Programmheft »Animal Farm«

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ALEX ANDER R ASK ATOV

ANIMAL FARM



INHALT

S.

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DIE HANDLUNG S.

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FIGURENVERZEICHNIS DER OPER S.

10

ÜBER DIESES PROGRAMMBUCH S.

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ANIMAL FARM UND DIE RUSSISCHE REVOLUTION S.

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ECCENTRICITY, EXAGGERATION, ENERGY SERGIO MORABITO S.

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VON SCHWEINEN & MENSCHEN DAMIANO MICHIELETTO IM GESPRÄCH S.

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EIN RABE NAMENS BLACKY OLIVER LÁNG S.

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WENN DAS DRAMA ZUM LEBEN ERWACHT ALEXANDER SODDY S.

48

DER WOLKENKRATZER MAX HORKHEIMER S.

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VORWORT ZUR UKRAINISCHEN AUSGABE VON ANIMAL FARM GEORGE ORWELL

S.

59

DAS TIER ALS METAPHER HARUN MAYE S.

64

JEDES TIER ERINNERT AN EIN ABGRÜNDIGES UNGLÜCK MAX HORKHEIMER UND THEODOR W. ADORNO S.

67

NICHTMENSCHLICHE TIERE UND MENSCHLICHE MUSIK MARTIN ULLRICH S.

72

DIE GROSSE ABREISE JOHN BERGER S.

74

VIELSCHICHTIGKEIT UND DOPPELBÖDIGKEIT MICHAEL STRUCK-SCHLOEN S.

80

KRITIK AM SOWJET-REGIME GEORGE ORWELL S.

84

DIE PUTIN-FALLE DER OSTCAST S.

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IMPRESSUM


Beasts of Farmland, beasts of Woodland, Beasts of every land and clime, Hearken to my joyful tidings Of the golden future time. Tiere Farmlands, Tiere Woodlands, Tiere, ihr von fern und weit, Höret meine frohe Botschaft Von der gold’nen Zukunftszeit. OLD MAJOR, FARM DER TIERE, 1. Szene


ALEX ANDER R ASK ATOV

ANIMAL FARM OPER in zwei Akten, neun Szenen und einem Epilog Text IAN BURTON & ALEXANDER RASKATOV nach GEORGE ORWELL

Auftragswerk der DUTCH NATIONAL OPERA und der WIENER STAATSOPER IRINA ANTONOWNA SCHOSTAKOWITSCH gewidmet ORCHESTERBESETZUNG 2 Flöten (1. & 2. auch Piccolo, 2. auch Altflöte), 2 Oboen (2. auch Englischhorn), 3 Klarinetten (1. auch Essklarinette, 2. & 3. auch Bassklarinette, 3. auch Kontrabassklarinette), 2 Saxophone, 2 Fagotte (1. & 2. auch Kontrafagott), 4 Hörner, 3 Trompeten (1. auch Piccolotrompete), 3 Posaunen (3. auch Kontrabassposaune und Basstrompete), Tuba, Pauken, Schlagwerk (Triangel, 3 Kuckucksflöten, 2 Cuícas, 4 Cow Bells, Bamboo, 4 Temple Blocks, 3 Wood Blocks, 2 Ratschen, 2 Stempelflöten, 2 Sirenen, Flexaton, Löwengebrüll, Güiro, 4 Bongos, 3 Tom-Toms, 3 Congas, Roto Tom, Große Trommel, Trommel, Hi-Hat, 3 hängende Becken, Becken, Bell Tree, Amboss, Stahlplatte, kleines Glockenspiel, 2 Gongs, Waterphone, 3 Watergongs, Tempelgong, Kirchenglocke, Crotales, Glocken, Vibraphon, Marimba, Steeldrums, Thai Gongs, Plattenglocken, Metronom), 2 Harfen, Celesta, Klavier, Zimbal, E-Gitarre, E-Bassgitarre, Streicher AUTOGRAPH Privatarchiv Raskatov, Orléans URAUFFÜHRUNG 3. MÄRZ 2023 Dutch National Opera WIENER ERSTAUFFÜHRUNG 28. FEBRUAR 2024 Wiener Staatsoper SPIELDAUER

2 H 25 MIN

INKL. 1 PAUSE




DIE HANDLUNG 1. AKT Farmer Jones belästigt sturztrunken seine Frau. In der Nacht versammeln sich seine Tiere, um dem alten Eber Old Major zu lauschen. Er macht den Tieren ihre Versklavung durch den Menschen bewusst und lehrt sie das Revolutionslied »Beasts of Farmland«. Die Tiere haben sehr unterschiedliche Haltungen zu Old Majors Gedanken. Rabe Blacky stellt ein nachrevolutionäres Leben »wie auf dem Kandiszucker-Berg« in Aussicht. Mit dem Mut der Verzweiflung bäumen sich die Tiere gegen die Verrohung ihres Herrn auf. Die Rebellion ist erfolgreich. Das völlig überraschte Farmerehepaar wird vom Hof vertrieben. Die ehemalige Herrenfarm wird von den Revolutionären zur Farm der Tiere erklärt. Die beiden Schweine Snowball und Napoleon proklamieren die sieben Gebote des Animalismus, die die Gleichheit aller garantieren. Sie werden an die Scheunenwand geschrieben und im Slogan »Vier Beine gut, zwei Beine schlecht« popularisiert. Auf die Frage des Esels Benjamin, wer die Milch erhalten solle, erklärt das Schwein Squealer, dass sie den Schweinen zugutekommen müsse, um sie in ihrem Einsatz gegen Jones’ Rückkehr zu stärken. Der Versuch des Farmerpaars, den Hof mit Hilfe von Unterstützern vom Nachbarhof des Bauern Pilkington zurückzuerobern, kann trotz Verlusten vereitelt werden. Das Zugpferd Boxer, das besonders mutig gekämpft hat, wird von Napoleon als »Tierheld 1. Klasse« geehrt. Napoleon verleiht die Auszeichnung auch sich selbst. Die Stute Mollie erliegt der Verführung durch die Geschenke Pilkingtons und verlässt heimlich die Farm. Snowball und Napoleon sind in allen Führungsfragen uneins. Der von Snowball propagierte Bau einer Windmühle, die die Arbeit der Tiere erleichtern und ihren Lebensstandard heben könnte, wird von Napoleon hintertrieben: Das Gebot der Stunde sei militärische Aufrüstung. Ihre Auseinandersetzung eskaliert. Snowball muss fliehen. Napoleon denunziert ihn als Verräter, erklärt sich selbst zum Vorsitzenden des Schweinekomitees und ordnet als solcher nun doch den Bau der Windmühle an. Zudem gibt er die Aufnahme von Handelsbeziehungen mit Pilkington bekannt – Vorherige Seiten ANDREI POPOV als SQUEALER KARL LAQUIT als YOUNG ACTRESS

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DIE HANDLUNG

obwohl diese den Tieren bisher untersagt waren. Überdies kursieren Gerüchte, die Schweine seien ins leerstehende Farmhaus eingezogen. Die schriftkundige Ziege Muriel wird gebeten, das Gebot zu verlesen, das den Tieren das Schlafen in Betten untersagt. Doch die Inschrift untersagt neuerdings nur noch die Benutzung von Bettbezügen. Die Windmühle wird von Sturm und Blitz zerstört. Napoleon macht Snowballs Sabotage dafür verantwortlich. Er verhängt über ihn das Todesurteil.

2. AKT Napoleons Schergen ermorden Snowball als angeblichen »Geheimagenten«. Seine vermeintlichen Komplizen werden in Schauprozessen vorgeführt und blutig niedergemetzelt. Die Stute Clover sieht all ihre Mühen für den Aufbau eines gerechten Gemeinwesens in Frage gestellt. Im gemeinsamen Singen von »Beasts of Farmland« wollen die Tiere Besinnung und Trost finden, doch das Lied wird von Napoleon verboten. Die Künstlerin Pigetta, die sich Squealer verweigern will, wird massakriert. Als Muriel das Gebot nachlesen möchte, das die Tötung eines Tieres durch ein anderes Tier verbietet, entziffert sie die einschränkenden Worte, nur wenn dies »ohne Grund« geschehe. Das dichtende Schwein Minimus feiert Napoleon in einem Lobgesang. Napoleon erreicht die Nachricht, dass Pilkington ihn des Betrugs beschuldigt und mit seinen Leuten die Windmühle angreift. Die Tiere können die Eindringlinge zurückschlagen, doch dabei wird die Windmühle in die Luft gesprengt. Napoleon lässt sich trotz herber Verluste in den Reihen der Tiere als Sieger feiern. Man stößt auf die Gefallenen an. Denn neuerdings ist den Tieren nicht mehr jeder, sondern nur noch exzessiver Alkoholkonsum untersagt. Unter den Anstrengungen des Wiederaufbaus bricht Boxer zusammen. Die Tiere können seinen Abtransport zum Abdecker nicht verhindern. Squealer, der behauptet, Boxer in der Hoffnung auf Heilung zum Veterinär begleitet zu haben, überbringt ihnen seine angeblich letzten Worte: »Lang lebe Napoleon! Napoleon hat immer Recht!« Benjamin lässt sich von Muriel das letzte an der Scheunenwand verbliebene Gebot vorlesen. Es lautet: »Alle Tiere sind gleich, aber einige sind gleicher.«

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FIGURENVERZEICHNIS DER OPER SCHWEINE OLD MAJOR vermacht den Tieren seinen Traum einer klassenlosen Gesellschaft. Old Major verbindet Züge der historischen Figuren Karl Marx und Vladimir Ilych Lenin. NAPOLEON geht es nie um eine wirkliche Gleichheit der Tiere, stattdessen ist er nur an seinem eigenen Machtausbau interessiert. Die Figur ist angelehnt an Josef Stalin. SNOWBALL lässt sich als ein glühender Ideologe beschreiben, der sich mit Leib und Seele dem Animalismus und dessen Verbreitung verschreibt. Als Inspiration diente der marxistische Revolutionär Leo Trotzki. SQUEALER, eine Art Propagandaminister, zeigt den Missbrauch von Sprache. Er setzt diese dazu ein, die Taten Napoleons vor den Tieren schönzureden und zu rechtfertigen. Die Figur zeigt Parallelen zum Geheimdienstchef Lawrenti Beria. PIGETTA, eine junge Schauspielerin, ist den Gelüsten Squealers ausgeliefert. MINIMUS, der Staatskünstler, ist Sprachrohr der Propaganda und zementiert durch seine Glorifizierungen den Konformismus der Gesellschaft.

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FIGURENVERZEICHNIS DER OPER

PFERDE BOXER stellt die Arbeiterklasse dar, welche sich durch ein hohes Maß an Loyalität und Arbeitsmoral auszeichnet. Er bleibt bis zu seinem Zusammenbruch ein unbeirrbarer Anhänger des Animalismus. MOLLIE ist im Gegensatz zu Boxer, der immer auch an andere denkt, oberflächlich-selbstbezogen und kümmert sich nicht um die Kämpfe ihrer Genossen. Die Aussicht auf materielle Besitztümer führt zu ihrer Flucht aus der Farm der Tiere. CLOVER, eine Pferdestute, hat eine Art Mutterrolle inne. Sie unterstützt die Revolution und kann dennoch nicht verhindern, dass Boxer an den Abdecker verschachert wird.

DIE ANDEREN TIERE BENJAMIN bleibt als sturer Esel skeptisch; er durchschaut die Propaganda, aber versucht sich aus allen politischen Fragen herauszuhalten. Die Figur wird auch als Sinnbild der russischen Juden gedeutet, die unter jeder Herrschaftsform zu leiden hatten. MURIEL, eine wissbegierige Ziege, tut sich schwer damit, ihren Idealismus mit der Realität in Einklang zu bringen, was sie sehr verunsichert. BLACKY, ein Rabe, verbindet die Versprechungen eines irdischen und eines himmlischen Paradieses. Er ist raffiniert genug, sich in das jeweils herrschende Machtsystem einzufügen.

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FIGURENVERZEICHNIS DER OPER

DIE KOLLEKTIVE DIE KOLLEKTIVE lassen sich von der Maxime »Vier Beine gut, zwei Beine schlecht« begeistern. Sie sind empfänglich für Propaganda und befolgen Befehle, ohne sie zu hinterfragen. Sie repräsentieren die betrogenen Bürger eines totalitären Staates. HENNEN UND ENTEN stehen voll und ganz hinter Napoleon und bejubeln seine vorgeblichen Wohltaten, aber selbst sie werden bei Boxers Abtransport zum Abdecker für einen kurzen Moment hellhörig. Einige ZIEGEN, KÜHE UND SCHAFE bezichtigen sich unter Zwang der Kollaboration mit Snowball.

DIE MENSCHEN MR. UND MRS. JONES werden als Farmbesitzer von der herannahenden Revolution überrascht, scheitern mit der versuchten Rückeroberung und dienen Napoleon im weiteren Verlauf der Geschichte als Feindbild der Tiere. Angelehnt sind die Gutsbesitzer an das letzte Zarenpaar Russlands. MR. PILKINGTON ist ein freizeitliebender Farmer, er kollaboriert mit seinen vierbeinigen Nachbarn und verführt dabei die Stute Mollie. Im weiteren Verlauf beschuldigt er Napoleon des Betrugs und zerstört die kaum vollendete Mühle.

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MICHAEL GNIFFKE als SNOWBALL GENNADY BEZZUBENKOV als OLD MAJOR


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UBER DIESES PROGRAMM- BUCH Über die musikalischen und biografischen Wurzeln des Komponisten Alexander Raskatov informiert Sie ab S. 74 der Beitrag von Michael StruckSchloen. Ein Porträt Raskatovs als Opernkomponist von Sergio Morabito finden Sie ab S. 24. Die Anregung zu Animal Farm, seiner neuesten Oper, gab Damiano Michieletto, der Regisseur des heutigen Abends – ab S. 33 seine Gedanken zu diesem Projekt. Dritter im Bunde ist der Dirigent Alexander Soddy, der sein Engagement für das Werk im Beitrag ab S. 43 deutlich macht. Die Oper bearbeitet einen der wirkungsmächtigsten poetisch-politischen Texte des 20. Jahrhunderts. George Orwells gleichnamiges ›Märchen‹ erschien 1945 nur unter größten Widerständen, da es verbreiteten Illusionen über den Sowjet-Totalitarismus entgegentrat – dazu eine Timeline ab S. 14.

Orwell selbst zeichnet seinen Werdegang und seine Intentionen im hier erstmals auf Deutsch publizierten Nachwort zur ukrainischen Ausgabe seiner Parabel nach (S. 52). Orwells Kreativität wurde ausgelöst durch die Misshandlung eines Tieres, deren Zeuge er war. Eine Pointe seines Buches ist, dass sich die Schweine, die die Macht auf der Farm der Tiere an sich reißen, in Menschen verwandeln. Das verweist auf den Menschen als jenes Tier, das stets beansprucht, »gleicher« als die nichtmenschlichen Tiere zu sein. Hieran knüpfen weitere Texte von Max Horkheimer, Theodor W. Adorno, John Berger, Harun Maye oder Martin Ullrich an. Einen Beitrag zur Aktualität von Orwells Kritik an wirtschaftlich und ideologisch begründeten Verdrängungsstrategien westlicher Gesellschaften lesen Sie ab S. 84.

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Folgende Seiten WOLFGANG BANKL als NAPOLEON PROJEKTCHOR & CHORAKADEMIE der WIENER STAATSOPER


GEORGE ORWELL, FARM DER TIERE, 1. Kapitel

»SCHWACH ODER STARK, SCHLAU ODER SCHLICHT, WIR SIND ALLE BRÜDER. KEIN TIER DARF JE EIN ANDERES TÖTEN. ALLE TIERE SIND GLEICH.«

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TIMELINE

ANIMAL FARM UND DIE RUSSISCHE REVOLUTION

1883 TOD VON KARL MARX Karl Marx ist einer der Vordenker einer klassenlosen, antikapitalistischen kommunistischen Gesellschaft. Er stirbt am 14. März.

1923–1927 STALINS MACHTÜBERNAHME

Nach dem Sieg der Bolschewiken unter Führung Lenins verschlechtert sich dessen Gesundheitszustand, er stirbt 1924. Stalin liquidiert nach seiner Machtübernahme 1917 Zug um Zug sämtliche politischen Rivalen. BEGINN DER RUSSISCHEN REVOLUTION Seit 1927 besitzt er als Diktator der Sowjetunion und Chefsekretär der kommunistiMit Abdankung des Zaren Nikolaus II im März 1917 schen Partei unbegrenzte Machtfülle. aufgrund anhaltender Proteste der darbenden Bevölkerung bricht eine chaotische Umbruchszeit an. Im Oktober 1917 ergreifen die Bolschewiken (radikale Kommunisten) die Macht. Den sich anschließenden Bürgerkrieg können die Bolschewiken erst 1923 für sich entscheiden.

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ANIMAL FARM UND DIE RUSSISCHE REVOLUTION

KARL MARX, um 1848

Szene aus der RUSSISCHEN REVOLUTION, 1917

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TIMELINE

LEO TROTZKI, im Exil um 1935

JOSEF STALIN, 1937

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ANIMAL FARM UND DIE RUSSISCHE REVOLUTION

1936–1938 MOSKAUER PROZESSE Unter den Moskauer Prozessen werden öffentliche Gerichtsverhandlungen in der Zeit zwischen 1936 und 1938 verstanden, bei denen hohe Funktionäre der kommunistischen Partei (Bolschewiken) als tatsächliche oder eingebildete Gegner Stalins wegen angeblicher terroristischer und staatsfeindlicher Aktivitäten im Auftrag des exilierten Trotzki in Schauprozessen vorgeführt und umgebracht werden.

1940 ERMORDUNG LEO TROTZKIS

1936–1938 SPANISCHER BÜRGERKRIEG Zur selben Zeit kämpft George Orwell gemeinsam mit seiner Frau im Spanischen Bürgerkrieg an der Seite der Republikaner gegen die rechtsgerichteten Putschisten unter General Francisco Franco. Als der Machtkampf in der Sowjetunion sich auch im Verbot der trotzkistischen Miliz auswirkt, deren Mitglied Orwell ist, ist er durch die Bedrohungslage gezwungen, Spanien zu verlassen.

Nachdem Stalin über seinen Rivalen Trotzki gesiegt hat, verfolgen seine Schergen ihn bis nach Mexiko. In einem Vorort von Mexiko-Stadt wird Trotzki auf Befehl Stalins von einem Auftragsmörder mit einem Eispickel umgebracht.

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TIMELINE

1953 STALINS TOD 1943 KONFERENZ VON TEHERAN Die erste Konferenz der im Kampf gegen Hitler-Deutschland alliierten Staaten USA, Großbritannien und der Sowjetunion (auch genannt die »Großen Drei«) findet in der iranischen Hauptstadt Teheran statt. Auf der Konferenz von Teheran wird die Eröffnung eines Zweifrontenkriegs gegen Deutschland beschlossen. Churchill, Roosevelt und Stalin einigen sich darauf, dass amerikanische und britische Truppen unverzüglich im Norden Frankreichs einmarschieren sollen.

Josef Stalin stirbt am 5. März 1953. Sein Nachfolger, der neue sowjetische Führer Nikita Chruschtschow propagiert einerseits eine friedliche Koexistenz mit dem Westen, strebt jedoch andererseits durch Aufrüstung und Raketentechnik die internationale Führungsrolle der UdSSR zu konsolidieren. Zugleich leitet er einen Prozess der Distanzierung vom Personenkult um Stalin ein. Das gesamte Ausmaß von Stalins Terrorherrschaft wird erst durch die Öffnung der Sowjetunion unter den Reformen von Michail Gorbatschow Mitte der 1980er Jahre ersichtlich.

1947 HÖRSPIEL UND ERSTE ÜBERSETZUNGEN

1945 VERÖFFENTLICHUNG VON ANIMAL FARM

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs im Jänner 1947 strahlt die BBC eine Radioversion von Orwells Animal Farm aus. Zeitgleich erscheinen die ersten Übersetzungen ins Polnische und Ukrainische. Die erste Übersetzung ins Deutsche war bereits 1946 erschienen.

Nach der Fertigstellung 1944 dauert es über ein Jahr, bis das Buch einen Verleger findet, da man Angst hat, die Beziehungen zur Sowjetunion, dem damaligen Verbündeten im Krieg gegen Nazideutschland, unnötig zu belasten.

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ANIMAL FARM UND DIE RUSSISCHE REVOLUTION

Erste Ausgabe von ANIMAL FARM, 1945

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TIMELINE

1954 DER ZEICHENTRICKFILM Die erste Verfilmung von Animal Farm ist ein britischer Animations-Film, welcher vom amerikanischen Auslandsgeheimdienst (CIA) kofinanziert wird. In einer abweichenden Erzählung lehnen sich die unterdrückten Tiere der Farm am Ende gegen das Regime der Schweine auf. 1999 folgt eine zweite britische Verfilmung mit computeranimierten Tieren, die auch auf den Zerfall der Sowjetunion Bezug nimmt.

JOSEF STALIN, FRANKLIN D. ROOSEVELT & WINSTON CHURCHILL bei der KONFERENZ VON TEHERAN, 1943

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ANIMAL FARM UND DIE RUSSISCHE REVOLUTION

1988 ERSTE VERÖFFENTLICHUNG IN DER SOWJETUNION Eine erste, in der Diaspora erschienene Version in russischer Sprache von 1950 war mit Rücksicht auf die orthodoxe Kirche zensiert worden. Somit dauert es bis zur ersten Veröffentlichung mehrere Jahrzehnte. Mit den Reformen Gorbatschows gelingt es, das Werk im lettischen Magazin Rodnik erstmals in der Sowjetunion zu veröffentlichen.

1984 DAS MUSICAL Die bekannteste Bühnenversion von Animal Farm ist das von Peter Hall geschriebene und inszenierte Musical aus dem Jahre 1984. Dabei führt Hall auch die Figur eines jungen Erzählers ein, der aus der Geschichte vorliest. Adrian Mitchell liefert die Gesangstexte, die Richard Peaslee vertont.

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TIMELINE

1991 ZERFALL DER SOWJETUNION Das Ende der Sowjetunion (UdSSR) zieht sich über mehrere Jahre hinweg. Während dieses Prozesses löst sich der Zusammenhalt innerhalb der Sowjetunion auf. Die Einzelstaaten erklären sich für unabhängig und etablieren unabhängige Regierungsstrukturen. Die offizielle Auflösung des Staatenbundes erfolgt 1991, nach Übernahme des russischen Präsidentenamtes durch Boris Jelzin.

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ANIMAL FARM UND DIE RUSSISCHE REVOLUTION

Erste ukrainische Ausgabe von ANIMAL FARM, 1947

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SERGIO MORABITO

ECCENTRICITY, EXAGGERATION, ENERGY ALEXANDER RASKATOVS FARM DER TIERE UND DIE ›3 E‹

Seiner ersten Oper näherte sich Alexander Raskatov 1989 als 36jähriger: Grube und Pendel, nach Edgar Allan Poes gleichnamiger Erzählung. Deren Orchestrierung blieb freilich unvollendet, nachdem sich die Hoffnung auf eine Aufführung zerschlug. Achtzehn Jahre vergingen, bevor ihn Pierre Audi, der damalige Leiter der Nederlandse Opera, unter dem Eindruck seiner Instrumentierung und kompositorischer Erweiterung von Mussorgskis Liedern und Tänzen des Todes bei den Salzburger Festspielen 2007, einlud, für Amsterdam eine Oper zu schreiben. Von der Wahl des Sujets bis zur Besetzung aller Rollen erhielt der Komponist Carte blanche. Die Uraufführung von A Dog’s Heart nach Michail Bulgakovs Erzählung Hundeherz 2010 wurde zum Triumph. Acht Jahre vergingen, bevor am Opernhaus von Lyon Raskatovs nächste Oper uraufgeführt wurde: GerMANIA, nach Heiner Müllers spätem Theatertext GERMANIA 3 – GESPENSTER AM TOTEN MANN, noch im selben Jahr 2018 gefolgt von Zatmenie (Verfinsterung). Dieses Auftragswerk eines russischen Mäzens macht den Dekabristenaufstand zum Thema und erlebte –

allerdings nur in konzertanter Form – im Petersburger Mariinski-Theater seine Erstaufführung. 2023 feierte das Amsterdamer Publikum Raskatovs Rückkehr anlässlich der Uraufführung der mit der Wiener Staatsoper koproduzierten Animal Farm nach George Orwells berühmter ›Fairy Story‹. Alexander Raskatov hat an der Entwicklung der librettistischen Vorlagen seiner Opern stets energischen Anteil genommen. So hat er das Libretto von Hundeherz aus Bulgakovs Erzählung selbst extrahiert. Auch Heiner Müllers Theaterstück wollte – und durfte! – er seinen Vorstellungen gemäß überarbeiten. Den Text zu Zatmenie schuf er sogar ganz eigenständig, auf Grundlage von Briefzeugnissen, Memoiren und Gedichten sowie unter Einbezug von Fragmenten aus Dostojewskijs Roman Aus einem Totenhaus. Nicht anders geschah es bei Animal Farm; wobei der Komponist freimütig bekennt, dass ihm bis zur Anfrage des Amsterdamer Opernhauses Orwells ›Märchen‹ nur dem Titel nach ein Begriff war. Denn das Buch, das seinen Welterfolg nicht zuletzt der Tatsache verdankt, dass es – ganz gegen die Intention seines Autors – als Waffe im Kalten Krieg miss-

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ECCEN T R ICI T Y, EX AG GER AT ION, EN ERGY

braucht wurde, war in der Sowjetunion bis 1988 strengstens verboten. Für den am Tag von Stalins Begräbnis 1953 in Moskau, unweit des Roten Platzes, in eine russisch-jüdische Familie hineingeborenen Raskatov stand nach der Lektüre fest: Auch dieses Buch reflektiert – nicht anders als die Werke Bulgakows und Müllers – seine Geschichte und die seiner Familie. Denn Orwells Erzählung ist eine Parabel über die Perversion der Russischen Revolution unter Stalins Diktatur: Auf einem verwahrlosten Bauernhof revoltieren die Tiere gegen ihren tyrannischen Besitzer, müssen sich jedoch bald unter das Joch eines neuen Führers aus ihren eigenen Reihen beugen: »Alle Tiere sind gleich, aber manche sind gleicher.« Orwells Intention war es, die Illusionen des Westens über das angebliche sozialistische Wunderreich im Osten zu entzaubern; Illusionen, welche die totalitären Gewaltexzesse des Regimes – von den Schauprozessen und Deportationen über die Massenmorde und den Holodomor bis zum Gulag – aktiv zu verdrängen und zu verleugnen suchten. Das von Ian Burton im Auftrag der Nederlandse Opera bereits erstellte Libretto erfuhr unter Raskatovs Re-

daktion einen grundstürzenden Umbau, für den die englische Sprache aber beibehalten wurde. Nach Raskatovs Einschätzung wies der ihm vorgelegte Text eine eher epische, oratorienhafte Struktur auf. Die »Lokomotive des Dramas«, also die eigentliche Dynamik der Geschichte, sei an eine Erzählerfigur delegiert gewesen. Zudem waren die Sätze viel zu lang und mit zu vielen beschreibenden Passagen versehen. Sprachlich drängte Raskatov also auf Verknappung und Verdichtung sowie darauf, die Erzählung in möglichst plastische Situationen zu übersetzen. Durch den Einbezug von Originalzitaten Stalins, Trotzkis, des Komintern-Vorsitzenden Bucharin und des Geheimdienstchefs Beria richtete Raskatov zudem dokumentarische Schlaglichter auf die Pathologie des Sowjet-Systems. Raskatov hat dem Romangeschehen, dessen Hauptlinien er – übrigens unter Ausklammerung des benachbarten Gutsbesitzers Frederick (der für Hitler steht) – im Wesentlichen folgt, zudem zwei Szenen eigener Erfindung hinzugefügt: Einmal die von Stalin (»Napoleon«) in Auftrag gegebene Ermordung seines ehemaligen Wegbegleiters Trotzki (»Snowball«)

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SERGIO MORABITO

im mexikanischen Exil sowie eine der bezeugten sexualisierten Gräueltaten Berias (»Squealers«): Einer jungen Schauspielerin, die sich dem Geheimdienstchef zu verweigern versuchte, überreichte dieser ein Bukett mit dem Hinweis, dass die Blumen nach ihrer Vergewaltigung und Ermordung zum Grabschmuck bestimmt seien. »Welche Oper kommt schon ohne Liebe und Mord aus?«, merkt der Komponist trocken an. Für seine Vertonung hat er einen »Skalpell-Stil« – wie er selbst es nennt – entwickelt, der das Geschehen scharf und kontrastreich konturiert. »Oper – das ist in erster Linie Theater und Spiel. Die kommunikativen Parameter sind hier wichtiger als in jedem anderen musikalischen Genre«, sagt Raskatov. »Anders als Sinfonik oder Kammermusik ist die Oper kein ›reines‹ Genre. Sie verlangt einen offenen Horizont und eine Art Polystilistik. Das lässt sich schon an Mozart beobachten. In eine Oper lassen sich die verschiedensten Dinge in einen neuen und manchmal auch gegenläufigen Kontext setzen und dadurch paradoxe Effekte erzielen. Oper ist keine puristische oder akademische Form. Sie sollte vor Leben bersten.« So arbeitet Raskatovs Partitur mit Verweisen auf die Musikkultur seines Landes – Tschaikowski, Mussorgski, RimskiKorsakow – als auch mit Reminiszenzen an Prokofjew, Schostakowitsch oder den Songstil Kurt Weills, an die Klangwelt der zwanziger, dreißiger und vierziger Jahre des 20. Jahrhunderts also, deren historisches Geschehen die literarische Vorlage reflektiert. »Für mich ist es wichtig, dass jede Oper, egal welches ihr Sujet ist, egal in welcher Sprache gesungen wird – russisch, deutsch oder französisch –, auf

die semantischen Werte des Textes fokussiert. Ein zweiter Fokus ist ein dramaturgischer: Die Hochspannung, die zwischen Sängern, Orchester, dem Sujet selbst und der Inszenierung zirkulieren muss. Zugleich entsteht unter den Sängern eine Art »akustischer Schock«. Das ist der Grund, warum ich Ensembles in der Oper so schätze und liebe. In einem Solistenensemble entsteht ein »Konflikt« zwischen den Tessituren, also den unterschiedlichen Stimmcharakteren und folglich deren Obertönen. Im Grunde habe ich nämlich Animal Farm für zwei Orchester geschrieben. Das eine agiert im Orchestergraben, das zweite, das Sängerorchester, agiert auf der Bühne. Ja, stellen Sie sich vor, ich behandle die Sänger als Vokalorchester!« Einige dramaturgische Entscheidungen Raskatovs sind sicherlich genau dieser Vorliebe für das ›Meta-Instrument‹ eines solchen Vokalorchesters geschuldet. Seine Partitur sieht nicht weniger als 21 Solorollen vor, die das volle Spektrum menschlicher Stimmlagen ausschöpfen und von denen jede einzelne ein höchst originelles Profil erhält. Diese Klang-Charaktere werden dann in der Partitur kaleidoskopartig miteinander verzahnt und ineinander verschachtelt. Die hochvirtuose Interaktion der Solostimmen gemahnt nicht zufällig an die Ensembles in Verdis Falstaff, für Raskatov »eine meiner Lieblingsopern«. Im Unterschied zu den in der Moderne unendlich ausgeweiteten Klangerzeugungs- und Artikulationstechniken des klassischen Instrumentariums sind die Potenziale der Gesangsstimme nach Raskatovs Einschätzung bei Weitem noch nicht ausgeschöpft. Nur allzu willig hat er sich durch das wiehernde, grunzende, meckernde, blökende, kreischende, kol-

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ECCEN T R ICI T Y, EX AG GER AT ION, EN ERGY

lernde und quiekende Bestiarium seiner Vorlage zu ganz neuen Mutationen und Verfremdungseffekten inspirieren lassen. »Zugleich verbergen sich unter dem tierischen Fell- oder Federkleid durch und durch menschliche Physiognomien«, so Raskatov. Seine plastische musikalische Fantasie sucht und findet klangliche Äquivalente zu Orwells poetischer Präzision und Humor, die jedes einzelne Tier zu einer eigenen Persönlichkeit werden lassen. »Ich muss wissen, für wen ich schreibe«, sagt Raskatov. »Das ist sehr wichtig. Es ist ein großer Unterschied, ob man einen abstrakten Auftrag für ein Orchester oder ein Ensemble erhält und diese Künstler überhaupt nicht kennt, oder ob man für Menschen schreibt, die man kennt und für die man Sympathie empfindet.« Dabei verpflichtet Raskatov seine Interpreten auf die absolute Priorität der ›3 E‹: Exzentrik, Übertreibung (Exaggeration) und Energie. Und so hat eine Gruppe stimmlicher Extremsportler Raskatov bei all seinen bisherigen Opernabenteuern begleitet. Da ist zum einen Elena Vassilieva, die Grande Dame der osteuropäischen Avantgarde, der wir etwa eine integrale Einspielung von Edison Denisovs Liedzyklen verdanken. Für ihren dramatischen Koloratursopran – der bereits in Hundeherz eine der beiden konkurrierenden Stimmen des Hundes (die »böse«!) gestaltete – hat Raskatov die Hosenrolle des Blacky kreiert. Ausgangspunkt war die Gestalt des Moses, jenes zahmen Raben, jenes »Spitzels und Ohrenbläsers«, der in der Scheune übernachtet und der verwöhnte Liebling des Farmers Jones ist (als Parodie des Schmusekurses von orthodoxer Kirche und Zarismus). Dieser folgt schon im 2. Kapitel des Romans dem fliehen-

den Farmer-Ehepaar ins Exil und kehrt erst im 9. von insgesamt 10 Kapiteln zurück, um die nunmehr enttäuschten Revolutionäre unter Duldung Napoleons, des »Führers«, mit der Aussicht auf einen jenseitig-himmlischen »Sugar Candy Mountain« zu trösten. In der Oper hingegen sind die abrupten Registerwechsel dieser grauen Eminenz, ihre den Streichinstrumenten abgelauschten Ricochet-Effekte und ihr heiser-kehliger Rauco-Gesang durchgängig präsent. Gennady Bezzubenkov, der in GerMANIA den – natürlich russisch singenden – Stalin gab, leiht seinen »Basso profondo« in Animal Farm dem Old Major, jenem preisgekrönten, in die Jahre gekommenen weißen Keiler, der kurz vor seinem Tod den Tieren seinen Traum von Freiheit und Gleichheit vermacht (Old Major verbindet Züge von Marx und Lenin). Squealer wird mit dem engen Stalinvertrauten und Außenminister Wjatscheslaw Molotov identifiziert, aber auch mit dem Geheimdienstchef Lawrenti Beria. Die englische Bedeutung des Namens lautet Kreischer, Schreier, sowie: Petze, Verräter. Und als auch stimmlich »überschnappenden« Propagandisten und Denunzianten zeichnet ihn Raskatov in seiner Oper. Für Karl Laquit, der in GerMANIA den »Rosa Riesen« verkörperte, jenen Serienmörder, der in den Wendejahren in Ostdeutschland wütete, hat Raskatov nicht nur den Esel Benjamin komponiert, der – obwohl er die Propagandalügen durchschaut – sich aus allem herauszuhalten versucht und am Ende nicht verhindern kann, dass das Zugpferd Boxer, sein einziger Freund, an den Abdecker verschachert wird. Laquits vier Oktaven umfassendes Register macht es möglich, dass er auch die Episodenfi-

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ECCEN T R ICI T Y, EX AG GER AT ION, EN ERGY

gur der Pigetta übernimmt, jener jungen Schauspielerin, die das Rendezvous mit Beria (alias Squealer) nicht überlebt. Michael Gniffke, auch er in GerMANIA schon dabei, intoniert mit »Kantorenstimme in Tenorlage« die revolutionären Litaneien, aber auch die Verzweiflung Snowballs, jener Referenzfigur zu Trotzki, der als einer der Väter der Revolution von ihr verschlungen wurde. Für die Rolle des Staatskünstlers Minimus hat Raskatov dem phänomenalen Countertenor Artem Krutko eine Paradearie »in die geläufige Gurgel« komponiert. Die vokalen Kunststücke in »Father of Animals« – Triller, Staccati, Registersprünge, Skalen, Triolengirlanden –, wirken wie einem Variationenbuch Farinellis entnommen: Die neo-feudale, nein, neo-absolutistische Ordnung Napoleons schafft sich ihren »Kastraten«, der »Oden im Auftrag« (G. Benn) trällert. Und die stupende Holly Flack voltigiert als die hübsche Schimmelstute Mollie in einem vo-

kalen Bereich, der sich mit »Königin der Nacht aufwärts« charakterisieren ließe. Aber auch alle anderen Solisten sowie Chor und Kinderchor haben ebenso fordernde wie dankbare Aufgaben zu bewältigen. Angesprochen auf eine Botschaft oder Aussage seiner Oper, zitiert Raskatov Puschkin, der am Ende eines anderen Märchens (des Märchens vom goldenen Hähnlein) sagt: »Das Märchen ist Lüge, doch enthält es einen Wink, den gute Leute sich zu Herzen nehmen!« Kein Zweifel, im »postfaktischen« Zeitalter des Populismus bleibt die Grundfrage von Animal Farm für das seit den Nullerjahren im Eiltempo re-stalinisierte Russland ebenso wie für den Westen auf bedrängende Weise akut: Wie ist es möglich, dass Volksführer sich bei der Durchsetzung rücksichtslos-aggressiver Macht- und Eigeninteressen einer zynisch-manipulativen Rhetorik von Freiheit, Sicherheit und Selbstverteidigung bedienen?

DANIEL JENZ als MR. JONES AURORA MARTHENS als MRS. JONES

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Folgende Seite KARL LAQUIT als BENJAMIN


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GEORGE ORWELL, FARM DER TIERE, 1. Kapitel

»DAS LEBEN EINES TIERES IST JAMMER UND SKLAVEREI: DAS IST DIE NACKTE WAHRHEIT.« 31


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OLIVER LÁNG IM GESPRÄCH MIT DAMIANO MICHIELETTO

VON SCHWEINEN & MENSCHEN ol

Wie kam es zum Animal FarmProjekt? Welcher war der erste Grundgedanke?

dm Nun, das Projekt Animal Farm entsprang meinem Wunsch, Geschichten zu finden, die sich heute für eine Oper eignen. Das ist ein Thema, das mir sehr am Herzen liegt! Es geht mir dabei nicht so sehr um die Zukunft der Oper an sich, sondern es soll lediglich ein Versuch sein, etwas zu schaffen, das in der Zukunft vielleicht Teil des Opernerbes wird. Als ich mich an George Orwells Animal Farm erinnerte, merkte ich sofort, dass die Geschichte die richtigen Zutaten für eine Oper enthält: Es kommen Charaktere vor, die sehr klar und genau definiert sind. Es gibt einen Chor. Und durch das Allegorische der Geschichte kann man verschiedene Erzählebenen schaffen und unterschiedliche Publikumsschichten ansprechen: erfahrene Besucher und Besucherinnen, aber auch junge Menschen. Ich dachte: Das ist eine Geschichte, die sehr farbenfroh werden kann und durch die Präsenz der Tiere auch musikalisch eine Herausforderung darstellt. Und Raskatov war vom Projekt sofort begeistert! ISABEL SIGNORET als MURIEL

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Aber Animal Farm ist keine Fabel für Kinder, oder? dm Animal Farm kann auch eine Fabel für Kinder sein, und es gibt ja einen entsprechenden Zeichentrickfilm. Denn natürlich kann man die Geschichte so erzählen: Es war einmal ein Bauernhof, auf dem Tiere lebten, die davon träumten, sich von ihrem Herrn zu befreien. Sie organisierten sich und so weiter und so fort. Aber Animal Farm ist nicht nur das! Selbstverständlich ist die Fabel eine Allegorie, und der Verfasser hat sehr klare und präzise Parallelen zu einer historischen Situation in der Sowjetunion und zu Personen wie Stalin und Trotzki gezogen. Animal Farm ist ein soziales und politisches Gleichnis. Mir gefällt, dass die Geschichte Äsops Fabeln ähnelt, in denen durch die Tiere stets eine moralische, politische oder soziale Botschaft vermittelt wird. Und so ist Animal Farm eine Geschichte, die durch die Tiere über Demokratie, Politik, Gewalt, Schikanen, Ungerechtigkeiten, Totalitarismus, Revolution spricht, das heißt über Themen, die Teil der Menschheit sind und die auch unsere heutige Situation betreffen. Ich jedenfalls wollte immer vermeiden, dass es nur ein 33


IM GESPRÄCH MIT DAMIANO MICHIELETTO

Märchen für Kinder wird. Ich wollte, dass die Tiere Sinnbilder sind, auch dramatische und beunruhigende. Denn es geht um Leben und Tod. Es geht um Leid und um einen Wunsch nach Glück. ol Orwell schrieb seine Erzählung in einer bestimmten Zeit, einer spezifischen Situation, er thematisierte, wie von Ihnen angesprochen, den Kommunismus. Ist Ihrer Meinung nach die Handlung von Animal Farm zeitlos und allgemeingültig? Immer aktuell, auch heute? dm Genau das ist die Wirkungskraft von Animal Farm! Nämlich die Tatsache, dass die Geschichte – wie bei allen Klassikern – über die geschichtlichen Verhältnisse der Entstehungszeit hinausreicht. Orwell machte konkrete Anspielungen auf die Sowjetunion, aber er erzählt auch von Mechanismen, die gesellschaftlichen Prozessen zugrunde liegen. So meinte er, dass die wichtigste Passage diejenige sei, in der es den Schweinen zu rechtfertigen gelingt, warum gerade sie die Milch bekommen müssen. Die Milch: Das ist in Animal Farm das Wertvollste, etwas, das alle gerne hätten. Die Schweine, die gerade erst die Macht ergriffen haben, überzeugen die anderen durch eine Lüge und durch die Verbreitung von Schrecken. Sie sagen etwa: Wir müssen Milch trinken, weil wir eine große Verantwortung tragen! Und ihr müsst für uns sorgen, weil sonst Mr. Jones zurückkehren könnte. Also: Drohung, Angst. Wenn du nicht dieses tust, kann jenes passieren. Dieses Regieren durch die Verbreitung von Schrecken ist

ein Mechanismus, der in unserer Gesellschaft häufig zu finden ist. Auch zur Rechtfertigung von Ungerechtigkeiten. Man sieht also, wie die Geschichte über die historische Zeit, in der sie geschrieben wurde, hinausreicht. ol Wie viel Realismus braucht diese Geschichte, wie viel verträgt die Fabel? dm Fabeln müssen nicht realistisch sein. In Animal Farm kommen Schweine vor, die sprechen können und die sich mit Ziegen, Hühnern und Kühen zusammentun, um zu revoltieren. Die Fantasie gestattet es einem, freier zu erzählen – gerade, weil man weiß, dass es sich um Fiktion handelt. Es ist die Kraft der Maske: Wenn eine Schauspielerin eine solche aufsetzt, wird diese ihre Persönlichkeit nicht auslöschen, sondern sie macht sie explosiv, universell, sie lässt sie über die Sprache, die sie gerade spricht, hinauswachsen. Also: Eine Geschichte mit Tiermasken zu erzählen beflügelt die Fantasie. Für mich ist das interessant, weil ich dadurch die Freiheit gewinne, Konventionen hinter mir zu lassen und mich von einem Realismus zu verabschieden. ol Was aber sieht man auf der Bühne? Menschen oder Tiere? dm Auf der Bühne sieht man Tiere, die am Ende zu Menschen werden. Dies war auch die Metapher von Orwell: Animal Farm endet mit einer kurzen Bemerkung, die besagt, dass man am Schluss keinen Unterschied mehr zwischen Schweinen und Menschen erkennt. Die Schweine, die einen Aufstand machen und sich so weit wie möglich von dem, was der Mensch darstellt, unterscheiden 34


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wollten, nehmen am Ende alle seine Merkmale und Eigenschaften an. So, als ob sie wieder von vorne anfangen würden. Sie werden zu jenem Feind, den sie am Anfang besiegen wollten. ol Und was lernen wir daraus? dm Animal Farm lehrt uns vor allem, dass die Oper eine Zukunft hat. Das ist meiner Meinung nach das Wichtigste: Es ist schön, etwas auszuprobieren, neue Libretti zu schreiben; es ist schön, mit einem Musiker zusammenzuarbeiten und eine Sprache zu finden, die für das Publikum aufregend ist. Eine Sprache, die nicht künstlich wirkt. Denn manchmal erlebe ich schmerzhaft bei zeitgenössischer Oper, dass es mir nicht gelingt, an ihr teilzuhaben: wenn ich etwa eine Sprache höre, die abgehoben agiert. Ich glaube, dass wir aus dieser Oper, aus Raskatovs Musik, aus diesem Projekt lernen können, mehr Vertrauen in die Oper zu haben. Lernen können, dass nicht wir das Musiktheater erfunden haben und es nicht mit uns sterben wird. Das ist für mich das Schönste! Und zusätzlich können wir etwas über gesellschaftliche Dynamiken lernen, die wir in gewisser Weise leider auch heute erleben und die Teil der Macht sind: Denn Macht hat stets das Bedürfnis, Regeln zu ihrer Rechtfertigung zu finden. Und Machthaber wollen alles tun, um sie nicht zu verlieren – auch auf ungerechte Weise, gewaltsam, antidemokratisch. Ich denke, dass diese Geschichte heute durch ihre starke Botschaft von Demokratie und Freiheit des Einzelnen begeistern kann. ol Wer ist nun die Hauptfigur in Animal Farm? Die Machthaber? Das Volk?

dm Ich würde sagen, die Hauptfigur ist in Wirklichkeit The Animal Farm, das heißt, diese Gruppe von Tieren. Somit zum Beispiel der Chor, der an den Ereignissen auf der Bühne zu 90 Prozent beteiligt ist. Das ist für eine Oper ziemlich ungewöhnlich! Aber natürlich auch Napoleon. Er ist das Schwein, das zum Anführer der Gruppe wird, er ist es, der am Anfang etwas im Schatten steht, sich nicht oft blicken lässt, dann die Macht ergreift und zum Diktator wird. Er ist die metaphorische Darstellung Stalins, auf den Orwell anspielte, und er lässt als Erster langsam die Maske fallen und nimmt als Erster allmählich menschliche Züge an. ol Ist Animal Farm nur eine politische und gesellschaftliche Abrechnung, eine Dystopie? Oder gibt es auch Momente der Utopie, der Hoffnung? dm Mir gefällt sehr, dass Animal Farm mit einem Traum beginnt. Es gibt eine Figur, Old Major, die meint: Ich hatte einen Traum. Und wir kennen viele Geschichten, die mit einem solchen beginnen. Der Traum ist bereits die Projektion von etwas Unwirklichem, von etwas, das es nicht gibt und das somit utopisch ist. Ich träume von einer Welt, in der es Ungerechtigkeiten nicht mehr gibt, ich träume von einer Welt, in der ... Auch Martin Luther King begann seine berühmte Rede mit I Have a Dream, wie um zu sagen: Ich träume von etwas, das es nicht gibt. Diese Figur am Anfang gibt den Anstoß zu der Geschichte, wenn es sie nicht gäbe, käme das Ganze gar nicht in Gang. Aber Old Major hat nur eine Szene, dann stirbt er. Wir möchten ihn fragen: War es nur ein Traum oder hast 35


IM GESPRÄCH MIT DAMIANO MICHIELETTO

du wirklich geglaubt, dass er wahr werden kann? War es nur ein schöner Gedanke oder etwas, für das es sich zu sterben lohnt? Ich habe keine Antwort darauf, denn häufig können Träume zu Albträumen werden, etwas, das als etwas Erstrebenswertes beginnt, wird schrecklich und verursacht Gewalt und Missbrauch. Wenn Orwell auf Stalin anspielt, denkt er natürlich an die Gulags, an die Verfolgungen, an die Ermordungen, an alle die Menschen, die im Namen eines revolutionären Ideals von Gleichheit geschändet wurden. In Wirklichkeit wurden die schlimmsten, die schrecklichsten Dinge begangen! Das, was ein Traum war, wurde zum Albtraum. Dies gehört zur Komplexität der Fabel. ol Damiano Michieletto als Regisseur: Wie würde er die Welt verändern? dm Das weiß ich wirklich nicht ... Wie ich die Welt verändern würde? Politisch ... Ich weiß es nicht. Ich glaube nicht, dass ich etwas verändern kann. Ich habe keine politische Macht. Ich denke, das Wichtigste, das ich als Regisseur mit meinem Team tun kann, ist zu versuchen, etwas Aufregendes für das Publikum zu schaffen. Das ist eine Möglichkeit, etwas zu verändern. Nicht die Welt. Aber Emotionen zu schenken und etwas dafür zu tun, dass die Menschen ins Theater gehen und dass die Bühne zu einem Ort des Lebens wird. Auch in einer Welt, die zunehmend von Technologie bestimmt und durch Technologie gefiltert wird. Ich kann versuchen, die Bühne zu etwas zu machen, das auch riskant ist, zu etwas, das unbequem und überraschend ist.

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Und wie politisch ist das Theater? Nicht nur Ihres, sondern als Institution ganz allgemein? dm Nun ja, das Theater ist in dem Sinne politisch, als es die Polis betrifft, die Bürgerschaft, die Gemeinschaft. Schon durch die Tatsache, dass man an einem Ereignis teilnimmt. Wenn ich nun an die Zukunft der Oper denke, glaube ich, dass gesellschaftliche und politische Themen am interessantesten sind. Gerade die Oper hat die Möglichkeit – auch für die Vielzahl von Personen, die an einer Aufführung mitwirken –, ein Spiegel der Gesellschaft zu sein, und sie kann einen kritischen Blick auf die Gesellschaft werfen. Mein Traum ist, dass es uns wie am Ende des 16. Jahrhunderts, als man die Oper erfand, gelingt, eine Sprache zu finden, die Wort und Musik ideal vereint. Und mir würde es gefallen, wenn wir zu einem gesellschaftlich wie politisch fokussierteren Blick fänden – wie im antiken Griechenland. Schließlich begeistern mich Geschichten, die die Welt, in der wir leben, betreffen. ol Gibt es für Sie den eindrucksvollsten Moment der Oper? dm In Animal Farm gibt es einen Moment, der mir anfangs Kopfzerbrechen bereitet hat: Eine Szene, die der Komponist Raskatov eingefügt hat und die nicht Teil von Orwells Geschichte ist. Raskatov hat eine Figur namens Pigetta erfunden, eine Sängerin, der von Squealer – einem Schwein, das an Napoleons Seite steht (auf Deutsch wurde der Name als »Schwatzwutz« übersetzt) – der Hof gemacht wird. Diese Szene ist ein Zitat. Es ist, als würden wir in 36


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die Oper gehen und dort diese Sängerin erleben, der von einem Verehrer Blumen geschenkt werden. Sie denkt, dass sie die Blumen aufgrund ihrer Schönheit, aufgrund ihrer Berühmtheit bekommt. Der Verehrer aber sagt: Nein, dies sind die Blumen für dein Grab. Raskatov hat dieses Zitat, das von einer tatsächlich existierenden Person aus der Sowjetunion stammt, für die Oper verwendet. Es gibt also eine Verbindung zwischen dieser Szene und der Geschichte der Sowjetunion, die ich auf surreale, aber auch dramatische Weise gedreht habe. Daraus ist eine der emblematischsten Szenen der Oper geworden. ol Zuletzt: Können Sie aus Ihrer Sicht Raskatovs Musik beschreiben? dm Mir gefällt ungemein, dass Raskatov ein Komponist ist, der den Dialog mit dem Publikum sucht und nicht auf Distanz geht. Er stellt sich den Zuhörerinnen und Zuhörern. Und sagt: Ich möchte eine

Musik schreiben, die eine direkte, populäre, unmittelbare Verbindung zum Publikum hat. Weiters verspüre ich in seiner musikalischen Welt das Echo von Schostakowitsch. Raskatov vermischt Genres, spielt mit stimmlichen Ex­ tremen. Mit anderen Worten: Er gefällt mir, weil er seine Sprache nicht auf eine Orchesterübung oder eine Technikübung reduziert, sondern die Geschichte vor sich sieht. Er selbst hat ja auch viel am Libretto gearbeitet, um es besser ans Theater anzupassen. Und er hat ein großes theatrales Gespür. Seine Musik, die Art und Weise, in der er Figuren erschafft, ist sehr theaterbezogen. Abgesehen davon war es sehr einfach, mit seiner Musik zu arbeiten, weil sie zahllose Möglichkeiten anbietet, um Figuren und eine Welt zu erschaffen. Seine Musik ist sehr reichhaltig, mitreißend. Und das ist meiner Meinung nach für das Publikum sehr, sehr schön!

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KO JO PF H ZNE B IL EE RGER

»DAS ERSTE THEMATISCHE OBJEKT FÜR DIE MALEREI WAR DAS TIER. WAHRSCHEINLICH WAR DIE ERSTE FARBE TIERBLUT. UND ES IST NICHT UNSINNIG ANZUNEHMEN, DASS DIE ERSTE METAPHER DAS TIER WAR.« 38


KOPFZEILE

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OLIVER LÁNG

EIN RABE NAMENS BLACKY In einer Hotellobby in Wien, die Kaffeemaschine surrt, der Concierge murmelt. Doch was ist das? Plötzlich flirren silbrige Koloraturtöne durch den Raum, gleich danach ein baritonales Gurren. Spitzen blitzen auf, kräftig betonte Silben folgen, ausdrucksstarke Klangtrauben. Und eine Dame beeindruckt mit einprägsamen Blicken, Gesten. Eine Performance? Eine Probe? Nein, es ist die faszinierende Sängerin Elena Vassilieva, Mitwirkende der Animal FarmPremiere: Sie gibt ein Interview. Und wo die Worte nicht mehr reichen, greift sie kurzerhand zu anderen Ausdrucksmitteln: Gesang und Darstellung. Viele Jahre ist es her. Da fragte eine Sopranistin, gleichermaßen bewandert im internationalen »klassischen« Repertoire zwischen Cio-Cio-San und der Tannhäuser-Elisabeth wie auch in der zeitgenössischen Musik, beim Komponisten Raskatov an, ob er nicht ein neues Stück für sie schreiben könne? Ja, seine Antwort. Das könne er. Schließlich wusste er um ihre Kunst, er kannte ihre Interpretationen der Werke von großen Komponistenkollegen wie Alfred Schnittke und Edison Denisov, er

kannte ihre Stimme. Und machte sich an die Arbeit. Das neue Werk sollte etwas Besonderes werden, nicht nur reiner Gesang. Sondern: Gesang und Schlagwerk, dargebracht von nur einer Person. Und so entstand Ritual, 1998 im musikalischen Wunderland Lockenhaus uraufgeführt. Die Sängerin, der Raskatov das Stück auf die Stimmbänder schrieb, war natürlich Elena Vassilieva, heute die Ehefrau des Komponisten. »Ein spektakuläres Werk«, erzählt sie. »Aber man braucht dazu eine spezielle Gesangstechnik.« Es erklingen nämlich einerseits Soprankoloraturen, andererseits aber auch tiefe, charakteristische, »grummelnde« Töne. Die erforderliche Technik, die hat Vassilieva von einem Schamanen erlernt: dabei werden nicht die Stimmbänder selbst, sondern die Seitenstränge angesprochen. Dank dieser Methode gelingen atemnehmende Stimmsprünge, raue, baritonale Klänge stehen neben heftigen Sopranattacken. Musikalische Elemente, die auch die Klangwelt des Blacky in Animal Farm prägen. Vassilieva: »Eine herausfordernde Partie! Nicht nur, weil

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EIN RABE NAMENS BLACKY

Blacky praktisch die ganze Zeit auf der Bühne ist. Sondern auch, weil man dazu die eben angesprochene gesangliche Polytechnik braucht: eigentlich sind es zwei Stimmen in einer Person.« Rein von den Noten her wäre die Partie für Vassilieva nicht so schwierig, kann sie doch auf ihr absolutes Gehör vertrauen. »Ich schaue in die Noten und schon höre ich die Musik, zum Einstudieren brauche ich eigentlich gar kein Klavier.« Aber die Komplexität der Rolle, die Geschwindigkeit des Umschaltens, die geforderte Vielfalt, das alles macht die Partie außerordentlich. »2006 führte ich hier in Wien im Konzerthaus, begleitet von Pierre-Laurent Aimard, ein Werk von György Kurtág auf: Bornemisza Péter mondásai (»Die Sprüche des Péter Bornemisza«), und das auf Ungarisch. Ein extrem herausforderndes, 40minütiges Stück, nur eine Sängerin und ein Klavier. Ich dachte: das ist das Schwierigste, das ich machen kann. Heute weiß ich: Blacky fordert noch mehr.« Wer aber ist Blacky? Zunächst einmal ein Rabe. Mit anderen Worten: ein intelligentes Tier, das sich stets zu helfen weiß. In George Orwells Erzählung repräsentiert der Rabe die Kirche, in der Oper wurde die Figur deutlich erweitert. Nun ist Blacky ein zentraler Charakter, präzise gezeichnet, unheimlich. »Eine komplexe Figur, Blacky beobachtet alles und jeden, er fragt viel, gibt aber keine Antworten. Die Fragen sind wie eine Autopsie. Er ist gut erzogen, weiß, wie er mit dem Diktator Napoleon zu sprechen hat und wie mit den anderen. Ihn interessiert nur die Crème de la Crème. Sein Plan ist es, sobald wie möglich Squealers Stelle einzunehmen. Und dann will er die Position von Napoleon. Blacky ist ein Taktiker, ganz

ohne Angst zu töten.« Diese Glätte und das Unpersönliche zeigt sich schon im Kostüm. Die Figur ist rabenschwarz gekleidet, »sehr elegant, die Schuhe, die Handschuhe, alles außerordentlich schön, alles Haute Couture«. Die Sonnenbrille, die er immer trägt? »Das hat mit seinem Charakter zu tun, niemand kann ihn durchschauen, hinter die Fassade blicken.« Auch seine Sprache ist technisch, die Persönlichkeit schwer zu greifen: »Er ist polystrukturell. Ein pathologischer Charakter.« Und im Inneren, so Vassilieva, gänzlich leer. Und: Die Figur wurde vom Komponisten auch als Kritik an der kirchlichen Welt Russlands verstanden. Gleichzeitig aber hat Blacky etwas von einem Geheimdienstler, von einem KGB-Agenten. Hier spielen auch autobiographische Züge hinein, wie Vassilieva schildert: »Als Jude litt Raskatov in Russland, seine Eltern, die Ärzte waren, wurden in der Stalin-Zeit verfolgt. Und ich denke, dass er einer ganzen Reihe solcher Raben begegnete.« Blacky wird übrigens Napoleon nachfolgen, meint Vassilieva. »So wie im heutigen Russland. Viele Blackys! Leider!« Angeregt scharrt sie in den Startlöchern, denn gleich nach dem Interview geht es zur Probe. »Mit dieser Rolle habe ich viel experimentiert, bei der Uraufführung in Amsterdam – und auch jetzt. Denn in Wien gibt es eine teils andere Besetzung, das führt zu neuen Konstellationen.« Doch experimentieren, Neues zu entdecken ist pures Glück für die Sängerin: »Wissen Sie, ich bin eine ewige Studentin und glücklich, wenn ich etwas lernen kann. Das war in meiner Jugend als Schülerin von Elisabeth Schwarzkopf, die wie eine Mutter für mich war, so – und das ist bis heute so geblieben!«

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ALEXANDER SODDY

WENN DAS DRAMA ZUM LEBEN ERWACHT Das Werk eines lebenden Komponisten aufzuführen, ihn bei der Entwicklung der Interpretation einzubeziehen, mit ihm in einen künstlerischen Dialog zu treten, gehört zu den schönsten Erfahrungen im Wirken eines Interpreten. Entsprechend beglückend war für mich auch die Zusammenarbeit mit Alexander Raskatov im Zuge der Erstaufführung seiner Animal Farm an der Wiener Staatsoper. Die zahlreichen, vielstündigen Gespräche, in denen wir gemeinsam die Partitur gelesen und analysiert haben, begannen sehr früh, bereits im Umfeld der von einem Kollegen geleiteten Uraufführungsserie in Amsterdam. Ich hatte Fragen, Anregungen, Vorschläge – schließlich ist die Interpretation eines Musikwerkes ein kreativer, lebendiger Prozess, eine bloße Kopie der Amsterdamer Vorstellungen wäre für mich wenig interessant gewesen. Raskatov ist sehr offen und interessiert in diese Diskussion eingestiegen und hat so manches aufgenommen, sodass schließlich eine Art Wiener Fassung von Animal Farm entstanden ist. Das Gros der Änderungen betraf weniger strukturelle Aspekte, sondern solche des Ausdrucks, also der interpretatorischen Herangehensweisen. Aber die CLEMENS UNTERREINER als MR. PILKINGTON HOLLY FLACK als MOLLIE

eine oder andere Generalpause, Tempomodifikation, sowie einige winzige Striche, die zur Fokussierung der Handlung beitragen, sind auch dabei. Dazu kommt noch der wesentliche Aspekt, dass in Amsterdam Gesangsstimmen elektronisch verstärkt wurden, was an der Wiener Staatsoper selbstverständlich nicht der Fall sein wird. Wichtig im Werk Raskatovs ist seine Auseinandersetzung mit früheren Komponistengrößen seiner Heimat und der russischen Folklore. Beim Erarbeiten, aber auch beim Hören von Animal Farm fallen einem daher sofort Reminiszenzen an beispielsweise Schostakowitsch oder Prokofiew auf. Wie schon Richard Strauss haben heute praktisch alle bedeutenden zeitgenössischen Komponistinnen und Komponisten ein geradezu enzyklopädisches Wissen, was frühere Stile und musikalische Sprachen, Einflüsse und Zusammenhänge betrifft. Dieses Wissen ist Teil des Handwerks und somit ein Werkzeug beim schöpferischen Prozess. So gibt es etwa in Animal Farm ganz bewusste Parallelen zu Schostakowitschs Lady Macbeth von Mzensk, wenn es um Ironie, gesellschaftliche Polemik und politische Satire geht. Das sind atmosphärische

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ALEXANDER SODDY

Zitate, die von Raskatov hier eingesetzt wurden, da es sich bei Animal Farm um eine kritische Auseinandersetzung mit dem Stalinismus, der sowjetischen Diktatur, und in Folge mit der Entstehung von Diktaturen im Allgemeinen handelt. Dieses Wissen um andere Stile, diese Bereitschaft, sich inspirieren zu lassen hat aber nichts mit einem oberflächlichen Eklektizismus zu tun. Ganz im Gegenteil. Es ist ungemein aufregend, wie Raskatov mit diesen Einflüssen spielt, wie er sie einsetzt und auf geniale Weise in seine eigene Musiksprache übersetzt. Bemerkenswert an der Animal Farm-Partitur ist weiters, wie sehr alles ineinandergreift und aufeinander bezogen ist. Nichts wirkt abstrakt oder zufällig. Jeder Ton, der gesungen wird, hat eine wichtige Funktion in der gerade aktuellen harmonischen Struktur, und umgekehrt bildet das Orchester stets eine Komponente des sängerischen Gestaltens. Immer wieder doppelt ein Instrument oder eine Instrumentengruppe die rhythmische und/oder harmonische Struktur der Gesangslinie – das Orchester rollt den Sängerinnen und Sängern auf diese Weise einen schönen Teppich aus, auf dem sie gestalten können. Apropos Sängerinnen und Sänger: Insgesamt weist die Oper sehr viele unterschiedliche Rollen auf – insgesamt 21 und Raskatov gelingt es, jedem dieser Charaktere eine eigene musikalische Individualität zu geben. Manche sind sehr extrem im Ausdruck, wie Benjamin der Esel, der regelmäßig Tonsprünge zu meistern hat, die dem I-a des Eselsrufs entsprechen, der Rabe Blacky oder das Pferd Mollie, das sängerisch abenteuerlich stratosphärische Höhen erklimmen muss. Unterstützt

werden diese tierischen Typiken des Sprechens respektive Singens von einer sehr markanten Rhythmik, die darum fast schon als eine eigene Klangfarbe aufgefasst werden kann. Das Schwein Napoleon weist hingegen eine ganz »normale« Stimmgestaltung auf – inklusive einer ironisch gemeinten Arie. Nicht von ungefähr: Ist das doch die Figur, die im Laufe der Handlung am meisten »vermenschlicht«. Aber allen ist eines gemeinsam: Jede und jeder verlässt für einige Momente die jeweilige musikalische Handschrift und taucht in lyrische Momente ein, die Oasen der Schönheit gleichen. Zusätzlich zu den zahlreichen Solorollen gibt es noch den Chor. Er ist überaus präsent und versinnbildlicht die einfache, manipulierbare, passive Masse, die die Situation nicht durchschaut, sich gerne führen lässt und überhaupt erst ermöglicht, dass die Schweine jene unbegrenzte Machtfülle erwerben. Er ist nicht mit der Idee des antiken griechischen Chores zu vergleichen, da er keinerlei objektive Perspektive besitzt, um den Handlungsverlauf reflektierend zu kommentieren. Der Chor in Animal Farm ist somit lediglich das hilflose Opfer und Widerhall einer bedenklichen Entwicklung. Beeindruckend – und darum gesondert hervorzuheben – ist die Größe und Vielfältigkeit des Orchesterapparats! Insbesondere der Reichtum der Schlagwerkabteilung ist unglaublich. Ich muss zugeben, dass ich hier auf ganz aufregende Instrumente gestoßen bin, von denen ich zuvor noch nie etwas gehört habe. Ein Waterphone zum Beispiel. Es sieht aus wie ein kleines, sonderbares, mit Wasser angefülltes Möbelstück, das mit einem Kontrabassbogen gestrichen wird und

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W E N N DA S DR A M A Z U M L E B E N E RWAC H T

erzeugt einen aufregend-sphärischen Klang. Oder die Cuíca, eine brasilianische Reibetrommel. Mein Klanghorizont hat sich – obwohl ich an sich viel Erfahrung mit zeitgenössischer Musik besitze – durch Animal Farm erfreulich erweitert. Vom Schlagwerk abgesehen gibt es noch Klavier und Celesta, E-Gitarre, Bassgitarre, Saxophon, eine Petite trompette, also eine kleine Trompete, die vom ersten Trompeter zusätzlich gespielt wird. Und dann gibt es noch die klassische Orchesterbesetzung, wobei viele der Bläser mehrere Instrumente übernehmen – also mehr als genug zu tun haben. Schon rein vom räumlichen her ist die Größe des Orchesters daher eine Herausforderung für jedes Opernhaus. In Amsterdam hat man sogar einen nicht gerade kleinen Teil des Parketts abgetrennt und dem Orchestergraben zugeschlagen. Das wird in der Wiener Staatsoper nicht geschehen, doch auch hier reicht der Platz nicht ganz aus, obwohl sogar das gewaltige Elektra-Orchester untergebracht werden kann. Aber wir haben eine gute Lösung gefunden: Einige schwere Instrumente des Schlagwerks, die rhythmisch weniger heikle Aufgaben haben, wie etwa die großen Plattengongs, werden im Orgelsaal im 6. Stock der Staatsoper untergebracht. Die Musiker sind durch Monitore akustisch und visuell mit mir verbunden und was sie spielen, wird direkt in den Zuschauerraum übertragen. Genauso wird übrigens im Rheingold mit den Ambossen verfahren – das ist

also keine ungewöhnliche oder für das Haus neue Situation. ZZZZ

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GEORGE ORWELL, FARM DER TIERE, 2. Kapitel

»PLÖTZLICH HAGELTE ES VON ALLEN SEITEN STÖSSE UND TRITTE AUF JONES UND SEINE LEUTE. SIE WURDEN DER SITUATION ABSOLUT NICHT MEHR HERR. NOCH NIE HATTEN SIE TIERE SICH SO AUFFÜHREN SEHEN, UND DIESER PLÖTZLICHE AUFSTAND VON GESCHÖPFEN, DIE SIE NACH LUST UND LAUNE ZU PRÜGELN UND ZU MISSHANDELN GEWOHNT WAREN, JAGTE IHNEN EINE HEIDENANGST EIN.«

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MAX HORKHEIMER

DER WOLKEN- KRATZER Ein Querschnitt durch den Gesellschaftsbau hätte ungefähr folgendes darzustellen: Obenauf die leitenden, aber sich untereinander bekämpfenden Trustmagnaten der verschiedenen kapitalistischen Mächtegruppen; darunter die kleineren Magnaten, die Großgrundherren und der ganze Stab der wichtigen Mitarbeiter; darunter – in einzelne Schichten aufgeteilt – die Massen der freien Berufe und kleineren Angestellten, der politischen Handlanger, der Militärs und Professoren, der Ingenieure und Bürochefs bis zu den Tippfräuleins; noch darunter die Reste der selbständigen kleinen Existenzen, die Handwerker, Krämer und Bauern e tutti quanti, dann das Proletariat, von den höchst bezahlten gelernten Arbeiterschichten über die ungelernten bis zu den dauernd Erwerbslosen, Armen, Alten und Kranken. Darunter beginnt erst das eigentliche Fundament des Elends, auf dem sich dieser Bau erhebt, denn wir haben bisher nur von den hochkapitalistischen Ländern gesprochen, und ihr ganzes Leben ist ja getragen von dem furchtbaren Ausbeutungsapparat, der in den halb und ganz kolonialen Territorien, also in dem weitaus größten Teil der Erde funktioniert. Weite Gebiete des Balkans sind ein Folterhaus, das Massenelend in Indien, China, Afrika übersteigt alle Begriffe. Unterhalb der Räume, in denen millionenweise die Kulis der Erde krepieren, wäre dann das unbeschreibliche, unausdenkliche Leiden der Tiere, die Tierhölle in der menschlichen Gesellschaft darzustellen, der Schweiss, das Blut, die Verzweiflung der Tiere. Man spricht gegenwärtig viel von »Wesensschau«. Wer ein einziges Mal das »Wesen« des Wolkenkratzers »erschaut« hat, in dessen höchsten Etagen unsere Philosophen philosophieren dürfen, der wundert sich

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DER WOLKENKRATZER

nicht mehr, daß sie so wenig von dieser ihrer realen Höhe wissen, sondern immer nur über eine eingebildete Höhe reden; er weiß, und sie selbst mögen ahnen, daß es ihnen sonst schwindlig werden könnte. Er wundert sich nicht mehr, daß sie lieber ein System der Werte als eines der Unwerte aufstellen, daß sie lieber »vom Menschen überhaupt« als von den Menschen im besonderen, vom Sein schlechthin als von ihrem eigenen Sein handeln: sie könnten sonst zur Strafe in ein tieferes Stockwerk ziehen müssen. Er wundert sich nicht mehr, daß sie vom »Ewigen« schwatzen, denn ihr Geschwätz hält, als ein Bestandteil seines Mörtels, dieses Haus der gegenwärtigen Menschheit zusammen. Dieses Haus, dessen Keller ein Schlachthof und dessen Dach eine Kathedrale ist, gewährt in der Tat aus den Fenstern der oberen Stockwerke eine schöne Aussicht auf den gestirnten Himmel. Aus: Dämmerung. Notizen in Deutschland, 1934/1978.

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GEORGE ORWELL, WA RU M ICH SCHR EIBE

»JEDE ZEILE, DIE ICH SEIT 1936 GESCHRIEBEN HABE, IST DIREKT ODER INDIREKT GESCHRIEBEN GEGEN TOTALITARISMUS UND FÜR DEMOKRATISCHEN SOZIALISMUS, WIE ICH IHN VERSTEHE ... ANIMAL FARM WAR DAS ERSTE BUCH, IN DEM ICH VERSUCHTE, IM VOLLEN BEWUSSTSEIN MEINES TUNS, POLITISCHE ABSICHT UND KÜNSTLERISCHE ABSICHT ZU EINEM GANZEN ZU VERSCHMELZEN.«

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GEORGE ORWELL

VORWORT ZUR UKRAINISCHEN AUSGABE VON ANIMAL FARM Für die ukrainische Übersetzung von Animal Farm verzichtete Orwell, ebenso wie bei Ausgaben für andere Zielgruppen, die sonst nicht hätten finanziert werden können (z.B. Ausgaben in Persisch und Telugu), auf Tantiemen; Orwell übernahm auch die Herstellungskosten einer russischen Ausgabe auf Dünndruckpapier, die unter anderem für Soldaten jenseits des Eisernen Vorhangs gedacht war. Wie aus einem Schreiben von Ihor Szewczenko hervorgeht, der die ukrainische Übersetzung und deren Verbreitung organisierte, richtete sich die Übersetzung an Ukrainer, die nach dem Zweiten Weltkrieg in Lagern für Vertriebene unter britischer und amerikanischer Verwaltung lebten. Es waren Menschen, die die Oktoberrevolution unterstützt hatten und entschlossen waren, das Erreichte zu verteidigen, sich aber gegen »Stalins konterrevolutionären Bonapartismus« und die »russische nationalistische Ausbeutung des ukrainischen Volkes« wandten. Für diese Bauern und Arbeiter – keine hochgebildeten, jedoch wissbegierige Leser – bat Szewczenko Orwell um eine spezielle Einleitung.

Das englische Original ist verloren. Diese deutsche Version beruht auf der Rückübersetzung ins Englische. Ich wurde gebeten, ein Vorwort zur ukrainischen Übersetzung von Animal Farm zu schreiben. Mir ist bewusst, dass ich hier für Leser schreibe, über die ich nichts weiß, und die vermutlich ebenfalls nie die geringste Gelegenheit hatten, etwas über mich zu erfahren. Zuallererst möchte ich etwas über mich selbst und die Erfahrungen sagen, die mich zu meiner politischen Einstellung geführt haben. Ich wurde 1903 in Indien geboren. Mein Vater war dort als Beamter der britischen Verwaltung tätig. Meine Familie war eine gewöhnliche Mittelklasse-Familie aus dem Milieu der Soldaten, Kleriker, Regierungsbeamten, Lehrer, Juristen, Ärzte etc. Meine Ausbildung fand in Eton statt, der teuersten und versnobtesten unter den englischen Public Schools. Möglich war diese aber nur mit Hilfe eines Stipendiums. Mein Vater hätte

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VORWORT Z U R U K R A IN ISCHEN AUSGA BE VON ANIM AL FAR M

es sich sonst nicht leisten können, mich in eine solche Schule zu schicken. Kurz nach Abschluss der Schule (ich war knapp zwanzig Jahre alt) ging ich nach Burma und schloss mich der Indian Imperial Police an. Das war eine bewaffnete Polizei, eine Art Gendarmerie ähnlich der spanischen Guardia Civil oder der Garde Mobile in Frankreich. In meinen fünf Dienstjahren fühlte ich mich nicht wohl und begann, den Imperialismus zu hassen, obwohl der Nationalismus damals in Burma nicht sehr ausgeprägt war und die Beziehungen zwischen Engländern und Burmesen keine besonders unfreundlichen waren. Anlässlich eines Urlaubs in England im Jahr 1927 quittierte ich den Dienst und beschloss Schriftsteller zu werden, zunächst nicht sehr erfolgreich. 1928-29 lebte ich in Paris und schrieb Kurzgeschichten und Romane, die niemand verlegen wollte (ich habe sie inzwischen alle vernichtet). In den folgenden Jahren lebte ich größtenteils von der Hand in den Mund und musste immer wieder Hunger leiden. Erst ab 1934 konnte ich mit dem Schreiben meinen Lebensunterhalt verdienen. In der Zwischenzeit lebte ich manchmal monatelang unter den armen und halb kriminellen Elementen, welche in den schlimmsten Gegenden der ärmeren Stadtviertel hausen oder auf den Straßen betteln und stehlen. Damals verkehrte ich aus Geldmangel mit ihnen, später interessierte ich mich für ihre Lebensweise um ihrer selbst willen. Ich beschäftigte mich viele Monate lang (diesmal systematischer) mit den Lebensbedingungen der Bergarbeiter im Norden Englands. Bis zum Jahr 1930 sah ich mich nicht als Sozialisten. Tatsächlich hatte ich noch keine klar definierten politischen Ansichten. Meine pro-sozialistische Einstellung

entwickelte sich mehr aus Abscheu vor der Art und Weise, wie der ärmere Teil der Industriearbeiter unterdrückt und benachteiligt wurde, als aus irgendeiner theoretischen Bewunderung für den Entwurf einer zukünftigen Gesellschaft. 1936 heiratete ich. Beinahe in derselben Woche brach in Spanien der Bürgerkrieg aus. Meine Frau und ich wollten beide nach Spanien, um für die spanische Regierung zu kämpfen. Nach sechs Monaten hatte ich das Buch, an dem ich arbeitete, beendet und wir waren soweit. In Spanien war ich fast sechs Monate lang an der Aragon-Front, bis ich in Huesca von einem faschistischen Heckenschützen durch den Hals geschossen wurde. In den frühen Phasen des Krieges wussten Ausländer im Allgemeinen nichts über die internen Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Parteien, die die Regierung unterstützten. Infolge einer Reihe von Zufällen schloss ich mich nicht der Internationalen Brigade an, wie die meisten Ausländer, sondern der POUM-Miliz, d.h. den spanischen Trotzkisten. Mitte des Jahres 1937, als die Kommunisten die Kontrolle (bzw. teilweise Kontrolle) über die spanische Regierung erlangten und die Jagd auf die Trotzkisten eröffneten, waren wir unter den Verfolgten. Wir hatten großes Glück, Spanien lebend zu verlassen, ohne ein einziges Mal verhaftet worden zu sein. Viele unserer Freunde wurden erschossen, andere saßen lange Zeit im Gefängnis oder verschwanden einfach. Diese Menschenjagden in Spanien liefen parallel zu den großen Säuberungen in der UdSSR und ergänzten diese sozusagen. In Spanien ebenso wie in Russland war die Anschuldigung dieselbe (nämlich Verschwörung mit den Faschisten) und was Spanien betrifft,

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GEORGE ORWELL

habe ich gute Gründe zur Annahme, dass die Anschuldigungen falsch waren. All dies zu erleben war wertvoller Anschauungsunterricht für mich. Ich lernte, wie leicht totalitäre Propaganda die Meinung aufgeklärter Menschen in demokratischen Ländern steuern kann. Meine Frau und ich sahen, wie unschuldige Menschen ins Gefängnis geworfen wurden, nur weil sie unorthodoxer Ansichten verdächtigt wurden. Doch bei unserer Rückkehr nach England trafen wir auf viele vernünftige und in der Regel gut informierte Beobachter, die anlässlich der Moskauer Prozesse den fantastischsten Presseberichten über Verschwörungen, Verrat und Sabotage Glauben schenkten. Und so verstand ich – klarer denn je zuvor – den negativen Einfluss des sowjetischen Mythos auf die sozialistische Bewegung im Westen. Hier halte ich inne, um meine Einstellung zum sowjetischen Regime zu beschreiben. Ich habe Russland nie besucht, und mein diesbezügliches Wissen beziehe ich nur aus der Lektüre von Büchern und Zeitschriften. Selbst wenn ich die Macht dazu hätte, würde ich mich nicht in innere Angelegenheiten der Sowjetunion einmischen. Ich würde Stalin und seine Genossen auch nicht allein aufgrund ihrer barbarischen und undemokratischen Methoden verurteilen; durchaus möglich, dass sie trotz bester Absichten unter den dortigen Bedingungen nicht anders hätten handeln können. Andererseits aber war es für mich von größter Wichtigkeit, dass die Menschen in Westeuropa das sowjetische Regime so sahen, wie es wirklich war. Seit 1930 habe ich kaum Anzeichen dafür gesehen, dass die UdSSR sich in eine Richtung bewegt, die man tatsächlich als Sozialismus bezeichnen könnte.

Ganz im Gegenteil stieß ich auf klare Anzeichen ihrer Transformation in eine hierarchische Gesellschaft, in der die Regierenden nicht mehr Veranlassung haben, ihre Macht aufzugeben, als irgendeine andere herrschende Klasse. Überdies können die Arbeiter und Intellektuellen in einem Land wie England nicht verstehen, dass die UdSSR heute eine gänzlich andere ist als im Jahr 1917. Zum Teil wollen sie es nicht verstehen (d.h. sie möchten glauben, dass irgendwo ein echtes sozialistisches Land wirklich existiert), und zum Teil sind sie an relative Freiheit und Mäßigung im öffentlichen Leben so gewöhnt, dass Totalitarismus für sie vollkommen unbegreiflich ist. Gewiss ist auch England nicht vollständig demokratisch. Es ist ein kapitalistisches Land mit großen Klassenprivilegien und – sogar jetzt, nach einem Krieg, der auf eine Angleichung aller hinwirkte – mit beträchtlichen Vermögens-Unterschieden. Nichtsdestoweniger ist es ein Land, in dem die Menschen seit mehreren Jahrhunderten ohne größere Konflikte zusammenleben. Seine Gesetze sind relativ gerecht, offiziellen Nachrichten und Statistiken darf fast ausnahmslos geglaubt werden und nicht zuletzt begibt man sich durch Vertretung und Äußerung von Minderheitenmeinungen nicht in Lebensgefahr. In so einer Atmosphäre kann sich der Mann auf der Straße solche Dinge wie Konzentrationslager, Massendeportationen, Verhaftungen ohne Gerichtsverfahren, Pressezensur etc. nicht wirklich vorstellen. Alles, was er über ein Land wie die UdSSR liest, wird automatisch in englische Begriffe übertragen, und so akzeptiert er ganz arglos die Lügen der totalitären Propaganda. Bis 1939 und sogar noch danach war die Mehrheit der briti-

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VORWORT Z U R U K R A IN ISCHEN AUSGA BE VON ANIM AL FAR M

schen Bevölkerung unfähig, die wahre Natur des Nazi-Regimes in Deutschland zu ermessen, und mit dem sowjetischen Regime gibt sie sich weitgehend derselben Art von Illusion hin. Das hat der sozialistischen Bewegung in England großen Schaden zugefügt und hatte gravierende Konsequenzen für die britische Außenpolitik. Tatsächlich bin ich der Meinung, dass nichts so sehr zur Korrumpierung der ursprünglichen Idee des Sozialismus beigetragen hat wie die Überzeugung, dass Russland ein sozialistisches Land sei und dass jede Tat seiner Machthaber entschuldigt oder sogar imitiert werden müsse. Und so bin ich seit zehn Jahren davon überzeugt, dass die Zerstörung des sowjetischen Mythos unerlässlich ist, wenn wir die sozialistische Bewegung wiederbeleben wollen. Bei meiner Rückkehr aus Spanien überlegte ich, den sowjetischen Mythos in einer Erzählung zu entlarven, die von jedermann zu verstehen ist und leicht in andere Sprachen übersetzt werden kann. Die konkreten Details der Geschichte waren jedoch noch unklar, bis ich eines Tages (ich lebte damals in einer kleinen Ortschaft) einen kleinen Jungen sah, vielleicht zehn Jahre alt, der einen gewaltigen Karrengaul auf einem schmalen Weg entlang trieb und ihn mit der Peitsche schlug, wann immer dieser kehrtmachen wollte. Mir kam der Gedanke, dass, wenn diese Tiere sich nur ihrer Stärke bewusst würden, wir keine Macht über sie hätten, und dass Menschen die Tiere auf weitgehend gleiche Weise ausbeuten wie die Reichen das Proletariat. Ich analysierte die Marx’sche Theorie vom Standpunkt der Tiere aus. Für sie ist klar, dass die Vorstellung eines Klassenkampfes zwischen Menschen

die reine Illusion ist, denn sobald Tiere ausgebeutet werden müssen, verbünden sich alle Menschen gegen sie. Der eigentliche Kampf wird zwischen Tieren und Menschen geführt. Von diesem Ansatz aus war es nicht schwierig, die Geschichte auszuarbeiten. Ich schrieb sie erst 1943 nieder, da ich immerzu mit anderen Arbeiten beschäftigt war. Zum Schluss bezog ich noch einige aktuelle Ereignisse mit ein, wie etwa die Teheran-Konferenz. Die wichtigsten Umrisse der Geschichte trug ich also über einen Zeitraum von sechs Jahren mit mir, bevor ich sie aufschrieb. Ich möchte das Werk nicht kommentieren. Wenn es nicht für sich selbst spricht, ist es misslungen. Aber zwei Punkte möchte ich hervorheben. Erstens: Obwohl die einzelnen Episoden der tatsächlichen Geschichte der Russischen Revolution entnommen sind, werden sie hier modellhaft behandelt, und ihre zeitliche Reihenfolge wurde geändert, was für die Symmetrie der Erzählung erforderlich war. Den zweiten Punkt haben die meisten Kritiker übersehen, möglicherweise habe ich ihn nicht genügend herausgestellt. Für manchen Leser könnte am Ende des Buches der Eindruck einer vollständigen Versöhnung von Schweinen und Menschen entstehen. Das war nicht meine Absicht. Vielmehr wollte ich es mit einem lauten Misston enden lassen, da ich es als Reaktion auf die Teheran-Konferenz schrieb, von der allgemein angenommen wurde, sie hätte die bestmöglichen Beziehungen zwischen der UdSSR und dem Westen begründet. Ich für meinen Teil glaubte nicht daran, dass diese guten Beziehungen lange anhalten würden, und wie die Ereignisse gezeigt haben, lag ich kaum daneben.

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Folgende Bildseite ELENA VASSILIEVA als BLACKY WOLFGANG BANKL als NAPOLEON


GEORGE ORWELL, FARM DER TIERE, 2. Kapitel

»Die Tiere liefen zur Kuppe des Hügels hinauf und schauten im klaren Morgenlicht rings um sich her. Ja, es gehörte ihnen – alles, was sie erblicken konnten, gehörte ihnen! In ihrem Begeisterungstaumel darüber tollten sie umher und vollführten wahre Luftsprünge vor Aufregung. Sie kullerten sich im Tau, sie rissen das leckere Sommergras büschelweise aus, sie scharrten Klumpen schwarzer Erde auf und schnupperten ihren würzigen Geruch. Dann unternahmen sie einen Inspektionsgang über die ganze Farm und musterten mit sprachloser Bewunderung das Ackerland, die Wiese, den Obstgarten, den Teich, das Buschwerk. Es war, als hätten sie diese Dinge nie zuvor gesehen.«

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HARUN MAYE

DAS TIER ALS METAPHER In der Antike konnte Achill ein Löwe sein, weil der Mensch noch nicht kategorisch vom Tier getrennt war. Trotz einer bereits etablierten Unterscheidung zwischen tierischen Instinkten und menschlicher Vernunft geht die antike Philosophie bloß von einem graduellen Unterschied zwischen Mensch und Tier aus. Der Abstand zwischen dem Menschen und den anderen Lebewesen wird zwar verschieden vermessen, aber ganz gleich, ob dieser Abstand als Abstieg vom Menschen zu den Tieren oder als Aufstieg von den Tieren zum Menschen gedacht wird, entscheidend ist, dass der Mensch und das Tier gemeinsam auf einer Skala angeordnet werden. Weil sie von gleicher Natur sind, lassen sich menschliche Verhältnisse auch an Tieren veranschaulichen. Gleichnisse und Fabeln von Tieren und Menschen haben sozusagen eine gemeinsame philosophisch-physiologische Grundlage. Erst der Dualismus zwischen Mensch und Tier, den das Christentum und am radikalsten der Cartesianismus eingeführt haben, macht aus dem Tier »eine Art Gedankending, das heißt ein fiktives Wesen«1, das alles ist, was der Mensch nicht ist und umgekehrt. Interessanterweise hat das seiner symbolischen Funktion keinen Abbruch getan, im Gegenteil. Gerade wenn das Tier ein Fabeltier, ein Gedankending geworden ist, ANDREI POPOV als SQUEALER GENNADY BEZZUBENKOV als OLD MAJOR MICHAEL GNIFFKE als SNOWBALL

eignet es sich besonders gut als Sinnbild für unterschiedliche Weltanschauungen und Gesellschaftsentwürfe. In der mittelalterlichen Lehre vom Seienden werden die Tiere und alle Dinge der Natur nach ihren irdischen Erscheinungsformen und einer dahinter liegenden Bedeutung unterschieden. Die christliche Tierkunde will das Leben der Tiere nicht klassifizieren und erklären, sondern deuten und verstehen. Die verborgene Bedeutung der Tiere erschließt sich erst, wenn erkannt wird, welchen Platz sie im göttlichen Schöpfungsplan einnehmen und welche Tugenden oder Laster sie symbolisieren. Um diese Doppelung von äußerer Erscheinung und verborgenem Sinn entziffern zu können, braucht es eine allegorische Schriftauslegung, die sogenannte Lehre vom mehrfachen Schriftsinn. Diese allegorische Schriftauslegung war auch für die Lektüre weltlicher Texte geeignet, in denen Tiere vorkommen, denn die literarische und politische Rede von den Tieren besaß oft auch einen symbolischen Sinn. Tiere waren – und sind es immer noch – Sinnbilder für Tugenden und Laster, Recht und Unrecht, Klugheit und Torheit. Viele spätantike und mittelalterliche Tier- und Pflanzenbücher sind in ihrem Aufbau an dieser Methode orientiert.

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HARUN MAYE

Ausgehend von der Annahme, dass der allegorische Sinn von Flora und Fauna auf die Verborgenheit Gottes in der Schöpfung verweist, ist jeder Eintrag in einem solchen Naturkundebuch zweigeteilt: Einer Beschreibung der natürlichen Erscheinung eines Lebewesens oder Dings folgt dessen heilsgeschichtliche Ausdeutung. Mit dieser christlich-typologischen Bedeutung der Tiere in den Bestiarien haben die Figuren in den Fabeln und Tierdichtungen allerdings nur wenig gemein, obwohl auch sie zum Teil allegorische Tiere sind. »Tierdichtung«, so lautet eine Definition von Julius Zeuch, die in der Forschung immer wieder abgewandelt und erweitert wurde, »ist eine Dichtungsart, die das Tier zum Träger der Handlung macht«2. Nicht selten wird eine Wertunterscheidung zwischen der klassischen Fabeldichtung und der modernen Tierdichtung getroffen, wobei die Fabel als didaktische Gattung geringer geschätzt wird. Vor allem die ältere Forschung spricht davon, dass im Gegensatz zur modernen Tierdichtung das Tier in der Fabel zur Allegorie degradiert werde. In der Fabel komme dem Tier lediglich die Rolle zu, menschliche Gedanken, Verhältnisse und Werte wie ein »Schauspieler«3 zu verkörpern: »Immer wird vom Tier gesprochen, aber gemeint ist immer der Mensch. [...] Zeichen, Mittel, Maske, sie alle negieren die Realität: Tier.«4 Durch das Anthropomorphisieren der Tiere würden diese als bloßes Mittel für fremde (menschliche) Zwecke gebraucht, in der modernen Literatur sei das Tier dagegen »um seiner selbst willen« und »im Raume seines eigenen Lebens«5 dargestellt. Damit wiederholt die Unterscheidung zwischen Fabel und Tierdichtung, zwischen allegorischen

und angeblich realen Tieren, nur den literaturgeschichtlichen Unterschied zwischen einer klassischen Literatur, die unterhalten und belehren wolle, und einer modernen Literatur, die sich von sozialen, moralischen und poetologischen Vorgaben emanzipiert habe und einem ästhetischen Selbstzweck diene. Entgegen einer solch schlichten Gegenüberstellung von Gattungen oder literaturgeschichtlichen Epochen, die historisch und systematisch fragwürdig ist, hat bereits Jacob Grimm auf die Vermischung von Tier und Mensch als einem der wesentlichsten Merkmale der Fabel aufmerksam gemacht. Die Tiere in der Fabel symbolisieren ja nicht bloß menschliche Verhaltensweisen, sondern sie sind gleichzeitig auch Tiere geblieben, denn selbst in den offenkundigsten Allegoresen bleibt der buchstäbliche Sinn immer präsent, und mit ihm auch alle zoologischen Beobachtungen, selbst wenn es sich bloß um enzyklopädische und literarische Gemeinplätze handeln sollte. Dieser Vermischung und Übersetzung zwischen Mensch und Tier in der Fabel steht das Paradigma der Reinigung und Trennung gegenüber, welches die große Erzählung vom Bruch zwischen Vormoderne und Moderne kennzeichnet. Diese Erzählung von der Moderne ist mittlerweile zwar selbst altmodisch geworden, aber immer noch äußerst wirkmächtig. Sogar in den differenzierten Einlassungen Derridas zum Tier ist sie noch am Werk, wenn er die klassische Tierfabel gegen die modernen Tierdichtungen Hoffmanns, Kafkas oder Valérys ausspielt und verlangt, dass man die Fabel vermeiden solle: »Die Fabel, man kennt die Geschichte, bleibt eine anthropomorphische Zähmung, eine moralisierende Unterwerfung,

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DAS TIER ALS METAPHER

eine Domestizierung. Immer noch ein Diskurs des Menschen; über den Menschen; ja sogar über die Animalität des Menschen, aber für den Menschen und im Menschen.«6 Es stimmt also einerseits, dass die Fabel in genau jenem Sinne didaktisch und schematisch ist, den Christian Fürchtegott Gellert in Die Biene und die Henne als deren Funktion beschrieben hat: »Allein wie kannst du doch so fragen? / Du siehst an dir, wozu sie nützt: / Dem, der nicht viel Verstand besitzt, / Die Wahrheit durch ein Bild zu sagen.« Andererseits kann aber nicht erst seit der Zoopoetik Kafkas eine Literarisierung oder gar Verfremdung der didaktisch und »schematisch vorgegebenen literarischen Form« der Fabel beobachtet werden, sondern bereits in den Fabeln des 18. Jahrhunderts selbst. Die Tiere in den Fabeln der Aufklärung

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sind Lebewesen und Zeichen zugleich, sie sind literarisch konstruiert, wirken aber auch in die Literatur hinein und auf sie zurück. »Für die literarischen Tiere im Besonderen lässt sich damit begründen und beschreiben, auf welche Weise selbst in den semiotischen Tieren – in Tierallegorien, Tiermetaphern, Tiermetonymien – die Tiere der Welt wirksam sind.«7 Es geht in der Literatur nicht darum, die Tiere zu anthropomorphisieren oder die Menschen als Tiere zu beschreiben, sondern darum, solche Zuschreibungen und das Wissen um deren Kontingenz und Invertierbarkeit bewusst zu machen. Tierliteratur eignet, so gesehen, immer auch ein selbstreflexives Moment, das zu einer »anthropologischen Verunsicherung«8 führen kann und die Mischung von Mensch und Tier nicht bloß als Denkmöglichkeit anerkennt.

Gilbert Simondon, Tier und Mensch, Zürich 2011, S. 61 Julius Zeuch, Die moderne Tierdichtung, Gießen 1924, S. 17 Ebd., S. 34 Erich Franke, Gestaltungen der Tierdichtung, Bonn 1934, S. 14 und 17 Zeuch, a.a.O., S. 18 Jacques Derrida, Das Tier, das ich also bin, Wien 2010, S. 65 Roland Borgards, Tiere in der Literatur, in: H. Grimm/C. Otterstedt (Hg.), Das Tier an sich, Göttingen 2012, S. 105 Bernhard Jahn/Otto Neudeck (Hg.), Tierepik und Tierallegorese, Frankfurt a. M. 2004, S. 10

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Folgende Seiten WOLFGANG BANKL als NAPOLEON PROJEKTCHOR & CHORAKADEMIE der WIENER STAATSOPER




M A X HOR K H E I M E R U N D T H E OD OR W. A D OR N O

JEDES TIER ERINNERT AN EIN ABGRUNDIGES UNGLUCK Die Welt des Tieres ist begriffslos. Es ist kein Wort da, um im Fluß des Erscheinenden das Identische festzuhalten, im Wechsel der Exemplare dieselbe Gattung, in den veränderten Situationen dasselbe Ding. Wenngleich die Möglichkeit von Wiedererkennen nicht mangelt, ist Identifizierung aufs vital Vorgezeichnete beschränkt. Im Fluß findet sich nichts, das als bleibend bestimmt wäre, und doch bleibt alles ein und dasselbe, weil es kein festes Wissen ums Vergangene und keinen hellen Vorblick in die Zukunft gibt. Das Tier hört auf den Namen und hat kein Selbst, es ist in sich eingeschlossen und doch preisgegeben, immer kommt ein neuer Zwang, keine ldee reicht über ihn hinaus. Für den Entzug des Trostes tauscht das Tier nicht Milderung der Angst ein, für das fehlende Bewußtsein von Glück nicht die Abwesenheit von Trauer und Schmerz. Damit Glück substantiell werde, dem Dasein den Tod verleihe, bedarf es identifizierender Erinnerung, beschwichtigender Erkenntnis, der religiösen oder philosophischen Idee, kurz des Begriffs. Es gibt glückliche Tiere,

aber welch kurzen Atem hat dieses Glück! Die Dauer des Tiers, vom befreienden Gedanken nicht unterbrochen, ist trübe und depressiv. Um dem bohrend leeren Dasein zu entgehen, ist ein Widerstand notwendig, dessen Rückgrat die Sprache ist. Noch das stärkste Tier ist unendlich debil. Die Lehre Schopenhauers, nach welcher der Pendel des Lebens zwischen Schmerz und Langeweile schlägt, zwischen punkthaften Augenblicken gestillten Triebs und endloser Sucht, trifft zu für das Tier, das dem Verhängnis nicht durch Erkennen Einhalt gebieten kann. In der Tierseele sind die einzelnen Gefühle und Bedürftigkeiten des Menschen, ja die Elemente des Geistes angelegt ohne den Halt, den nur die organisierende Vernunft verleiht. Die besten Tage verfließen im geschäftigen Wechsel wie ein Traum, den ohnehin das Tier vom Wachen kaum zu unterscheiden weiß. Es entbehrt des klaren Übergangs von Spiel zu Ernst; des glücklichen Erwachens aus dem Alpdruck zur Wirklichkeit. In den Märchen der Nationen kehrt die Verwandlung von Menschen

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JEDES TIER ERINNERT AN EIN ABGRÜNDIGES UNGLÜCK

in Tiere als Strafe wieder. In einen Tierleib gebannt zu sein, gilt als Verdammnis. Kindern und Völkern ist die Vorstellung solcher Metamorphosen unmittelbar verständlich und vertraut. Auch der Glaube an die Seelenwanderung in den ältesten Kulturen erkennt die Tiergestalt als Strafe und Qual. Die stumme Wildheit im Blick des Tieres zeugt von demselben Grauen, das die Menschen in solcher Verwandlung fürchteten. Jedes Tier erinnert an ein abgründiges Unglück, das in der Ur-

zeit sich ereignet hat. Das Märchen spricht die Ahnung der Menschen aus. Wenn aber dem Prinzen dort die Vernunft geblieben war, so dass er zur gegebenen Zeit sein Leiden sagen und die Fee ihn erlösen konnte, so bannte Mangel an Vernunft das Tier auf ewig in seine Gestalt, es sei denn, dass der Mensch, der durch Vergangenes mit ihm eins ist, den erlösenden Spruch findet und durch ihn das steinerne Herz der Unendlichkeit am Ende der Zeit erweicht.

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MARTIN ULLRICH

NICHT- MENSCHLICHE TIERE IN MENSCHLICHER MUSIK Bevor technische Verfahren der Schallaufzeichnung entwickelt wurden, war die Verschriftlichung von Musik in den meisten menschlichen Musikkulturen unüblich. Musik wurde in der Regel improvisiert bzw., falls sich Improvisation zu wiederholbaren ›Stücken‹ verdichtete, mittels unmittelbarer Nachahmung und oraler Beschreibung tradiert. Insofern lassen sich historisch ältere Beispiele für die Repräsentation von Tieren und für die Imitation von Tierlauten in außereuropäischen Musiken oft nur aus Beobachtungen an jüngerer Musik erschließen. Das gleiche gilt für mitteleuropäische Musiken vor Entwicklung einer differenzierten musikalischen Notation. Gleichwohl gibt schon die vor- und frühgeschichtlich orientierte Musikarchäologie Hinweise auf die Bedeutung von tierlicher Repräsentation in menschlicher Musik. So sind Vogelknochen und Mammutelfenbein die wichtigsten Materialien, die im eiszeitlichen Flötenbau, bereits vor ca. 35.000 Jahren, verwendet wurden. Neben der Tatsache der physischen Anwesenheit von toten Tieren im Material des Instrumentenbaus lassen Rekonstruktionsversuche von Knochenflöten auch auf die klangliche Imitation von Vogelstimmen schließen. Analogien zur schamanistisch deutbaren Verwendung von Blut als tierlichem Färbemittel und zur visuellen Repräsentation von jagdbaren Tieren in der etwa zeitgleich nachweisbaren Höhlenmalerei sind denkbar, harren aber noch der näheren Untersuchung. MARGARET PLUMMER als CLOVER STEFAN ASTAKHOV als BOXER

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MARTIN ULLRICH

In der griechischen und römischen Antike war musikalische Notation eine seltene Ausnahme. Aber auch ohne Überlieferung der zugehörigen Tonhöhenverläufe geben die onomatopoetischen Wortbildungen in Aristophanes’ Komödie Die Vögel einen Eindruck von der Verarbeitung des Vogelgesangs in den Chorpartien. Beispiele dieser Art, die die sehr konkrete klangliche Repräsentation von Tieren in den Mittelpunkt der Rezeptionsaufmerksamkeit stellen, fehlen im europäischen Mittelalter allerdings dann vollständig. Erst mit der Etablierung des geregelten mehrstimmigen Satzes in der Frühen Neuzeit und der damit einhergehenden Ausformung einer differenzierten Notenschrift werden tierliche Klänge in der mitteleuropäischen Musik eindeutig belegbar. Dann allerdings tauchen sie an prominenten Stellen im Werkkorpus auf. Schon das aus dem 13. Jahrhundert stammende Sumer is icumen in, der älteste bekannte Kanon der Musikgeschichte, integriert den Kuckucksruf als tragendes Kompositionselement. Auch bei Oswald von Wolkenstein, einem späten Exponenten des ritterlichen Minnegesangs, findet sich, im frühen 15. Jahrhundert, die Bezugnahme zum Vogelgesang. Und Clément Janequin entwickelt in einem Chanson die klangliche Darstellung eines vom Gesang verschiedener Vogelarten auditiv geprägten Habitats. Insofern ist der kompositionstechnische Boden bereitet, damit im durch Nachahmungsästhetik bestimmten Generalbasszeitalter nach 1600 Tiere und tierische Lautäußerungen mannigfach zur musikalischen Darstellung gebracht werden können. Ein prominentes Beispiel ist Heinrich I. F. Bibers Sonata representativa für Violine und Basso continuo, in der Nachtigall, Kuckuck, Wachtel, Henne und Hahn, aber auch Frosch und Katze repräsentiert sind. Die europäische Kunstmusik des 17. und 18. Jahrhunderts bietet eine Fülle von tierlichen Klangzitaten, insbesondere aus dem Bereich des Vogelgesangs. Mit der Ablösung der barocken Nachahmungsästhetik durch eine um Originalität bemühte Autonomieästhetik geht die Fülle der Tierbezüge in der europäischen Kunstmusik etwas zurück. Aber auch im Wiener Klassizismus gibt es Beispiele für die musikalische Repräsentation von Tieren, so bei Joseph Haydn (z. B. in den Oratorien

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NICHTMENSCHLICHE TIERE IN MENSCHLICHER MUSIK

Die Schöpfung und Die Jahreszeiten), Wolfgang Amadeus Mozart (z. B. in der Oper Die Zauberflöte) und Ludwig van Beethoven (in der Sinfonie Nr. 6 F-Dur, »Pastorale«). Natur als idealisiertes Gegenmodell zur immer stärker durch Ökonomisierung und Technisierung geprägten Alltagserfahrung ist ein genuiner Bestandteil romantischer Musikästhetik. Sehr präsent sind tierliche Repräsentationen in der Vokalmusik. Beispielsweise thematisiert Robert Schumanns Liederkreis op. 39 die Topoi Vogelgesang und Jagd. Die gleichen Topoi werden aber auch in die Instrumentalmusik übertragen. In Schumanns Waldscenen op. 82 für Klavier (1850) thematisiert Vogel als Prophet (Nr. 7) den Vogelgesang. Das Beispiel zeigt die Ambivalenz, in der sich konkrete Naturnachahmung und abstrahierende Symbolik durchdringen. Während auf der klanglich-phänomenologischen Ebene die Reminiszenz an originalen Vogelgesang unverkennbar ist, lädt der poetische Titel des Stücks den Vogel und seinen Gesang mythologisch auf. Eine ähnliche Kontrastierung zwischen klanglicher Evokation von Vogelgesang und choralartigen Einschüben findet sich auch in Franz Liszts erster der beiden 1863 komponierten Légendes, St. François d’Assise. La Prédication aux oiseaux. Allerdings werden in diesem Werk, klarer als in Schumanns einer der Poesie der Andeutung verpflichteten Komposition, Abschnitte jeweils den Vögeln bzw. dem zu ihnen predigenden Heiligen zugeordnet. Zu einer Art von musikalischer Habitatbeschreibung kommt es in Richard Wagners Oper Siegfried, dem 1876 uraufgeführten dritten Teil der Operntetralogie Der Ring des Nibelungen. Im zweiten Aufzug vollzieht sich das sogenannte ›Waldweben‹, bei dem Wagner verschiedenen Blasinstrumenten Motive zuweist, die für Goldammer, Pirol, Nachtigall, Baumpieper und Amsel stehen sollen. Sehr prominent ist die tierliche Repräsentation in Camille Saint-Saëns Suite Le Carnaval des animaux. Grande fantaisie zoologique von 1886. In humoristischer Manier widmet Saint-Saëns einzelne Sätze des Werks für zwei Klaviere und Kammerorchester verschiedenen Tieren, darunter Löwe, verschiedene Vogelarten (u. a. Huhn, Kuckuck und Schwan), Schildkröte, Elefant, Känguru und Esel. Teilweise werden charakteristi-

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sche Lautbildungen der jeweiligen Tiere nachgeahmt, teilweise wird auf eine klangliche Beschreibung des jeweiligen Tiers insgesamt oder parodistisch auf Menschen, z. B. andere Komponisten, abgezielt. Im 20. Jahrhundert wird die Integration von Tierlauten in menschliche Musik in vielfältiger Weise weiterentwickelt. Diese Entwicklung speist sich aus verschiedenen Quellen: neue naturwissenschaftliche und philosophische Sichtweisen auf nichtmenschliche Tiere, neue technische Möglichkeiten der Klangaufzeichnung und -wiedergabe, neue musikalische Stilistiken, die tierliche Klangbildung in neuartiger Differenzierung aufzugreifen in der Lage sind. Schon das Klavierstück Oiseaux tristes von Maurice Ravel, Nr. 2 der Miroirs (1905), zeigt eine neuartige Bereitschaft, sich auf die charakteristische Klanglichkeit von Vogelgesang einzulassen. Im Zyklus folgt es übrigens auf das Eröffnungsstück Noctuelles, das sich im Titel auf Nachtfalter bezieht. Überhaupt bieten dem musikalischen Impressionismus zuordenbare Kompositionen eine Fülle von Tierlauten und Tierbezügen. So enthält der Beginn des dritten Bilds von Ravels 1912 uraufgeführter Ballettmusik Daphnis et Chloé Vogelgesang, und Claude Debussy widmet Goldfischen das letzte Stück seiner Images für Klavier: Poissons d’or (1907). Auch Erik Satie, in dessen Kompositionen sich impressionistische Elemente mit Vorwegnahmen von Surrealismus und Minimal Music verbinden, schafft Werke mit Tierbezug wie Les Oiseaux (1907), Sonnerie pour reveiller le bon gros Roi des Singes (1921) und Veritables préludes flasques (pour un Chien) (1912). Letztere sind ein frühes Beispiel für die musikalische Auseinandersetzung mit der Situation des Companion Animal: Die drei Préludes thematisieren drei prägende Situationen des kulturellen Mensch-Hund-Verhältnisses. Einen entscheidenden Einschnitt in der bislang ganz auf die Dichotomie von musikalischer Komposition und (humaner) musikalischer Interpretation, also Reproduktion, ausgerichteten Ästhetik westlicher Kunstmusik erzeugt Ottorino Respighi mit seiner 1924 uraufgeführten sinfonischen Dichtung Pini di Roma. Im dritten der vier Sätze, I pini del Gianicolo, verlangt der Komponist am Ende des Satzes die Zuspielung eines auf Schallplatte aufgezeichneten Nachtigallengesangs. Hier vollzieht sich ein offensichtlicher Paradigmen-

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NICHTMENSCHLICHE TIERE IN MENSCHLICHER MUSIK

wechsel: Erstmals wird Vogelgesang nicht stilisiert nachgeahmt, sondern – dank der relativ neuen technologischen Möglichkeit der Schallaufzeichnung – in seiner originalen Phänomenologie in ein menschliches Musikwerk integriert. Gleichzeitig wird damit ein naturalistisches Missverständnis ermöglicht, welches den medialisierten Vogelgesang kurzschlüssig mit einer unmittelbaren Naturerfahrung gleichsetzt. Dem Nachtigallengesang hat Igor Strawinsky gleich zwei Werke gewidmet: seine erste Oper Le Rossignol, 1914 uraufgeführt, deren Libretto auf Hans Christian Andersens Märchen Des Kaisers Nachtigall basiert, und die musikalisch von der Oper abgeleitete symphonische Dichtung Le Chant du rossignol von 1917. Auch Sergej Prokofjew hat sich mit der musikalischen Repräsentation von Tieren befasst. Das musikalische Märchen Peter und der Wolf aus dem Jahr 1936 zählt zu den meistrezipierten tierbezogenen Musikwerken, wobei aufgrund des vom sozialistischen Realismus geprägten Parabelcharakters unklar bleibt, in welchem Maß die vorkommenden Tiere (Wolf, Katze, Vogel und Ente) für menschliche Eigenschaften stehen und menschliche Protagonisten verschlüsseln. Ein sehr viel subtilerer Rekurs auf Tiere vollzieht sich in Béla Bartóks 3. Klavierkonzert (1945), das eine Reihe nordamerikanischer Vogelgesänge verarbeitet. Hier kündigt sich die Komplexität und Vielfalt an, mit der Olivier Messiaen Vogelgesänge in eine moderne, in den 1940er und 1950er Jahren serialistisch geprägte Tonsprache einbindet. Mit Messiaen erreicht die Verbindung von tierlicher Lautäußerung und menschlichem Musizieren einen vorher nicht dagewesenen Entwicklungsstand. Seit dem paradigmatischen Quatuor pour la fin du temps, 1940/1941 in einem deutschen Kriegsgefangenenlager komponiert und dort auch uraufgeführt, mit seinem Initialduo von Amsel und Nachtigall und dem Klarinettensolo Abîme des oiseaux, rekurrieren fast alle Kompositionen Messiaens auf Vogelgesang. Den weit überwiegenden Teil der von ihm verarbeiteten Vogelgesänge transkribierte Messiaen vor Ort im Zuge seiner weltweit durchgeführten, ornithologisch ernsthaften Feldforschung. Gelegentlich griff er auch auf Tonaufnahmen zurück.

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JOHN BERGER

DIE GROSSE ABREISE Die Darstellung von Tieren in der romantischen Malerei des 19. Jahrhunderts brachte bereits das Eingeständnis ihres drohenden Verschwindens. Die Bilder zeigen Tiere, die sich in eine nur in der Vorstellung existierende Wildnis zurückziehen. Es gab jedoch einen Künstler im 19. Jahrhundert, der von der kurz bevorstehenden Transformation besessen war, und dessen Werk eine unheimliche Illustration dieses Prozesses darstellte. Grandville [eigtl. Jean Ignace Isidore Gérard, 1803–1847] veröffentlichte sein Werk Das öffentliche und private Leben der Tiere in Fortsetzungen von 1840–1842. Auf den ersten Blick scheinen Grandvilles Tiere, die wie Männer und Frauen gekleidet sind und sich als solche verhalten, der alten Tradition anzugehören, wo eine Person als Tier dargestellt wird, damit einer ihrer oder seiner Charakterzüge um so deutlicher zutage treten kann. Es schien so, als ob man eine Maske aufsetzte, aber sie diente doch der Demaskierung. Das Tier stellt den fraglichen Charakterzug besonders ausgeprägt dar: der Löwe absoluten Mut; der Hase Geilheit. Das Tier lebte einst ganz nahe am Ursprung der Eigenschaft. Durch das Tier wurde die

erste Eigenschaft sichtbar. Und deshalb leiht das Tier ihr seinen Namen. Doch wenn man Grandvilles Stiche länger betrachtet, wird man sich bewusst, dass der Schock, den sie vermitteln, in Wirklichkeit von einem ganz anderen Moment ausgeht, als man zunächst vermutete. Diese Tiere wurden nicht ›ausgeliehen‹, um die Menschen zu erklären, nichts wird demaskiert; im Gegenteil. Diese Tiere sind Gefangene einer menschlich/sozialen Situation, in die sie hineingezwungen werden. Der Geier als Hauswirt ist auf noch schrecklichere Weise habgierig denn als Vogel. Die Krokodile am Tisch sind beim Essen noch gieriger als im Fluss. Hier werden Tiere weder dazu benutzt, uns die Ursprünge ins Gedächtnis zurückzurufen, noch als moralische Metaphern; sie werden en masse eingesetzt, um Situationen zu »bevölkern«. Die Bewegung, die mit der Banalität eines Disney endet, begann als ein beunruhigender prophetischer Traum im Werk Grandvilles. Die Hunde in Grandvilles Stich vom Hunde-Gehege sind keineswegs hündisch; sie haben die Physiognomien von Hunden, aber sie leiden wie Menschen unter der Gefangenschaft. Der Bär ist

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DIE GROSSE ABREISE

ein guter Vater zeigt einen Bären, der betrübt einen Kinderwagen zieht, wie irgendein menschlicher Brotverdiener. Grandvilles erstes Buch endet mit den Worten »Nun gute Nacht, lieber Leser. Geh’ nach Hause, schließ’ Deinen Käfig gut ab, schlaf’ fest und träume angenehm. Bis morgen.« Tiere und Menschen sind allmählich zu Synonymen geworden, was nichts anderes heißt, als dass die Tiere langsam verschwinden. Eine spätere Zeichnung Grandvilles mit dem Titel Die Tiere gehen auf die Dampf-Arche macht dies deutlich. In der jüdisch-christlichen Tradition war Noahs Arche die erste geordnete

Zusammenkunft von Tieren und Menschen. Diese Zusammenkunft ist jetzt vorüber. Grandville zeigt uns die große Abreise. Auf einem Quai zieht langsam eine lange Reihe der verschiedenen Tierarten vorbei, uns den Rücken zugewandt. In ihrer Haltung spiegeln sich all die Zweifel der letzten Minute, von denen Emigranten bewegt werden. In einiger Ferne ist eine Rampe, über die die ersten bereits die Arche betreten haben, die, gebaut im Stil des 19. Jahrhunderts, aussieht wie ein amerikanisches Dampfboot. Der Bär. Der Löwe. Der Esel. Das Kamel. Der Hahn. Der Fuchs. Exeunt.

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M I C H A E L S T RU C K- S C H L O E N

VIELSCHICHTIGKEIT UND DOPPELBODIGKEIT ALEXANDER RASKATOVS MUSIKALISCHE UND BIOGRAFISCHE WURZELN Auch im gelobten Land lauern Fallgruben. Und wie für viele Komponisten, die nach der Perestroika aus der ehemaligen Sowjetunion in den Westen kamen, bedeutete für Alexander Raskatov die Übersiedlung nach Deutschland im Jahr 1994 einen Kulturschock. Der wahrhaft krasse Ortswechsel vom Großstadtmoloch Moskau ins beschauliche Heidelberg veränderte nicht nur das äußerliche Koordinatensystem im Leben Raskatovs, sondern auch seinen Standort als Künstler in einer fremden Umwelt. Die Schwindel erregende Gleichzeitigkeit musikalischer Idiome, die man in Russland Jahrzehnte Jang nur durch die Lücken im System erspähen konnte; das hohe Ausbildungsniveau, die internationale Vernetzung der Musikszene (deren Kehrseite die Isolation des Einzelnen war) und die verbriefte Freiheit zur künstlerischen Äußerung, die sich nicht erst gegen ideologische Vorgaben oder organisatorische Unzulänglichkeiten durchzubeißen hat – all dies warf Raskatov noch einmal zurück auf die Grundfragen der eigenen Identität: Wer bin ich, woher komme ich, was habe ich mitzuteilen? »Die neue musi-

kalische Landschaft im Westen«, so resümiert der Komponist diesen Zustand der fruchtbaren Irritation, »hat mich gezwungen, meine eigenen Wurzeln zu suchen«. Freilich sind die musikalischen und biografischen Wurzeln, die Raskatov in der russisch-sowjetischen Kultur schlägt, weit verzweigt und wuchern eher versteckt unter der schillernden Oberfläche seiner Musik. Der Komponist selbst verweist auf seine Beschäftigung mit slawischer Volksmusik, wie er sie in jungen Jahren bei den eigensinnigen, vom Sowjetregime isolierten Don-Kosaken kennenlernte. Da eröffneten sich Raskatov Überbleibsel einer russischen »Protokultur«, der er auch in der jüdischen Musiktradition und in den Gesängen der russisch-orthodoxen Liturgie nachspürte. Und obwohl er sich über die in den achtziger Jahren ausgebrochene Mode der neuen Sakralmusik in Russland eher kritisch äußert, fallen unter Raskatovs Werken zunehmend geistliche Titel wie Seven Stages of »Hallelujah«, Resurrexi, Praise, Gebet, In Nomine, Obikhod (Sacred Chants) oder Monk’s Music ins Auge.

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VIELSCHICHTIGKEIT UND DOPPELBÖDIGKEIT

Ein Erbteil der jüngeren sowjetischen Musikkultur ist dagegen die stilistische Vielschichtigkeit und sprunghafte Rhetorik in Raskatovs Werk – eine Rhetorik, die stets mehr meint als »nur« Musik und zwischen den Notenzeilen einen umfänglichen Subtext entfaltet, der für westliche Hörer nicht leicht zu entschlüsseln ist. Als der 1953 in Moskau geborene Komponist in den siebziger Jahren am Konservatorium seiner Geburtsstadt bei Albert Lemann in die Lehre ging, hatte sich unter den fortschrittlicheren Komponisten im Lande ein tönendes Zeichensystem entwickelt, das sich – anders als Literatur und bildende Kunst – ideologischer Kontrolle weitgehend entzog. In den späteren Werken von Schostakowitsch, aber auch in der von Alfred Schnittke durchgesetzten »Polystilistik«, die musikalische Traditionsschichten aller Art aufgriff und auf provokative Weise montierte, nahm das musikalische Vokabular Züge einer Geheimsprache an, die ambivalent zwischen scheinbarer Anpassung, vorsichtiger Adaption westlicher Techniken und unterschwelligem Widerstand balancierte. Wenn Raskatov heute ironisch von dieser »Orangerie der sowjetischen Musik mit ihren bi-

zarren Blüten« spricht, dann schließt er darin durchaus seine eigenen Werke der achtziger Jahre mit ein, in denen er die Sprachhaftigkeit von Musik auslotete: durch polystilistische Verfahren (Circle of Songs [Liederkreis] für Mezzosopran und Kammerensemble, 1984), elektronische Zuspielungen (Reminiscences of the »Alpine Rose« [Erinnerungen an die »Alpenrose«] für Schlagzeug, Spieluhr und Tonband, 1982), minimalistische Techniken (Night Hymns [Hymnen an die Nacht] für Klavier und Kammerensemble, 1984) oder totale Improvisation (Invitation to a Concert [Einladung zu einem Konzert] für zwei Schlagzeuger, 1981). In den letzten Jahren hat Raskatov diese experimentellen Ansätze seiner Moskauer Zeit zu einem ganz individuellen Stil gebündelt – geblieben ist die irritierende Vielschichtigkeit und Doppelbödigkeit seines musikalischen Vokabulars, das sich keiner wiedererkennbaren »Handschrift«, sondern nur der jeweiligen Werkidee verschreibt. Raskatovs auffällige Vorliebe für Schlaginstrumente, die auch die 1991 als Diptychon entstandenen Werke Commentary on a Vision [Kommentar zu einer Vision] und Xenia prägt, kommt nicht von ungefähr. 1976 gründete der Schlagzeuger Mark Pekarski

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VIELSCHICHTIGKEIT UND DOPPELBÖDIGKEIT

in Moskau das erste sowjetische Perkussionsensemble und löste mit seiner Sammlung von Schlaginstrumenten aus aller Welt eine wahre Euphorie über die bislang kaum erschlossenen Möglichkeiten im Grenzbereich zwischen Ton und Geräusch aus. Komponist*innen wie Alfred Schnittke, Sofia Gubaidulina oder Nikolai Korndorf schrieben für Pekarskis Ensemble; und auch Alexander Raskatov erkannte den Reichtum einer Klangwelt, die ihm eine neue künstlerische Freiheit außerhalb der traditionellen, ideologisch vorbelasteten Apparate verhieß. In der repressiven Breschnew-Ära hatten viele Künstler das Land verlassen, manche in der Hoffnung, dass eine Änderung der politischen Verhältnisse auch eine neue Freiheit für die Kunst nach sich ziehen könnte. Doch statt der »sozialistischen Lagerbedingung der Sowjetunion« waren es nach 1991 die inneren Unruhen und der wirtschaftliche Kollaps in Russland, die Raskatov jede regelmäßige Arbeit erschwerten. Auch die Gründung der unabhängigen Assoziation zeitgenössischer Musik (ASM), die sich vom korrumpierten Komponistenverband abgrenzte und unter dem Vorsitz von Edison Denisov auf die gleichnamige Organisation aus den zwanziger Jahren berief, konnte die Isolation der neuen Musik im abbröckelnden russischen Kulturleben nicht verhindern. So orientierte sich Raska-

tov zunehmend ins westliche Ausland, ging 1990 als Composer in residence an die Stetson University (USA) und weilte 1994 als Stipendiat des ArnoSchmidt-Hauses (Walsrode) und der Belaieff-Stiftung des Peters-Verlags (Frankfurt/Main) in Deutschland. Seine internationalen Kontakte hat Raskatov nach der Übersiedlung vor allem auf Frankreich und Österreich ausgedehnt, wo er 1998 mit dem Kompositionspreis der Salzburger Osterfestpiele (auf Vorschlag von György Kurtág) ausgezeichnet wurde und als Composer in residence in Lockenhaus arbeitete. Feinfühlige Interpreten interessieren sich für sein Œuvre, darunter Jurij Baschmet, Sabine Meyer, das Hilliard Ensemble oder Gidon Kremer, für den Raskatov 1999 das Stück Traumpendel schwingend für Solovioline und Ensemble komponierte – sein erster dezidierter Versuch, zwischen abendländischer und orientalisch-asiatischer Kultur eine Brücke zu schlagen. In ähnlicher Absicht hat Raskatov in Voices of Frozen Land [Stimmen eines gefrorenen Landes] ein russisches Volksensemble mit einem klassischen Bläserensemble gepaart und in seinem Werk The Last Freedom [Die letzte Freiheit] lateinische, hebräische und altslawische Texte zu einer Art Requiem kombiniert. So bewirkt die Suche nach den eigenen Wurzeln in Raskatovs Werken noch einmal eine Bereicherung seiner musikalischen Sprache.

MICHAEL GNIFFKE als SNOWBALL ANDREI POPOV als SQUEALER

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Folgende Seite ANDREI POPOV als SQUEALER WOLFANG BANKL als NAPOLEON


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ALEXANDER RASKATOV

»Für einen Komponisten ist es wichtig, zu einer Synthese zu finden: aus deinen musikalischen Kindheitserinnerungen, aus der Folklore, mit der du in Berührung gekommen bist, und aus dem Schaffen der von dir bewunderten Komponisten. All diese Einflüsse müssen in ein Idiom verwandelt werden, das nur dir und niemandem sonst gehört: die Transformation von Lebenserfahrung in Musik. Meine Begegnungen mit der russischen Folklore im Fernen Osten der Sowjetunion sind genauso wichtig wie jene mit den Komponisten Alfred Schnittke und Mieczysłav Weinberg. Zu einer solchen Synthese zu gelangen, ist erst recht wichtig bei einer Oper.«

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GEORGE ORWELL

KRITIK AM SOWJET- REGIME Das Beunruhigende ist, dass man, geht es um die UdSSR und ihre Politik, keine intellektuelle Kritik, ja in vielen Fällen nicht einmal schlichte Ehrlichkeit von liberalen Autoren und Journalisten erwarten kann, die keinem direkten Druck ausgesetzt sind, ihre Meinungen zu verfälschen. Stalin ist sakrosankt, und gewisse Aspekte seiner Politik dürfen nicht ernstlich diskutiert werden. Diese Regel ist seit 1941 beinahe ohne Einschränkung befolgt worden, aber funktioniert hat sie schon zehn Jahre früher, und zwar in weit größerem Ausmaß, als einem manchmal klar ist. Während dieser ganzen Zeit konnte sich Kritik am Sowjet-Regime von der Linken nur schwer Gehör verschaffen. Es gab eine Flut antirussischer Literatur, doch beinahe alles davon kam aus der Ecke der Konservativen und war ganz offenbar unaufrichtig, überholt oder von niederen Motiven angetrieben. Auf der anderen Seite gab es einen gleich großen und beinahe ebenso unaufrichtigen Strom prorussischer Propaganda und einen Quasiboykott an jedem, der versuchte, hochwichtige Fragen wie ein Erwachsener zu diskutieren. Man konnte zwar antirussische Bücher veröffentlichen, doch dann hatte man gleichzeitig die Gewähr, fast von der gesamten Intellektuellenpresse ignoriert oder entstellt wiedergegeben zu werden. Öffentlich und privat wurde man gewarnt, dass dies »unschicklich« sei. Was man sage, stimme möglicherweise, doch es sei »inopportun« und »spiele in die Hände« dieses oder jenes reaktionären Interesses. Diese Haltung wurde gewöhnlich mit der Begründung verteidigt, dass die internationale Situation und die drin-

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KRITIK A M SOWJET-REGIME

gende Notwendigkeit einer anglo-russischen Allianz es erforderten: Doch es war klar, dass dies eine Rationalisierung war. Die englische Intelligenz, oder ein Großteil von ihr, hatte der UdSSR gegenüber eine nationalistische Toleranz entwickelt, und sie spürte in ihrem Innersten, dass es einer Blasphemie gleichkäme, den geringsten Zweifel auf Stalins Weisheit zu werfen. Ereignisse in Russland und Ereignisse anderswo mussten mit verschiedenen Maßstaben gemessen werden. Die endlosen Hinrichtungen während der Säuberungsaktionen 1936-38 wurden von lebenslangen Gegnern der Todesstrafe beklatscht, und man fand es ebenso richtig, Hungersnöte publik zu machen, wenn sie sich in Indien ereigneten, und sie zu verheimlichen, wenn sie sich in der Ukraine ereigneten. Und wenn dies für die Zeit vor dem Krieg schon zutraf, dann ist das intellektuelle Klima heute gewiss nicht besser. Aus: Die Pressefreiheit (1945), ein nichtpubliziertes Vorwort zu Farm der Tiere

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Folgende Seiten STEFAN ASTAKHOV als BOXER MARGARET PLUMMER als CLOVER ISABEL SIGNORET als MURIEL KARL LAQUIT als BENJAMIN MITGLIEDER von PROJEKTCHOR & CHORAKADEMIE




DER OSTCAST

DIE PUTIN- FALLE Wie Orwell im Vorwort zur ukrainischen Ausgabe von Animal Farm festhielt, war seine Satire gar nicht primär auf die Sowjetunion bezogen, sondern auf die Illusionen des Westens über das sozialistische Wunderreich im Osten. Diese Illusionen implizierten, dass man die totalitären Gewaltexzesse des Regimes – von den Schauprozessen und Deportationen, über die Massenmorde und den Holodomor bis zum Gulag – aktiv zu verdrängen und zu verleugnen suchte. Dass ein »linker« Autor wie Orwell gegen diese unkritische Bewunderung anschrieb, wurde von sich fortgeschritten wähnenden Kreisen mit Totschweigen und Desinteresse quittiert. Die Aktualität von Orwells Dystopie hat sich angesichts der seit den Nullerjahren flagranten Re-Stalinisierung der russischen Gesellschaft erneut erwiesen. Waren es in den 40er Jahren geo- und parteipolitische Interessen (die Sowjetunion als Verbündeter im Kampf gegen Hitlerdeutschland bzw. den Kapitalismus), die das Schweigekartell westlicher Gesellschaften zementierten, so sind es in der jüngsten Vergangenheit primär wirtschaftliche, aber auch ideologische gewesen. Im sogenannten Ostcast – einem Podcast der deutschen Wochenzeitung DIE ZEIT »über Russland und für alle, die auf keinen Fall Teil davon werden wollen« – reflektierten in der Ausgabe vom 30. November 2023 die Journalisten Alice Bota und Michael Thumann über den prorussischen Konsens des öffentlich-rechtlichen Fernsehens in Deutschland. Dieser hielt selbst nach der 2014 erfolgten Annexion der Krim ungebrochen an. Zahlreiche »Russland-Experten« sprachen von einer ungerechtfertigten Dämonisierung Putins und legitimierten den Einmarsch. Und die Politik beschloss, weiter in Russland zu investieren. Auslöser für den hier in Ausschnitten transkribierten Ostcast

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DIE PU T IN-FA LLE

war die Aufdeckung russischer Honorarzahlungen (im sechsstelligen Eurobereich) an den vermeintlich unabhängig aus und über Russland berichtenden Autor und Filmemacher Hubert Seipel. Im Vordergrund des Ostcasts stand dabei nicht so sehr dieses individuelle Fehlverhalten, als das mediale Klima, das diesem und anderen Putin-Freunden die Meinungsführung zugestand. Um zu verstehen, wie so viele in die »Putin-Falle« gehen konnten, müsse man zurück ins Jahr 2014 gehen, so die Journalisten: »Damals zeichnet sich ab, dass Russland die Krim erobern will. Es tauchen dubiose grüne Männchen aus dem Nichts auf, von denen niemand weiß, woher sie stammen. In der Ukraine beginnt ein Krieg um den Donbass.« Alice Bota berichtet: »Ende Februar/Anfang März 2014 sind wir mit dem Zug auf die Krim gefahren. In der Stadt Simferopol stehen diese »grünen Männchen«, in ihrer Nähe befindet sich eine Kaserne. Wir klopfen dort an und sprechen mit einem ukrainischen Oberst, der verschüchtert und nervös wirkt. Er zeigt mit der Hand auf die 100 Meter entfernt stehenden großen Militärlaster und die maskierten Soldaten. Diese tragen keine erkennbaren Dienstmarken und Hoheitsabzeichen, aber sie sprechen Russisch. Der Oberst weiß genau, welche Truppen, Brigaden und Divisionen des russischen Heeres das sind. Und diese Männer hätten ihm gesagt, sie wären gekommen, um zu bleiben. Darüber schrieb ich eine Reportage und erhielt Kommentare wie die folgenden: »Ein ehemaliger CIA-Agent hätte ausgesagt, dass dieser Konflikt von den USA und der EU geplant und finanziert worden sei. Russland zeige die ganze Wahrheit, die EU enthalte ihren Bürgern die Wahrheit vor ...« Diese – übrigens oft spürbar von Nicht-Muttersprachlern ver-

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DER OSTCAST

fassten – Kommentare prägten das Klima, das damals herrschte. Sobald man schrieb, dass es russische Soldaten waren, die die Krim eingenommen haben, und im Donbass verdeckt russische Soldaten kämpften, hieß es: »Wo haben Sie denn die Beweise?« Das Minsker Abkommen sah vor, wie eine Waffenruhe in der Ostukraine zu erreichen sei. Laut Alice Bota beinhaltete es »dreizehn Punkte und eine Lüge. Denn in diesem Abkommen positionierte sich Russland als Verhandler, als ein Mediator, der zwischen der Ukraine und den Separatisten mitverhandelt. Russland war zu diesem Zeitpunkt schon längt Kriegspartei, und diese Lüge wiederum war man bereit, im Westen zu schlucken, um überhaupt etwas an der Situation in der Ostukraine zu verbessern. 2015 wurde im Osten der Ukraine ein Ort eingekesselt, es waren tausende ukrainische Soldaten dort. Dieser Kessel drohte vom russischen Militär zugemacht zu werden, ein schreckliches Blutvergießen drohte, was man verhindern wollte. Die Ukraine ließ sich auf dieses für sie bittere Abkommen ein, da sie mit dem Rücken zur Wand stand. Das Abkommen wurde im Wesentlichen nie eingehalten und trotzdem hat man sich in Deutschland nicht davon abbringen lassen, mitten in einem Krieg nochmals eine massive Investition nach Russland zu tätigen und die eigene Energieabhängigkeit noch einmal zu vergrößern. Es war der deutsche Vizekanzler Sigmar Gabriel, der die Schröder-Putin-Pläne als Hauptlobbyist umsetzte: nämlich den Bau der Pipeline Nord Stream 2 im September 2015.« In die einschlägigen Talkshows wurden die beiden ZEIT-Journalisten nicht eingeladen, was sie als nicht weiter schlimm empfinden. »Es war aber durchaus schlimm, wer da so eingeladen wurde, der russische Botschafter zB. oder Hubert Seipel. Und schlimm war, wer nicht eingeladen worden ist, nämlich die ukrainische Seite. Es ging um einen Krieg in der Ukraine und es dauerte Monate – vielleicht sogar ein Jahr – bis in Deutschland ankam, dass, wenn man über die Ukraine spricht, es vielleicht auch angemessen ist, einen ukrainischen Vertreter zu Gast zu haben. Stattdessen konnten Leute wie die genannten in diesen Talkshows ihre Lesart wieder und wieder an die Öffentlichkeit bringen. Seipel behauptete etwa von den Maidan-Protes-

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DIE PU T IN-FA LLE

ten, sie seien von den Amerikanern bezahlt worden – es wäre somit kein echter Volksaufstand gewesen; und gab damit 1:1 die russische Propaganda wieder.« Im Jahr 2021 fand auf dem TV-Kanal phönix eine Talkshowrunde zum Thema Menschenrechte statt. Damals war Nawalny, der bekannteste russische Oppositionspolitiker, schon vergiftet worden und saß bereits im Gefängnis. Michael Thumann: »Da wird Nawalny vergiftet, und was ihm [Seipel] dazu einfällt ist einfach, dass Amerika irgendwie ein Problem mit seiner schwarzen Bevölkerung habe, oder dass erst Jahrhunderte nach der Erklärung der Menschenrechte mit Obama ein Schwarzer Präsident geworden sei. Und daraus leitet er offenbar ab, dass Autokraten alles dürfen. Man nennt das Whataboutism. Wenn es schon früher irgendeine Kritik an der Sowjetunion gab, dann fragte man: aber Amerika? Weiters geht es um die Sanktionen, welche gegen Russland verhängt wurden. Seipel befindet sämtliche Sanktionen als ungerechtfertigt, mit dem Argument, die USA seien für ihren Krieg im Irak nie sanktioniert worden. Zweifellos war der Irak-Krieg völkerrechtswidrig, hat jedoch mit der Situation in der Ukraine nichts zu tun. Hier wird der Versuch unternommen, den gegenwärtigen Konflikt anhand von Ereignissen aus der Vergangenheit weich zu zeichnen.« Und das Bemerkenswerte sei halt, so Thumann, »dass das damals in Deutschland unheimlich gut zog und einsickerte in die öffentlich-rechtlichen Medien. Es gibt eine Studie des Publizisten Markus Welsch zum Thema: Wer saß zwischen 2015 und 2021 in den deutschen Talkshows? Auf den ersten drei Plätzen bei allen Russland- und Osteuropa-relevanten Talkshows stehen Akteure, die eindeutig pro-putinsche Positionen vertraten: Der Kreml-Lobbyist Alexander Rahr, Dmitri Tultschinski von der Staatlichen Russischen Nachrichtenagentur und die von Putin dekorierte Gabriele Krone-Schmalz. Sie waren die »Top 3« des öffentlichen Fernsehens in Russlandfragen. Und so erhielten beispielsweise auch RussiaToday-Propagandisten wie Ivan Rodionov freien Zugang zu den deutschen Medien und konnten dort unwidersprochen behaupten, die Panzerkolonnen kämen nicht von Putin (was sie taten). Markus Welsch fragt dann im Fazit dieser Studie, inwieweit eigentlich die Talkshows dem

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DIE PU T IN-FA LLE

Programmauftrag der öffentlich-rechtlichen Sender nach Ausgewogenheit damals nachgekommen sind.« Alice Bota ist es wichtig, zu unterstreichen: »Es geht nicht darum, keine anderen Meinungen zuzulassen, es geht nicht darum, dass wir alle das Gleiche denken, darüber, wie die Situation in der Ukraine aussieht, wie der Krieg gelöst werden kann. Aber es geht darum, dass man sich bei Fakten nicht in Talkshows darüber streiten muss, ob sie stimmen oder nicht. Sondern als das akzeptiert, was sie sind: Fakten. Und Fakt ist: Seit 2014 hat Russland Krieg geführt in der Ost-Ukraine, der dann zu einer Vollinvasion wurde am 24. Februar 2022. Es gab damals schon genügend Untersuchungen und Berichte, wie weit die Desinformation reicht. Es ist mittlerweile bewiesen, wie die Troll-Fabriken im Auftrag Prigoschins bzw. der russischen Propaganda die Tatsachen in den Artikeln sämtlicher Online-Magazine verdrehten und verdrehen.« Michael Thumann resümiert: »All das hat Folgen gehabt: Schaut man sich die Meinungen in der deutschen Öffentlichkeit in der Periode zwischen 2014 bis 2021 an, dann fällt einfach auf, wie positiv die Deutschen im europäischen und internationalen Vergleich über Putin dachten. 2018 sahen lediglich 18% der Deutschen in Putin eine Gefahr für den Frieden. 55% waren trotz aller Kritik und aller Widersprüche für den Bau von Nord Stream 2. Es schließt sich somit ein Kreis: Medien, Lobbyisten und unsere höchsten staatlichen Repräsentanten damals reichten sich die Hände, um Projekte voranzutreiben, die Putin bestens ins Bild passten und Teil seiner Strategie waren.« Das böse Erwachen kam 2022. Plötzlich gab es heftigen Gegenwind, und die meisten der verstrickten Akteure sind abgetaucht, in der Hoffnung, dass die allgemeine Vergesslichkeit sie rettet. Aber hat die Zeitenwende überall stattgefunden? Die Beharrungskräfte sind nach wie vor enorm, konstatieren die Journalisten und mahnen eine Aufarbeitung an, wenn auch gar nicht primär im strafrechtlichen Sinne: »Die Gefahr heute ist, dass man die Dinge einfach verschleppt, dass man sie einfach vergisst und dass wir dieses große, wichtige Gespräch, das für die künftigen Beziehungen zu Russland und zu autoritären Staaten so wichtig ist, dass wir dieses Gespräch mit uns selbst verpassen.«

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Folgende Seiten ENSEMBLE ANIMAL FARM


GEORGE ORWELL

»FALLS FREIHEIT ÜBERHAUPT ETWAS BEDEUTET, DANN BEDEUTET SIE DAS RECHT DARAUF, DEN LEUTEN DAS ZU SAGEN, WAS SIE NICHT HÖREN WOLLEN.« 89




IMPRESSUM ALEXANDER R ASK ATOV

ANIMAL FARM SPIELZEIT 2023/24 Herausgeber WIENER STAATSOPER GMBH, Opernring 2, 1010 Wien Direktor DR. BOGDAN ROŠČIĆ Musikdirektor PHILIPPE JORDAN Kaufmännische Geschäftsführerin DR. PETRA BOHUSLAV Redaktion SERGIO MORABITO, MAXIMILIAN MOLZER Gestaltung & Konzept EXEX Layout & Satz ROBERT KAINZMAYER Lektorat MARTINA PAUL Druck PRINT ALLIANCE HAV PRODUKTIONS GMBH, BAD VÖSLAU TEXTNACHWEISE: ORIGINALBEITRÄGE Sergio Morabito: Die Handlung / Über dieses Programmbuch / Eccentricity, Exaggeration, Energy / Maximilian Molzer: Figurenverzeichnis der Oper / Oliver Láng im Gespräch mit Damiano Michieletto: Von Schweinen & Menschen / Oliver Láng: Ein Rabe namens Blacky / Alexander Soddy: Wenn das Drama zum Leben erwacht. TEXTÜBERNAHMEN & ÜBERSETZUNGEN ›Animal Farm‹ und die Russische Revolution, nach: Programmheft der Dutch National Opera zu Animal Farm, 2023 / Max Horkheimer: Der Wolkenkratzer, aus Dämmerung. Notizen in Deutschland 1934–1974 / George Orwell: Vorwort zur ukrainischen Ausgabe von ›Animal Farm‹, aus dem Englischen übersetzt von Andrew Smith / Harun Maye: Das Tier als Metapher sowie Martin Ullrich: Nichtmenschliche Tiere in menschlicher Musik, aus Roland Borgards (Hrsg.): Tiere. Kulturwissenschaftliches Handbuch, 2016 / Theodor W. Adorno & Max Horkheimer: Jedes Tier erinnert an ein abgründiges Unglück (aus Dialektik der Aufklärung, 1944) sowie John Berger: Die große Abreise, aus R. Borgards, E. Köhring, A. Kling (Hrsg.): Texte zur Tiertheorie, 2015 / Michael Struck-Schloen: Vielschichtigkeit und Doppelbödigkeit, aus dem Beiheft zur CD Alexander Raskatov, Commentary on a Vision – Xenia, WERGO, WER 66282 www.wergo.de, 2000 / George Orwell: Kritik am Sowjetregime, aus ders.: Farm der Tiere. Ein Märchen, aus dem Englischen von Michael Walter, 1982; dieser Ausgabe sind auch sämtliche Original-Zitate entnommen / Alice Bota & Michael Thumann: Der Ostcast vom 23. November 2023, ZEIT Online, transkribiert von Sergio Morabito BILDNACHWEISE Cover: Max Siedentopf, Donald?, 2020 / Bild S. 73: IMAGO KHARBINE-TAPABOR / Alle Szenenbilder: Michael Pöhn/Wiener Staatsoper GmbH. Nachdruck nur mit Genehmigung der Wiener Staatsoper GmbH / Dramaturgie. Rechteinhaber, die nicht erreicht werden konnten, werden zwecks nachträglicher Rechtsabgeltung um Nachricht gebeten.

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VORWORT ZU GR EO UR KG RE A IO NR I SW CE HL EL N ,A U S G A B E V O N A N I M A L F A R M FARM DER TIERE, 10. Kapitel

»DIE TIERE DRAUSSEN BLICKTEN VON SCHWEIN ZU MENSCH UND VON MENSCH ZU SCHWEIN, UND DANN WIEDER VON SCHWEIN ZU MENSCH; DOCH ES WAR BEREITS UNMÖGLICH ZU SAGEN, WER WAS WAR.« 93


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