AP 2024 KADDISH REQUIEM "BABYN JAR"

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DE Auf dem heutigen Gebiet der ukrainischen Hauptstadt Kyiv wurden 1941 in der Schlucht Babyn Jar über 33.000 Jüdinnen und Juden von deutschen Nationalsozialisten ermordet. Es ist das größte Einzelmassaker des Zweiten Weltkriegs in Europa. Die Identität unzähliger Opfer ist bis heute nicht geklärt. In Erinnerung daran schrieb der ukrainische Komponist Jevhen Stankovych das Kaddish Requiem „Babyn Jar“ für Sprecher, Solisten, Chor und Orchester, das 2016 in der Nationaloper in Kyiv uraufgeführt wurde. Mit der Aufführung des Werks in der Freien Republik Wien spannt die international renommierte ukrainische Dirigentin Oksana Lyniv gemeinsam mit dem Kyiv Symphony Orchestra einen Bogen von der Vergangenheit in die Gegenwart und zeigt, dass Erinnerung eine Arbeit an der Zukunft ist.

Eines der berührendsten literarischen Werke ist das Gedicht Todesfuge von Paul Celan. Auf eine schematisch an die musikalische Fuge angelehnte Weise schildert der Dichter darin die Atmosphäre in einem Vernichtungslager. In seinem gleichnamigen Konzert für Violine, Sprecher und Orchester vereint der Komponist Evgeni Orkin symbolisch Zeit, Kunst und Geschichte. Hierbei wird der Orchesterapparat zu einer Art „Funkgerät“ der 1940er Jahre. Die musikalischen Einwürfe und Zitate der beiden Solisten verschmelzen zu einer Erzählung, die nichts von ihrer Aktualität verloren hat.

EN More than 33,000 Jews were brutally murdered by Nazi German forces in the ravine of Babyn Jar, on the current territory of the Ukrainian capital Kyiv, in 1941. It was the largest single massacre in Europe to have occurred during the Second World War. Countless victims have not been identified until this day. In commemoration, Ukrainian Yevhen Stankovych composed his Kaddish Requiem “Babyn Jar” for spoken voices, tenor, bass, chorus and orchestra. It premiered at the National Opera in Kyiv in 2016. The performance of the work at the Free Republic of Vienna with the Kyiv Symphony Orchestra under renowned Ukrainian conductor Oksana Lyniv draws a line from the past into the present and shows that remembrance is working on the future.

Paul Celan’s poem Todesfuge is one of the most touching works of literature. In this work, the poet describes the atmosphere in an extermination camp in a manner that draws on the structure of the fugue in music. In his concert of the same name for violin, spoken voice and orchestra, the composer Evgeni Orkin symbolically blends time, art and history. The orchestra itself thus becomes a kind of 1940s ‘transmitter’. The two soloists’ musical interjections and citations meld into a narrative that has still not lost its currency.

Information in English can be found here! festwochen.at/en/kaddish-requiem

Programm

Evgeni Orkin

Todesfuge für Violine, Sprecher und Orchester nach dem gleichnamigen Gedicht von Paul Celan (Uraufführung)

Jevhen Stankovych

Kaddish Requiem „Babyn Jar“ für Solisten, gemischten Chor und Orchester

2. Juni, 20 Uhr

Wiener Konzerthaus, Großer Saal

Musikalische Leitung Oksana Lyniv Mit Musik von Jevhen Stankovych Orchester Kyiv Symphony Orchestra und Mitglieder des YsOU Young symphony Orchestra of Ukraine Chor The National Choir of Ukraine „Dumka“ Mit Alexander Schulz (Tenor), Viktor Shevchenko (Bassbariton, Erzähler), Andrii Murza (Violine), Philip Kelz (Sprecher)

Koproduktion Wiener Festwochen | Freie Republik Wien, Wiener Konzerthaus

durchgeführt vom Team des Wiener Konzerthauses

Ein gemeinsames Projekt von Wiener Festwochen | Freie Republik Wien und Wiener Konzerthaus

KADDISH REQUIEM „BABYN JAR“

Für Solisten, gemischten Chor und Orchester

Text: Dmytro Pawlytschko

OUVERTURE

NR. 1

Chor:

HERR DES LICHTS

Herr des Lichts, der Güte und der Wahrheit Komm vom Himmel herab, komm auf unsere Erde. Hier brennt Menschenblut, ohne Gnade vergossen, Im Grab, wie eine unauslöschliche Umgrenzung.

Herr des Lichts, der Güte und der Wahrheit Lindere Tränen und Schreie im tiefen Dunkel. Mit Liebe umhülle zerbrochene Herzen.

Herr des Lichts, der Güte und der Wahrheit Komm vom Himmel herab, komm auf unsere Erde. Schenke der heiligen Asche die ewige Ruhe Gesegneten, immerwährenden Schlaf.

Bass Solo:

Herr des Lichts, der Güte und der Wahrheit

Tenor Solo:

Lindere Tränen und Schreie, Schreie im tiefen Dunkel.

Bass Solo: Komm vom Himmel herab, komm auf unsere Erde.

Tenor Solo: Mit Liebe umhülle zerbrochene Herzen.

Bass Solo:

Hier brennt Menschenblut Im Grab, wie eine unauslöschliche Umgrenzung.

Chor:

Gesegneten, immerwährenden Schlaf.

NR. 2

HIER LIEGEN WIR

Hier liegen wir, In Sand und Lehm, Hier liegen wir,

Zerstreut in alle Richtungen der Erde,

Tenor Solo:

Zerstreut in alle Richtungen der Erde

Chor:

Juden, Juden, Juden, Großväter, Mütter, Babys. Herr, oh Herr, Lass uns ausruhen vom Tod,

Vom Blick des Henkers. Herr, oh Herr, Lass uns ausruhen vom Tod, vom Blick des Henkers.

Tenor Solo:

Schenke der heiligen Asche die ewige Ruhe, Gesegneten, immerwährenden Schlaf.

NR. 3 KOMME GERICHT

Chor:

Komme Gericht und komme Strafe, Auf tut sich Babyn Jar, Blut schwappt heraus gleich einer Flut, Die Welle schlägt bis zu den Wolken. Komme Gericht und komme Strafe, Auf tut sich Babyn Jar, Es tritt der Richter in Lichtgestalt, An des Himmels Horizont.

Das Surmahorn schreit auf, Und das Geschlecht Davids Wird auferstehen.

Die Bestien, die Mörder und die Diebe Werden nicht entkommen.

Auf tut sich Babyn Jar, Komme Gericht und komme Strafe, Auf tut sich Babyn Jar, Blut schwappt heraus gleich einer Flut, Die Welle schlägt bis zu den Wolken. Der Himmelsrand zerfällt

Und Gottes Allmacht wird erscheinen, Die Gerechten steigen aus dem Grab, Die Bösen werden ins Grab geführt.

Sprecher:

„Herr, Du schufst den Menschen, Legtest Deinen Geist in dunklen Lehm. Zum Wohle und für heil’ge Taten

Gabst dem Menschen Du zum Lohne Deine Weisheit, Deine Schönheit, Vermachtest ihm Brüderlichkeit und Eintracht.

Wie nur sind wir, Deine Schöpfung voll irdischer Geduld, Wie Stein hineingeschlagen in die Erde?!

Waren denn auch die Dir gleich, Die uns wie Vieh ins Grabe warfen?!

Bedaure nicht unser Schicksal, Bedaure nicht die menschliche Schande –Selbst bedaure Dich, Herr!

Bedaure Dich selbst, oh Herr!“

Chor:

Wie nur sind wir, Deine Schöpfung voll irdischer Geduld, Wie Stein hineingeschlagen in die Erde?! Komme Gericht!

Und komme Strafe, Auf tut sich Babyn Jar, Blut schwappt heraus gleich einer Flut, Die Welle schlägt bis zu den Wolken. Komme Gericht!

NR. 4 VOM HERBSTWIND GEBEUGT

Bass Solo:

Vom Herbstwind gebeugt

Stehe ich über Babyn Jar, Und sehe den graubräuigen Vater, Den Bruder und meine Mutter.

Nicht hier starben sie schwer, Nicht hier schlafen sie erschöpft.

Doch ihre Gebete und flehentlichen Bitten, Rauschen in den Bäumen hier.

Hier sind Kyjiw und mein Kosakenvolk, Hier fühlt sich unser Blut so frei.

Tot und lebendig beten wir, Über dem verblich’nen brüderlichen Volk.

Ich sehe – Mutters Tränen glitzern

Auf den Wellen des Dnipro. Ich weiß – auferstehen wird meine Ukraine, Auf den Ruf der Güte hin!

NR. 5 GRAUER MOJSE

Chor:

Grauer Mojse, Zur Grube getrieben, Loderte deine lebendige Seele Wie Feuer.

Deine Trauer betrübte das Herz der wilden Tiere. Stolz standest du am Abgrund, Bedecktest die Augen der Kinder

Auf dem Weg in den Tod, Wie einem Opfer für Gott.

Tenor, Bass Soli:

Grauer Mojse

Chor:

Sie rissen dir die Kleider vom Leib wie Jesus, Doch in deinem Blick lag nicht Rache, Nur Verzweiflung und trauriger Vorwurf. Als hättest du eine neue Tafel gesehen, Und eingeritzt der Menschheit Gram, Die ungerechte, kranke Zukunft.

Tenor, Bass Soli: Grauer Mojse, zur Grube getrieben, Grauer Mojse.

Chor:

Hat man unschuldiges Blut umsonst vergossen, Werden wirklich Disteln Babyn Jahr bedecken, Wird der neue Zar die Völker unterjochen?

Nein, es weicht zurück des Todes böser Traum, Das jüngste Babylon zerfällt!

Freue dich! – Du bist nicht umsonst gestorben!

Freue dich!

Du bist nicht umsonst gestorben!

NR. 6 FREUET EUCH

Chor:

Freuet euch, freuet euch, Freuet euch mit uns, Freuet euch, ihr unschuldig Ermordeten, Im Tod vereint mit dem Schöpfer der Güte, Freuet euch, freuet euch, Die ihr leuchtet im Gewissen der Menschheit Wie die Sonne im Himmelsblau, In den gerechten Seelen der Geschöpfe, Meine unsterblichen Brüder.

NR. 7 GROSSER GOTT

Sprecher:

Großer Gott, Nach Deinem Willen gehen wir den Weg Nach Babyn Jar, Wo im Tod die Völker Du vereinst, Um zu bewahren des Lebens und der Freiheit Gabe. Lindere Tränen und Schreie im tiefen Dunkel, Mit Liebe umhülle zerbrochene Herzen.

Schenke der heiligen Asche die ewige Ruhe, Gesegneten, immerwährenden Schlaf.

Chor:

Schenke der heiligen Asche die ewige Ruhe, Gesegneten, immerwährenden Schlaf.

Oksana Lyniv ist seit 2022 Musikdirektorin des Teatro Comunale di Bologna und damit die erste Chefdirigentin eines italienischen Opernhauses. Ebenfalls als erste Dirigentin in der Geschichte der Bayreuther Festspiele eröffnete sie diese 2021 mit ihrer Debütproduktion des Fliegenden Holländers. Zu ihren Erfolgen zählen Auftritte an der Bayerischen Staatsoper, der Staatsoper Unter den Linden Berlin, dem Teatro dell’Opera di Roma, der Opéra National de Paris, dem Theater an der Wien, der Staatsoper Stuttgart und der Metropolitan Opera. Lyniv studierte an der Hochschule für Musik in Dresden und war bis 2013 stellvertretende Chefdirigentin an der Nationaloper Odessa. Bis 2017 arbeitete sie an der Bayerischen Staatsoper in München. Bis 2020 war sie Chefdirigentin der Oper Graz und der Grazer Philharmoniker.

Darüber hinaus setzt sich Oksana Lyniv leidenschaftlich für die Vermittlung klassischer Musik auf internationaler Ebene und in der Ukraine ein und ist die Gründerin sowie Chefdirigentin des Jugendsinfonieorchesters der Ukraine/YsOU. Sie wurde u.a. mit dem Festspielpreis der Bayerischen Staatsoper 2015, dem TREBBIA International Award 2019, dem Opera!Award als beste Dirigentin des Jahres 2020, und dem Opera!Award Sonderpreis für herausragendes Engagement 2023 ausgezeichnet.

Oksana Lyniv setzt sich als engagierte Kulturbotschafterin ihres Landes für die Aufführung ukrainischer Komponisten auf inter nationalen Bühnen ein.

Das Kyiv Symphony Orchestra wurde 1979 gegründet und etablierte sich zu einem der interessantesten Akteure im Kulturleben der Ukraine unter der Leitung von Luigi Gaggero. Jedes der Konzerte ist als Reise durch Werke unterschiedlicher Epochen und Stile konzipiert, zusammengehalten durch gemeinsame Themen und Einflüsse. Das KSO tritt in den wichtigsten Konzerthäusern Europas auf, darunter etwa die Berliner Philharmonie, die Elbphilharmonie, das Gewandhaus Leipzig, Cité de la musique in Paris und die Philharmonie Warschau.

Das Repertoire des Kyiv Symphony Orchestras erstreckt sich vom 16. Jahrhundert bis hin zur jüngeren Generation zeitgenössischer Komponist:innen. Für die Qualität seiner Interpretation zeitgenössischer Musik wurden das Orchester und Luigi Gaggero 2022 mit dem renommierten Musikwettbewerbspreis der Fondation Prince Pierre de Monaco ausgezeichnet.

Im Bereich Oper führte das KSO Wagners Tristan und Isolde zum ersten Mal in der Geschichte der unabhängigen Ukraine auf der Bühne der Nationaloper Kyiv auf. Unter seinem Chefdirigenten brachte das Orchester die Oper Night des ukrainischen Komponisten Maksym Kolomiiets zur Uraufführung. Seit 2023 steht das KSO unter der offiziellen Patronanz der Berliner Philharmoniker.

Evgeni Orkin, 1977 in Lviv (Ukraine) geboren, studierte an der Nationalen Musikakademie in Kyiv Klarinette und Komposition. Weitere Studien folgten an den Musikhochschulen in Utrecht und Mannheim in den Fächern Klarinette, Dirigieren sowie Komposition. Orkin ist Autor von Kammersinfonien, großen Sinfonien, Solokonzerten für Violine, Klavier, Saxophon, Klarinette, des Oratoriums Annes Passion nach Texten der Tagebücher von Anne Frank, der Oper Magister Ludi nach Hermann Hesse, musiktheatralischen Werken sowie von kammermusikalischen Werken. Seine Werke wurden u. a. beim Festival Kontraste in Lviv, beim Kyiv Musikfest, beim Festival Neue Musik in Odessa und beim Odessa Musikfestival, beim Heidelberger Frühling sowie beim Festival Neue-Musik-Premieren (Kyiv). Als Klarinettist hat er sich besonders durch Uraufführungen neuer Werke einen Namen gemacht.

Jevhen Stankovych ist einer der bedeutendsten Komponist:innen zeitgenössischer ukrainischer Musik. Seine Werke umfassen ein breites Spektrum an Gattungen und Genres, wie Sinfonien, Oper, Ballett, Oratorien, Vokal- und Kammermusik sowie Begleitmusik für über 100 Filme. Er wurde mit mehreren bedeutenden Preisen ausgezeichnet, darunter die höchste Auszeichnung der Ukraine für künstlerisches Schaffen, der Taras-Schewtschenko-Staatspreis. Die Werke des Komponisten wurden u.a. in Kanada, den USA, Deutschland, Frankreich, der Schweiz, Finnland, Spanien, China, den Philippinen und in verschiedenen Ländern Osteuropas aufgeführt.

Der nationale Akademische Chor Dumka ist heute die Ikone des Chorgesangs in der Ukraine. Gegründet im Jahr 1919 und von herausragenden Dirigenten wie Nestor Horodovenko, Oleksandr Soroka, Pavlo Muravskyi und Mykhaylo Krechko geleitet, hat die „Dumka“ ihre eigenen Chortraditionen und einen eigenen Aufführungsstil entwickelt. Seit 1984 steht es unter der Leitung des Dirigenten und Schewtschenko-Preisträgers Jevhen Sawtschuk.

IMPRESSUM Eigentümer, Herausgeber und Verleger Wiener Festwochen GesmbH, Lehárgasse 11/1/6, 1060 Wien T + 43 1 589 22 0 festwochen@festwochen.at | www.festwochen.at Geschäftsführung Milo Rau, Artemis Vakianis Künstlerische Leitung (für den Inhalt verantwortlich) Milo Rau (Intendant) Textnachweis Originaltext Kaddish Requiem, Dmytro Pawlytschko Übersetzung Maria Weissenböck Bildcredit Cover © Oliver Wolf, S. 3 Kyiv Symphony Orchestra © Elza Zherebchuk Herstellung Print Alliance HAV Produktions GmbH (Bad Vöslau)

Sponsoren Wiener Festwochen | Freie Republik Wien

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