AP 2024: fotzenschleimpower gegen raubtierkaputtalismus

Page 1

DE Ein Alien sitzt auf einem Sessel und erzählt. Es erzählt von sich, wo es herkommt und warum es jetzt hier ist. Es durchlebt, was Generationen von Alienfrauen durchlebt haben: Der Rücken schmerzt, denn das Alien hat sich ein Leben lang kaputtgebückt. Als das Alien in einer Runde von Oberfeministinnen sitzt (deren Feminismus darin besteht, keine Putzfrau zu haben), bricht der Schmerz aus ihm heraus. Es erzählt von prekären Biografien und geschrotteten Wirbelsäulen, vom illegalen Putzen fremder Häuser mit ihrer Mutter, Oma und Tante. Es ist der Beginn eines galaktischen Befreiungsschlages: Althergebrachte Klischees über Flucht und Ankommen werden zerschlagen und Unmengen an Energie für den „Yugofuturismus“ freigesetzt, wie die Autorin und Schauspielerin Mateja Meded ihren tragikomischen Monolog bezeichnet.

EN An alien is sitting on a chair and talking. It is telling us about itself, where it is from and why it is here now. It is going through what generations of female aliens have gone through: its back hurts, the alien has been bending over all its life, to breaking point – kaput. When the alien finds itself within a circle of top feminists (whose feminism comprises not having a cleaning lady), its pain bursts forth. It tells a story of precarious lives and burst spines, illegal cleaning in strange houses together with her mother, grandma and aunt. It is the start of a galactic coup: traditional clichés about fleeing and arriving are demolished and boundless energy is set free for ‘Yugofuturism’, as author and actor Mateja Meded labels her tragicomic monologue.

The English version of the evening programme can be found here! festwochen.at/en/fotzenschleim-power-gegen-raubtier-kaputtalismus

13. / 14. / 15. Juni, 20 Uhr

16. Juni, 18 und 21 Uhr

Kosmos Theater

Deutsch

englische Übertitel

ca. 70 Min.

LECTURE UND Q & A VON DER OHNMACHT ZUR SELBSTERMÄCHTIGUNG

VON/MIT MATEJA MEDED

Montag, 17. Juni, 17 Uhr

Haus der Republik – Volkskundemuseum Wien

Hinweise

Empfohlen ab 14 Jahren

Publikumsgespräch

14. Juni, im Anschluss an die Vorstellung

Text, Konzept, Performance, Regie, Bühne, Kostüm Mateja Meded Voiceover Mika Amsterdam, Maria Hofstätter, Anna Laner Dramaturgie Anna Laner Licht Dulci Jan Ton Karl Börner Übersetzung Übertitel Lucy Jones Übertitel Leoni Reilly

Koproduktion Wiener Festwochen | Freie Republik Wien, Kosmos Theater, Mateja Meded

Premiere Juni 2024, Wiener Festwochen | Freie Republik Wien

MILO RAU IM GESPRÄCH MIT MATEJA MEDED

Milo Rau. Also Mateja, ich beginne gleich Fragen zu stellen. Wir machen dann daraus einen kleinen Text für das Abendprogramm und du kannst abändern. Ich stelle immer drei sehr simple Fragen. Erste Frage: Worum geht es eigentlich in fotzenschleimpower gegen raubtierkaputtalismus?

Der Titel hat ja zu einem irrsinnig schnellen Ticketverkauf und Aufmerksamkeit bis in den Nationalrat gesorgt.

Mateja Meded. Also die Hauptthemen sind natürlich Flucht und antislawischer Rassismus und es geht darum, wie ein Alien mit einer Bombe auf dem Weg zum Theater ist. Es ist eigentlich eine Tragikkomödie. Alles ist absolut intersektional, feministisch, aber das sind natürlich keine Worte, die man irgendwie drin haben will. Es geht aber, wie im Titel drinsteckt, auch darum, dass man Lust verspürt und dass man angetörnt wird.

M.R. Du hast die Begriffe „Flucht“, „intersektional“ und „Theater“ genannt. Alles sind Worte, wie du richtig sagst, die man nicht hören will, weil man denkt: okay, jetzt gibt es einen FluchtMonolog, das ist ja psycho und man hat schon so viele gehört. Aber was ist bei deinem Stück anders?

M.M. Ich überlege die ganze Zeit, wie Minderheiten ihre Geschichten erzählen können, ohne andere Minderheiten zu retraumatisieren. Und zwar so, dass die Themen nicht, sag ich jetzt mal, für die weiße Mittelschichtsgesellschaft weichgeklopft wurden und ohne dass wir naturalistisch von den Gräueltaten, die uns passiert sind, erzählen. Sondern mit Theatermitteln. Ich finde es ein bisschen schwierig, wenn man Leute nimmt, die etwas wirklich erlebt haben, die aber die Theatermittel nicht beherrschen. Dann stellt man sie einfach hin und sagt, mach mal und dann ist es authentisch. Ich finde authentisch total furchtbar. Die Frage ist, was für Theatermittel

können wir finden, um bestimmte Sachen zu erzählen, also visuell, aber auch im Umgang mit Text. Und ich glaube, das Allerwichtigste ist, wie können wir es sinnlich machen und eben auch lustig zugleich? Es ist wirklich ein Dilemma. Wie können wir empowern, unsere Geschichten zu erzählen, ohne das weiße Mittelschichtspublikum vor den Augen zu haben? Wir haben das so internalisiert … man muss sich wieder de­programmieren.

M.R. Wenn ich die Inhaltsangabe lese, habe ich das Gefühl, dass es gerade zu dieser Frage ein Meta­Text ist. Also wie eine kleine ÄsthetikTheorie zur De­Programmierung und des Empowerments.

M.M. Es ist ein Monolog, der aus der absoluten Dringlichkeit geboren ist, auch eine Stimme zu haben, weil Menschen, die fliehen, denen wird ja die Stimme immer genommen und deswegen erzählen sie auch nicht wirklich, was ihnen passiert ist. Ein Heilungsprozess kann nur eintreten, wenn wir empowert entscheiden, wie wir erzählen. Und die Dinge nicht nur tragisch erzählen, sondern irgendwie auch lustig. Es ist ja nicht alles tragisch. Mein ganzer Feminismus und Überlebenswille kommt natürlich daher, dass meine Familie und ich verfolgt wurden. Da kommt so eine Trotzhaltung: Okay, jetzt erst recht. Deshalb fing ich an, alles zu lesen, also auch wissenschaftliche Texte und zu gucken, wie es andere machen: in Filmen oder in anderen Performances. Wie haben sie diesen Code des Erzählens schon geknackt? Da sind zum Beispiel die Filme Black Panther oder Everything Everywhere All at Once tolle Referenzen.

M.R. Und was ist bei Black Panther interessant? Inwiefern ist da eine gute Rhetorik oder was hast du da rausgeholt?

M.M. Ich denke da immer an Alfred North Whitehead und die Theorie des Spekulativen. Die besagt ja, dass wir die jetzige Zeit in der Zukunft erzählen, dass wir eine Realität behaupten, wie sie überhaupt gar nicht ist und in die jetzige Zeit holen und dass wir so dann eben auch die Gegenwart verändern.

M.R. Also, dass wir die Gegenwart nach der Zukunft formen …

M.M. In der Gegenwart die Zukunft formen, indem wir eine andere Gegenwart behaupten.

M.R. Ja, verstehe.

M.M. In meinem Text schaffe ich das jetzt nicht ganz genau, aber das ist sozusagen das, wo ich mich immer wieder andocke, woran ich mich selbst immer wieder hinterfrage: Ist das jetzt okay, wie ich das erzähle oder müsste sich da nicht etwas Absurderes, etwas Lustigeres finden oder etwas Futuristischeres?

M.R. Eine ganz andere Frage: Alle, die jetzt diesen Abendzettel lesen, gehören zu den glücklichen wenigen, die ein Ticket gekriegt haben. Die FPÖ wollte ja vom Vizekanzler wissen, was „ Fotzenschleimpower“ eigentlich heißt und warum das in einem Titel vorkommen muss. Wir haben dann gepostet: Ja, wir wollen das auch wissen. Lustigerweise hat uns der Vizekanzler dann geliket, wie dich ja auch.

M.M. Ja, die schicken Herzchen­Support.

M.R. Also wie bist du auf diesen geilen Titel gekommen? fotzenschleimpower gegen raubtierkaputtalismus … Ich meine, das ist einfach ein super, super, super Titel! Was drückt er aus?

M.M. 2020 war ja Corona und ich war eine Woche bevor der Lockdown begann, aus allen Verträgen beim Maxim Gorki Theater draußen. Ich hatte einige Pläne, aber dann kam eben der Lockdown und niemand hat sich mehr gemeldet. Niemand hat auf E­Mails geantwortet, Sachen wurden abgesagt, ohne dass mir Bescheid gesagt wurde und ich habe, im ganzen Jahr 2020 8.000 € zur Verfügung gehabt. Ich habe illegal in meiner Wohnung gewohnt, weil ich sie nicht bezahlen konnte und deshalb fristlos gekündigt wurde. Mein Telefon und Internet wurde auch gesperrt, da ich es ja nicht mehr bezahlen konnte. Und ich lag dann so ganz alleine während Corona im Bett und das einzige Hobby, das übrigblieb, war Masturbation. Ich habe dann diese ganzen wissenschaftlichen Texte gelesen und masturbiert. Und da dachte ich mir, so, genau so muss es eigentlich sein.

Ich wusste, dass ich hier gerade in diesem Zimmer alleine bin wegen des Kapitalismus. Ich hab mich dann auch mit dem Patriachat und so beschäftigt und bin dann auf den Schluss gekommen: hey, das Patriachat ist gar nicht ein alter weißer Mann, ein Einzelner, es ist das System in dem wir leben, das überhaupt gar nicht dafür gemacht ist, dass ich, jemand wie ich, aus diesem System ausbrechen kann. Es ist so programmiert, dass ich zerstört werde, wenn ich anfange, meine Stimme zu finden. Schon allein mein bloßes Dasein ist eine Provokation, dass ich überhaupt am Leben bin. Da schwingt auch immer so … es ist das System, in dem wir leben, das überhaupt gar nicht dafür gemacht ist, dass ich, jemand wie ich, aus diesem System ausbrechen kann.

eine Überlebensschuld mit, dass ich den Krieg überlebt habe. Und dann dachte ich mir, nee, ich lass das alles weg und ich will einfach nur Orgasmen haben. If it doesn’t give your orgasms, money or satisfaction, dann will ich das nicht in meinem Leben haben. Und so eine Kunst, die sinnlich ist, irgendwie, will ich auch machen. Die Geil ist und ich meine, Frauen vergessen ja immer ihren Orgasmus. Der kommt ja immer an zweiter oder dritter Stelle. Ich hab mir gedacht, eigentlich ist es ein emanzipatorischer Akt zu squirten. If I’m not squirting, I’m not flirting. Also ich glaube nicht an Revolutionen. Ich glaube an System Hack, das System zu hacken und an Inspirationen, also andere dazu zu inspirieren. Wenn ich die Performance mache, hoffe ich natürlich, dass Frauen vielleicht auch zu ihrer Sexualität noch tieferen Zugang bekommen, wenn sie den noch nicht haben. Weil eine neue Sexualität auch eine neue Weiblichkeit bildet. Man checkt, dass es ein Muskel ist, der sich auch so ausbreiten kann, ausdehnen kann, genauso wie so ein Schwanz. Der Kapitalismus an sich ist ja eigentlich ein Schwanz.

M.R. Weil er immer größer wird und sich aufwölbt oder wie?

M.M. Weil er alles so einnimmt und halt überall seinen Samen lassen muss und alles irgendwie. Es ist ja auch nochmal interessant, zum Beispiel, wie wir Geschichten erzählen. Anfang, Mitte, Ende. Das ist so ein Bogen – wie der männliche Pissstrahl auch und wie der männliche Orgasmus. Es kommt dann so hoch und dann geht’s runter und dann war es das aber auch.

M.R. Ist das im Stück, ja? Diese Theorien sind super spannend. Ich bin froh, dass sie im Stück sind, weil …

M.M. Und zum Beispiel weibliche Orgasmen sind ja so Buuuuuum Bum Bum Buuuum.

M.R. Ah, verstehe, das ist nicht so eine Storyline. Das ist quasi wie so ein Ausschlag von einem Wahrheitsdetektor.

M.M. Das sind weibliche Orgasmen. Also die Art und Weise, wie man das erzählt, das ist nicht eine Storyline, sondern ein Versuch, ein neues Narrativ zu finden, aber auch eine Form für diese Narration.

M.R. Das ist super – wie eine Theorie. Also ich glaube, wir müssen ganz schnell dann in der Transkription zu diesem Schluss kommen.

M.M. Und weil der Rest so uninteressant ist!

M.R. Doch, der ist super, aber das ist ja eher so eine Art Vorspiel zu dieser Theorie am Schluss. Ja, also, die Aufzeichnung läuft jetzt ab hier, es ist aus.

M.M. Sollen wir dann schön Tschüss sagen?

M.R. Ja, danke, danke für deine Zeit und sorry für die Terminfindungsprobleme. Aber jetzt haben wir das Interview und wir transkribieren das und machen einen Text draus.

Mateja Meded, geboren in Zagreb, lebt seit 1992 in Deutschland und ist Schauspielerin, Autorin, Regisseurin und Filmemacherin. Während ihres Studiums an der Filmuniversität Babelsberg arbeitete sie bereits am Maxim Gorki Theater Berlin. Dort war sie Mitglied des Ensembles, welches das mehrfach ausgezeichnete Theaterstück Common Ground in der Regie von Yael Ronen entwickelt und geschrieben hat. 2018 wurde sie als beste Schauspielerin bei dem Socially Relevant Film Festival New York nominiert. 2021 war sie mit ihren Shitfluencers Teil des Digitaltheaters am Theater Neumarkt in Zürich. Es entstanden kurze Theaterfilme, die Meded geschrieben, inszeniert und geschnitten hat. Im gleichen Jahr wurde eine ihrer Videoinstallation bei der Architektur­ biennale Venedig in der Gruppenausstellung 100 Ways to Say We gezeigt. Aktuell arbeitet Meded an ihrer Filmtrilogie mit dem Arbeitstitel Hack the system. Sie schreibt für das Theater und regelmäßig journalistische Texte, gibt Lectures über Flucht, Kunst, Politik und Migration und entwickelt kleine Performances für Kunstinstitutionen. 2022 schrieb sie gemeinsam mit dem Dramatiker Thomas Köck das Theaterstück the world flames like a discokugel (styx spricht) für das inklusive RambaZamba Theater und 2023 schrieb sie wieder im Duo mit Thomas Köck das Theaterstück keeping up with the penthesileas – from white feminism to neoliberal feminism, welches sie auch gemeinsam inszenierten und in dem Meded auch mitspielt. 2024 erscheint der Kinofilm Der Soldat Monika, in dem sie neben Maria Hofstätter und Philipp Hochmair zu sehen ist.

IMPRESSUM Eigentümer, Herausgeber und Verleger Wiener Festwochen GesmbH, Lehárgasse 11/1/6, 1060 Wien T + 43 1 589 22 0 festwochen@festwochen.at | www.festwochen.at Geschäftsführung Milo Rau, Artemis Vakianis Künstlerische Leitung (für den Inhalt verantwortlich) Milo Rau (Intendant) Textnachweis Das Interview führte Milo Rau am 3. April 2024. Übersetzung Lucy Jones Bildnachweis Cover © Boris Kralj Herstellung Print Alliance HAV Produktions GmbH (Bad Vöslau)

Hauptsponsoren Fördergeber

Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.