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Rechtsradar: Neue Gesetze
Seit der großen Finanzkrise im Jahr 2008 haben Gesetzgeber überall auf der Welt die Finanzmärkte mit einem regelrechten Regulierungstsunami – Stichwort Mifid, Solvency – überschwemmt. Hauptziel dieser Rechtsvorschriften war mehr Sicherheit für Kunden und mehr Stabilität im weltweiten Finanzsystem. Diese Entwicklung ist bis heute nicht abgeschlossen. Die Bestrebungen, insbesondere der EU-Kommission, gehen nach wie vor in Richtung Sicherheit und Stabilität. Einige jüngere Gesetzesvorhaben verfolgen aber auch andere Zielsetzungen wie Vereinfachungen für Marktteilnehmer oder das große Thema Nachhaltigkeit – ESG. Was auf der einen Seite vom Gesetzgeber möglicherweise Vereinfachungen bringt, bringt auf der anderen Seite neue Bürokratie mit sich. Unter dem Strich wird es für Unternehmen also komplizierter.
Der Börsianer hat sich bei Rechtsexperten in den großen Wirtschaftskanzleien umgehört und die wichtigsten gesetzlichen Neuerungen, die in den nächsten Monaten zu erwarten sind, zusammengetragen. Dabei richtet sich das Hauptaugenmerk auf die Themenbereiche Kapitalmarkt, Banken, Corporate/ M&A und Compliance. Zwölf Gesetzesvorhaben, die man im Blick haben sollte.
1. Der EU Listing Act: Damit will die EU die europäischen Kapitalmärkte für EU-Unternehmen attraktiver machen und den Zugang zum Kapitalmarkt für kleine und mittlere Unternehmen (KMUs) erleichtern. Ein Entwurf dazu wurde Ende letzten Jahres vorgelegt, mit einem Inkrafttreten ist nicht vor 2025 zu rechnen. „Dadurch ergeben sich eine Reihe an Änderungen die zum Teil auch für Marktteilnehmer nachteilige Folgen haben und die kritisch sind“, resümieren Florian Klimscha und Stephan Pachinger von Freshfields. So gilt insbesondere die Begrenzung der Prospektlänge als umstritten. Denn, so die Exper- ten: „Das kann dazu führen, dass die Anleger nicht alle für eine Anlageentscheidung erforderlichen Informationen erhalten.“ Außerdem sieht der Entwurf die Abkehr von der Ad-hocPublizität bei „gestreckten Sachverhalten“ und das Führen einer Liste permanenter Insider vor.
2. Das Retail Investment Package (RIP): Das RIP hat vor allem Verbraucher- und Kleinanlegerinteressen im Auge. „Jetzt erkennt der europäische Gesetzgeber, dass es für Kleinanleger durchaus verwirrend sein kann, was da so an Offenlegungen durch die Gegend fliegt“, meint Gernot Wilfing von der Kanzlei Müller Partner. Neben einer Änderung der gegenüber Anlegern offenzulegenden Informationen soll auch die Produktaufsicht und Governance erweitert werden. Barbara Just, Rechtsanwältin bei Dorda: „Wird die Richtlinie beschlossen, besteht weitgehender Anpassungsbedarf für Finanzdienstleister.“
3. Der Digital Operational Resilience Act (Dora): Um Finanzunternehmen widerstandsfähiger gegen Cyberattacken zu machen und um die digitale Betriebsstabilität zu erhöhen, ist auf EU-Ebene der sogenannte Digital Operational Resilience Act oder kurz Dora verabschiedet worden. Dieser führt dazu, dass Finanzunternehmen und für diese tätige IT-Unternehmen ab 17. 1. 2025 mit einer Vielzahl neuer Vorschriften im Bereich Cybersecurity konfrontiert werden. Zudem werden EU-weit einheitliche Berichtspflichten für Vorfälle in Zusammenhang mit der IT-Sicherheit von Fi- nanzunternehmen geschaffen. „Insbesondere kleinere Institute werden dadurch vor die Herausforderung gestellt, ihre internen IT-Abteilungen technisch aufzurüsten und personell zu verstärken, was mit hohen Implementierungs-, aber auch laufenden Kosten verbunden ist. Daher erwarten wir einen Anstieg von bankseitigen Auslagerungen an spezialisierte IT-Unternehmen, um den Anforderungen unter Dora möglichst kosteneffizient nachkommen zu können“, glaubt Robert Wippel, Finanzrechtsexperte von Baker McKenzie Wien.
4. Virtuelle Hauptversammlungen: Die österreichische Regierung hat kürzlich einen Ministerialentwurf präsentiert, der die Durchführung von Gesellschafter- und Hauptversammlungen per Videokonferenz nun dauerhaft gesetzlich regeln soll. Damit sind auch in Zukunft virtuelle und hybride Versammlungen möglich. Solche virtuellen Versammlungen sollen aber nur zulässig sein, wenn dies in der Satzung oder im Gesellschaftsvertrag vorgesehen ist. Insbesondere Kleinanlegervertreter laufen dagegen Sturm, weil sie befürchten, dass das Interesse der Kleinaktionäre an virtuellen Hauptversammlungen noch geringer ausfällt als jenes an physischen. Das Gesetz soll bereits Mitte Juli 2023 in Kraft treten.
5. Die MiCA-Verordnung (Markets in Crypto Assets): Vielbeachtet hat das Europäische Parlament kürzlich den weltweit ersten Rechtsrahmen für Krypto-Assets beschlossen. Die Verordnung soll 2024 in Kraft treten und für mehr Rechtssicherheit sorgen, weil Service-Provider künftig Zulassungen benötigen und Anforderungen an Betrieb, Organisation und Unternehmensführung erfüllen müssen, die jenen traditioneller Banken ähneln. Zahlreiche Exper-
VirtuelleHauptversammlungen
DigitalBaselIVOperationalResilienceAct(„Dora“)
dungslandschaft in Österreich wesentlich verändern und den Wirtschaftsstandort nachhaltig fördern.“
Gesellscha srechtliche Mobilitäts-Gesetz ten gehen davon aus, dass die europäische Kryptoregulierung einen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Kontinenten bringen könnte.
6. Das Gesellschaftsrechtliche Mobilitäts-Gesetz (GesMobG): Eine Umsetzung der bereits seit 2019 in Kraft befindlichen EU-Mobilitätsrichtlinie in österreichisches Recht dürfte unmittelbar bevorstehen. Dieses Gesetz schafft einen einheitlichen Rahmen für grenzüberschreitende Verschmelzungen, Sitzverlegungen und Spaltungen. Rechtsanwalt
Peter Blaschke von der Kanzlei FWP gewinnt dem Gesetzesentwurf viel ab: „Diese Änderungen sind zu begrüßen und für einen gesellschaftsrechtlich mobilen Binnenmarkt unabdingbar. Eine Umsetzung des Gesellschaftsrechtlichen Mobilitäts-
CSRDNachhaltigkeitsberichtsgesetz CSDDD
CorporateSustainabilityDueDiligenceDirective Green Claims Directive
Gesetzes bedeutet für Unternehmen deutlich mehr Mobilität und Rechtssicherheit.“
7. Das österreichische Start-up-Paket mit der Flex Cap: Die neu einzuführende flexible Kapitalgesellschaft soll den Bedürfnissen von Start-ups entgegenkommen und zu Vereinfachungen bei der Gründung führen, etwa durch die Senkung des Mindestkapitals auf 10.000 Euro. In einem parallel dazu geschnürten Startup-Förderungspaket werden steuerliche Begünstigungen für Mitarbeiterbeteiligungen und Wandeldarlehen eingeführt. Das Paket soll 2024 in Kraft treten. Start-up-Experte und Herbst-Kinsky-Partner Philipp Kinsky: „Die Einführung der Flex Cap sowie die steuerliche Begünstigung von Mitarbeiteranteilen wird die Grün-
8. Richtlinie zur Geschlechtervielfalt: Die EU-Richtlinie ist bereits seit 2022 in Kraft und soll die Geschlechterverhältnisse in den Leitungsorganen börsennotierter EU-Unternehmen verbessern. Bis Ende 2024 müssen die Mitgliedstaaten nationale Vorschriften erlassen, welche die Unternehmen dazu verpflichten, 40 Prozent ihrer nichtgeschäftsführenden Direktorenposten und 23 Prozent aller Vorstandsposten mit dem „unterrepräsentierten Geschlecht“, sprich mit Frauen, zu besetzen. Bis 2026 bleibt den Unternehmen dann Zeit, diese Anforderungen zu erfüllen. Auch Strafen können verhängt werden, sollten dem nicht nachgekommen werden. In Österreich ist hier noch ein weiter Weg zu gehen, sieht man sich die aktuelle Frauenquote in ATX-Vorständen an. „Jede Quote polarisiert. Tatsache ist aber, dass sich dadurch etwa die Diversität im Aufsichtsrat spürbar verstärkt und die Pluralität der Meinungsbildung verbessert hat. Was institutionelle Stimmrechtsvertreter wie Glass Lewis seit langem fordern, wird nun auch gesetzlich verpflichtend“, sagt Ursula Rath, Partnerin bei Schönherr.
9 Das Nachhaltigkeitsberichtsgesetz (CSRD): Im Rahmen der ESG-Prinzipien weitet die EU die Berichtspflicht für Unternehmen stufenweise aus. Ab 2026 werden auch börsennotierte KMUs dazu verpflichtet, jährlich einen Nachhaltigkeitsbericht abzuliefern. In Österreich sind 50.000 Unternehmen davon betroffen.
10 Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD) oder EULieferkettengesetz: Erst kürzlich hat sich das Europäische Parlament für ein EU-Lieferkettengesetz ausge- sprochen, das Unternehmen dazu verpflichtet, mehr Verantwortung für Menschenrechte, Arbeitsrechte und die Umwelt zu übernehmen (Seite 73). Betroffen sind Unternehmen mit 250 Mitarbeitern und mehr als 40 Millionen Euro Umsatz. Vorgesehen sind Übergangsfristen bis zu fünf Jahren. Schon jetzt sind aber österreichische Unternehmen wegen des deutschen Lieferkettengesetzes, das seit Jahresbeginn gilt, von der Thematik betroffen.
11 Die Green Claims Directive: Diese Richtlinie soll Greenwashing stärker regulieren. Der Entwurf soll im Frühjahr 2024 ins Europäische Parlament kommen.
12 Basel IV: Mit Basel IV steht eine Novelle des Regelwerks für Eigenkapitalvorschriften von Banken in den Startlöchern. Teil dieser Novelle ist die signifikante Erhöhung der Risikogewichtung bei jenen Finanzierungen, die aus den Cashflows einer