionalformen anlehnte. 10 1946 musste das Hotel Konkurs anmelden. 1952 wurde es von Arnaldo Bennati (ein Reeder aus Venedig und Eigentümer des Hotel Bauer am Canal Grande) aufgekauft. Er ließ das Hotel um einen Seitenflügel erweitern, um zwei Stockwerke erhöhen und die Fassade in rosso veneziano streichen. Die Bauarbeiten wurden nie beendet, seit 1956 steht das Hotel Paradiso leer und verfällt. Im Werkverzeichnis Gio Pontis wird das Hotel aufgrund der Bedeutsamkeit der politischen Geschichte des Paradiso nicht angeführt.11/12 Seit 1966 ist die Brauereifamilie Forst13 in Besitz des Gebäudes, die von ihren ursprünglichen Plänen auf dem Grundstück ein Wasserkraftwerk zu errichten absehen musste.
7 Ebd. 1.
14 Horst Hambrusch/Joachim Moroder/Bettina 8 Schlorhaufer: Franz Josef Rohrer: Zimmer Baumann. Architekt der frei. Das Buch zum Touri- Moderne, Bozen 1998: 3. seum, Bozen 2003: 2. 15 9/10/11 Wirtschaftskammer Gabriele Reiterer: Der Tirol, Fachgruppe der Traum vom Paradies (Gio Seilbahnen (Hg.): ArchiPontis Hotel in den Ber- tektur und Seilbahnen, gen des Valmartello). Aus: von der Tradition zur Neue Zürcher Zeitung Moderne, Innsbruck 07.12.1998. 2000: 4. 12 Ebd. 2.
16 Ebd. 3.
13 17 Die Brauerei Forst AG Ebd. 4. (Birra FORST S.P.A.) ist eine der größten 18 Bierbrauereien Italiens. Ebd. 3. Das Unternehmen ist seit 1863 im Besitz der Barone Fuchs. Zum Unternehmen gehören auch zwei Mineralwasservertreiber: Meraner Mineralwasser und Kaiserwasser und mehrere Gastronomiebetriebe. Die Brauerei Forst wurde 1857 gegründet und befindet sich in Forst (Algund) in der Nähe von Meran. 2003 wurde ein Umsatz von 57 Millionen Euro erwirtschaftet. Mit 700.000 hl Jahresproduktion hat sie in Südtirol Monopolstellung.
[Leo Bährendt: Martell, Sporthotel Val Martello (Hotel Paradiso)]
[Gio Ponti: Albergo Sportivo Valmartello, 1934-36]
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Nordkettenbahn(en) In der Schweiz, am Rheinfall bei Schaffhausen, nahm 1866 die erste öffentliche Seilschwebebahn der Welt den Betrieb auf. 1900 waren es bereits weitere 26 Seilbahnen (in der Schweiz). Die erste Personen befördernde Luftseilbahn der Welt, der Wetterhornaufzug, wurde 1908 bei Grindelwald gebaut. Eigentlich handelte es sich um eine Kombination aus einem Lift und einer Drahtseilbahn mit zwei Tragseilen. Der Wetterhorn-Aufzug stellte zwar 1915 seinen Betrieb mangels Touristen wieder ein, doch seitdem konnten unzugängliches Gelände und steile Felsen überwunden, die Bergwelt einfach und bequem erschlossen werden.14 Der Gastwirt Josef Staffler baute in Kohlern bei Bozen bereits 1906 eine Materialseilbahn, die als erste Bergschwebebahn der Welt gilt. Nach einer Zwischenlösung des Jahres 1908 wurde diese 1913 zu einer Personenseilbahn augebaut. In Lana bei Meran wurde, in Reaktion auf diese um Bozen bereits existierenden Seilbahnen für den Tourismus, zwischen 1909 und 1912 die Bahn auf das Vigiljoch vom Meraner Techniker und Landsturm-Ingenieur Luis Zuegg geplant und gebaut.15 Die Vigiljochbahn war die erste Seilbahn mit Stationsgebäuden, dementsprechend konnte sich der Architekt Gustav Birkenstaedt bei der architektonischen Lösung nicht auf Vorläufer stützen. Er stellte sich daher primär dem Problem der Unterbringung der Antriebsmaschinen sowie jenen des Zu- und Abgangs, vermochte aber keinen gleichrangigen Beitrag zu den formalen Lösungen der Nachkriegsära leisten. An den Gebäuden wird deutlich, dass zu jener Zeit der Umgang mit der neuen Bauaufgabe noch in historisierenden Formen erfolgte und die architektonischen wie funktionalen Möglichkeiten noch nicht spezifisch behandelt wurden. Die Stationen sind die Addition kubischer Baukörper. Zwar entspricht jedem der Kuben eine Funktionseinheit der Seilbahn, aber rein äußerlich gibt es kaum Unterschiede zur Architektur zeitgenössischer Villen. Ausschlaggebend dafür war, dass alles unter groß angelegten touristischen Zielsetzungen angedacht war. Birkenstaedt plante nicht nur die Stationen und einen Berggasthof am Vigiljoch, sondern als «künstlerischer Beirat» der Bahngesellschaft gleich eine ganze Bergsiedlung für Feriengäste,16 weiters war er auch für ein künstlerisches Gesamtkonzept auf Plakaten, Fotografien und Publikationen zuständig. Ursprünglich waren die technischen Einrichtungen sehr kompliziert und führten zu einer schnellen Veralterung der Anlage, die schließlich 1953 erneuert wurde. Die Tatsache das die Stationen der technisch völlig neuen Bahn angepasst werden konnten bewies aber ihre Funktionalität, auch wenn ihre Erscheinung jenen «Seilbahnen in Form von Ritterburgen» ähnelt, gegen die Clemens Holzmeister in einem Aufsatz polemisierte.17 Gerade die Zinnenbekrönung am Giebel des Wagenbahnhofes der Talstation war es, die die Gebäude schon früh zum Gegenstand indirekter Kritik durch Holzmeister machten: «Leider gab es obendrein arge Mißverständisse: ... meint liebenswürdig «gelaubsagelt», dem einst so beliebten «Schweizerhäusl» treulos angepaßt ... und Seilbahnstationen in Form von Ritterburgen etc.»18
[Wetterhornaufzug, Grindelwald. 1908]
[Kohlererbahn (II), Kohlern bei Bozen. 1913]15
[Kohlererbahn (II), Kohlern bei Bozen. 1913]15
[Gustav Birkenstaedt: Vigiljochbahn, Lana 1912]15
[Gustav Birkenstaedt: Vigiljochbahn, Lana 1912]15
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«Am Berg, in den frühen Seilbahnprojekten verschmolzen zwei Traditionen: Auf der einen Seite die der Bergbauingenieure und Fördertechniker und auf der anderen die der technischen Lustbarkeiten, die das Publikum der Vergnügungsparks und großen Ausstellungen der 19. Jahrhunderts mit den Spielregeln des neuen Sehens vertraut machten. Vertikal und lautlos ging es fortan bergan. «Nur das leise Surren der Seile zeigt die Fahrt an, und das Hinabsinken der hohen Trägern das Winzigwerden aller Dinge da unten mahnt an die Höhe, die der Wagen scheinbar ganz ohne irgendeine Arbeit erklimmt», heisst es bereits 1913 in der Schilderung einer Schwebefahrt auf das Vigiljoch bei Lana (Südtirol).»19 Bernhard Tschofen
1928 entstand als Ergebnis eines Wettbewerbes in Innsbruck die Stationsgebäude der Nordkettenbahn von Franz Baumann. In Bezug auf die typologische Ausformung und dem Umgang mit der Landschaft setzte der Entwurf neue Maßstäbe und zählt zu einem zentralen Statement in der Entwicklung der alpinen Seilbahnarchitektur.20 Baumann hatte bei dem Projekt der Vigiljochbahn mit Birkenstaedt zusammengearbeitet und hatte dort die Möglichkeit die architektonische und technische Problemstellung kennen zu lernen. Die Realisierung der Nordkettenbahn begründete Franz Baumanns internationalen Durchbruch. 21 «Der Tourist der Zwanziger- und Dreißigerjahre bedurfte nicht nur der Information über die Sicherheit des neuen Aufstiegsmittels - ihrer Beschwörung und Schilderung technischer Details wird anfänglich viel Platz eingeräumt, sondern auch einer Gebrauchsanweisung für das ästhetische Erlebnis. «Die Landschaft lebt, formt sich. Der Blick wird weit, man lernt erst jetzt sehen», lautet etwa 1928 ein durchaus austauschbarer Satz in einem Büchlein über die Innsbrucker Nordkettenbahn. Die Erfahrung suchte nach Worten und fand sie in den bewegten Bildern des Kinos, dem Luft- und Geschwindigkeitskult der Aviatik und der Dynamik der Vergnügungsparks.»22 Bernhard Tschofen
Nur drei Monate vor der Nordkettenbahn nahm ebenfalls in Innsbruck die ursprünglich als Konkurrenz entwickelte Patscherkofelbahn von Hans Feßler den Betrieb auf. Auch wenn sich Feßler weniger radikal und zukunftsweisend als Baumann erweist, bedient sich Feßler vom Repertoire der gemäßigten Tiroler Moderne. Die Bergstation setzt sich durch die schindelverkleidete Fassade auf weißem Mauersockel und dem Pultdach mit unterstützenden Kopfstreben deutlich von der Talstation ab, die fast städtischen Charakter aufweist. Doch der in den Zwanzigerjahren begonnene Einzug der Moderne in die Berge wurde im Verlauf der Dreißigerjahre zurückgedrängt, um während des 2. Weltkrieges fast vollkommen zum Erliegen zu kommen. Die 1937 eröffneten Seilbahnstationen der Galzigbahn von Clemens Holzmeister in St. Anton am Arlberg verdeutlichen den zu jener Zeit bereits herrschenden restaurativen Charakter innerhalb der Gesellschaft. Im Unterschied zu anderen Projekten verhalten sich die Gebäude von Holzmeister gegenüber ihrer technischen Aufgabenstellung eher zurückhaltend und im Sinne traditioneller Typologien. Die optischen Vorbilder für die Bauten von ihm kommen eher aus der bäuerlichen Architektur und orientieren sich weniger stark an der Welt der Technik.23 Die Seilbahn hat das Bergerlebnis radikal modernisiert aber gleichzeitig auch popularisiert.24
19 Bernhard Tschofen: Die Alpen schwebend erfahren. Zu Geschichte und Mythologie der Seilbahnfahrt. Aus: Wirtschaftskammer Tirol, Fachgruppe der Seilbahnen (Hg.): Architektur und Seilbahnen, von der Tradition zur Moderne, Innsbruck 2000: 5. 20 Ebd. 4. 21 Ebd. 3. 22 Ebd. 5. 23 Ebd. 4. 24 Ebd. 5.
26 In England führte 1979 Margaret Thatcher (Vertreterin einer Geldpolitik die sich im Wesentlichen auf neoliberale Elemente verlässt) die Konservative Partei zum Sieg. Präsident des «Kontinents» USA, wie er in «Moonraker» genannt wird, war 1979 Jimmy Carter. 27 Mussolini definierte Faschismus als «Verschmelzung von Großkapital und Staat». Corporativismus (ital. corporativismo). 28 Georg Seeßlen: Der Staatsterrorist als Rollenmodell. Aus: Freitag, die Ost-West-Wochenzeitung, Nr.49 vom 29.11.2002. Berlin.
25 Moonraker, GB/Frankreich/USA 1979. Regie: Lewis Gilbert. Buch: ���������� Ian Fleming, Christopher Wood.
[Franz Baumann: Nordkettenbahn (Seegrube), Innsbruck 1928]15
[Hans Feßler: Patscherkofelbahn, Innsbruck 1928]15
Im elften James Bond Film «Moonraker»25 hat der Großindustrielle Hugo Drax eine geheime Weltraumstation im All errichten lassen um eine neue Weltordnung mit seinen Astronauten zu schaffen: Mit einem toxischen Nervengas (das keinerlei Wirkung auf Tiere hat) will er die gesamte Menschheit vernichten, um mit einer «neuen reinen Superrasse» die Erde wieder zu bevölkern. Drax «hat nur das nicht was er will», «ist besessen [Clemens Holzmeister: Galzigbahn, St. Anton am Arlberg 1937]15
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davon den Weltraum zu erobern», «lässt Einzelteile in Tochtergesellschaften produzieren», «legt Wert auf das Beste das alle Nationen zu bieten haben (Menschen und Können)». Aufgrund der neoliberalen Systeme26 die sich in Europa und den USA Ende der Siebziger- bzw. Anfang der Achtzigerjahre etablieren, kann das Kapital mit Drax überhaupt erst außer Kontrolle geraten. Antagonistisch ist er fordistisch, sozialdarwinistisch, corporativistisch, 27 totalitaristisch. Der Film erschien 1979 zwischen den ersten beiden «Star Wars» Episoden und folgte dem allgemeinen Interesse dieser Jahre für science fiction mit «science fact», wie es der Produzent Albert R. Broccoli beschreibt. Ein Teil des Films spielt in Rio de Janeiro. Jaws (der Beißer) versucht James Bond und die NASA-Expertin Holly Goodhead bei der Talfahrt der Seilbahn des Zuckerhuts zu töten: Jaws stoppt die Bahn indem er das Zugseil durchbeißt. James Bond funktioniert auch immer als politische Metapher und als ihre zynische bzw. ironische Überhöhung oder Abwertung.28 In «Moonraker»repräsentiert der Großindustrielle Drax die Moderne bzw. James Bond, der die (postmoderne) Gesellschaft als Agent des neoliberalen Englands Margaret Thatchers verteidigt, die Postmoderne. Die Seilbahn, als Symbol der Moderne, ist, in der letztlich postmodern adaptierten Form des Bondinho), in der Ironie des Schicksals gezwungen die Postmoderne anzunehmen und zu expedieren.
[Moonraker, 1979]25
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[Moonraker, 1979]25
[Moonraker, 1979]25
Die touristisch stark entwickelten Gebiete Topografie, Klima, Kulturgeschichte, die demografische Struktur und touristische Nutzung definieren zwei Gruppen der touristisch stark entwickelten Gebiete. Die erste mit den Wintersportorten Badia, Corvara, St. Christina und Wolkenstein sind geografisch alles Ortschaften der Dolomiten, die dem rätoromanischen Kulturraum angehören und der ursprünglichen Siedlungsform des Weilers entsprungen sind. Die lange Winter- und die kurze Sommersaison sind prägnant für die vier Gemeinden die dem «technisierten» Wintertouristen, mit schneegeräumten Strassen, Aufstiegsanlagen, Skipisten, Eislaufplätzen und Hallenbädern, entsprechen müssen.1 Alle vier Ortschaften gehören mit ihren Skigebieten dem «Dolomiti Superski» an: einem wirtschaftlichen Zusammenschluss, der es ermöglicht mit einem Skipass 12 Regionen mit 460 Aufstiegsanlagen und 1.220 Pistenkilometer zu befahren. 90% dieser Pisten sind beschneibar, 300 Schneefahrzeuge sorgen nachts für die Pistenpräparierung. Durch die Anforderungen des Sommertouristen an seine Urlaubslandschaft, der viel stärker von einer romantischen Erwartung nach intakter Natur geleitet wird, haben diese Gemeinden im Sommer größere Schwierigkeiten ihre Bettenkapazität auszulasten. Die zweite Gruppe, mit Kastelruth, Schenna und Dorf Tirol, lehnt sich mit ihrer Einzelhoftypologie an die bajuwarische Siedlungsform an. Während die erste aus den Dolomiten mehrheitlich Wintertouristen beherbergt, reagiert diese zweite Gemeindegruppe (auch infrastrukturell) primär auf die Anforderungen der Sommertouristen. Die durchgehende Saison von Frühjahr bis Herbst, mit Schwerpunkt im Spätsommer, schaltet das Leben in den Dörfern nach Saisonen und nicht den Jahreszeiten: Hochsaison, Nebensaison, «tote Saison». Die Dorfgemeinschaft und das Familienleben sind vom Tourismus geprägt, der bis an die Grenzen der persönlichen Belastbarkeit vordringt: Die psychische Überlastung in der Hochsaison birgt die große Gefahr, außerhalb der Saison in ein Loch, in eine Depression, zu fallen. In der Hochsaison zeigt sich das Dorf von seiner besten Seite, während außer der Saison um- und ausgebaut und das Dorf zur Baustelle wird. Die Hochsaison ist die Kraftprobe der die Ortschaft jedes Jahr von neuem ausgesetzt ist. Die Trinkwasserversorgung, Abwasser- und Müllentsorgung sowie die Verkehrserschließung müssen ihr gewachsen sein. 2 Während Kastelruth bereits im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts durch die Realisierung der Brennerbahnlinie einen starken Gästezuwachs verzeichnete, waren Schenna und Dorf Tirol trotz ihrer Nähe zu Meran noch in den frühen Fünfzigerjahren des letzten Jahrhunderts weltentrückte Bauerndörfer, die deutschen Urlaubern umso mehr gefielen. Für die neuen Gäste waren aber nicht nur die günstigeren Preise relevant. Da viele aus einfachen Verhältnissen kamen, fühlten sie sich in der steifen Förmlichkeit der Meraner oder Brixner Hotels nicht wohl und liebten die ungezwungen-familiäre Atmosphäre der kleinen Garnis und Privatquartiere. In dieser Phase verstärkte sich eine geografische Trennung im Südtiroler Tourismus. Die Mittelgebirgslage der Dolomitendörfer bot das beste Klima in Juli und August, der Reisezeit der Italiener, die dort auch ein hoch entwickeltes Gastgewerbe vorfanden (Italiener wohnten am liebsten im Hotel oder im albergo mit Vollpension). Deutsche und Österreicher zog es vermehrt in den Westen und Norden, wo die wenig erschlossenen Gemeinden mit ihrem noch bescheidenen Tourismus am besten den deutschen Vorstellungen vom Heimatidyll entsprachen.3
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1/2 Architektenkammer der Provinz Bozen: Dorf und Stadt.Wohngebiete in Südtirol nach 1970, Bozen 1997:��� 1. 3 Josef Rohrer: Zimmer frei. Das Buch zum Touriseum, Bozen 2003: 2.
4/5 Ebd. 1. 6/7 Institut für Geographie, Universität Innsbruck: Tirol Atlas. http://tirolatlas.uibk.ac.at/: 25.05.2005: 3.
Die Ausrichtung der Ortschaften auf den Fremdenverkehr als einzigen Wirtschaftszweig hat zur Folge, dass andere in den Hintergrund treten. Beide Gruppen von Gemeinden verzeichnen seit Ende der Fünfzigerjahre mit dem Beginn der Fremdenverkehrsentwicklung einen enormen Zuwachs an Neubauten. Die Siedlungsentwicklung wurde vom Bauboom der Sechzigerund der ersten Siebzigerjahre maßgeblich vorherbestimmt, und zwar noch bevor die Gemeinden ihre ersten Bauleitpläne ausarbeiten und genehmigen konnten. Die so genannte «legge ponte», ein Staatsgesetz von 1968, das zum Ziel hatte bis zur Genehmigung der Bauleitpläne der Zersiedlung Einhalt zu gebieten, zeigte in diesen Dörfern keinerlei Auswirkungen.4 Urbanistisch gesehen scheinen die Häuser wahllos in die Landschaft gestellt zu sein, aus wirtschaftlicher Sicht jedoch wurden sie durchaus an strategischen Stellen errichtet, so wird in «Dorf und Stadt - Wohngebiete in Südtirol nach 1970» (eine Publikation der Architektenkammer der Provinz Bozen, die 1997 erschienen ist) erklärt: In Wintertourismusorten entlang der Hauptverkehrsrouten, und in den Orten die hauptsächlich vom Sommertourismus leben mitten im Grünen. Die wichtigsten Entscheidungen für die weitere Siedlungsentwicklung sind mit den ersten Bauleitplänen Anfang der Siebzigerjahre gefallen, rund zehn Jahre später bestätigten die darauf folgenden Pläne die vorhergehenden meistens wieder. Hatte früher jedes Tal seine eigenen Charakteristiken im Bau- und Siedlungswesen, so entstanden nunmehr augrund der einheitlichen urbanistischen Planungsverordnung überall dieselben Wohnquartiere; die Siedlungsräume sind landesweit uniformiert und in einem älplerischen Standard ausgeführt. Die Außenräume der neuen Dorferweiterungen sind «tourismusgerecht» und vor allem «autogerecht» gestaltet. Das Ortsbild wird von den neu erforderlichen Siedlungselementen ganz wesentlich mitgeprägt. Dazu gehören die breit geteerte Zufahrtsstrasse, die große Autoabstellfläche vor der Fremdenpension, die hohen Stützmauern und die üppigen Holzzäune, das Schwimmbad und der glatt gebürstete Rasen. 5 Die gängigste Möglichkeit den Umfang des Tourismus zu messen ist die Anzahl der Übernachtungen anzugeben. Absolute Zahlen geben die Menge der Touristen an, sagen jedoch noch wenig über die Bedeutung des Tourismus aus. 1.000 Nächtigungen in einer Stadt mit 20.000 Einwohnern dürften dem Tourismus einen geringeren Stellenwert verleihen als 1.000 Nächtigungen in einer Gemeinde mit 2.000 Einwohnern. So verdeutlicht erst der Bezug und Vergleich mit anderen statistischen Werten die Dimensionen des Tourismus.6 Die Nächtigungen pro Einwohner, auch Tourismusintensität genannt, ist ein solches Merkmal. Ein anderes ist die Saisonale Bevölkerungsdichte, dessen Miteinbeziehung vor allem in Gebieten, in denen der dauernd besiedelbare Raum auf wenigen Flächen im Talbereich beschränkt ist, Bedeutung hat. Sie errechnet sich aus Einwohner und Bettenzahlen bezogen auf den Dauersiedlungsraum und lässt die tatsächliche Bevölkerungsdichte einer Gemeinde zur Hauptsaison herauslesen. Und die unterscheidet sich in kleinen Talschlussorten selten von jener in größeren Städten. In Südtirol ist die räumliche Konzentration der Übernachtungen weniger stark als in Nord- und Osttirol ausgeprägt. Schwerpunkte liegen in und um (die touristisch stark entwickelten Gebiete) Meran und in den Dolomiten. Die Unterschiede in der räumlichen Verteilung der Übernachtungen zwischen dem Land Tirol und Südtirol kommen auch im statistischen Vergleich zum Ausdruck: In Südtirol entfallen auf 17% der Gemeinden 50% der Übernachtungen, während im Land Tirol nur 9% der Gemeinden die Hälfte aller Übernachtungen des Landes auf sich vereinen. 7
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Kofler zwischen den Wänden8 Mitte Februar 2005 besuche ich die acht von der Autonomen Provinz Bozen als touristisch stark entwickelt eingestuften Gemeinden. Es soll ein Lokalaugenschein der Türmchen, Bögen, Säulen, Fassadenmalereien und Erkern, der postmodernen Distorsionen der Pingpongpostmoderne werden, und eine Suche nach Typologien die sich vom Tourismus unabhängig entwickeln konnten. Die Ortschaften wurden aufgrund der Erreichbarkeit in jene der Dolomiten, die ich von Corvara aus sternförmig bereisen werde, und jene um Meran geteilt: dementsprechend wiederum in Winter- und Sommertourismusorte. MO 14.02.2005: Amore caldo. Trotzdem starte ich von Meran. In Bozen besuche ich eine Verkehrsinsel auf der eine Tankstelle, die vielleicht wichtiger Teil meines Diploms geworden wäre (und von der sich eine identische in Meran und Salurn befindet), vor ein paar Monaten abgerissen wurde. Anschließend fahre ich zum Landesstatistikamt ASTAT um mir die Zahlen über die letzte Fremdenverkehrssaison zu holen. Daraus erfahre ich, dass die erste Gemeinde die ich besuchen werde, St. Christina in Gröden, ein Minus von 10% erfahren hat und bin mir unsicher ob ich die Präsidentin des Vereins, mit der ich um 10 Uhr verabredet bin, darauf ansprechen soll/darf. Durch Bozen fahre ich an einem Wohnbau von Armando Ronca in der Drususstrasse 22 vorbei, der u.a. wegen seinen Balkonen Bedeutung hat. Der Weg nach St. Christina führt mich durch das Eisacktal, unter den Pfeilern der Brennerautobahn hindurch, ins Grödnertal. Ich durchfahre St. Ulrich und das Cavallino Bianco, einen riesigen Hotelkomplex mit rosa Fassade und etlichen Türmchen. Eine Brücke bringt die Skigäste von einer Seite der Staatsstrasse auf die andere, zur Talstation der Umlaufbahn der Seiser Alm. Eigentlich bin ich überrascht, sofort auf eine Ausuferung meiner Erwartungen zu treffen und will das Hotel später noch fotografieren. St. Christina erreiche ich etwas verspätet. Im Büro des Fremdenverkehrsvereins erwartet mich Christina Demetz. Sie trägt ein Dirndl, ist sehr jung, erzählt mir, dass sie Kunst (in St. Ulrich gibt es eine Kunstschule) studiert hat und deshalb sehr an Architektur interessiert ist. Ich bin überrascht wie ruhig es im Büro ist, aber die Gäste sind bereits alle auf den Skipisten. Wir sprechen fast 40 Minuten. Sie erzählt viel von sich aus, ist kompetent. Es geht um die Strukturen von St. Christina, um die Dorfbewohner bzw. die Touristen und um die Erwartungen die beide Parteien (auch voneinander) haben. Sie erzählt mir dass sie das Vigilius Mountain Resort von Matteo Thun oberhalb Merans besucht hat, dass sich aber nur 5-10% der Gäste ein minimalistisch ausgeführtes Hotel, «ein Designhotel», wünschen würden. Weiters erzählt sie vom Desinteresse des Wintergasts an Kultur und Tradition, er soll oft nicht einmal wissen, dass Ladinisch in Gröden und im Gadertal gesprochen wird. Wir reden auch über die Entwicklungen des Tourismus im restlichen Grödnertal, die Armut der Ladiner nach dem Krieg, den Tourismus der Geld und Infrastruktur gebracht hat. Türmchen werde ich in St. Christina nur wenige finden, aber Frau Demetz zeigt mir im Katalog des Verbandes einige der Bauten aus dem Tal und erzählt mir, dass der Zimmermeister Carletto Senoner viele der postmoderneren Umbauten durchgeführt hat. Nach einem verlegenen Abschied, fahre ich zum Sporthotel Monte Pana, oberhalb St. Christina, das 1931 erbaut und vom Innsbrucker Franz Baumann geplant wurde. Trotz der kleinen Fenster (die Frau Demetz in unserem Gespräch bemängelt hat) ist es gut besucht, vor dem Hotel schließt direkt das Skigebiet an. Das Gebäude orientiert sich zum Langkofel hin. Es ist eines der wenigen einer (Süd)Tiroler Moderne, hat eine leichte Rundung und eine Doppelreihe gleicher Fenster, Stülpschalung und Fensterpfosten. Angrenzend gibt es die Kinderskischule mit Minilift, bestehend aus einem Förderband und Gummiblöcken in Form von riesigen Loacker-Schachteln. Einige weinende Kinder erzeugen ein sehr eigenes und permanentes Grundgeräusch, eigentlich eine sehr andächtige Atmosphäre. In einer Diplomarbeit auf der TU in Wien habe ich gelesen, dass 1960 ein Erweiterungsentwurf von Baumann einen Turm vorsah, welcher aber nicht realisiert wurde; nur der Bau eines zweiten geschwungenen Seitentrakts. In der Plandarstellung von St. Christina füllt mir auf, dass bei zwei Ausführungen der Panoramakarten die Landschaft um 90° gedreht wird: die Sommerdarstellung ist Richtung Westen orientiert (also dem Tal entlang), die Winterkarte Richtung Norden (vom Tal weg, zum Langkofel hin). Wieder im Tal, fotografiere ich noch mehrere Hotels und beschließe den Zimmerer Karl Senoner zu suchen. Ich erfahre in einem Skiverleih, dass er in Wolkenstein lebt, den zweiten Ort den ich am ersten Tag besuche. Dort komme ich nachmittags an und schaue mir die Weltcupstrecke an der Ortsgrenze zwischen St. Christina zu Wolkenstein an. In der Apotheke finde ich heraus wo Senoner lebt, aber nur den Straßennamen, nicht sein Haus. Am Waldrand schaue ich mir die Casa del Monte an, die Wilhelm Sachs 1933 für eine Familie aus Florenz geplant hat. Sachs hat auch das Hotel Cir am Grödner Joch geplant, das aber stark verändert worden ist. Ich entdecke noch ein weiteres Haus mit Pultdach.
8 Der Hof Kofler zwischen den Wänden liegt auf 1.528 Metern ü.d.M. auf einem steilen Felsband, der rechten Seite des Raintals, Gemeinde Sand in Taufers. Er ist der letzte der 23, von Aldo Gorfer und Flavio Faganello 1971/72 besuchten Bergbauernhöfen, die sie in der journalistischen und fotografischen Reportage «Die Erben der Einsamkeit» 1973 erscheinen ließen.
[Kofler zwischen den Wänden]
[Milkon Werk (1974), Brennerstaatsstraße Bozen Nord]
[Hotel Cavallino Bianco, St. Ulrich in Gröden]
[St. Christina in Gröden]
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Es heißt Igloo - wahrscheinlich damit die Leute im Dorf nicht von einer Seilbahnstation reden. Im Tourismusverein ist der Chef, Herr Kelder, nicht da. Aber eine Mitarbeiterin, die wiederum Demetz heißt, versucht meine Fragen zu beantworten. Sie gibt mir vor allem einen Einblick in die stressige Umbauaktivität von Wolkenstein, die an gewissen von der Gemeinde festgelegten Tagen außerhalb der Saison begonnen wird, und an einem Stichtag, bevor wieder Gäste ins Dorf kommen, alle Kräne wieder verschwinden lässt. Sie bestätigt wiederum den desinteressierten und technisierten Wintergast, für den der Tourismusverein zuzeiten Profifolkloristen (den Männerchor) nachmittags um Fünf am Parkplatz des Lifts in Ciampinoi strategisch gut positioniert, um die Gäste kulturell abzufangen. Weiters erzählt sie mir dass, nachdem drei Hotels diese ausgeführt haben, das Bauamt keine Türmchen mehr genehmigt. Auch war das Vigilius Mountain Resort mit einer Kollegin anschauen. Ihr Chef holt uns ein (meine Fragen sind mittlerweile beantwortet), entschuldigt sich dafür, dass er mir nicht geantwortet hat. Ich fahre weiter zum Pass um noch eine Schutzhütte zu suchen die ich sehen wollte. Ich finde am Weg ein anderes Hotel, das Miramonti. Es liegt verlassen, erinnert an eine kleinere Version des Monte Pana, man kann sogar in das Hotel hineingehen. In Corvara erfahre ich später, dass das Hotel aufgelassen wurde weil die Betreiber untereinander gestritten haben, es aber immer noch dem Konsortium aus drei Investoren gehört. Ein paar Tage später erzählt man mir, dass es abgerissen werden soll. Ich erreiche Corvara am späten Nachmittag. Von dort aus werde ich alle weiteren Gemeinden besuchen und suche ein Garni (Margherita), in dem ein Zimmer für mich reserviert ist. Verwandten in Corvara gehört das Sport Kostner. Gegen Fünf besuche ich meine Tante im Geschäft und treffe auch meine Kusine, der ich von meinem Diplomthema erzähle. Sie erzählt mir dazu über das Hotel Post, das sich neben dem Geschäft befindet und den Schnee im Winter in einem kleinen Park vor dem Hotel (und dem Sportgeschäft) ablagert. Sie sagt, dass in Corvara der Tourismus zwar immer noch gut läuft (Corvara hat den höchsten Anteil von Gästebetten/Einwohner in Südtirol), aber dass es nicht der Verdienst der Gemeinde oder des Tourismusvereins ist. Es läuft auch wenn man wenig dafür macht: Die Schneehaufen im Dorfzentrum stehen als Index oder Symptom dafür. Wenn im Winter noch weiß, verwandelt sie sich nach ein paar schneefreien Tagen im Frühjahr in eine braune Masse, die bis Juni braucht um wegzuschmelzen. Am Abend esse ich in einem Restaurant. Heute ist St. Valentin und die Gäste bestellen Vanilleeis mit heißen Himbeeren. Anschließend gehe ich in eine Pianobar eines Hotels und versuche mich zu betrinken. Eine junge Frau spielt Richard Clayderman und Adaptionen einiger italienischer Lieder, alles irgendwie etwas zu schnell, als ob sie weg wollen würde oder bald gehen müsste. Nachts kann ich nicht schlafen, die Heizung im Garni bezwingt die Außentemperatur um 40 Grad.
[Franz Baumann: Sporthotel Monte Pana]
[Pedraces (Badia)]
DI 15.02.2005: You keep me hangin’ on. Die sinkt in der Nacht auf -15° und das Auto springt am morgen nicht an. Die auf den Skibus wartenden Touristen wollen nicht helfen (haben schon die Skischuhe an), aber schauen interessiert zu als schlussendlich der Sohn der Garnibesitzerin das Auto mit seinem Subaru vom Parkplatz zurück auf die Strasse zieht. Er fährt oft bei Haflingerschlittenrennen in Badia mit. Am Ende des Hanges bleibt das Auto trotzdem liegen und während die Mechaniker der Werkstätte in Corvara das Auto abschleppen, nehme ich einen Bus nach La Villa um mich dort mit Andrea Pertot, dem Präsidenten des Tourismusvereins Badia, zu treffen. Er hat mich sehr freundlich eingeladen und den Eindruck erweckt, sich gerne über das Thema zu unterhalten. Er erwartet mich mit dem Chef des Verbandes, Manfred Canins. Der Tourismusverein sitzt in einem modernen Gebäude, das erst vor ein paar Jahren gebaut wurde. Im ersten Stock ist das Büro des Präsidenten und ich bin etwas nervös, da ich am Schreibtisch mit beiden Chefs reden muss; mein ursprünglicher Plan war es, mit Herrn Pertot einen Spaziergang durchs Dorf zu machen. Trotzdem wird es ein langes und interessantes Gespräch. Vor allem beeindruckt mich, dass Badia hauptsächlich mit passiver Werbung arbeitet; indem er Journalisten einlädt, sie in den besten Hotels einquartiert, und so Berichterstattungen im italienischen und deutschen Fernsehen produziert werden. Ich erhalte eine Liste mit Aufstellungen von Sendungen, Dauer, Einschaltquoten (in Millionen Zusehern), primären und sekundären Nennungen des Namens und des Verbandes: TG/1 (die Nachrichtensendung von Rai Uno) «Capodanno in rifugio» (Neujahr in der Schutzhütte), Rai Due/Eatparade, TG/1 «Incidente pista» (Pistenunfall), RTL II/Popstars/Wiederholung, Rai Uno/Scomettiamo che...? (das italienische «Wetten dass...?»), Rai Due/Disneyland, usw. Vom Vigilius Mountain Resort erzählen sie mir auch: sie wollen gehört haben, dass die Akustik schlecht sein soll, es von der Lage her nicht gut am Vigiljoch liegt. Und sie glauben, dass wenn es in Alta Badia stehen würde, es sicher immer ausgebucht wäre. Am Nachmittag fahre ich über den Furkel-Pass, um nach Olang über das Skigebiet am Kronplatz, das weit über 2.000 Meter reicht, zu gelangen. In Olang sind die Gäste über Mittag Skifahren, dementsprechend relativ weit weg vom Dorf. Nur eine Bar hat geöffnet und ich werde das Gefühl nicht los das Feiertag oder Sonntag sein könnte. Vor 15 Uhr ist auch das Tourismusbüro nicht besetzt und
[Grödner Joch]
[Alta Badia, Modell 1:7.000]
[Lagazuoi/Falzarego-Pass]
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ich fahre das Dorf ab, entdecke vor allem zwei größere Hotels. Andere befinden sich oberhalb des Tals in der vierten Fraktion des Dorfes, zum Kronplatz hin. Im Tourismusbüro ist ein junger Mann, dem ich erkläre warum ich da bin. Er sagt es sei ungünstig: der Chef, Herr Goller, kommt erst am späten Nachmittag vorbei, wenn überhaupt, oder ist im Hotel anzutreffen. Er fragt eine andere Mitarbeiterin ob sie Zeit hat mit mir zu reden, aber sie ist gestresst wegen einer Besprechung, mag keine Zeit haben. Ich werde auf die Gemeinde verwiesen die im gleichen Haus ist, suche aber zuerst Herrn Goller in seinem Hotel auf. Das Mirabell, ist eines der zwei großen im Dorf. Wurde erst vor kurzem um- und ausgebaut, mit Golfplatz, und besteht quasi nur aus Erkern und Türmchen. An der Rezeption ist eine junge Dame im Dirndl, die eine weiße unpassende Hornbrille trägt; auch sie schildert mir etwas mysteriös, dass der Chef erst abends wieder kommt, vielleicht. Irgendwann schließe ich daraus, dass er wahrscheinlich auch Skifahren ist. Im Gemeindeamt gehe ich zur Bürgermeisterin Anna Elisabeth Aichner Schenk, die Sprechstunde hat. Sie ist sehr freundlich, erklärt mir aber aus dem Bereich der mich interessiert nicht viel erzählen zu können. Sie bringt mich zum Bauamt. Dort zeigt man mir vom Fenster aus die großen neuen Hotels am Kronplatz. Herr Neunhäuserer ist der Erste, der mich auch über einen funktionalen Aspekt der architektonischen Distorsionen nachdenken lässt. Die stark formal betonten Türme, erklärt er mir, bieten Möglichkeit durch das spitze Dach mehr Kubatur zu erlangen und so die Aufbauten der Aufzüge oder die Ausläufer der Stiegenhäuser zu tarnen. Bis in die Achtzigerjahre gab es in Olang eine Bestimmung, dass alle Dächer mit grauen Ziegeln gedeckt sein müssen. Am Rückweg nach Corvara fahre ich wieder über den Pass, die Lifte stehen schon. Ich entdecke auch ein riesiges Wasserbecken, das der Versorgung der Schneekanonen dient. Mir fällt diesbezüglich ein Vortrag den ich in Wien gehört habe ein: wie man am besten diese Bassins in der Landschaft verstecken kann. Hinter dem Pass befinden sich sehr einsame Bergbauernhöfe, und teilweise fehlt ab dieser Höhe schon der Schnee. Die Landschaft wirkt collagenhaft, zwischen Liftanlagen, Pisten und Hotels liegen alte Bergbauernhöfe, kleine Siedlungen, unbesiedelte Hängen, Land(wirt)schaft. In Corvara esse ich in einem Restaurant in dem ich schon als Kind gerne war. Der ehemalige Self-Service Betrieb wurde abgeschafft, der Kellner kommt mir trotzdem noch bekannt vor, das Essen ist immer noch gut. Danach setze ich mich im Hotel Perla an die Bar. Es ist zusammen mit dem Post Zirm das renommierteste Hotel in Corvara. An die Bar setzen sich auch zwei italienische Mädchen, die vor ihren Eltern aus dem Speisesaal gekommen sind. Trinken Tee, essen Kekse; es gibt irgendein Ritual zwischen ihnen und dem Baristen, das ich nicht ganz durchschaue. Eigentlich geht es darum dass sie anspruchsvolle erwachsene Hotelgäste spielen: möchten einen Eiswürfel im Tee, usw. Eine andere sehr hübsche Frau und ein Mann singen für die langsam vom Essen kommenden Gäste. Auf Englisch und ganz gut eigentlich. Er auch in der Aussprache, sie in italenglisch, teilweise mit erfundenen Worten oder geändertem Text. Sie lächelt wenn man sie anschaut. Anschließend gehe ich ins Post Zirm, von dem mir eine Erweiterung aus 1980 sehr gut gefällt. An der Bar kann man würfeln und zahlt dann nur die Zahl die man wirft als Prozentsatz vom Getränk. Wie auch immer, zahle ich 70% von einem Bier. Die Musik ist schlecht, das Publikum gemischt, besteht aus italienischen Eltern mit ihren Kindern und englischen Touristen um die 20, so dass es schwer ist zu entsprechen. Irgendwie bin ich in einer sozialen Position zwischen Einheimischem und Gast gefangen. Am Ende vom Tag bleibt mir ein Lied von Kim Wilde im Kopf, das ich im Radio am Furkel-Pass gehört habe. Ich überlege, in welchem der von mir besuchten Orte sie Urlaub machen würde. Nicht in Olang.
[St. Vigil]
[La Villa (Badia)]
[Piz La Villa, Badia]
MI 16.02.2005: Das lavandino d‘autore. Am Mittwoch vormittag besuche ich in Corvara den Chef des Tourismusvereins, Hubert Dalponte, mit dem ich über einen nicht realisierten Wettbewerb in den Siebzigerjahren (welcher Corvara ein neues Zentrum hätte geben sollen), den Bau und die Polemiken um ein sehr teures wenig genutztes Pavillon, die verkehrstechnische Situation und die Schneehaufen die u.a. meine Kusine stören, spreche. Im Vorraum des Büros befindet sich ein Reliefmodell im Maßstab 1:7.000 vom gesamten Gadertal. Man kann den Siedlungsstand von vor 30 Jahren ablesen, denn damals wurde das Modell in Gröden in Auftrag gegeben und gebaut. Letztes Jahr ist es von einem Künstler renoviert worden und im Sommer wird es immer durch ein anderes Modell ausgetauscht, das den gleichen Landschaftsausschnitt aber ohne Schnee zeigt. Ich höre eine Mitarbeiterin im Büro während sie einem Gast am Telefon erklärt, dass ihr entlaufener Hund von den Carabinieri wieder gefunden worden ist. Anschließend fotografiere ich die Hotels in Corvara, wandere auf den Skipisten die direkt am Dorf bzw. den Hinterseiten der Hotelbetriebe ankommen. Aber es hat unter -10°C und es ist windig, meine Hände werden beim fotografieren hart. An diesem Tag möchte ich neben Corvara auch einen anderen Ort besuchen: Corte di Cadore. Er befindet sich im Trentino, südöstlich von Cortina d‘Ampezzo (wo wohl Kim Wilde wirklich ihre
[Corte di Cadore]
[Corte di Cadore]
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Winterurlaube verbringt). Die Fahrt dort hin wird fast 2 Stunden dauern, bringt mich über 2 Pässe. Der zweite ist der Falzarego auf 2.100 Metern, an dem eine Seilbahn die Skifahrer noch 650 Meter höher befördert. Die Seilbahnstation, eine der ersten die ich auf der Fahrt sehe, erinnert an einen James Bond Film. Eine Idee war es, für die Diplomarbeit und einen möglichen Entwurf die Typologie der Stationen aufzugreifen, da sie als Nutzbau von soziokulturellen Ereignissen unbeeinflusster geblieben ist als die der Tourismusbauten. Aber fast alle Seilbahnen sind durch Umlaufbahnen mit Kabinen ersetzt worden, um eine größere Beförderungskapazität zu erhalten. Cortina d‘Ampezzo durchfährt man nur peripher wenn man vom Falzarego-Pass kommt und weiter Richtung Belluno will. Von weitem fallen das Eislaufstadion und die Sprungschanze auf, vor allem die Bauten welche die Schiedsrichter bei Wettkämpfen benutzen und extrem gut an das Gelände angepasst sind. Von der Staatsstrasse aus sieht man Corte di Cadore nicht. Die Feriensiedlung ist 50 Jahre nach ihrer Errichtung fast vollständig von der Landschaft wieder eingenommen. Sie ist von Edoardo Gellner zusammen mit und im Auftrag von Enrico Mattei, dem damaligen Präsidenten der E.N.I., geplant worden, der den Angestellten der Firma eine Feriensiedlung bieten wollte. Corte die Cadore besteht aus über 360 von ursprünglich 600 vorgesehenen Häusern, zwei Hotels, einer Kirche die Gellner zusammen mit Carlo Scarpa entworfen hat, ein Ferienlager, ein Sportzentrum, einem Campingplatz und mehreren Verwaltungsgebäuden. Als ich ein paar Wochen vorher in Wien einen Text über Corte di Cadore geschrieben habe, schriebe ich ursprünglich, dass die Häuser hauptsächlich leer stehen. Dann entdecke ich im Internet die Seite einer Immobilienfirma aus Cagliari, die «Corte delle Dolomiti» 2002 aufgekauft hat, die Chalets renoviert und als d‘autore vermarktet bzw. verkauft. Im Immobilienbüro der Siedlung, tue ich als ob ich mir eines der Häuser kaufen könnte, aber mir kommt vor, dass die Illusion nicht nur ich, sondern auch die Angestellte des Büros aufrechterhalten möchte. Allein die Gemeinschaftskosten, u.a. für die Instandhaltung der Wege, betragen 1.600 Euro im Jahr. Sie erzählt mir, dass 190 von den 360 Chalets bereits verkauft worden sind, hauptsächlich an Leute aus dem Veneto. Im Büro gibt es ein Modell der Siedlung und viele Bücher über Gellner und Corte die Cadore, wahrscheinlich alle. Mit dem Auto in der Siedlung sofort verfahren, entdecke ich am Ende eines der Erschließungswege einen kleinen Haufen mit Sperrmüll und ein originales Waschbecken das ich mitnehmen möchte, aber nicht kann weil ich merke wie mich der Bewohner des letzten Hauses vom Fenster aus beobachtet. Es wird mir noch den ganzen Tag Leid tun. Irgendwie überraschen mich vor allem die Dimensionen der Siedlung: Die Wege sind wie eine Passstrasse in Serpentinen gelegt und die Chalets daran verteilt. Das gibt dem ganzen allerdings auch die Atmosphäre, auf einem im Winter schlecht besuchten Campingplatz zu sein, auf der Suche nach einem Stellplatz. Überhaupt macht die Siedlung einen verlassenen Eindruck, man entdeckt nur selten Kinderfahrräder oder Wäscheständer auf den Balkonen. Ich mache relativ wenige Fotos, denn das Immobilienbüro hat die Häuser gut dokumentiert und vor allem auch gute Fotos für den Katalog gemacht. Außerdem fühle ich mich die ganze Zeit beobachtet. In einem Restaurant auf der Staatsstrasse, auf halben Rückweg zwischen Corte di Cadore und Cortina, esse ich zu Mittag und habe das Gefühl in kürzester Zeit von der bedrückenden Stimmung des Ortes eingeholt zu werden. Das Dorf ist grau und eigentlich sehr klein, aber entlang der Staatsstrasse gestreckt, orientiert und verlängert; um die Busstation herum ist die Besiedlung stärker. Ich verliere auch die Lust Cortina zu sehen und fahre wieder zum Pass und über eine andere Strecke zurück nach Corvara. Dort möchte ich mich von meinen Verwandten verabschieden, rede noch mit meiner Kusine über das gesehene, über die Treffen mit den Präsidenten der Tourismusbüros, die sie teilweise auch kennt, und über die Schneehaufen. Ich erzähle ihr Herr Dalponte habe mir gesagt, dass es einen Gemeinderatsbeschluss gibt diese nicht mehr im Dorfzentrum anzuhäufen, aber sich niemand diesen Winter daran gehalten hat. Der Besitzer des Post Zirm selbst ist Bürgermeister von Corvara. Meine Kusine mag mir noch das Après-Ski gegenüber vom La Perla zeigen. Es ist ein Stadel auf zwei Stockwerken, aber relativ klein. Die Musik ist ähnlich wie im Post Zirm am Vorabend. Die Gäste hauptsächlich Deutsche um die 40, alle betrunken oder lustig. An der Bar lassen sich zwei blonde Damen vom Kellner Zigaretten anzünden. Das Après-Ski hat nur 2 bis 3 Stunden jeden Tag geöffnet, deckt lediglich die Zeit vor dem Abendessen im Hotel ab. Meine Kusine hat hier auch mangels anderer Veranstaltungsorte in Corvara die Taufe ihres Sohnes gefeiert. Ich gehe mit ihr nach einem Bier zurück ins Geschäft, verabschiede mich von meinen Verwandten. Am Abend esse ich wieder Pizza und trinke etwas an einer Hotelbar.
[��������������� Falzarego-Pass�]
[��������������� Falzarego-Pass�]
[Cortina d'Ampezzo]
[Cortina d'Ampezzo]
[Cortina d'Ampezzo]
085(09)EVERYTHING IS A COPY OF A COPY OF A COPY
DO 17.02.2005: Spatzen-Pizza. Ich muss von Corvara wieder nach Meran und möchte am Weg noch nach Wolkenstein, St. Ulrich und dann nach Kastelruth. Diesmal finde ich am Sellajoch schlussendlich das Schutzhaus Maria Flora. Es wurde 1934 im Auftrag von Ermanno Bonello erbaut, vom Bozner Ivo von Tschurtschenthaler geplant. Bonello, der mit Tschurtschenthaler, Franz Baumann (der Architekt des Monte Pana) und Luis Trenker einen Kreis von Kletterfreunden bildete, hatte ein altes Schutzhaus am Sellajoch gekauft und lies dieses umbauen und erweitern. Das Gebäude liegt am höchsten Punkt der Straße, an der Innenseite einer Kurve. Es wurde mehrmals umgebaut und man kann nur noch schwer den unkonventionellen Geist der ersten Kletterzeit daran ablesen. Vor allem wurden die diagonalen Stützen unter den auskragenden oberen Geschoßen entfernt, die dem ganzen Gebäude die moderne Form vermittelten. Ein Fehler, wie wenn man der Torre Velasca ihre Stützen nehmen würde. Während Touristen ein paar junge Ziegen beim bocken fotografieren, versuche ich mich mit zwei Hunden anzufreunden. Einer versucht mich zu besteigen: Auf 2.200 Metern sind Tiere noch Tiere. In Wolkenstein suche ich wieder Karl Senoner, dessen genaue Adresse ich letztendlich aus dem Telefonbuch entnommen habe. Sein Betrieb und sein Haus befinden sich eigentlich genau unter der Casa del Monte. Im Betrieb selbst sind zwar alle Türen offen, aber ich finde niemanden und läute am anliegenden Wohnhaus Senoners. Ich erkläre Senoner warum ich ihn besuche und wir reden dann in seinem Büro im Untergeschoss fast eine Stunde. Er verschafft mir einen guten Überblick über die Bauaktivität im Grödnertal, und spricht auch viel über das was in Österreich gebaut wird, seinen Beruf und den des Architekten. Er erzählt mir auch wie gut ihm das Alpbachtal gefällt: Dort müssen alle Häuser im unteren Teil mit Stein gefertigt werden, alles ab dem ersten Geschoß aus Holz. Ich bin froh mit ihm geredet zu haben. In St. Ulrich fotografiere ich endlich das Cavallino Bianco. Beeindruckt bin ich, dass je näher man dem Hotel kommt, die Struktur umso junkiger ausgeführt zu sein scheint: Das Styrodur kommt unter dem rosafarbenen Putz hervor, aber auch ganze Kabelschläuche. Fast gegenüber befindet sich das Hotel Gardena, an dem auch Senoner mitgearbeitet hat. Über St. Ulrich fahre ich nach Kastelruth, Heimat der Kastelruther Spatzen, finde aber nur wenige Indizien: ein Geschäft mit Devotionalien und ein Restaurant bietet eine Spatzenpizza an. Trotzdem erzählt mir eine der Mitarbeiterinnen des Tourismusvereins Schlern, dass die Volksmusikgruppe die größte («unbezahlte und unbezahlbare») Werbung für das Dorf ist. Im Sommer kommen sehr viele Fans zu speziellen Großveranstaltungen der Kastelruther Spatzen. Auch sie bestätigt den desinteressierten Wintergast und gescheiterte Diavorträge an Winterabenden. Der Sommergast hingegen ist in Kastelruth stark auf der Suche nach Authentizität und will am Dorfleben teilhaben, besonders beliebt sind Prozessionen (aus sicherer Distanz) und die Bauernhochzeit im Januar. Die Gemeinde ist die einzige in Südtirol mit drei Tourismusvereinen, ich besuche noch einen zweiten am späten Nachmittag, kann aber nur kurz mit der gestressten Chefin sprechen. Ein Mülleimer im Dorf fängt an zu brennen. Ich versuche das 1953/54 gebaute Kino/Garni von Armando Ronca zu finden und erfahre, dass es zwar erst renoviert wurde aber leer steht, weil sich kein Pächter findet. Am Abend komme ich in Meran an, bin schlecht gelaunt und müde. Es fehlen noch zwei Orte von acht.
[Corvara]
[Sellajoch]
[Piz La Villa, Badia]
FR 18.02.2005: Amputationen. Am letzten Tag hole ich beim Katasteramt in Meran Pläne der AGIP-Tankstelle, die ich vielleicht in die Diplomarbeit einarbeiten will. Dann fahre ich nach Dorf Tirol. Ich muss lange auf die Präsidentin des Vereins warten, gehe in der Zwischenzeit auf Anraten einer Angestellten in die Dorfbar. Dort wo im Sommer auf der Terrasse über den Meraner Talkessel unzählige Eiskaffees serviert werden, sind nur drei ältere Bauern an der Bar und die Chefin. Ich werde ausgelacht weil ich frage ob die Tageszeitung schon da ist, denn mittlerweile ist es 10 Uhr. Im Gadertal wird man ausgelacht wenn man schon um 10 Uhr nach der «Dolomiten» fragt. Die Bauern gehen diese zusammen durch: ein jüngerer liest die Todesanzeigen vor und sie reden über eine erst kürzlich verstorbene Frau aus dem Dorf. Dann finden sie einen kurzen Artikel über den Arbeitsunfall eines Bauern bei dem er sich Gliedmassen abgetrennt hat. Sie reden noch länger über ähnliche Fälle aus ihrem Bekanntenkreis und wie kompetent die Universitätsklinik Innsbruck in solchen Angelegenheiten sei. Als ich auch endlich die Zeitung lesen darf sehe ich, dass ein vom Botanischen Garten in Meran ausgeschriebener Wettbewerb entschieden wurde, in dem es darum ging einen Garten für Verliebte, einen Flirtgarten, zu planen. Später treffe ich endlich Frau Rohrer, sie hat eine Sitzung und ist gestresst, aber sehr freundlich und möchte mit mir einen Termin für die darauf folgende Woche ausmachen, aber dann redet eine andere Angestellte mit mir. Fragen die sie mir nicht beantworten kann, soll ich Frau Rohrer mailen. Die junge Dame mit der ich rede heißt Annette Winkler, wir sprechen über die Veranstaltungen und die Gäste. In Dorf Tirol ist, wie in Kastelruth, die Volksmusik sehr wichtig und Veranstaltungen in
[Plan de Gralba]
[Lagazuoi/Falzarego-Pass]
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denen die Kultur und der Alltag des Dorfes vermittelt werden. Besonders beliebt ist die Exkursion zu den Muthöfen weit oberhalb Tirols, bei denen ein Bergbauer aus seinem Leben erzählt und es anschließend Käse und Speck zu verkosten gibt. Am Wochenende ist eine Dokumentation über die Texelgruppe im deutschen Fernsehen gelaufen und bereits montags haben viele Leute angerufen und sich informiert. Im Sommer war ich schon einmal in Dorf Tirol, das damals mehr wie eine gated community auf mich gewirkt hat. Ich habe mich beobachteter gefühlt und eine Verwaltungsstrafe unter den observierenden Blicken einer Gästefamilie zahlen müssen, weil ich auf einem nur für Anrainer freigegeben Weg gefahren bin. Der Sommergast, vor allem der Stammgast, baut ein ganz anderes Bewusstsein gegenüber dem Ort auf in dem er Urlaub macht, auch gegenüber den Menschen. Jetzt im Winter gibt es keine Gäste, aber die Saison fängt bald an und im Dorf stehen unzählige Kräne, Strassen werden aufgerissen und neu gepflastert, Hotels um- und ausgebaut. Wellness ist hier nicht so wichtig, aber Schwimmbäder hatten die Hotels schon von Anfang an. Die Leute im Dorf wirken in der toten Saison nicht so depressiv wie es oft heißt, sie sind eher ruhig, und die nicht ruhigen sind mit den Umbautätigkeiten und Vorbereitungen für den bevorstehenden Beginn der Saison beschäftigt. Eine Freundin erzählt mir am Nachmittag dass zu Fasching in die Dorfbar alle im Nachthemd kommen weil dort zwei Tage lang eine Pyjamaparty stattfindet. «An diesen Tagen kommen die Mütter nach ihren Söhnen heim.» Am Nachmittag fahre ich nach Schenna. An der Ortseinfahrt steht ein Schild das verbietet zwischen 23:30 und 06:00 Uhr (wenn die Gäste schlafen) mit dem Leichtmotorrad ins oder durch das Dorf zu fahren. Im Tourismusbüro arbeitet eine Schulkollegin von mir, die ich seit damals nicht mehr gesehen habe. Anfangs verlegen, erzählen wir uns was wir seitdem gemacht haben. Ein anderer aus der Klasse soll auf der Gemeinde in Schenna arbeiten. Der Präsident hat keine Zeit, eine dringende Besprechung mit dem Vizepräsidenten, und ich bin nicht angemeldet. Mir wird bewusst, dass die Vorbereitung auf die Saison viel stressiger ist als diese selbst. Ich spreche mit einem anderen Angestellten des Büros, Herrn Egger. Ich erzähle ihm von meiner Fahndung nach Türmchen und Erkern. Eigentlich habe ich immer betont nicht bewerten, sondern nur nachvollziehen zu wollen, Schichten freilegen. In Schenna habe ich schon am Weg ins Dorf gesehen, dass etliche Hotels reichhaltig mit Postmoderne ausgestattet sind und ich versuche mit Herrn Egger zu überlegen wie es dazu gekommen ist: ob es wegen dem Schloss und dem Mausoleum ist, dass der Gast auch in einem kleinen Schloss leben will. Darüber hinaus verstecken die Türmchen auch teilweise eine Funktion, meist Aufzugaufbauten. Trotzdem kommt mir vor, dass diese Typologien sich in Schenna aus etwas (weiter)entwickelt haben. Man ist bei einem Neubau nahezu gezwungen so zu entwerfen, wenn man sich ins Ortsbild integrieren soll/will. Ansonsten reden wir über die Schwimmbäder, jedes Hotel in Schenna hat eines, schon immer. Im Katalog von Schenna illustrieren zwei Models die verschiedenen Aktivitäten und posieren mit einem «Model-Bauern», spazieren über den Platz vor der Gemeinde und halten dabei lasziv und überdreht große Einkauftaschen über die Schultern. Auch ich stürze mich ins Shoppingerlebnis Schenna. Das einzige im Februar offene Geschäft ist der Despar am Platz vor der Gemeinde. Ich kaufe ein Bier für einen guten Freund der auf einer Baustelle arbeitet: ein Hotelumbau. Ein kleines Garni ist im Aggregatzustand zum großen Hotel. Der alte Teil wird überbaut und man kann im Rohbau noch gut sehen wie der Neubau den alten schluckt. Ich möchte in meinem Diplom umgekehrt arbeiten, also das Garni unter dem Hotelkomplex finden (und das was vor dem Garni da war). Es ist Freitag, eine halbe Stunde vor 18 Uhr; die Arbeiter auf der Baustelle müde und langsam. Ansonsten soll es eher gestresst zugehen: In einem Monat, wenn die ersten Gäste kommen, muss es fertig sein. Am Abend wollen wir in die Dorfdisco gehen. Die letzen Fotos die ich mache sind von den (teilweise noch mit Weihnachtsbeleuchtung dekorierten) Kränen und den Baustellen in Schenna bevor die Sonne hinter den Bergen verschwindet. Am Parkplatz unter der Gemeinde schaue ich mir die Muthöfe über Tirol an und die Sonne fängt an auf den Hängen Schatten abzulegen an deren Grenze man die der Hotelsiedlungen nachzeichnen könnte. Am Ende besuche ich in 5 Tagen 10 Gemeinden, dokumentiere 9 davon, fahre über 12 Pässe, mache über 700 Fotos und interviewe 9 Entscheidungsträger. Als ich zwei Tage später im Zug wieder nach Wien fahre, steigt in Franzensfeste (dem Anschlussbahnhof ins Pustertal) eine junge solariumgebräunte Frau zu. Nach ein paar Minuten beginnt sie eine Rechung mit dem Briefkopf des Hotels Mirabell durchzugehen, jenes des Präsidenten des Tourismusvereins Olang den ich ein paar Tage vorher vergebens gesucht habe. Am Brenner setzen österreichische Zollbeamte zwei Männer, die Italien nicht aufnehmen will und nach München weiter- oder zurückgeschickt werden, hinter sie.
[Alta Badia, Modell 1:7.000]
[Rodella/Sellajoch]
[Sellajoch]
[Sellajoch]
[Alta Badia, Modell 1:7.000]
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Die Daten der folgenden acht in Südtirol als touristisch stark entwickelt eingestufte Gebiete stützten sich auf Erhebungen der Autonomen Provinz Bozen-Südtirol durch das Landesinstitut für Statistik ASTAT bzw. grafischen und inhaltlichen Aufbearbeitungen aus dem «Tirol Atlas»:9 ein grenzüberschreitendes Interreg-Projekt, das von den Kulturabteilungen des Landes Tirol und der Autonomen Provinz Bozen-Südtirol getragen wird, ko-finanziert durch die Europäische Union und realisiert am Institut für Geographie der Universität Innsbruck. St. Christina in Gröden St. Christina in Gröden ist die mittlere der drei ladinischen Gemeinden im Grödnertal. Das Gemeindegebiet erstreckt sich als schmales Band über die Talhänge beiderseits des Grödnerbaches und wird von der Geißler-Gruppe im Norden und der Langkofel-Gruppe im Süden begrenzt. Dort befindet sich auch das Sporthotel Monte Pana von Franz Baumann. Um den alten Dorfkern bei der Kirche ist im Laufe der letzten Jahrzehnte entlang der Talstraße ein völlig vom Tourismus geprägtes neues Siedlungsbild entstanden. Die Paarhöfe auf dem Sonnenhang erinnern mit den alten wettergebeizten Holzhäusern zum Teil noch an die frühere Siedlungslandschaft. Die Skigebiete Seceda im Norden und das um den Monte Pana im Süden ziehen jährlich Tausende von Wintersportler an. Die Skiweltmeisterschaften 1970 auf der Saslong-Strecke bildeten einen wichtigen Meilenstein in der Geschichte Grödens und boten die Gelegenheit das Tal in der Welt bekannt zu machen. Seit 1972 gehört Gröden zu den klassischen Austragungsorten im Skiweltcup. Wie in allen Grödner Ortschaften ist auch in St. Christina der Tourismus im Winter stärker als im Sommer. Nur zwei Hotels haben mehr als hundert Betten. Im Winter wird St. Christina stärker von deutschen Gästen besucht, da sie St. Christina als kleinstes und ruhigstes Dorf im Grödnertal bevorzugen. Für 300.000 jährliche Nächtigungen stehen 2.800 Gästebetten bereit, 22,2% der Beherbergungsbetriebe sind privat. Den Bauspekulationen wurde trotzdem nicht Einhalt geboten, viele Wohnungen sind 2 von 12 Monaten unbesetzt. Die kürzlich umgebauten Hotels haben vor allem die Zimmer und die Bäder vergrößert.10
9 Ebd. 3.
14 Landesinstitut für Statistik der Autonomen Provinz Bozen-Südtirol
10/11/12/13 Interview vom 14. Februar 2005 im Touris15 musverein St. Christina Arch. Karl Comploi in Gröden mit der Präsidentin und Direktorin des Tourismusvereins St. Christina in Gröden, Christina Demetz.
[Alpine Skiweltmeisterschaften F.I.S. Gröden 1970]
«Bezüglich der Architektur, ist das schon so, dass jetzt sehr viele Hotels den Kitsch, den barocken, bäuerlichen Baustil übernommen haben und es sind auch überall Türmchen dazugekommen. Der Gast sucht aber schon das wenn er zu uns kommt, denn er ist im großen und ganzen ein Stadtgast und der hat das Moderne zu Hause und wenn er dann in den Alpenraum kommt sucht er ein wenig das Holz und das was der Tirolerstil näher bringt.»11 Christina Demetz «Wenn man als Frau ein Beauty Case hat und ihn neben dem Waschbecken abstellen kann dann ist das praktisch. Wenn man nirgends Platz für den Beauty Case hat, dann wundert man sich wo man gelandet ist und muss ihn am Boden abstellen. Man muss ein bisschen ans Logische denken.»12 Christina Demetz
[Alpine Skiweltmeisterschaften F.I.S. Gröden 1970]
St. Christina hat Versuche unternommen sich an dem Eventtourismus und dem Après-Ski von Ischgl zu orientieren, dies aber wieder eingestellt, weil es der Gesinnung der Gäste nicht entsprach. Der klassische Wintersportgast ist ausschließlich am Skisport interessiert und definiert nur wenige aber streng einzuhaltende Strategien. Dementsprechend ist er aber auch nicht, wie der Sommergast, auf Authentizität bedacht. Versuche des Tourismusvereins die Grödner und Ladiner Kultur zu vermitteln wurden im Winter abgebrochen, im Sommer sind diese Veranstaltungen aber umso gefragter. «Wenn wir alleine wären, könnten wir aber auch nicht Ski fahren, denn von uns Einheimischen könnten die ganzen Bahnen nicht genug leben. Wir haben schon viele Möglichkeiten als Einheimische, weil wir mit dem Gast viele Infrastrukturen benützen können. Der Skibus kostet uns zwar viel, wird aber auch von den Einheimischen mitbenutzt. Aber den würde es ohne Gäste auch nicht geben.»13 Christina Demetz
[Alpine Skiweltmeisterschaften F.I.S. Gröden 1970]
[Tourismusverein St.Christina]
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Interview Christina Demetz Interview vom 14. Februar 2005 im Tourismusverein St. Christina in Gröden mit der Präsidentin und Direktorin des Tourismusvereins St. Christina in Gröden, Christina Demetz. AK: Es gibt 8 Gemeinden in Südtirol die aufgrund statistischer Daten der ASTAT14 im Landesraumordnungsgesetz der Provinz Bozen als touristisch stark entwickelt eingestuft wurden. In Gröden u.a. auch St. Christina und Wolkenstein (bis 2002 auch St. Ulrich). Ich wollte wissen, wie sich unter diesen Bestimmungen die Bautätigkeit im Dorf entwickelt hat? CD: Mit dem «touristisch stark entwickelt» ist das so, dass wenn man sich die Situation im Tal mit den drei anderen Dörfern anschaut, das eine nicht ganz korrekte Sache ist: St. Christina ist absolut die kleinste Gemeinde, auch in Sachen Tourismus. Uns als hoch entwickelt einzuschätzen ist ein bisschen hoch gegriffen, aber wenn man zum Beispiel an St. Ulrich denkt, dann ist das Dorf in die andere Kategorie zurückgefallen weil das was auf der rechten Seite vom Bach ist, zu Überwasser gehört und dementsprechend zur Gemeinde Kastelruth. Deshalb wurde das nicht mitgezählt und St. Ulrich als touristisch noch entwickelbares Dorf eingeordnet. Aber wenn man sich den Ort anschaut dann merkt man mit bloßem Auge, dass der Stand auch dem von uns oder Wolkenstein entspricht. Ich bin, u.a. als Person die in St. Christina wohnt, froh, dass wir als touristisch stark entwickelt eingestuft worden sind, weil wir uns nicht mehr so ausbreiten können und was auch meiner Meinung nach gut ist. Wir haben in den letzten Jahren doch mit der quantitativen und qualitativen Erweiterung sehr viel gebaut und ich glaube dass es vorerst reicht. Jetzt müssen wir schauen, dass wir die Grünflächen die wir noch haben und eigentlich im Dorf spärlich sind, auch so beibehalten, weil der Gast das sucht. Weniger der Wintergast, weil der in die Höhe geht und oben Ski fährt und dementsprechend es ihm gleich ist wie viel im Dorf soz. Chaos ist. Aber der Sommergast sucht auf alle Fälle das Grüne und meiner Meinung nach ist es auch wichtig, dass wir das so beibehalten. Wir, in St. Christina, haben jetzt knapp 3.000 offizielle Betten, was für ein «Baudorf» vielleicht auch genug ist. Wenn wir im Stande sind diese 3.000 offiziellen Betten gut auszufüllen, dann sind wir sehr glücklich mit der Situation. Was ich an St. Christina sehr traurig finde ist, dass auch bei uns die Spekulationen nicht halt gemacht haben. Wir haben sehr viele Bauten in den letzten Jahren dazubekommen die absolut nur Bauspekulationen sind, die sind für den Tourismus wie auch für uns als Einheimische sehr schädlich, denn sie nützen natürlich jeden Quadratmeter aus und bauen in die Höhe und links und rechts und schauen absolut nicht auf den Nachbarn und ob er noch Platz hat und letztlich auch nicht
auf das Grün. Sie bauen die ganze Fläche aus und das Gebaute wird auch absolut nur an Gäste und Auswärtige verkauft. Das bedeutet, dass auf 12 Monate die Wohnungen nur 2 Monate besetzt sind und der Rest ist zu. Das ist sehr schädlich und absolut nicht wünschenswert, aber ich weiß, dass Südtirol bzw. das Land jetzt schon versucht diesbezüglich etwas zu unternehmen. Was sie vorher bezüglich der Architektur angesprochen haben ist schon so, dass jetzt sehr viele Hotels den Kitsch, den barocken, bäuerlichen Baustil übernommen haben und es sind auch überall Türmchen dazugekommen. Ich gebe ihnen da Recht, dass das absolut nicht schön ist, ich muss aber auch sagen dass man vielleicht oft auch ans Innere denkt: Man hat mit den Türmchen einen Erker dazu gewonnen, was sich im Zimmer selbst positiv austrägt. In den Erker kann man dann ein nettes Tischchen stellen und der Gast hat so ein schönes Zimmer - so wird wahrscheinlich auch gedacht. In einem Zimmer einen Erker anbauen bedeutet ein paar Quadratmeter dazu zu kriegen und das Zimmer wird natürlich komfortabler. Ich gebe ich ihnen da Recht, dass das Zimmer dann von außen kitschig aussieht. Wenn dann auch noch diese Türmchen in türkis-blau aufgesetzt werden, dann fällt natürlich die Situation ins Auge. Ich kann glücklicherweise sagen, dass wir in St. Christina nicht so schlimme Fälle wie in St. Ulrich haben, die meiner Meinung nach absolut nicht schön anzusehen sind. Für viele, hauptsächlich von Architekturstudenten die eine modernere Baulinie haben, ist das natürlich ein unmöglicher Kitsch. Der Gast sucht aber schon das wenn er zu uns kommt, denn er ist im großen und ganzen ein Stadtgast und der hat das Moderne zu Hause und wenn er dann in den Alpenraum kommt sucht er ein wenig das Holz und das was der Tirolerstil näher bringt. Ich rede dabei weniger von den Türmen und der Außenarchitektur, sondern mehr von der Innenarchitektur. Wenn man auch an die Hütten denkt: Die, die am besten funktionieren sind die kleinen, kuscheligen, rustikalen Hütten, wie man sich das vorstellt wenn man an den Alpenraum denkt. Es gibt bei uns moderne Hütten: Wir haben einen Architekten, der in Venedig studiert hat und dieser Stil von Venedig ist sehr essentiell. Er hat ein paar Häuser in St. Christina gemacht, auch in Wolkenstein und auch eine Hütte welche die meist kritisierte Hütte ist - nicht nur von uns den Einheimischen, sondern auch von den Gästen. Er wird sich das sicher so gedacht haben, aber wenn man sich die Juac-Hütte von außen ansieht ist sie eine Katastrophe weil sie einfach nicht ins Ortsbild passt. Aber das ist dieser famose Comploi15-Architekt. Er hat aber auch Privathäuser gemacht wie in Wolkenstein das Haus vom Doktor Tröbinger. Man findet es neben der Skischule in Wolkenstein, aber es schaut von außen aus wie ein Enel-Haus, weil es sehr wenige Fenster hat. Zwar hat es auf der rechten Seite einen Winter-
[Leo Bährendt: St. Christina in Gröden]
[St. Christina in Gröden]
[St. Christina in Gröden]
[St. Christina in Gröden]
[St. Christina in Gröden]
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garten, aber sonst links und rechts nur ein kleines Fenster. In der Nähe finden sie auch zwei Häuser mit einer Wellenlinie auf der Mauer die mit sehr flachen Dächern gemacht worden sind. Dort sind die Dächer ziemlich geneigt, was aber auch einen Sinn hat: Hätten wir viel Schneefall (wir haben ja in letzter Zeit nicht viel Schneefall) ist es natürlich viel besser wenn man ein abfallendes Dach hat, als wenn es zu wenig Neigung hat, denn da würde der Schnee oben bleiben und das Gewicht vom Schnee ist natürlich nicht ideal. Hat man ein leicht abfallendes Dach rutscht der Schnee schon automatisch leichter ab. Deshalb hat auch die alpenländische Architektur von früher her einen Sinn. AK: Es hat aber auch Kompromisse gegeben bzw. Architekten wie Gio Ponti die versucht haben das traditionelle weiter zu entwickeln. Hier in St. Christina das Sporthotel Monte Pana von Franz Baumann. CD: Das wollte ich gerade erwähnen. Denn ein Hotel von damals, das absolut wegweisend für die alpenländische Architektur war, ist das Sporthotel Monte Pana. Das hat nach wie vor immer noch diese Architektur beibehalten und ist damals absolut ein VIP-Hotel gewesen, heutzutage leider nicht mehr - es hat ein bisschen abgewirtschaftet. Ich muss aber wieder sagen, dass ich diese Architektur nicht so begrüße. Die haben so kleine Fenster, sind aber oben in einer super Lage auf dem Monte Pana. Richtigerweise haben sie das Haus schon rundförmig gebaut und es neigt sich dem Langkofel zu, aber hat dann kleine Fenster fast wie auf einem Schiff und keinen Balkon. Und jeder der vermietet weiß, dass der Balkon fast das wichtigste für einen Gast ist. Ohne Balkon vermietet man viel schwerer. In der Lage müsste man schon eine richtige Fensterfassade machen wie das Hotel Vigilius vom Thun hat. Das ist eine super Sache und das Hotel hat mich fasziniert: das Essenzielle vom Stil her, aber dann in den Zimmern die ganze Fensterfassade. Das ist meiner Meinung nach das was der Gast sucht und wenn man zusätzlich noch einen Blick auf die Berge hat, wie es das Monte Pana eben auch hätte, könnte bei so einer Fensterfassade der Gast im Bett liegen und den Langkofel vor sich sehen. Das ist schon etwas ganz anderes als wenn er vom Fenster raus schauen muss. Das Monte Pana wird wegweisend gewesen sein, aber heutzutage geht die Architektur mehr in Richtung große Fenster, um sie auch als Wärme- und Lichtquelle und zur Sonnenenergieeinsparung ausweiten zu können. AK: Es geht in der Architektur auch darum, für wen gebaut wird. Wie schätzen Sie das ein: 70 bis 80 Prozent der Touristen erwarten sich scheinbar die postmoderne Form der alpinen Architektur. CD: Auch wenn es sich nicht in Gröden befindet, kann ich ein weiteres Beispiel nennen: das Posthotel Lamm in Kastelruth. Es hat zwar
sehr interessante Strukturen, aber der Gast in Kastelruth ist Kastelruther Spatzen Fan und der wird sicherlich in einem so modernen Haus nicht glücklich sein. Er sucht einfach das Alpenländische. Unsere Hoteliers in Gröden sind eigentlich immer schon bodenfest gewesen, wir sind bekannt dafür, dass wir wissen wohin der Weg geht und dass wir uns glücklicherweise mit Bauten und Schulden auch nie übernommen haben. Wir sind immer am Boden geblieben: Kein Hotel in Gröden hat einen riesengroßen, teuren Architekten hergeholt - der Matteo Thun hat in Gröden noch gar nichts gemacht. Weil den Hoteliers es wichtig ist zu wissen, dass letztendlich das Haus in den Händen der Familie bleibt. Denn nimmt man so einen teuren Architekten her, nimmt der dann Marmor von Israel und Sachen von der ganzen Welt her, und das kostet dann so viel, dass man einfach nicht über die Runden kommt. Man muss mit den Füssen auf dem Boden bleiben und zum Beispiel die normalen Badewannen von der Firma aus Bruneck nehmen. Der Gast wird mit dem genauso glücklich sein. AK: Sie haben sich das Vigilius angeschaut. Reisen sie viel und vergleichen die Strukturen in St. Christina mit anderen Tourismusgemeinden? CD: Ich bin ehrlich gesagt eine Ex-Kunstschülerin. Ich habe also auch soz. ein kleines Architekturstudium hinter mir und es interessiert mich auch. Wir gehen natürlich auch gerne andere Häuser anschauen und mir gefallen sie auch gut, weil ich vielleicht auch Müde bin von soz. dem ganzen Kitsch. Aber was sich verkauft ist absolut das: Die Hotels die jetzt umgebaut haben, haben alle geschaut die Zimmer größer zu machen. Große Bäder sind sehr wichtig, aber es muss nichts Ausgefallenes sein. Der Gast sucht nicht die modernen Toiletten mit der trichterförmigen Form, die jetzt rund um die Erde gehen, oder die schönen essentiellen Waschbecken wie es sie jetzt viel gibt. Wenn man keine Ablage hat ist das extrem unfunktionell. Wenn man als Frau ein Beauty Case hat und ihn neben dem Waschbecken abstellen kann dann ist das praktisch. Wenn man nirgends Platz für den Beauty Case hat, dann wundert man sich wo man gelandet ist und muss ihn am Boden abstellen. Man muss ein bisschen ans Logische denken.
16 17 ASTAT: Fremdenverkehr Dennoch liegen die in Südtirol, Sommerhalb- Übernachtungen 1,6% jahr 2004. Bozen, 2005. über dem Durchschnitt der letzten zehn Jahre.
[Franz Baumann: Sporthotel Monte Pana]
[Franz Baumann: Sporthotel Monte Pana]
[Franz Baumann: Sporthotel Monte Pana]
AK: Laut dem Landesamt für Statistik ASTAT sind in St. Christina im Zeitraum Mai bis Oktober 2004 die Zahl der Ankünfte und Übernachtungen gegenüber 2003 um fast 10% zurückgegangen. CD: Stimmt, der Sommer ist schlecht gegangen. 16
AK: Durchschnittlich ist die Zahl der Ankünfte in Südtirol leicht gestiegen (in der Sommersaison 2004 die absolut höchste), die Übernachtungen aber sind um 1,4% gesunken und befinden sich bereits seit dem Sommer 2002 im Rücklauf.17 [Franz Baumann: Sporthotel Monte Pana]
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Dementsprechend sinkt auch die die mittlere Aufenthaltsdauer: In St. Christina liegt sie bei 6,4 Tagen. CD: Sie reden absolut nur vom Sommer, im Winter haben wir letztes Jahr ein gewaltiges Plus gehabt. Im Sommer hatten wir dann ein großes Minus, aber das hat sich am Ende doch so ausgewirkt, dass wir in Summe die gleichen Nächtigungszahlen erreichen konnten wie vor 2 Jahren. Wobei sich doch radikal abgezeichnet hat, dass der Winter immer besser läuft und der Sommer immer schlechter. AK: Liegt das an der kurzen Sommersaison? CD: Man kann von drei Monaten reden. AK: Die Sommertourismusorte bestehen im Winter aus Baustellen und Kränen. Die Einheimischen werden scheinbar in der toten Saison auch von Depressionen eingeholt, weil sich alles auf die Hauptsaison konzentriert auf die alle hinarbeiten. Bei Ihnen in St. Christina ist die Saison über das Jahr verteilt, mit einer ruhigeren Phase im Sommer. CD: Viel kann man dazu nicht sagen. Nur dass die Leute im Dorf wenig unter dem sog. Chaos leiden, denn jeder profitiert auch vom Tourismus. Wenn wir den Tourismus nicht im Grödnertal hätten, dann müssten wir alle in Bozen arbeiten. Bei uns kann man nicht viel machen: Es wachsen höchstens Kartoffeln. Wichtig ist auch, dass jeder etwas davon hat und die Tourismusgesinnung der Einheimischen immer positiv bleibt. Es ist sicher so, dass vor allem ältere Menschen die gerne Ski fahren, die Senioren in St. Christina, des öfteren kritisieren, dass man nicht mehr Ski fahren gehen kann weil zu viele Leute auf den Pisten sind. Das stimmt natürlich, denn der Winter wird immer besser besucht. Letztes Jahr hatten wir schon im Jänner ein Plus von 12% und heuer wieder 6%, d.h. der Jänner wird immer besser. Das Jännerloch das wir einmal hatten gibt es absolut nicht mehr, damals mussten Hotels teilweise sogar eine Woche zu machen. Dadurch können wir jetzt die Wintersaison soz. bis Ende März durchziehen: sie dauert drei bis vier Monate und danach haben wir wieder drei Monate Ruhe. Da ist auch nichts los: Alles ist zu, alles ist ruhig und die Einheimischen gehen spazieren. AK: Wird in dieser Zeit viel umgebaut? CD: Es ist viel umgebaut worden, immer im Rahmen von der qualitativen und quantitativen Erweiterung, aber ich glaube wir haben das Schlimmste überbrückt. AK: Wie entwickelt sich zurzeit der Tourismus in St. Christina bzw. welchen Bedürfnissen der Gäste passt sich das Dorf an? Gibt es auch bei Ihnen starke Nachfrage bzw. verstärktes Angebot im Wellnessbereich? CD: Wir setzen auf die Natur und die Dolomiten. Und die können und dürfen wir uns nicht
kaputt machen und müssen weiterhin schauen, dass sie so beibehalten werden. Wir hoffen, dass wir mit der Umfahrungsstrasse die St. Christina bekommen soll, im Stande sein werden das Dorf aufzuwerten. Momentan haben wir schon sehr unter dem Verkehr zu leiden, da St. Christina im Zentrum des Tals liegt, Gröden als Tal keine Sackgasse ist und wir auch noch 2 Pässe nach oben haben. Viele fahren über die Pässe durch Gröden um in die nächstliegenden Täler (u.a. Badia) zu kommen und aus diesem Grund wollen wir schauen im Dorf den Verkehr zu beruhigen bzw. dadurch das Dorf auch aufzuwerten. AK: In den Wintersportorten gibt es oft das Problem, dass die Landschaft im Sommer durch den Verbau und die Skipisten nicht besonders attraktiv ist. CD: Das stimmt nicht ganz so; es wurde immer früher gesagt, dass u.a. die Schneekanonen viel kaputt machen, dabei ist es aber so: letztendlich sind die Skipisten im Sommer am grünsten. Es gibt das Phänomen, dass mit den Schneekanonen eine Eisfläche erzeugt wird und die Wiesen darunter durch den Skifahrer nicht mehr so kaputt gemacht werden wie früher. Denn damals haben noch die Ski selber den Schnee und dementsprechend auch die Erde und die Wiese darunter abgekratzt. Aber durch diese Eisschicht bleibt eigentlich immer die Schicht darunter erhalten. Wir haben sicher keine schöne Übergangszeit und nicht ohne Grund sind wir im Frühjahr und Herbst außer Saison, weil wir da wirklich ein schlechtes Klima haben. Wenn man nicht Skifahren kann, dann schmilzt der Schnee im April/ Mai und zu der Zeit hat man in der Höhe sowieso noch nichts zu suchen und meistens gibt es zusätzlich noch schlechtes und windiges Wetter. Man merkt schon, dass wir auf fast 1.500 Meter liegen, denn wir haben es schon kälter als unten in Bozen, wo zur gleichen Zeit die Leute schon im T-Shirt rumlaufen. Aber ich würde nicht sagen, dass die Berge unter dem Ganzen leiden. AK: Arbeitet St. Christina auch vermehrt mit großen Events bzw. mit Eventtourismus? CD: Wir haben schon oft probiert Events auszubauen, aber wir setzen nicht mehr auf Events. Vor ein paar Jahren haben wir uns kurz an Ischgl orientiert. Das haben wir aber komplett fallen lassen, denn unser Gast sucht das nicht. Unser Gast ist zwar im Winter ein anderer als im Sommer, aber der Wintergast der Après-Ski sucht geht nach Ischgl, denn bei uns findet er das wenig. Bei uns kommt er einfach wegen der Vielfalt die er auf den Skipisten hat: Er kann eine Woche so weit fahren, dass er oft nicht zweimal die gleiche Piste fahren muss wenn er nicht will, außer natürlich um nach Hause ins Hotel zurück zu kommen. Aber er hat hier wirklich eine super Auswahl an Skipisten die bestens gepflegt sind und zusätzlich haben wir hier in Südtirol das Glück, dass wir viel besseres Wetter haben
[Franz Baumann: Sporthotel Monte Pana]
[Franz Baumann: Sporthotel Monte Pana]
[St. Christina in Gröden]
[St. Christina in Gröden]
[��������������������������������� Saslong, ������������������������ St. Christina in Gröden]
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als in den Nordalpen. Wir haben deshalb zwar auch weniger Schnee, aber der Gast der zu uns kommt weiß das meistens eigentlich auch. Es gibt oft nicht so viel Schnee, aber die Pisten sind bestens präpariert und man hat das gute Wetter. Das Hüttenangebot besteht vor allem aus den traditionellen kleinen Hütten und keine, oder sehr wenige, große Self-Services. Das trägt alles zu der kuscheligen, feinen, persönlichen, familiären Atmosphäre bei. Dann haben wir in St. Christina auch nicht große Hotels: Die meisten sind familiengeführte Hotels die um die 50 Betten haben. Hier in St. Christina zählen wir eigentlich nur vier Hotels die 100 Betten haben, der Rest sind alles kleine Betriebe. Das macht es dann aus, dass der Gast sich beim Hotelier, bei der Gastwirtfamilie, wohl fühlt und deswegen haben wir auch viele Stammkunden die gerne kommen weil sie alles kennen. AK: Sind im Winter mehr italienische und im Sommer mehr deutsche Gäste da? CD: Das ist jetzt wieder bei St. Christina und Wolkenstein unterschiedlich. Denn wir in St. Christina haben im Winter am meisten Deutsche, hingegen Wolkenstein und St. Ulrich haben mehr Italiener. Das ist vielleicht so, weil wir das kleinste und ruhigste Dorf sind und das ist was der Deutsche mehr sucht. Der Italiener sucht mehr das Stadtl, aber der Deutsche kommt vielleicht auch weil wir etwas günstiger sind. AK: Sie sagen, im Vergleich zu Wolkenstein und St. Ulrich, sind sie das kleinste und ruhigste Dorf? CD: Wir sind das kleinste und ruhigste Dorf. Das würde ich nicht nur so sagen - das ist so. Wir sind meiner Meinung nach ganz gut gelegen weil wir im Zentrum sind. St. Ulrich ist immer schon das «Stadtl» gewesen, das Kleinstädtchen mit Einkaufsmöglichkeit. Wolkenstein ist sowieso das Tourismushochzentrum mit den vielen Hotels. Bei uns gibt es einfach die familiäre Atmosphäre und die kleineren Häuser, aber trotzdem mit der guten geografischen Lage. AK: Der Gast im Alpenraum ist stark auf der Suche nach Authentizität. CD: Aber nicht der Wintergast, dem ist das egal. Wir, vom Tourismusverein her, hätten eine sehr schöne Kultur in Gröden: von der ladinischen Sprache bis zum Brauchtum, den Kleidern, die ganzen Holzschnitzer - das hat alles eine Tradition warum das so ist. Dem Wintergast ist das egal. Wir haben des öfteren probiert so eine Art Heimatabende zu veranstalten um unsere Kultur dem Gast weiterzuvermitteln. Im Sommer sind das Veranstaltungen die super laufen, mit viel Publikum, aber im Winter haben wir das auch einmal gemacht und, auch wenn im Winter viel mehr Gäste da sein würden, kamen nur sechs Leute. Dem Wintergast ist das alles egal. Der weiß auch nicht, dass wir hier die ladinische
Sprache haben und es interessiert ihn auch nicht. Er will wissen wie viele Pisten da sind und wie viele Aufstiegsanlagen wir haben. Er fährt den ganzen Tag durch die Gegend und ihm ist dann auch die Infrastruktur im Hotel wichtig, was dem Sommergast nicht mehr so wichtig ist. Zum Beispiel Sauna, Wellness und die ganzen damit verbundenen Geschichten sind dem Wintergast sehr wichtig, weil er Skifahren geht und danach noch in die Sauna. Das ist auch sehr schön, das würde uns auch gefallen, aber dem Sommergast weniger - der ist in diesem Zusammenhang bescheidener. AK: Wenn der postmoderne Wintergast alles auf die Erfahrung reduziert, würde er auf der Suche nach der Piste diese auch mit dem Hang substituieren. Glauben sie es stimmt, dass diesbezüglich viele Gäste an Indoor-Skihallen verloren gehen, wie sie jetzt auch in Deutschland gebaut werden? CD: Wir sehen das weniger als Konkurrenz denn als Aufwertung. Denn für jemanden der sich über das Jahr in den Indoor-Skihallen fit hält ist es ein Traum dann in die Natur zu gehen und andere Pisten fahren zu können. Wenn man das ganze Jahr immer nur die gleiche Piste fährt, dann entsteht das Bedürfnis wirklich in der Natur Skifahren zu gehen. Ich sehe das nicht als Konkurrenz, es hilft uns den Skisport weiter an den Markt zu bringen, denn es gibt schon Studien die sagen, dass immer weniger Skifahren gehen und es ist wichtig, dass dieser Sport bleibt. Wir haben im Winter viel weniger Konkurrenz, das ist es auch warum wir so gut arbeiten. Im Sommer ist es in ganz Südtirol schön und auch das kleinste Dorf hat Sommertourismus, aber im Winter können viele nicht mithalten. Effektiv renommierte Wintersportorte gibt es nicht viele: beginnend mit Frankreich, Schweiz und sowieso Österreich. In Südtirol gibt es auch nur drei Orte die als richtige Wintersportzentren bekannt sind. Ich rede nicht von Gebieten die nur drei Lifte haben, sondern von Gegenden wo der Gast sich austoben kann. Um wieder auf die Architektur zurückzukommen, ist wohl unser alpiner Stil der der alten Bauernhöfe, von denen wir in St. Christina genügend haben. Wie die ältesten Bauernhöfe in Plesdinaz an der obersten und südlichsten Seite. Es gibt ein Haus mit drei kleinen Fenstern und nebenan den Stadel: das ist unsere Architektur, die es in Gröden gegeben hat. Sehr einfach, weil die Grödner sehr mittellos waren: Vor den Weltkriegen und vor dem Tourismus waren die Grödner arm. Beim Weltkrieg sind sie sogar nach Feldthurns und Villanders betteln gegangen, es gab nichts zu essen. Und das war unsere Architektur: alles mit großen Steinen gebaut.
18 Alpenroyal Top Sporthotel - Gourmet & Relax *****, Wolkenstein in Gröden.
[��������������������������������� Saslong, ������������������������ St. Christina in Gröden]
[St. Christina in Gröden]
[St. Christina in Gröden]
[St. Christina in Gröden]
094(09)EVERYTHING IS A COPY OF A COPY OF A COPY
AK: Sind die neuen Hotels dann soz. eine beschleunigte Evolution dieser Typologien, die sich durch Um-, Zu- und Ausbauten weiterentwickelt? CD: Viele Hotels sind schon schlecht gelungen, denn durch die Anbauten haben sie auch an Struktur verloren. Aber es gibt auch die die es ganz gut gemacht haben, die waren auch im Stande das ein bisschen beizubehalten. Andere haben eben wild gehaust und dass das passiert ist, ist schade. Gerade durch die Zubauten wurde immer wieder etwas hinzugefügt und zum Beispiel ist das Hotel Alpenroyal18 eine Katastrophe die durch den neuen Zubau (der zurzeit als Rohbau stillsteht) noch verschlechtert worden ist. Das Alpenroyal hat sich mit dem Zubau in die Länge gezogen, hat aber in Bezug zum alten Haus sehr wenig Struktur.
aber auch nicht Ski fahren, denn von uns Einheimischen könnten die ganzen Bahnen nicht genug leben. Wir haben schon viele Möglichkeiten als Einheimische, weil wir mit dem Gast viele Infrastrukturen benützen können. Der Skibus kostet uns zwar viel, wird aber auch von den Einheimischen mitbenutzt. Aber den würde es ohne Gäste auch nicht geben.
[St. Christina in Gröden]
AK: Aufgrund des relativen Verhältnisses zwischen Gast und Einwohner, sind in den stark touristisch entwickelten Gemeinden letztere in der Minderzahl und auch sozial in der Dienstleistungsrolle gefangen. In Schenna oder Dorf Tirol gibt es seit einem Jahr auch schon konkrete Bestimmungen die die Einheimischen einschränken, zum Beispiel durch ein Nachtfahrverbot für Leichtmotorräder, um die Gäste nicht zu stören. CD: Das liegt am Alter der Gäste in Schenna, die alle über Sechzig sind. Unser Gast ist jünger, denn wir sind ein alpinerer Ort als Schenna und gerade vielleicht deshalb läuft bei uns der Sommertourismus nicht so gut, weil Wandern nicht in ist. Bei uns muss der Gast sportlich sein, denn wir haben sehr schöne Wanderwege, aber die gehen auf 2.600 Meter hoch, auf steilen und engen Wegen - da kann ein Siebzigjähriger nicht mehr hoch. Unser Gast ist jung, der Wintergast sowieso, aber auch der Sommergast und das macht uns im Sommer Schwierigkeiten.
[St. Christina in Gröden]
[St. Christina in Gröden]
AK: Meine Frage war mehr darauf bezogen in wie fern Einheimische eingeschränkt sind. CD: Ich würde nicht sagen dass wir eingeschränkt sind, außer vielleicht innerhalb der Saison durch Parkplatzschwierigkeiten, und man kann auch nicht sehr einfach für den normalen Haushalt einkaufen gehen. Einerseits wegen der Parkplätze und wiederum weil auch die Geschäfte so voll sind. Andererseits sind wir uns auch alle bewusst, dass die Möglichkeiten die wir jetzt, u.a. auch durch die Geschäfte, haben ohne den Tourismus nicht hätten. Für uns Einheimischen bräuchte es in jedem Dorf nur einen supermercato und sonst nichts. Wir hätten nicht die großen Geschäfte und die geben uns mehr Möglichkeiten. Ich glaube schon, dass das von uns so gesehen wird. Aber ich spreche auch vielleicht so, weil ich auch direkt davon profitiere; wahrscheinlich wenn man jemanden das Gleiche fragt der nichts mit dem Tourismus zu tun hat, dann sagt der sicher das es angenehmer und ruhiger ohne Gäste wäre. Wenn wir alleine wären, könnten wir
[St. Christina in Gröden]
[St. Christina in Gröden]
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Wolkenstein in Gröden Den Grödner Talschluss umfasst die Gemeinde Wolkenstein (Selva), der am höchsten gelegene (1.563 Meter) Hauptort des Grödnertals ist. Der Sprachgruppenanteil teilt sich auf 88,30% ladinisch, 5,98% deutsch und 5,72% italienisch. Wolkenstein hat im letzten Jahrhundert den stärksten Entwicklungsschub aller Grödner Orte erfahren, die beschauliche Idylle am Ausgangspunkt zu den Übergängen von Grödner Joch (ins Gadertal) und Sellajoch (ins Fleimstal) ist längst einer nahezu regellosen Ansammlung von Hotels und sonstigen touristischen Einrichtungen gewichen. Das seit der alpinen Skiweltermeisterschaft von 1970 noch gesteigerte rapide Wachstum und die starke Verkehrszunahme verliefen jenseits jeglicher ökologischer Aspekte. Dem nach Norden ziehenden Langental blieb diese Entwicklung erspart, da es mit der Einbindung in den Naturpark Puez-Geisler von Bauspekulationen verschont wurde. 2003 wies Wolkenstein mit 7.882 Einheiten die höchste Bettenzahl Südtirols und vor allem die meisten Nächtigungen (991.258) auf,19 2001 wurde sogar die Million überschritten. Im Winter sind 45% und im Sommer Zweidrittel der Gäste aus Italien. «In St. Christina haben sie keine Fußgängerzone. Vor allem im Sommer haben wir Abendveranstaltungen. Im Winter gehen die Leute Skifahren und sind den ganzen Tag im Freien. Am Abend möchten sie ins Hotel bzw. in die Sauna, Essen und schlafen gehen. Ganz wenige gehen dann noch aus dem Haus. Aber im Sommer schon, da gehen die Leute nach dem Essen noch spazieren. Ab und zu spielt die Musikkapelle, wir organisieren dann die Fußgängerzone und zweimal die Woche haben die Geschäfte am Abend offen und es sind viele Leute da. Im Winter macht das keinen Sinn. Im Winter haben wir zum Beispiel als Veranstaltung oben am Parkplatz beim Lift in Ciampinoi den Männerchor der oft mal singt. Aber nicht am Abend um neun, sondern um fünf, wenn die Leute vom Skifahren heim kommen, da sind nämlich die meisten Leute da.»20 Dora Demetz
19 Südtiroler Marketing Gesellschaft (SMG): Südtirol in Zahlen 2003, Bozen 2004.
23 Bereits in den Jahren 1988, 1991, 1994, 1995, 1996 und 2001 konnte Wolkenstein mehr als 1.000.000 Nächtigungen verzeichnen.
20��� /�� 21 Interview vom 14. Februar 2005 im Tourismusverein 24 Wolkenstein in Gröden Hotel Cavallino Bianco mit der Mitarbeiterin ****, St. Ulrich. des Tourismusvereins Wolkenstein in Gröden, Dora Demetz. 22 Interview vom 16. Februar 2005 in Wolkenstein im Büro des Betriebs Zimmermann (Zumpradëur) Karl Senoner mit Karl Senoner.
In den letzten Jahren wurden die meisten Hotels in Wolkenstein umgebaut, erneuert bzw. auch abgerissen und neu aufgebaut. Viele haben in diesem Zusammenhang die qualitative Erweiterung genutzt und vor allem die Größe der Zimmer verdoppelt. Im Winter sind mehr italienische als deutsche Gäste in Wolkenstein, nehmen aber in den letzten Jahren immer mehr ab und werden durch Gäste aus dem Osten, Slowakei oder Polen ersetzt.21 «Das war eine Zeit lang fast so was wie ein Hobby von den Hotels: Jeder wollte seinen Turm. Vor drei, vier Jahre hat man das abgeschafft, der Bürgermeister wollte diesen Turm nicht mehr aus ästhetischen Gründen. Meistens ist das mit dem Turm nur eine Sache der Ästhetik. Einer hat mal angefangen und dann haben es andere kopiert. So hat das angefangen. Einer von den ersten war ‘89 und seit dem mag jeder der Geld hat sein Haus verschönern und das kostet einen Haufen Geld.»22 Karl Senoner
[Leo Bährendt: Wolkenstein in Gröden]
«Die Hotels sind mittlerweile alle gemacht worden, aber solange wir eine gute Saison haben, wird es immer etwas zu machen geben: erweitert, restauriert, ausgebessert.» Karl Senoner
[Livecam, Tourismusbüro Wolkenstein]
[Tourismusverein Wolkenstein in Gröden]
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Interview Dora Demetz Interview vom 14. Februar 2005 im Tourismusverein Wolkenstein in Gröden mit der Mitarbeiterin des Tourismusvereins Wolkenstein in Gröden, Dora Demetz. AK: Ich habe heute bereits in St. Christina mit der Präsidentin des Tourismusvereins Christina Demetz gesprochen und gesehen, dass sich St. Christina als kleinstes und ruhigstes Dorf im Grödnertal präsentiert. Wolkenstein hingegen hat 2003 wieder eine Million Übernachtungen überschritten.23 Wie stark ist die Bauaktivität in Wolkenstein? DD: Gebaut wird sehr viel. Man kann es schon im Katalog sehen: In den letzten Jahren sind die meisten Hotels umgebaut, erneuert, abgerissen und total neu aufgebaut worden. Ganz viele nutzen die qualitative Erweiterung aus und möchten diese Regelung nutzen so lange es sie gibt. Dabei wird oft vor allem die Größe der Zimmer verdoppelt. AK: Wie groß sind in Wolkenstein die Diskrepanzen zwischen Winter- und Sommersaison? DD: Wir haben eigentlich eine sehr starke Wintersaison, im Sommer eigentlich nur Juli und August. Im August sind wir immer ganz gut ausgebucht, im Juli und September kommen viele deutsche Touristen zum Wandern. Die anderen Monate sind sehr schwach und das sind dann auch die Monate wo gebaut wird - immer zwischen den Saisonen. Die Gemeinde legt immer ein Datum fest ab dem gebaut werden darf. Das, bis zu einem Zeitpunkt an dem es keine Baustellen mehr geben darf, und in der Zeit dazwischen wird gebaut. AK: Ist das eine Regelung die nur in oder für Wolkenstein vorgenommen wird? DD: Ich glaube es gibt sie in ganz Gröden. Hier ist es auf jeden Fall genau geregelt, denn es geht nicht, dass mitten in der Sommersaison zehn Kräne im Dorf stehen. AK: Für die Wintersportorte ist es oft schwer mit der Sommersaison. Wie sind Sie im Sommer ausgelastet? DD: Der August, Ferragosto: Die ersten drei Augustwochen sind immer ganz gut ausgebucht. AK: Gibt es in Wolkenstein vor allem italienische Gäste? DD: Nein, es ist eigentlich sehr ausgeglichen. Im Winter sind schon mehr italienische als deutsche Gäste da, diese fallen in letzter Zeit aber immer mehr zurück und es kommen andere hinzu: aus dem Osten, Slowakei oder Polen. AK: Wo kommen die saisonalen Kräfte her? Gibt es überhaupt viele saisonale Kräfte? DD: Sehr viele.
AK: Trotz einer fast durchgehenden Saison? DD: Die Wintersaison geht bis 10. April und dann ist bis Anfang Juni wenig. Ende Mai gibt es auch noch sehr wenig, nur einige Privatpensionen mit Frühstück, die familiär geführt werden, haben offen und die brauchen kein Personal. Aber wer Personal braucht, der macht auch wirklich erst auf wenn die Leute da sind. AK: Gibt es eigentlich aufgrund des Tourismus Einschränkungen für die Einheimischen? DD: Eigentlich nicht.
[Wolkenstein in Gröden]
AK: Wie ist der Standpunkt im Dorf bezüglich dem was neu gebaut wird? In St. Christina sind die Einheimischen oft unzufrieden mit dem was neu dazu kommt. DD: Wahrscheinlich weil sie so groß sind. Man sieht Hotels, die sind nachdem sie umgebaut wurden fast doppelt so groß. AK: Wenn man die ganzen Neu- und Umbauten in zwei Kategorien sieht, dann ist wohl eine davon jene, bei denen das Neue viel von Säulen, Erkern und Türmchen repräsentiert wird, wie beim Cavallino Bianco24 in St. Ulrich. Gibt es in dieser formalen Sprache viele in Wolkenstein? DD: Von den neuen Hotels in der Größe eigentlich nur das Alpenroyal: Ein Fünfsternehotel das noch nicht ganz fertig ist und bei dem ein riesiges Haus gerade zugebaut wird. Sonst war das Hotel Oswald immer schon sehr groß oder das Miravalle, oben in der Dantercepiesstraße, ist auch ganz groß. AK: Darf das Alpenroyal jetzt im Winter weiter umbauen oder ist der Bau eingestellt worden? DD: Der ist eingestellt worden. Er besteht im Rohbau. AK: Die Umbautätigkeit muss relativ schnell gehen, wenn sie nur auf ein paar Monate komprimiert ist. DD: Das ist auch unglaublich. Es werden dabei so viele Arbeiter eingestellt, dass es am vorgeschriebenen Tag fertig ist, egal wie viele Maler oder Maurer es dazu braucht. Natürlich geht alles parallel: Die Hydrauliker sind drinnen wenn die Maler schon da sind. Ich kenne auch Leute die auf dem Bau arbeiten und sie erzählen, dass wenn es am es am 10. fertig sein muss und man sieht am 1. dass es sich nicht ausgeht, dann einfach noch 20 Leute dazukommen. Aber am 10. ist es dann fertig. Man hält sich da schon dran, man muss auch.
[Plan de Gralba, Wolkenstein in Gröden]
[Plan de Gralba, Wolkenstein in Gröden]
[Plan de Gralba, Wolkenstein in Gröden]
AK: In St. Christina hat man mir erzählt, dass Eventtourismus bei ihnen nicht stattfindet und der Tourismus auch dementsprechend angelegt wird. Im Winter machen sie keine zusätzlichen Veranstaltungen, weil der Wintergast kaum an Kultur interessiert ist. Finden auch in Wolkenstein Veranstaltungen ausschließlich im Som[Langkofel]
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mer statt oder gibt es vereinzelt auch welche im Winter? DD: In St. Christina haben sie keine Fußgängerzone. Vor allem im Sommer haben wir Abendveranstaltungen. Im Winter gehen die Leute Skifahren und sind den ganzen Tag im Freien. Am Abend möchten sie ins Hotel bzw. in die Sauna, essen und schlafen gehen. Ganz wenige gehen dann noch aus dem Haus. Aber im Sommer schon, da gehen die Leute nach dem Essen noch spazieren. Ab und zu spielt die Musikkapelle, wir organisieren dann die Fußgängerzone und zweimal die Woche haben die Geschäfte am Abend offen und es sind viele Leute da. Im Winter macht das keinen Sinn. Im Winter haben wir zum Beispiel als Veranstaltung oben am Parkplatz beim Lift in Ciampinoi den Männerchor der oft mal singt. Aber nicht am Abend um neun, sondern um fünf wenn die Leute vom Skifahren heim kommen, da sind nämlich die meisten Leute da. AK: Sonst gibt es nichts? DD: Am Abend gibt es oft mal einen Tirolerabend, oder Filmabende werden veranstaltet und dann noch die Eishockeyspiele, wir haben hier eine Eishalle. AK: Was ist mit den Weltcuprennen? DD: St. Christina hat sicher mehr von den Weltcuprennen. Es fällt bei uns auf das Wochenende vor Weihnachten, da ist nicht Hochsaison und ausgebucht ist es dann hier in Wolkenstein eigentlich nie. Wir machen dafür ein Sonderangebot bei dem die Gäste drei Tage hier bleiben: Sie kriegen dann Unterkunft inklusive dem Skipass und Eintritt zum Weltcup. Wir bieten da schon viel an, damit auch viele Leute da sind. Aber ausgebucht ist es da nicht. AK: Wenn die Hotels umbauen kann man sich gut vorstellen was quantitativ passiert, aber was findet im qualitativen Bereich statt? Vor allem Wellness? DD: Ja, Wellness und die Zimmer werden, wie gesagt, von der Größe her verdoppelt. Die Gefahr besteht dann allerdings, dass in der Hochsaison in jedem Zimmer statt zwei Leute vier Leute drin wohnen. Heuer ist das Problem aufgekommen, dass uns Leute schon berichtet haben, dass einfach mehr Leute da sind und man das an den Tischen merkt. Es entsteht dann ein Widerspruch zwischen dem was die Statistik sagt und dem was die Gemeinde bezüglich der Müllentsorgung vorlegt. AK: Wie bereitet sich Wolkenstein auf die unterschiedlichen infrastrukturellen Ansprüche vor? DD: Man weiß eigentlich schon welche Wochen wirklich ausgebucht sind: Das sind die Weihnachts- und Silvesterwoche und die Faschingswoche, auch wenn letztere heuer nicht ausgebucht war.
AK: Aber Wolkenstein hat auch heuer wieder einen prozentuellen Zuwachs an Nächtigungen gehabt? DD: Ja, zu Weihnachten, Neujahr und Jänner war es sehr gut. Jetzt, die erste Woche in der Hochsaison bzw. die erste Woche im Februar, war sehr schlecht und die Faschingswoche war auch nicht optimal. Aber das war überall so: in Sölden und in allen anderen Skigebieten. Die Faschingswoche ist eigentlich sonst immer ausgebucht, denn es sind überall Ferien und es kommen viele Familien. Es war auch voriges Jahr so, aber dieses Jahr nicht. Nicht nur bei uns, sondern in allen Skigebieten, das wurde auch im Fernsehen gesagt. Aber das habe ich nur von der Tagesschau gehört: Von Ischgl und Sölden haben die gezeigt, dass die Faschingswoche nicht ausgebucht ist. Wolkenstein eben auch nicht und das ist komisch, denn wir waren eigentlich immer ausgebucht. Als Begründung ist angegeben worden, dass in den Medien gemeldet worden ist, dass es Verkehrsstaus geben wird. Wahrscheinlich haben sich die Leute davon abschrecken lassen.
[Hotel Anterleghes, Wolkenstein in Gröden]
[Hotel Anterleghes, Wolkenstein in Gröden]
AK: Es ist viel beobachtet worden was in Meran am Vigiljoch gebaut worden ist: das Vigilius von Matteo Thun. DD: Wir sind es uns auch anschauen gegangen. Wenn wir dort waren, waren keine Leute im Hotel, aber es war auch außer Saison. AK: Wie schätzen sie das ein? Gibt es viele Gäste die so ein Hotel in Wolkenstein nutzen würden? DD: Es gibt viele Gäste die neue Hotels suchen, neue Strukturen, und dabei ist es gleich ob es ein Dreisterne- oder Viersternehotel ist. Die meisten suchen eine neue Struktur mit ein bisschen Wellness, ein bisschen Sauna und Whirlpool. Und vielen ist es wichtig welche die neuen Häuser sind, ob Türme oder nicht Türme, oder welche Architektur, das kann ich nicht sagen. Sie suchen neue Strukturen und fragen auch danach, aber architektonisch gesehen kann ich nichts dazu sagen. Wenn sie ein Restaurant aussuchen, suchen sie den Tirolerstil oder irgendwas typisches das mit Holz eingerichtet ist, das schon. AK: Mir ist noch aufgefallen, das wenn früher das Ortsbild in Gröden noch viel von den Talstationen der Seilbahnen geprägt wurde, die eine moderne Architektur aufweisen konnten, diese in den letzten Jahren viel mit Umlaufbahnen ersetzt worden sind. Gibt es überhaupt noch Seilbahnen in Gröden? DD: Plan de Gralba, Piz Selva,...
[Hotel Alpino Plan, Wolkenstein in Gröden]
[Wolkenstein in Gröden]
AK: Also nur am Pass, aber hier ist alles umstrukturiert worden? DD: Wegen der Förderkapazität
[Wolkenstein in Gröden]
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Interview Karl Senoner Interview vom 16. Februar 2005 in Wolkenstein im Büro des Betriebs Zimmermann (Zumpradëur) Karl Senoner mit Karl Senoner. AK: Mir ist gesagt worden, dass Sie sehr viele Umbauaktivitäten in ganz Gröden durchgeführt haben. In den einzelnen Ortschaften gelten teilweise sehr strenge Regelungen was die Zeitspannen betrifft zu denen gebaut werden darf. Ist die Bauaktivität unter den Gemeinden koordiniert und kommt es bei Ihnen in diesen Monaten zu vielen terminlichen Überschneidungen? KS: Bei uns ist es so, dass man nach Ostern bis 10. Juni zwanzig oder dreißig Arbeiten haben könnte. Denn da ist genug Arbeit und man hat viele Anfragen, aber wenn man nur fünf oder sechs Mitarbeiter hat, kann man nicht viel machen. Von den Arbeiten im eigenen Dorf ist es immer schwierig wegzugehen, deswegen sind wir ein Betrieb mit zwölf Leuten und so kann man schon ein bisschen variieren und hat auch die Möglichkeit ein größeres Hotel zu machen. Aber was bei uns heutzutage Faktor ist, ist die Zeit. Denn früher haben sie ein Haus in einem ganzen Jahr gemacht, heute wollen sie ein Hotel in zwei Monaten. AK: Ist es schwierig außerhalb dieser Zeiten zu arbeiten? KS: Sagen wir, wenn ein Hotel einen größeren Umbau macht kann man die Sommersaison einmal weg lassen, denn bei uns ist die Sommersaison nicht so wichtig. Man muss im Winter fertig sein, denn Hauptsaison ist im Winter. Aber heute werden die Umbauten schnell gemacht, weil die Hotels die Sommersaison nicht weg lassen wollen. Man kann dann im Herbst hingehen und etwas austauschen. AK: Melden sich die Hotels dann schon im Vorfeld, damit Sie sich auf dem Umbau vorbereiten können? KS: Das geht bei den Hotels nicht, denn die machen wie sie wollen, denn sie haben Geld. Der (Auftraggeber) sagt auch erst im letzten Moment Bescheid und vorbereiten kann man wenig. Bei den letzten Hotels die ich gemacht habe, ist es nicht mehr so um den Preis gegangen. Es ist gesagt worden was gemacht werden muss und das musste gemacht werden. Wenn danach ein Umbau von 100.000 Euro 107.000 kostet, das ist ihnen dann gleich. Hauptsache es wird fertig. AK: Arbeiten sie hauptsächlich in Gröden? Wie viele Hotels machen sie im Durchschnitt? KS: Die letzten Jahre haben wir immer drei oder vier gemacht, zwischen Zu- und Neubauten. Ich muss sagen, die letzten Jahre ist es ein bisschen schwieriger geworden, weil wir eine große Konkurrenz von Österreich bekommen haben. Eigentlich nicht von den Handwerkern aus Ös-
terreich, sondern von den Architekten aus Österreich. Draußen gibt es ein gewisses Architektenbüro das ziemlich schöne Sachen macht und die haben sich in den letzten Jahren ziemlich benommen. Die haben einfach eine andere Mentalität, wollen überall einsehen und sagen zu guter letzt welchen Preis man ihnen machen muss. Das geht nicht, weil ich das mache damit der Kunde zufrieden ist und nicht sagen kann ich gehe jetzt die 5 Euro und die 10 Euro noch runter, weil der Architekt das will. Das geht nicht, früher haben wir das nicht gehabt. AK: Frau Demetz vom Tourismusverein St. Christina hat mir einige ihrer Um- und Zubauten im Katalog von Tourismusverband Gröden gezeigt. Es gab einige mit Türmchen, ich nehme an um die Stiegenhäuser oder Liftschächte abzuschließen. KS: Das war eine Zeit lang fast so was wie ein Hobby von den Hotels: Jeder wollte seinen Turm. Vor drei, vier Jahre hat man das abgeschafft, der Bürgermeister wollte diesen Turm nicht mehr, aus ästhetischen Gründen. Meistens ist das mit dem Turm nur eine Sache der Ästhetik. AK: Mit Erkern, Säulen und Wandmalereien begründen die Türme einen ganz eigenen Stil. Wie glauben Sie ist das aufgekommen? KS: Die Hoteliers die bei uns was bauen haben Geld. Sie schauen sich viel um und wenn sie ein Haus mit einer Zeichnung sehen, dann wollen sie das dann auch machen. Einer hat mal angefangen und dann haben es andere kopiert. So hat das angefangen. Einer von den ersten war ‘89 und seit dem mag jeder der Geld hat sein Haus verschönern und das kostet einen Haufen Geld. Man muss differenzieren zwischen leicht gezeichnet/gemalen oder Graffiti, das ist eine andere Sache die auch ziemlich kostenaufwändig ist. Sicher ist das aber für ein Haus schön. Das ist ein anderer Eingang wenn man hinkommt, ein anderer Blick, ein bisschen verziert. AK: Dem Vigilius Mountain Resort ist in den letzten Monaten viel Aufmerksamkeit zugekommen. Die Tourismusvereine die ich besucht habe, haben viel davon erzählt und einige sind es auch anschauen gegangen. In gewisser Hinsicht erinnert es auch an das was die Vorarlberger seit Jahren bauen. Glauben sie in Gröden bzw. Südtirol werden dem viele Leute nachziehen? KS: Das täte ich bei uns nicht sagen, denn die Mentalität in Gröden ist doch ein bisschen anders. Wenn wir uns das auf dem Vigiljoch oben von weitem anschauen, dann sagt man: Die haben das Gerüst noch nicht weggetan.
[Zumpradëur Senoner, Wolkenstein in Gröden]
[Zumpradëur Senoner, Wolkenstein in Gröden]
[Zumpradëur Senoner, Wolkenstein in Gröden]
[Zumpradëur Senoner, Wolkenstein in Gröden]
AK: Die Form selbst, der geschwungene Grundriss bzw. die Wölbung der Fassade, findet man aber bei Gebäuden der Moderne wieder, wie das Monte Pana in St. Christina. [Zumpradëur Senoner, Wolkenstein in Gröden]
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KS: Das Hotel Monte Pana ist eines der ersten Hotels die hier gebaut worden sind, bei der Architektur hat sich einer sicher etwas gedacht. Die leicht runde Form und das Pultdach das gegen die Piste schaut und nach Innen geht, dass war schon zu der Zeit ziemlich aufwendig gebaut. Sicher, wenn man heutzutage so etwas macht sagen sie bei uns, dass man eine Seilbahn macht. AK: Ihr Wohnhaus befindet sich unmittelbar unterhalb der Casa del Monte.25 KS: Da oben? Das ist auch so ein Pultdach. AK: Das ist ein sehr guter Bau. KS: Warum? AK: Es ist ein alpines Haus der Tiroler Moderne. Er wird oft angeführt. Zusammen mit dem Monte Pana und dem Miramonti am Pass. KS: Das Miramonti werden sie jetzt abreißen. In Wolkenstein gibt es noch das Igloo. AK: Den habe ich auch angeschaut. Wer hat das gebaut? KS: Das ist ein Architekt, dem das Haus gehört. Ich weiß nicht, aber ich denke das hat er selber gebaut. Er wohnt drinnen. Ein Pultdach macht man, wenn auf einer Seite der schönste Blick ist. So ein Haus macht man nicht im Zentrum oder auf einer Anhöhe wo man überall hin sieht. Man ist schon ein bisschen eingesperrt, schaut nur in eine Richtung: dort hat man große Fenster und alles. AK: Was wären Referenzbeispiele die Ihnen gefallen? Wie würden sie arbeiten, wenn sie nicht in erster Linie den Anliegen der Bauherren nachkommen müssten? KS: Ich bin der Meinung, dass es in unserer Gegend Holz braucht, ein Haus muss außen Holz haben. Das tut meiner Arbeit gut und das ist meine Arbeit. Ich bin der Meinung, dass ein Tourist der von Mailand mit dem ganzen Staub und den Hochhäusern kommt, in einem Haus mit viel Holz Ruhe findet. Das ist auch für das Auge, damit man rasten kann. Kommt man nach oben und er findet alles weiße Gipswände, glaubt er, er ist daheim in einem Hotel. Deshalb bin ich der Meinung, dass man überhaupt auch die Zimmer von Innen mit Holz machen sollte und das Haus sowieso. Ganz ein schönes Beispiel ist das Alpbachtal draussen. Da hat die Gemeinde vorgegeben, dass alle Häuser nur das erste Stockwerk mauern dürfen, dann muss alles Holz sein. Ein Jahr wird das imprägniert und dann nochmals nach ein oder zwei Jahren. Alle Häuser müssen so gemacht werden. Das ist interessant und Alpbach ist als schönstes Blumendorf Europas gewählt worden.26 Meiner Meinung nach müsste man sich in den touristisch stark entwickelten Gemeinden darum sorgen, weil wir die Tradition gehabt haben und man schauen müsste, die Architektur ein bisschen beizubehalten, nicht auf
einmal moderne Sachen machen. Man redet immer von den Klimahäusern,27 aber warum sind die Leute von den Klimahäusern bisher ein bisschen nervös? Man wird nie ein Haus mit einem Satteldach sehen, die haben immer ein Pultdach. Die Typologie ist eine Seilbahn, das will man nicht. Wenn ich jemanden frage ob er ein Klimahaus will, dann ist die erste Antwort die ich bekommen, dass er nicht eine Seilbahn mag. Ich bin nicht ganz ein Freund von den neuen Architekturen. Jetzt muss man in Südtirol ein Klimahaus machen, das ist von mir aus nicht ganz richtig. Wenn jemand einen nicht zu großen Geldbeutel hat und etwas machen möchte, den darf man nicht dazu drängen. Genauso wenig wie man jemanden zu einem Sattel- oder Pultdach drängen darf. Der Meinung wäre ich schon: dass man sich architekturmäßig hier ein bisschen zurückhalten sollte und die traditionelle Bauweise ein bisschen respektiert. AK: Haben sie beobachtet ob über die qualitative und quantitative Erweiterungsmöglichkeit in Wolkenstein mehr bebaut worden ist? KS: Was bei uns gemacht worden ist, ist die Qualitätserweiterung und am meisten hat man dann vor zwei Jahren durch die «legge Tremonti»28 gemacht, da hat man sich viel einsparen können. Damals wollte jeder, statt im Jahr darauf, in dem Jahr arbeiten. Wenn so was rauskommt, dann haben die Handwerker viel Arbeit und das Jahr war auch ein ganz gutes Jahr. Aber dann kommt auch Stress hinzu und es wird nicht mehr so auf Qualität geschaut, sondern auf Schnelligkeit: Es muss an einem bestimmten Tag fertig sein. AK: Das liegt daran, dass Wolkenstein, so wie auch St. Christina u.a., die Bauphasen genau festlegt. KS: In Wolkenstein bin ich als Handwerker damit nicht einverstanden, aber als Einwohner von Wolkenstein. Unsere Gemeinde hat einen Baustopp von Dezember bis Ostern. Das heißt dann, dass man nach Ostern keinen Kran aufstellen darf und nicht mit kleinen Baufahrzeugen unterwegs sein darf. Kurz gesagt, darf man nicht den Nachbarn stören. Bei mir arbeiten viele Skilehrer, der andere beim Skilift, einer hat einen Skiverleih usw. Bei uns ist das immer so gewesen: Im Winter machen wir eine andere Arbeit. Aber nehmen wir an, dass jemand das ganze Jahr arbeiten will, das geht nicht weil man nichts machen kann. Richtig ist auch, dass wenn wir mit dem Tourismus arbeiten, wir die Leute auch respektieren. Wenn man 200 Euro pro Tag zahlt, dann wäre das nicht richtig, wenn um sieben in der Früh beim Nachbarn der Kompressor los geht weil er sein Haus umbaut. Das gibt es aber nur in Wolkenstein und St. Christina, in St. Ulrich gibt es die Bestimmung nicht. Aber das wird sicher auch kommen. Das ist auch richtig, aber deshalb wird die Bauzeit außer Saison noch stressiger und
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25 Die Casa del Monte wurde 1933 von Wilhelm Sachs für eine Familie aus Florenz gebaut.
28 Angetrieben von steuerrechtlichen Investitionsanreizen ist in Südtirol 2002 das Kreditvolumen überdurchschnittlich angestiegen (+17,3% 26 zum Vorjahr), mit 1983 wurde Alpbach einer besonders aufgrund des einheitausgeprägten Dynamik lichen Baustils und im Dienstleistungsbeder Blumenpracht reich (Fremdenverkehr, zum «Schönsten Dorf Transportwesen, sonstige Österreichs» gewählt. Dienstleistungen). Das 1993 erhielt das BergBaugewerbe hat im dorf beim europäischen Zuge der «TremontiBlumenschmuckFörderungen» einen Wettbewerb den Titel starken Auftragsschub «Schönstes Blumendorf erhalten. Obwohl die Europas». Förderungen mit Mitte 2003 ausgelaufen sind, blieb die Auftragslage 27 Durch das Dekret Nr. 34 für das ganze Jahr 2004 des Landeshauptmanns hindurch noch gut. der Provinz Bozen, vom 29 29. September 2004, Hotel Cavallino Bianco entstand eine Durch****, St. Ulrich. führungsverordnung zum Landesraumordnungsgesetz im Bereich Energieeinsparung die Höchstwerte des Jahresheizwärmebedarfs für Neubauten festlegt, die Gebäudekategorien bestimmt auf die diese Höchstwerte angewandt werden und die Dämmstärke festlegt, die nicht als urbanistische Kubatur berechnet werden. Die Verordnung schreibt vor, dass das Landesamt für Luft und Lärm künftig für jeden Neubau in Südtirol einen Klimaausweis ausstellt, welcher Auskunft über die energetische Einstufung und den Heizwärmebedarf des Gebäudes gibt. Damit wird es möglich, sich bereits im Vorfeld eines Hauskaufes über den energetischen Zustand eines Gebäudes zu informieren. Die Verordnung schreibt zudem hohe Standards bezüglich der Energieeinsparung vor. Bewilligungen für Neubauten werden künftig nur erteilt, wenn der Jahreswärmebedarf des Gebäudes dem eines Klimahauses der Kategorie C entspricht, d.h. wenn dieser weniger als sieben Liter Öl pro Quadratmeter Wohnfläche im Jahr beträgt. Heute werden für die Beheizung eines Durchschnittshauses in Südtirol 21 Liter Öl pro Quadratmeter Wohnfläche benötigt. Dank den Fortschritten im Bereich der Wärmedämmung und dem Einsatz sparsamer und umweltfreundlicher Energiesysteme ist die Umsetzung von 7-LiterKlimahäusern jedoch problemlos möglich.
kürzer. Früher haben viele gesagt, dass sie zwei Wochen vor Ostern schließen, damit sie die zwei Wochen im Sommer einholen. Wenn wie in den letzten Jahren Ostern ziemlich spät ist, hat man zwei Wochen im April, Mai, Juni und dann noch die zwei Wochen im Juli. Das heißt, das sind knapp drei Monate und da will jeder nicht nur ein Haus machen, sondern ein ganzes Hotel. AK: Haben Sie beobachten können ob sich auch die Baumaterialien in den letzten Fünfzehn Jahren verändert haben? Wollen die Leute wieder helles Holz? KS: Eher schon, es gibt welche die sagen, sie wollen das Hotel ganz hell machen. Bei gewissen Umbauten von Hotels die dunkel waren, haben sie mit Farbe neu angestrichen und das neue System mit der Farbe draufmontiert. Von der Nähe ist das ganz hässlich, aber wenn man von unten auf sechs/sieben Meter Höhe schaut, dann erkennt man nicht, dass das gebleicht ist. Die Tendenz ist schon da, das man das heller will, auch weil das Holz von alleine dunkel wird. AK: Wenn man an das Cavallino Bianco29 denkt, dann passt das eigentlich auch nicht gut in das romantische Bild das sich der Gast scheinbar erwartet. KS: Da bin ich auch nicht ganz der Meinung. Viele lassen sich ziemlich von den Architekten beeinflussen, das wäre auch idealer, der weiß das schon. Als Handwerker kann man schon ein bisschen mithelfen oder mitsagen. Das sehe ich bei mir. Ich muss sagen, ich habe schon ein bisschen eine Kraft als Zimmermann, auch beim Architekten. Man hört auch auf mich, weil ich auf die Mentalität von uns schaue. Der Architekt, der schaut eher auf das Haus oder auf seine Bestätigung, nicht ganz auf das Funktionelle. So habe ich schon ziemlich Erfahrung. Mit Holz arbeiten, hell lassen. Was bei uns jetzt in den letzten Jahren ziemlich im Kommen ist, mit dem ganzen alten Holz. Da bin ich auch dagegen. D.h.: wir sagen wir sind im Jahr 2000 und machen es wie es jetzt ist. Warum soll man Holz verwenden das hundert Jahre alt ist? Das mit dem alten Holz ist problematisch. AK: Was glauben Sie kommt als nächstes, nach den Wellnessumbauten? KS: Das Wellness ist sowieso das andere Extrem. Bei einem Dach werden gern 10.000 Euro eingespart, aber beim Wellness geht wahnsinnig viel Geld raus. Mit der Gipsdecke, der Verkleidung und der Marmorsäule - es ist wahnsinnig was da kommt. Aber ich habe gemerkt dass, das bei uns jetzt schon ein bisschen passé ist, die die das machen gehen jetzt nach Italien runter, weil sie dort ganz fanatisch danach sind. Beim Baustil kann ich sagen, dass in Zukunft mehr Häuser aus Holz sein sollten.
AK: Wie in Vorarlberg? KS: Solche Sachen werden in Zukunft kommen. Weil durch das Klimahaus die Architektur anders kommt und die Architekten ein bisschen schieben wollen. Da wird sicher der Baustil auf die Holzhäuser kommen. Auch wenn ich der Meinung bin, dass es bei uns schwierig sein wird, weil die Architekten nicht auf das Land hören, sondern machen was sie wollen. Die wollen stark und pompös bauen, nicht mit Latten. Aber ich bin der Meinung das wird sicher im Kommen sein. AK: Wie werden das die Leute aufnehmen? KS: Ich glaube die normalen Leute sind ziemlich auf das Holzhaus aus, sagen wir nicht die Hoteliers sondern Private. Das Problem ist, dass sie meinen ein Holzhaus ist viel billiger wie ein anderes und es aber nicht so ist, das Holz billiger ist. Ich als Zimmermann kann das, unter uns gesagt, nicht ganz empfehlen. Da hat man nur Probleme, man muss erstens ganz gut arbeiten und studieren wie das ist. Ein Holzhaus hat viele Probleme mit den Kabeln, mit den Rollos - die Sachen werden ziemlich vernachlässigt. Wenn man einen Balkon hat und mit Holz im Design weitergehen will, das sind Sachen die man gut lösen muss. Das ist ganz schwer, niemand ist in der Lage einem eine gute Lösung zu geben. Es gibt Bücher und Kurse. Ich war jetzt auf einem Vortrag über Schall- und Wärmedämmungen, aber wie man das macht wird einem nicht gesagt, das muss man selber ausführen. Mit dem Schall wird viel isoliert, auch in der Menge, das ist die Mentalität von den Leuten. Aber sie wissen nicht, dass wenn man 2 cm Gutex (Holzfaserplatten) nimmt, das besser ist als wenn man einen Haufen Zeug rein wirft. AK: Wie suchen Sie sich das Material zusammen? KS: Ich muss sagen ich habe ziemlich Erfahrung und wenn es möglich ist gehe ich auch zu ziemlich vielen Kursen. Ich habe oft Kontakt mit größeren Zimmereien und wenn ich mal ein kleineres Problem habe, dann lasse ich mir gerne etwas sagen und informiere mich bei anderen. Ich bin der Meinung, jeder weiß etwas. Wenn ich etwas in der Werkstatt mache, dann zeichne ich das auf, jeder schaut sich das an, jeder sagt seine Sachen. Auch dem Lehrbuben kann ab und zu etwas auffallen, alle wissen ein bisschen etwas. Ausgelernt ist niemand, aber ich habe viel Erfahrung und habe viel gemacht. In der Arbeit mit den Hotels habe ich gute Erfahrung, weil ich weiß wie sie sind: Die wollen etwas ganz konkret und schauen nicht auf die 1.000 Euro. Man muss an dem Tag da sein. Wenn sie anrufen muss man da sein. Heutzutage muss man das machen, denen ist das wichtig. Ich habe einen Hotelier gehabt bei dem ich jeden Tag vorbeikommen musste, auch wenn man mich nicht gebraucht hat. Er hat gewollt dass ich da bin, dass er mich sieht. Ich gehe
[Sellagruppe]
[Plan/Langkofel]
[Sporthotel Alpenroyal, Wolkenstein in Gröden]
[Langkofel]
[Piz Sella, Wolkenstein in Gröden]
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jeden Tag auf die Baustelle, aber nicht um den Bauherren zu suchen und um zu sagen dass ich da war. Man geht hin, zu Mittag oder am Abend, schaut ob alles in Ordnung ist und ob jemand etwas braucht, aber wenn er mich nicht gesehen hat... Man muss sich sehen lassen, dann ist alles in Ordnung. Die Hoteliers haben viel Stress. In den letzten Jahren habe ich gesehen, dass der Bauherr vom Keller hochkommt, über den ersten, zweiten, dritten, vierten Stock Probleme sieht und dann damit auf das Dach kommt. Wenn dann nur eine Pfette nicht abgedeckt ist, dann wird man geschimpft weil er den Stress von unten mit nach oben mitgenommen hat. Irgendwo muss er das rauslassen und weiter oben ist niemand mehr. Es gibt Hoteliers, die auch mit den Arbeitern böse werden. Das kommt nicht vom Wissen, sondern vom Stress her. Ein Hotelier der am Anfang ein sehr guter Kunde war, war auf einmal nichts mehr gut genug. Ich habe nichts gesagt, «amici come prima».30 Im Frühjahr bin ich dann draufgekommen wieso: Wir haben bei einem Hotel angefangen, weil er noch nicht soweit war und dort den Balkon gemacht bevor wir ihn bei ihm gemacht haben. Das hat das Ganze ausgemacht und ich habe nicht verstanden wieso. Im Frühjahr ist er wieder zu mir gekommen und hat mit mir ein Glas Wein trinken gehen wollen, «amici come prima». Aber hätte ich etwas gesagt, hätte ich einen verlorenen Kunden gehabt und das ist wichtig bei uns, denn wenn man bei uns ehrlich ist verliert man sofort die Kunden. Wenn einer kommt und nächste Woche einen Balkon braucht und man erst in zwei Wochen können würde, nimmt der einen Anderen. Sagt man zu, schaut man sich das an und geht in der ersten Woche hin und verpflichtet sich für den Donnerstag, dann geht das in Ordnung. Sagt man das Wetter ist schlecht und man möchte bis nächsten Montag warten, geht das auch in Ordnung. Heute muss man fast ein bisschen anfangen zu lügen, wenn man nicht den Kunden verlieren möchte. Wenn man sagt man kommt erst in zwei Wochen ist man weg. Das ist mir oft passiert, man ist einfach zu ehrlich, denn wenn ich sage ich komme am Montag, dann komme ich am Montag. Wenn ich nicht am Montag komme, dann rufe ich an und sage ich komme am Dienstag weil etwas dazwischengekommen ist. Aber sage ich, ich komme am Donnerstag und komme erst die Woche drauf - das kann ich mir nicht leisten. Dann ist man gleich weg vom Fenster. AK: Wenn auf der Baustelle alle parallel arbeiten, wird es auch Probleme geben. KS: Das Problem ist die Qualität von den Arbeitern. Bei unseren Handwerkern muss ich sagen geht es, aber heutzutage werden die ganzen Häuser mit Gips gemacht und es gibt Leute die waren bis gestern Abspüler und jetzt sind sie Obermonteur vom Gips. Dann komme ich mit
meinen 27 Jahren Erfahrung hin und sie wollen mir noch etwas sagen. Bis gestern waren sie in der Küche... AK: Sie haben zwölf Angestellte. Holen Sie sich in den stressigen Monaten noch Leute dazu? KS: Ja. AK: Kommen die aus Gröden oder von auswärts? KS: Ich habe drei Gesellen und einen Meister. Die anderen sind zwei Lehrbuben, alle anderen Hilfsarbeiter. Das heißt Hilfsarbeiter im Sinne von guten Gesellen, weil ich sie angelernt habe. Die habe ich hergerichtet wie unsere Mentalität ist, das sind super Arbeiter. Aber wenn ein Hotelier zu mir kommt und sagt, nächste Woche muss ich ihm eine kleine Hütte für den Müll bauen und ein anderer kommt der sagt, statt einen Balkon will er das wir alle Balkone machen... Ich mache mir schon meinen Plan, aber es kommt der Moment, da wollen alle alles in der gleichen Woche. Ich schaue durch meine Beziehungen, Zimmerer die ich kenne hinzuzunehmen. Ich habe einen Kollegen der Selbständig ist und der zu der Zeit wenig Arbeit gehabt hat und so einer war ganz zufrieden. Der ist drei, vier Wochen hier gewesen mit drei Leuten. Oft waren wir auch über zwanzig. Aber so vierzehn, fünfzehn waren wir schon ziemlich viel. Die braucht man dann wie gesagt von Mai bis Juni. Die zwei Monate, danach wäre es genug wenn ich auch nur sechs Leute hätte. AK: Ist derzeit Ihr Betrieb geschlossen? KS: Ja, ich mache im Winter immer zu. Der Meister ist unten, wenn jemand zwei Tische und Bänke braucht, dann muss man die machen. Das ist ein Service den man dem Kunden machen muss. Deswegen sage ich: Wenn was ist, bin ich in einer halben Stunde da. Ich kann mir nicht leisten in einem Ort etwas nicht richtig zu machen, weil ich die Leute jeden Tag sehe. Mit den Architekten von da habe ich keine Probleme, weil durch die Erfahrung die ich habe, durch die Erfahrung die sie haben, studieren und lösen wir zusammen das Problem. Aber die von Außen kommen sagen, sie sind der Architekt und so ist das zu machen. Ich mag nicht schlecht über Ausländer reden oder Architekten aus dem Ausland, aber das die mehr arrogant sind als unsere kann man fast sagen.
30 «Freunde wie vorher.»
31 Hotel Grödnerhof *****, St. Ulrich. 32 «Dolomiti Superski» ist das größte Skiverbundgebiet der Welt, mit 450 Liften und 1.220 km Piste. Der Verbund wurde 1974 gegründet und umfasst 12 Skiregionen. 90% der Pisten sind beschneibar.
[Casa del Monte, Wolkenstein in Gröden]
[Casa del Monte, Wolkenstein in Gröden]
[Casa del Monte, Wolkenstein in Gröden]
AK: Die Leute aus dem Tal werden wohl auch besser mit den Leuten im Tal umgehen zu wissen. KS: Auch wenn ein Architekt da ist, ist das Problem, dass ich die Bauherren zu gut kenne. Wenn der Architekt etwas machen will was ich als nicht richtig erkenne und gehe zum Bauherren, sagt der dem Architekten dass der Zimmermann das nicht gut findet. Ich gehe jeden Tag bei den Leuten vorbei, da muss ich schauen was ich mache. Mit den Isolierungen und dem Schallschutz muss man ziemlich aufpassen. Aber wenn ich ein Ho[Casa del Monte, Wolkenstein in Gröden]
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tel in Terenten oder in Innsbruck machen würde, wäre mir das auch egal und ich würde mich auf den Architekten berufen. Dann kommen die, die gestern noch Hydrauliker waren und heute Gipsermonteure sind, die nicht wissen wie die Arbeit ist. Ich habe zu wenig qualitativ gute Arbeiter. Erzogen werden sie schon als qualifizierte Arbeiter, aber was sie im Endeffekt wissen... es sind alles Slowaken, Albaner und Kroaten. AK: Wenn neue Leute dazukommen, müssen Sie wohl auch erst auslernen bzw. angelernt werden. KS: Das ist ein bisschen eine Ausrede. In den Jahren bis sie ausgebildet sind muss ich das tragen. Wenn ich jemanden etwas helfen muss, muss ich den besten Arbeiter schicken, denn ich will die beste Arbeit machen. Ich kann nicht welche hinschicken damit sie lernen wie das geht. Das tut man nicht, das ist das größte Problem: die Leute die keine Qualifizierung haben, mit dem ganzen Stress das man in zwei Monaten ein Haus bauen muss. Beim Cavallino Bianco gab es jede Woche eine Sitzung von den Handwerkern. AK: Haben Sie auch beim Cavallino Bianco gearbeitet? KS: Ich habe zur der Zeit den Grödnerhof31 visà-vis gemacht, und dann habe ich nicht zwei so große Bauten gleichzeitig machen wollen. Ich war zwei Wochen vorher fertig als ich gedacht habe, auch wenn viel dazugekommen ist. Aber bei Hotels habe ich die Erfahrung, da habe ich mich gleich organisiert. Mit den Architekten habe ich bei der Weiterplanung gut zusammengearbeitet. Am Anfang war er ganz skeptisch mit mir, weil der Architekt mich immer angerufen hat wenn ich nicht Zeit gehabt habe. Entweder ich war beim Skilift, auf dem Traktor oder im Stall, und er hat gesagt er zieht sich da zurück, weil er mit dem Zimmermann nichts zu tun haben will. Dann hat der Paul gesagt, er übernimmt das, wenn etwas nicht in Ordnung sein sollte. Das war das erste Mal, dass wir etwas miteinander geredet haben und dann ist die Zusammenarbeit entstanden. Wenn er drei Risse skizziert hat, dann haben wir das schon verstanden und so gemacht. So ist es schön zu arbeiten. Nicht nur die Ästhetik vom Haus soll gut sein, alles soll gut sein. AK: Wann sind der Grödnerhof und das Cavallino Bianco umgebaut worden? KS: Das war 2001, glaube ich. Der Grödnerhof hat sieben Monate umgebaut, die oberen Stockwerke ausgebaut und ein Schwimmbad ist drinnen. Das Cavallino Bianco war noch größer, kann man sagen. Die haben alles mit Fertigelemente gemacht, das ganze Haus ist aus Betonblöcken zusammengestellt worden und dann mit Gips verkleidet. Aber die ganzen Architekten und Büros machen uns kleine Handwerker zunichte. Denn sie sagen, sie machen alles und laden ein paar ein die den besten Preis machen. Es wird
nicht jemand ausgesucht weil sie wissen er kann etwas, die schauen sich das nicht an. In Österreich ist alles ein bisschen günstiger, weil die Arbeiter weniger kosten, die zahlen nicht soviel wie hier. Österreich und Italien sind nicht gleich, da muss man schon einen Unterschied machen. Ich bin der Meinung jeder müsste seine Arbeit machen. Ich kriege oft Anfragen, dass ich die Spenglerarbeiten auch machen soll, aber ich sage das ist nicht meine Arbeit sondern seine. Wenn man mir sagt ich soll einen holen und schauen das er die Arbeit macht, schon. Aber warum soll ich die 5% aufschlagen, da lasse ich schon die, die 5% verdienen. So rede ich mit den Architekten, aber der andere macht das pauschal und natürlich ist das für den Kunden angenehm. Jetzt haben sie auch hier ein Hotel schlüsselfertig gemacht. Wenn sie die Balkone montiert haben, haben zwei einen fünf Meter langen Balkon getragen, die Werkzeugkiste in der einen Hand und der andere noch eine Säge. So einen Balkon mit fünf Metern kann man nie tragen, das muss schon ein bisschen Gewicht haben und man sieht dann schon was sie montieren. Das sind Sachen die schauen gut aus, aber später sieht man was los ist und muss es reparieren. Ich muss oft im Winter etwas holen oder tun, man soll etwas verstellen oder ein Lastwagen hat ein Eck abgeschlagen. Ein Hotel, im Eingangsbereich, will das etwas gemacht wird und kann nicht warten. Aber es wäre gut, wenn man langsamer bauen würde. Denn in den zwei Monaten braucht man dreißig Arbeiter und wenn weniger wäre, könnte man das ganze Jahr mit ihnen arbeiten. Wenn irgendwann die Arbeit ausgeht, würde ich mich nicht wundern. Wenn sie früher ein Hotel im Jahr gemacht haben, dann sind es heuer zwei im Frühjahr und drei im Herbst - das sind fünf und man hat schon ein Jahr verloren. Dann werden von überall Leute hergenommen die keine Fähigkeiten haben, nur um fertig zu werden. Wenn man zwischen Wolkenstein und Corvara unterscheidet, haben alle zehn Jahre nach uns gebaut und sicher besser, weil jedes Jahr etwas Neues rauskommt. Unsere Hotels sind in den Siebzigerjahren gemacht worden, weil wir die Weltmeisterschaft gehabt haben, da sind die meisten Hotels gemacht worden. Sie haben zehn oder zwanzig Jahre danach begonnen sich auszubreiten, wenn das ganze «Superdolomiti»32 1974 angefangen hat. Da haben wir die Hotels schon gehabt, da können sie natürlich besser bauen. Corvara ist heutzutage auch eine gute Zone. Die haben eine andere Struktur vom Dorf, das war vielleicht bei uns das Problem. Es ist nie ein Konzept gemacht worden, es ist einfach gebaut worden. Die Hotels sind mittlerweile alle gemacht worden, aber solange wir eine gute Saison haben, wird es immer etwas zu machen geben: erweitert, restauriert, ausgebessert.
[Hotel Miramonti, Grödner Joch]
[Hotel Miramonti, Grödner Joch]
[Hotel Miramonti, Grödner Joch]
[Sellajoch]
[Hotel Miramonti, Grödner Joch]
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Badia Badia (Abtei) ist eine der fünf ladinischen Gemeinden des Gadertals in Südtirol und besteht aus den Fraktionen La Villa (Stern), S. Cassiano (St. Kassian) und Pedraces (Pedratsches). Wie auch in den anderen ladinischsprachigen Gemeinden Südtirols ist der Tourismus der wichtigste Wirtschaftssektor, dementsprechend sind 69% der Bevölkerung im Dienstleistungssektor beschäftigt, etwa 21% im produzierenden Gewerbe (v.a. Baubranche und Handwerk). Landwirtschaft wird von 10% der Einwohner betrieben, zum größeren Teil als Nebenerwerb. Die noch unzureichend ausgebaute Talstraße nach Norden ist die einzige ganzjährig befahrbare Verbindung, während die Dolomitenübergänge (Valparola Pass und Grödner Joch) nur in der schneefreien Zeit befahrbar sind. Badia ist Teil des Naturparks Puez-Geisler im Westen und Fanes-Sennes-Prags im Osten. Umgeben ist die Gemeinde von den Bergen Lagazuoi (2.778 m), Conturines (3.064 m), La Varella (3.055 m), Kreuzkofel (2.907 m) und Gardenaccia (2.500 m). Badia ist einerseits sehr beschaulich, ruhig, traditionsverhaftet wie die beiden Dörfer Pedratsches und St. Leonhard, auf der anderen Seite modern und laut wie Tourismushochburgen Stern und St. Kassian. Im Süden liegt die alpine Weltcupstrecke «Gran Risa» auf der seit 1985 die Ski-Weltmeisterschaften im Riesenslalom der Herren stattfinden. «Die Entwicklung und das Leben hier beschränken sich auf den Tourismus. 100 Prozent leben hier vom Tourismus. Man muss nur bedenken das Badia mit den drei Dörfern, knapp über 3.000 Einwohner hat (La Villa hat 1.200, St. Kassian 700 Einwohner): Die Leute sind darauf eingestellt das sie vom Tourismus leben. Wir haben dementsprechend keine Einschränkungen. Es gibt hier keine, weil wir alle vom Tourismus leben.»33 Andrea Pertot Badia hat 3.015 Einwohner und 7.841 Gästebetten (1:2,60). Zusammen mit Wolkenstein ist sie die Gemeinde mit der höchsten Bettenzahl in Südtirol.34 Der Großteil der Gäste kommt aus Italien: im Winter 61,9% und im Sommer 79,2%. Die Tendenz der rückläufigen Aufenthaltsdauer, aufgrund kurzfristiger Buchungen und Kurzurlaube, ist in Badia im Winter stärker als im Sommer. Die gesamte Entwicklung aber weniger denn im Südtiroler Durchschnitt, da Alta Badia nicht unmittelbar erreichbar und dementsprechend nicht für kurze Aufenthalte prädestiniert ist. Die Strategie des Verbandes ist, vor allem mit Individualtouristen zu arbeiten. So gibt es u.a. drei Busgesellschaften die englische Touristen in Treviso abholen, einem Flughafen der von Ryan Air angeflogen wird.35 Der Tourismusverein Badia gehört mit den Tourismusvereinen Corvara-Colfosco (Corvara-Kolfuschg) und La Val (Wengen) zum Tourismusverband Alta Badia. Der Name «Alta Badia» ist ein Markenzeichen, kein geografischer Name, und war 1963 der erste Tourismusverband in Südtirol.36 Der Tourismusverband Alta Badia hat kein eigenes Büro, denn im Abschnitt von vier Jahren wechselt der Vorsitz zwischen den Vereinen.37 Er hat die Hauptaufgabe das Marketing zu konstituieren, wobei keine direkt geschaltete Werbung gemacht wird. Alta Badia wirbt mit Information Placement, das durch ein Generic Placement umgesetzt wird: eine Form des Product Placement bei der Informationen für den Kunden für redaktionelle Beiträge verwendet werden. Dazu lädt der Verband Journalisten ein, um durch Berichterstattung in den Medien präsent zu sein. Ein Pressesprecher übernimmt die Journalistenbetreuung und der Verband die Spesen. Man versucht dabei vor allem «hohe Qualität in der Gastronomie, Hotellerie und trotzdem eine gewisse Tradition» zu vermitteln.
33 Interview vom 15. Februar 2005 im Tourismusverein La Villa/Stern mit dem Präsidenten des Tourismusvereins Abtei, Andrea Pertot und dem Chef des Tourismusverbandes Alta Badia, Manfred Canins: 3.
39 1980 hat die Südtiroler Landesregierung, aufgrund des Baubooms und den Konkursen der wilden Siebziger, einen Bettenstopp verhängt. Bauprojekte, die bereits begonnen waren konnten noch ausgeführt werden konnten, was 34 die Bettenzahl bis ASTAT: Statistisches Jahr- 1985 noch beträchtlich buch für Südtirol, Bozen erhöhen ließ. 2003: 4. 40 35 Der Tourismusverband Ebd. 3. Badia beinhaltet die Tourismusvereine 36 Corvara-Colfosco, La Interview vom 16. Villa-San Cassiano-PeFebruar 2005 im Toudraces und La Val. rismusverein Corvara mit dem Präsidenten des Tourismusvereins Corvara, Hubert Dalponte: 5. 37 Zum Zeitpunkt der Interviews ist Manfred Canins (vom Tourismusverein Badia) Direktor des Tourismusverbandes Alta Badia, Vizedirektor Hubert Dalponte vom Tourismusverein Corvara. Letzterer wird ab 2006 Direktor des Verbandes sein und Manfred Canins Vizedirektor. 38 Ebd. 3.
«Der Bettenstopp war heute gesehen eine gute Entscheidung, am Anfang sicher nicht. Es waren super, goldene Jahre in denen wir nur super Zahlen geschrieben haben. Natürlich, wenn man dann die Möglichkeit hat 100 Betten mit hundert Leuten zu füllen dann wäre es auch mit 200 gegangen und mit 300 auch vielleicht. Aber langfristig gesehen war es eine gute Entscheidung.»38 Andrea Pertot In Badia haben über das Landesraumordnungsgesetz mehr qualitative wie quantitative Erweiterungen stattgefunden, die rezenten qualitativen vor allem im Wellnessbereich. Gemeindebestimmungen und -verordnungen setzen Termine für Aushubarbeiten, die vom ersten Julisonntag bis zum letzten Augustsonntag erlaubt sind. Badia hat vor allem Anfang der Sechzigerjahre viel gebaut und langfristig gesehen vom Bettenstopp (1980) profitiert. Ein Überborden der Neubauaktivität wurde so verhindert, pingpongpostmoderne Türmchen werden (nach 2-3 Niedergängen) von der Baukommission nicht mehr genehmigt.
[La Villa und St. Kassian (Badia), Modell 1:7.000]
[Pedraces (Badia), Modell 1:7.000]
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Interview Andrea Pertot & Manfred Canins Interview vom 15. Februar 2005 im Tourismusverein La Villa/Stern mit dem Präsidenten des Tourismusvereins Badia, Andrea Pertot und dem Chef des Tourismusverbandes Alta Badia, Manfred Canins. AK: In Gröden ist, erstmals seit den Siebzigern, nun wieder sehr viel in den letzten 10 Jahren gebaut worden. Diese Bauaktivität ging sehr stark in Richtung einer stilisierten Architektur, was sich oft durch postmoderne Ausuferungen abzeichnet: Säulen, Erker, Türme. Findet man in Badia auch solche Hotels? AP: Das haben wir hier weniger. AK: Die quantitativen und qualitativen Erweiterungen sind auf das Landesraumordnungsgesetz der Landesregierung zurückzuführen, die den touristisch stark entwickelten Gemeinden solche erlauben. Badia gehört genauso wie die Dörfer in Gröden und im Meraner Raum auch dazu. Kann man hier Sprünge in den Kategorien beobachten bzw. wie schaut die Bautätigkeit und die -entwicklung hier aus? AP: In Badia hat es diese Sprünge sicher nicht gegeben und es haben mehr qualitative Erweiterungen wie quantitative stattgefunden. Badia hat qualitativ sehr viel in den letzten Jahren dazugesetzt und macht dies auch weiter. Der Bettenstopp39 den es gegeben hat, war für uns langfristig gesehen eine gute Sache, sonst wären wir sicher viel extremer von der Bettenzahl und auch von großen Hotels überschwemmt. AK: Wie schauen die qualitativen Erweiterungen aus? AP: Die meisten qualitativen Erweiterungen die mir bekannt sind, sind bereits getan worden. Von dieser Seite her ist wahrscheinlich nicht mehr viel zu machen, aber es ist sicherlich genutzt worden und auch relativ gut. AK: Ich war bereits in St. Christina und Wolkenstein in Gröden, die mir von den sehr strengen Regelungen in Bezug auf die Bauaktivitäten erzählt haben. Gibt es in Badia auch Bestimmungen die den Zeitraum für solche Arbeiten genau festlegen? AP: Das sind Gemeindebestimmungen und -verordnungen die sagen, dass man in gewissen Zeiten und Monaten im Jahr Aushubarbeiten machen darf. Die sind bei uns vom ersten Julisonntag bis zum letzten Augustsonntag erlaubt. Das ist natürlich nur auf das Zentrum ausgelegt, außerhalb vom Dorf kann man natürlich schon Aushubarbeiten machen. AK: Zum Verband Alta Badia gehören drei Vereine.40 AP: Die Gemeinden sprechen sich innerhalb des Vereins untereinander ab, auch wenn es ein paar
Ausnahmen und Änderungen gibt die jede Gemeinde für sich entscheiden kann. AK: Welche Marketingstrategien vorfolgt der Verband? AP: Die drei Tourismusvereine bilden den Verband. Der Verband Alta Badia hat die Hauptaufgabe, das Marketing hin nach Außen zu verteilen. Es treffen sich dabei die Ausschüsse aller drei Tourismusvereine und entscheiden dann über die Strategien.
[Pedraces (Badia)]
AK: Sehen Sie die Bevölkerung in den Gemeinden durch den Tourismus eingeschränkt? AP: Die Entwicklung und das Leben hier beschränken sich auf den Tourismus. 100 Prozent leben hier vom Tourismus. Man muss nur bedenken, dass Badia mit den drei Dörfern knapp über 3.000 Einwohner hat (La Villa hat 1.200, St. Kassian 700 Einwohner): Die Leute sind darauf eingestellt, dass sie vom Tourismus leben. Wir haben dementsprechend keine Einschränkungen. Es gibt hier keine, weil wir alle vom Tourismus leben.
[Bode Miller, Alta Badia 2002]
AK: Aufgrund der saisonalen Schwankungen und der Saisonen selbst ergeben sich tote Zeiten im Dorf, in denen vor allem die Bauaktivitäten stattfindet. Was passiert in diesen ruhigeren Zeiten? AP: Wir haben zwei ruhige Zeiten: kurz nach Ostern bis Juni und Oktober/November: das sind bei uns die Bauphasen. Es gibt Zeiten, wo die Leute müde von der Arbeit sind. Es wird in alles was mit dem Tourismus zu tun hat viel investiert und man arbeitet auch dementsprechend viel. AK: Welcher Art sind die Umbauten zurzeit? AP: Es gibt den Wellnesstrend: Die Häuser die die Möglichkeit haben, und die qualitative Erweiterung ausnutzen können, machen Schwimmbäder und Wellnesserweiterungen. Wir haben viele Beispiele dafür, allein in unserer Gemeinde. AK: Wie zeigt sich bei euch der Unterschied zwischen Winter- und Sommergast? Der Wintergast ist stark technisiert und wenig an der Kultur und dem Ort interessiert ist. In Wolkenstein wird der Männerchor um fünf am Nachmittag strategisch an der Liftstation positioniert um die Gäste die vom Skifahren zurückkommen abzufangen, da man sonst den Gast nicht erreicht. AP: Im Winter haben wir ein Programm mit den Skischulen. Wir haben seit 16 Jahren ein Traditionsrennen mit Pferdeschlitten. Außerdem spielt sich bei uns auch sehr viel in den Hütten ab, weil wir von der Qualität des Gastes her eine eher hohe Qualität haben, ein Gast der sehr als Genießer bekannt ist. Die Gastronomie wird sehr groß geschrieben. Après-Ski ist sicherlich nicht so ausgebaut wie in Österreich. Es wird auch AprèsSki gemacht, aber ein bisschen dezenter. Wir
[La Villa (Badia)]
[La Villa (Badia)]
[La Villa (Badia)]
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haben uns auf die Wünsche vom Gast eingestellt und reagieren auf sie. Man kann in vielen Hütten schön (mit Bedienung) auf den Terrassen gut Essen und sitzt dann vielleicht auch länger beim Mittagessen. AK: Wo kommt der Gast her? AP: Wir haben grob geschätzt 70% Italiener. Der Rest sind Deutsche und 2% Andere. AK: Schwankt das zwischen Sommer und Winter? AP: Es schwankt natürlich, da wir im Sommer fast ausschließlich italienische Gäste haben. Aber Alta Badia ist von den Wintersportorten sicher eine von den Gegenden die im Sommer noch am Meisten arbeiten. Wir haben ab Mitte Juli bis fast Ende August annähernd ausgebucht. Das ist etwas das sicherlich nicht viele Skiorte haben. AK: Wie arbeitet der Tourismus im Sommer? AP: Die Attraktion im Sommer ist sicher, dass die meisten Lifte in Betrieb sind d.h. das die Leute (auch mit ihren Fahrrädern) sofort in die Höhe kommen und dort schöne Spaziergänge machen können, auch Paragleiten. Wir haben Kinderprogramme, wo viele Familien ihre Kinder für die ganze Woche tagsüber abgeben können und auch kleine Spaziergänge stattfinden, bis hin zur ganztätigen Tour. Aber Alta Badia ist sicher nicht als typische Skidestination zu sehen die nur im Winter funktioniert. Es ist bei uns im Sommer sogar von der Natur her schöner, wir haben in Zusammenarbeit mit der Gemeinde seit fünf Jahren einen Verschönerungsplan unternommen. Dabei haben wir mit der Gemeinde direkt zusammengearbeitet und in den letzten Jahren auch ganz tolle Resultate gehabt. Im Sommer haben wir einen Tourismus der statistisch gleich bleibt bzw. ein bisschen ansteigt. Man kann aber nicht sagen Wintergast ist gleich Sommergast. Es geht auch nicht mehr so viel um das klassische Wandern. Wir hatten auch ein Wanderimage vor ein paar Jahren, jetzt geht man Nordic Walking oder Mountainbiken oder Trekking, aber das ist auch nichts anderes als nur das englische Wort dafür. AK: Geht auch in Badia die durchschnittliche Aufenthaltsdauer zurück? AP: Das ist eine Tendenz, die wir mehr im Winter wie im Sommer spüren. Das die Leute kurzfristig buchen und Kurzurlaube suchen ist eine Tatsache. Aber auch hier tut sich Alta Badia nicht so schwer, weil es nicht ein Ort ist den man schnell erreicht. Im Winter wäre ein Wochenende, von Verona oder München aus, einfach zu kurz, weil die Anreisezeit zu lange ist. Ein Gast von Verona ist viel schneller in Canazei und für kurzfristige Aufenthalte ist das viel interessanter als von Verona nach Alta Badia zu fahren.
AK: Welche Strategien gibt es um die Gäste länger zu halten oder den Einzugsbereich zu erweitern? AP: Unsere Strategie ist, dass wir zu 99% mit Individualtouristen arbeiten, deswegen ist es uns nur Recht wenn die Leute mehr Tage buchen. Wir haben drei Busgesellschaften die zum Beispiel englische Touristen in Treviso, das von Ryan Air angeflogen wird, abholen.
41 43 -4.0% bei den Über«primär zitiert» nachtungen im Sommerhalbjahr 2004 gegenüber 44 2003, und -3,4% bei «sekundär zitiert» den Ankünften. 45 42 Die italienische «zum Sterben bestimmt» Tagesschau auf dem ersten staatlichen Sender Rai Uno. 46 «Neujahr in der Schutzhütte»
AK: Wo kommen die saisonalen Kräfte her? AP: Die saisonalen Kräfte sind aus vielen nicht EU-Ländern. Viele sind aus Serbien und in den letzten Jahren ansteigend aus Tschechien, Ungarn. AK: Wie ist es in La Villa dazu gekommen das hauptsächlich Familienbetriebe bestehen? Ich habe wenig große Hotels sehen können, sicherlich mit kaum mehr als 50 Betten oder höchstens 100. AP: Häuser die über 50 Betten haben, haben wir natürlich auch. Aber es sind fast ausschließlich Familienbetriebe.
[La Villa (Badia)]
AK: Warum gibt es bei euch keine großen Hotels? Darf man überhaupt welche bauen? AP: Nein, fürs Erste gibt es die Möglichkeit nicht für große Bauten und auf der anderen Seite gibt es kein Interesse. Das ist auch sicherlich die eigentliche Sache bei den Familienbetrieben. Das Meiste ist Anfang der Sechzigerjahre gebaut worden. AK: Und der Bettenstopp? AP: Heute gesehen war es eine gute Entscheidung, am Anfang sicher nicht. Es waren super goldene Jahre in denen wir nur super Zahlen geschrieben haben. Natürlich, wenn man dann die Möglichkeit hat 100 Betten mit hundert Leuten zu füllen, dann wäre es auch mit 200 gegangen und mit 300 auch vielleicht. Aber langfristig gesehen war es eine gute Entscheidung. AK: Badia wird wohl, aufgrund der statistischen Zahlen, auch langfristig nach einer Neueinstufung der touristisch stark entwickelten Gemeinden zu diesen zählen. Wann ist der Prozess der Erweiterungen und Umbauten abgeschlossen? Durch die qualitativen Erweiterungen, die die Kategoriesprünge ermöglichen, würde man irgendwann die fünf Sterne flächendeckend erreichen. AP: Qualität ist nicht unbedingt nur Sterne. Man kann hohe Qualität auch in Zwei- oder Dreisternebetriebe bringen. Die meisten sind auf drei Sterne umgestiegen bzw. aufgestiegen. Wir haben sicherlich Dreisternebetriebe die mit Viersternebetrieben mithalten können.
[La Villa (Badia)]
[Pedraces (Badia)]
AK: Badia hat heuer auch einen leichten Rückgang bei den Übernachtungen41 gehabt? AP: Wir haben einen leichten Rückgang was [La Villa (Badia)]
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die Übernachtungen angeht. Man muss auch schauen wie die Ferientermine angesetzt sind. Man kann nicht genau Monat mit Monat vergleichen. MC: Im Dezember/Jänner haben wir in Alta Badia gleich viele Übernachtungen wie letztes Jahr gehabt und letztes Jahr war ein Rekordjahr. Badia hat 5.000 Nächtigungen weniger auf Dezember/ Jänner, aber eben auf letztes, das ein Rekordjahr war. Außerdem holen wir heuer alles im März auf, es wird bestimmt wieder ein Rekordjahr. AP: Unser Problem war, dass wir gesagt haben, dass wir Schwierigkeiten haben werden die Daten wegen dem Vorjahr zu bringen, weil es wie gesagt ein Rekordjahr war. Aber es schaut momentan so aus, dass wir das wiederholen können. Wir sind äußerst zufrieden. AK: Gibt es Events die viel Werbung bringen? Gibt es Schwerpunkte die besonders beworben werden? AP: Alta Badia macht keine direkt geschaltete Werbung. Unsere Strategie ist seit vielen Jahren, dass wir Journalisten einladen und ihnen alles zeigen, wir haben eine Journalistenbetreuung. Die Journalisten schreiben dann was ihnen am meisten gefällt und auch was ihnen nicht gefällt. Das ist ein Risiko das wir eingehen, aber wir machen keine direkt geschaltete Werbung, das viele Jahre schon. Wir haben einen Pressesprecher der die Journalistenbetreuung übernimmt, die Spesen werden vom Tourismusverband getragen. AK: Schauen Sie sich in den anderen Orten auch viel an? Die anderen Tourismusvereine haben das Vigilius Mountain Resort bei Meran oft erwähnt und sind es auch anschauen gegangen. AP: Ich persönlich war nie oben, aber ich kenne viele Leute die oben waren und sie sagen, die Infrastruktur ist oben sehr schön. Hotelmäßig nicht so sehr, aufgrund der Technik vom Bau soll es Innen sehr, sehr laut durch die Konstruktion sein. Für ein Privathaus vielleicht, aber für ein großes Hotel einfach zu laut. Die Geräusche soll man anscheinend von einem Eck zum anderen hören. Aber ich selber war noch nicht oben. MC: Ich glaube dass es falsch gelegen ist. In Gröden, Alta Badia oder auf der Seiser Alm wäre es voll ausgebucht. Es ist nichts im Umfeld, man kann nicht einem Gast zumuten das er hoch fährt und eine Woche bleibt. Schon mit der Seilbahn hoch ist eine Zumutung und oben soll er dann noch Ski fahren, das ist schon «���������� ����������� destinato a morire�� »�.42 Wenn es hier in Badia wäre, wäre es sicher vom ersten bis zum letzten Tag ausgebucht, weil die Kommunikation stimmt, glaube ich schon. Audi macht jetzt bei uns einen stage mit Journalisten, und haben ursprünglich eine Nacht im Vigilius und eine da machen wollen. Sie haben sich das dann angeschaut und haben gesagt, sie können das den Leuten nicht anbieten. Sie haben gesagt: das Hotel ist super, aber der Platz und alles Drumherum passt nicht, auch
wegen der Hinfahrt. Aber ich glaube, dass hier ein Arthotel, oder wie man das einstufen kann, auf jeden Fall schon funktionieren würde, wenn es richtig platziert ist. Alle die in die Viersternehotels gehen, würden auch das besuchen. AK: In Wolkenstein ist mir erzählt worden, dass der Gast explizit das Neue sucht und auch die Hotels im Katalog nach diesem Kriterium aussucht. MC: Das glaube ich nicht. Es gibt schon eine spezifische Gästeschicht dafür. Das Hotel La Majun ist mehr ein Art- oder Eventhotel und wenn man sich die Gäste anschaut, dann ist das die Klasse zwischen 35 und 50. Das ist so eine Mittelaltersklasse die Geld zur Verfügung hat und es spielt da schon eine gewisse Schicht eine Rolle, eine große Schicht. AK: Wie sehen Sie das von der Nachfrage? 510%? MC: 5-10% das ist schon viel: 5% bei 300.000 Ankünften wären 15.000. Ich sammle Ihnen noch die Presseaufstellungen zusammen, in Italien machen wir vor allem viel Presse. Diese Aufstellung zeigt, was im Fernsehen 2003 und 2004 gelaufen ist. Es ist eingestuft nach Kanal, Sendung, Datum, Uhrzeit, Länge des Beitrags, Zuschauer in Millionen, «citazione primaria»43 (d.h. wie oft der Begriff Alta Badia oder die fünf Ortschaften genannt worden sind), «citazione secondaria»44 (Südtirol, Passo Gardena, Boé, usw.) und wie oft die Marke Alta Badia eingeblendet worden ist. Das sind alles Beiträge wie beim TG1,45 aber keine bezahlte Werbung. AK: Welche Bilder werden ausgesucht um Alta Badia zu repräsentieren? Gerade bei Beiträgen die nur eine oder wenige Minuten dauern ist das interessant. MC: So eine Minute geht nur auf TG1, aber eine Minute auf TG1, mit acht oder sechs Millionen Zuschauern, ist viel wert und um da eine Minute zu produzieren braucht man auch fünf Stunden, das geht dann je nach Thema. Wir zum Beispiel das Thema «Capodanno in rifugio»,46 wo gezeigt wird wie Silvester auf einer Hütte gefeiert wird. AK: Welches Image versucht man dabei zu verkaufen? MC: Hohe Qualität in der Gastronomie, Hotellerie und trotzdem eine gewisse Tradition.
[La Villa (Badia)]
[La Villa (Badia)]
[La Villa (Badia)]
[La Villa (Badia)]
AK: Wie ist die Bauaktivität in den Anfängen koordiniert worden? Vor allem in den Sechzigerjahren ist begonnen worden viel zu bauen, auch in anderen Ländern. Frankreich hat Ferienorte wie Avoriaz oder Flaine gebaut wo es vorher nichts gab, aber man hat sich von Grund auf überlegt welches Erscheinungsbild man haben will. MC: Die haben hundert Jahre vorher angefangen. Koordiniert ist es noch nirgends: nicht hier, [La Villa (Badia)]
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noch nicht in Gröden, noch nicht in Schenna, das glaube ich gibt es nirgends. Ein Grundstück ist limitiert und es gibt gewisse Koeffizienten. Auch hier ist vieles unkoordiniert gewachsen, wie überall in Südtirol.
47 Ebd. 1. (Architektenkammer der Provinz Bozen: Dorf und Stadt. Wohngebiete in Südtirol nach 1970, Bozen 1997) 48 Ebd. 5.
AK: In Badia gibt es kaum postmoderne Eskalationen bei den Hotels, wie es sie doch im Gröden sehr stark gibt. Hängt das mit der Baukommission in Badia zusammen? MC: Es hat schon eine Phase gegeben mit den Türmen, es gibt zwei bis drei Fehler, aber dann hat die Kommission gesagt, es dürfen keine weiteren gebaut werden. Das war vor zehn Jahren: Die Baukommission hat eine Warnung ausgesprochen, dass man nicht zu viele Türme bauen soll. In St. Ulrich gibt es das mehr, aber man könnte nicht ein Haus von dort nehmen und hier aufstellen. Drüben ist alles irgendwie pompös.
49 Ebd. 4. 50/51 Ebd. 1.
AK: St. Ulrich arbeitet u.a. mit Luis Trenker als Imageträger. Es gibt sogar seit ein paar Jahren eine eigene Bekleidungslinie. AP: Es ist eine sehr praktische Kleidung, auf Alpenstil gemacht. Es kommt eigentlich gut an: Im Servicebereich gibt es viele die das anhaben, in Romantikhotels usw.
[Pedraces (Badia)]
AK: Gibt es Gäste die Trachten tragen bzw. sich versuchen so zu anzuziehen um über die Kleidung einer bestimmten Authentizität näher zu kommen? AP: Das haben wir im Sommer, die ältere italienische Gästeschicht, dass die verheirateten Frauen aus Rom oder Bologna mit dem Dirndl auftauchen. Aber das gehört dazu.
[Hotel Dolasilla, La Villa (Badia)]
[La Villa (Badia)]
[La Villa (Badia)]
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Corvara Corvara ist eine der acht Südtiroler Dolomitengemeinden, in denen die ladinische Sprachgruppe vorherrscht. Das Gebiet um Corvara soll historischem Quellenmaterial zufolge aufgrund seiner abgesonderten Lage zwar später als andere Dolomitentäler besiedelt worden sein,47 aber das Talbecken am Fuße des Sassongher-Massivs auf 1.568 m, wurde schon in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts als Tourismusort entdeckt (das Hotel Post wurde schon 1808 erbaut). Damals begannen einige Jugendliche die umliegenden Berge zu besteigen und die ersten Touristen herumzuführen. Mit der Einweihung der ersten Skischule in den Nachkriegsjahren und 1938 dem Bau des Schlittenlifts Col Alto (1947 durch den ersten Sessellift Italiens ersetzt) startete der Wintertourismus. [Der Kirchweiler von Corvara um 1920]1
«Alta Badia ist 1963 entstanden und auch mit einem Markenzeichen. Es war und ist immer noch nicht sehr leicht sich mit einem Markenzeichen bekannt zu machen. Weil Alta Badia steht auf keiner Karte, steht nirgends. Das ist ein Markenzeichen, kein geografischer Name.»47 Hubert Dalponte Das Gemeindegebiet umfasst das südwestliche Ende des Gadertals, umgeben von der Puezgruppe (im Norden mit dem Wahrzeichen Sas Songher) und der Sellagruppe (im Süden). In Corvara teilt sich die Strasse und führt in der schneefreien Jahreszeit über das Grödner Joch bzw. über den Campolongo Pass in die Dolomitentäler Gröden und Buchenstein. Corvara, das urbanistisch mit Pescosta und Kolfuschg allmählich zusammenwächst, genießt einen internationalen Ruf als hochrangiger Tourismusort. Der Anteil am größten geschlossenen Skigebiet in den Dolomiten (Sella Ronda mit einer Förderkapazität von über 100.000 Personen/Stunde), die Beherbergungs- und Unterhaltungseinrichtungen von hoher Qualität und das professionell geschulte Personal, haben Corvara zu einem der begehrtesten Tourismusziele im Alpengebiet werden lassen. Durch die Fremdenverkehrsentwicklung Ende der Fünfzigerjahre hat sich in Corvara die Anzahl der Häuser etwa vervierfacht. Auf 1.266 Einwohnern gibt es 7.012 Gästebetten.48 Der somit höchste Anteil von Gästen auf Einwohner (5,54) in Südtirol bedeutet, dass 85% der Bevölkerung eine zweite, ephemer-zusammengesetzte Bevölkerung Corvaras bilden. Mit dem Bau der neuen Pfarrkirche 1959 und mit der Ausweisung von öffentlichen Einrichtungen im ersten Bauleitplan 1974 außerhalb des Ortskerns, verlagerte sich in Corvara der Schwerpunkt des Ortes. Die Anzahl der Häuser hat sich seit dem Beginn der Fremdenverkehrsentwicklung Ende der Fünfzigerjahre vervierfacht. Kolfuschg wuchs mit seinen Hotels und Pensionen, die seit den Sechzigerjahren entlang der Durchzugsstraße entstanden, mit anderen Weilern zusammen. In Corvara sind in ihrer ursprünglichen Form nur mehr wenige dieser erhalten (La Luega und Mersa): Bei Weilern die im «Landwirtschaftlichen Grün» verbleiben kommen Bauvorschriften für geschlossene Höfe oder für Wohn- bzw. Gasthäuser im Landwirtschaftsgebiet zu Anwendung, die seit den Siebzigerjahren ständig neue bauliche Erweiterungen zulassen. Wenn sie hingegen als Wohnbauzonen ausgewiesen werden, wachsen sie derart an, dass ihre besonderen Merkmale verloren gehen, wie es beispielsweise in Pescosta und Kolfuschg geschah.50 Corvara hätte mit dem zweiten Bauleitplan die Chance bekommen ein neues Dorfzentrum zu schaffen. 1989 wurde hierfür ein Ideenwettbewerb zur Gestaltung des Bereiches um das neue Rathaus ausgeschrieben. Die dafür eingereichten Projekte schlugen eine starke Verbauung vor und schufen Platzsituationen vor der Kirche, vor dem Rathaus und vor dem Tourismusbüro. Gebäude und Bäume flankieren die Hauptstraße und artikulieren sie zur Hauptachse. Es wurde davon aber nichts verwirklicht. Die Hauptstraße und die öffentlichen Freiräume sind ungestalteter Leerraum geblieben, der vorwiegend als Autoabstellplatz genutzt wird.51
[Luftaufnahme von Corvara (1974)]1
[Flugaufnahme von Corvara mit Pescosta (links)]1
[Nächtigungszahlen in der Gemeinde Corvara, 1995]1
[Walter Niedermayr: Corvara]1
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Interview Hubert Dalponte Interview vom 16. Februar 2005 im Tourismusverein Corvara mit dem Präsidenten des Tourismusvereins Corvara, Hubert Dalponte. AK: Wolkenstein hat die höchste Nächtigungszahl in Südtirol, Corvara die höchste Bettenzahl/ Einwohner. Wie stark ist derzeit die Bauaktivität? Wird von der Gemeinde festgelegt zu welchen Zeitpunkten die Um- und Neubauten realisiert werden können? HD: Hier geht es nach Ostern bis August und im August muss man 2 Wochen aussetzen, ab September geht es wieder weiter. Während der Saison wird eingeschränkt: Sie dürfen, wegen dem Lärm usw., nicht vor halb neune anfangen und müssen um fünf aufhören. Aber es sind nicht so kurze Bauphasen, in Badia ist es gleich. AK: Gibt es starke Schwankungen bei den Nächtigungen zwischen Sommer und Winter? HD: Wir haben ungefähr 65% der Nächtigungen im Winter und 35% im Sommer. AK: Aber die Sommersaison ist auch relativ kurz. HD: Nicht viel kürzer wie auf dem Meer inzwischen: vom 20. Juni bis Ende September. Sagen wir, richtig ist es von 20. Juli bis Ende August. Man kann sagen, 40 Tage sind wirklich eine gute Saison, sonst ist es eigentlich schwach. AK: Wie arbeitet Corvara mit den Sommertouristen? Die Bedürfnisse des Wintertouristen unterscheiden sich von denen des Sommertouristen. HD: Das machen wir alles über den Verband Alta Badia. Wir gehen sicher stark auf die Familien, versuchen den Kindern was zu bieten, haben fünf Animateure. Das geht alles im Rahmen Alta Badia, nicht Tourismusverein. Aber wir halten schon sehr viel vom Sommertourismus, als Tourismusverband investieren wir auch mehr im Sommer als im Winter. AK: Und der Wintergast? HD: Im Winter ist Skifahren. Skisportveranstaltungen die die Skischulen veranstalten gibt es einige, die sind auch ziemlich gut besucht. Pferdeschlittenrennen, usw. Wir haben auch versucht etwas im Veranstaltungssaal zu machen: geht nicht. Heutzutage kommen sie wirklich um Ski zu fahren. Es ist nicht so wie in St. Moritz. Dort gehen nur 30% der Gäste Skifahren. Hier gehen 95% und 5% werden ein bisschen wandern. Aber hier kommen sie Skifahren und am Abend bleiben sie im Hotel. AK: Über den Veranstaltungsplatz in Corvara ist sehr viel geredet worden, er hat sehr viel gekostet und soll nicht gut funktionieren bzw. genutzt werden. HD: Im Sommer machen wir schon alle Veranstaltungen draußen, wenn es möglich ist.
Vor zwei Jahren war ein herrlicher Sommer - kein Problem, aber da war es noch nicht fertig. Letztes Jahr, kaum sind ein paar Wolken, kann man draußen fast nichts machen. Sonst, wenn es möglich ist, machen wir schon was draußen, aber es ist so sehr wetterbedingt. Aber gekostet hat es viel.
51 Ebd. 1. 52 «Wo ist das Zentrum?»
AK: Ich nehme an, dass es durch den gemeinsamen Tourismusverband keine Konkurrenz zu den Nachbardörfern (Kolfuschg, Badia) gibt. HD: Absolut nicht. Auch wenn wir nicht mit Statut waren, sind wir sicher der erste Verband von Südtirol. Weil Alta Badia ist 1963 entstanden und auch mit einem Markenzeichen. Es war und ist immer noch nicht sehr leicht, sich mit einem Markenzeichen bekannt zu machen. Weil Alta Badia steht auf keiner Karte, steht nirgends. Das ist ein Markenzeichen, kein geografischer Name.
[Corvara, Modell 1:7.000]
[Corvara, Modell 1:7.000]
[Hotel Post Zirm, Corvara]
AK: Wird die Werbung ausschließlich vom Verband aus gemacht? HD: Der Tourismusverband Alta Badia hat kein extra Büro, wie sonst fast überall. Es gibt einen Direktor vom Tourismusverband, das ist der Doktor Canins, und ich bin Vizedirektor und Direktor von Corvara. Jede vier Jahre ändert sich das: Nächstes Jahr werde ich Direktor vom Verband sein und der Manfred (Canins) Vizedirektor. Der Tourismusverein Abtei ist La Villa, St. Kassian, Pedraces. Tourismusverein Corvara, ist [Hotel Post Zirm, Corvara]
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54 Posta Zirm Hotel ****, Corvara. 55 Hotel Greif ***, Corvara.
AK: Corvara hätte mit dem zweiten Bauleitplan die Möglichkeit bekommen ein neues Dorfzentrum zu schaffen. In einer Publikation von 1997 der Architektenkammer51 habe ich über den Ideenwettbewerb zur Gestaltung des Bereichs um das neue Rathaus gelesen, der 1989 ausgeschrieben wurde. Davon wurde aber nichts verwirklicht. HD: Die Idee war zuerst oder nachher wieder Garagen unterirdisch zu machen und auf dem Platz. Am Ende sind neue Garagen gemacht worden. AK: Gibt es Ideen das wieder neu zu strukturieren? HD: Nein, das ist erst seit ein paar Jahren fertig gemacht worden. Das Konzept, von dem Sie jetzt geredet haben, hat vorgesehen ein neues Dorfzentrum nach unten zu ziehen, mit Geschäften, um die zwei Ortteile zusammenzuhängen: das obere Stück mit unten. Corvara hat zurzeit zwei Kerne: Den oberen mit dem Hotel Post und unten das Hotel Col Alto bis zur Brücke. Aber Corvara hat kein Dorfzentrum wie viele Orte hier bei uns. St. Kassian hat mit der Umfahrungsstraße ein bisschen einen Dorfkern, aber hier fehlt es total. Die Leute fragen «Dov‘é il centro?»,52 weil Geschäfte und so sind unten Richtung Kolfuschg bei der Kreuzung genauso viele wie oben. Aber mehr Zentrum ist sicher oben, beim Sport Kostner.
53 Campolongo Pass (1.875 m)
Corvara und Colfosco. Dr. Manfred Canins und ich teilen uns die Arbeiten auf, wir sind Studienkollegen und gute Freunde, vielleicht geht es auch deshalb. Aber dort teilen wir uns die Arbeiten auf und so sparen wir uns auch viel Geld. Als Tourismusverein schauen wir, dass die Wanderwege Instand gehalten werden und organisieren die Veranstaltungen. Aber alles was auswärts geht, wie Werbung und Marketing, machen wir über Alta Badia. AK: In vielen Tourismusgemeinden werden die Einheimischen durch Verbote oder Einschränkungen eingegrenzt. Unter anderem werden viele Strassen in der Saison für den Verkehr gesperrt, gibt es Vergleichbares? HD: Das versuchen wir schon auch, aber bei uns ist das sehr schwierig. St. Kassian hat eine Umfahrungsstrasse, aber wir haben hier das Grödner Joch das runter kommt, auf der anderen Seite den Campolongo.53 Für eine Umfahrungsstrasse gibt es Pläne, aber ich glaube da existiere ich nicht mehr bevor die kommt. Im Sommer machen wir die Strasse für eineinhalb Monate zu, aber für zwei Stunden am Abend - da machen wir schon die Umfahrung. Aber hier gibt es nur die Hauptstrasse, den Verkehr kann man nicht verbieten, leider. Nicht dass wir das nicht möchten, aber das ist eine Hauptstrasse. Hier in Corvara geht das zumindest, in Kolfuschg kann man sie gar nicht sperren.
schlimm ist es im Dorfzentrum auch nicht. AK: Sind oben um das Zirm eher die besser situierten Hotels und in Pedraces mehr Garnis und Pensionen? HD: Sagen wir, Corvara ist schon die Wiege. Corvara kann im Winter schon ganz andere Preise machen als Pedraces. Ich habe auch drüben in Pedraces Wohnungen zu vermieten, aber meine Hochsaisonspreise im Winter sind die Nebensaisonspreise von Corvara. St. Kassian hat schon wieder seine guten Preise. Aber sicher, Pedraces ist nicht Corvara.
[Corvara]
AK: Richtung La Villa gibt es noch das Hotel Greif,55 das erst umgebaut worden ist. HD: Den neuen Teil haben sie heuer eröffnet, es gibt drei Häuser. Der Eingang vom Hotel ist im alten Teil wo es eigentlich nur noch Personalzimmer gibt und die größten Zimmer aufgelassen wurden. Schwimmbad, Beauty und Zimmer sind alle im neuen Teil und der Turm dient als Verbindung. Das Hotel soll sehr schön sein. [Corvara]
AK: In Corvara wird der Schnee der weggeräumt wird u.a. auch im Dorfkern abgelagert. Bis er schmilzt, sind bis Mai/Juni die brauen Ansammlungen nicht besonders ästhetisch. Viele im Dorf regen sich darüber auf und sehen das als Index für ein sehr geringes Interesse des Tourismusvereins. Man sagt, dass der Tourismus, aufgrund des guten Namens von Corvara, auch ohne viel Aufwand aufrechterhalten werden kann. HD: Das haben wir in der Gemeinderatssitzung vorgebracht und sie haben entschieden dass das nicht mehr geht. Aber sie sind genauso da wie vorher. Den Haufen oben vor dem Hotel Post macht der Bürgermeister. Ich finde das ganz ein schlechtes Image im Dorfzentrum. Bis sie noch weiß sind geht es, im März ist wirklich totaler Dreck da.
[Corvara]
[Hotel Greif, Corvara]
AK: Bei den neuen Hotels in Corvara gibt es kaum postmoderne Formen wie in Gröden oder am Kronplatz. HD: Da gibt es schon ein paar: unten das Royal. Aber nicht viele. In Kolfuschg gibt es schon ein paar, aber so viele eigentlich nicht. AK: Was halten sie vom Zubau des Post Zirm?54 HD: Wenn Sie vom Campolongo Pass runter kommen... die Struktur gefällt mir. Es gibt den alten Bau, die Verbindung und den neue Bau. Die Form ist so, dass sie die ganze Sonne kriegen. Mir persönlich gefällt es nicht schlecht und so
[Hotel Greif, Corvara]
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Olang Olang liegt im Zentrum des Pustertals. Die unmittelbare Nähe zu 7 Tälern bietet Gelegenheit, die populärsten Ausflugsziele und Sehenswürdigkeiten schnell zu erreichen. Das Gemeindegebiet erstreckt sich im oberen Pustertal, rund 9 km östlich von Bruneck, südlich des Flusses Rienz bis an die nördlichen Dolomiten von Olang. Drei der vier Ortschaften, nämlich Unter-, Mitter- und Oberolang liegen terrassenförmig in der großen Talweitung des Pustertals, während die Streusiedlung Geiselsberg den Osthang des Kronplatzes einnimmt. Die Wirtschaft der Gemeinde ist vom Fremdenverkehr geprägt. Die ersten Ansätze mit den kleinen Kurbädern von Bad Bergfall und Bad Schartl gehen bereits auf das 17. und 18. Jahrhundert zurück. Heute ist Olang vor allem Wintersportort mit internationalen und nationalen Rodelwettbewerben und der Einbindung in das Skigebiet des Kronplatzes. Die saisonale Verteilung der Übernachtungen ist, trotz längerer und vorwiegender Wintersaison, in Olang relativ ausgeglichen. Unterschiede gibt es vor allem bei der Herkunft der Gäste: Im Sommer wird Olang mehr von Italienern, im Winter mehr von Deutschen aufgesucht. Die Einstufung der als touristisch stark entwickelt geltenden Gemeinden wurde 2002 im Landesraumordnungsgesetz aktualisiert. Dabei wurde Olang in diese Kategorie aufgenommen; Sexten und Stilfs als touristisch entwickelt abgestuft. Die Bauaktivität in Olang hat sich seit der Neueinstufung nicht wesentlich verändert, weil die Betriebe diese schon im Vorfeld erahnt haben. Olang profitiert vor allem vom Tourismus am Kronplatz bzw. dem in Geiselsberg, dementsprechend findet auch die Bautätigkeit verstärkt dort statt. In unmittelbarer Nähe zum Skigebiet wurden neue Hotels gebaut die verstärkt Türmchen, Erker, Wandmalereien und andere postmoderne Elemente aufweisen.56 Interview Johann Neunhäuserer Interview vom 15. Februar 2005 in der Gemeinde Olang mit dem Bauamtsleiter des Bauamts Olang, Johann Neunhäuserer.57 JN: Die Bauaktivität in Olang hat sich seit der Neueinstufung58 nicht wesentlich verändert, weil die Betriebe schon im Vorfeld geahnt haben, dass es zu dieser kommen wird. Neu gebaut wurde in letzter Zeit das Hotel Mirabell, von Herrn Gollner dem Präsidenten des Tourismusvereins, das auch zahlreiche Türmchen, Erker und andere postmoderne Elemente hat. Außerdem einige neue Hotels im vierten Olanger Bezirk (neben Mitter-, Nieder- und Oberolang) Geiselsberg, der oberhalb der restlichen Fraktionen in unmittelbarer am Skigebiet Kronplatz liegt. Olang profitiert vor allem vom Tourismus am Kronplatz bzw. dem in Geiselsberg, dementsprechend findet auch die Bautätigkeit verstärkt dort statt. Die Türmchen sind neben einem formalen Aspekt auch eine Notwendigkeit der Tarnung von zusätzlichen Kubaturen für Erschließungen, wie sie Aufzüge benötigen. Es gibt in diesem Sinne wenige Türmchen in Olang und die Baukommission achtet darauf, dass es nicht zu viele werden, aber eigentlich ist es eine Ansichtssache vom Bauamt, das aber in jeder Hinsicht relativ liberal mit dem Genehmigen von Projekten ist. Auch ein neues Wohnhaus in Niederolang mit einem Flachdach wurde genehmigt. Bis in die Achtzigerjahre gab es in Olang eine Landschaftsschutzbestimmung, dass alle Dächer nur mit grauen Ziegeln gedeckt sein dürfen. Im Unterschied zu den anderen touristisch stark entwickelten Gemeinden darf man hier ohne Einschränkungen das ganze Jahr lang um bzw. neu bauen. Die im Landesgesetz festgehaltene Möglichkeit für die Bürgermeister der Gemeinden, solche Bauphasen genau festzulegen, wird von Olang nicht in Anspruch genommen.
56 Interview vom 15. Februar 2005 in der Gemeinde Olang mit dem Bauamtsleiter des Bauamts Olang, Johann Neunhäuserer. 57 Da ich den Chef des Tourismusvereins Olang, Heinrich Goller, am 15. Februar nicht antreffen konnte wurde ich über die Bürgermeisterin der Gemeinde Olang, Anna Elisabeth Aichner Schenk, an das örtliche Bauamt weiter verwiesen. Das Interview wurde nicht direkt aufgenommen und von mir sinngemäß im Anschluss an das Gespräch aufgezeichnet worden. 58 Die ursprüngliche Einstufung der im Landesraumordnungsgesetz als «touristisch stark entwickelt» geltenden Gemeinden wurde 1998 auf Grundlange statischer Daten vorgenommen und bisher erst einmal (2002) aktualisiert. Bei dieser Neueinstufung wurde Olang in die Kategorie aufgenommen und Sexten und Stilfs als «touristisch entwickelt» abgestuft. Es gibt keine automatische Neueinstufung bei geänderten Daten. Olang ist die einzige der acht Gemeinden die erst seit drei Jahren als touristisch stark entwickelt gilt.
[Kronplatz]
[Olang]
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Kastelruth Kastelruth besteht aus den ladinischen Ortschaften Überwasser, Runggaditsch und Pufels auf der südlichen Talseite des Grödnertals, eine Reihe kleinerer Ortschaften auf der Eisacktaler Seite sowie Kastelruth und Seis. Dazu kommt noch die Hochfläche der Seiser Alm, die fast die Hälfte des 117,8 km² großen Gemeindegebietes ausmacht und Teil des Naturpark Schlern ist. Kastelruth erstreckt sich auf einer Mittelgebirgsterrasse des unteren Eisacktals. Zwei steile Hangstufen zum Eisack und zum Grödner Bach bilden die westliche bzw. nördliche Abgrenzung.
59/60/61 Interview vom 17. Februar 2005 im Tourismusverein Seis in Kastelruth, mit der Mitarbeiterin des Tourismusvereins Seis, Alexandra Trocker.
«Ich glaube dass der Gast, der hier her kommt, sich in den Häusern wie wir sie hier haben wohl fühlt. Der Stil gefällt ihm und er passt eigentlich auch hier in unsere Landschaft.»59 Alexandra Trocker
62 Brenda Strohmaier: Die Welt der Spatzen. Aus: Die Zeit, 24.07.2003 Nr.31, Hamburg.
Der nach der Erbauung der Brennerbahnlinie (1867) einsetzende Reiseverkehr brachte auch auf die Höhen von Kastelruth und Seis einen bis dahin nie gesehenen Fremdenstrom. Bereits 1892 hatte Seis 340 Gäste gegenüber den 113 vom Jahre 1890. Aus Seis wurde ein bekannter Fremdenverkehrsort. Im Schlerngebiet gibt es vier Tourismusvereine: Kastelruth, Seis, Völs und Seiser Alm. Sie sind zu einem Tourismusverband zusammengeschlossen, der das Marketing übernimmt. Der Ortsteil Überwasser bildet Teil vom Tourismusverein St. Ulrich in Gröden. Der Wintergast, der die Seiser Alm besucht, kommt vor allem zum Skifahren und Langlaufen. Im Vergleich zu den steileren Pisten im Gröden bietet diese 70 km Loipe und gespurte Winterwanderwege. Dementsprechend legt der Wintertourist Wert auf präparierte Pisten und geräumte Straßen, die insistierende Suche des Sommergasts nach Authentizität interessiert ihn weniger. Die meisten Hotels in Kastelruth wurden in den letzten Jahren durch postmoderne Um- und Zubauten über die qualitative Erweiterung neu strukturiert. Zurzeit werden vor allem Zimmer modernisiert und Wellnessbereiche ausgebaut. Freibäder werden Hallenbäder oder durch Hallenbäder ergänzt. Den Gästen sind neue Zimmer wichtig, die technische Ausstattung, Balkone und die Gastronomie.60 Im Juli/August und zu Weihnachten sind fast ausschließlich italienische Gäste in Kastelruth. In der Wanderzeit, d.h. September, Oktober und Juni, sehr viele Deutsche. Der Sommertourist ist stark an Konzerten und Prozessionen interessiert, wobei besonders die Fronleichnams- und die Herz-JesuProzession beliebt sind. Weiters gibt es auch im Januar eine inszenierte Bauernhochzeit. Berichterstattungen dieser Veranstaltungen sind auch wesentlicher Bestandteil der Werbung für Kastelruth. Der Tourismusverband arbeitet sehr viel mit italienischen und deutschsprachigen Journalisten zusammen, die sich das Gebiet zusammen mit dem Geschäftsführer anschauen. Größte unbezahlte und unbezahlbare Werbung sind aber die Kastelruther Spatzen.61 «Denn so richtig gut, so richtig wirklich gut, geht‘s uns doch nur daheim in Kastelruth. Die Fahrt von Hamburg bis Bozen. Und endlich der letzte Tunnel, dass es überall schöne Mädchen gibt, vergessen wir besser ganz schnell.» Kastelruther Spatzen (Daheim in Kastelruth) 1978 benannte sich die Volksmusikgruppe der «Kastelruther Spatzen» nach ihrem Dorf. Die Alpenlandschaft um Kastelruth wird auf den Album-Covers und dem Werbematerial der sieben Musiker abgebildet, die sich stets in Tracht zeigen. Seit die Kastelruther Spatzen 1990 den Grand Prix der Volksmusik gewonnen haben, wurde Kastelruth zu einem festen Platz auf der Landkarte der Heimatklänge. Der Spatzen-Tourist findet in Kastelruth Spatzen-Souvenirs im Spatzen-Laden und kann den Kastelruther Spatzen auf der Straße begegnen. Seit 20 Jahren findet im Oktober ein «Spatzenfest» im 2.000-Einwohner-Dorf Kastelruth statt, bei dem das angeblich größte Bierzelt Europas aufgestellt wird um 10.000 Besucher aufzunehmen. Die Spatzen-Fans möchten in Kastelruth nicht nur schunkeln und die Dolomiten bewundern, sondern viele wollen den Musikanten live beim Leben zuschauen. Touristen buchen in Kastelruth insgesamt eine Million Übernachtungen im Jahr. Nach Schätzung des Kastelruther Tourismusvereins gehen zehn Prozent davon auf Kosten der Spatzen-Fans. Zu etlichen Bustouren gehört ein Stopp in der Heimat der, mit zwölf Millionen verkaufter Tonträger, erfolgreichsten deutschsprachigen Volksmusikgruppe; Reisen die vor allem bei Rentnern beliebt sind.62
64 Norbert Rier, ist der Sänger der Kastelruther Spatzen.
[Musikkapelle Kastelruth, 1980]
[Musikkapelle Kastelruth, 1990]
[Musikkapelle Kastelruth, 2000]
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63 1990 gewannen die Kastelruther Spatzen (für Deutschland, da Südtirol erst seit 2000 teilnimmt) den Grand Prix der Volksmusik in Saarbrücken. Es folgten zahlreiche Hits und Auftritte in diversen Fernsehsendungen des gesamten deutschsprachigen Raums. Heute haben die Kastelruther Spatzen bereits über 100 Goldene Schallplatten und sind somit die erfolgreichste deutschsprachige Gruppe der volkstümlichen Musik.
Interview Alexandra Trocker Interview vom 17. Februar 2005 im Tourismusverein Seis in Kastelruth, mit der Mitarbeiterin des Tourismusvereins Seis, Alexandra Trocker. AK: Es gibt acht Gemeinden in Südtirol die aufgrund statistischer Daten der ASTAT im Landesraumordnungsgesetz der Provinz Bozen als «touristisch stark entwickelt» eingestuft wurden. Ich beschäftige mich damit, wie in diesen der Tourismus organisiert ist und wie die Architektur damit in Zusammenhang steht. Kastelruth ist die einzige Gemeinde Südtirols mit vier Tourismusvereinen. Wie kommt es dazu? AT: Es gibt hier im Schlerngebiet vier Tourismusvereine: Kastelruth, Seis, Völs, Seiser Alm. Alle vier sind eigenständig und über die vier Tourismusvereine steht ein Tourismusverband, der für Marketing zuständig ist. Der Tourismusverein ist für die Hoteliers und für die Gäste da und der Tourismusverband kümmert sich um das ganze Schlerngebiet, um das Marketing und die Werbung. AK: Warum ist Kastelruth so stark besucht? Hängt das mit dem Dorf selbst zusammen oder mit dem Schlerngebiet? AT: Ganz viel Anziehung machen für die deutschen Gäste sicher die Kastelruther Spatzen63 aus, das ist unser Ass im Ärmel. Sicher sind auch die schöne Umgebung, die Seiser Alm und der Schlern ein Begriff. Kastelruth ist vom Ort her ein bisschen größer und der Ortskern gefällt den Leuten. Vor allem bei den Deutschen Gästen ist Kastelruth beliebter als Seis. AK: Sind deshalb mehrheitlich deutsche Touristen hier? AT: Es hält sich die Waage. In Juli/August sind nur fast ausschließlich Italiener da und über Weihnachten auch sehr viele. September, Oktober und auch Juni, also mehr in der Wanderzeit, sind sehr viele Deutsche da. AK: Wie differenziert sich im Winter die Seiser Alm von St. Ulrich oder Gröden? AT: Bei uns kommen sehr viele Anfänger zum Skifahren, weil die Seiser Alm eher flach und deshalb auch ideal für Familien und Anfänger ist. AK: Auf die Seiser Alm würde man auch von St. Ulrich in Gröden aus kommen. AT: Von St. Ulrich kommt man natürlich auch hoch, aber es ist sicher praktischer wenn man in Kastelruth oder in Seis wohnt. Es ist kürzer zum hoch kommen bzw. oben am Kompatsch sind auch die leichtern Pisten. Wenn man von St. Ulrich aus hoch kommt, sind eher steilere Pisten hinten drinnen, die man bewältigen muss.
AK: Kommen daher viele Familien auf die Seiser Alm? AT: Sehr viele Familien oder auch eher ältere Leute die gemütlich Skifahren wollen und kein starkes Gefälle brauchen. Langlaufen ist bei uns auf der Seiser Alm auch ganz ideal, wir haben 70 km Langlaufloipen die jeden Tag Top präpariert werden, und Winterwandern, es gibt auch gespurte Winterwanderwege. AK: Wie ist das quantitative Verhältnis Winter/Sommergäste? AT: Im Sommer ist minimal mehr, man merkt das an den Ankünften und an den Nächtigungen. Aber wir haben eine ganz lange Sommersaison und eine lange Wintersaison. Die Sommersaison ist von Mitte/Ende Mai bis Mitte Oktober, bis zum Spatzenfest, Zeltfest. Und die Wintersaison von Mitte Dezember/Weihnachten bis Ende März/Mitte April, je nachdem wie Ostern fällt. AK: Welche sind die Termine an denen sich das Dorf am meisten füllt? AT: Im Winter ist es definitiv Weihnachten/Silvester, Fasching und Ostern. Im Sommer Juli und August, wo wirklich vor allem der August bombenvoll ist.
[Kastelruth]
[Kastelruth]
AK: Kastelruth-Seis arbeiten mehr mit Events wie andere Tourismusorte. AT: Für die Deutschen ist sicher das Event das Open-Air im Juni und im Oktober das Zeltfest von den Kastelruther Spatzen. AK: Gibt es zwischen den Kastelruther Spatzen und dem Tourismusverein/-verband eine Zusammenarbeit? Was bietet Kastelruth einem Gast aus Deutschland der ausschließlich wegen der Gruppe her kommt? AT: Für den ist es schon genug, wenn er da sein darf wo seine Idole herkommen. AK: Sind die Kastelruther Spatzen alle aus Kastelruth? AT: Kastelruth und Umgebung. Einer aus Völs, aber der ist noch nicht so lange dabei. Aber für sie ist es einfach mal spannend das sie da sein können: das Haus vom Norbert64 einmal anschauen können, vielleicht einen von den Spatzen im Dorf treffen, grüssen und ein Foto machen können. Die sind nur auf das aus, sie gehen auch nur den ganzen Tag durchs Dorf, in den SpatzenLaden und kaufen Spatzen-Souvenirs.
[Kastelruth]
[Kastelruth]
AK: Wie groß ist der Anteil der anderen Touristen? AT: In Zeiten in denen diese Events, wie das Open-Air und das Spatzen-Fest sind gibt es fast nur diese Spatzen-Touristen. In der restlichen Zeit sind nur wenige da, die bemerkt man gar nicht und sie verhalten sich auch nicht irgendwie auffällig. [Kastelruth]
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AK: Sie erwarten sich wohl auch gewisse Klischees; wie entsprechen die Hotels diesem Bild? AT: Ganz viele Gäste die Spatzen-Fans sind sparen das ganze Jahr um einmal herkommen zu können. AK: Ist festgelegt wann genau die Events stattfinden? AT: Im Juni immer und so um den 8., 9., 10. Oktober, also das zweite Wochenende im Oktober. AK: Und da gibt es ein Konzert oder mehrere? AT: Da gibt es ein Zeltfest das drei bzw. vier Tage dauert, auf dem treten jeden Tag die Spatzen auf und das ist auch jeden Tag ausverkauft. Da gibt es tausende Zuschauer. Das ist in Kastelruth, ein bisschen oberhalb Kastelruth. Und im Juni ist eben seit schon ganz vielen Jahren das Open-Air im Freien draußen, mit nur der Bühne auf einer großen Wiese. Da machen sie auch ein Konzert, wo aber weniger los ist wie im Oktober. AK: Wo in Kastelruth findet man die neuen Hotels die in den letzten zehn Jahren adaptiert worden sind? Versucht man einem romantischen Stil, der sich in Erkern, Türmchen, usw. äußert, zu entsprechen? AT: Bei uns haben die Bauten, wie das Residence Dolomitenhof65 und das Hotel Enzian66 unten, die Erker mit den Türmchen. Wobei das Residence Dolomitenhof schon ein ganz altes Haus ist und das nicht erst in den letzten Jahren gemacht worden ist. Beim Hotel Enzian unten hängt das zusammen mit den Bildern auf der Fassade, mit einer Sage mit dem Enzian. Mit Türmchen gibt es noch das Hotel Salegg,67 das ein bisschen außerhalb vom Dorf ist, aber auch schon ganz ein altes Gebäude ist. AK: Ich habe sehr viele gesehen. Das Hotel Ritterhof,68 das scheinbar sehr bewusst mit Kitsch arbeitet, ist mir aufgefallen. AT: Das ist doch kein Kitsch. Er hat genau das Hotel unter dem Hauensteiner Wald und da war Oswald von Wolkenstein. Das hängt auch alles mit früher zusammen: Er hat die Geschichte übernommen und das Hotel gibt es auch schon lange. Vor ein paar Jahren hat er umgebaut und das alles modernisiert, die Geschichte mit den Rittern und den Minnesängern übernommen, und das ganze Hotel nach dem Thema gestaltet. Wobei das wunderbar zieht, das Hotel ist immer ausverkauft. AK: Wird zurzeit viel neu- bzw. umgebaut, kann man beobachten, dass die Hotels diesem Schema weiter folgen? AT: Momentan wird im Dorf kein Hotel umgebaut. Die letzten Jahre war das einzige das Hotel Ritterhof das vor allem von Außen viel gemacht hat. Die anderen machen eher von Innen die Zimmer moderner, aber sonst gibt es keines das
momentan umbauen würde, oder wo das auffallen würde, dass die in die Richtung gehen. Was bei uns momentan Hotels viel machen, ist Wellnessbereiche ausbauen, neu machen oder Schwimmbäder. Ganz viele haben ein Freibad aber eben kein Hallenbad, da schaut es bei uns eher schlecht aus. Aber die, die jetzt umbauen oder in Zukunft umbauen wollen, sagen speziell sie machen ein neues Hallenbad oder eine Saunalandschaft, einen Beautybereich, usw. AK: Kann man in Kastelruth immer umbauen oder gibt es bestimmte vorgeschriebene Zeiten? AT: Die meisten schließen den Betrieb schon etwas früher, vielleicht einen Monat vor Saisonsende und bauen dann in den zwei, drei Monaten in denen sie Luft haben um, bevor die neue Saison beginnt. Sie fangen dann im September schon an und versuchen bis Weihnachten alles gemacht zu haben. AK: Darf man prinzipiell immer bauen? AT: Soweit ich informiert bin, schon. Man muss dann bestimmte Zeiten einhalten, aber das ist sonst bei einem Privatbau im Dorf auch, das man vor 8 Uhr nicht anfangen darf zu bohren. Aber sonst ist es vor allem in der Nebensaison überhaupt kein Thema.
65 Residence Hotel Dolomitenhof ****, Seis am Schlern. 66 Hotel Enzian ***, Seis am Schlern.
69 Der Naturpark Schlern umfasst eine Fläche von rund 68,06 km², die auf die Gemeinden Kastelruth, Völs am Schlern und Tiers aufgegliedert ist.
70 67 Hotel Salegg **, Seis am Seit 1796 brennen am 2. Sonntag nach FronSchlern. leichnam auf Südtirols Bergen Feuer, welche an 68 Hotel Ritterhof ***, Seis das Gelöbnis erinnern das die Tiroler dem am Schlern. Herzen Jesu gegeben haben, nachdem Sie von den Truppen Napoleons bedroht wurden. 71 Das Kino und Garni von Armando Ronca wurde 1953/54 in Seis am Schlern gebaut. Der rechteckige, von zwei rohen Steinmauern flankierte Baukörper beherbergt ebenerdig ein Lichtspieltheater für 375 Besucher und darüber ein Garni.
AK: Gibt es Gäste die sich modernere oder minimalistischere Hotels wünschen würden, wie das Vigilius Mountain Resort am Vigiljoch? AT: Von den Wünschen kriegen wir relativ wenig mit. Uns sagt der Gast höchstens, dass er ein neues Haus möchte, wo die Zimmer neu sind, keine Zimmer mit Möbel oder Ausstattung von anno dazumal. Aber das sie speziell sagen, es müsste ein ganz moderner Komplex sein, ist nicht der Fall. Ich glaube, dass der Gast, der hier her kommt, sich in den Häusern wie wir sie hier haben wohl fühlt. Der Stil gefällt ihm und er passt eigentlich auch hier in unsere Landschaft. AK: In Wolkenstein ist mir ähnliches gesagt worden: dass der Gast den Katalog her nimmt und nach den neuen Häusern mit neuen Zimmern schaut. AT: Das weniger, es kommt ab und zu vor, dass jemand sagt er möchte ein neues Hotel, mit neuen Zimmern.
[Armando Ronca: Kino und Garni, Seis am Schlern. 1953/54]
AK: Gibt es sonst Elemente auf die der Gast achtet und die er im Hotel haben möchte? AT: Das sind eher die technische Ausstattung oder Balkone. Die Gäste sind nicht extrem anspruchsvoll und legen mehr wert auf eine gute Küche, sie fragen eher danach. Ob im Zimmer eine Minibar, ein Radio oder ein Safe drinnen ist, was das Zimmer alles bietet, fragen sie höchstwahrscheinlich den Vermieter selbst.
[Della Bona & Zamolo: Eurotel, Seiseralm. 1958-1962]
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AK: Sinkt die Aufenthaltsdauer in Kastelruth auch? AT: Die ist immer mehr rückläufig. AK: So um die 6,5 Tage im Durchschnitt? AT: Ungefähr. Aber es geht auch der Trend dahin, dass kurzfristig gebucht wird und das ganz viel nur ein paar Tage, also ein Kurzurlaub, gemacht wird. AK: In Gröden liegt der Schwerpunkt auf dem Wintertourismus, in der Gegend um Meran auf den Sommer. Die Wintertourismusorte haben oft Schwierigkeiten für Sommertouristen attraktiv zu sein, da ein technisch sehr anspruchsvoller Gast im Winter sehr viele Ressourcen einnimmt die im Sommer stillgelegt sind. Anders ist der Sommergast an der Authentizität und am Dorfleben interessiert. Der Wintergast nimmt kulturelle Schwerpunkte nicht wahr. AT: Bei uns sind es die Wintertouristen die wirklich wert auf die präparierten Pisten und auf die geräumten Straßen legen. Am Abend, nachdem sie den ganzen Tag auf der Skipiste oder der Loipe waren, runterkommen und in die Sauna gehen, Abend essen, müde sind und nicht noch einmal raus ins Kalte gehen wollen. Für den Sommertouristen bieten wir wahnsinnig viele Veranstaltungen, tagsüber und abends, an. Bei uns sind die Sommertouristen ganz wild auf Konzerte. Zum Beispiel Musikkapellen, weiters traditionelle Sachen: Prozessionen mit Trachten usw. Um ihnen auch den Naturpark Schlern69 näher zu bringen, machen wir mit dem Amt für Naturparke zusammen naturkundliche Wanderungen. Wir machen auch Kräuterwanderungen und das wird vom Sommergast ganz gern angenommen. Man kann sagen, dass wenn man im Winter einen Diavortrag macht, wie bei einem gestern, nur sechs Touristen und drei Einheimische sich das anschauen. Wenn man im Sommer das macht, kriegt man den Saal richtig schön voll. Der Wintergast will einfach am Abend nicht mehr rausgehen, wenn er einmal im Warmen ist und schon den ganzen Tag draußen war, mag er nicht mehr. Er ist müde und mag höchstens nur an der Bar ein Glas trinken und geht dann ins Bett, weil er am nächsten Tag wieder früh aufsteht und wieder auf der Piste sein will. AK: Was sind das für Prozessionen? AT: Zum Beispiel die Fronleichnams- oder die Herz-Jesu70-Prozession. Das wird in Kastelruth, aber auch in Seis, sehr groß aufgezogen mit den Fahnenträgern, den Frauen mit ihrer Tracht, den Mädchen mit ihrer Tracht, den Männer mit ihrer Tracht, usw. Das ist immer ein richtiger Anziehungspunkt für die Gäste. Wenn die einheimische Bevölkerung mit ihrer Tracht aufmarschiert, ist das etwas, was man gesehen und man ein Foto gemacht haben muss. In Kastelruth gibt es im Jänner immer die Bauernhochzeit: Die Bauern haben früher immer
im Winter geheiratet, weil sie dann Zeit gehabt haben. Da sie im Sommer und im Herbst nie Zeit gehabt haben ist das auf den Winter gelassen worden. Und da sind sie ganz traditionell mit den Pferdeschlitten, auch mit der Tracht und einer bestimmten Reihenfolge von den Schlitten, dem Brautpaar, den Eltern des Brautpaares, die ganze Verwandtschaft usf. nach Kastelruth ins Dorfzentrum und haben sich traditionell beim Kirchturm (der separat drinnen steht) aufgestellt, das Hochzeitsfoto gemacht usw. und dann ist man noch ins Gasthaus, hat dort gegessen und gefeiert. Das machen die Kastelruther eigentlich jedes Jahr in Zusammenarbeit mit dem Tourismusverband und das ist immer auch ein Medienspektakel mit vielen Gästen die zum Zuschauen kommen. Im Jänner heuer war auch der Tourismusassessor da, und auf dem Platz ist auch alles erklärt worden: die Kostüme, die Trachten. Für den Gast ist das ganz interessant und auch toll zum Sehen. AK: Das ermöglicht auch indirekt Traditionen aufrechtzuerhalten. Aber gibt es umgekehrt auch Sachen die der Tourismus vom Leben im Dorf einschränkt, wie bestimmte Verkehrsbestimmungen? AT: Bei uns ist der Dorfkern im Sommer ab einer bestimmten Uhrzeit für Anrainer frei und für andere mit Autos und Leichtmotorräder gesperrt. Aber das ist wirklich nur das kleine Stück im Dorf, sonst sind sie nicht eingeschränkt - es werden sonst keine Straßen gesperrt. Für Einheimische, wie auch für Gäste, gibt es genug Unterhaltungsmöglichkeiten bei uns und eigentlich finde ich nicht, dass sie eingeschränkt sind. AK: Es gibt ein Kino/Garni von Armando Ronca71 hier in der Rosengartenstraße. AT: Das Gebäude in dem das Kino war, ist umgebaut worden, es hat unten Räumlichkeiten für ein neues Kino vorgesehen aber es ist nie ein Pächter gefunden worden. Der Filmclub und andere Kinos sind gefragt worden, ob sie zusammen das oben übernehmen und führen wollen, aber es rentiert sich nicht und bis heute ist das nie mehr aufgegangen. AK: Wie macht Kastelruth Werbung? Werden über dem Tourismusverband Werbungen in Deutschland geschaltet? Gibt es auch sekundäre Schaltungen, mit Beiträgen im Fernsehen oder über die Kastelruther Spatzen? AT: Die Kastelruther Spatzen brauchen kein Marketing, weil sie so bekannt sind, das wenn man sie heute in Deutschland erwähnt, jedes Kind weiß von was man redet. Für Kastelruth sind die Kastelruther Spatzen effektiv Werbung: unbezahlte und unbezahlbare. Sonst arbeitet der Tourismusverband sehr viel mit italienischen und deutschsprachigen Journalisten zusammen, es kommen oft welche her die sich das Gebiet zusammen mit dem Geschäftsführer vom Tour-
[Zimmer und Ferienwohnungen Jägerhaus, Seis am Schlern. Postkarte]
[Haus Fichtenwald, Seis am Schlern. Postkarte]
[Zimmer und Ferienwohnungen Jägerhaus, Seis am Schlern. Postkarte]
[Haus Wörndle, Seis am Schlern. Postkarte]
[Cafe-Konditorei Johann Fulterer, Seis am Schlern. Postkarte]
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ismusverband anschauen und die dann Artikel über das Gebiet in verschiedenen Zeitungen schreiben. Erst kürzlich war das 24-Stunden-Rennen in Kastelruth, da war RTL dabei und hat ein paar Tage lang zwei Minuten gesendet. Auf Messen wird auch gegangen.
72 Das Eurotel auf der Seiser Alm wurde 19581962 erbaut und von Lucio Dalla Bona & Jole Zamolo geplant. Der Hotelkomplex besteht aus zwei lang gestreckt, kontrapunktisch geknickte Baukörper mit modularen Wohneinheiten. Die Architekten stellen nicht durch alpenländische Formzitate, sondern durch eine dem Gelände angepasste Massenverteilung den Ortsbezug her.
AK: Ist die Seiser Alm eigentlich autofrei? AT: Es dürfen 250 Autos am Tag hochfahren. Wenn die 250 Autos um 8 oder halb 9 durch sind, dann wird bis 16 Uhr zugemacht, danach darf wieder jeder hochfahren, aber immer nur bis zum Kompatsch.
73 Der aus Norwegen stammende Schriftsteller Sigurd Ibsen, ein Sohn des bekannten Henrik Ibsen.
AK: Entwickeln sich dann frühmorgens nicht schon Rückstaus? AT: Nein, eigentlich nicht. Es gibt kostenlose Shuttlebusse im ganzen Schlerngebiet zur Umlaufbahn, die kann jeder Gast oder Einheimische benutzen und muss nicht mit dem eigenen Privatauto bis zur Umlaufbahn. Das man da jetzt die Straßen sperrt ist praktisch was für die Umwelt. Sicher, der Gast der oben gebucht hat darf mit dem Auto auch hochfahren, das ist kein Problem.
74 König August von Sachsen, die belgische Königin, der deutsche Philosoph Wilhelm Diltey (starb 1911 im Hotel Salegg), der Schriftsteller Karl Zuckmayr, der italienische Dirigent Arturo Toscanini, der Generaldirektor der Metropolitan Opera von New York Sir Rudolf Bing, der aus Kastelruth stammende Univ. Prof. Leo Santifaller, Manfred Eigen (Nobelpreisträger in Chemie vom Max-Planck-Institut in Göttingen), Kardinal Lecaro von Bologna, der Politiker Gustav Heinemann. In der Pension Sonne (damals Haus Renneberg) lebte der Pionier der Weltraumfahrt Max Valier aus Bozen, bei seiner Mutter.
AK: Auf der Seiser Alm gibt es auch ein Eurotel.72 AT: Das ist aber nicht schön, das ist ein Schandfleck. Es ist ein großer, weißer Komplex mit vielen Fenstern der überhaupt nicht oben reinpasst. Das glaube ich gefällt niemanden, weder dem Gast noch dem Einheimischen. Ich glaube da sind Wohnungen drinnen die jetzt an Touristen verkauft worden sind und dreiviertel vom Jahr leer stehen. Das ganze Haus und das rundherum schauen ein bisschen herabgekommen aus. AK: Wie ist der Tourismus in Kastelruth und Seis entstanden? AT: Früher waren ganz viele Maler und Dichter in Seis auf Sommerfrische, die im Laufe der Zeit ihre eigenen Villen gebaut haben, zum Beispiel die Villa Ibsen.73 Ganz viele haben auch im Hotel Salegg drüben gewohnt. Seis war ein Sommerfrischeort mit vielen berühmten Persönlichkeiten.74 Das hat alles vor dem Ersten Weltkrieg angefangen. Logisch, in der Kriegszeit ist alles unterbrochen worden und nach dem Krieg wieder alles neu aufgekommen.
75 Luis Trenker: Der verlorene Sohn, Deutschland 1933/34, s/w. Die Außenaufnahmen fanden im Karetseegebiet, in Kastelruth, New York und am Arlberg statt.
AK: Ist das eigentlich der Schlern, der im «verlorenen Sohn»75 von Luis Trenker in der Überblendung zu den Hochhäusern von New York gezeigt wird? Wirbt Kastelruth auch mit Luis Trenker oder macht das nur St. Ulrich? AT: Der Luis Trenker gehört mehr auf die Grödner Seite, auch wenn sie oben was gedreht haben. Ich glaube nicht, dass die Leute nach Seis und Kastelruth wegen Luis Trenker kommen.
[Kastelruth]
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76 Landesmuseum Schloss Tirol: Gruss von Schloss Tirol. Historische Fotografien und Ansichtskarten, Bozen 2003. 77 Ebd. 2. 78/79/80 Interview vom 18. Februar 2005 im Tourismusverein Dorf Tirol, mit der Mitarbeiterin des Tourismusvereins Dorf Tirol, Annette Winkler.
Dorf Tirol Dorf Tirol (Gemeindesitz) und die Ortschaft St. Peter breiten sich auf einer eiszeitlichen Moränenterrasse über Meran aus. Das Gemeindegebiet steigt vom Talboden der Passer hinauf bis an die Steilhänge der zur Texelgruppe gehörenden Mutspitze und umfasst einige der dort klebenden Muthöfe: eine Fläche von 25,6 km², die von 325 m ü.d.M. bis 3.000 m reicht, das Ortszentrum liegt auf circa 600 m ü.d.M. Wein- und Obstanlagen umgeben den Ort, der zu den wichtigsten Tourismusgemeinden des Burggrafenamtes zählt. Über dem steil abfallenden Köstengraben erhebt sich Schloss Tirol, als Stammschloss der Grafen von Tirol Namengeber für das einstige «Land an der Etsch und im Gebirge». 1972 ging Schloss Tirol in den Besitz der Südtiroler Landesregierung über und wurde 1984 als Landesmuseum wiedereröffnet. Schloss Tirol diente schon sehr früh als Kulisse für fotografische Inszenierungen und Selbstinszenierungen. Auf seinen ausgedehnten Reisen durch die Alpen machte der Pariser Fotograf Ernest Lamy in den 1870er Jahren auch in Südtirol Halt. Dabei entstand eine Reihe von Reisefotografien, die vielfach reproduziert in den Steckalben eines zumeist städtischen Abnehmerkreises landeten oder als stereoskopischen Aufnahmen in speziellen Betrachtungsapparaten Verwendung fanden. Solche Kompositionen fanden später auch Eingang in die Praxis des Amateurfotografen und gehörte als Form des Anwesenheitsbeweises seit jeher zu den besonderen Qualitäten der Fotografie und setzte sich bis in die Praxis des modernen Massentourismus fort. Schloss Tirol entwickelte sich dabei als beliebtes Motiv, nicht nur von Touristen, sondern auch von Sonntagsausflüglern aus der Umgebung. Dabei geht es u.a. auch um die eindeutigen Wechselwirkungen zwischen fotografischen Vorbildern, dem rein privaten Erinnerungsbild und der populären öffentlichen Bilderwelt der Postkarte. Stellt man die Ansichten von Schloss Tirol zusammen, kristallisieren sich vor allem vier Standpunkte heraus, und es scheint als ob die Fotografen nach der Fotowanderkarte von Agfa vorgegangen wären.76 Das Landesmuseum Schloss Tirol hat 2003 in der Sonderausstellung «Gruss von Schloss Tirol», historische Fotografien und Ansichtskarten nach den vier Standpunkten geordnet präsentiert. Abgesehen von der beliebten Bildproduktion am Schloss, war Dorf Tirol bis in die Fünfzigerjahre noch ein weltfremdes Bauerndorf und wurde erst vom automobilen deutschen Tourismus ab 1955 entdeckt. Nach nur zehn Jahren im Tourismusgeschäft schaffte es Dorf Tirol (1965) aber auf 200.000 Nächtigungen und überholte renommierte Orte wie Brixen oder Toblach.77 Heute sind 80% der Gäste Deutsche, die vor allem im Sommer Dorf Tirol aufsuchen. Die Übernachtungen die im Winter stattfinden betragen lediglich 13,5%. Die 580.000 der 676.000 jährlichen Übernachtungen im Sommer verteilen sich auf 9/10 in gewerbliche und zu 1/10 in private Beherbergungsbetriebe. Die Bettenzahl liegt über das doppelte der Zahl der einheimischen Bevölkerung. «Mir kommt nicht vor dass der Gast sich bewusst den «alpinen Romantikstil» erwartet, sondern dass sich die Hotels versuchen irgendwie abzuheben und dass das in bestimmte Extreme führt. Man macht eine Wellnesslandschaft, eine griechische Wellnesslandschaft, das typische tiroler Heubad. Man versucht sich durch irgendeine Spezialisierung von der Konkurrenz abzuheben und dadurch in eine bestimmte Richtung zu gehen, sprich auch die tiroler Richtung.»78 Annette Winkler
[Bernhard Johannes, Meran: Blick auf Schloss Tirol (KorrespondenzKarte), 1900. Lichtdruck, 89x139mm]74
[Familie Torggler und Familie Zipperle mit Schloss Tirol im Hintergrund, circa 1957. Silbergelatine-Print, 70x100mm]74
[Rosa Wassler mit den Kindern Anna, Maria und Raimund, 9. August 1964. Silbergelatine-Print, 70x100mm]74
In Dorf Tirol gibt es eine Polarisierung der Gäste zwischen Luxus und preiswertem Urlaub bzw. der Suche nach neuen oder renovierten Häusern und kleineren Vermieter (an die aber auch höhere Ansprüche gestellt werden). Dem authentizitätssuchenden Sommergast bietet Dorf Tirol Sonntagskonzerte, Themenwanderungen, Bergbauerntage, Apfel- und Weinführungen. Werbung macht der Tourismusverein eigenständig mit Anzeigekampagnen bzw. Aussendungen an ehemalige Gäste, über den Tourismusverband Meran/Dorf Tirol/Algund wird vor allem im deutschen Fernsehen ein Product Placement gesetzt.79 «Ich denke der Gast erwartet sich schon vom Hausherrn begrüßt zu werden und auch Kontakt mit dieser Familie zu haben. Das erwarten sich die Gäste wirklich, sie suchen den Kontakt zu den Einheimischen.»80 Annette Winkler
[Familie Wassler mit Schloss Tirol im Hintergrund, Januar 1967. Farbfotografie, 88x88mm]74
[Musikkapelle Dorf Tirol, 2003]
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Interview Annette Winkler Interview vom 18. Februar 2005 im Tourismusverein Dorf Tirol, mit der Mitarbeiterin des Tourismusvereins Dorf Tirol, Annette Winkler. AK: In habe in den letzten Tagen sechs Südtiroler Tourismusvereine besucht und mich in den «touristisch stark entwickelten Gemeinden» umgesehen. In Wolkenstein und Kastelruth ist mir erzählt worden, dass die Gäste vor allem auf die Zimmer achten und dementsprechend umgebaute oder neue Hotels buchen. Nach welchen Kriterien sucht der Gast in Dorf Tirol sein Hotel aus? AW: Das ist bei uns auch so, dass die Gäste, sagen sie möchten ein neues oder renoviertes Haus. Es geht auch mehr in Richtung kleinere Vermieter, an die aber auch höhere Ansprüche gestellt werden. Also wo gesagt wird, sie wollen ein relativ preiswertes Zimmer mit Frühstück in einem kleinen Haus, aber trotzdem schöne neue Zimmer haben. Diese neuen Sachen liegen nicht nur im Drei- oder Viersternebereich, sondern auch in den kleineren Häusern. AK: Wird was die Infrastruktur betrifft schon auf Wellness bestanden? AW: Das kommt auf die Gästestruktur an. Wir haben häufig beobachtet, dass es Leute gibt die herkommen und sagen, sie wollen ein Drei-, Vier-, Fünfsternehotel und Wellness, Massagen, sehr spezifische Anliegen die über Schwimmbad und Sauna hinausgehen. Dann gibt es verstärkt die, die wirklich nur auf den Preis schauen, die drei oder vier Nächte da sind und nur etwas Preiswertes suchen - die bestehen nicht auf Wellness. Es gibt eine Polarisierung: einmal Luxus schlechthin und einmal das auch wirklich nur auf den Preis geschaut wird. AK: Wie schauen formal die Um- und Neubauten aus? Wird viel im Sinne eines «Romantikstils» oder sog. alpinen Stils gebaut? Ich habe das stärker in Dorf Tirol gefunden wie in den anderen Gemeinden. AW: Mir kommt nicht vor, dass der Gast sich das bewusst erwartet, sondern dass sich die Hotels versuchen irgendwie abzuheben und dass das in bestimmte Extreme führt. Man macht eine Wellnesslandschaft, eine griechische Wellnesslandschaft, das typische tiroler Heubad. Man versucht sich durch irgendeine Spezialisierung von der Konkurrenz abzuheben und dadurch in eine bestimmte Richtung zu gehen, sprich auch die tiroler Richtung. Aber es gibt auch andere Hotels die in einen ganz anderen Stil gehen, gerade im Wellnessbereich. Aber das der Gast kommt und sagt, dass er wirklich tiroler Wellnessanwendung will, das ist eigentlich relativ wenig. Wir hatten im Sommer mehr angeboten, wo eben vor allem das Heubad mehr vorkam. Wenn man das anbietet sind die Gäste schon interessiert, wenn
man sagt das ist typisch für Südtirol, interessiert das die Leute schon auch. Es ist nicht so, dass sie herkommen und sagen sie suchen eine typische Tiroler Wellnesslandschaft, typische Tiroler Zimmer, sie suchen eigentlich mehr die wirkliche Gastfreundschaft, den Bezug zu den Leuten. Aber dass das direkt am Haus festgemacht wird, habe ich nicht das Gefühl. Sie legen das Haus eher fest nach einem gewissen Standard: neue Zimmer, schön hergerichtet, sauber, ordentlich und dann wirklich die Tiroler Gastfreundschaft. Sicher macht es Eindruck wenn man nach Dorf Tirol hochkommt und es ist ein bisschen Tirolerhaus-Baustil, das wirkt auch auf die Leute, aber es ist nicht so, dass direkt am Schalter Nachfrage danach ist. AK: Kastelruth arbeitet im Sommertourismus viel mit Prozessionen, Diavorträgen, es gibt eine Bauernhochzeit: Veranstaltungen die dem Gast das Dorfleben näher bringen sollen bzw. ihm das Gefühl geben daran teilzuhaben. Wie arbeitet Dorf Tirol? AW: Es wird musikalisch relativ viel gemacht: Im Sommer gibt es Sonntagskonzerte usw., die schon von den Leuten auch nachgefragt werden. Das Musikkapellen auftreten ist eigentlich regelmäßig der Fall, einige Gäste richten auch ihre Buchung danach. Was wir jetzt auch versuchen sind Themenwanderungen, die eigentlich auch ganz gut angenommen werden. Wir nehmen dabei regionale Themen her. Wir haben auch Apfel- und Weinführungen, die eigentlich recht gut besucht sind, wo Apfelbauern erzählen wie alles funktioniert und danach gibt es eine Verkostung. Genau das gleiche beim Wein, und danach die Verkostung. Das zieht eigentlich ganz gut. Was ganz erfolgreich ist: Wir haben Bergbauerntage oben bei den Muthöfen.81 Da trifft man sich gegen Mittag und fährt mit der Seilbahn hoch, oben erzählen dann die Bergbauern aus ihrem Leben. Nachher kriegen die Gäste Speck und Käse zu verkosten. Das ist jedes Mal voll, weil sie das Authentische suchen. Im Herbst, September/Oktober, haben wir Törggelezeit. Den Leuten gefällt es wenn sie mitkriegen was im Dorf abläuft.
83 81 «Ein Tag mit den Bauern Tourismusverband Meran/Dorf Tirol/Algund auf der Hochmuth - Bergbauerntag auf den Muthöfen. Seit dem frühen Mittelalter gehören die Muthöfe zu den höchstgelegenen und exponiertesten Südtiroler Berghöfen. Die Muthofbauern begleiten Sie von Hof zu Hof, erzählen vom Leben und Überleben am Steilhang und laden Sie zur Verkostung der eigenen Produkte.» 82 Der Naturpark Texelgruppe umfasst eine Fläche von 334.3 km², die auf die Gemeinden Schnals, Naturns, Partschins, Algund, Tirol, Riffian, St. Martin und Moos in Passeier verteilt ist. Die Schutzzone liegt zwischen dem Etschtal im Süden, dem Schnalstal im Westen, dem Passeiertal im Osten und dem Alpenhauptkamm im Norden. Sie umfasst somit die gesamte Texelgruppe, die nordwärts daran anschließenden Ötztaler Alpen mit dem Schnalser und dem Gurgler Kamm sowie einen kleinen Anteil der Stubaier Alpen zwischen Timmelsjoch und Timmelsjochberg.
AK: Wie funktioniert die Werbung bei euch? Schaltet Dorf Tirol Werbung in Zeitschriften und Fernsehen oder setzt der Tourismusverein auf sekundäre Werbung über Berichterstattungen? AW: Wir haben beides. Bei uns läuft die Werbung einmal direkt nur über «Dorf Tirol», also das wir eigenständig etwas machen, das sind Anzeigekampagnen. Wir machen auch Aussendungen, dass wir Adressen hernehmen die fünf bis sechs Jahre zurückgehen und versuchen damit Leute anzusprechen die schon mal da waren oder sich für Dorf Tirol interessiert haben. Dann gibt es noch viel zusammen mit dem Verband. Es ist zum Beispiel ein Film über den Naturpark Texelgruppe82 gedreht worden, der letzten Samstag [Dorf Tirol]
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gelaufen ist. Er erzählt nicht nur von Dorf Tirol, sondern im Grunde vom ganzen Naturpark. Aber wo wir dann merken, dass wenn er Sonntag gelaufen ist, wir Montag schon Anrufe bekommen wo die Leute vormerken. Wir hängen uns meistens beim Verband83 dran. AK: D.h. den deutschen Gast erreicht Dorf Tirol viel über das Fernsehen? AW: Durch Fernsehen und viel durch Anzeigekampagnen in Zeitungen. Wir gehen auch auf Messen mit dem Verband zusammen, wo wir das auch erreichen. AK: Ist die Umbauaktivität im Dorf auf gewisse Monate begrenzt? Gerade jetzt außerhalb der Saison wird viel umgebaut. AW: Das müsste man auf der Gemeinde nachfragen. Aber bei uns geht Mitte März, um den 12. herum oder eine Woche später (1-2 Wochen vor Ostern dieses Jahr), die nächste Saison los. Da versucht jeder im Großen und Ganzen mit allen Umbauarbeiten fertig zu sein. Aber ob es Fixpunkte gibt weiß ich nicht, da müsste man auf der Gemeinde nachfragen. AK: Es ist geläufig, dass man alle zwei bis drei Jahre umbaut, auch um den Stammgästen zu zeigen das man sich um sie bemüht. Was und wie wird zurzeit umgebaut? AW: Ich kann im konkreten auch nur sagen was ich sehe wenn man durch die Strassen geht. Garagen werden umgebaut, Häuser auf den neuesten Stand von Außen gebracht, aber was Innen gemacht wird, das müsste man auf der Gemeinde nachfragen. Ich weiß, dass verschiedene Hotels auch den Innenbereich umbauen, sprich Wellnessbereich, Hallenbad, Saunabereich, Restaurantbereich. Welches Haus effektiv was macht... wir sehen einiges aber sicher nicht alles.
Gäste denen das zusagt: die den Ort ganz ruhig erleben möchten, sie gehen spazieren. Wie gesagt, in der Neben- oder Nichtsaison wird viel umgebaut, es wird alles auf den neuesten Stand gebracht. Auch Urlaube werden gemacht, weil die Leute ein bisschen eine Regenerationsphase brauchen wenn man von Anfang März bis Anfang November durcharbeitet. Bis sich dann alles beruhigt, alles auf Vordermann gebracht wird. Gerade die Hotels legen neue Prospekte auf, die ganze Werbung, pflegen den Kontakt mit den Stammgästen. Alles zu dem man in der Saison zeitlich nicht dazukommt, weil man effektiv im Geschäft eingebunden ist, wird auf den Winter verschoben. AK: Dorf Tirol hat 2.500 Einwohner und 9.000 Betten. In der Saison vervierfacht sich soz. die Bevölkerung, das beeinflusst auch an die Infrastruktur. AW: Das sind wiederum Sachen die man auf der Gemeinde nachfragen muss, mit denen wir nichts zu tun haben. Man kann beobachten, dass gerade die Infrastruktur die mit dem Einkaufen zu tun hat, neben der Saison zurückgeschraubt wird. Viele oder fast alle Restaurants sind geschlossen, Lebensmittelgeschäfte haben verkürzte Öffnungszeiten oder haben Ferien. Man kann schon Einkaufen oder Essen gehen, aber es ist alles auf einem viel niedrigerem Level als in der Saison. AK: Woher kommen die saisonalen Kräfte? AW: Unterschiedlich. Ich wüsste nicht, dass wir da Statistiken vorlegen könnten, nur das was man beobachtet. Mir kommt vor, es kommen viele Kräfte aus der Slowakei, aus Ungarn, viele aus Ostdeutschland. In der Gastronomie schon auch einheimische Bedienungen, aber gerade in den Hotels, was das Personal anbelangt, eher aus den östlichen Ländern.
AK: Der Tourismus präsentiert auch den Einheimischen, schränkt ihn aber auch dadurch ein. In Schenna darf man nachts nicht mehr mit Leichtmotorrädern ins Dorf fahren. Gibt es ähnliche Bestimmungen auch in Dorf Tirol? AW: Es gibt gewisse beruhigte Bereiche, zum Beispiel unten der Aichweg ist ab einer bestimmten Höhe für Motorräder abends gesperrt. Solche Sachen gibt es straßenbezogen schon auch. Von den Häusern aus gibt es auch, dass sie selbstständig angeben ob sie interessiert sind Motorradfahrer aufzunehmen, um vom Haus her die Ruhe zu gewährleisten. Aber direkte Einschränkungen sind mir eigentlich nicht bewusst.
AK: Sind im Sinne der Authentizität, die Angestellten die mit dem Gast direkt (d.h. Bedienung, Rezeption) in Kontakt treten Einheimische und das Hilfspersonal (d.h. Küche, Zimmer) aus dem Ausland? AW: Es gibt schon auch Bedienungen für die Saison die aus Ungarn herkommen, sie können relativ gut deutsch, lernen ziemlich schnell italienisch und haben dann auch Kontakt zu den Gästen. Ich glaube es wird da nicht so unterschieden. Wenn jemand gut arbeitet wird nicht geschaut ob man den an den Gast lassen soll oder nicht.
AK: Dorf Tirol hat, wie andere Sommertourismusorte in Südtirol, eine sehr lange Saison mit Höhepunkt im Spätherbst, darauf folgt die sog. tote Saison. Was passiert in dieser Zeit, in der keine Gäste da sind? AW: Es gibt schon Gäste und einige Häuser die das ganze Jahr geöffnet haben. Es gibt auch
AK: Ist es nicht so, dass die Gäste, um der Authentizität näher zu kommen, sich am liebsten wünschen würden von der Tochter des Hoteliers oder des Bergbauern bedient zu werden? AW: Es kommt sicher auf der Haus und der Größe des Hauses drauf an. Wenn man jetzt in einen Pub geht oder in ein Restaurant zum Es-
[Caf Weinstube Andreas Hofer und Tirolerhof, Dorf Tirol]
[Dorf Tirol]
[Dorf Tirol]
[Caf Weinstube Andreas Hofer, Dorf Tirol]
[Kaffee Tirol, Dorf Tirol]
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sen, ist das sicher etwas anderes wie im Familienbetrieb in dem man wohnt. Ich denke der Gast erwartet sich schon vom Hausherrn begrüßt zu werden und auch Kontakt mit dieser Familie zu haben. Das erwarten sich die Gäste wirklich, sie suchen den Kontakt zu den Einheimischen. Aber ich glaube er erwartet sich nicht, dass die Bedienung unbedingt einheimisch sein muss. Aber das ist nur eine Vermutung die ich anstellen kann.
84 Um ab München nach Dorf Tirol zu kommen bietet der Tourismusverein wöchentlich jeden Samstag von März bis November eine Busverbindung an: «Ab München bis Dorf Tirol und zurück in modernen und bequemen Luxusbussen (inkl. Bordservice und Betreuung).» Analog gibt es eine Busverbindung für Gäste aus der Schweiz (über St. Gallen, Winterthur, Zürich, Sargans). Weiters samstags, einen Flug von Berlin oder Düsseldorf nach Bergamo (zum Preis von € 189,00-), hin und retour. «Von dort geht es circa 260 km weiter mit dem Reisebus nach Schenna. Die Weiterfahrt von Schenna nach Dorf Tirol ist organisiert und kostet zusätzlich € 18,00 pro Person.»
AK: Die Aufenthaltsdauer ist zurzeit in Südtirol durchschnittlich bei 6,5 Tagen. Geht sie auch in Dorf Tirol zurück? AW: Die Aufenthaltsdauer geht auf jeden Fall zurück, man sieht es werden kürzere Aufenthalte. Die Nächtigungszahl hängt bei uns immer ein bisschen davon ab wie lange die Saison ist. Dieses Jahr wird sie sicherlich ein bisschen höher liegen wie vergangenes Jahr, weil wir einfach früher anfangen im Vergleich mit anderen Orten. Die fangen vielleicht eine Woche früher an oder hören eine später auf. AK: Um Gäste schneller und bequemer nach Dorf Tirol zu bringen gibt auch die Shuttlebusse84 nach München bzw. zu den Flughäfen. Wird das viel in Anspruch genommen? AW: Er wird relativ viel in Anspruch genommen, viel von Stammgästen, viel von älteren Leuten denen es zu anstrengend ist mit dem Auto runter zu fahren. Im Zug ist es für sie auch relativ umständlich, weil man in Bozen umsteigen muss und dann auch schauen wie man von Meran heraufkommt. Das wird ganz gut in Anspruch genommen, es ist eigentlich auch preiswert. Man ist ganz zufrieden.
[Dorf Tirol]
[Hochmuth, Dorf Tirol]
[Dorf Tirol]
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85 Monika Putschögl: Die schlauen Bauern von Schenna. Aus: Die Zeit, 18.08.2005 Nr.34, Hamburg: 6 86 Ebd. 1. 87/88 Ebd. 6. 89 Interview vom 18. Februar 2005 im Tourismusverein Schenna, mit dem Mitarbeiter des Tourismusvereins Schenna, Walter Egger. 90 Südtiroler Marketing Gesellschaft (SMG): Südtirol in Zahlen 2003, Bozen 2004.
Schenna Schenna liegt nordöstlich von Meran am Eingang des Passeiertals, an den Westhängen des Ifinger Bergstockes. Es zählt um die 2.700 Einwohner und erstreckt sich über eine Fläche von 48 km², reicht dabei von der Stadtgrenze Merans (300 m) bis zu den Gipfeln der Sarntaler Alpen, dem Hirzer (2.781 m) und dem Ifinger (2.581 m). Neben dem Hauptort, der auf 600 Metern in einer Hangmulde liegt, umfasst die Gemeinde weitere sechs Ortsteile die von 716 m bis 1.536 m reichen. Aus dem Bauerndorf mit 206 Gehöften und zwei Gasthöfen hat sich in 50 Jahren der Ort mit den höchsten sommerlichen Gästezahlen entwickelt. Schenna stand im Einflußbereich der nahegelegenen Stadt Meran, die im Mittelalter für kurze Zeit die Hauptstadt des Landes Tirol war und sich ab 1850 zur Kurstadt entwickelte. Schenna spielte dabei keine bedeutende Rolle, sondern war bis in die Fünfzigerjahre auf die herkömmliche Landwirtschaft (Ackerbau und Viehzucht), vorwiegend für den Eigenbedarf, beschränkt. Ende der Fünfzigerjahre wurde die Straße vom 4 km entfernten Meran angelegt und die Einwohner spendierten, auf den Tourismus bauend, den Gehsteig mit dazu. Ein paar Jahre später finanzierten die Hoteliers die Beleuchtung für den Ort. Die Landwirtschaft stellte sich mit gezielten Maßnahmen im Apfelbau um. 1965 erreichte Schenna eine Übernachtungszahl von 100.000. Auch die Bombenanschläge der Sechzigerjahre taten dem Tourismus in Schenna keinen Abbruch, zwischen 1960 und 1963 verdoppelten sich die Übernachtungszahlen jährlich.85/86 Der 1955 in Schenna gegründete Verein für Kultur, Heimatpflege und Verschönerung war maßgeblich an der Entwicklung des Fremdenverkehrs beteiligt. 1956 wurde zu Blumenwettbewerben aufgerufen, am Sonntag gab es Spätgottesdienste für Urlauber (der Messner und die Ministranten wurden vom Verein bezahlt). 1962 wurde das erste Werbeplakat gedruckt und 1964 zum ersten Mal in deutschen Zeitungen inseriert. Für die Einheimischen organisierte der Verein Lichtbildervorträge, damit der Bauer als Hotelier lernen konnte sich mit den Gästen zu unterhalten.87 1964 legten das Hotel Hohenwart und das Hotel Starkenberg das erste Schwimmbad Schennas an. Heute ergeben die 50 Hallenbäder und 100 Freibäder über die Beckenrandlänge zusammengezählt fünf Kilometer Strand; Schenna hat die höchste Schwimmbaddichte im Alpenraum. Die Hotels werben dementsprechend mit Schwimmbad, Sauna und Solarium bzw. Wellness. Alle Hotels sind Familienbetriebe, die 800 Saisonalarbeiter aus Tschechien, Slowakei, Ungarn, Polen und Pakistan beschäftigen.88 Mittlerweile hat Schenna 5.400 Betten, u.a. 15 Viersterne- und 35 Dreisternehotels, inkl. der früheren Dorfgasthöfe Schlosswirt und Schennerhof. Mit einer Übernachtungszahl von 900.000 und 100.000 jährlichen Ankünften gehört Schenna zu den fünf erfolgreichsten Tourismusgemeinden in Südtirol. Die Gemeinde Schenna verfügt über ein Erlebnisfreibad, zwei Tennisplätze, einen Fußballplatz, einen Eislaufplatz im Winter, ein durch 3 Seilbahnen (Taser, Verdins-Tall, Saltaus-PrennKlammeben) ergänztes 220 km weites Netz an Wanderwegen. Die Gäste kommen zu über 8/10 aus Deutschland und werden fast ausschließlich in gewerblichen Beherbergungsbetrieben untergebracht. Der Tourismusverein bietet wöchentlich samstags einen Bus bis München an um Gäste, die ein Hotel in Schenna gebucht haben, abzuholen.89 Im Sommer 2003 hatte Schenna die höchste Nächtigungszahl (769.310) Südtirols.90
[Schenna, Ferienkatalog 2005]
[Schenna, Ferienkatalog 2005]
[Schenna, Ferienkatalog 2005]
«Die Alpenwelle die es einmal gegeben hat mit dem schweren Holz, ist sicher vorbei, der «Alpenlook» ist sicher vorbei. Es soll heute hell sein und es wird auch so gebaut. Vielleicht ist es im Winter nicht so extrem wie im Sommer, wo es vielleicht doch von der Helligkeit wieder anders ist. Vielleicht im Winter, wenn die Gäste wieder länger in den Stuben sitzen, sie dann das Holz schon noch gern haben. Holz haben sie schon gern, aber nicht zu schwer, nicht zu viel.» Walter Egger Die bevorzugte Lage, das Klima, das vielfältige und qualitativ hochwertige Angebot an touristischen Einrichtungen, der persönliche Einsatz und die Betreuung der Gastgeber haben Schenna den Erfolg gebracht. Die Bauern sind im Dorf geblieben und ernten jährlich über zehn Millionen Äpfel. Im Winter verwandelt sich Schenna in eine Landschaft von Kränen und Baustellen, da sich über 80% der Übernachtungen auf die Sommermonate verteilt. Während die übrigen Siedlungen noch von der Landwirtschaft dominiert werden, hat sich das Erscheinungsbild von Schenna selbst auf Grund der intensiven touristischen Nutzung entsprechend verändert.
[Schenna, Ferienkatalog 2005]
[Schenna, Ferienkatalog 2005]
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Interview Walter Egger Interview vom 18. Februar 2005 im Tourismusverein Schenna, mit dem Mitarbeiter des Tourismusvereins Schenna, Walter Egger. AK: In Schenna wird zurzeit viel umgebaut. Was für Um- und Neubauten werden von den Betrieben gemacht? Geht es, wie in Österreich, darum auf Wellness umzustrukturieren? WE: Es wird viel umgebaut, aber teilweise auch abgerissen und neu gebaut. Bei einem größeren Haus ist das das Um und Auf, dass das eingebaut wird. Das sieht man auch bei den Umfragen: Wellness ist zurzeit ganz gefragt. Hier in Schenna gibt es 50 Häuser mit Hallenbad und knapp 100 mit Freibad, das gibt es sicher so schnell nicht noch mal. Es ist auch früher schon bekannt geworden, dass Schwimmen oder das Wasser ganz wichtig sind. AK: Kommen die Gäste in Schenna hauptsächlich aus Deutschland? WE: Im Ganzen haben wir über 85% deutsche Gäste. AK: Was sind die Kriterien durch die sich ein Gast sein Zimmer aussucht? In vielen Tourismusvereinen ist mir gesagt worden, dass vor allem auf neue Zimmer geschaut wird bzw. dass das Hotel umgebaut hat. WE: Es wird viel danach gefragt, das stimmt auch. Die Alpenwelle die es einmal gegeben hat, mit dem schweren Holz, ist sicher vorbei, der «Alpenlook» ist sicher vorbei. Es soll heute hell sein und es wird auch so gebaut. Vielleicht ist es im Winter nicht so extrem wie im Sommer, wo es vielleicht doch von der Helligkeit wieder anders ist. Vielleicht im Winter, wenn die Gäste wieder länger in den Stuben sitzen, sie dann das Holz schon noch gern haben. Holz haben sie schon gern, aber nicht zu schwer, nicht zu viel.
log wählt und ihn aufblättert, dann schaut er sich schon gern die Häuser an die ein bisschen verspielt sind, wenn ein Haus schön gebaut ist, hell, nicht zu überladen.
91 Josef Mair 92 Hotel Hohenwart ****S, Schenna.
AK: In Schenna haben fast alle Hotels ein Schwimmbad? WE: Die Hotels sowieso, die kleineren Häuser auch. AK: Wie groß sind die Betriebe, gibt es viele mit einer Bettenzahl über 100? WE: Nein, das sind schon große. Es gibt eher wenig mit 100 Betten, zwei bis drei. Unser Präsident91 hat eines der größten Hotels92 mit 120 Betten, aber es sind drei Häuser, das zweite hat ungefähr 70 Betten. Im Schnitt haben die Hotels 60 Betten, das sind eher überschaubare Häuser, Familienbetriebe, familiär geführt. AK: Die Hauptsaison ist im Spätherbst? WE: Die Hauptsaison ist im September/Oktober. AK: In Schenna gibt es eine sehr lange und eine «tote» Saison. Gibt es Richtlinien wann umgebaut werden darf? WE: Es gibt Empfehlungen, aber Richtlinien gibt es nicht. Letztes Jahr ist beklagt worden, dass ein paar schon Ende Oktober angefangen haben umzubauen. Da waren noch die letzten Gäste da, weil die Saison bis zum ersten Samstag/Sonntag im November geht. Viele haben schon eine Woche vorher angefangen, weil sie durch den frühen Ostertermin sonst nicht fertig werden würden. AK: In Schenna gibt es eine Richtlinie die es verbietet ab 23 Uhr mit Leichtmotorrädern ins Dorf zu fahren. Gibt es weitere Einschränkungen für die Einheimischen die vom Tourismus kommen? WE: Das ist für die Gäste gemacht worden. Was Lautstärke und Verkehr anbelangt, nur das. Die Musikveranstaltungen im Freien dürfen auch nur bis 23 Uhr sein.
AK: Der Sommertourist ist ganz anders konstituiert als der Wintertourist. Er ist mehr an Kultur interessiert und Dorfleben zu partizipieren. Gibt es in Schenna, als Sommertourismusort, viele Veranstaltungen die das unterstützen? WE: Jede Woche gibt es Äpfelführungen, wo der Bauer die Gäste rumführt. Dann gibt es Wanderungen auf dem Walweg, Kulturwanderungen runter zum botanischen Garten, zu den Schlössern raus. Die sind recht gefragt.
AK: Wie ist das Dorfleben jetzt im Februar? Es gibt die Umbauaktivitäten und es wird schon auf die neue Saison hingearbeitet. WE: Das geht von November weg. Oben gibt es ein Hotel, das bis Juni/Juli bauen wird weil es erst im Rohbau steht und nicht mitten im Dorf ist. Er wird müssen weiterbauen. Man wird keinem Betrieb sagen können, sie müssen zu Ostern aufhören, finanziell geht das nicht.
AK: 70-80% der Gäste wünschen sich scheinbar den romantischen Stil der Architektur: die Türmchen, Erker, Säulen usw. Nur 5-10% würden sich etwas minimalistischeres, wie das neue Hotel auf dem Vigiljoch wünschen. WE: Das vom Vigiljoch könnte ich mir hier nicht vorstellen, ich weiß nicht ob das bei uns der Renner wäre. Wenn der Gast aus dem Kata-
AK: Hier und in Dorf Tirol ist die alpine Architektur viel stärker durch Türmchen repräsentiert, sie bestimmen als Element sehr prägnant die Architektur in Schenna. In Wolkenstein genehmigt das Bauamt das nicht mehr. WE: Türmchen sind oft der Aufzug. Ich kenne kein Hotel das so richtig verspielt ist. Das Romantische hat sicher auch was zu sagen.
[Pension Hohenwart, Schenna. 1957]
[Garni/Hotel Tschivon im Aggregatzustand, Schenna]
[Garni/Hotel Tschivon im Aggregatzustand, Schenna]
[Garni/Hotel Tschivon im Aggregatzustand, Schenna]
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AK: Dem klassischen Gast in Schenna ist wahrscheinlich die Landschaft wichtiger, dass er Wandern gehen kann, und dass er ein Schwimmbad hat. WE: Ganz genau, recht viel mehr braucht er eigentlich nicht, außer den Veranstaltungen. Aber Wandern ist hier ganz groß im Rennen. AK: Hat Schenna auch mit einer rückläufigen Aufenthaltsdauer zu tun? Durchschnittlich liegt sie in Südtirol schon bei 6,5 Tagen. Gibt es vom Tourismusverein Initiativen um die Gäste länger zu halten? WE: Die würde es schon geben, aber wie sollen diese Versuche gehen? Es ist eine finanzielle Frage und die Leute fahren eher immer öfter, aber kürzer dafür. Heute ist das die Mentalität die im Menschen drinnen ist, die Hektik: Er hat keine Zeit, er nimmt sich auch nicht mehr Zeit, 14 Tage zum Ausrasten. Es soll etwas los sein, er weiß nicht mehr recht was tun mit sich selbst.
[Schenna]
AK: Bei euch gibt es auch einen Shuttlebus der nach München fährt und die Gäste abholt. Was war der Grund für diese Initiative? WE: Das ist schon vor 15 Jahren gestartet worden: Im März, zum Saisonbeginn, gab es einen Zug von Hamburg bis nach Meran. Der hat Sonnenzug geheißen. Das ist auch ein zweites Mal gestartet worden und dann haben wir gesagt, dass es besser wäre das ganz durchzuziehen, da es eine aufwendige Sache war. Wir haben gesagt, wir fahren jeden Samstag bis München raus und Gäste, die nicht mehr Auto fahren wollen (das sind besonders ältere Leute), fahren mit dem Zug bis München runter und mit dem Bus weiter. Mit dem Bus kommen sie bis zum Haus hin, denn hier gibt es auch noch einen Gästebus. Dann brauchen sie eigentlich das Auto nicht. Das schätzen sie ziemlich und der Bus fährt am nächsten Samstag auch wieder mit ihnen raus. Sie können auch zwei Wochen bleiben oder drei, die meisten bleiben natürlich nur eine Woche. Vom Verkehr her ist es ein bisschen weniger geworden, weil sie das Auto nicht mit haben.
[Schenna]
[Schenna]
AK: Wie wirbt Schenna? WE: In Zeitschriften ist immer Werbung. Im Fernsehen war schon zweimal «Das Sonntagskonzert», das in Deutschland gern geschaut wird. «Wenn die Musi spielt» ist auch schon einmal da gewesen. Die bieten sich immer wieder an. Aber sonst haben wir keine Fernsehwerbung.
[Schenna]
AK: In Dorf Tirol hat man mir auch erzählt, dass die Fernsehsendungen viel ausmachen. Letzten Samstag gab es eine Dokumentation über die Texelgruppe und daraufhin haben am Montag viele Leute angerufen. WE: Über den Meraner Höhenweg. Das hat man sogar hier gemerkt, dass sich viele auf die Sendung hin gemeldet haben, obwohl wir nicht am Meraner Höhenweg sind. [Dorfkern von Schenna um 1898]1
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Pingpongpostmoderne®=JunkspaceRK «Zwischen 1975 und 2000 wurden in Innsbruck 150 Südtiroler zu Architekten ausgebildet. Interessant ist auch der Prozentsatz an Architekten im europäischen Vergleich. Bezogen auf 1.000 Einwohner hat Italien 1,3 Architekten, Deutschland 1,2, Frankreich 0,4, Holland und Spanien 0,3. Jene Länder, in denen Architektur einen bedeutenden kulturellen Stellenwert hat, haben am wenigsten Architekten. In Südtirol planen zwei Architekten je 1.000 Einwohner.»1
1/2 Zeno Abram: Landschaft im Dauerstress. Architektur zwischen Wirtschaftswachstum und Landschaftsschutz. Aus: Gottfried Solderer (Hg.): Das 20. Jahrhundert in Südtirol; Band 5, Kapitel 8. Bozen, 2003.
Im 5. Band des «20. Jahrhundert in Südtirol» wurde 2003 nicht nur von den vielen Architekturabsolventen vorgewarnt, sondern auch davor, dass «durch die EU-weiten Wettbewerbe ein neuer Trend in Südtirols Architektur eingezogen ist: die protestantische Ästhetik des Verzichts. Kaum ein Bauwerk in der Stadt verzichtet so sehr darauf, Architektur zu sein, wie die neue von den Züricher Architekten Bischof und Azzola geplante Universität am Sernesiplatz in Bozen. Sowohl innen wie außen ist von Raum, Plastizität, Licht nichts zu spüren. Die calvinistische Nüchternheit der Straßenseiten, die achtlose Verschattung des Sernesiplatzes, die Bar zeugen von einer protestantischen Strenge, die im krassen Gegensatz zum südländischen Flair der Stadt steht.»2
3 Heidrun Wieser: Das Leben ist ein Probelauf (Interview mit Matteo 10 Thun). Aus: Südtirol Life, Ausgabe 2, 2004: 1. Thomas Y. Levin: Zum Urbanismus der Situationisten (Geopolitik 4 Ansonsten widmet sich des Winterschlafs). Aus: ARCH+ 139/140, Jan. «Südtirol Life» allem 1997. «was aktive Menschen in Südtirol interessiert, beschäftigt oder erfreut». Deutlicher formuliert geht es um «Sport, Gesundheit, Reisen und Abenteuer, aber auch um Gesellschaft, Mode und Lifestyle».
«Ruheloses Neubeginnen endet in Sterilität.» Wallace Stevens
5 Ebd. 1.
In Südtirol lies 2003 der Meraner Unternehmer Ulrich Ladurner, nach Plänen von Matteo Thun, das 14.000 m² große Vigilius Mountain Resort bauen. Unmittelbar auf dem 1.500 m hohen Plateau neben der Bergstation der Vigiljochbahn wurde das Spa-Resort an Stelle des ehemaligen Hotels errichtet. Im Herbst 2004 veröffentlichte das Magazin «Südtirol Life» in seiner zweiten Ausgabe ein exklusives Interview mit Matteo Thun (Matthäus Graf Thun-Hohenstein): «Stararchitekt, geboren 1952 in Bozen. In Südtirol ist er der Größte, im Rest der Welt zählt er zu den ganz großen Architekten. Er wohnt und arbeitet in Mailand, doch sein wirkliches Zuhause ist Südtirol.»3/4 Im Interview mit Matteo Thun erfährt man, dass für ihn das «Geheimnis der Architektur Subtraktion und nicht Addition» 5 ist. Koolhaas definiert Junkspace substanziell als additiv: Junkspace greift dabei zu 13% auf römische Ikonografie zurück, 8% Bauhaus, 7% Disney, 3% Jugendstil. Aber nicht die Überladung muss und kann Junkspace generieren, sondern auch das Gegenteil: die absolute Abwesenheit von Details. «Ein entleerter Zustand beängstigender Spärlichkeit, ein schockierender Beweis dafür, dass so viel durch so wenig organisiert sein kann. Lächerliche Leere flößt die respektvolle Distanz ein oder die versuchte Umarmung die Stararchitekten in Anwesenheit der Vergangenheit beibehalten, authentisch oder nicht.» 6 Für Thun ist beim Entwerfen das Wichtigste Emotionen zu befriedigen. «So nimmt er der Hausbrandt-Tasse einfach den Henkel weg. Die Tasse muss man also mit beiden Händen halten. Durch Wegnahme entsteht etwas Neues: Der Kaffeetrinker macht eine neue, meditative Erfahrung, wenn er seinen Kaffee so trinkt, wie die Chinesen und Japaner Tee trinken.»7
6 Rem Koolhaas: Junkspace. Aus: Chuihua Judy Chung/Jeffrey Inaba/Rem Koolhaas/Sze Tsung Leong(Hg.): Harvard Design School Project on the City 2/The Harvard Design School Guide to Shopping, Köln 2002: 2. 7 Ebd. 1.
[Matteo Thun]
Architektur ist Bestandteil einer visuellen Kultur in der sich die Grenzen zwischen so genannter Hoch- und Populärkultur zunehmend auflösen.8 Südtirol selbst ist hermetisch: Was es, wie die Lehmtrennwände im Vigilius Mountain Resort, schafft ins Land zu kommen, wird angenommen und distribuiert sich auf die gesamte Region. Die Architektur des Hotels am Vigiljoch (die stark an die moderne Vorarlberger Holzarchitektur herankommt) [Rem Koolhaas]
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RV
+ENTE RV = PAVILLON®
8 Michael Zinganel: Alpe Aus: Peter Adria House. ����������� Spillmann/Michael Zinganel: Backstage*tours, Graz 2004: 3. 9 Rainer Hilpold: Therme Meran will «kaufkräftige Touristen». http://www. stol.it/nachrichten/artikel.asp?KatId=ca&ArtId =61592: 12.05.2005.
ist nicht die signifikante Neuerung für Südtirol, sondern der neutrale Standpunkt der bei einem (Neu)Bauvorhaben bezogen wurde um sich vom etablierten postmodernen copypaste der touristischen Architektur zu lösen. Ein Substrat das zwar von Matteo Thun genutzt wurde, aber vor allem auf den Unternehmer und Bauherrn Ulrich Ladurner zurückzuführen ist. Im Mai 2005 wurden auf einer Pressekonferenz anlässlich der Präsentation der neuen Thermen in Meran die Neuigkeiten vorgestellt die das sechsstöckige «Steigenberger-Hotel Therme Meran» in Südtirol einführt. Das Thermalhotel mit einem 1.150 m² großen Wellnessbereich wird einen «Bademanteltunnel» haben, der unterirdisch direkt zu den Thermalquellen führt. «Kulinarisches Highlight des Thermalhotels und absolutes Novum in Südtirol ist die Showküche, bei der sich das Kocherlebnis vom Restaurant aus beobachten lässt, weiters eine Champagnerbar, der Zedern-Salon und wiederum die Innenarchitektur bzw. das Design des Stararchitekten Matteo Thun.»9 Auch wenn in Südtirol in den nächsten Jahren verstärkt «Art- oder Designhotels» gebaut, bzw. bestehende dazu umgebaut werden, und damit versucht wird eine gewisse Selbstverständlichkeit zu garantieren, bleiben doch grundlegend die Strukturen der Pingpongpostmoderne aufrecht: Türmchen werden Flachdächer bekommen, Säulen geschleift. Nur die Aussagen, wie die Matteo Thuns, werden internalisiert und ins Vokabular aufgenommen werden. Das Neue wird eine weitere Erscheinungsform der Pingpongpostmoderne sein. Romantik wird von Minimalismus abgelöst, Addition wird durch Subtraktion legitimiert. Andere Lesearten, die eine weitere Neuorientierung implizieren und einleiten, aber die Architektur wird, in einer esoterischen Auslegung von Bedeutung und Nutzung, im wesentlichen Junkspace bleiben. In Matteo Thun wurde ein geeigneter Vermittler zwischen Architektur und Populärkultur gefunden. Im Südtiroler Landesgesetz ist die Möglichkeit für die Bürgermeister festgehalten, die Bauphasen der Gemeinden genau festzulegen, somit ist diese in einigen Gemeinden auf wenige Wochen im Jahr reduziert. Der Post-Tourist verfolgt das beeindruckende Spektakel des Umbaus in der toten Saison, das sich aus der biennalen Verpflichtung der Hotelerneuerungen als Beweis der Bemühungen um die Stammgäste ergibt, wie einen Pitstop in der Formel 1. Hoteliers übernehmen dabei bewährte Bestandteile aus einem unpublizierten Baumarktkatalog dessen Elemente und Funktionen immer wieder erneuert werden, aber nur selten wirklich neu sind. In seinem 1964 entworfenen «Fun Palace» hatte Cedric Price für die Mikrostrukturen innerhalb ihrer Mega-Trägerstrukturen eine radikale Vergänglichkeit ins Auge gefasst (gedacht war an ein Zeitmaß von etwa einem Tag oder der Dauer eines Spiels). Eine strukturelle Logik für die Verbannung des Funktionalen, die Variabilität des Raums für spielerische Aktionen aller Art und der Abhängigkeit von professionellen Bautechnikern für die Realisierung räumlicher Umgestaltungen, mit dem Ziel der Maximierung des Vergnügens. Die Dach- und Fußbodenelemente sollten voll beweglich sein, die Lebensdauer der Tragkonstruktion war ausdrücklich auf maximal zehn Jahre begrenzt. 8 Der «Fun Palace» wäre eine geeignete Grundstruktur für die changierenden formalen Anforderungen der Pingpongpostmoderne, denn der Pitstop selbst ist in seiner biennalen Konsequenz zu einem eigenen Event geworden, das von den Gästen, wie ein vom Tourismusverein organisiertes Feuerwerk, beobachtet wird.
[Matteo Thun: Vigilius Mountain Resort, 2003. Vigiljoch, Lana bei Meran]
[Pitstop]
[Cedric Price: Fun Palace. 1960-1961]
[Cedric Price: Fun Palace. 1960-1961]
[Cedric Price: Fun Palace. 1960-1961]
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RV
+ENTE RV = PAVILLON®
[Multiplicity: All Europe Key]
Dekorierter SchuppenRV+EnteRV=Pavillon® In seiner €topiakarte, die Europa als Stadt darstellt, setzt Theo Deutinger die Alpen als European Central Park.11 Der New Yorker Central Park entstand 1853 auf die Gefahr hin, dass die stark ansteigende Bevölkerung die verbleibenden Flächen im Raster Manhattans besetzen könnte. Das Land, das für den Park erworben und vermessen wurde, sollte nicht nur die größte Freizeiteinrichtung Manhattans werden, sondern auch die Aufzeichnung seines Fortschritts: Eine taxidermische Erhaltung der Natur, die für immer das Drama der über die Natur herausragenden Kultur darstellt.12 Die Entwurfsgrundlage des Central Parks war es einen Landschaftspark zu konzipieren, der die unterschiedlichen Gegenden der USA in Ausschnitten als Naturpark nachbilden sollte. Inflationär zur europäischen Urbanisierung sind die Alpen zu Projektionsflächen der acht Alpenstaaten geworden, die, vor allem im Tourismus, der delegierten Repräsentation und Vorstellung der Länder entsprechen müssen. Nicht zuletzt um traditionelle und nationale Werte in den Alpen ohne Verlegenheit repräsentieren und im alpinen Kontext auch retroaktiv als Original zu simulieren. Mit der Erstbesteigung des Matterhorns (1865) durch Whymper, nur zwölf Jahre nach dem Beschluss der Reservierung der Fläche des New Yorker Central Parks, begann sich auch der Europäische Central Park semiotisch aufzuladen. Analog zum New Yorker Park haben sich die Alpen erst zum Central Park gewandelt als die urbane Dichte des Umlandes den Differenzierungsgrad endgültig darstellte. Mit den immer dichter und höher werdenden Hochhäusern in New York und der Urbanisierung und Entstehung der Groszstädte in Europa wuchs die Bedeutung beider Central Parks, de
11 Regina Barth-Grössler/ Theo Deutinger: European Central Park. Aus: GAM 01 Tourismus und Landschaft, Graz 2004.
17 Kai Vöckler: Das Verschwinden der Alpen. Aus: Rüdiger Lainer, Heidi Pretterhofer, Dieter Spath: Lagerhaus Remake, Architektonische 12 Handlungsansätze für Rem Koolhaas: Delirious die Umgestaltung des New York, A Retroactive Handelsunternehmens Manifesto for Manhattan, «Unser Lagerhaus», Wien New York 1994. 2005. 13 Ebd. 3.
DS Dekorierter Schuppen
14 Robert Venturi/Denise Scott Brown/Steven Izenour: Lernen von Las Vegas, MIT 1972: 4.
E Ente
16 Ebd. 4.
19 Ebd. 4.
18 Ebd. 4.: �������������� «Die Ente ist ein Bau spezifischer Nutzung, der als Ganzes 15 Peter Blake: God‘s Own Symbol ist; der dekorierte Schuppen ist ein Junkyard: The Planned Deterioration of America‘s normales, schützendes Gehäuse, das Symbole Landscape, New York verwendet.» 1964.
[Central Park, New York. 1915-1925. Luftbild]
[Central Park, New York. 1915-1925.]
[Grafik/Fotomontage: Theo Deutinger]11
[Grafik/Fotomontage: Theo Deutinger]2
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RV
+ENTE RV = PAVILLON®
facto existieren sie erst ab diesem Zeitpunkt, aber nur die skalierte Version bedarf aufgrund ihrer Größe und Nutzung einer architektonischen Lösung. Doch die Architektur des europäischen Central Parks ist genauso wenig eindeutig einer (neuen) Typologie unterworfen oder zugewiesen worden wie der New Yorker oder ein anderer Park. Sie kann fast jede Form annehmen, generieren und rechtfertigen. Alles das bestimmte (variable) Paramerter erfüllt ist alpin, oder kann es sein, zumindest theoretisch. Die touristische Architektur ist Ort, Ereignis und Zeichen zugleich. Die Baumaterialien dieser touristischen Architektur muss man um Werbeprospekte, Inserate, Filme, Fotografie, Souvenirs, etc. erweitern - um alle Produktionen visueller Kultur, die dazu beitragen spezifische Orte zu mythologisieren.13 In «Lernen von Las Vegas»14 klassifizieren Venturi/Scott/Brown die Architektur der Verführung als «Ente» bzw. «dekorierten Schuppen»: «Da, wo die architektonischen Dimensionen von Raum, Konstruktion und Nutzung durch eine alles zudeckende symbolische Gestalt in ihrer Eigenständigkeit aufgelöst und bis zur Unkenntlichkeit verändert werden», diese Art eines zur Skulptur werdenden Hauses nennen Venturi/Scott/Brown «Ente» - zu Ehren des entenförmigen Auto-Restaurants «The Long Island Duckling», das Peter Blake in seinem Buch «God‘s Own Junkyard»15 abbildet. Wo Raum und Struktur direkt in den Dienst der Nutzung gestellt, und Verzierungen ganz unabhängig davon nur äußerlich angefügt werden, definieren sie den «dekorierten Schuppen». 16 Stadt und Land sind Mythen, deshalb halten sie sich auch so hartnäckig. 17 Der Ursprung des Urbanen liegt nicht unbedingt nur im städtischen Raum sondern auch in der Agrargesellschaft. Die Architektur der Verführung findet sich beiden und beherbergt nach evolutiven Zwischenstadien (in einem weiteren Zwischenstadium) den Junkspace. Die Grundtypologie des Parks findet sich in einem urbanen Bestandteil der Stadt wieder der es erlaubt eine ländliche Position einzunehmen: der Pavillon. Der Pavillon verlässt in der Stadt den urbanen Kontext und lenkt den Blick bzw. die Rezeption auf die Landschaft. In dieser eskapistischen Form und der Eventualität analog dekorierter Schuppen und Ente zu sein, kann man den Archetypus der Alpen, den Prototypen, im übertragenen Sinne im Pavillon determinieren: «Ein normales schützendes Gehäuse, das Symbole verwendet»DS aber auch «ein Bau spezifischer Nutzung, der als Ganzes Symbol» E ist.18 Der Alpenpavillon benutzt dabei gleichzeitig explizit «kennzeichnenden»DS und implizit «andeutenden»E Symbolismus, ist Architektur der BedeutungDS und Architektur des Expressiven E, benutzt symbolischenDS und expressivenE bzw. appliziertenDS und integriertenE Schmuck, verwendet mehrere MedienDS ist aber auch reine ArchitekturE, er ist SymbolismusDS und zitierende ArchitekturDS, besitzt gesellschaftsbezogenen MitteilungsgehaltDS, ist PropagandaDS, evolutionärDS, konventionellDS, benutzt neue WorteE und alte Worte mit neuer BedeutungDS, ist gewöhnlichDS außergewöhnlichE, konsistentE, bewährte KonstruktionDS, tendiert zu MegastrukturenE. 19 Der Pavillon ist direkt mit dem Landschaftsbegriff verbunden, vermeidet die Verlegenheit in einer urbanen Silhouette stehen zu müssen, erlaubt der Architektur der Stadt die Urbanität zu verlassen, ist Tempel. Strukturell hat er sich seit der Moderne in einer witterungsbedingten Adaption mit Pultdach u.a. in der Typologie der Stationsgebäude der Seilbahnen (im weiteren Sinne seit der Postmoderne in der Typologie der Schirmbar) bewährt. Übertragen siedeln sich die Pavillons der Alpen um die Hauptstraßen der Täler wie die Casinos und Heiratskapellen am Strip von Las Vegas an. Auch auf den Südtiroler Strips (der längste ist mit 30 km der des Grödnertals mit einer Abfolge von drei touristisch stark entwickelten Gemeinden) wird 133(10=Y)DEKORIERTER SCHUPPEN
RV
+ENTE RV = PAVILLON®
[������������������ Der Grödner Strip�]
[����������������������������������������������� «���������������������������������������������� Long Island Ducking��������������������������� »�������������������������� aus «�������������������� ��������������������� God‘s Own Junkyard�� »�]14
[Ente]13
[Straßenszenerie aus «�������������������� ��������������������� God‘s Own Junkyard�� »�]14
[Dekorierter Schuppen]13
versucht eine Geschwindigkeit vorzugeben, durch zahllose Kreisverkehre aufrechterhalten. In deren Gestaltung entlädt sich letztlich wiederum die Pingpongpostmoderne, u.a in Form von Springbrunnen und miniaturisierten Landschaften. Der Fahrgast von den zentrifugalen Kräften aufmerksam gemacht, die Autofahrt selbst «eine Folge von Bildern vor den Augen eines eingeschlossenen, etwas ängstlichen und teilweise unaufmerksamen Publikums, dessen Sicht selektiv und auf einen engen Ausschnitt in der Bewegungsrichtung begrenzt ist.»20
20 Donald Appleyard, Kevin Lynch, John R. Myer: The View from the Road, Cambridge 1964.
Die Pavillons vermeiden jede Eskalation, bieten sich als Grundgerüst für die lykanthropen Umbautätigkeiten an, erlauben strukturelle upgrades, tragen die barocke Komplexität der Fassaden, versprechen allgemeinen Konsens. Südtirol muss keinen reduzierten Serviervorschlag bewerben, da es selbst zu einem geworden ist und diesen, nach den kontinuierlichen Ausnahmezuständen die in Südtirol Moderne von Postmoderne trennen, im Ephemeren gefunden hat. Koolhaas erklärt, dass die Deprivation durch eine Überdosis oder einen Mangel an Sterilität hervorgerufen werden kann, beide Zustände finden im Junkspace statt (oft auch zur selben Zeit). Das Minimum ist���������������������������������������������������������� ������������������������������������������������������������� das ultimative Ornament des Junkspace�������������������� ��������������������������������������������������������� , «a self-righteous crime, the contemporary Baroque. It does not signify beauty, but guilt. Its demonstrative earnestness drives whole civilizations in the welcoming arms of camp and kitsch.» 21 Die ersten Hotels konnten noch eindeutiger dem dekorierten Schup����������������������������������������������� pen zugewiesen und Avoriaz, Flaine oder Kurzras als Ente (semiotisch als Hirsch) interpretiert werden, entsprechend die sich daraus ergebenen raumplanerischen Strukturen. Der Alpenpavillon ist eine Peritransplantation; der Barcelona-Pavillon oder die Villa Savoye mit Satteldach, Le Corbusiers Wohnmaschine, die «Maison Dom-ino»: «Ein Gerippe, völlig unabhängig von der Aufgabe des Hausgrundrisses: dieses Gerippe trägt die Deckplatte und die Treppe. Es wird aus Standardelementen hergestellt, die miteinander kombinierbar sind, was eine große Verschiedenheit in der Gruppierung der Häuser ermöglicht.»22 Die Fassade ist unabhängig vom Tragsystem, ebenso die Trennwände der einzelnen Räume des Hauses. Das Haus ist unabhängig von der Landschaft, durch die Pilotis kann man sich der entsprechenden Geländeform anpassen.
23 Le Corbusier: 1922, Ausblick auf eine Architektur. Ullstein, 1963.
21 Ebd. 2. 22 Le Corbusier, Pierre Jeanneret: Oeuvre complète de 1910-1929, Zürich 1974.
24 Interview vom 16. Februar 2005 in Wolkenstein im Büro des Betriebs Zimmermann (Zumpradëur) Karl Senoner mit Karl Senoner.
25 Andreas Platthaus: Der Rock der Theorie hat keine Taschen. Aus: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.08.1997, Nr. 184. 26 Jacques Derrida: Einige Statements und Binsenweisheiten über Neologismen, New-Ismen, Parasitismen und andere kleine Seismen. Berlin 1997. 27 Nanni Moretti: Caro Diario, Italien 1993. Regie: Nanni Moretti. Buch: Nanni Moretti. 28 «Liebes Tagebuch. Ich bin nur auf See glücklich, auf der Überfahrt zwischen einer Insel die ich eben erst verlassen habe und einer anderen die ich erst erreichen muss.» 29 Chuck Palahniuk: Fight Club. New York, 1996.
[Les Corbusier: la maison ����������������� «���������������� Dom-ino��������� »�������� , 1914.]
«If we eliminate from our hearts and minds all dead concepts in regard to houses and look at the question from a critical and objective point of view, we shall arrive at the «House Machine», the mass production house, healthy (and morally so too) and beautiful in the same way that working tools and instruments which accompany our existence are Le Corbusier beautiful.»23 ������������
Aber der Pavillon ist nur kleinster gemeinsamer Nenner und die modulare Vorfertigung ist ausschliesslich als Vorfertigung von Ideen und nicht baulicher Elemente zu verstehen, diese wäre aber eine logische Konsequenz aus der Erkenntnis und die Akzeptanz des Ausnahmezustandes. Denn die Pingpongpostmoderne kennt, wie die Postmoderne, keine Wahrheit in der Struktur und der Produktion dieser: Junkstructure beherbergt den Junkspace hinter Tonnen von Styrodur, die Struktur stöhnt unsichtbar unter der Dekoration oder ist selbst ornamental geworden.
[Les Corbusier: la maison ����������������� «���������������� Dom-ino��������� »�������� , 1914.]
«���� Das Cavallino Bianco war noch größer, kann man sagen. Die haben alles mit Fertigelemente gemacht, das ganze Haus ist aus Betonblöcken zusammengestellt worden und dann mit Gips verkleidet.�»24 Karl Senoner [Hotel Cavallino Bianco, St. Ulrich in Gröden]
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Der Alpenpavillon ist letztlich als statuierender Entwurf zu sehen. In «Einige Statements und Binsenweisheiten über Neologismen, New-Ismen, Parasitismen und andere kleine Seismen», die deutsche Übersetzung eines kalifornischen Vortrags von 1986, unterscheidet Jacques Derrida zwischen Dekonstruktion und Dekonstruktivismus. Die Dekonstruktion bildet die Erschütterung, die Seismen. Weil sie unter die Oberfläche eines Textes geht, stellt sie alle Werte in Philosophie und Literatur in Frage. Mit diesem «Widerstand gegen die Theorie» evoziert die Dekonstruktion jedoch einen stabilisierenden Entwurf, der als konstruktives Element aus ihr erwächst. Der Entwurf einer Theorie liegt für Derrida nur dann vor, wenn «er beansprucht, sich selbst zu enthalten, indem er alle anderen enthält, das heißt, indem er sie überbordet, sie überschreitet, sie in sich einschreibt». Der Entwurf ist ein Überwurf, ein Schleier, der auf alle bisherigen Theorien, die diese Diplomarbeit tangiert, gebreitet wird, ihre Konturen noch nachzeichnet, aber ihre Oberflächenwahrnehmung verändert. Für Derrida scheidet dies den Dekonstruktivismus als Entwurf von der Dekonstruktion als Technik, die keine Überformung vornimmt, sondern eine destabilisierende Verformung.25 Der stabilisierende, etablierende (establishing) bzw. statuierende Entwurf (stating jetty) der Dekonstruktion beruhigt mit seinen prädikativen Aussagen und assertorischen (versichernden) Statements, durch Behauptungen und Statements wie «dies ist das». Er ist das was man Poststrukturalismus bzw. Dekonstruktivismus nennt. Der destabilisierende bzw. de-statuierenden (devasting) Entwurf mit seinen Effekten von Dekonstruktion stellt sich paradoxerweise in einem «Widerstand gegen die Theorie» dar. Aber er ist ein produktiver Widerstand, ein Widerstand, der Theorie und Theorien produziert.26 In «Isole», der zweiten Episode in Nanni Morettis filmischen Tagebuch «Caro Diario»,27 besucht Moretti seinen Freund Gerardo (Renato Carpentieri) auf Lipari, der sich seit 11 Jahren ohne Fernsehen zurückgezogen hat und seit dem ausschließlich den «Ulysses» von Joyce studiert. Auf der Suche nach Ruhe (in Lipari versammeln sich die im Sommer in Rom fehlenden Autos), besuchen sie die (u.a. auch touristisch) unterschiedlich charakterisierten Äolischen Inseln: das von verwöhnten Einzelkindern und hyperprotektiven Eltern beherrschte Salinas, die bedrohliche Vulkanlandschaft von Stromboli, das exzessiv mondäne Panarea und ein unerträglich einsames Alicudi. Auf der Fähre zu letzterer wird Moretti bewusst, dass er nur auf der Überfahrt von einer Insel zur anderen glücklich ist: zwischen einer Insel die er erst verlassen hat und der nächsten, die er erst erreichen wird.
[Central Park, New York]
[European Central Park]
[Nanni Moretti: Caro Diario, 1993]
«Caro Diaro. Sono felice solo in mare, nel tragitto tra un‘ isola che ho appena lasciato e un‘ altra che devo ancora raggiungere.»28
Seine Ruhe nur noch im Transfer, im Zwischenstadium, findend, könnte man Nanni Moretti, der in Bruneck geboren wurde (seine Eltern waren zu Ferragosto in Südtirol auf Urlaub), genauso wie Matteo Thun versuchen einzureden im Herzen ein Südtiroler zu sein, so wie es die ambitionierte Journalistin von «Südtirol Life» im Interview mit Thun versucht hat. Die febrilen Umbauaktivitäten der Südtiroler Hoteliers gleichen einer rastlosen und unentschlossenen Suche nach Ruhe und sind selbst ein unbeständiges Reisen zwischen Inseln die den progressiven touristischen Gemütszuständen entsprechen bzw. versuchen zu ensprechen.
[Nanni Moretti: Caro Diario, 1993]
«With insomnia, nothing is real. Everything is far away. Everything is a copy of a copy of a copy.»29 [Nanni Moretti: Caro Diario, 1993]
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+ENTE RV = PAVILLON®
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068/E: MVRDV �������������� (2000): Costa Iberica. Upbeat To The ����������������� Actar. Leisure City. Barcelona,
020/E/F: TZR Galerie für bildende Kunst (http://www.tzrgalerie.de/)
069/A/B/C: Trenker, L. (1934): Der verlorene Sohn, D.
021/A/B/C/D/E: TZR Galerie für bildende Kunst (http://www.tzrgalerie.de/) 024/C/D/E: Joël ���������������� Tettamanti (�������������������������� http://www.tettamanti.ch/) 025/A/B/C/D/E: Joël ���������������� Tettamanti (�������������������������� http://www.tettamanti.ch/) 027/B/C/D/E: Jules Spinatsch (http://jules-spinatsch.ch/)
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075/B/C/D/E: Wirtschaftskammer Tirol, Fachgruppe der Seilbahnen (Hg.) (2000): Architektur und Seilbahnen von der Tradition zur Moderne. Innsbruck, Eigenverlag. 076/C/D/E: Wirtschaftskammer Tirol, Fachgruppe der Seilbahnen (Hg.) (2000): Architektur und Seilbahnen von der Tradition zur Moderne. Innsbruck, Eigenverlag.
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140ALPINERER ARCHITEKTUREN
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133/B/C/D/E: Venturi, R.; Scott Brown, D.; Izenour, S. (1997): Lernen von Las Vegas. Wiesbaden, Vieweg. Virilio, P. (1978): Fahren, fahren, fahren... Berlin, Merve. 134/D/E: Le Corbusier, Jeanneret, P. (1964): Œ����� uvre complète de 1910-1929. Zürich, Les Editions d’Architecture (Artemis). 135/C/D/E: Moretti, N. (1993): Caro Diario, IT.
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141ALPINERER ARCHITEKTUREN
A Agfa: 38, 119. Aggregatzustand: 4, 69, 87, 124, 135. Akkulturation: 12, 69. Alpenvereine: 7, 10-11, 13, 37. Alpinismus: 10-11. Alta Badia: 83, 104, 105-108, 109, 110-111. Anthropomorphismus: 23. Après-Ski: 19, 90, 93, 105. Authentizität: 5, 11, 14, 20-25, 60, 86, 90, 94, 108, 114, 117, 119, 120-121. inszenierte A.: 14, 20-25, 114. Avoriaz: 13, 31-33, 34, 134. B Badia: 60, 78, 83, 84, 93, 104, 105-108, 110. Baedeker, Karl: 17. Barthes, Roland: 24. Baukommission: 61, 104, 108. Baumann, Franz: 73, 76, 82, 83, 86, 90, 92, 93. Berann, Heinrich Caesar: 31. Bergfilm: 29, 37-38, 69, 70-71. Bergisel: 23, 28, 31. Bergisel Schanze: 23. Biennale (Venedig): 68. branding/brandscape: 22, 41. Brenner: 37, 87. Brennerautobahn: 13, 56, 82. Brennerbahnlinie: 78, 114 Breuer, Marcel: 33. C Cash, Johnny: 66. Cavallino Bianco, Hotel: 52-53, 82, 86, 97, 101, 103, 134. Central Park: 6, 132-133. New Yorker C. P.: 132-133. European C. P. : 6, 8-9, 132-133. Co-Branding: 41. Cook, Thomas: 17. collective gaze: 20, 22. corporate identity: 22, 39. Corte di Cadore: 34-36, 84-85. Corvara: 78, 82-86, 103, 104, 109, 110-111. Costa Iberica: 4, 68. cultural lag: 12. Cultural Studies: 17. D Debord, Guy: 18-19, 20, 38, 54, 58-59, 65-66. Dekonstruktion: 135. Dekonstruktivismus: 135. dekorierter Schuppen: 132-134. Deleuze, Gilles.: 51. Demetz, Thomas: 60. Derrida, Jacques: 135. Deutinger, Theo: 5, 6, 132. Die Illusionen ���������������������� der anderen: 21-22. Diorama: 37, 68. Disney(land): 15-16, 17, 22, 64, 83, 128. Distorsion: 5, 64, 82, 84. postmoderne D.: 60, 82. Dorf Tirol: 78, 86, 87, 95, 119, 120-122, 124, 125. Dolomiti Superski: 78, 103. Dystopie: 63. E Eklektizismus: 54. Engels, Friedrich: 58-59. Ente: 132-134. Ente Nazionale Idrocarburi (E.N.I.): 37, 85. Enzensberger, Hans Magnus: 18. Erlebnis: 11, 20, 21, 23, 26, 29, 37, 58, 70, 76. Markene.: 22-23, Landschaftse.: 26. Etymologie: 4-5, 24, 42-43, 54 Europa: 4-5, 6-7, 11, 12, 57-58, 68, 69, 77, 100, 114, 132. Europäische Union (EU): 4-5, 6-7, 57. Expedition Österreich: 29. EXPO/Weltausstellung: 36, 37, 68, 70.
F Fanck, Arnold: 11, 29, 37, 71-72. Faschismus: 38, 73, 77. Feifer, Maxine: 22. Film: 13, 29, 69, 70-72, 76-77, 133, 135, Bergf.: 29, 37-38, 69, 70-71. Heimatf.: 13, 72, 135. Flaine: 31-33, 134. Flirt de Luxe: 19. Foucault, Michel: 51, 63, 65. Frankenstein: 27, 29, 63. Fun Palace: 129. G gaze: 20. collective g.: 20, 22. romantic g.: 20. tourist g.: 20. Gefeller, Andreas: 18-19. Gellner, Edoardo: 34-36, 85. generic placement: 104. Goffman, Erving: 20. Gostner, Hubert: 66. Groszstadt: 132. Guide Bleu: 24. Gurschler, Leo: 33-34. H Hadid, Zaha: 23, 68. Heimat 27, 69, 72, 78, 123. Heimatfilm: 13, 72, 135. Heiss, Hans: 39-40. Herzog & de Meuron: 67-68, 70. Hofer, Andreas: 37. Holzmeister, Clemens: 73, 75, 76. Hotel: 10-14, 33-34, 36, 37, 38, 40, 63, 66, 68, 70, 73-74, 78, 128-129, 134-135. Palasth.: 11, 37. Hotelzimmervandalismus: 66. Hyperrealität: 22. I Iconic Turn: 18. Identifikation: 13, 23-25, 27. Identität: 5, 18, 20, 22-25, 28, 39-40, 55, 62-63, 64, 65. soziale I. 20. Ideologie: 11, 22, 58. Die deutsche I.: 58. information placement: 104. Inszenierte Authentizität: 14, 20-25, 114. Interaktion: 6, 18, 20, 31. Izenour, Steven: 133. J James Bond: 76-77. Junkspace: 41-42, 43, 64, 128-129, 133, 134. Junkstructure: 86, 99-103, 134. K Kastelruth: 60, 78, 86, 91, 92, 114, 115-118, 120. Kastelruther Spatzen: 86, 92, 113-114, 115-118. King Kong: 69. Klimahaus: 100, 101. Koolhaas, Rem: 4-5, 41-42, 43, 62, 64, 70, 128, 134. Kultur: 18-19, 23, 39-41, 63, 64-65, 66, 72, 83, 117. Bauk.: 73. Ferienkultur: 17, 63. Populärk.: 11, 17, 23, 83, 128-129. Subk.: 21. kulturkritisch: 11, 17, 20, 23. Kulturlandschaft: 23. Kurzras: 33-34, 134. L Lafargue, Paul: 63. Landauer, Karl: 54-55, 70. Landschaft: 26-29, 67-70, 71, 72, 74, 76, 78-79, 82, 84, 85, 93, 114, 125, 133, 134, postmoderne L.: 26-29. touristische L.: 21, 30-36.
142ALPINERER ARCHITEKTUREN
Landschaftspark: 132. Las Vegas: 22, 55, 133-134. Le Corbusier: 69, 73, 134 Legasthenie: 42-43. Lynch, David: 28-29. M Manierismus: 62. Marx, Karl: 58-59. Mattei: 34, 85. Matterhorn: 10, 11, 15-16, 17, 132. Meili, Marcel: 25. Meran: 37, 41, 67, 73, 78, 79, 82, 86, 98, 105, 107, 117, 119, 134, 123, 125, 128, Meran 2000: 67. Mies van der Rohe, Ludwig: 73. Moderne: 10, 11, 23, 29, 34, 51, 62, 66, 73-77, 82, 100, 133, 134. Monte Pana, Sporthotel: 73, 82, 83, 86, 90, 92, 93, 99, 100. Mont Ventoux: 10, 26. Moretti, Nanni: 135. Multiplicity: 130-131. MVRDV: 68, 70. Mythos: 23-25, 31, 65. N Neurolinguistische Programmierung (NLP): 42-43. New York: 69, 70, 73, 118, 132-133. Nicht-Orte: 62-64. Nietzsche, Friedrich: 11. NL Architects: 17. O Olang: 60, 83, 84, 87, 112. Original: 24, 51, 132. Ortsbild: 13, 73, 79, 91, 98, Ortsbildschutz(gesetz): 13. P Palasthotel: 11, 13, 37. Pauli, Manuel: 32. Pavillon: 68, 70, 132-135. Peritransplantationen: 67-70, 134. Peri-Urbanisierung: 57-59. Petrarca, Francesco: 10, 26. Pfaller, Robert: 22. Pingpongpostmoderne: 51-55, 59-64, 128-129, 134. Pitstop: 129. placement: 40-41, 104, 119. generic p.: 104. information p.: 104. product p.: 104, 119. plan neige: 13, 32. Ponti, Gio: 74, 92. Populärkultur: 11, 17, 23, 83, 128-129. Postmoderne: 62, 76-77, 82, 112, 114, 128-129, 134. Post-Postmoderne: 62, 64. Post-Tourist: 22, 66, 129. Price, Cedric: 129. product placement: 104, 119. Prometheus: 27, 63. Proust, Marcel: 62. Pruner, Mario: 43. Pseudo-Ereignis: 22. Q R Raeder, Marc: 20-21. Randstad: 4. Raum: 4, 19, 20, 22, 37, 41, 54, 57-59, 62-64, 64-66, 129, 133, Erlebnis/Ereignisr.: 19, 22, 37. Reiseführer: 10, 17, 24. Repräsentation: 18, 23, 26, 31, 40, 42, 66, 69, 132 kulturelle R.: 66. romantic gaze: 20. Ronca, Armando: 82, 86, 116, 117.
S Saas Fee: 12-13. Sachs, Wilhelm: 38, 73, 77. Schabus, Hans: 68. Schenna: 60, 78, 87, 95, 108, 121, 123, 124-125. Schirmbar: 19. Schnalstal: 33-34. Scott Brown, Denise: 133. Seilbahnen: 12, 25, 32, 34, 36, 67, 74, 75-77, 85, 98, 100, 107, 120, 123, 133. Semiotik/Semiologie: 18, 19, 24, 42, 132, 134. Serviervorschläge: 5, 31, 38-43, 65, 134. sights: 17. Simulation: 22. sites: 17. soziokulturell: 5, 12, 85. Spektakel: 19, 51, 58-59, 65-66, 70, 117, 129. Spinatsch, Jules: 14, 27. Sprache: 10, 17, 39, 40, 42-43, 64. St. Christina in Gröden: 73, 78, 82, 90, 91-95, 96, 97, 98, 99, 100, 105. St. Moritz: 11, 110. St. Ulrich in Gröden: 51, 60, 82, 86, 91, 94, 97, 100, 108, 114, 115, 118 Subtraktion: 128-129. Südtirol Marketing Gesellschaft (SMG): 39, 41. Sun-Belt: 4. T Tettamanti, Joël: 7, 24-25, 51, 67. Thun, Matteo: 82, 92, 98, 128-129, 135. Tourismus: 5, 10, 17-20, 21, 26, 31, 63, 69. Alpent.: 6-7, 10-14, 19, 21, 23, 69, 75, 132. Süd(tirol)t.: 37-43, 65, 73, 82-87, 90, 91-95, 96, 97-98, 99-103, 104, 105-108, 109, 110-111, 112, 114-118, 119, 120-122, 123, 124-125, 133. Tourismuskritik: 17, 22, 63. Tourismussoziologie: 18. tourist gaze: 20. Trenker, Luis: 37, 69, 71, 73, 86, 108, 118. Tschofen, Bernhard: 10, 23, 24, 29, 66, 73, 76. Tschurtschenthaler, Ivo von: 73, 86. Twin Peaks: 28-29. U Überblendungen: 69, 70-72. UN Studio: 23. upgrade: 4, 59, 79, 134. Urry, John: 19-20. Utopie: 4, 62-63. V Venturi, Robert: 62, 64, 133. Vigilius Mountain Resort: 82, 83, 92, 98, 99, 107, 116, 128. Visual Studies: 20. Visuelle Kultur: 17-18. visuelle Kultur: 128, 129. Volksmusik: 41, 113-114, 115-118. Vue des Alpes: 36. W Weltausstellung/EXPO: 36, 37, 68, 70. Whymper, Edward: 10, 132. Wolkenstein in Gröden: 60, 73, 78, 82, 83, 86, 91, 94, 96, 97-98, 99-103, 104, 105, 107, 110, 116, 120, 124. X Xanadu: 24-25. Y Z Zinganel, Michael: 19, 72. Zingerle, Guido: 27-29. Zuegg, Luis: 75. Zwischenstadien: 4, 69, 135.
143ALPINERER ARCHITEKTUREN
Danke: meinen Eltern, Kathrin Kircher, Stephan Ladurner, Julie Moes, Letizia Mirandola, Mario Pruner, Christina Simmel, Radmila Tasic, Peter Gantioler, Jörg Lonkwitz, Sonia Leimer, Daniel Angerer, Christina Linortner, Nina Rusanen, Laszlo Nagypal, Patricia Pongruber, Verena Kostner, Antonia Dika, Stefanie Burkhart, Familie Rufinatscha, Bernhard Brigola, Liebgard Pramhas-Richter, Amine Khouni, Alexander Frizzi, Manuel Winkler, Hans-Michael Mahlknecht, Theo Deutinger, Carlos Sambricio, Hans Heiss, Bernhard Tschofen, Peter Mörtenböck, Helmut Schramm, Michael Zinganel, Salon5uenf. Weiters: Dr. Sebastian Unterberger (Amt für Raumordnung der Autonomen Provinz Bozen), Landesinstitut für Statistik (ASTAT), Amt für Kultur (ufficio cultura), Norbert Raffaelli (Amt für überörtliche Raumordnung der Autonomen Provinz Bozen), Andrea Pertot (Tourismusverein Abtei), Manfred Canins (Tourismusverband Alta Badia), Hubert Dalponte (Tourismusverein CorvaraKolfuschg), Alexandra Trocker (Tourismusverein Seis am Schlern), Christina Demetz (Tourismusverein St. Christina), Anette Winkler (Tourismusverein Dorf Tirol), Dora Demetz (Tourismusverein Wolkenstein), Walter Egger (Tourismusverein Schenna), Petra Beyrer (CIPRA), Thomas Demetz (INU Südtirol), Karl Senoner, Luise Lutt (Amt für private Bautätigkeiten und Urbanistik der Gemeinde Meran), Franz Pixner (Geschäftsführer Skigebiet Meran 2000), Architektenkammer Provinz Bozen.