WOLFGANG A M ADEUS MOZART
DIE ZAUBERFLÖTE
INHALT
S.
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DIE HANDLUNG S.
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ÜBER DIESES PROGRAMMBUCH S.
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DER ZAUBERFLÖTENMACHER VOLKER HAGEDORN S.
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SCHAFFENSGESCHICHTE & URAUFFÜHRUNG GERNOT GRUBER S.
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MOZARTS PUBLIKUM LAURENZ LÜTTEKEN S.
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DREI BRIEFE AN KONSTANZE WOLFGANG AMADÉ MOZART S.
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MACHT & MUSIK GERNOT GRUBER S.
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ZUR DRAMATURGIE DER ZAUBERFLÖTE HERMANN WOLFGANG VON WALTERSHAUSEN S.
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SCHLAGLICHTER AUF DIE ZAUBERFLÖTE OLIVER LÁNG
S.
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DIE MEHREREN SCHLÜSSE DER ZAUBERFLÖTE BARBORA HORÁKOVÁ S.
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»IN DIESEN HEIL’GEN HALLEN« WOLF ROSENBERG S.
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»EIN WEIB TUT WENIG, PLAUDERT VIEL.« ADELE BERNHARD S.
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»WEIL EIN SCHWARZER ... « ATTILA CSAMPAI S.
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IM BANN DES FÜRCHTERLICHEN BRUDERS HEINZ SICHROVSKY S.
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DIE DREI KNABEN UTE HARBUSCH S.
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IMPRESSUM
TAMINO
Hier sind die Schreckenspforten, Die Not und Tod mir dräun. PA M I NA
Ich werde aller Orten An deiner Seite sein. Ich selbsten führe dich, Die Liebe leitet mich! ZWEITER AUFZUG, 28. AUFTRITT
WOLFGANG A M ADEUS MOZART
DIE ZAUBERFLÖTE Eine DEUTSCHE OPER in zwei Aufzügen Text EMANUEL SCHIKANEDER
ORCHESTERBESETZUNG 2 Flöten (2. auch Piccolo), 2 Oboen, 2 Klarinetten (auch Bassetthorn), 2 Fagotte, 2 Hörner, 2 Trompeten, 3 Posaunen, Pauken, Glockenklavier, Violine I, Violine II, Viola, Violoncello, Kontrabass BÜHNENMUSIK 1 Flöte / 2 Trompeten, Pauken / 2 Flöten, 2 Oboen, Fagott, 2 Klarinetten, 2 Hörner, 2 Trompeten, 3 Posaunen
AUTOGRAPH STAATSBIBLIOTHEK BERLIN URAUFFÜHRUNG 30. SEPTEMBER 1791 Wien, Freihaustheater auf der Wieden ERSTAUFFÜHRUNG IM HAUS AM RING 1. SEPTEMBER 1869 SPIELDAUER
3H
INKL. 1 PAUSE
DIE HANDLUNG ERSTER AUFZUG Prinz Tamino wird von einer Schlange verfolgt. Dem ohnmächtig Niedergesunkenen eilen drei Damen, Abgesandte der Königin der Nacht, zur Hilfe. Als er erwacht, erblickt er den Vogelfänger Papageno, der wie gewöhnlich gekommen ist, um die Vögel, die er im Auftrag der Königin fängt, gegen Speis und Trank einzutauschen. Tamino glaubt ihm für seine Errettung danken zu müssen – Papageno nimmt den Dank geschmeichelt entgegen. Zur Strafe für seine Prahlerei verschließen ihm die zurückgekehrten Damen den Mund. Tamino zeigen sie das Bild der Tochter ihrer Herrscherin. Als er erfährt, dass das Mädchen im Auftrag Sarastros geraubt wurde, will er nur eines: Pamina befreien. Die Königin erscheint, bestärkt Tamino in seinem Beschluss und verspricht ihm die Hand ihrer Tochter. Papageno soll Tamino begleiten. Bei Gefahr sollen ihnen die Zauberflöte und ein Glockenspiel helfen; drei Knaben werden ihnen den Weg weisen. Sarastros Sklavenaufseher Monostatos hat Pamina, die zu fliehen versuchte, wieder eingefangen. Als er sich ihr begehrlich nähern will, stößt er auf Papageno, der von Tamino vorausgeschickt wurde. Beide erschrecken voreinander und Monostatos läuft davon. Papageno berichtet Pamina von dem Befreiungsplan; gemeinsam preisen sie die Liebe als die Erfüllung menschlichen Daseins. Tamino ist inzwischen, geführt von den drei Knaben, ins Innere von Sarastros Tempelbezirk gelangt. Ein Priester tritt ihm entgegen und mahnt ihn, vorurteilsfrei die Gründe Sarastros für die Entführung Paminas zu prüfen.
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DIE HANDLUNG
Pamina und Papageno werden auf ihrer Flucht von Monostatos und dessen Sklaven überrascht, doch die Macht des Glockenspiels bewahrt sie vor der Gefangennahme. Aber schon wird Sarastros Rückkehr von der Jagd angekündigt. Pamina bekennt sich vor Sarastro zu ihrer Fluchtabsicht: Sie habe sich den Übergriffen Monostatos’ entziehen wollen. Sarastro bestraft Monostatos, obwohl der sich der Gefangennahme Taminos rühmen kann. Pamina und Tamino sehen einander zum ersten Mal. Sarastro lässt Tamino und Papageno in den Prüfungstempel führen.
ZWEITER AUFZUG In der Priesterversammlung erklärt Sarastro, Tamino und Pamina seien von den Göttern füreinander bestimmt. Zunächst aber werden sie getrennt und müssen voneinander Abschied nehmen. Tamino und Papageno sollen sich einer Reihe von Prüfungen unterziehen. Tamino ist dazu bereit, während Papageno durch das Versprechen, dadurch eine Frau zu bekommen, überredet werden muss. Beiden wird Schweigepflicht auferlegt. Die drei Damen der Königin, in Sarastros Reich eingedrungen, versuchen, die Prüflinge Tamino und Papageno von ihrem Ziel abzubringen. Der verliebte Monostatos will die schlafende Pamina küssen. Die Königin der Nacht tritt dazwischen. Sie verlangt von Pamina, Sarastro zu töten und ihr den mächtigen Sonnenkreis, den sie für sich beansprucht, auszuliefern. Monostatos hat das Gespräch belauscht und versucht, die Situation für sich auszunutzen. Da erscheint Sarastro und verspricht Pamina, sich nicht an ihrer Mutter zu rächen. Monostatos beschließt, nunmehr über die Königin der Nacht an das Ziel seiner Wünsche zu gelangen. Papageno kann sich nicht an die Schweigepflicht halten. In einem Gespräch mit einer alten Frau erfährt er, dass diese sich ihn zum Mann wünscht; bevor er begreift, um wen es sich handelt, verschwindet die Alte. Die drei Knaben bringen Flöte und Glockenspiel, die man den Prüflingen abgenommen hatte, und ermahnen sie nochmals, zu schweigen. Papageno verzichtet auf die Möglichkeit, zu den Eingeweihten zu gehören; er wünscht sich eine Frau, eine Papagena. Die Alte erscheint wieder, entpuppt sich als junge Papagena, wird ihm aber nochmals entrissen.
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DIE HANDLUNG
Pamina ist Taminos Flötenspiel gefolgt; sie kann sich sein Schweigen nicht erklären und zweifelt an seiner Liebe. Sie ist zum Selbstmord entschlossen. Die drei Knaben verkünden ihr Taminos unverminderte Liebe. Zwei geharnischte Männer bereiten Tamino auf die letzte Prüfung vor. Pamina will den schweren Weg durch Feuer und Wasser gemeinsam mit ihm gehen. Der Ton der Flöte schützt die beiden. Papageno irrt verzweifelt auf der Suche nach Papagena umher. In seinem Schmerz will er sich erhängen. Da erinnern ihn die drei Knaben an die Kraft seines Glockenspiels, mit dem er Papagena herbeirufen kann. Die Königin versucht, mit Monostatos und ihren drei Damen in den Tempel einzudringen. Sarastros Sonne bietet ihnen Einhalt, sie stürzen in ewige Nacht. Doch die Liebe Taminos und Paminas öffnet die Grenze zwischen Licht und Dunkelheit.
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ALMA NEUHAUS, JENNI HIETALA & STEPHANIE MAITLAND als DIE DREI DAMEN
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ANONYM, in: RHEINISCHE MUSEN I, 1794
»NUN IST AUCH HIER DIE ZAUBERFLÖTE AUF DIE BÜHNE GEBRACHT, UND DIE MENSCHEN LAUFEN DARNACH, ALS WENN IHRE ZEITLICHE UND EWIGE GLÜCKSELIGKEIT VON DIESER OPER ABHIENGE.«
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ÜBER DIESES PROGRAMM- BUCH Unser Programmbuch beginnt mit einer Annäherung an die Entstehungsumstände der Zauberflöte im Wien des Jahres 1791. Voraussetzung war die Wiederbegegnung Mozarts mit dem ihm aus Salzburger Tagen bekannten Schauspieler und Prinzipal Emanuel Schikaneder; Volker Hagedorn skizziert ihre Beziehung ab S. 11. Gernot Gruber liefert ab S. 18 verlässliche Daten zur Schaffensgeschichte und Uraufführung. Der Musikwissenschaftler Laurenz Lütteken setzt sich mit der Publikumsstruktur der Uraufführungslokalität des Wiener Freihaustheaters auseinander. Es folgen ab S. 30 drei Briefe Mozarts an seine Ehefrau Konstanze, mit denen Nöte und Freuden seiner letzten Lebensmonate berührend nahe rücken. Im Anschluss grundlegende Texte zweier Mozartforscher: Gernot Gruber entdeckt den offenen Horizont von
Mozarts Musik in ihrem Vermögen zu improvisatorischer Spontaneität und Verwandlung (ab S. 38); Hermann Wolfgang von Waltershausen fächert den Reiz des Widersprüchlichen in der Dramaturgie des Werkes auf (ab S. 44). Oliver Láng skizziert Wendepunkte der Wiener Aufführungsgeschichte dieser Oper. Die Regisseurin der Neuproduktion Barbora Horákova teilt ab S. 55 ihre Erfahrungen, Zugänge und Überlegungen bei ihrer szenischen Realisation der Partitur. Wolf Rosenberg (S. 62), Adele Bernhard (S. 67) und Attila Csampai (S. 73) reiben sich in ihren Beiträgen an notorischen Problemzonen. Und während Heinz Sichrovsky ab S. 76 den Mythos von der Freimaurer-Oper kenntnisreich durchleuchtet, führt uns Ute Harbusch zu den drei Knaben als den Märchenhelfern des Werkes zurück.
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VOLKER HAGEDORN
DER ZAUBERFLÖTEN- MACHER Er legt an, zielt, drückt ab. Popp. Knapp vorbei. Er habe noch ganz andere Pfeile im Köcher, sagt der Mann im Scharlachfrack, senkt die Windbüchse, schwenkt den Dreieckshut und verneigt sich vor der Gastgeberin. Sie errötet, nimmt ihr Gewehr, steckt einen gefiederten Bolzen in den Lauf. Volltreffer. Genau in den nackten Hintern, der in der Mitte der Scheibe prangt. Die Gesellschaft im Tanzmeistersaal johlt. Die knapp 30-jährige Maria Anna Mozart tritt zur Seite, jetzt ist ihr Bruder dran. Kleinwüchsig, blass, sehr quirlig, fünf Jahre jünger. Er verfehlt den Hintern um 20 Zentimeter, wendet sich jäh zur Fensterseite des Saals, durch die endlich mal wieder die Sonne scheint, und ruft »O Wetter! O worden! O schön!« Etwa so darf man sich das Bölzelschießen in Salzburg im September 1780 vorstellen, bei dem Emanuel Schikaneder, der Gast im Frack, und Wolfgang Amadeus Mozart schon mal ein gemeinsames Ziel anvisieren. Die Scheiben können gar nicht anzüglich genug bemalt sein beim Lieblingssport der Mozarts. Um 36 Kreuzer wird geschossen, so viel kostet auch das beste Billett im Theater gegenüber, wo Schikaneders Wandertruppe den Winter über spielen wird. Singspiele und Schwänke mit Titeln wie Der lustige Schuster und Der Esel als Deserteur, aber auch ShakeJULIAN PRÉGARDIEN als TAMINO LUDWIG MITTELHAMMER als PAPAGENO
speares Hamlet, wobei sich der Direktor für keinen Helden zu klein, für keinen Hanswurst zu fein ist. Der 29-jährige Schikaneder mag die Mozarts, und sie mögen ihn. Bei ihnen trifft sich ein Querschnitt seines Salzburger Publikums, von der Kaufmannstochter bis zum fürstbischöflichen Hauslehrer. Natürlich weiß Schikaneder, dass der junge Hoforganist Wolfgang Amadeus, als Kind schon berühmt, jetzt sogar einen Opernauftrag für den Münchner Hof hat. Trotzdem schenkt er der Familie nicht nur aus taktischen Gründen Dauerfreikarten für die ganze Saison. Er fühlt sich verstanden. Die Mozarts haben mehr von der Welt gesehen als er, und zugleich sind sie erstaunlich bodenständig. Es macht hier gar nichts, dass er von ganz unten kommt. Am 1. September 1751 wird Johann Joseph Schikaneder als drittes Kind zweier Tagelöhner im bayerischen Straubing geboren, am 21. September 1812 stirbt er in Wien. Dass wir noch von ihm wissen, dass Forscher, Dichter, Biografen, Filmemacher sich mit ihm befassten, verdankt sich einem Ereignis, zu dem Mozart 1791 in sein »Verzeichnüß« notiert: »die Zauberflöte. – aufgeführt den 30:t September – eine Teutsche Oper in 2 Aufzügen. von Eman. Schikaneder:«
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VOLKER HAGEDORN
Bis dahin ist es ein weiter Weg von den Herbsttagen anno 1780, doch begonnen hat er schon viel früher. Wer wissen will, warum die Zauberflöte sogar Leuten ein Begriff ist, denen Opern, auch solche von Mozart, sonst herzlich egal sind, trifft in Schikaneder einen, der auf seinem Weg nach oben mit jeder Art von Publikum klarkommen musste. Zwei Jahre alt, verliert er den Vater, die Mutter handelt mit Devotionalien in einer Bude am Regensburger Dom. Zwar haben die Jesuiten den aufgeweckten Jungen und seinen älteren Bruder als Stipendiaten ins Gymnasium aufgenommen, wo er neben ein paar Brocken Latein das Geigenspiel und das Notenschreiben lernt, aber eine akademische Laufbahn ist illusorisch. Als »Lyrant« zieht er los, mit zwei anderen Wandermusikern, und lernt, wohl kaum zum ersten Mal, den Hochmut der »besseren« Leute kennen, gegen den er sich wehrt: »Ich habe eben vielleicht so gut studiert wie Sie, nur dass ich arm war und Sie vielleicht ein reicher Dummkopf!« So steht es in seinem Stück Die Lyranten oder das lustige Elend, einem seiner erfolgreichsten. 1773 nimmt eine wandernde Schauspielertruppe den auffallend attraktiven, vielfach begabten 22-Jährigen auf. Es ist eine Zeit, in der manche Pfarrer Schauspielern noch die Sterbesakramente und ihrem Publikum die Absolution verweigern, in der Bauern mit Mistgabeln über die Wandertruppen herfallen und der Spruch »Hängt die Wäsche weg, die Komödianten kommen« noch ernst gemeint ist. Zugleich etablieren Charakterdarsteller wie Konrad Ekhof und sein Schüler August Wilhelm Iffland eine Schauspielkunst, von der auch Friedrich Schiller profitiert an einem der neuen Nationaltheater, die sich zwischen Hof-
theater und Wanderbühnen an die bürgerliche Mitte wenden.
GOETHE HAT ER IM REPERTOIRE, ABER AUCH SCHWÄNKE MIT BÄREN UND AFFEN Johann Joseph Schikaneder, der sich jetzt den nobleren Namen Emanuel gegeben hat, zieht es ebenfalls zum bürgerlichen Publikum. Aber als er mit der Theatertruppe von August Schopf und Theresia Schimann 1776 nach Augsburg kommt, stellt er fest, dass auch die Gebildeten es gern etwas gröber haben. Nicht Goethes Clavigo oder Lessings Emilia Galotti sind gut besucht, sondern Militärspektakel wie Der Graf von Walltron, zu dem 44 Mann der Stadtgarde aufmarschieren. Schikaneder merkt sich das und setzt das Stück später als gigantisches Freiluft-Event in Szene, mit Pferden und Kanonen und einem zweispännigen Reisewagen, aus dem als Gräfin Walltron Eleonore Schikaneder steigt, geborene Arth. Schikaneder hat die gleichaltrige Kollegin in Augsburg geheiratet und wird ihr noch viel verdanken – nur nicht die beiden Kinder, deren Vater er 1779 wird. Die Mutter des Jungen ist die Schauspielerin Maria Anna Miller, die des Mädchens eine Augsburger Bürgerstochter. Grund genug, die Stadt zu verlassen, in der er es mittlerweile zum Chef einer Wandertruppe gebracht hat, verantwortlich für 32 Mitarbeiter – und für weiteren Nachwuchs. Ein Jahr später bringt seine verheiratete Kollegin Juliana Moll einen Jungen zur Welt, für den Schikaneder und seine Ehefrau als Taufpaten auftreten. »Erst einen kleinen Papageno! Dann eine kleine Papagena!
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DER ZAUBERFLÖTENMACHER
Dann wieder einen Papageno ... «, wird Schikaneder später ein fertilitätsberauschtes Paar singen lassen, für dessen männlichen Part er in mehrfacher Hinsicht Modell steht. Als er 1780 nach Salzburg kommt, hat der vielseitige Mann mit seiner Truppe schon Ulm, Stuttgart, Nürnberg, Laibach, Klagenfurt und Linz bespielt und dabei auch Pleiten und Skandale souverän gemeistert. Als Gastsolist hat er am Hoftheater in München in der Rolle des Hamlet Sensation gemacht. Shakespeare gehört zu seinem Repertoire ebenso wie Lessing und Goethe, kleine Opern und Singspiele und simple Rührstücke, und seinen Lyranten sind weitere Stücke aus eigener Feder gefolgt, etwa Das Regenspurger Schif, auf dem es Bären und Affen, Blitz und Donner gibt. »Wie gehts dem schickaneder?«, fragt Mozart im Januar 1781, mittlerweile in München, wo er während der Arbeit am Idomeneo sogar noch eine Arie für das Theater des neuen Freundes komponiert hat. Dann erwähnt er ihn in seinen Briefen zehn Jahre lang nicht mehr. Zehn Jahre, in denen er das Hochplateau seiner Kunst erreicht, in nahezu allen Genres Musikgeschichte schreibt und mit dem kongenialen Librettisten Lorenzo Da Ponte die Oper neu erfindet. Freilich muss er derweil auch den bayerischen Theatermann wieder getroffen haben, der sich in Wien einen Namen macht – mit einem Umweg über Pressburg, wo der durchreisende Kaiser Joseph II. die Truppe erlebt und so begeistert ist, dass er ihren Chef 1784 als Intendanten nach Wien ans Kärntnertortheater bittet. Dort eröffnet Schikaneder die Saison mit Mozarts beliebter Entführung aus dem Serail und plant für den Februar 1785 einen weitaus heißeren Stoff: Er lässt Beaumarchais’ Komödie La
Folle Journée ou Le Mariage de Figaro übersetzen. Doch die österreichische Erstaufführung des politisch brisanten Stückes wird am Premierentag verboten – was wiederum Mozart auf die Idee bringt, da Ponte zu bitten, den Stoff in ein Libretto umzuarbeiten. Die Aufklärung tritt damals in ihre revolutionäre Phase; zugleich blüht das standesübergreifende Freimaurertum. Mozart wird 1784 Mitglied der Loge »Zur Wohltätigkeit« in Wien, Schikaneder tritt vier Jahre später in »Die Wachsende zu den drei Schlüsseln« in Regensburg ein, seiner letzten Station vor dem endgültigen Triumph in Wien. Seine Frau Eleonore beschreitet unterdessen eigene Wege. Der rastlosen Untreue des Gatten müde, hat sie sich Johann Friedel zugewandt, einem jüngeren Ensemblekollegen, und leitet mit ihm die Truppe. 1788 übernehmen die beiden in Wien eine der erstaunlichsten Bühnen der Zeit, integriert in einen höchst fortschrittlichen Wohnkomplex. Im »Freihaus« vor der Stadt (am jetzigen Naschmarkt) gruppieren sich 225 Wohnungen um Höfe und Gärten. Vom Wirtshaus bis zur Schule, vom Apotheker bis zum Sargtischler gibt es hier alles. Die Theaterleute leben inmitten ihres Publikums. Trotzdem agiert der Pächter Friedel glücklos – und stirbt schon ein Jahr später. Seiner Co-Direktorin vermacht er das Theater, und sie tut sich umgehend wieder mit ihrem Ehemann zusammen. Von jetzt an geht es steil aufwärts. »Ich schreibe fürs Vergnügen des Publikums, gebe mich für keinen Gelehrten aus«, bekennt Schikaneder, »ich bin Schauspieler – bin Direkteur – und arbeite für meine Kaße.« Nun schreibt er auch für die eigene Bühne, und Der dumme Gärtner mit
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dem Chef in der Hauptrolle wird Stadtgespräch. Singend, sprechend, improvisierend bedient er die Wiener Liebe zu »Kasperliaden« und gibt einen Vorgeschmack auf den Papageno: »Ein Weib ist das herrlichste Ding auf der Welt ... « (zu der Melodie komponiert Mozart seine Variationen KV 613). Auch stehen dem dummen Gärtner zwei Damen zur Seite, die mit ihm in der Zauberflöte singen werden: Barbara Gerl, die spätere Papagena, und Josepha Hofer, Mozarts Schwägerin, spätere Königin der Nacht. Hofers Vertrag mit Schikaneder ist einer der wenigen erhaltenen Theaterverträge der Zeit und zeigt, dass der Intendant nicht nur auf angemessene Probenzeiten und Gagen achtet, sondern auch auf den guten Ruf. Er verlangt »gute häußliche Aufführung«, »Vermeidung des Schuldenmachens« und der »Kabale« sowie »aller Unordnung, alles Zankes, Raufereyen, Schlägereyen, Nachtschwärmens, Rollen-Neides, und Rollen-Streites«. Der »Don Juan von der Wieden«, wie ihn seine Frau – mittlerweile wohl in eher amüsierter Resignation – nennt, ist auch ein solider Hausvater, der mit Geld umgehen kann. Ein verlässlicher Partner für einen, der sehr gut weiß, was er wert ist: Wolfgang Amadeus Mozart. Es sind zwei Profis, die sich da 1791 zusammensetzen, die wissen, was in der Luft liegt, in Mode wie Politik. »Seht mich nur an, ich bin ein Mensch wie ihr«, sagt in Paul Wranitzkys Oper Oberon nach Wielands Versepos der Naturbursche Scherasmin zum Ritter Hüon – ein Werk, das Schikaneder im Freihaus aufgeführt hat und das Mozart spätestens 1790 in Frankfurt sieht. »Wer ich bin?«, antwortet Papageno dem Prinzen Tamino: »Dumme Frage! Ein Mensch wie du!«
VORLIEBE FÜR DAS WUNDERBARE Bei den Freimaurern kreuzen sich demokratische Tendenzen mit esoterischen Strömungen. Viele Aufklärer ergeben sich der Magie. »Das Ende des 18. Jahrhunderts ist gekennzeichnet durch einen geradezu unbegreiflichen Charakter der Vorliebe für das Wunderbare«, beschrieb Mozarts Zeitgenossin Henriette von Oberkirch die Zeitstimmung. Diese Vorliebe für das Wunderbare beherrscht auch August Jacob Liebeskinds Märchenerzählung Lulu oder Die Zauberflöte, 1778 von Wieland herausgegeben, auf die Schikaneder im ersten Akt zurückgreift. Im Sarastro klingt zudem der Name des italienischen Alchimisten Cagliostro an, der die Zeitgenossen fasziniert. Zugleich spiegelt sich in dieser Figur Ignaz von Born, Lichtgestalt der Wiener Freimaurer, der die Priesterbünde Altägyptens als Vorläufer der Aufklärung sieht. Born fördert auch den Afrikaner Angelo Soliman, der es in Österreich vom Sklaven zum Gesellschafter des Kaisers gebracht hat und an den jeder Wiener denken wird, der in der Zauberflöte den Monostatos sieht. Und weil im Sommer 1791 dem Franzosen Blanchard in Wien eine spektakuläre Fahrt im Heißluftballon glückt, baut Schikaneder noch ein »Flugwerk« in die Oper ein. So fließen im Libretto, das Schikaneder schreibt und das Mozart an 50 Stellen geringfügig ändert, Tendenzen des Epochenwechsels zusammen mit solchen des Tages. Die Konkurrenz schläft derweil nicht. Im Leopoldstädter Theater, einer anderen Vorstadtbühne, kommt im Juni 1791 Kaspar der Fagottist oder die Zauberzither heraus. Mozart, der seinen ersten Akt schon fertig hat, schaut sich
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DER ZAUBERFLÖTENMACHER
das sicherheitshalber an, findet aber, dass »gar nichts daran ist«, und komponiert weiter an seiner einzigartigen Collage zwischen Koloratur und Choral, Lachnummer und Weiheton. Dass ihm Schikaneder ein Gartenhäuschen für die Arbeit zur Verfügung stellte, ist allerdings so wenig zu belegen wie das Ondit, Mozart habe dort Nächte mit den Darstellerinnen der Zauberflöte verbracht. Ein eingespieltes Team ist es auch ohne Seitensprünge. Von Papagena und Königin war schon die Rede. Anna Gottlieb, die Pamina, war die Barbarina in der Uraufführung des Figaro. Über Benedikt Schak, den Tamino, eine Entdeckung Schikaneders, hat Leopold Mozart seinem Sohn geschrieben: »Dieser Mensch singt wirklich schön.« Bassist Franz Xaver Gerl, einst Salzburger Kapellknabe, hat sich bereits als Osmin in der Entführung aus dem Serail bewährt. Wie Johann Josef Noseul, der den Monostatos gibt, zählt er zu Schikaneders künstlerischer Familie und ist jetzt sein Sarastro. Nicht zu vergessen den Chef selbst, der hier mit 40 Jahren die Rolle seines Lebens spielen wird. Kurz vor der Uraufführung schreibt Mozart noch eines seiner besten Instrumentalstücke, die Ouvertüre. Am Freitag, 30. September 1791, um 19 Uhr gibt er den Einsatz, dann geht der Vorhang über der zwölf Meter breiten Bühne hoch, geräuschvoll, da mangels Flaschenzug Bühnenarbeiter vom Schnürboden als Gegengewichte herabspringen. Die Zauberflöte wird zum Triumph. Nicht zuletzt für den einstigen Underdog und Tagelöhnersohn, der den ganzen Abend zusammenhält, der sein ganzes Leben in den Papageno gepackt hat: den Lyranten, den Hanswurst, all die
Kasperln und dummen Gärtner, Leute, die so triebhaft wie durchtrieben Hierarchien infrage stellen. Auch als Regisseur und Ausstatter zieht Schikaneder eine Summe seiner Erfahrungen. »Das Theater verwandele sich in »zwey große Berge; in dem einen ein Wasserfall, worin man sausen und brausen hört; der andre speyt Feuer aus; jeder Berg hat ein durchbrochenes Gitter, worin man Feuer und Wasser sieht.« Manche Auftritte sind in den Anweisungen bis auf den Meter und die Gebärde genau vorgeschrieben, so wie auch der Erfolg der Produktion präzise kalkuliert ist. Mit 5.000 Gulden – was heute rund 150.000 Euro entspricht – ist es, wie die Biografin Eva Gesine Baur vermutet, die teuerste, die sich Schikaneder je geleistet hat. Die Investition zahlt sich aus, das Haus ist jeden Abend voll. Mozart kann sich nicht lange daran freuen. Er stirbt zwei Monate nach der Uraufführung. Für Schikaneder beginnt ein goldenes Jahrzehnt, 1801 gipfelnd im Neubau des noch heute existierenden Theaters an der Wien gleich gegenüber und im Kauf eines Schlösschens, das er mit Motiven aus der Zauberflöte schmücken lässt.
ALS ER STIRBT, BLEIBEN EIN PAAR STIEFEL, BÜCHER – »AN BAREM GELDE: NICHTS« Zugleich setzt aber auch die Diskreditierung des großen Theatermannes ein. Wer die Zauberflöte nachspielt – 1794 sind es schon 27 deutsche Bühnen –, nennt selten den Namen des Librettisten, den ein Rezensent als »elenden dramatischen Sudler« abtut. Neben den zum Gott erhobenen Mozart passt der Impresario nicht, der weiterhin auch mit Krachern wie Die Fiaker in Wien
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DER ZAUBERFLÖTENMACHER
Kasse macht. Das Schmähwort von der »Schikanederei« kommt auf, mit dem man Showeffekte, Stilbrüche, den Abstand zur wahren Kunst bezeichnet. Goethe setzt sich an einen zweiten Teil der Zauberflöte und knüpft an alles an, was Schikaneder ersann, lässt aber das Original für sein Hoftheater umtexten. Tantiemen gibt es sowieso nicht, Werke von Toten wie Lebenden sind »open source«. 1809 plündern Napoleons Franzosen sein Schlösschen, sein Theater an der Wien haben längst andere übernommen, sein Stil ist aus der Mode, ein Versuch als Stadttheaterchef in Brünn ist gescheitert. Mit Verlust muss er sein lädiertes Anwesen verkaufen. 1811 lässt eine gesteuerte Inflation, das »Bankrottpatent«, alle österreichischen Ersparnisse auf ein Fünftel schrumpfen. Der 59-Jährige, der nun »groß und dick« ist und »einen watscheligen Gang« hat, zieht sich mit seiner Frau in eine kleine Wohnung im Wiener Alsergrund zurück. Mit dabei sind eine ehemalige Kassiererin des Theaters und ihr zehnjähriger Sohn. Schikaneder ist sein Vater. Er nimmt kaum noch etwas wahr. Umnachtet stirbt er wenige Wochen nach seinem 61. Geburtstag. Während die Zauberflöte bereits europaweit zum Repertoire gehört, listet ein »Sperrskommissär« das Vermögen ihres Autors auf. Ein paar Klamotten, Stiefel, »alte Lesebücher«, »an barem Gelde: Nichts«.
Dem entspricht sein Ruf in der Nachwelt, dem sich bis heute wenige entgegensetzten, so wie Hegel und Schopenhauer. Oder Theodor W. Adorno, der über die Zauberflöte schrieb, die »Resistenzkraft des vom altklugen Geschmack als schlecht diffamierten Textes« bewähre sich »auf der Grenzscheide von Banalität und abgründigem Tiefsinn«. Auf dieser Grenze bewegt sich auch Mozart mit Genuss. Am 8. Oktober 1791, eine Woche nach der Uraufführung, dirigiert er nicht selbst, sondern begibt sich im zweiten Akt hinter die Kulissen. Gerade singt Papageno-Schikaneder seine Arie Ein Mädchen oder Weibchen mit einem Glockenspiel in der Hand, das er zum Schein bedient, während ein Musiker die Töne liefert. Dessen Part übernimmt Mozart jetzt spontan, »weil ich heute so einen trieb fühlte es selbst zu Spielen«. Doch wo er ein Arpeggio anschlagen müsste, lässt er es weg und beobachtet Schikaneder. Der erkennt mit einem Seitenblick, wer ihn reinlegt, hält inne, lässt das Glockenspiel sinken, und genau da liefert Mozart seinen Akkord. Schikaneder reagiert als geübte Rampensau: Er schlägt auf sein Instrument und ruft »Halt‘s Maul!«. Großes Gelächter. Großes, kleines Theater. Da sind die beiden bis heute zusammen, untrennbar. In der Gegenwart der Bühne.
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GEORG ZEPPENFELD als SARASTRO
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GERNOT GRUBER
SCHAFFENS- GESCHICHTE & URAUFFÜHRUNG Um Mozarts letztes Lebensjahr ranken sich recht unglaubwürdige Legendenbildungen, denen eine auffallend geringe Anzahl an verlässlichen Belegen gegenübersteht. So sind auch die konkreten Umstände, die zur Entstehung der Zauberflöte führten, nur zu vermuten. Selbst über so nüchterne Tatsachen wie einen Vertrag zwischen den Auftraggebern, den beiden Eigentümern des Wiener Freihaustheaters auf der Wieden, Joseph von Bauernfeld und Emanuel Schikaneder, und Mozart oder über die Höhe des Honorars, das Mozart für die Komposition erhielt, fehlen dokumentarische Nachrichten. Wohl erst mit Schikaneders Übersiedlung nach Wien im Frühjahr 1789 und seiner Übernahme des Freihaustheaters, in dem er im Sommer desselben Jahres zu spielen begann, ist eine Situation gegeben, die den Plan zur Zauberflöte auslösen konnte. Mozarts Interesse an Schikaneders Aufführungen geht aus eigenen Äußerungen hervor; so schreibt er am 2. Juni 1790 über einen Besuch im Freihaustheater an seine Frau Constanze: » … gestern war ich in dem zweyten Theil von der Cosa rara – gefällt mir aber nicht so gut wie die Antons.« Mozart muss also dieses Theater schon früher und des Öfteren besucht haben. So wurde er mit der Schikanederschen Prägung deutscher
Singspiele eng vertraut, ebenfalls auch mit der Märchen- und Mysterienwelt von Christoph Martin Wielands »modischer« Sammlung Dschinnistan, die in etlichen Stücken der Schikaneder-Bühne dramatisiert wurde. Den Erfolg einer solchen Zauberoper, Paul Wranitzkys Oberon erlebte Mozart in Frankfurt mit, von wo er Constanze am 3. Oktober 1790 berichtet: » – meine ganze Unterhaltung ist das Theater … « Der Bericht, dass Schikaneder Mozart am 7. März 1791in einer dringenden Geldverlegenheit aufsuchte und ihn bat, aus Freundschaft eine Zauberoper zu komponieren und ihm gleichzeitig den Zauberflöten-Stoff vorlegte, ist zumindest teilweise falsch, da sich Schikaneder zu dieser Zeit in einer Lage finanzieller Prosperität befand. Ebenso wenig trifft eine Logenbrüderschaft Schikaneders mit Mozart zu, die meist als Beweis für ihre Freundschaft angeboten wird. So muss vielleicht für immer unklar bleiben, wo die Wahrheit zwischen dem angeblichen, gemeinsamen lockeren Lebenswandel bis hin zur gleichfalls angeblichen, schamlosen Ausbeutung Mozarts durch Schikaneder liegt. Kein Grund aber besteht, ein irgendwie extrem angespanntes Verhältnis zwischen den beiden anzunehmen. Beinahe wohltuend unbestimmt klingt da noch Franz Xaver Niemet-
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SCHAFFENSGESCHICHTE & URAUFFÜHRUNG
scheks Äußerung: »Die Zauberflöte setzte er für das Theater des bekannten Schikaneders, der sein alter Bekannter war.« Nicht zu vergessen ist auch, dass Mozart mit mehreren Mitgliedern des Schikaneder-Ensembles verkehrte und mit Schikaneders Kompagnon Joseph von Bauernfeld befreundet war. Der gemeinsame Bekanntenkreis dürfte viel dazu beigetragen haben, dass sich Schikaneder und Mozart zur gemeinsamen Arbeit fanden. Die Komposition der Zauberflöte beginnt Mozart vermutlich im Frühjahr 1791, mögen auch der Plan und erste Skizzen vielleicht schon in eine frühere Zeit fallen. Nach einem kompositorisch ertragreichen Winter schreibt Mozart im März neben der Arie KV 612 für Franz Xaver Gerl, den ersten Darsteller des Sarastro, die ebenfalls in den Schikaneder-Kreis weisenden Klaviervariationen KV 613, während er die Komposition des Streichquintetts KV 614 am 12. April in sein Werkverzeichnis einträgt. Da daran nur einige kleinere Gelegenheitswerke anschließen, kann man vermuten, dass Mozart Mitte April schon intensiv mit der Komposition der Zauberflöte beschäftigt war, zumal sich eine zwischen 21. und 27. April geschriebene Entschuldigung Mozarts gegenüber Michael Puchberg – »weil ich so viel zu thun habe« – auch dahingehend deuten lässt. Anfang Juni reist Constanze zur Kur nach Baden, wo sie sich über einen Monat lang aufhält, während Mozart in Wien zurückbleibt. Über diesen Zeitraum und damit über den Fortgang der Arbeit an der Zauberflöte sind wir durch Mozarts Briefe an seine Gattin recht gut informiert. (Auch zur Frage, welche Gebäude, Räumlichkeiten und Möbelstücke Mozart bei der Komposition der
Zauberflöte benutzt hatte, entstanden verschiedene mehr oder weniger glaubhafte Vermutungen. Vorwiegend wird Mozart »natürlich zuhause in der Rauhensteingasse, gearbeitet haben« (O. E. Deutsch, Das Freihaustheater, auf der Wieden, S. 18.) Am 7. Juni erwähnt Mozart erstmals Schikaneder und am 11. Juni ebenfalls erstmals die Zauberflöte: »Aus lauter langer Weile habe ich heute von der Oper eine Arie componirt« – und beschließt den Brief: » … und sage in Gedanken mit Dir: Tod und Verzweiflung war sein Lohn! –« Die Frage, ob Mozart gemäß dieser Anspielung auf das Duett No. 11 zu diesem Zeitpunkt schon am Partiturentwurf zum zweiten Aufzug arbeitete, bleibe dahingestellt. Den Ende Juni/Anfang Juli durch Constanze zu übermittelnden Auftrag, Süßmayr »soll fleißig schreiben daß ich meine Sachen bekomme«, klärt Mozart im Brief vom 2. Juli auf: »Ich bitte dich sage dem Süssmayer dem Dalketen buben, er soll mir vom ersten Ackt, von der Introduction an bis zum Finale, meine Spart schicken, damit ich instrumentiren kann.« Franz Xaver Süßmayr, der mit Constanze in Baden weilte, musste demnach Mozarts Particell kopieren; diese Abschrift wird schon für Gesangsproben benötigt worden sein. Jedenfalls denkt Mozart Anfang Juli bereits an die Instrumentierung des ersten Aufzuges und war auch mit der Komposition des zweiten Aufzuges weit fortgeschritten, da er am 3. Juli an Constanze schreibt: »Ich hoffe Süssmayer wird nicht vergessen daß was ich ihm herausgelegt, auch gleich zu schreiben – auch hoffe ich mir heute die Stücke von meiner Partitur | so ich verlanget | zu erhalten.« überhaupt spricht aus den zahlreichen Briefen der ersten Julihälfte eine außerordentliche Anspannung der Arbeitskraft, aber
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auch der geschäftlichen Schwierigkeiten, aus denen sich Mozart heraussehnt. Zumindest jene Nummern, die Gesangsproben erfordern, dürfte Mozart »im Jullius«, als er die Komposition der »Teutschen Oper In 2 Aufzügen« Die Zauberflöte in sein Werkverzeichnis eintrug, weitgehend fertiggestellt haben. Im selben Monat schreibt Mozart noch die Kleine deutsche Kantate KV 619; in zunehmendem Maße beansprucht ihn aber die Opera seria La clemenza di Tito, die er erst in Prag, wo er am 28. August von Wien kommend eintraf. vollendet. Von diesem letzten Prag-Aufenthalt kehrt Mozart mit Constanze und Süßmayr Mitte September nach Wien zurück, um sich – das kann als selbstverständlich angenommen werden – sofort in die Vorbereitungen zur Uraufführung der Zauberflöte einzuschalten, die bisher Johann Baptist Henneberg musikalisch leitete. Vermutlich in dieselbe Zeit fallen die endgültige Komposition der Ouverture und des Priestermarsches (No. 9), die Mozart erst am 28. September im Werkverzeichnis notiert; ebenfalls nachgetragen hat Mozart den »dreimaligen Akkord«, vermutlich auch Teile der Instrumentation. Am 30. September findet im Freihaustheater auf der Wieden die Uraufführung des Werkes statt, von der der Theaterzettel erhalten blieb. Mozart dirigierte die Uraufführung selbst und gab erst nach der zweiten Aufführung die Leitung an Henneberg ab. Über die szenische und dekorative Gestaltung wissen wir sehr wenig. Nur geringen Einblick geben die beiden Kupferstiche, die Ignaz Alberti seiner Ausgabe des Textbuches beigab. Der erste Stich ist als eine Allegorie mit freimaurerischen Symbolen, kaum aber als ein Szenenbild anzusehen, der zweite zeigt Schikaneder im Papagenokostüm,
ohne Vögel im Käfig und ohne Panflöte. Wie es aber gemäß Schikaneders Einstellung zum Theater naheliegt, entsprach die Szenerie zweifellos der herrschenden Freude am Anschaulichen und der Vorliebe für maschinelle Überraschungseffekte; beides war in Wien aus dem Barock erhalten geblieben. Im Einzelnen ist bekannt, dass die durch Taminos Flötenspiel herbeigerufenen Tiere aller Art ebenso leibhaftig dargestellt wurden wie die Löwen Sarastros. Über das Ausmaß des Erfolges der Uraufführung liegen gegensätzliche Berichte vor. Die literarischen Ausschmückungen des Geschehens folgen meist einem anonymen Korrespondentenbericht vom 9. Oktober 1791, in dem es heißt: »Die neue Maschinenkomödie: Die Zauberflöte ... findet den gehoften Beifall nicht.« Dagegen spricht eine Briefäußerung Mozarts: »das sonderbareste dabei ist, das den abend als meine neue Oper mit so vielen beifall zum erstenmale aufgeführt wurde, am nemlichen abend in Prag der Tito zum letztenmale auch mit ausserordentlidien beifall aufgeführet worden.« Der Grund für das rasche Einsetzen des Publikumserfolges der Zauberflöte, der sich dann zum größten in Schikaneders Laufbahn ausweitete, darf nicht nur in Mozarts Musik, sondern gerade in ihrer Verbindung mit dem »Spectacel«, das Schikaneder den Wienern bot, gesehen werden. Im Oktober 1791 allein fanden über 20 Aufführungen statt. Noch im November begannen einige Wiener Verleger nummernweise Klavierauszüge der Oper auf den Markt zu bringen. Mozart selbst war aber besonders daran gelegen, dass der bedeutungsvolle Gehalt der Musik wie der des Textes vom Zuhörer erfasst werde. Als er seine Schwiegermutter in die Zau-
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berflöte führt, meint er zu seiner Frau: »bey der Mama wirds wohl heissen, die schauet die Oper, aber nicht die hört die Oper«; und einen »allwissenden« Opernbesucher – »er belachte alles« – heißt er einen »Papageno«, glaubt aber nicht, »daß es der dalk verstanden hat«. Dieselbe Einstellung spricht aus einer anderen Briefäußerung: »Lechleitner war schon wieder in der Oper; – wenn er schon kein kenner ist, so ist er doch wenigstens ein rechter liebhaber.« Der Erfolg der Zauberflöte scheint Mozart, trotz zunehmender Kränklichkeit, in eine Hochstimmung versetzt zu haben; die Briefe an seine Frau, die in der ersten Oktoberhälfte wieder zur Kur in
Baden weilte, sind voll von begeisterten Berichten über die Oper. Ausführlich schildert er, wie sehr Salieri die Zauberflöte gelobt habe, – mit Recht am berühmtesten aber wurde eine Briefstelle, die Mozarts künstlerische Absichten in wenigen Worten offenbart; spät nachts schreibt er am 7. Oktober 1791 an Constanze: »Eben komme ich von der Oper; – Sie war eben so voll wie allzeit. – das Duetto Mann und Weib etc.: und das Glöckchen Spiel im ersten Ackt wurde wie gewöhnlich wiederhollet – auch im 2:t Ackt der knaben Terzett – was mich aber am meisten freuet, ist, der Stille beifall! – man sieht recht wie sehr und immer mehr diese Oper steigt.«
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MOZARTS PUBLIKUM Es ist nicht nur schwierig, sich eine genauere Vorstellung von der Gestalt des Freihaustheaters zu machen, sondern auch von seinem Publikum. Die verbreitete Vorstellung vom ›Vorstadttheater‹, auch von der vermeintlichen Wiener Volkstheatertradition, erweist sich dabei zusätzlich als hinderlich. Eine gute erste Annäherung bieten die Eintrittspreise, die mehrfach dokumentiert sind und in der ersten Hälfte der 1790er Jahre anscheinend ziemlich stabil waren. Sie wurden überdies bei der Uraufführung der Zauberflöte nach Ausweis des Theaterzettels unverändert gelassen. Für eine große Loge (mit Platz für bis zu acht Personen) waren fünf Gulden zu zahlen, für eine kleine (mit Platz für vier Personen) zwei Gulden und 30 Kreuzer. Ein Sitz im Parterre noble (also im vordersten Bereich des Zuschauerraums, wahrscheinlich den drei Reihen nach den Sperrsitzen) oder in der ersten Galerie kostete 34 Kreuzer (0,6 Gulden). Hinzu kamen Sperrsitze für 45 Kreuzer, Sitze im hinteren Parterre für 17 Kreuzer, in der zweiten Galerie für 20 Kreuzer und in der dritten Galerie für sieben Kreuzer. Abonnements scheint es nicht gegeben zu haben. Die Preise im Nationaltheater sahen zwar Abonnements für die Logen im ersten und zweiten Rang vor (für 800 bzw. 900 Gulden), ansonsten aber Einzelbillets. Im Parterre noble war der Preis dafür ein Gulden, bei den Sperrsitzen ein Gulden und 20 Kreuzer, im
hinteren Parterre 24 Kreuzer. Plätze im dritten Rang kosteten 30 Kreuzer und in der Galerie 17 Kreuzer. Sieht man vom Sonderfall der dem Hochadel vorbehaltenen Logen-Abonnements ab, unterscheiden sich die Preise von denen des Freihaustheaters nicht so gravierend, dass ein struktureller Einfluss auf das Publikum anzunehmen wäre. Denn ein Sitz im Parterre des Freihaustheaters kostete etwa zwei Drittel eines entsprechenden Platzes im Nationaltheater; und wer bereit war, im Nationaltheater 17 Kreuzer für einen Galerieplatz auszugeben (niedrigste Kategorie), der konnte für denselben Betrag im hinteren Parterre des Freihaustheaters sitzen (zweitniedrigste Kategorie). Die Preise im Kärtnertortheater standen denen des Freihaustheaters noch näher, dort gab es sogar billigere Plätze. Auf der anderen Seite unterschieden sich auch die Preise des Theaters in der Leopoldstadt nicht prinzipiell von denen im Freihaustheater. Die Einheitlichkeit der Theaterlandschaft lässt sich auch an den vergleichbaren Vorstellungszeiten erkennen, in aller Regel von halb sieben bzw. sieben bis zehn Uhr am Abend. Bedenkt man solche Relationen, so ergeben sich zwei Schlussfolgerungen: Ein Theaterbesuch war grundsätzlich teuer und blieb in den Logen dem Hochadel vorbehalten, auf den anderen Plätzen den wohlhabenderen Bürgern und dem niedrigeren Adel. Zum Vergleich: Der Tageslohn eines Hand-
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werkers konnte damals vielleicht 30 Kreuzer betragen, und davon musste er in der Regel auch noch eine Familie ernähren. Die Klientel in den verschiedenen Theatern war (abgesehen von den Repräsentationslogen im Nationaltheater) schon deswegen vergleichbar, weil für einen Besuch vergleichbares Kapital aufgebracht werden musste. Wenn Mozart sich an das Freihaustheater band, so bedeutete dies also keinesfalls einen Wechsel der Klientel. Er selbst, der gefeierte musikalische Mittelpunkt Wiens, lieferte durch seine Besuche im Freihaustheater und im Leopoldstädter Theater (wo er Wenzel Müllers Kaspar der Fagottist erlebte) anschauliche Beispiele dafür. Auch der Hochadel und das Herrscherhaus besuchten das Freihaustheater nachweislich, und das gilt nicht nur für Joseph II. So absolvierte Ferdinand IV. von Neapel bei seinem Besuch in Wien am 13. Februar 1791 nachmittags eine Schlittenfahrt im Prater, ging abends ins Theater auf der Wieden zum Stein der Weisen und war danach beim Redoutenball in der Hofburg. Leopold II. ist 1791 ebenfalls als Gast beim Stein der Weisen bezeugt, wo er Schikaneder mit »Allerhöchstdero Beifall beehret« hat. Mozart selbst verfügte für die erste Aufführungsserie der Zauberflöte offenbar über eine eigene Loge – möglicherweise als Bestandteil seines Vertrags –, in die er allem Anschein nach regelmäßig Gäste mitbrachte, darunter den Hofkapellmeister Salieri. Die von Schikaneder angestrebte Konzentration auf das große Ausstattungstheater mit modernsten technischen Apparaturen hat also ein Publikum angezogen, das auch sonst die Theater, vor allem die Hoftheater, besuchte und in Fragen von Bühne und Musik erfahren war. Der mit diesem
Genre verbundene Aufwand vergrößerte zweifellos das finanzielle Risiko für den Impresario, aber dieses blieb zumindest in den 1790er Jahren irgendwie beherrschbar, ungeachtet mancher Gerüchte über bevorstehende Insolvenzen. Denn hohe Einnahmen waren auch deswegen garantiert, weil das Haus gut gefüllt oder, wie es im Fall der Zauberflöte bezeugt ist, regelmäßig ausverkauft war. Das von Schikaneder ausgeprägte Genre wurde durch die Verpflichtung Mozarts auf besondere Weise bereichert. Das Interesse des Komponisten an einer nochmals neuen Gattung des musikalischen Theaters traf sich hier mit dem Interesse des Prinzipals. Julius Friedrich Knüppeln bemerkte bereits 1793 eine damit verbundene Breite der Wirkung: »Alle Stände drängten sich, die Zauberflöte zu sehen, und man entdeckte stets neue Schönheiten der Tonkunst, je öfter man sie sah: man muß es auch dem Orchester zum Ruhm sagen, daß es dieses Meisterstück würdig darstellte [...].« Die sofort einsetzende, ungeheure Erfolgsgeschichte der Zauberflöte hat diese ständeübergreifende Popularität zu einem zentralen Bestandteil des Werkes gemacht. Oder, wie es in einem Bericht aus Berlin vom Mai 1794 heißt: »Nun ist auch hier die Zauberflöte auf die Bühne gebracht, und die Menschen laufen darnach, als wenn ihre zeitliche und ewige Glückseligkeit von dieser Oper abhienge.« Es ist müßig zu fragen, wie Mozart sich dazu verhalten hätte. Allerdings ist davon die Frage, ob die Popularität in diesem Sinne überhaupt intendiert war, unberührt. Die Struktur des Freihaustheaters und offenbar auch dessen Klientel legen die Vermutung nahe, dass sich zumindest das Wiener ›Zielpublikum‹ des Komponisten aus Aris-
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tokratie und Patriziat zwischen zum Beispiel Cosi fan tutte und der Zauberflöte nicht verändert hat. Zwar gibt es zahlreiche Belege dafür, dass Mozart durchaus über ein subtiles, ausgeprägtes Sensorium für die wirkungsästhetische Überwältigung seiner Zuhörer verfügte. Diese Idee von ›Wirkung‹ ließ sich auch mit den Bedingungen des josephinischen Wien und seiner besonderen Form von Öffentlichkeit in Einklang bringen. Mozarts Freund Otto Heinrich von Gemmingen (1755-1836) hielt daher die Zustimmung des Publikums für ein entscheidendes Kriterium des Gelingens: »Der Künstler aller Art arbeitet nun einmal für unsre Sinne, und er muß also wissen ob er auf sie gewürket habe oder nicht, ohne davon zu reden, daß Beyfall doch eigentlich Zweck und Belohnung des Künstlers ist.« Es gibt genügend Indizien, dass Mozart diese Auffassung teilte. Zweifel sind hingegen angebracht bei der Frage, ob sich damit tatsächlich so etwas wie eine ständeübergreifende Popularität verbinden sollte. An der Wende zum 19. Jahrhundert veröffentlichte der Theologe Johann Christoph Greiling (1765–1840), Pastor in Neugattersleben und knapp zehn Jahre jünger als Mozart, eine umfangreiche Theorie der Popularität. Sie versteht sich, gewissermaßen rückblickend und zusammenfassend, als Reaktion auf die Krisensymptome der eigenen Gegenwart und nimmt mit dem Populären ein zentrales Thema insbesondere der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts nochmals in den Blick. In der axiomatischen, fast wolffianischen Gliederung des Buches wird ein systematischer Ansatz erkennbar, also der Wille, am Vorrang der Verstandestätigkeit festzuhalten. Diese könne aber durch das
Schöne, insbesondere im Vortrag, also in der Rede, ‚populär‘ werden. Greiling lässt keinen Zweifel daran, dass das Populäre für ihn seinem Wesen nach eine theologische Kategorie ist. Es ist darauf gerichtet, die nicht immer einfachen Glaubensoffenbarungen und Glaubenslehren verständlich und anschaulich zu vermitteln, namentlich in der Predigt. Sosehr das Populäre also auf das Sinnliche zielt, seine Beglaubigung erhält es durch die Wahrheit, die sich hinter ihm verbirgt – und diese ist geknüpft an die Verstandestätigkeit. Allerdings bedarf die Wahrnehmung des Populären im Gegensatz zur Verstandestätigkeit nicht notwendig komplexer Voraussetzungen. Populäre Schönheit sei »diejenige Schönheit, wie sie von jedem, weder durch Wissenschaft noch durch Kunst Gebildeten, gefühlt werden kann. Das Gebiet des Schönen ist zwar grenzenlos, aber der Geschmak, das Schöne zu beurtheilen, ist beschränkt. So wie es nämlich eine höhere und niedere Kultur der Vernunft giebt, eben so auch der Phantasie [... ].« Greiling knüpft damit an eine lange Tradition an, die das gesamte 18. Jahrhundert – und nicht nur im deutschsprachigen Raum – geprägt hat, vor allem aber dessen zweite Hälfte. Das ›Populäre‹ galt als Möglichkeit der Teilhabe, gleichsam im Stadium vor dem Können und Vermögen. Schon in Johann Heinrich Zedlers Universal-Lexicon, das selbst ein Projekt der ›Popularisierung‹ war, wurde Popularität als das Bemühen definiert, sich »durch allerhand Künste des gemeinen Volckes Gunst zu erwerben« – wobei die Bewertung von Gegenstand und Intention abhänge. Diese Definition ging übrigens fast wörtlich in den 1765 erschienenen 13. Band der Encyclopedie von Diderot
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und d’Alembert ein. Johann Andreas Cramer (1723–1788), Theologe in Kiel, hielt in der Biographie seines Kommilitonen Christian Fürchtegott Gellert 1774 fest, dass sich dessen Poesie, vor allem die geistliche, durch das Populäre auszeichne. Das sei das, »wovon man oft mit so viel Geräusche spricht, ohne zu wissen, worinn die schwere Kunst besteht, für die Menge verständlich und doch einnehmend zu reden, sich zu ihrem Gesichtskreise herabzulassen, und das zu treffen, was für sie das edelste und nützlichste ist, ohne kalt, trocken und niedrig zu seyn«. Über die theologische Grundierung des Begriffs hinaus ließ sich so alle Verstandestätigkeit mit der Alltagserfahrung kurzschließen. Diderot nannte diesen Prozess 1754 unter Rückgriff auf eine Prägung von Noel-Antoine Pluche ›philosophie populaire‹. Daraus wurde erst relativ spät, nach 1770, im Deutschen der Begriff der ›Popularphilosophie‹ abgeleitet, ein Konzept, dem etwa Kant mit großen Vorbehalten gegenüberstand. Die von Greiling und auch von Cramer hervorgehobene Verbindung zur sinnlichen Wahrnehmung erlaubte offenbar, das Konzept des Populären auch auf den Bereich der Künste zu übertragen. Damit war das neuzeitliche System der schönen Künste, der beaux arts, gemeint, das eben auf die sinnliche Wahrnehmung gerichtet war. Das einigende Band dieser Künste war jedoch die Naturnachahmung. In der Musik, deren Verpflichtung zur Nachahmung eine Reihe unlösbarer Probleme mit sich brachte, zeigte sich daher eine grundlegende Schwierigkeit. Sowohl bei der wortlosen Instrumentalmusik als auch und vor allem bei der Oper stellten sich gravierende Probleme, die stets die Frage nach Wahrheit und Wahrhaf-
tigkeit berührten. Denn das, was mit Cramers Worten »für die Menge verständlich und doch einnehmend« war, musste in der Musik nicht notwendig das »Edelste und das Nützlichste« sein. Ab der Jahrhundertmitte, mit der Konstitution der vermischten Empfindungen vor allem bei Moses Mendelssohn und der Lösung vom Nachahmungspostulat, wurde das Problem sogar noch dringlicher. Es ließ sich allenfalls noch durch einen ethischen Appell lösen. In einem späten kurzen Text der Allgemeinen Musikalischen Zeitung von 1813 heißt es geradezu beschwörend: »Eine gute Musica populare können nur grosse Männer liefern; dann wird sie, bey all ihrer Popularität, doch edel seyn und immer dauern; kleine Geister hingegen erzeugen in dieser Gattung etwas, das bey schwachen Individuen zwar ebenfalls Eingang findet, aber nur für den Augenblick, nach welchem es in sich selbst zusammenfallt.« Es ist schwer zu sagen, ob der anonyme Autor dieser Zeilen die Zauberflöte im Sinn hatte. Der Konflikt, der sich hier abzeichnet, war jedoch prägend für das 18. Jahrhundert. Einerseits galt die Verpflichtung, ›popular‹ zu sein, andererseits konnte, so schon Zedler, nur der Hintergrund ethischer Unbedenklichkeit diesem Popularen die Risiken nehmen. In den Künsten und allemal in der Musik mussten sich die Verhältnisse jedoch verkehren, da die Rolle der Einbildungskraft, der Phantasie, große, schwer beherrschbare Schwierigkeiten verursachte. Denn es gab keine äußere Natur und keine Begriffe, auf die man die Musik beziehen konnte. Leopold Mozart, der mit den Grundlagen dieser Diskussion sicherlich im Detail vertraut war, betrachtete die Dynamik, welche die Komposition des Idomeneo in Mün-
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chen annahm, einerseits mit Wohlgefallen, andererseits nicht ohne Sorge. Er riet seinem Sohn: »Ich empfehle dir Bey deiner Arbeit nicht einzig und allein für das musikalische, sondern auch für das ohnmusikalische Publikum zu denken, – du weist es sind 100 ohnwissende gegen 10 wahre Kenner, – vergiß also das so genannte populare nicht, das auch die langen Ohren Kitzelt.« Immerhin bestand auch er auf dem Primat der Verstandestätigkeit. Dabei berief er sich beinahe wörtlich auf eine Gottsched-Parodie von Johann Jakob Bodmer, der 1758 Gottsched hatte sagen lassen: »Kanst du mein langes Ohr noch länger zerren?« Allerdings mahnte er, jene Menschen im Blick zu behalten, die wie König Midas mit Eselsohren versehen waren. Sein Sohn antwortete jedoch ebenso beiläufig wie selbstbewusst: »wegen dem sogenannten Popolare sorgen sie nichts, denn in meiner Oper ist Musick für aller Gattung leute; – ausgenommen für lange ohren nicht. – « Während also Leopold Mozart auf dem auch für Gellert zentralen Argument der Teilhabe (wenigstens durch ›Kitzel‹) beharrte, stellte sein Sohn gerade dieses Verbindende in Abrede. Seine Popularität ist eine Popularität nur für die Verständigen, die aber gerade die ethischen Gefährdungen reduzieren konnte. Wenn Greiling später forderte, das Populäre wende sich auch an jene, die »weder durch Wissenschaft noch durch Kunst« gebildet seien, so hielt Mozart dies offenbar für ausgeschlossen. Es gibt keinerlei Indizien, dass sich diese Überzeugung in den Wiener Jah-
ren grundlegend geändert hätte, im Gegenteil. Mozarts gesamte Existenz gründete sich auf die Zustimmung der Verständigen, und die Überwältigung, das Erstaunen und die Bewunderung, die er ihnen abnötigen wollte, waren alles andere als voraussetzungslos. Das betrifft auch seinen Umgang mit Gattungen und mit Bühnengattungen allemal. Mozart setzte ein Publikum voraus, das ihm zu folgen bereit war, das also, mit Greiling zu sprechen, aus »durch Kunst Gebildeten« bestand. Und man darf davon ausgehen, dass dies auch für seine Arbeit für das Freihaustheater galt. In einem berühmt gewordenen Brief vom Oktober 1791 an seine Frau beklagte er sich über einen hochmögenden adligen Besucher (der nie zweifelsfrei identifiziert werden konnte), weil diesem am Ende das Verständige abging, er also über »lange ohren« verfügte. Umgekehrt, als er Antonio Salieri mit in eine Aufführung der Zauberflöte nahm, war ihm nicht allein die Meinung des Verständigen wichtig: Er wollte selbst diesen in Erstaunen und sprachlose Bewunderung versetzen, also die Urteilskraft sogar des professionellen Musikers außer Kraft setzen. Mozarts ›Metier‹ hatte sich folglich 1791 nicht grundlegend verändert. Das gilt auch für die Ansprüche, die er damit stellte. Für das Projekt der Zauberflöte ist dies von zentraler Bedeutung. Denn die zahllosen Herausforderungen, vor die es das Publikum stellte, zielten offenbar nicht auf die Voraussetzungslosen, sondern auf diejenigen, deren Voraussetzungen hier ins Wanken geraten sollten.
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»WEGEN DEM SOGENANNTEN POPOLARE SORGEN SIE NICHTS, DENN IN MEINER OPER IST MUSICK FÜR ALLER GATTUNG LEUTE; – AUSGENOMMEN FÜR LANGE OHREN NICHT. – «
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DREI BRIEFE AN KONSTANZE KOMMENTIERT VON H. C. ROBBINS LANDON Nach ihrer Rückkehr von Prag blieb Konstanze noch bis zur Premiere der Zauberflöte in Wien, ging aber in der ersten Oktoberwoche wieder nach Baden, um ihre Kur fortzusetzen. Am Ende der ersten Woche im Oktober, am 7. und 8., schrieb Mozart seiner Frau: freytag [7. Oktober] um halb 11 Uhr Nacht liebstes, bestes Weibchen! – Eben komme ich von der Oper; – Sie war eben so voll wie allzeit. das Duetto Mann und – Weib etc: und das Glöckchen Spiel im ersten Ackt wurde wie gewöhnlich wiederhollet – auch im 2:t Ackt das knaben Terzett – was mich aber am meisten freuet, ist, der Stille beifall! – man sieht recht wie sehr und immer mehr diese Oper steigt. Nun meinen lebenslauf; – gleich nach Deiner Abseeglung Spielte ich mit Hr: von Mozart (der die Oper beim Schikaneder geschrieben hat) 2 Parthien Billard. – dann verkauffte ich um 14 duckaten meinen Kleper. – dann ließ ich mir durch Joseph den Primus [sein Diener] rufen und schwarzen koffé hollen, wobey ich eine herrliche Pfeiffe toback schmauchte; dann Instrumentirte ich fast das ganze Rondò [des Klarinettenkonzerts A-Dur, KV 622] vom Stadtler. in dieser zwischenzeit kamm ein brief von Prag vom Stadler; – die Duscheckischen sind alle wohl; – mir scheint Sie [Josepha Duschek] muß gar keinen Brief von dir erhalten haben – und doch kann ich es fast nicht glauben! – genug – Sie wissen schon alle die herrliche aufnahme meiner teutschen Oper. –
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das sonderbareste dabei ist, das den abend als meine neue Oper mit so vielen beifall zum erstenmale aufgeführt wurde, am nemlichen abend in Prag der Tito zum letztenmale auch mit ausserordentlichen beifall aufgeführet worden. – alle stücke sind applaudirt worden. – ... auch schrieb er (der Stodla) daß ihn … [später von Nissen durchgestrichen; vermutlich »Ich muß zugeben, ich hatte unrecht] und nun einsehe daß er [Süßmayr] ein Esel ist – … versteht sich, nicht der Stodla –– der ist nur ein bissel ein Esel, nicht viel – aber der [Süßmayr] – Ja der, der ist ein rechter Esel. – um halb 6 uhr gieng ich beim Stubenthor hinaus – und machte meinen favorit Spaziergang über die Glacis ins Theater [Theater auf der Wieden] – was sehe ich? – was rieche ich? –– Don Primus ist es mit den Carbonadeln! – che gusto! – izt esse ich deine Gesundheit – eben schlägt es 11 uhr; – vielleicht schläfst du schon? – St! St! St! – ich will dich nicht aufwecken! – Samstags den 8t. – du hättest mich gestern beim Nachtessen sehen sollen! – das alte Tischgeräth habe ich nicht gefunden, folglich habe ich ein schneblümelweisses hergegeben – und den dopelten leuchter mit wachs vor meiner! ... Nun wirst du wohl im besten Schwimmen seyn, da ich dieses schreibe. – der friseur ist accurat um 6 uhr gekommen – und Primus hat schon um halb 6 uhr eingefeuert, und mich um ¾ geweckt. – warum muß es izt eben regnen? – ich hoffte daß du ein schönes Wetter haben solltest! – halte dich nur hübsch warm, damit du dich nicht erkältest; ich hoffe, daß dir das Baad einen guten Winter machen wird - denn nur dieser Wunsch, daß du gesund bleiben möchtest, hieß mich dich antreiben nach Baaden zu gehen. – mir wird izt schon die zeitlang um dich – das sah ich alles vor. – hätte ich nichts zu thun, so würde ich gleich auf die 8 tage mit dir hinaus gegangen seyn; – ich habe aber daraus gar keine bequemlichkeit zum arbeiten; – und ich möchte gerne, so viel möglich, aller verlegenheit ausweichen; nichts angenehmeres als wenn man etwas ruhig leben kann, deswegen muß man fleissig seyn, und ich bin es gerne. – Dem ... [Name getilgt; vermutlich »Süßmayr«] meinen Namen ein paar tüchtige Ohrfeigen, auch lasse ich die … [Name ebenfalls durchgestrichen; wahrscheinlich Konstanzes Schwester Sophie] (welche 1000mal küsse) bitten, ihm ein paar zu geben – lasst ihm nur um göttes
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willen keinen Mangel leiden! – [Es folgen ein paar derbe Vorschläge, was mit Süßmayr zu tun sei.] adieu liebes Weibchen! – der Wagen will abfahren. – ich hoffe heut gewis etwas von dir zu lesen, und in dieser süssen Hofnung küsse ich dich 1000mal und bin Ewig dein dich liebender Mann W. A. Mozart Noch am gleichen Tag schreibt Wolfgang Konstanze abermals über Die Zauberflöte: Mit grösten Vergnügen und freude=gefühle fand ich bey meiner zurückunft aus der Oper deinen Brief; – die Oper ist, obwohl sammstag allzeit, wegen Postag ein schlechter Tag ist, mit ganz vollem Theater mit dem gewöhnlichen beifall und repetitionen aufgeführt worden; morgen wird Sie noch gegeben, aber Monntag wird ausgesetzt – folglich muß Siessmayer [sic! Mozart schreibt den Namen, wie er im Wiener Dialekt klingen würde] den [Anton] Stoll dienstag herein bringen, wo Sie wieder zum Erstenmale gegeben wird – ich sage zum Erstenmale, weil Sie vermuthlich wieder etlichemal nacheinander gegeben werden wird [Stoll sollte die Zauberflöte sehen]. ... Gleich nach Tisch gieng ich wieder nach Hause und schrieb [bis] zur Oper zeit. Leitgeb [der Hornist Leutgeb] bat mich ihn wieder hinein zu führen, und das that ich auch. – Morgen führe ich die Mama [Mozarts Schwiegermutter] hinein; – das büchel hat ihr schon vorher Hofer zu lesen gegeben. – bey der Mama wird‘s wohl heissen, die schauet die Oper, aber nicht die hört die Oper. – [Die hier folgenden Namen wurden von Nissen unleserlich gemacht] ... hatten heute eine Loge. – ... zeugten über alles recht sehr ihren beifall, aber Er, der allwissende, zeigte so sehr den bayern, daß ich nicht bleiben konnte, oder ich hätte ihn einen Esel heissen müssen; – Unglückseeligerweise war ich eben drinnen als der 2:te Ackt anfieng, folglich bey der feyerlichen Scene. – er belachte alles; anfangs hatte ich gedult genug ihn auf einige Reden aufmerksam machen zu wollen, allein – er belachte alles; – da wards mir nun zu viel – ich hiess ihn Papageno, und gieng fort – ich glaube aber nicht daß es der dalk verstanden hat. – ich gieng also in eine andere Loge, worinn sich flamm [Franz Karl Flamm, Angestellter im Wiener Magistrat und ein guter
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Amateurmusiker] mit seiner Frau befand; da hatte ich alles Vergnügen, und da blieb ich auch bis zu Ende. – nur gieng ich auf das theater bey der Arie des Papageno mit dem Glocken-Spiel, weil ich heute so einen trieb fühlte es selbst zu Spielen. – da machte ich nun den Spass, wie Schikaneder einmal eine haltung hat, so machte ich eine Arpegio – der erschrack – schauete in die Scene und sah mich- als es das 2:te mal kamm – machte ich es nicht – nun hielte er und wollte gar nicht mehr weiter – ich errieth seinen Gedanken und machte wieder einen Accord – dann schlug er auf das Glöckchenspiel und sagte halts Maul – alles lachte dann – ich glaube daß viele durch diesen Spass das erstemal erfuhren daß er das Instrument nicht selbst schlägt. – Übrigens kannst du nicht glauben, wie charmant man die Musick ausnimmt in einer Loge die nahe am Orchestre ist – viel besser als auf der gallerie; – so bald du zurück kömmst must du es versuchen. – Am Freitag, 14. Oktober, schrieb Mozart wieder über die Oper: Liebstes bestes Weibchen Gestern Donnerstag den 13:ten ist Hofer mit mir hinaus zum Carl [Mozarts siebenjähriger Sohn, der auf dem Land in Perchtoldsdorf bei Wien in Pflege gegeben worden war], wir speisten daraus, dann fuhren wir herein, um 6 Uhr hohlte ich Salieri und den [recte: »die«] Cavalieri mit dem Wagen ab, und führte sie in die Loge – dann gieng ich geschwind die Mama und den Carl abzuhohlen, welche unterdessen bey Hofer gelassen habe. Du kannst nicht glauben, wie artig beide [Salieri und Cavalieri] waren, – wie sehr ihnen nicht nur meine Musick, sondern das Buch und alles zusammen gefiel. – Sie sagten beide ein Opera, – würdig bey der größten festivität vor dem größten Monarchen aufzuführen, – und Sie würden sie gewis sehr oft sehen, den sie haben noch kein schöneres und angenehmeres Spectacel gesehen. – Er hörte und sah mit aller Aufmerksamkeit und von der Sinfonie bis zum letzten Chor, war kein Stück, welches ihm nicht ein bravo oder bello entlockte, und sie konnten fast nicht fertig werden, sich übel) diese Gefälligkeit bei mir zu bedanken Sie waren allzeit gesinnt gestern in die Oper zu gehen. Sie hatten aber um 4 Uhr schon hinein sitzen müssen – da sahen und hörten Sie aber mit Ruhe. – Nach dem
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WOLFGANG AMADÉ MOZART
Theater ließ ich sie nach Hause führen, und ich supirte mit Carl bei Hofer. – dan fuhr ich mit ihm nach Hause, allwo wir beyde herrlich schliefen. Dem Carl hab ich keine geringe Freude gemacht, daß ich ihm in die Oper abgeholt habe. – Er sieht herrlich aus – für die Gesundheit könnte er kein bessers Ort haben, aber daß übrige ist leider Elend! – einen guten Bauern mögen sie [die Landleute, bei denen Carl untergebracht war] wohl der Welt erziehen! – aber genug, ich habe weil Montag erst die großen Studien [beginnen] (daß Gott erbarm) den Carl bis Sonntag nach Tisch ausgebeten; ich habe gesagt, daß du ihm gerne sehen möchtest – Morgen Sonntag [Samstag, es sei denn, der am Freitag begonnene Brief wurde einen Tag lang unterbrochen] komme ich mit ihm hinaus zu dier – dan kannst du ihn behalten, oder ich führe ihn Sonntag nach Tisch wieder zu Hecker [Wenzel Bernhard Heeger in Perchtoldsdorf]; – überlege es, wegen einen Monath, kann er eben nicht verdorben werden, denke ich! – unterdessen kann die Geschichte wegen den Piaristen [der kirchliche Orden, zu dem Mozart Carl geben wollte] zu Stande kommen, woran wirklich gearbeitet wird. – übrigens ist er zwar nicht schlechter, aber auch um kein Haar besser als er immer war. er hat die nähmlichen Unform, plaget gerne wie sonst, und lernt fast noch weniger gern, weil er daraus nichts als vormittags 5 und nach Tisch 5 Stunden im Garten herumgeht, wie er mir selbst gestanden hat, mit einem Wort die Kinder thuen nichts als Essen, trinken, schlafen und spazieren gehen ... Gestern ist mit der Reise nach Bernstorf [Mozart meint Perchtoldsdorf, von den Einheimischen »Petersdorf« genannt] der ganze Tag darauf gegangen, darum konnte ich dir nicht schreiben – aber daß du mir 2 Tage nicht geschrieben, ist unverzeihlich, heute hoffe ich aber gewiß Nachricht von dir zu erhalten. Und Morgen selbst mit dir zu sprechen, und dich von Herzen zu küssen. Lebe wohl Ewig dein Mozart d. 14. 8br. 791 Die Sophie küsse ich tausendmahl, mit N. N. mache was du willst. adieu.
Das ist der letzte Brief Mozarts, der erhalten ist. Er zeigt ihn – wie gewöhnlich – mit äußerster Anspannung an der Arbeit, zu-
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DREI BRIEFE AN KONSTANZE
erst am Klarinettenkonzert, das nicht für die Klarinette geschrieben war, sondern für ein dem Bassetthorn ähnliches Instrument in A mit nach unten erweitertem Tonumfang – das Autograph hat nicht überlebt – und das erstmals von Anton Stadler (für den es komponiert war) bei seinem Benefizkonzert im Prager Theater am 16. Oktober 1791 gespielt wurde. Nachdem das Konzert vollendet und nach Böhmen abgeschickt war, arbeitete er am Requiem. Obwohl ständig überfordert, schreibt Mozart Konstanze in seinem üblichen, gewohnt liebevollen Ton; er macht einen heiteren, zuversichtlichen und mit dem Erfolg der Zauberflöte äußerst zufriedenen Eindruck. Interessant ist in diesen Briefen, dass es ihm ganz besonders gefiel, Salieris Lob des Librettos zu erwähnen (was auch auf Mozarts stillschweigende Billigung hindeutet), und dass jemand die ernsthaften maurerischen Hintergründe unbeachtet ließ. Wollte Mozart etwa einem »profanen« Hörer Inhalt und Botschaft des II. Akts erläutern (»anfangs hatte ich gedult genug ihn auf einige Reden aufmerksam machen zu wollen ... «)? Und in allen diesen Briefen macht Mozart den Eindruck eines jungen Mannes, voller Humor und Fröhlichkeit, auf der Höhe seines Daseins, der mit Schikaneder aus den Kulissen des Theaters scherzte und glücklich verheiratet war mit einer Frau, die seine Zuneigung offensichtlich erwiderte. Eingedenk der gegenwärtig kursierenden Legenden über Salieri ist es eine Wohltat, Mozarts genaue Beschreibung des Lobs durch den Maestro zu lesen – das zweifellos seiner Darstellung entsprach. Salieri mag nach wie vor auf Mozart eifersüchtig gewesen sein – er wäre übermenschlich gewesen, auf ein derartiges Genie nicht eifersüchtig zu sein –, aber beide Männer waren sehr darauf bedacht, die Etikette zu wahren; und es war Mozarts Zuvorkommenheit, Salieri und die bestrickende Cavalieri in einer Kutsche abzuholen. Etwa drei Wochen später, am 6. November, sah Graf Zinzendorf das neue Werk. Er schrieb: »Um 6 Uhr 30 ins StarhembergTheater in der Wiedener Vorstadt in der Loge von M. und Mme. Auersperg, um die 24. Vorstellung der Zauberflöte zu hören. Die Musik und die Dekorationen sind hübsch, der Rest eine unglaubliche Farce. Eine Unmenge Leute. M. de Seilern und de Kinsky in unserer Loge …« Es kann keinen Zweifel darüber geben, dass Die Zauberflöte schon damals der größte Opernerfolg in Mozarts Leben war. Sie hätte der Auftakt zu einer neuen Ära für ihren Komponisten werden können – und doch sollte diese neue Ära genau einen Monat nach Zinzendorfs Besuch der vierundzwanzigsten Vorstellung zu Ende sein. Dieser letzte Monat wurde Zeuge der wohl größten Tragödie in der Musikgeschichte. Nächste Seiten SLÁVKA ZÁMEČNÍKOVÁ als PAMINA MATTHÄUS SCHMIDLECHNER als MONOSTATOS LUDWIG MITTELHAMMER als PAPAGENO
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GERNOT GRUBER
MACHT & MUSIK Ist Musik die Gegenkraft zu jenen Autoritäten, die in der Zauberflöte Macht ausüben? Bevor man eine Antwort darauf zu geben versuchen kann, muss man jene Macht ausübenden Autoritäten selbst in den Blick nehmen. Königin der Nacht und Sarastro, dieses rivalisierende Paar, sind Träger von Macht. Die Einschätzung dessen, was sie an Autorität jeweils vertreten, ist aber schwierig, da diese Autorität im Libretto und auch in Mozarts Musik wohl mit der Aura des Bedeutungsvollen auftritt, aber in ihrem Wesen halb zwiespältig, halb verschwommen bleibt. Entsprechend sind die Interpretationen. Nicht einmal der manichäische Gegensatz von Gut und Böse findet einhelligen Konsens. Die Königin der Nacht ist gängiger Weise die verschlagen mit Gefühlen spielende Böse, die Pamina und Tamino, und so nebenbei auch Papageno, für ihre Intrige gegen Sarastro einzuspannen sucht. Musikalisch diffizil ist freilich die Deutung ihrer ersten Arie »Zum Leiden bin ich auserkoren«: Ist diese um ihre nächtliche Macht kämpfende Königin vielleicht auch eine leidende Frau, der ja in der Tat die Tochter geraubt wurde? Durchaus nicht mehr der Gute ist Sarastro. In so manchem aktuellen Regiekonzept figuriert er, wenn schon nicht als verliebter Despot, so jedenfalls als zwiespältige Gestalt. Und wird er noch
positiv gesehen, wie von einem Kenner der Aufklärung vom Rang Jean Starobinskis, so bleibt auch hier ein Zwiespalt: zwischen einem Theokraten, der eine höhere Macht mit seinem persönlichen Willen durchsetzt, und einem »Offizianten«, der »ewigen und unpersönlichen Ganzheiten: Licht, Weisheit, Tugend, Harmonie usw.« dient. Gibt es eine legitime Macht? Wenn es sie in der Zauberflöte versinnbildlicht gibt, dann, nach (einem seit den feministischen Ansätzen nicht mehr ganz aktuellen) Stand der Interpretationsgeschichte, am ehesten in der Gestalt Taminos. Die im Schlußchor gepriesenen Tugenden »Stärke, Schönheit und Weisheit« ließen Tamino den ihm auferlegten Weg bewältigen. Sein Erfolg führt ihn zuletzt zur Macht, nicht nur über sich, sondern nun auch über andere. In welchem Reich er zu herrschen hat – in dem Sarastros oder in dem seines Vaters (er tritt ja als »Prinz« aus fremden Landen ins Handlungsgeschehen ein) – bleibt offen. Soweit reicht die Handlungsgeschichte nicht, sie verharrt im Moment des Wandels vom Dunkeln (»Ihr dranget durch Nacht!«) zum Licht. Im Schlußchor ist von »Krönen« und »Kron«, aber von keinem Fürstentum, auch gar nicht von Tamino die Rede. Der Willkommensgruß lautet allgemein und jedenfalls auch Pamina einbezie-
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MACHT & MUSIK
hend: »Heil sei euch Geweihten!« Der gezielte Verzicht darauf, die aufklärerische (und ursprünglich biblische) Lichtmetaphorik (Sarastro: »Die Strahlen der Sonne vertreiben die Nacht«) als erreichten Zustand näher zu bestimmen, lässt die versuchte Vereinnahmung der »Geweihten« in die Welt Sarastros und seiner Priester, bzw. der Freimaurer (die im Schlusschor genannten drei Tugenden sind freimaurerisches Zitat) ebenfalls ins Offene gleiten. Dieses Offenbleibende weist den Betrachter des Sinnbilds aber zurück auf das Geschehen in der kritischen Phase des Prüfungsweges. Nur von dort her ist ein Mehr an Aufschluss über das gemeinte Wesen von ›Licht‹ und ›Macht‹ zu gewinnen. Offensichtlich ist es nicht nur Taminos Kraft und Fähigkeit zur Selbstüberwindung, die den Gang durch Feuer und Wasser gemeinsam mit Pamina gelingen lässt. Werfen wir daher einen näheren Blick auf dieses Handlungsgeschehen: Die Szene der letzten Prüfung beginnt in Hinblick auf damalige Singspielkonventionen sehr fremdartig. Vorgestellt wird eine Sphäre des Mysteriösen durch die Kombination dreier Elemente: des Typus der Ombra-Szene aus der Geschichte der italienischen opera seria, der Bildwirkung einer an Piranesi erinnernden Kerkerphantasie und musikalisch durch einen figurierten Choral (Gesang der Geharnischten: »Der, welcher wandert diese Straße voll Beschwerden«), dessen altertümliche Wirkung den Anlass gab, von »Mozarts Bachbild« zu sprechen. Durch diese Mittel erhält das Inschriftlesen und die distanzierte Haltung der beiden geharnischten Männer seine spontan verständliche besondere Aura. Die danach folgenden Entwicklungsschritte
hin zum Gang durch Feuer und Wasser bringen ein Geschehen, das offensichtlich nicht dem Üblichen bei Initiationen in der Priesterwelt Sarastros (und auch nicht dem bei den Freimaurern) entspricht. Pamina wird von den drei Knaben, die sie vor dem Selbstmord bewahrt hatten (»Komm, wir wollen zu ihm gehen«), und nicht von Sarastros Priestern Tamino zugeführt. Wohl heißt es unmittelbar vor dem Wiedersehen des Paares »Ein Weib, das Nacht und Tod nicht scheut, ist würdig, und wird eingeweiht«, doch wird die damit ausgesprochene Gewährung einer Frauen-Initiation im Nachfolgenden entschieden überschritten. Denn Pamina wird nun ihrerseits aktiv. Sie ist es, die den Herkunftsmythos der Flöte in der Grenzsituation der Gefahr erinnert und vergegenwärtigt und diese Erzählung mit der zweimaligen Aufforderung »Spiel du die Zauberflöte an, sie schütze uns auf unsrer Bahn« und »Nun komm und spiel die Flöte an« umrahmt. Dies ist eine nachdrückliche Aufforderung an Tamino zum Handeln. Was daraufhin musikalisch geschieht, ist in hohem Maße ungewöhnlich (eine Tatsache, auf die prinzipiell schon oft im Mozart-Schrifttum hingewiesen worden ist). Konventionell der dramatischen Situation entsprochen hätte die Komposition einer Gewittermusik (mit vollem Orchester, Tremoloeffekten, raschen Läufen, dynamischen Kontrasten, verminderten Septakkorden usw.). Schikaneders Regieanweisung im Libretto rechnet zudem mit akustischen Illustrationen der Szene: »man hört Feuergeprassel und Windegeheul, manchmal auch den Ton eines dumpfen Donners, und Wassergeräusch«. Mozarts davon völlig abweichendes Vorgehen wird meist
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GERNOT GRUBER
durch den Hinweis auf den Topos von der Macht der Harmonie erklärt. Der Orpheus-Mythos klingt in der Zauberflöte ja schon mehrmals zuvor an – nicht nur bei Tamino, auch bei Papageno. Außerdem haben Edward Dent, Bernhard Paumgartner und andere auf eine Stelle in John Miltons Paradise Lost verwiesen, in der ebenfalls die über Todesschrecken hinweghelfende Macht leiser Flötenklänge geschildert wird. Jedoch sagt Mozarts Partitur noch entschieden mehr aus. Die mysteriöse Atmosphäre der letzten Prüfung ist musikalisch durchaus, wenn auch nicht im Detail handlungsillustrierend, präsent: tiefe Blechbläser und Pauken-Klänge sind seit Monteverdis Orfeo auf das Begriffsfeld von Ernst, Feierlichkeit und Geheimnis hin semantisiert worden. Mozart setzt diese Mittel sehr sparsam und aufgelockert ein (die üblichen gehaltenen Töne fehlen völlig). So gerahmt stellt die von Tamino gespielte Flötenmelodie (siehe Notenbeispiel) das eigentliche Sinnbild dar. An ihr ist einiges auffällig: Der Verlauf der ersten vier Takte lässt sich auf eine Kernmelodie reduzieren, die aus einer ansteigenden Dreiklangszerlegung mit nachfolgendem Skalenabstieg besteht
und zweimal, zunächst in den beiden ersten Takten auf der Tonika und in den beiden nächsten Takten auf der Dominante von C-Dur gebracht wird. Diese Kernmelodie setzte Mozart bereits zu Beginn der Introduktion zum ersten Akt bei Taminos »Zu Hilfe! zu Hilfe!« in c-moll, dann bei den drei Knaben »Zwei Herzen, die von Liebe brennen, kann Menschenohnmacht niemals trennen« (zweites Finale, T. 146 ff.) in Es-Dur und bei Paminas erster Aufforderung »Spiel du die Flöte an« in C-Dur. Weiters fällt auf, dass Mozart keine schlichte Kantabilität, kein ins Instrumentale gewendetes einfaches und inniges Lied im Sinne der Empfindsamkeit (der das deutsche Singspiel ja verschiedentlich, auch bei Goethe, nahestand) komponierte, sondern – im Autograph überaus penibel notiert – eine sehr differenzierte Artikulation vom Flötisten verlangt. Überhaupt ist der Duktus der Flötenstimme sehr aufgelockert und die Kernmelodie durch viele kleine Läufe und Umspielungen ausgeschmückt. Der Ablauf hat außerdem eine klare Entwicklungstendenz: ausgehend von einer bekannten Melodie in Periodenstruktur hin zu deren Auflösung in immer kleinere Abspaltungen ohne motivischen Rückbezug.
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In dieser hochgradigen Stilisierung gibt Mozart aber ein Bild musikalischer Improvisation. Tamino greift eine vertraute und kurz zuvor von Pamina gehörte Melodie auf und führt sie immer freier weiter. Dieses musikalische Bild ist seinerseits ein Sinnbild spontanen Handelns. Was in ihm emblematisch zum Vorschein kommt, ist weniger die Bedeutsamkeit einer Melodie als ihre Überwindung, das Gewahrwerden eines offenen Horizonts. Was Tamino improvisierend für einen Augenblick erreicht (und was sich als stabilisiertes Sinnbild auch beim Gang durch das Wasser wiederholt), ist eine Einheit aus individuell er musikalischer Gestaltung und ›reiner‹ Musik (im Für-Sich-Sein des sonst nur schmückenden Beiwerks der kleinen Läufe, Verzierungen, Umspielungen und artikulatorischen FiOben DER ÜBERGANG VON DER FEUER- ZUR WASSERPROBE in MOZARTS AUTOGRAPH
nessen). Der anschließende »Triumph«Chor bringt den Dreiklangs-Anstieg in wiederhergestellter Eindeutigkeit, gleichsam ›phantasielos‹. Auf unsere Eingangsfrage gibt die Prüfungsszene demnach eine exemplarische Antwort. Sicher lässt sich behaupten, die improvisatorische Gestaltung der Flötenmelodie berühre Wesentliches der Idee der Aufklärung. Sie steht für jene wissende Spontaneität, die das Denken und Handeln in geschlossenen Systemen zu überwinden vermag. Und von daher bekommt auch der in gewisser Weise offene Schluss der Oper als eine Akzentuierung des Wandels an sich seinen tieferen Sinn. Aber das Exempel gibt keine Lehre und kein Rezept für ein richtiges Handeln. In ihrer Art Recht haben auch Papageno und Papagena, die in ihrer Schlussszene
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vom Kindersegen träumen. Das Exemplarische des dargestellten Wandels lässt eine abstrakte Frage wie ›Gibt es eine legitime Macht?‹ gar nicht in den Blick kommen. Es bliebe aber die Frage nach der Funktion der Musik. Noch einmal die Konstellation der Prüfungsszene bedenkend, muss man feststellen, dass der erste und alles Weitere auslösende Impuls zur Überwindung der edlen Männergesellschaft von Pamina kommt, die im Bewusstsein ihrer Liebe zunächst ihre eigene Gekränktheit und Verzweiflung bewältigt und in diesem Bewusstsein dem Mut Taminos eine Wendung gibt, die letztlich etwas Unvorhersehbares bleibt, selbst wenn Sarastro (ab welchem Zeitpunkt der Handlung?) die Vereinigung des Paares in seinem Sinne geplant haben sollte. Doch bleibt die Konstellation, so wie sie das Libretto vorsieht, männerdominiert: Wohl ist Pamina initiativ (»Ich selbsten führe
dich, die Liebe leitet mich«), dann aber ist Tamino derjenige, der führt und flöteblasend voranschreitet, und Pamina ist diejenige, die die magische Macht der Flöte vergegenwärtigt und ihr Vertrauen darauf Tamino suggeriert. Was Pamina beim eigentlichen Gang durch Feuer und Wasser einbringt, ist durchaus nichts Aufklärerisches, im Gegenteil. Über diesen Libretto-Befund hinaus führt all ein Mozarts Musik. Mozart ging es nicht darum, Magie von menschlicher Sittlichkeit und sozialem Handeln zu trennen, und auch nicht darum, das Weibliche gegen das Männliche zu stellen. Seine Pointierung des Handlungsverlaufs greift das Magische und die aus dem Zusammenhang entstandene Bedeutsamkeit durchaus auf, aber lässt den musizierenden Tamino darüber hinaus gehen. Musik erscheint also nicht als Gegenkraft zu den vorhandenen Mächten, ihre Macht ist die des Verwandelns.
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JULIAN PRÉGARDIEN als TAMINO
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ZUR DRAMATURGIE DER ZAUBERFLÖTE Für die ästhetische Betrachtung der Zauberflöten-Dichtung ist die historische Untersuchung der Quellen unwesentlich. Sie seien also hier nur in Kürze angeführt. Der Stoff stammt aus dem Märchen Lulu in Wielands Dschinnistan oder auserlesene Feen- und Geistermärchen, Wintherthur 1786/89, 3 Bände. Schikaneder hat auch für seine erste Zauberoper Der Stein des Weisen oder die Zauberinsel diese Quelle benutzt. Auch Giesekes Oberon hat Wieland zur Quelle. Freimaurerische Einflüsse sind bereits bei Wieland, der mit 76 Jahren Freimaurer wurde, zu finden. Weiterhin benutzt Schikaneder Henslers von Marinelli am 9. September 1790 gegebene Oper Das Sonnenfest der Brahminen und das heroische Drama in fünf Aufzügen Thamos, König in Egypten von Tobias Philipp von Gebler, sowie Terassons Roman Sethos, histoire ou vie tirée des monuments anecdotes de l’ancienne Egypte, traduite d’un manuscrit grec (Paris 1731, Amsterdam 1732, von Claudius ins Deutsche übersetzt, Breslau 1777/78, 2 Bände). Dieses Werk war auch die Quelle für Wielands Lulu-Märchen im Dschinnistan und für Geblers Stück. In Lulu hat ein Zauberer der strahlenden Fee die Tochter zugleich mit dem
vergoldeten Feuerstrahl geraubt. Ein Königssohn erhält von der Fee einen Zauberring, der die Gestalt zu ändern vermag, und eine Flöte, die den Menschen Leidenschaften einflößt, und dringt in der Verkleidung eines alten Musikanten in den Serail des Bösewichts, um die Schöne zu befreien. Die Gewalt des bösen Hexenmeisters wird gebrochen. Auch einen Diener und Begleiter, der gleichfalls eine Braut finden soll, erhält der Prinz. Andere Märchen des Dschinnistan wurden auf bedeutsame Motive ausgeplündert. So die »nächtlich sternflammende Königin«, umgeben von fackeltragenden Damen, den lüsternen Mohren, das Bildnis der Jungfrau, das den Prinzen entflammt und zur Rettung begeistert, sowie die drei weisen Knäblein. Der Stoff hatte also ursprünglich den umgekehrten Sinn als heute. Angeblich wurden Schikaneder und Mozart, als bereits die Partitur des ersten Aktes fertig war, durch den Umstand, dass der sehr beliebte Wenzel Müller am 8. Juni 1791 unter großem Beifall im Leopoldstädter Theater eine Oper mit dem gleichen Stoff, Kaspar der Fagottist oder die Zauberzither, Text von Perinet, zur Aufführung brachte, veranlasst,
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den Sinn der Zauberflöte zu verkehren und Nacht und Licht miteinander zu vertauschen. Komorzynski legt diesem äußeren Anlass der Umarbeitung, die zweifellos erst während der Komposition stattgefunden hat, wenig Gewicht bei, indem er darauf hinweist, dass die Behandlung von gleichen Stoffen in verschiedenen Werken in der damaligen Zeit durchaus nicht verpönt, sondern im Gegenteil geradezu beliebt war. Auch die geringschätzige Bemerkung, die Mozart über Wenzel Müllers Machwerk einmal in einem Brief an seine Frau macht, zeigt keinerlei Erregung über eine unbequeme Konkurrenz. Es will wahrscheinlicher erscheinen, dass innere künstlerische Bedürfnisse Mozart gezwungen haben, aus dem Reiche der Königin der Nacht in das des Lichtes hineinzusteigen, dass sich hieraus bessere Proportionen für das Ganze ergaben, das so überdies einen tieferen Sinn durch die nun möglich gewordene Apotheose des Freimaurerordens in den ägyptischen Geheimkulten fand. Zweifellos ist der ganze erste Akt nach dem alten Plan, der zweite aber fast durchweg nach dem neuen angelegt; die Anpassung des ersten an die veränderten Verhältnisse hat mancherlei Restbestände zurückgelassen. Dass diese aber kaum so ganz zufällig stehen blieben, soll im Folgenden dargelegt werden. Der Kern der alten Fassung lässt sich unschwer aus der neuen herausschälen. Gleich in der Introduktion ist die Charakteristik der drei Damen auffallend. Mit keinem Wort sind sie als Sendbotinnen des bösen Prinzips gezeichnet. Die neckische Spielerei, mit der sich die eifersüchtigen Verliebten um den ohnmächtigen Prinzen streiten, muss ursprünglich lieblichen Feen zugedacht gewesen sein und nicht den
Nachtgespenstern des zweiten Aktes. Die Lanzen, mit denen sie die Schlange (ein altes Symbol des Bösen) bekämpfen, charakterisieren sie allerdings als jagende Amazonen, also als Dienerinnen der Artemis, der Mondgöttin, die aber als reines Symbol des Bösen trotz dieser ihrer Stellung im dualistischen Göttersystem wiederum nicht deutbar ist. Gleich im weiteren Verlauf entpuppen sie sich auch als fanatische Moralistinnen, da sie so unerbittlich streng dem unglücklichen Bramarbas Papageno für seine harmlosen Lügen ein Schloss vor den Mund hängen. Die Wahrheit ist eine Kardinalforderung des Freimaurerordens; auch Pamina verabscheut nichts so sehr wie die Lüge. (Papageno: »Mein Kind, was werden wir nun sprechen?« Pamina: »Die Wahrheit, die Wahrheit, wär sie auch Verbrechen!«) Ihre freimaurerische Gesinnung drücken die Damen sogar in Gestalt einer der für die Zauberflöten-Dichtung charakteristischen Sentenzen aus: »Bekämen doch die Lügner alle / Ein solches Schloss vor ihren Mund! / Statt Hass, Verleumdung, schwarzer Galle, / Bestünden Lieb’ und Bruderbund.« Schikaneder, der Freimaurer, hat also ursprünglich das Reich einer guten Fee mit der Moral des Bruderbundes begabt. Bulthaupt hat ganz recht, wenn er meint, das Wunderlichste an den drei Damen sei, trotz ihres Charakters als gute Geister, ein unverkennbarer Zug von Demimonde. Jedenfalls verträgt sich diese amouröse Atmosphäre nicht mit den finsteren Mächten des Reiches der Königin der Nacht. In welchem Verhältnis steht Papageno zur Königin? Er ist ein Vogelhändler; sein einziges Absatzgebiet in der Wildnis ist der Sternenpalast. Jeden Tag liefert er die gefangenen Vögel in
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einem Käfig ab und erhält dafür seine Nahrung. Wozu braucht die Königin diese vielen Vögel? Werden sie gerupft und gebraten (Papageno liegt diese Vorstellung nicht ganz fern, da er selbst das gleiche Ende bei Sarastro befürchtet), oder werden sie nur zum Kopfputz geplündert? Gibt es etwa im Reiche der Königin noch weitere Lebewesen mit Federkleidung? Hat die Königin der Nacht die Bekleidungsindustrie für ihre Untertanen sozialisiert? Wenn Papageno glaubt, dass man ihn rupfen werde, so ist doch wohl anzunehmen, dass er überhaupt kein Federkleid trägt, sondern dass die Federn ihm am Leibe angewachsen sind, dass er also ein Vogelmensch ist. Trotzdem ist er aber ein Vogelfänger. Er ist also ein Raubvogel, und zwar offenbar ein dressierter, der wie ein Falke die Beute seinem Herrn abliefert. Nun könnte man sich wohl vorstellen, dass in dem Reiche einer gütigen Lichtfee Tausende von bunten Vögeln als Zierstücke gehalten werden. In das Reich der Nacht taugen sie nicht; in der gespenstischen Finsternis könnten nur Eulen und Uhus ihr Wesen treiben. Weniger verwunderlich will es ja erscheinen, dass die Königin in so ergreifenden Tönen den ahnungslosen Jüngling Tamino zu betören vermag. Aber die Musik vermag nicht mit dem Weibe zu lügen. Das Largo in der ersten Arie der Königin der Nacht ist der tief ergreifende Ausdruck echten Mutterschmerzes. Nie konnte eine Frau einen solchen Ton finden, die zugleich imstande ist, ihre Tochter heute Tamino, morgen Monostatos zur Gattin anzubieten. Man beachte auch die Geschenke der Königin; Tamino und Papageno, zum Kampf gegen die Welt des Guten und des Lichtes, erhalten beide die Waffe des Orpheus, die Musik, die alle bösen
Triebe besänftigt. Die Damen sagen von der Zauberflöte: »Hiermit kannst du allmächtig handeln, / Der Menschen Leidenschaften wandeln, / Der Traurige wird freudig sein, / Den Hagestolz nimmt Liebe ein. / O, so eine Flöte ist mehr als Gold und Kronen wert, / Denn durch sie wird Menschenglück und Zufriedenheit vermehrt.« Wir sehen ja auch später, daß Tamino mit der Flöte wilde Tiere und Papageno mit dem Glockenspiel gefährliche Mohrensklaven zähmt. Die Musik ist eine der bedeutendsten ethischen Waffen des Freimaurerordens. Endlich erhalten Tamino und Papageno als Führer auf der Reise drei Knaben zugestellt, Lichtgenien, die aber doch wohl der Königin der Nacht dienstbar sein müssen, da diese über sie disponiert. Die Knaben entpuppen sich jedoch später als höchst zweifelhafte Gesellen. Sie sind zugleich Sendboten und Gehilfen des Sarastro, also höchst ungetreue Diener ihrer Herrin. Sie intrigieren aber später wiederum gegen Sarastro, indem sie Pamina zum Feuer und Wasserberge führen und so veranlassen, dass Tamino bei der Probe um sein Heldentum sich einer bedenklichen Schiebung durch die magische Kraft der Zauberflöte bedient. Ebenso stiften sie den Papageno später dazu an, mit dem Zaubermittel der Königin, dem Glöckchen, die von Sarastro verhängte Strafe zu umgehen. Die Widersprüche häufen sich mit dem Eintritt in das Reich des Sarastro. Was veranlasst den weisen Oberpriester zu der unglückseligen Leichtfertigkeit, den verbrecherischen, erpresserischen, grausamen und geilen Mohren Monostatos zum Hüter seines kostbaren Gutes, seines Lieblings Pamina, einzusetzen? Will er schon Pamina prüfen und durch
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die Reibung an der rauen Wirklichkeit ihren Charakter festigen, wie kann er dann aber den Mohren mit solcher Macht ausstatten und ihn in seiner Abwesenheit unbeaufsichtigt lassen? Zu erklären ist dies nur, wenn man ihn als einen Puppenspieler auffasst, der alle Fäden in der Hand hat, der alles weiß und die Geschicke durch magische Gewalt lenkt. Somit ist er aber nicht der Oberpriester eines heiligen Ordens, sondern ein Zauberer. Sein Name bezeichnet ihn als Zoroaster, Zarathustra; dies hüllt sein Bild in noch geheimnisvolleres Dunkel. Befremdend ist auch, dass er sich im ersten Akt auf der Jagd befindet und hierbei eines von sechs Löwen gezogenen Wagens bedient. Typisch für alle Ordensgemeinschaften der Menschenliebe ist die Heiligkeit der Tiere. Man erinnere sich hierbei an den Gral. Dass überdies die Tiere in seinem Bezirk mit den Menschen leben, beweisen die zahmen Löwen, Affen, Schlangen und Krokodile, die Tamino bei seinem Flötenspiel umschmeicheln; oder sollten dies doch wohl wilde Tiere sein, da sie ja durch die Flöte gezähmt werden? Dann wäre Sarastros Reich also ein von Bestien umlagerter Zaubergarten. Ist aber Sarastro schon ein böser Zauberer, so ist ja auch keineswegs die Moralität seiner Hintergedanken geklärt. Was sollen die wunderlichen Worte, die er an Pamina richtet: »Zur Liebe will ich dich nicht zwingen, / Doch geb ich dir die Freiheit nicht«? Zu welcher Liebe will er sie nicht zwingen? Möchte er wirklich glauben, dass Pamina imstande sein könnte, den Mohren zu lieben? Oder aber sollte er am Ende hoffen, dass Pamina ihn selbst liebt? Wäre er also der böse Geist, der das schöne Mädchen geraubt hat, und nun in den Banden der Liebe seine Bar-
barei besänftigt, wie Selim Bassa oder gar der Drache im Märchen, der die schöne Prinzessin heiraten will? Aber Sarastro ist doch ein bejahrter Herr; sollte er wirklich glauben, dass ein holdes Kind ihn zu lieben vermag? Sollte er nicht vielleicht Pantalone sein, der auf die Ehe mit seinem Mündel und die schöne Mitgift, den siebenfachen Sonnenkreis, spekuliert? Zum Vormund der Pamina hat er sich ja mit Anmaßung selbst eingesetzt. Recht verwunderlich ist auch, dass er bei den Prüfungen, die er Tamino auferlegt, kaltblütig mit dem Tode des Jünglings rechnet. Wenig verträgt sich dieses Charakterbild mit der Arie im zweiten Akt. Oder veranlasst ihn hier wieder die Nähe der Pamina, sich in ein mildes Licht zu setzen? Ist seine Ethik die typische moralische Hochstapelei der Verliebten? Pfaffenmoral steckt überdies ihm, wenngleich der Zweck, durch den er die Mittel heiligt, in dem Schleier des Bildes von Saïs eingehüllt bleibt. Die Charakterzeichnung im zweiten Akt klärt sich, abgesehen von hier schon angedeuteten Widersprüchen. Als die Umarbeitung begann, war der erste Akt fertig komponiert, der zweite nur als Libretto konzipiert, also noch in labilem Zustand. Es bleibt aber als Rest, abgesehen von der mystischen Nebenregierung der drei Knaben, die Feuerund Wasserprobe. Nach dem alten Plan sollte die Zauberflöte den bösen Zauberer bezwingen, die wilden Bestien zähmen, dann Tamino abgenommen und durch die Sendboten der guten Fee, die drei Knaben, zurückgestellt werden, damit er das letzte Abenteuer, den Weg durch das Feuer und Wasser, zur innersten Zelle von Sarastros Macht, zum Wiedergewinnen des geraubten Sonnenkreises, siegreich bestehe. Hat sich
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aber Tamino zu den Prüfungen bereit erklärt, so handelt er höchst unheldenhaft, wenn er sich für die entscheidende Tat durch die Klänge der Flöte eine Eselsbrücke bauen lässt. Wie kann andererseits Sarastro, der alle Fäden in der Hand hat, diesen feigen Betrug dulden? Aus der ursprünglichen Fassung geht ohne weiteres hervor, warum die Oper den Titel Die Zauberflöte führen musste. So wie die Dichtung heute steht, ist die Zauberflöte ein Symbol ohne Inhalt geworden und könnte mit einigen kleinen Varianten ganz aus der Handlung ausgemerzt werden; dann würden die wilden Tiere im ersten Akt verschwinden, und in der Feuer- und Wasserprobe würde die Macht der Liebe allein zum Ziel führen. Bei sorgfältiger Prüfung des Textes kann man unschwer nahezu bei jedem Wort nachweisen, was der alten, was der neuen Fassung entstammt. Es erscheint zunächst kaum glaublich, dass unter diesen Umständen ein einheitlicher Eindruck überhaupt zustande kommen vermag. Aber die Verwirrung durch allerhand rätselhaft gekreuzte Beziehungen ist mit so viel Grazie und Laune durchgeführt, dass man den Vorwurf eines dilettantischen Machwerkes abweisen muss und geneigt ist, wohl weniger an einen bewussten Kunstverstand als an eine um so wertvollere künstlerische Intuition zu glauben. Solange nicht Dokumente zutage kommen, die klares Licht auf die Einzelheiten des Zusammenarbeitens Mozarts und Schikaneders werfen, lässt sich schwer auch nur eine Vermutung darüber aufstellen, wie weit gerade in diesen Umformungen der stets zu allerhand Hanswurstiaden und Eulenspiegeleien aufgelegte Mozart seine Hand im Spiel gehabt hat.
Das Märchen bildet seine Einzelheiten aus volkstümlichen Elementen, in denen der zugrunde liegende Mythos seine lebendige Gegenwärtigkeit betont. Mit der Zeit bleiben diese aus dem Aktuellen gewonnenen Symbole bestehen, während der Inhalt verblasst, so dass uns zuletzt nur noch ahnungsvolle und rätselhafte Runen anschauen. Der Charakter und die Stimmung des Märchenspiels ist in der Zauberflöte vorhanden, und zwar in so hervorragendem Maße, das wir uns bei der Aufführung an keiner Unlogik ärgern, sondern die gläubige Einstellung des Kindes in uns erleben. Die weite Entrückung der Handlung aus der Wirklichkeit in die Welt des Spiels, also der sinnvollen Sinnlosigkeit, gibt denn vor allem Schikaneders Dichtung die besondere Eignung zur Musik. Wenige mit höchstem Kunstverstand ausgeführte phantastische Spiele vermögen in gleichem Maße die Phantasie zu beschäftigen. Unterschätzen wir auch nicht, dass die Fortsetzung der Zauberflöte, die Goethe in richtiger Erkenntnis dieser Werte und wohl selbst durch diese stark künstlerisch bewegt, entwarf, den Urfaust des »opernhaften« zweiten Teils bedeutet. Auch auf die Gestaltung des Wilhelm Meister, vor allem aber der Wanderjahre hat Schikaneders Gedicht gewirkt. Trotz aller musikdramatischen Reformen ist heute der Reiz dieses bunt und toll durcheinander gewürfelten Spiels unverblasst. Dieser Erkenntnis wird sich mancher Opernkomponist nicht entziehen können. Aber nachzuahmen vermag man Schikaneder nicht; dies beweist am besten, dass ein genialer Geist in seiner Natur steckte.
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OLIVER LÁNG
SCHLAGLICHTER AUF DIE ZAUBERFLÖTE Die Diskussion konnte nicht ausbleiben. Da wird das erste Wiener Opernhaus eröffnet, ein Prachtbau auf der neuen Ringstraße, licht, geräumig, opulent, man ist – mehr oder weniger – beglückt, sogar das Eröffnungsdatum scheint bereits festzustehen, und doch… es fehlt noch ein Detail. Nämlich: Mit welchem Werk eigentlich? Mit welcher Oper soll das Haus eröffnet werden? Welches Stück ist ausreichend groß, prominent, tiefgründig und vielschichtig, um das neue Kapitel der Wiener Operngeschichte aufzuschlagen? Beethovens Fidelio würde sich anbieten, zweifellos auch ein Mozart. Oder vielleicht etwas von Verdi? Möglicherweise gar, in Erinnerung an frühere, grassierende Wiener Fieberschübe: ein Rossini? Im Vorfeld der Eröffnung der neuen Wiener Hofoper im Mai 1869 wurde genau diese Diskussion geführt, und sie wurde auch öffentlich geführt. Für heutige Begriffe: erstaunlich spät, nämlich noch bis weit ins Frühjahr 1869 hinein. Ins Treffen geführt wurden vor allem drei Opern: Mozarts Don Giovanni, als das im 19. Jahrhundert als perfekt empfundene Meisterwerk. Vorschlag Nummer zwei: Die Zauberflöte, in Wien uraufgeführt. Und Nummer drei aufgrund seines üppigen und attraktiven Bühnenbilds: Christoph Willibald Glucks Armide. Heftig stieß etwa der in Wien tätige Feuilletonist Ludwig Speidel im
offiziösen Fremdenblatt diesbezüglich ins journalistische Horn: Die Zauberflöte müsse das Eröffnungswerk sein, als in Wien entstandenes Werk, denn, so Speidel: »Es gibt in der ganzen musikalischen Literatur kein dramatisches Werk, das der Stadt Wien so eigen und innig angehörte, wie die Zauberflöte.« Er war mit dieser Meinung nicht allein, kurze Zeit später widmete die Neue Freie Presse dem Thema sogar einen entsprechenden Leitartikel. Doch es kam anders. Die Entscheidung des Eröffnungsstücks fiel letztlich pro Don Giovanni aus und die Zauberflöte wurde im neuen Haus erst ein paar Monate später aufgeführt. Dass die Zauberflöte das Haus bei der Eröffnung 1869 zumindest optisch prägte – das merkt man noch heute in den Prunkräumen auf Schritt und Tritt. Im Schwindfoyer ist sie das Thema der zentralen Lünettenmalerei über Mozarts Büste; die Fresken der Schwindloggia sind einem großen ZauberflötenZyklus gewidmet. Was aber sagt die Statistik? Wurde die Zauberflöte ein zentrales Werk für das Haus am Ring? Gar die meistgespielte Oper in der bisher 155jährigen Geschichte? Beinahe. Zwar spielte Beethovens Fidelio etwa als Wiedereröffnungswerk 1955 eine gewichtigere Rolle, zwar ist das am häufigsten gegebene Werk der Staatsoper Mozarts
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Hochzeit des Figaro, doch liegen die mehr als 1.300 Vorstellungen der Zauberflöte dicht dahinter. Immer wieder kam die Zauberflöte zu besonderen Anlässen zum Einsatz: Einer ihrer Arien widerfuhr die Ehre, bei einer AkustikProbe im noch nicht eröffneten Haus am Ring zu erklingen; am 12. November 1919 gab man die Zauberflöte zur »Feier des Jahrestages der Republik«; man spielte sie vielfach für den Gewerkschaftsbund oder das Theater der Jugend; man spielte sie zugunsten des Kinderhilfsappells der Vereinten Nationen; das Theater an der Wien wurde 1962 durch die Wiener Staatsoper mit dieser Oper wiedereröffnet. Sie wurde zu offiziellen Anlässen und Staatsbesuchen wie 1960 beim Besuch von Nikita Chruschtschow gespielt. Sie fuhr mit dem Ensemble des Hauses auf Gastspielreise. Und sie darf jährlich am Tag nach dem Opernball im großen Saal für viele der 7.000 jungen Anwesenden, die eine Kinderfassung des Werks erleben, der erste Kontakt mit dem Wunder Oper sein. Ja, seit 1869 findet sich fast kein einziges Jahr, in dem die Staatsoper dieses Werk nicht gegeben hätte. Wie aber soll man eine solch reiche Geschichte eines Werkes erzählen? Am besten in Schlaglichtern auf die zahlreichen Neuproduktionen der letzten 150 Jahre. Die erste gab’s gleich zur Saisoneröffnung am 1. September 1869, zu der der Maler Josef Hoffmann die Bühnenbilder und Kostüme gestaltete. Und er überraschte sein Publikum und überforderte manchen Kritiker mit minutiös ausgestalteten Dekorationen in einem nachempfundenen altägyptischen Stil. Damit aber seine Ideen auch entsprechend gewürdigt werden konnten, wurden vor den Vorstellungen Broschüren mit Erklärungen des
Künstlers zu seinem Bühnenbild ausgegeben. »In der That geht man ins neue Opernhaus jetzt nicht, um die Zauberflöte zu hören und würdig ausgestattet zu sehen, sondern um Egypten zu studiren, ethnographisch, botanisch und philologisch«, ätzte die Neue Freie Presse, lobte aber auch das »tiefe Verständnis« des Künstlers. Bedeutend war jedoch, dass sich die Bühnenausstattung nun an einer Zeitenwende befand: Nicht mehr zwischen den Produktionen austauschbare und wiederverwendete Hausdekorationen kamen hier zum Einsatz (etwa: »ein Wald«, »ein Tempel«, »eine Felsengegend«), sondern man bot eine spezifisch für diese Produktion entwickelte Ästhetik. In genau dieser Produktion fand knapp 30 Jahre später, am 29. Mai 1897, eine weitere Zeitenwende statt: Der Dirigent Gustav Mahler leitete zwei Wochen nach seinem Sensationsdebüt an der Hofoper mit Wagners Lohengrin seinen ersten Mozart im Haus am Ring. »In dynamischen Schattirungen, in wohlverbreiteter Steigerung und in übersichtlicher Klarheit durchgeführt, hat nahezu jede Nummer neue und reizvolle Details, eine nicht nur interessante, sondern auch durchaus Mozartʼsche Auffassung gezeigt; ohne sich zu Effect-Hascherei verleiten zu lassen, geht Mahler dem Effect, besonders dort, wo er sich aus dem Contraste ergibt, nicht aus dem Wege«, las man im Neuen Wiener Journal. Man wusste: Hier brach eine neue Interpretationszeit an, auch und vor allem im Mozart-Stil. Dieser Stil gipfelte in einem festspielhaften Mozart-Zyklus 1905/06, in dessen Rahmen auch eine Zauberflöte – die seit 1869 bestehende Ausstattung wurde von Alfred Roller überarbeitet – herauskam. Im Sinne eines Gesamtkunst-
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werks höchster Vollendung sollten dabei Klang, Bild, Schauspiel und Licht ineinanderfließen. »Direktor Mahlers Mozart-Liebe zeigt sich bei der Zauberflöte am herzlichsten, sie macht diese ganze unfassbare Fülle von naiven, feierlichen, gemütvollen, phantastischen Tönen lebendig« befand der Kritiker Julius Korngold. Die Zauberflöte blieb auch bei den nächsten beiden Premieren »Chefsache«. Die Premiere 1924 wurde musikalisch von Franz Schalk geleitet, 1933 übernahm Clemens Krauss die Neuproduktion – die Inszenierung besorgte der große Regisseur Lothar Wallerstein, der das Werk märchenhaft, voll treibender Blüten und fantastisch anlegte und auch in die Texte eingriff. 1941, inmitten der NS-Zeit, die Mozart im Sinne ihrer rassistischen Ideologie vereinnahmte, dirigierte Hans Knappertsbusch eine ZauberflötenPremiere (Regie: Gustav Gründgens). Die Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Zeit des legendären »Wiener Mozart-Ensembles« und somit auch eine besondere Zauberflöten-Ära. Die von Josef Krips 1948 geleitete Premiere im Ausweichquartier Theater an der Wien (die Wiener Staatsoper wurde im Krieg zerstört und erst 1955 wiedereröffnet) geriet nicht nur zum Fest, sondern läutete eine Serie von rund 250 Vorstellungen bis 1957 ein – alleine im ersten Jahr gab es 44 Aufführungen! »Beglückend ist die Einheit und Reinheit dieses Mozartstils … Dies ist in erster Linie ein Verdienst von Josef Krips, dessen ausgezeichnete musikalische Leitung das temperament- und empfindungsvolle künstlerische Gewissen der Aufführung ist«, so las man es im Wiener Kurier. Es sei »die österreichische, die Wiener Note, die der Zauberflöte ihr
eigentliches Gepränge gibt und die uns das Werk so teuer macht«, schrieb das Neue Österreich. Und: »Ist denn die Zauberflöte nicht … selbst ein Symbol der österreichischen Seele?« Zehn Jahre später war es erneut Krips, der die nächste Premiere leitete, nun wieder im Haus am Ring. In der Regie von Günther Rennert (Bühne & Kostüme: Georges Wakhévitsch) sang und spielte eine hochkarätige Besetzung, neben Irmgard Seefried als Pamina, Erika Köth als Königin der Nacht, Erich Kunz als Papageno (er sang im Laufe seines StaatsopernLebens diese Partie fast 250mal), und Anton Dermota als Tamino fanden sich auch Eberhard Waechter als Sprecher und Christa Ludwig als 2. Dame. Die nächsten Premieren trennten musikalisch Welten: 1962 war es Herbert von Karajan, der im Theater an der Wien, anlässlich der Eröffnung des renovierten Hauses, die musikalische Leitung übernahm. 1974 im Haus am Ring Christoph von Dohnányi und 1988 schließlich Nikolaus Harnoncourt, der im Jahr zuvor sein Hausdebüt mit der Premiere von Mozarts Idomeneo gegeben hatte. Karajan 1962: »faszinierend wie immer«, aber mit einem »gewissen Mangel an Wärme«, so Rezensionen der Premiere. Harnoncourts Sicht wiederum markierte einmal mehr eine Zeitenwende: Heftige Pro- und Kontra-Rufer rangen bereits in der Pause akustisch miteinander, auch Kritiker waren sich uneins. Klar war jedenfalls: Wieder war auch an der Staatsoper eine neue Zeit der musikalischen Interpretation angebrochen. So trat bei der nächsten Premiere im Jahr 2000 mit Roger Norrington erneut ein Dirigent an, der aus der historisch informierten Aufführungspraxis schöpfte. Der den Gegensatz einer Sarastro- und Königin der Nacht-Welt beto-
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nenden Inszenierung von Marco Arturo Marelli folgte 2013 eine Regiearbeit des Teams Moshe Leiser und Patrice Caurier: Im kahlen Bühnenraum wurde eine Rückbesinnung auf so manche Vorstadttheater-Elemente versucht. Eine wiederum gänzlich andere Welt beschwört nun die Neuinszenierung 2025: Hausdebütantin Barbora Horáková verlagert die Handlung in ein »Spukhaus«, in dem in
einer Vielzahl von Räumen eine genau erzählte Reise aller Beteiligten miterlebt werden darf. Als Premierendirigent sprang Bertrand de Billy mitten in der Probenphase für den ehemaligen Generalmusikdirektor der Wiener Staatsoper, Franz Welser-Möst, ein und führte ein junges Sängerinnen- und Sängerensemble an, deren Mitglieder am Premierenabend zum Teil ihre Hausdebüts gaben.
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DIE MEHREREN SCHLÜSSE DER ZAUBERFLÖTE Die Oper heißt Die Zauberflöte. Das heißt für mich, es muss Zauber und es muss eine Flöte geben. Der Klang einer Flöte, die im Stück immer wieder solistisch zu hören ist, ist etwas Uraltes. Die Flöte ist vielleicht das älteste Instrument, das wir haben, das eine Evolution erlebt hat aufgrund einer menschlichen Neugierde, die in uns steckt. Vielleicht war es so: Da hatte ein Knochen ein Loch, und er hat beim Durchblasen geklungen. Und dann war da noch ein anderes Loch, das hat anders geklungen. Und dieser Klang macht etwas mit den Menschen, die zuhören. Dieser Klang, diese Kunst, diese Musik, dieses etwas, das wir erfunden haben, führt uns zu uns selbst zurück: Dass wir Menschen eben sowohl gut als auch böse sind, aber das Gute vielleicht doch siegen kann in einer gewissen Harmonie. Das Erstaunliche ist, dass Die Zauberflöte von Anfang an ein Hit geworden ist, weil sie so zugänglich ist. Auch durch die Dialoge ist sie nicht so hermetisch in sich geschlossen wie andere Opern und öffnet sich so für alle. Und jeder kennt die Melodie nicht nur einer Arie: Alle Nummern in der Zauberflöte kann man nachsingen. Sie klingt also einfach, aber wenn man hineinschaut in die Partitur, SLÁVKA ZÁMEČNÍKOVÁ als PAMINA LUDWIG MITTELHAMMER als PAPAGENO
wird einem bewusst, wie unglaublich konstruiert das auch ist, was alles in diesen Akkorden steckt und warum genau dieser Akkord an genau dieser Stelle steht… Da wird man ja nie fertig, wenn man das alles wirklich verstehen will! Das ist eine Lebensarbeit. Das ist das Großartige: Dass es dieses Stück schafft, dass wir uns den Kopf zerbrechen. Und dass es am Ende für alle zugänglich ist und sich wirklich jeder ein Stück weit damit identifizieren kann.
SYMBOLIK UND SINN Beginnt man über die Zauberf löte nachzudenken und geht wirklich tiefer, wird man immer verrückter und verrückter, und man versteht immer weniger und weniger. Das finde ich so unglaublich: Die vielen verschiedenen Perspektiven, die das Stück anbietet. Konzentriert man sich auf die symbolischen Aspekte oder auf eine historische Kontextualisierung? Ist die Oper eigentlich eine Komödie oder doch nur ein Märchen? Soll das alles Sinn haben oder soll es keinen Sinn ergeben? Wir wissen ja: In den Märchen verbirgt sich stets ein großer philosophischer und symbolischer Gehalt. Man
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kann Dinge erzählen, zum Beispiel über politische Systeme, die man so nicht immer laut aussprechen darf, sondern eben nur durch einen märchenhaften Schleier oder eine Maske hindurch. Die Königin der Nacht ist zunächst die leidende Mutter, die dann zur Bösen wird, die der Menschheit schaden will. Wenn man aber ihrer Geschichte nachforscht, bemerkt man, was für Traumata in dieser Figur arbeiten. Welches Unrecht geschehen ist, als ihr etwas abgenommen wurde und sie sich damit nicht abfinden kann. Wie das oft ist, wenn man Traumata weiterführt und sie eben nicht stoppen kann. Das führt dann etwa, wie in Israel und Palästina, zu einem unendlichen Konflikt. Man kann das alles sehr global betrachten, und dann rotiert es im Kopf. Auch bei Sarastro und seinem Herren-Club: Man denkt, dass er am Anfang eigentlich ein Diktator ist, der die Dinge wirklich unter Kontrolle hält, der auch sehr klug ist und weiß, wie man das tut. Er wird dann aber immer menschlicher. Als Frau erschrecke ich zunächst vor dieser ganzen Hierarchie und dem Elitismus, in dem Frauen überhaupt keinen Platz haben. Aber am Schluss denke ich dann doch: Vielleicht meint es der Mann doch irgendwie gut, auch wenn er ganz falsche Mittel benutzt. Vielleicht versteht er, dass Weisheit und Vernunft nicht zum Machterhalt missbraucht werden sollten. Und vielleicht wird er dadurch auch ein Stück femininer und milder.
GEMEINSAM ÄLTER – UND GRÖSSER WERDEN Ich denke immer, die Zauberflöte hat mehrere Schlüsse. Sie hat einen Schluss wie im Märchen, nachdem die beiden Protagonisten eine Prüfung bestanden
haben. Aber man weiß auch nicht so richtig: War das wirklich die Prüfung? War es schon das Ende der Prüfung? Wann hat die Prüfung begonnen? Was waren die Prüfungen davor? Warum ist Pamina erst am Ende in diese Prüfungen involviert? Und dann bemerkt man: Sie war ja eigentlich schon immer Teil der Prüfung! Denn als Tamino abgeführt wird, ist sie schon da. Wer wird hier eigentlich geprüft? Da beginnt auch ihre Prüfung, denn sie muss akzeptieren, dass jemand eventuell sterben wird. Wie die ukrainischen Mütter, Frauen, Schwestern, Geliebten, die akzeptieren müssen, dass ihre Männer in den Krieg ziehen. Und das ist die Prüfung: Diese ewige Angst und Ungewissheit, einen lieben Menschen vielleicht zu verlieren. Und deshalb habe ich auch eine Umstellung vorgenommen und das Terzett von Pamina, Tamino und Sarastro vom Ende des zweiten Aktes, »Soll ich dich, Teurer, nicht mehr sehn?«, an den Anfang des Aktes gerückt. Wenn wir damit beginnen, verstehen wir, dass auch ihr eine Prüfung auferlegt wird. Und dann kommt eine andere Prüfung, eine Schweigeprüfung: Tamino spricht nicht mehr mit ihr und sie darf die Hoffnung dennoch nicht verlieren. Und dann geht sie tatsächlich physisch mit ihm durchs Feuer und die Wasserfluten. Dieses Stück, das in der ersten Lesart frauenfeindlich wirkt, hat also eine Protagonistin, eine Pamina, die doch eigentlich jene ist, die alles zusammenhält. Und deshalb möchte ich auch, dass die beiden im Stück älter werden, dass sie altern. Damit man lernt: Wir sind da, um zu versuchen, Dinge zu verstehen, und verstehen am Schluss vielleicht gar nichts, aber wir bleiben zusammen. Es geht um diesen Liebesbeweis, dass man im Guten wie im Schlechten zusam-
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menbleibt und bereit ist, auch Schmerzen durchzustehen. Deshalb führen Pamina und Tamino am Ende auch diese Puppen alter Menschen mit sich. Und dann sind die Puppen weg und sie bleiben da und man fängt wieder von vorn an. Das Lernen hört nie auf. Das ist der eine Schluss. Und dann gibt es einen zweiten Schluss: Da erleben wir das Glück von Papageno, das ihn zu einem geliebten Menschen geführt hat. Wir sind ja Paarmenschen. Wir müssen Liebe spüren und Liebe geben können. Auch ein Vogelfänger kann nicht akzeptieren, allein zu sein, und eigentlich sehnt er sich nach jemandem. Und er ahnt dies ganz früh in einem Duett mit Pamina, das für mich die ganze Philosophie der Welt in sich trägt: »Mann und Weib und Weib und Mann reichen an die Gottheit an«, und egal, ob das jetzt Weib und Weib oder Mann und Mann ist: Mit jemandem zusammen wird man einfach größer und kann anders über sich hinauswachsen, als wenn man allein bleibt. Papageno ist als Vogelfänger oder Vogelmensch eine Märchenfigur und zugleich die menschlichste Figur des Stückes. Er gibt preis, dass man als Mensch Fehler hat und das System in uns manchmal nicht richtig funktioniert. Er sagt ganz klar: Manchmal ist es besser, wenn ich einfach im Beisl sitze und mit Freunden Spaß haben kann und jetzt gerade einmal nicht die ganze Welt verstehen muss mit allen Furchtbarkeiten. Was natürlich nicht heißt, dass er diese nicht spürt. Papageno ist jemand, der am Anfang auch sehr traurig ist: Er fängt lebendige Vögel, die er dann der Königin übergibt im Wissen, dass sie nicht mehr lange leben werden. Aber das ist sein Beruf. Und er ist jemand, der unglaublich einsam ist.
Und als dritter Schluss kommen Monostatos, die Königin und die drei Damen, die versuchen, so etwas wie einen bösen Schluss zu erzielen. Aber das Böse ist hier musikalisch so karikiert, dass man es kaum ernst nehmen kann. Es ist für mich, als wären die Figuren gar nicht mehr die Figuren, die sie vorher waren, sondern sie stehen einfach da, um uns daran zu erinnern: »Vergiss das Böse nicht! Das Böse gibt es, aber wenn wir alle zusammenhalten, dann können wir es bekämpfen.« Wenn ich an die Kinder denke, die zuschauen werden, möchte ich, dass sie darüber lachen können.
REINE MENSCHLICHKEIT Und dann kommt noch der allerletzte Schluss: Der triumphierende, ganz kurze Schluss, wenn alle wieder aufeinandertreffen. Er verlässt das Märchenhafte zugunsten der reinen Menschlichkeit, die von den »Heiligen Hallen« schon als Hoffnung oder Andeutung vorweggenommen wurde: Wir sehen wie Menschen, die in ganz privater Alltagskleidung auf die Bühne kommen, eine Pamina, die noch in ihrem Kostüm ist, umarmen. In der Zauberflöte findet man diese Kontraste: Dunkelheit und Licht, Tod und Leben, Moll und Dur. Man ist in einer Welt und dann plötzlich in einer anderen Welt. Diese Magie ist das Schöne an der Zauberflöte. Das ist auch das Unlogische. Ich spiele auch mit dem Unlogischen. Wir befinden uns zuerst in einem Raum, der uralt wirkt, und dann belebt er sich plötzlich, wenn Sarastro kommt, und es ist, als würde der Raum in dem Glamour erstrahlen, der ihn vor hundert Jahren erfüllt hat. Am Schluss, wenn Pamina sich umbringen will und die Knaben das zu
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verhindern suchen, ist der Raum wieder ruinenhaft und verschneit – und ganz zuletzt gibt es keinen Raum mehr. Man ist im Hier und Heute und man hört und singt, wie auch in zwanzig Jahren noch gesungen werden wird. Lasst uns versuchen, einfach nur da zu sein und Musik zu machen, vielleicht die Herzen zu öffnen, und aus dieser Oper als vielleicht bessere Menschen hinauszugehen. Ich weiß nicht. Das ist natürlich sehr hoch gedacht und ich möchte auf keinen Fall den moralischen Zeigefinger heben. Ich persönlich bin ein sehr emotionaler Mensch, glaube ich. Ich versuche immer, die Sachen durch meine Emo-
tionen zu verstehen. Ich habe durch meine Herkunft und meine Familiengeschichte viel erlebt. Aber ich habe das Glück, dass ich in meiner Familie totalitären Systemen zum Trotz immer diese Liebe zu spüren bekommen habe. Was ich gespürt habe, war, dass man nie aufhören darf, an die Menschen zu glauben. Dass man Gutes schaffen kann. Dass man überhaupt nie aufhören darf, zu glauben. Das hat mich sehr geprägt. Deshalb ist keine der vielen Geschichten, die diese Oper erzählt, unglaubwürdig für mich. Ich denke, dass genau das alles geschehen könnte.
JOCHEN SCHMECKENBECHER als 2. PRIESTER
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WOLF ROSENBERG
»IN DIESEN HEIL’GEN HALLEN« Betrachten wir das Buch, mit dem Mozart sich abfinden musste, etwas näher, wobei nur ein kleiner Teil der Ungereimtheiten und Unstimmigkeiten, die keinesfalls mit der angeblichen Änderung des Konzepts inmitten der Arbeit am ersten Akt erklärt oder entschuldigt werden können, zur Sprache kommt, schon allein aus Platzmangel. Dabei geht es vor allem um das »Reich des Lichts«, um Sarastro und seine Priester, eine religiöse Sekte, deren Rituale sowohl denen der Freimaurerorden wie auch jenen Kulthandlungen, die als IsisMysterien im Sethos-Roman beschrieben sind, ähneln bzw. bewusst nachgebildet wurden. Auch das Vokabular stammt größtenteils aus diesen Quellen. Dass das Freimaurertum gemeint war und das ägyptische Gewand nur zur Tarnung diente, ist zwar nicht belegt, lässt sich aber mit einiger Sicherheit annehmen. Dass es verherrlicht werden sollte und nicht etwa persifliert, ist weder dem Text noch dem Gang der Handlung zu entnehmen, sondern bestenfalls einer anderen supponierten Absicht: Sarastro vertritt das Prinzip des »Guten« gegenüber der bösen Königin der Nacht. Zudem vertritt er noch weitere Prinzipien, die als positiv gelten. Es fragt sich nur, ob es genügt, die Absicht für die Tat zu nehmen, wie es die Exegeten getan haben, ob es nicht vielmehr auch ein wenig, so ketzerisch das klingen
mag, auf die Realisierung der Absicht ankommt. So begegnen wir dem edlen Sarastro in persona zum erstenmal, wenn er im Triumphwagen, von sechs Löwen gezogen, von der Jagd heimkehrt. Dass gerade das Jagen zu seinen Hobbies gehört, überrascht zunächst, aber vielleicht muss er seine überschäumende Menschenliebe dadurch kompensieren, dass er Tiere tötet. Auch hält er sich Sklaven, was schon weniger leicht zu erklären ist; aber an einem unter ihnen, dem Mohren Monostatos, begeht er bereits kurz nach Rückkehr von der Jagd seine erste wahrhaft humane Tat: er lässt ihm 77 Sohlenhiebe verabreichen, was übrigens auch seine außergewöhnlich hohen pädagogischen Fähigkeiten ins rechte Licht rückt. All dies, und auch wohl die Tatsache, dass es 77 Hiebe sind und nicht 76 oder 78, was gewiss mit Zahlenmystik zutun hat (bei Goethe in Weimar wurden daraus 99), versetzt den Chor in ekstatischen Begeisterungstaumel: »Es lebe Sarastro, der göttliche Weise/ er lohnet, er strafet in ähnlichem Kreise.« Sarastros göttliche Weisheit beschränkt sich gewiss nicht aufs Lohnen und Strafen im ähnlichen Kreis; wir können noch manch andere Dinge von ihm lernen. Allem schon die Tatsache, dass er den Monostatos zum Aufseher über die geraubte Pamina macht, zeugt von weiser Voraussicht und tiefer Men-
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schenkenntnis: in diesen heiligen Hallen ist man ja wohl gegen die Reize eines jungen, schönen Mädchens immun. Weitere göttliche Weisheiten werden uns von Sarastro und seinen gelehrigen Priestern bis zum Überdruss serviert; sie bestehen aus ebenso schwachsinnigen wie niederträchtigen Tiraden gegen die »Weiber«, stets vorgetragen mit erhobenem Zeigefinger, als ob es sich um Lehren handelte und nicht um nachgeplapperte, philiströseste Vorurteile. Im zweiten Akt lernen wir Sarastro noch näher kennen. Da findet unter seinem Vorsitz »eine der wichtigsten Versammlungen unserer Zeit statt«, was er »mit reiner Seele« verkündet. Denn Tamino, so heißt es weiter: »wandelt an der nördlichen Pforte unseres Tempels und seufzt mit tugendvollem Herzen nach einem Gegenstand ...« Der Gegenstand, meint man, kann nur Pamina sein, denn sie zurückzuholen ist ja das Ziel seiner Reise. Aber man weiß an dieser Stelle nicht, dass Tamino im Tempelbezirk gefangen ist (ebenso Papageno; auch wurden ihre Musikinstrumente konfisziert) und dass ihm keine andere Wahl bleibt, als sich dem Willen dieser braven Männer zu beugen und nach höheren Weihen zu seufzen. So kann denn Sarastro mit Recht verkünden, der Prinz wolle »seinen nächtlichen Schleier von sich reißen und ins Heiligtum des größten Lichts blicken«. Die zum Gehorsam erzogenen Priester stimmen allem zu, worauf Sarastro ihnen in seiner bezwingend unpathetischen und demütigen Weise »im Namen der Menschheit« seinen Dank ausspricht. Einer allerdings wagt es, Fragen zu stellen: der Sprecher, der fast zu einer Gegenfigur wird. Zwar entschuldigt er sich weitschweifig für seine Kühnheit (»Verzeih, dass ich so frei bin,
dir meinen Zweifel zu eröffnen«), aber immerhin: er wagt‘s, und er zeigt dabei sogar menschliche Züge. Es bangt ihn um den Jüngling; wird er, quasi ein verzärteltes Fürstenkind, die harten Prüfungen bestehen? »Er ist Prinz«, fügt er hinzu; darauf Sarastro: »Noch mehr - er ist Mensch.« Das wäre eine gute Antwort – wenn sie stimmte. Tamino selber sieht sich etwas anders. Nachdem Papageno kurz zuvor auf die Frage, wer er sei, sich dem Tamino als »Mensch wie du« vorgestellt hatte, wurde er quasi mit dem Bescheid »Mehr noch, ich bin Prinz« in seine Schranken verwiesen. (Auch später wird Tamino, dem Sarastro neben Tugend und Verschwiegenheit auch Wohltätigkeit attestiert hat, nicht von seiner hochmütigen Haltung gegenüber dem Vogelfänger abgehen, wird sich über dessen Furcht vor Blitz, Donner und Finsternis mokieren, obwohl er selber doch angesichts einer Schlange nicht gerade Heldenmut bewiesen hat.) Der Sprecher zeigt sich auch an anderen Stellen als Außenseiter. Im Dialog mit Tamino scheint er darunter zu leiden, dass er jenem auf die wichtigsten Fragen keine Antwort geben darf. Wie soll er es dem Jüngling plausibel machen, dass Sarastro zwar Paminen geraubt hat, aber dennoch kein Unmensch ist, wie jener insinuiert? Und da bricht es fast wie ein Verzweiflungsschrei aus ihm heraus: »O legte doch Sarastro dir/ die Absicht seiner Handlung für!« (Das »für«, um des schlechten Reimes willen, geht nicht zu seinen Lasten!) Er ist also offenbar vom Geist der Aufklärung angesteckt, wünscht sich, dass die Menschen informiert werden und sich daraufhin ein Urteil bilden, anstatt auf Fragen keine Antwort zu erhalten. Sarastro denkt natürlich nicht daran, dem
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Tamino die Absicht seiner Handlung fürzulegen; nur den Priestern gibt er Auskunft: »Pamina, das sanfte, tugendhafte Mädchen, haben die Götter dem holden Jüngling bestimmt, dies ist der Grundstein, warum ich sie der stolzen Mutter entriss« (Grundstein: altertümlich für «Grund».) Eine einleuchtende Erklärung. Offenbar wollte die stolze Mutter selbst ihre Tochter heiraten, und das konnte nur durch Raub verhindert werden. Merkwürdig nur, dass die nächtliche Königin die gleichen Pläne wie die Götter hatte … Merkwürdig auch, dass der göttliche Weise, der in direkter Verbindung zu Isis und Osiris steht, also sicher auch von ihnen gewarnt wird, wenn Gefahr in Verzug ist, ganz nichtsahnend in der zweiten Strophe der »Hallen-Arie« behauptet: »In diesen heiligen Mauern /
kann kein Verräter lauern / weil man dem Feind vergibt.« Weiß er nicht, dass just in diesem Augenblick sehr wohl ein Verräter lauert, nämlich Monostatos? Der lauert allerdings nicht ohne Grund, nämlich weil man dem Feind, entgegen Sarastros These, eben nicht verzeiht, oder, um es aus dem naiven Denkschema des Textbuchs herauszuheben, weil man in jenen heiligen Mauern sich dadurch Feinde schafft, dass man sie mit Peitschen traktiert und mit boshaften Bemerkungen (»Deine Seele ist so schwarz wie deine Haut«) zum Verrat geradezu animiert. Monostatos gehört zu den wenigen Figuren in diesem Stück, die Sympathie erwecken, die dadurch, dass der Handlungsverlauf, gewiss ungewollt, Deutungen erlaubt, warum sie so und nicht anders bzw. geworden sind, fast plausible Gestalt annehmen.
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»DIE ZAUBERFLÖTE, IN DER DIE UTOPIE DER EMANZIPATION UND DAS VERGNÜGEN AM SINGSPIELCOUPLET GENAU KOINZIDIEREN, IST EIN AUGENBLICK SELBER. NACH DER ZAUBERFLÖTE HABEN ERNSTE UND LEICHTE MUSIK SICH NICHT MEHR ZUSAMMENZWINGEN LASSEN.« 65
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»EIN WEIB TUT WENIG, PLAUDERT VIEL.« MOZARTS ZAUBERFLÖTE UND POLITICAL CORRECTNESS
Die Zauberflöte ist ein wunderliches Werk. Einerseits gilt sie dank ihrer märchenhaften Handlung, ihrer humanistischen Botschaft und natürlich der begeisternden Musik als die perfekte Einsteiger- und Kinderoper. Andererseits gibt es (von den chauvinistischen Entgleisungen eines Richard Wagner einmal abgesehen) in der deutschsprachigen Opernliteratur kaum ein Werk, das schlechter gealtert ist. So erweist sich die Handlung bei genauem Hinsehen schnell als ziemlich misogyn: Die Königin der Nacht ist eine Frau, die um ihr Erbe gebracht wird, weil ein Mann dieses angeblich viel besser verwalten kann als sie; eine Frau, deren Kind entführt wird, weil sie sich dieser Entscheidung nicht widerstandslos fügen will. »Deine Pflicht ist, dich und deine Tochter der Führung weiser Männer zu überlassen«, zitiert die Königin ihren verstorbenen Gatten (Die Zauberflöte, II. Aufzug, 8. Auftritt). Diese Frau soll im Unrecht und der Bösewicht der Oper sein? Zudem gibt es unter dem männlichen Personal der Oper kaum jemanden, der sich nicht sexistisch äußert. Der weise König Sarastro erklärt Pamina: »Ein Mann muss eure Herzen leiten, denn ohne ihn pflegt jedes Weib aus ihrem JULIAN PRÉGARDIEN als TAMINO SLÁVKA ZÁMEČNÍKOVÁ als PAMINA
Wirkungskreis zu schreiten« (I, 18), und auch Tamino, der jugendliche Held der Oper, tut die Klagen der Königin sehr bald mit den Worten ab: »Sie ist ein Weib, hat Weibersinn!« (II, 5). Im Jahr der Uraufführung der Zauberflöte, 1791, mag dem Publikum all das noch lustig erschienen sein, heute muss es befremdlich wirken, wenn derartige Äußerungen auf der Bühne unironisch und widerspruchslos vorgetragen werden. An vielen Theatern wird deshalb heute mehr oder weniger stark in den Text der Zauberflöte eingegriffen, um zumindest die am stärksten diskriminierend wirkenden Stellen zu entschärfen. Die meisten Bemühungen, die Oper zu aktualisieren und für ein sensibleres Publikum spielbar zu machen, konzentrieren sich in traditionellen wie modernen Produktionen aber nicht nur auf den immer präsenten, geradezu handlungstragenden Sexismus dieser Oper, sondern auch auf eine andere, drängende Problematik: Monostatos. Im Libretto steht für diese Figur die als veraltet und von manchen auch als diskriminierend angesehene Bezeichnung »Mohr«.1 Weiterhin sind in der Monostatos-Figur Theoreme aus der Entstehungszeit der Zauberflöte abgebildet. So lässt Schikaneder Monostatos
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beim Anblick der schlafenden Pamina sagen: »Und welcher Mensch, wenn er auch von gelinderm Himmelsstrich daherwanderte, würde bei so einem Anblick kalt und unempfindlich bleiben?« (II, 7) Mit anderen Worten: Auch wer kein »heißblütiger« Afrikaner wäre, sondern aus klimatisch milderen Zonen stamme, müsse von der Schönheit dieser jungen Frau »entzündet« werden. Im weitesten Sinne ist hier die Klimatheorie des französischen Philosophen Charles de Montesquieu zitiert: Dieser war anhand von Experimenten an Schafzungen zu dem Schluss gekommen, dass sich Temperaturunterschiede auf die Reizbarkeit von Nervenenden auswirken, woraus er folgerte, dass heiße Temperaturen »die Fantasiefähigkeit und Libido anregen«.2 Das ist kein rassistisches Denkmodell des 19. Jahrhunderts, aber eines, das dennoch dazu führt, fremde Kulturen zu romantisieren oder zu dämonisieren. Und so wird die Figur Monostatos heute, angesichts eines anderen Wissens- und Forschungsstand, in der Regel als mit rassistischen Vorurteilen behaftet angesehen. Lange war es zudem üblich, den Monostatos von einem dunkel geschminkten Sänger darstellen zu lassen. Auch diese Praktik gilt heute – vor allem aufgrund einer Vermischung mit dem Phänomen des sogenannten »Blackfacings« – als zu umstritten, sodass die meisten Opernhäuser darauf verzichten, Monostatos als »Person of Colour« darzustellen, um keine Stereotypen zu reproduzieren. Auch in der Textfassung von Isabella Gregor, die der Neuinszenierung der Zauberflöte an der Wiener Staatsoper zugrunde liegt, ist Monostatos nicht schwarz, entsprechende Textstellen sind geändert. Aus »Doch ich muss die Liebe meiden,
weil ein Schwarzer hässlich ist« (II, 13) wird zum Beispiel »… weil ein Mensch so hässlich ist«, aus »der böse Mohr« (I, 18) wird »der böse Mensch«. Das Team der Initiative Critical Classics, die sich laut der Website des Projekts einer »Oper ohne Opfer« und damit einer ihrer Ansicht nach zeitgemäßen und diskriminierungsfreien Aufführungspraxis verpflichtet sieht,3 geht in einer 2024 erschienen Neufassung der Zauberflöte noch einen Schritt weiter: Monostatos ist hier nicht nur nicht schwarz, er ist noch dazu Sarastros unehelicher Sohn, dem der konservative Herrscher Erbe und Anerkennung verweigert.4 Von den anderen Sklaven wird Monostatos in dieser Fassung dementsprechend als »Sarastros heimliches Kind« (I, 9) eingeführt, und anstatt Monostatos vorzuwerfen, dass »deine Seele ebenso schwarz ist wie dein Gesicht«, erklärt Sarastro nun, dass er seinen Sohn niemals an seinem Erbe teilhaben lassen werde (II, 11). Auf diese Weise wird der Rassismus-Verdacht gleich doppelt vermieden: Erstens durch das Fehlen der schwarzen Hautfarbe, zweitens dadurch, dass Monostatos’ Verhalten, insbesondere Pamina gegenüber, neu erklärt wird: Der uneheliche Sohn Sarastros ist deshalb hinter der Prinzessin Pamina her, um durch die Verbindung mit ihr Erbe und Macht zu erhalten5 - und nicht, weil er die weiße Frau so anziehend findet. Diese umfangreichen Eingriffe in Text und Handlung der Zauberflöte begründet Critical Classics damit, dass das ersatzlose Weglassen problematischer Inhalte im Text oder in der Figurencharakterisierung dem künstlerischen Anspruch des gespielten Werks und dessen Komponisten nicht gerecht würde, weshalb man versuche, »Lösungen im
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Sinne des Werks zu erarbeiten«.6 Und so sind in der Neufassung von Critical Classics auch die frauenfeindlichen Passagen der Zauberflöte stark geändert worden: Während Paminas Einweihung in die Priestergemeinschaft im Original nicht explizit vorgesehen ist, ist sie bei Critical Classics von Anfang an Teil von Sarastros Plan. Zu Beginn des zweiten Aufzugs, als Taminos Prüfungen beginnen, verkündet er: »das kluge, tugendhafte Mädchen haben die Götter bestimmt, dem holden Jüngling gleich, schwere Prüfungen zu bestehen« (II, 1) Auch im Folgenden wird immer wieder deutlich, dass Tamino die Prüfungen nicht allein bestreitet: Die Knaben verkünden den Sieg des »weisen Paares«, nicht den des »weisen Mannes« (II, 26). Was dadurch selbstverständlich untergeht, ist die Emanzipation Paminas, die sich im Originaltext ja selbst dazu entscheidet, die letzte Prüfung an Taminos Seite zu absolvieren (II, 28) und sich damit als starke weibliche Figur dem Sexismus der Priestergemeinschaft entgegenstellt. Die Critical Classics-Version der Zauberflöte spielt in einer Welt, in der zwar noch Ungerechtigkeiten, aber weder Rassismus noch Frauenfeindlichkeit und Benachteiligung von Frauen existieren. Die Königin der Nacht wird hier auch nicht aufgrund sexistischer Vorurteile enterbt, sondern weil ihr Gatte sie schlichtweg nicht für kompetent genug hält, den siebenfachen Sonnenkreis zu verwalten (II, 8). So verschwinden in der Critical Classics-Fassung auch die meisten der eingestreuten sexistischen Kommentare. Vieles, was im Originaltext als allgemeine Äußerung über Frauen formuliert ist, wird gezielt auf die Königin der Nacht zugeschnitten. Statt »Ein Weib
hat also dich berückt? Ein Weib tut wenig, plaudert viel« heißt es zum Beispiel: »Auch dich hat sie bereits berückt? Sie lügt, säht Zwietracht, schadet viel« (I,8). Nicht alle Frauen sind unglaubwürdig, diese eine aber schon. Weiterhin sagt Sarastro in der Neufassung zu Pamina über ihre Mutter: »Die Rache darf ihr Herz nicht leiten«, anstatt wie im Original zu implizieren, dass weibliche Herzen generell der Leitung eines Mannes bedürfen (I,18). Zuletzt sind in der Critical Classics-Fassung all jene Stellen geändert, an denen Männlichkeit mit Stärke und Tugend gleichgesetzt wird: So erhält Tamino im Originaltext von den drei Knaben die Anweisung »Bedenke dies, kurz, sei ein Mann. Dann Jüngling wirst du männlich siegen«, bei Critical Classics singen die drei hingegen: »Bewähre dich, denk stets daran, dann wirst du Jüngling endlich siegen« (I,15), der Sprecher lobt nicht mehr Taminos »standhaft männliches Betragen« (II,6), sondern nurmehr sein »standhaftes Betragen« (II,6). Ist das noch Die Zauberflöte wie Mozart und Schikaneder sie im späten 18. Jahrhundert konzipiert haben? Deren Zauberflöte ist ein Werk, in dem Figuren heute veraltete Sichtweisen auf »People of Colour« zugeordnet sind, in dem abwertend über Frauen gesprochen und Tugend mit Männlichkeit gleichgesetzt wird. Lässt man all das völlig weg und überschreibt es mit einem neuen, politisch möglichst korrekten Narrativ, nimmt man damit nicht auch Produktionsteam und Publikum gleichermaßen die Möglichkeit, sich kritisch mit dem Werk und seinen problematischen Inhalten auseinanderzusetzen? Die Möglichkeit also, selbst zu überlegen, wie all das zu interpretieren sein könnte – wirklich als Bestätigung dieser Vorur-
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»EI N W EI B T U T W EN IG, PL AU DERT V I EL .«
teile? Oder vielleicht doch kritisch oder gar ironisch-satirisch? Es gibt beim Umgang mit problematischen Texten nicht die eine, richtige Lösung. Auch Critical Classics machen mit ihrer Version lediglich einen Vorschlag und stellen Theatern frei, den ganzen Text oder auch nur Teile davon für ihre Produktionen zu verwenden.7 Die Fassung der Zauberflöte, die Isabella Gregor für die Wiener Staatsoper erarbeitet hat, basiert in keinem Punkt auf den von Critical Classics vorgeschlagenen Änderungen und ist auch nur bedingt mit Blick auf eine möglichst nichtdiskriminierende Sprache und Handlung konzipiert. Zwar fallen durch umfangreiche Kürzungen und Neuformulierungen des gesprochenen Textes einige besonders heikle Stellen weg, der Gesangstext aber ist bis auf wenige Textstellen unverändert. Vieles, was Critical Classics ankreiden, bleibt erhalten: von Sarastros »Ein Mann muss eure Herzen leiten« bis zum Duett »Bewahret euch vor Weibertücken«. Zahlreiche Aussagen bleiben auf textlicher Ebene zudem unkommentiert. Widerspruch kommt nur von der Königin der Nacht. Ohne die entsprechende Aussage des verstorbenen Gatten zu zitieren, er-
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klärt sie Pamina: »Ein weiblicher Geist muss sich nicht der Führung ‚weiser Männer‘ überlassen!« Macht das die Neuinszenierung der Zauberflöte nun problematisch, politisch nicht korrekt und sowieso völlig untragbar? Natürlich nicht. Wenn der Sprecher meint, »Ein Weib tut wenig, plaudert viel«, so wird anhand der szenischen Umsetzung deutlich, dass diese Aussage am ehesten auf ihn selbst zutrifft, und auch die Priester kann man mit ihren »Weibertücken« nicht unbedingt ernst nehmen. Und selbst wenn jeder sexistische Spruch im Brustton der Überzeugung und voller Autorität gesagt würde: Auch in der Zauberflöte, vielleicht gerade in diesem so zugänglichen und doch so verrätselten und vielschichtigen Stück, müssen auch problematische Figuren auftreten und zu Wort kommen dürfen. Denn so wichtig die Denkanstöße sind, die Critical Classics in Bezug auf sensible Sprache auf der Opernbühne liefert: Es ist auch sehr wertvoll, sich in der Kunst kritisch mit Dingen auseinanderzusetzen, die im normalen Leben zum Glück nicht mehr in Ordnung sind – und mit denen wir dennoch nach wie vor, vielleicht sogar in wachsendem Maße konfrontiert sind.
Vgl. hierzu: https://www.faz.net/aktuell/karriere-hochschule/umbenennung-neue-debatte-um-denbegriff-mohr-16872089.html Martin Beckstein, »Zu heiß für Demokratie? Eine Neubetrachtung Montesquieus politischer Klimatheorie«, in Politische Vierteljahresschrift 65 (2024) 65:1–21, 9. Criticalclassics.org Vgl. Kommentar zum Personenverzeichnis, Critical Classics, Die Zauberflöte. Vollständiges, überarbeitetes Libretto abrufbar unter: http://criticalclassics.org/wp-content/uploads/2024/09/ Zauberfloete-Critical-Classics-Libretto-with-Annotations.pdf Ebd. Critical Classics, Einführung, S.4. http://criticalclassics.org/wp-content/uploads/2024/09/ZauberfloeteCritical-Classics-Einleitung-Introduction.pdf Critical Classics, Einführung, S.4-6.
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LUDWIG MITTELHAMMER als PAPAGENO ILJA STAPLE als PAPAGENA
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AT T IL A C SA MPA I
»WEIL EIN SCHWARZER … « Wie »aufgeklärt«, wie »human« ein hierarchisches System wirklich ist, können die am besten sagen, die ganz unten stehen. In Sarastros Reich sind da Sklaven. Und Monostatos, ihr armseliger Aufseher. Er ist die wunde Stelle aller bürgerlichen Deutungen, denn sie behandeln ihn nicht besser als es Sarastro tut, nämlich ganz wie einen Untermenschen, der es nicht verdient, dass man ihm dieselben Kategorien von Menschenwürde zubilligt wie den höhergestellten Personen. Aber selbst wenn man den diskriminierenden Unsinn, Monostatos sei ein böses Monstrum, einmal gelten lassen wollte, so änderte das nichts an der Tatsache, dass er Bestandteil und somit Produkt der Sarastro-Welt ist, einer reinen Sklavenhaltergesellschaft. Er ist der reale Prüfstein für die Glaubwürdigkeit und die Menschlichkeit der Priestermoral. Als wahrer Kettenhund des Systems bekommt Monostatos nicht einmal theoretisch die Chance, zu den Eingeweihten aufzusteigen (was ja Papageno ausprobieren darf), ganz zu schweigen von der Aussicht, jemals ein »Mädchen oder Weibchen« zu bekommen. Ist es da ein Wunder, wenn er sich in Pamina verliebt, wenn ein Strahl von Paminas Sonne auch auf seine getretene Seele fällt? Gibt es denn irgendeinen Mann in dieser Oper, den Paminas Anmut, ihre innere Schönheit ungerührt ließe? Selbst Sarastro, der »göttliche Weise« kann einen Augenblick lang seine starSERENA SÁENZ als KÖNIGIN DER NACHT ALMA NEUHAUS und JEREMI HIETALA als ihre DAMEN
ken Gefühle für sie nicht zurückhalten; und auch die vielzitierte (vom Text her) so schrecklich moralische Hallen-Arie (Nr. 15) ist in ihrer musikalischen Diktion nichts anderes als eine verkappte larmoyante Liebeserklärung Sarastros an Pamina. So besehen enthält die zunächst völlig willkürlich scheinende Bestrafung des Mohren eine Portion unwillkürlicher Eifersucht des abgewiesenen Despoten, der sein verletztes Mütchen (vertrackt, wie er nun mal ist) am nächstbesten Untergebenen kühlt und sich wohl auch nicht eingestehen kann, dass ein Barbar, ein underdog wie jener von ganz denselben Gefühlen ergriffen ist wie er selbst, der göttliche Zoroaster. Im Unterschied zu Sarastro und der fatal geschlossenen Front der bisherigen Wort- und Bühneninterpreten gegen Monostatos haben die Autoren selbst, also Mozart und Schikaneder (die Giesecke-Legende dürfte endgültig erledigt sein), keinen Zweifel daran gelassen, auf wessen Seite sie stehen. Schikaneder lässt durch Papageno klar ausdrücken, dass er dieser armen Kreatur vorurteilsfrei gegenübersteht: »Es gibt ja schwarze Vögel auf der Welt, warum denn nicht auch schwarze Menschen?« (I, 14). Mozart geht aber noch einen Schritt weiter und »entlarvt« an allen Stellen, an denen Monostatos sich drohend, böse oder schurkisch verhält, seine »Gefährlichkeit« durch liebevolle, zarte, buffoneske Musik als harmlose
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»W E I L E I N S C H WA R Z E R . . . «
Drohgebärden einer schwachen Kreatur. Und wie hätte Mozart die Gleichheit, die soziale Verwandtschaft von Monostatos und Papageno überzeugender herstellen können als durch die völlig identische musikalische Behandlung beider in der »Erkennungsszene« (im Terzett Nr. 6, T.53ff) – wenn beim ersten Zusammentreffen von Mohr und Vogelmensch jeder den jeweils anderen für den leibhaftigen Satan hält und beide, vor Angst bibbernd, dasselbe stammeln: »Hu! Das ist der Teufel sicherlich!« Und dann widmete Mozart dem schwarzen Mann auch noch jene kleine, traurige, zarte Pianissimo-Arie im zweiten Akt (Nr. 13), in der Monostatos’ sensible, verängstigte, getretene Seele sich einen unbeobachteten Moment lang ausleben darf: Ist es denn nicht geradezu erbärmlich, wenn die von den Eingeweihten zum Hund degradierte Kreatur sich auf sein Menschsein beruft und fragt: »Ist mir denn kein Herz gegeben, bin ich nicht von Fleisch und Blut?« und sich schließlich sogar beim Mond, seinem einzigen Zeugen, für sein frevelhaftes, im Grunde aber völlig harmloses Küsschen entschuldigt. Das ist weder »geil und eindimensional«, wie es Wolfgang Hildesheimer und mit ihm all die anderen früheren MozartBiografen gern gehabt hätten, noch sind es die »sexuellen«, »auf Monostatos projizierten Wünsche Paminas«, die Rainer Riehn sich zusammenphantasiert, sondern ein subtiles musikalisches Psychogramm eines Ausgestoßenen, eines Entwürdigten, dem die »Eingeweihten« bereits das Genick gebrochen haben. Für diese wenigen Augenblicke stellt Mozart den Entrechteten eindeutig unter den Schutzschirm seiner Menschenliebe, seiner Sympathie; denn er lässt ihm hier nachträg-
lich eine Auszeichnung zuteilwerden, die Schikaneders Märchenhandlung nur für Tamino und Papageno vorsah – als Symbole menschlichen Ausdrucks. Analog zur Zauberflöte Taminos und dem Faun-Flötchen Papagenos stellt Mozart dem Mohren eine Piccoloflöte – wenn auch nur rein musikalisch: im Orchester – zur Verfügung. Kann man sich in einer Oper, in der es um Flöten geht, eine deutlichere Aufwertung einer Nebenfigur vorstellen? Es ist auch kein Zufall, dass es ausgerechnet Monostatos und die Sklaven sind, die für die kathartische Macht der Musik noch empfänglich sind (im ersten Finale), die noch unentfremdet genug sind, sich von der humanen Botschaft der Musik, die symbolisch im Glöckchenzauber eingefangen ist, hypnotisieren zu lassen. Warum kommt denn weder Tamino noch Papageno auf die Idee, dasselbe Zauberspiel mit Sarastro zu versuchen, der sie ja bedroht? Sie spüren es genau, dass dies keinen Sinn hätte, denn Sarastro wäre dafür unempfänglich. Die humanisierenden Kräfte der Zauberinstrumente vermögen zwar Sklaven, Mohren und wilde Tiere zu besänftigen, aber bestimmt nicht Sarastro und seine Mannen, die ja in ihrem Reich nur die reine Vernunft walten lassen, eine Vernunft, die nicht nur allen alten Zauber, sondern auch jeden unkontrollierten Affekt, jede emotionale Offenheit (neurotisch) verabscheut: Mit Gefühlskälte, rationalistischem Kalkül lassen sich Unterdrückung und Willkür ohnehin leichter handhaben.
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PA PAGENO, ER ST ER AU FZ UG, 14. AUFTRITT
»BIN ICH NICHT EIN NARR, DASS ICH MICH SCHRECKEN LIESS? ES GIBT JA SCHWARZE VÖGEL IN DER WELT, WARUM DENN NICHT AUCH SCHWARZE MENSCHEN?«
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IM BANN DES FÜRCHTERLICHEN BRUDERS DIE ZAUBERFLÖTE ALS FREIMAURER-OPER Die Aufführung war schlecht, die öffentliche Wahrnehmung kläglich, die künstlerische Bilanz eine Katastrophe. Und doch haben die Salzburger Festspiele in ihrer Geschichte selten Erhellenderes produziert als die Oper Das Labyrinth im Sommer 2012. Der Theaterdirektor und Librettist Emanuel Schikaneder hatte anno 1798 an der von ihm mit-elaborierten Zauberflöte noch einmal kassieren wollen, eine Fortsetzung gedichtet, das Resultat dem namhaften Komponisten Bruder Peter von Winter ausgehändigt und abermals die Rolle des Papageno übernommen. Als das vor 214 Jahren erfolgreiche Werk nun in Salzburg wieder zur Diskussion gestellt wurde, übte es frappante Wirkung aus: Theoriegebäude stürzten ein, Analysen implodierten. Mit einem Mal war auch die Zauberflöte wieder, wofür man sie stets gehalten hatte, ehe es Mode wurde, ihr Subtexte aufzuladen, unter deren Last nicht nur fast jeder Regisseur, sondern auch das Werk zu kollabieren drohte: ein mittelmäßiges und zudem konfuses Libretto, das seine Faszination und Stringenz ausnahmslos Mozarts Musik verdankt. Das Labyrinth evozierte beim
Betrachter jene Formel, die künftig leicht auch den Umgang mit der Zauberflöte bestimmen könnte: Schikaneder minus Mozart ist Mist. Auf die in Konvoluten von Fachliteratur verbreiteten Theorien zur politischen und philosophischen Beschaffenheit der Zauberflöte soll hier nicht eingegangen werden, auch nicht auf freimaurerische Deutungsabstrusitäten, die im Werk Geheimcodes zwischen dem 18. und dem 30. Grad des SchottenHochgradritus ausgemacht haben wollen: Weder Schikaneder noch sein Chefdramaturg Karl Ludwig Giesecke, der sich mehrfach der Autorschaft rühmte, wären fachlich in der Lage gewesen, zu solchen Mysterien vorzudringen. Der 1751 im bayrischen Straubing geborene Schikaneder wurde am 2. Oktober 1788 in die Regensburger Loge »Die Wachsende zu den 3 Schlüsseln« aufgenommen. Schon am 4. Mai des folgenden Jahres nahm er über ultimative Aufforderung Zwangsurlaub vom Logengeschehen, an dem er sich schon bisher nur selektiv beteiligt hatte. Angenehm wären zwar die »seltenen« Besuche des Bruders Schikaneder gewesen, »unangenehm und auffallend«
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IM BANN DES FÜRCHTERLICHEN BRUDERS
hingegen die kursierenden öffentlichen Gerüchte, wurde er brieflich bedeutet. Was war geschehen? Schikaneder, damals für kurze Zeit Direktor des Fürstlichen Hoftheaters zu Regensburg, soll sich eine Kühnheit wahrhaft olympischen Ausmaßes geleistet haben. Auf dem schmucken Wasserschloss Train residierte die Gattin des Fürsten Carl Anselm von Thurn und Taxis, seine gewesene Mätresse, eine geborene Elisabeth Hillebrand. Der Regent hatte mit Ungeduld das Ableben seiner verstoßenen ersten Ehefrau erwartet, um die entschlossen agierende Tochter eines Marktlieferanten endlich heiraten zu können. Auch dem Hoftheaterdirektor mag die Anmut der Selfmade-Durchlaucht nicht entgangen sein, denn die Frequenz seiner Besuche auf Schloss Train wurde alsbald zum Gesprächsthema. Zur nämlichen Zeit wandte sich die Dienstmagd Maria Stecker an die Gerichte: Sie wäre von Schikaneder geschwängert worden. Der ergriff daraufhin unter falschem Namen die Flucht nach Wien und übernahm das Freihaustheater auf der Wieden, wo er zwei Jahre später die Zauberflöte herausbrachte. Mit ihm flohen die Stützen des Regensburger Ensembles, unter ihnen Benedikt Schack, der nachmals erste Tamino, und der Uraufführungs-Sarastro Franz Xaver Gerl, den die Magd Maria Stecker als Verdächtigen in nämlicher Sache ebenfalls vor Gericht zitiert hatte. Der Geselle Schikaneder betrat nie wieder eine Loge. Er starb 1812 in geistiger Umnachtung. Seine rechte Hand Karl Ludwig Giesecke wiederum, 1761 als Johann Georg Metzler in Augsburg geboren, war erst 1790 in die »Gekrönte Hoffnung« aufgenommen worden. Soviel zu Theorien, ein masonischer Gelegenheitshallodri und ein
Greenhorn hätten 1791, kurz vor der Liquidierung der letzten Wiener Logen, Mysterien aus den seit sechs Jahren verbotenen Hochgraden in ein Singspiel eingebracht.
DAS RITUAL IN DER ZAUBERFLÖTE Die Wahrheit ist weit weniger spektakulär: Das Libretto der Zauberflöte ist, woraus sich auch seine innere Unlogik und Widersprüchlichkeit erklärt, ein Konglomerat, gespeist aus einer Unzahl an Quellen. Unter ihnen auch das in Abschriften erhaltene Ritual der »Großen Landesloge von Österreich«, der seit 1784 sämtliche Wiener Logen unterstanden. Sie alle arbeiteten nach dem sogenannten »Zinnendorf-System«. Erster und markantester Ritualbestandteil der Zauberflöte ist die Priesterfanfare, die zuerst in der Ouvertüre erklingt und dann, »röchelnde Posaune« genannt, an den Eckpunkten des Initiationsvorganges wiederholt wird. Sie imitiert die Hammerschläge des Meisters vom Stuhl und der beiden Aufseher während der Tempelarbeit. Das »Zinnendorf-Ritual« kannte dafür nur einen Rhythmus, der in allen drei Graden angewandt wurde. Er wird in den historischen Dokumenten mit dem Versmaß des Anapästs, kurz – kurz – lang, beschrieben. Da man auf einem Holzpult aber keinen langen Ton erzeugen kann – dazu bräuchte es einen Resonanzraum –, wurde nach dem zweiten Schlag oft eine Pause eingelegt, um den dritten, langen hervorzuheben. Die Anweisung im Ritual lautete: »Die ersten beiden Schläge kurz aufeinander, und den letzten etwas langsamer, oder später.« So formte es sich in Mozarts Gehör zu einem Gebilde, dessen
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Wiedererkennungswert eindeutig ist, wenn man die Hammerschläge in der beschriebenen Art ausführt: Mozart verlängerte den zweiten Ton, er komponierte den »dreimaligen Akkord« aus der Perspektive des Praktikers, und jeder Freimaurer verstand ihn. ERSTER AUFZUG, 15. AUFTRITT Taminos freimaurerische Initiation beginnt, wenig überraschend, mit der Sprecher-Szene. Vor ihm liegen drei Tempel. »Weisheit« und »Vernunft«, die Namen der ersten beiden, sind geläufiger freimaurerischer Bestand. Weniger bekannt ist die masonische Bedeutung der Natur, die im historischen Ritual als fundamentales demokratisches Prinzip erklärt wird: »Daseyn, Mitdaseyn, Annäherung, Gleiches, Ungleiches, [...] Schwäche, Kraft« würden in der Natur eins. Die Bruderschaft wäre gegen üble Einflüsse immunisiert, denn: »Nie wird Irreligion, Afterphilosophie, und Hinterlist in selbe einschleichen, weil eine Weisheitsschule blos aus aufrechten Verehrern Gottes in der Natur, aus Freunden ächter Tugend, und abgesagten Feinden aller Laster und verkehrten Leidenschaften bestehen kann.« Die Natur ist auch Gegenstand der Mozartʼschen Freimaurergesänge »Dir, Seele des Weltalls« und »Maurerfreude«. Im Besonderen strebten die Illuminaten das »Natur- und Vernunftrecht« an: »Aufgeklärte Vernunft« sollte den natürlichen Zustand der Freiheit und Gleichheit aller Menschen wiederherstellen, um am Ende den Staat überflüssig zu machen. Die Tempel in der Zauberflöte sind zum Dreieck geordnet: Natur und Vernunft streben von den Seiten zur Spitze, ergeben also mitsammen die übergeordnete freimaurerische Tugend der Weisheit. Die drei Knaben weisen Tamino in die Grundtugenden ein, die aus der griechi-
schen Stoa in die Freimaurerei importiert wurden: »Sei standhaft, duldsam und verschwiegen.« Das historische Aufnahmeritual kommt lobend auf die »Standhaftigkeit« des Suchenden zu sprechen, der sich während eines kurzen Abschnitts der Zeremonie ins Stadium des »Leidenden« (also Duldenden) emporgearbeitet hat, ehe er am Ende als neues Mitglied in den Bund aufgenommen wird. Vor dem »Richterstuhl der Verschwiegenheit« wird ihm dabei der Schwur unbedingter Diskretion abgefordert. »Weisheit«, »Stärke« und »Schönheit« sind die drei Ideale, auf die sich die Brüder während jeder Logenarbeit einschwören. In der Sprecher-Szene weiß sie der an die Tempelpforte pochende Tamino noch nicht zu benennen: Er charakterisiert sie mit den Synonymen »Klugheit«, »Arbeit« und »Künste« und lobt: »Wo Tätigkeit thronet und Müßiggang weicht, bewahrt seine Herrschaft das Laster nicht leicht.« Im historischen Aufnahmeritual mahnt der Meister vom Stuhl den neuen Bruder, »das menschliche Herz gegen Anfälle der Laster zu vermauren, und zu verkitten, welche Arbeit vielleicht hinlänglich ist, einen rechtschaffenen Maurer täglich zu beschäftigen«. Aus dem Tempel der Weisheit tritt der »Sprecher« hervor, im Logengebrauch auch »Redner« genannt und heute für die Einhaltung der Regeln verantwortlich. In Taminos Fall übernimmt er die Aufgabe eines »Informators«: Der führt mit Aufnahmewilligen ein erstes Gespräch, um sich ein Bild vom Charakter und den Absichten des Kandidaten zu machen. ERSTER AUFZUG, 19. AUFTRITT Tamino und Papageno stehen vor Sarastro und sollen den Weg der Initiation beschreiten: »Führt diese beiden Fremdlinge in unsern Prüfungstempel
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ein, bedecket ihre Häupter dann – sie müssen erst gereinigt sein.« Reinigungsrituale kennt die klassische Freimaurerei zwar nicht, doch vom bedeckten Haupt wird alsbald die Rede sein. ZWEITER AUFZUG, 1. AUFTRITT Die Priesterschaft berät über die Eignung Taminos. Der Sprecher, dem der Prinz eben erst als unreifer, atemlos impulsiver, von Emotion und Vorurteil getriebener Mensch begegnet ist, bringt seine Einwände vor und wird überstimmt. In der Freimaurerei heißt der Vorgang »Ballotage«, die Abstimmung wird mittels weißer und schwarzer Kugeln vorgenommen. Dass Tamino an der »nördlichen Pforte« der Aufnahme harrt, erinnert daran, dass die Lehrlinge während der rituellen Arbeit an der Nordseite des Tempels sitzen. ZWEITER AUFZUG, 2. AUFTRITT In der maurerischen Realität bereiteten sich die Suchenden jetzt in der »dunklen Kammer des stillen Nachdenkens« meditierend, umgeben von Todessymbolen, auf das Aufnahmeritual vor. Tamino und Papageno werden in einen »kurzen Vorhof des Tempels« gebracht. Ihre Köpfe sind jetzt, korrekterweise, noch unverhüllt. Es ist finster, »eine schreckliche Nacht«, wie Tamino feststellt. »Ihr Fremdlinge, was sucht oder fordert ihr von uns?«, forscht der Sprecher, der die beiden mit einem zweiten Priester examiniert. Diese Fragen stellte im historischen Ritual der »dunklen Kammer« der Bürge, der den Suchenden zum Bund gebracht hatte. In der Oper übernehmen die Priester zusätzlich parodierend die Aufgaben des [so genannten] »fürchterlichen Bruders«, der in der historischen Maurerei die Unerschrockenheit des Probanden testen sollte. Sie singen das alberne Bänkellied »Bewahret euch vor Weibertücken«, und es
existiert kein freimaurerisches System der Welt, in dem solcher Unsinn auch nur thematisiert würde, geschweige denn »des Bundes erste Pflicht« wäre. Endlich drohen sie mit »Tod und Verzweiflung«, all das grob zweistimmig und in sinnwidrig beschwingtem Ton, in der karikierten Erleuchtungstonart C-Dur und am Schluss slapstickartig vom Pathos-Instrument Posaune nachgeäfft. Im Ritual ist dem »fürchterlichen Bruder« Folgendes vorgeschrieben: »Er gibt sich alle ersinnliche Mühe die dienlichsten und dringendsten Ausdrücke zu gebrauchen, dem Suchenden damit abzuschröcken, indem er ihn die größten Schwierigkeiten, Hindernisse vorbildet.« Hat er ihn davor gewarnt, sich »auf Ihre ganze übrige Lebenszeit unglücklich machen zu wollen«, knirscht er noch: »Gehen Sie, ich überlasse Sie dem unglücklichen Schicksal, welches Sie so oft verdient haben«, ehe er den Suchenden mit verbundenen Augen in den Tempel führte. ZWEITER AUFZUG, 6. AUFTRITT So geschieht es auch in der Zauberf löte. Mit Säcken über dem Kopf werden Tamino und Papageno zur ersten Prüfung geführt. Ihre Wertgegenstände – die ihnen von der Königin der Nacht überantworteten magischen Musikinstrumente – mussten sie abgeben, wie es auch in der freimaurerischen Praxis üblich war, um den Suchenden auf die Nichtigkeit materieller Güter zu verweisen. In der Realität betraten die Probanden jetzt, von ihren Bürgen geleitet, mit verbundenen Augen den Tempel, den sie in rituellen Prüfungszeremonien dreimal umrundeten. Diese sogenannten »drei Reisen« nahmen andeutungsweise auch schon die (erst Jahre später Realität werdenden) Initiationsrituale in den Gesellen-
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und den Meistergrad vorweg. Mozart und Schikaneder aber beschleunigen den Vorgang aus dramaturgischen Gründen: Am Ende der dritten Reise ist der Suchende Tamino bereits Meister. Über den Verlauf der ersten Reise verrät die Oper nichts, an ihrer Stelle steht eine Auseinandersetzung mit den drei Damen der nächtlichen Königin. Sicher ist, dass Papageno versagt, Tamino aber glänzend bestanden hat. »Heil dir, Jüngling! Dein standhaft männliches Betragen hat gesiegt!«, lobt der Sprecher. Im historischen Ritual stellt der Meister vom Stuhl fest: »Mein Herr! Ihr ehrlicher Name und gutes Gerücht, Ihre bekannte Tugend und männliches Betragen, ihre auf eine gute Meinung von uns und Vertrauen zu uns gegründete Folgsamkeit, in denjenigen, was bereits geschehen ist – und noch geschehen wird, bestärken uns zu glauben, daß (...) allein ein rühmlicher Hang mit einer zur Tugend, Treue und Ehre bekannten Gesellschaft näher als gewöhnlich verbunden zu werden, Sie hierher gebracht.« ZWEITER AUFZUG, 13. AUFTRITT Ausführlich ist die zweite Umrundung des Tempels beschrieben, die zweite Reise, die hier mit dem Beförderungsritual zum Gesellen zusammengezogen wird. »Beherrsche dich selbst«, lautet die Anforderung an diesen Grad, und Beherrschung unter unmenschlichen Umständen ist Tamino und Papageno auferlegt: Sie dürfen mit Pamina nicht sprechen und riskieren damit deren Selbstmord, da sie Taminos Liebe erloschen glaubt. Papageno übersteht diese Prüfungsrunde nicht und wird bis an sein Ende uneingeweiht verbleiben. Die Erzeugung des Donners, der ihn dabei mehrfach straft, wird in einem anderen Ritual der Mozart-Zeit präzise vorgeschrieben: »Man schlägt 2 oder 3mal
geschwind hinter einander mit beyden Händen den von dünnem Holz verfertigten, etwan drei Fuß grosen, Rahmen, auf welchem vier Bogen Papier, so in der Mitte wohl zusammen geleimt sind, ausgespannet worden.« ZWEITER AUFZUG, 28. AUFTRITT Der dritte freimaurerische Grad, der des Meisters, ist der Anforderung »veredle dich selbst« verschrieben. Er wurde über ein ernstes, nachdrückliches Ritual erreicht: Der Geselle starb einen symbolischen Tod, ehe er als neuer Mensch auferstand. Damals ging das mit barockem Aufwand in Szene. Schon in der Aufnahmezeremonie wurden überdies die vier Elemente bemüht: Der mit verbundenen Augen seiner Wege gehende Suchende wurde mit Wasser bespritzt, mit Erde beworfen, mit einer Luftpumpe traktiert und mit einer Fackel erschreckt. Überdies musste er aus diversen Dialogen schließen, dass ein Brandeisen heiß gemacht würde, um ihn am Ende der Zeremonie zu zeichnen (wovon keine Rede war). Einen wahren Todesweg legt in der Zauberflöte Pamina zurück, die durch Taminos Schweigen an den Rand des Suizids getrieben wird. »O goldʼne Ruhe! kehre wieder!«, fleht das Paar, als es für kurze Zeit wieder zusammengeführt wird. »Wahre Freyheit, und Seelenruhe betrachtet jeder, welcher diesem Orden angehört, als das einzig Gute, welches er nicht ausser sich suchen muss«, belehrt das alte Ritual. Den Weg des Todes verkörpern in der Zauberflöte auch die beiden Geharnischten, die den Tempel der dritten und letzten Prüfungsrunde bewachen. Sie kündigen Läuterung auf Leben und Tod durch »Feuer, Wasser, Luft und Erden« an (die Prüfung wird dann aus dramaturgisch nachvollziehbaren Gründen auf die Hauptele-
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mente Feuer und Wasser beschränkt). »Tamino ist leicht angezogen, ohne Sandalen«, lautet die Szenenanweisung. Damit wird auf die historische Initiationszeremonie verwiesen: Der Suchende musste den Tempel mit entblößter Schulter und zum Pantoffel niedergetretenem linkem Schuh umrunden, Symbole des Erkennens der eigenen Unvollkommenheit. ZWEITER AUFZUG, 30. AUFTRITT »Die Strahlen der Sonne vertreiben die Nacht«, heißt es zum glücklichen Ende der Oper. Das entspricht dem »großen Licht«, dem Höhepunkt der freimau-
rerischen Aufnahmezeremonie: Die Bürgen zogen den Suchenden nach der dreimaligen Umrundung des Tempels die schwarzen Binden von den Augen, und im zuvor dämmrigen Raum erstrahlte das Licht in voller Stärke. Die drei Grundtugenden, die Tamino in der Sprecher-Szene noch mit »Weisheit, Arbeit und Künste« umschrieben hat, werden nun vom Chor in heiterer Gelassenheit, ohne Jubelpathos, bei den richtigen Namen genannt: »Es siegte die Stärke und krönet zum Lohn die Schönheit und Weisheit mit ewiger Kron.«
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DIE DREI KNABEN HELFER IN FLUGBEREITSCHAFT Als zu Beginn der Zauberflöte in die Unterhaltung zwischen Tamino und Papageno die drei Damen hineinplatzen, fragt der Prinz den Vogelfänger: »Wer sind diese Damen?« Der antwortet: »Wer sie eigentlich sind, weiß ich selbst nicht.« Mit noch größerem Recht könnten er und Tamino, könnten im Grunde sämtliche Figuren der Oper sich fragen, wer eigentlich die drei Knaben seien, die wiederholte Male im Fortgang der Handlung auftreten beziehungsweise meist in ihrem Flugwerk herniederschweben. Doch bezeichnenderweise stellt niemand sich noch den Knaben je eine solche Frage. Kein »Wer seid ihr?«, kein »Wer schickt euch?«, nicht einmal ein zweifelndes »Woher wisst ihr das?« bekommen die drei zu hören. Ganz im Gegenteil: Tamino sieht sie zum ersten Mal, hört ihren Rat und macht ihn sich sofort und ohne zu zögern zu eigen: »Die Weisheitslehre dieser Knaben / Sei ewig mir ins Herz gegraben.« (I, 15) Später bringen die drei den beiden Prüflingen Prinz und Pagageno die Flöte und das Glockenspiel zurück – wie auch immer sie diese Zauberdinge an sich gebracht haben mögen –, dazu Speis und Trank und noch ein paar aufmunternde Worte. Die Folge: Man nimmt, spielt und isst, als sei es das Selbstverständlichste von der Welt (II, 16, 17). Pamina will sich das Leben nehmen, weil sie überzeugt ist, dass Tamino sie verlassen hat und nicht mehr liebt. Die Knaben
brauchen nur zu säuseln, er sei ihr nach wie vor ergeben – schon lässt sie den Dolch sinken und will dem Liebsten in die Arme eilen (II, 26, 27). Kurz darauf ein ähnlicher Erfolg: Papageno möchte seinerseits aus Liebeskummer seinem Leben ein Ende machen. Die drei erinnern ihn an die Kraft seiner Zauberglöckchen, haben die gewünschte Frau aber ohnehin schon dabei und parat: »Unter diesem Schlagen laufen die drei Knaben zu ihrem Flugwerk und bringen das Weib heraus.« (II, 29) Warum tun sie all dies, und in wessen Auftrag? Für Jacques Chailley (1967) ist die Sache klar: »Den drei Damen der Königin der Nacht entsprechen in dem entgegengesetzten Lager die drei Kinder von Sarastro«. Konrad Küster (1990) weist aber völlig zu Recht darauf hin, dass die Knaben zu Beginn ausdrücklich von den drei Damen als Wegweiser und Ratgeber angekündigt werden: »Drei Knäblein, jung, schön, hold und weise / Umschweben euch auf eurer Reise. / Sie werden eure Führer sein, / folgt ihrem Rate ganz allein.« (I, 8) Die Damen delegieren also ihre Begleitfunktion an die drei Kinder, die damit eingeführt werden als Wesen im Dienste der Königin. Später erst, so Küster, gehen die Knaben gemeinsam mit Tamino »in Sarastros Lichtwelt über«. Und wirklich singen diese vor Paminas Errettung dieselben Worte wie schon Sarastros Gefolgsleute im Schlusschor des ersten Aktes. Dort hieß
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es: »Wenn Tugend und Gerechtigkeit / Den großen Pfad mit Ruhm bestreut, / Dann ist die Erd’ ein Himmelreich / Und Sterbliche den Göttern gleich.« (I, 19) Aus dem Mund der Knaben ertönt: »O holde Ruhe, steig hernieder, / Kehr in der Menschen Herzen wieder; / Dann ist die Erd’ ein Himmelreich / Und Sterbliche den Göttern gleich. « (I, 26) Ihre Melodie klingt wie eine freundliche Variation des Priestermarsches zu Beginn des zweiten Aufzugs; außerdem tragen sie – laut Schikaneders Regieanweisung – bei ihrer ersten Begegnung mit Tamino vor den drei Tempelpforten silberne Palmzweige in den Händen, genau so, wie es später auch die Priester tun. Schließlich »versinken« zum Schluss der Oper – auf Schikaneders Wunsch – die Königin mitsamt ihren Damen und Monostatos, während die Knaben mit Sarastro und seinen Anhängern gleichsam auf dem Siegerpodest Platz nehmen dürfen: »Sarastro steht erhöht; Tamino, Pamina, beide in priesterlicher Kleidung. Neben ihnen die ägyptischen Priester auf beiden Seiten. Die drei Knaben halten Blumen.« (II, 30) So hat es tatsächlich den Anschein, als seien die Knäblein von der Königin zum Obersten Priester übergelaufen. Ein wenig stutzig macht allenfalls der Hinweis auf die Blumen in ihren Händen, der an ihr »mit Rosen bedecktes Flugwerk« gemahnt. Sollten sie neben der sternflammenden Königin und den palmwedelnden Sonnenanbetern über eine eigene Symbolsprache verfügen? Weiter fällt auf, dass sie »der Menschen Herzen« im Sinn haben, wenn sie den Himmel auf Erden herbeiwünschen, und nicht von »Tugend«, »Gerechtigkeit« und »Ruhm« auf »großem Pfad« schwadronieren wie Sarastros Parteigänger. Sie klingen wie Vertreter eines
menschlichen, liebenswürdigen Regimes, die sich weder den Geboten der Königin noch denen des Priesterordens zu fügen scheinen, sondern sehr wohl auf eigene Faust handeln und ihren eigenen Kopf durchsetzen können. So kommen sie schon ihrer ersten Aufgabe nicht pflichtgemäß nach, die beiden »Retter« Tamino und Papageno zu Sarastros Burg zu führen, um Pamina zu befreien. Der Vogelfänger findet den Weg nämlich ohne alle Hilfe ganz allein, worauf er sich bei der Königstochter beklagt: »Wie wir von den Jungfrauen Abschied nehmen, so sagten sie uns, drei holde Knaben würden unsre Wegweiser sein, sie würden uns belehren, wie und auf welche Art wir handeln sollen.« Pamina: »Sie lehrten euch?« Papageno: »Nichts lehrten sie uns, denn wir haben keinen gesehen. Zur Sicherheit also war der Prinz so fein, mich vorauszuschicken, um dir unsre Ankunft anzukündigen.« (I, 14) Selbst eigene Vorsätze erlauben die drei sich, wenn nötig, über den Haufen zu werfen. Bei ihrem zweiten Auftritt kündigen sie Tamino und Papageno an: »Wenn wir zum drittenmal uns sehen, / Ist Freude eures Mutes Lohn!« (II, 16) Doch zu diesem dritten Wiedersehen soll es die gesamte Oper über nicht mehr kommen, denn anstatt sich weiterhin um die Befreiungsaktion der Prinzessin zu kümmern oder sich für Prüfungserleichterungen von Prinz und Vogelmann einzusetzen, müssen die Knaben dem Notruf gehorchen und gleich zwei Selbstmordversuche verhindern. Als erster hat wohl Hermann Wolfgang von Waltershausen (1920) festgestellt, dass die drei Knäblein recht eigene Geschöpfe sind. Er schreibt: »Endlich erhalten Tamino und Papageno als Führer auf der Reise drei
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Knaben zugesellt, Lichtgenien, die aber doch wohl der Königin der Nacht dienstbar sein müssen, da diese über sie disponiert. Die Knaben entpuppen sich später als höchst zweifelhafte Gesellen des Sarastro, also höchst ungetreue Diener ihrer Herrin. Sie intrigieren aber später wiederum gegen Sarastro. Es wäre ein leichtes, diese Widersprüche einfach mit der mangelnden Qualität des Schikanederschen Librettos hinwegzuerklären. Wie ja überhaupt die Anhänger der sogenannten »Bruchtheorie« im Rahmen der ZauberflötenExegese durch die Behauptung, die Handlung des zweiten Aktes sei ein – angeblich ungewollter – Bruch mit der des ersten, der Frage nach möglichen Verbindungen von Nacht zu Tag, Mann zu Frau, Natur zu Vernunft, Humanität zu Gewalt, letztlich von Chaos zu Logik bequem aus dem Weg gehen. Wenn es auch verwirrend oder störend sein mag, dass die drei Knaben eindeutig weder dem einen noch dem anderen »Lager« zugehören, ist es doch ehrlicher, sie nicht gegen den Willen der Oper in eines zu zwingen, sondern ihr Wirken als das einer »mystischen Nebenregierung« anzuerkennen, wie Waltershausen in einer sympathischen Formulierung schreibt. Auch Attila Csampai meint, dass Mozart und sein Librettist die Wunderknaben »als dritte, unabhängige, über den Konflikten der Handlung stehende friedenstiftende Macht eingesetzt haben könnten – als letzte rettende Instanz des Märchens«, welche die Notwendigkeit von Magie und Zauberei noch bei aller Auf- oder Abgeklärtheit deutlich mache. Nicht von ungefähr gilt das zweite Terzett der Knaben als einer der Höhepunkte der Komposition, was, wie wir Mozarts eigenem Bericht an seine Frau entnehmen dürfen, von An-
fang an schon so empfunden wurde. Im Oktober 1791, eine Woche nach der Uraufführung, schrieb er Constanze in die Kur nach Baden: »Eben komme ich von der Oper; – Sie war eben so voll wie allzeit. – das Duetto Mann und Weib etc: und das Glöckchen Spiel im ersten Ackt wurde wie gewöhnlich wiederhollet – auch im 2:t Ackt des knaben Terzett – « Dass die Zauberflöte von freimaurerischem Gedankengut durchzogen ist, ist seit dem 19. Jahrhundert bekannt und erforscht und mittlerweile musikgeschichtliches Gemeingut. Längst weiß man auch, dass sich Emanuel Schikaneder außerdem von verschiedenen Märchen zu seinem Textbuch inspirieren ließ, namentlich der orientalisierenden Märchensammlung Dschinnistan von Christoph Martin Wieland (1789). Die Verschiedenartigkeit dieser Quellen schlägt sich zwangsläufig nicht nur auf der inhaltlichen Ebene nieder, sondern auch in der Art und Weise der Oper, Bedeutung zu erzeugen. Der Freimaurer-Hintergrund führt zu einer rationalen, bewusstseinsnahen Allegorik, die sich mit Kenntnis der zugrundeliegenden Riten und Zeichen im Sinne der Weisheits- und Tugendlehre entschlüsseln und übersetzen lässt. Der Märchen-Hintergrund dagegen führt zu einer volkstümlichen Symbolik, die allgemein menschliche Inhalte oder, mit C. G. Jung gesprochen, Elemente des kollektiven Unbewussten verkörpert. Die Dreizahl zum Beispiel, welche in der Zauberflöte so unübersehbar häufig verwendet wird, hat Anteil an beiden Bereichen. Da gibt es einerseits die drei Tempelpforten, die drei Prüfungen, den dreimal wiederholten dreifachen Posaunenton (II, 19) oder den dreistimmigen Priesterchor, der einer Regieanweisung Schikane-
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ders zufolge in einer Dreiecksordnung von drei mal sechs Sängern auftreten sollte (II, 20), welche alle auf freimaurerischer Zahlensymbolik beruhen. Und da gibt es andererseits die drei Damen, die drei Sklaven und eben auch die drei Knaben, welche Elemente folkloristischen Erzählens sind. (Es wäre im Übrigen eine Überlegung wert, ob es nicht vielleicht sogar drei Zauberdinge, also neben der titelgebenden Zauberflöte und dem Glockenspiel noch ein drittes Wundermittel gebe, nämlich die Knaben selbst, gewissermaßen als in sich triadisches Drittel einer märchenhaften Dreiheit.) Die Märchen-Zugehörigkeit der Knaben ist auch der Grund dafür, dass die ihnen begegnenden Figuren wie selbstverständlich mit ihnen umgehen: Im Märchen – wie im Traum – stellt man übernatürliche Wirkungen keine Sekunde in Frage. Anders als in mythisch-religiösen (drei Parzen, drei Nornen, die heilige Dreifaltigkeit) oder psychoanalytischen Modellen (Es, Über-Ich, Ich; Anima, Animus, Selbst) wirkt die Dreizahl im Märchen vor allem stilisierend. Das heißt, dass sie nicht wirklich eine Bedeutung trägt, sondern als schmückendes oder gliederndes, also rein ästhetisches Element in die Erzählung eingefügt wird. Der dänische Folklorist und Philologe Axel Olrik meinte schon 1909: »nichts unterscheidet so deutlich die große menge der volkspoesie von der modernen dichtung und von der würklichkeit, wie die dreizahl es tut. eine so rücksichtslose stilisierung des lebens steht ganz für sich. wenn der sagen forscher auf eine dreizahl stößt, denkt er wie der Schweizer der die Alpen wieder erblickt: nun bin ich daheim!« Triaden können im Märchen als Handlungsträ-
ger erscheinen: als Menschen, Wesen, Tiere, vor allem als helfende Tiere mit wunderbaren Fähigkeiten, oder als Dinge, häufig Zauberdinge. Sie können die Handlung gliedern, zum Beispiel durch drei Fragen, drei Rätsel, drei Aufträge, drei Auskünfte, drei Hilfeleistungen oder Ähnliches. Häufig findet man auch eine Dreiheit von Orten (drei Zimmer, drei Länder, drei Stationen) oder Zeiteinheiten (Fristen oder Dauern von drei Tagen, Monaten, Jahren). Schließlich spielen Triaden noch eine bloß dekorative Rolle (ein drei Klafter großer Mann, drei Priester, drei Blutstropfen). Die Dreizahl ist eine der Hauptkomponenten für die Künstlichkeit und Abstraktheit des Märchens. Sie ist so typisch und so beliebt, dass sich immer wieder beobachten lässt, wie Nacherzähler sie auch dort einsetzen, wo sie ursprünglich gar nicht vorhanden war. Wir können sagen, dass Schikaneder in diesem Punkt keine Ausnahme darstellt. In anderem Sinne aber steht die Zahl Drei ebenfalls im Mittelpunkt des Märchens; dann nämlich, wenn man das Aktionsdreieck »Held – Helfer – Gegner« betrachtet. Dieses Dreieck, das die Grundstruktur fast aller Märchen bildet, ist von bedeutender Aussagekraft: »Sofern man den Helden als den gewichtigsten Repräsentanten des Menschen auffassen darf, ist es eine Darstellung der Angewiesenheit jedes Menschen auf Hilfe von außen.« (Max Lüthi) Der Helfer im Märchen ist die Mittlerinstanz zwischen Mensch und Schicksal. Während aber Gottheiten in furchteinflößender oder zumindest ehrfurchtgebietender Weise in die Geschicke der Irdischen einzugreifen pflegen, befindet sich der Helfer eher auf Augenhöhe. Märchenhafte Helfer
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arbeiten dem Menschen zugewandt und der jeweiligen Situation angepasst. Kein theaterdonnernder, allesentscheidender Deus ex machina ist da am Werk, sondern ein gutartiges, bescheidenes Göttlein aus dem Schnürboden. Die Gestalten der drei Knaben hat Schikaneder mit Sicherheit aus der bereits erwähnten Dschinnistan-Sammlung entnommen, worin sich ein Märchen mit dem Titel Die klugen Knaben befindet. Dort heißt es, einer Volkssage gemäß »sollten in einem fernen Reich, drey Knaben wohnen, die ein Zauber in immerwährender Kindheit erhielte, die aber ihrer Weisheit wegen, die klugen Knaben genennt, und von den Einwohnern des Landes, in allen wichtigen Angelegenheiten um Rath gefragt würden.« Diese Knaben sucht der Held des Märchens, ein armer Ziegenhirt, auf, um von ihnen zu erfahren, wie er seine Liebste befreien könne, die ein böser Wüterich und Zauberer ihm geraubt hat. Wie die Knäblein in der Oper Tamino zurufen: »Sei standhaft, duldsam und verschwiegen«, raten auch jene des Märchens dem Ziegenhirten, zum Zauberer zu gehen, und fügen hinzu: »Sey standhaft, erdulde gelassen, alles was dir dabey begegnen wird, und hüte dich einen Laut von dir hören zu lassen!« Die Feuer- und die Wasserprobe, die Tamino zu absolvieren hat, sind dann allerdings, gelinde gesagt, ein Klacks gegen die Misshandlungen und Verstümmelungen, die der arme Ziegenhirt über sich ergehen lassen muss. Nichtsdestotrotz bleibt auch er standhaft, duldsam und verschwiegen und wird damit belohnt, dass kurz vor seinem Dahinscheiden die drei klugen Knaben »auf einer weissen glänzenden Wolke« vorüberschweben: Sie heilen den Helden, der daraufhin den
Wüterich erschlägt und seine Liebste heiratet. In Lulu oder Die Zauberflöte, einem anderen Märchen aus derselben Sammlung, das der Oper gleichfalls als Vorlage diente, schickt eine Fee den Prinzen aus, ihre Tochter, wiederum aus den Händen eines Zauberers, zu retten und schenkt ihm dazu erstens eine Flöte und zweitens einen Ring, der im Gefahrenfalle »ein fliegender Bothe wird, der mich zur Hülfe ruft«. Den Rest müsse dann aber des Prinzen eigene Klugheit richten. Die erste systematische Untersuchung über Helferfiguren im Zaubermärchen stammt von dem russischen Märchenforscher Vladimir Propp. In seiner Abhandlung Morphologie des Märchens von 1928 unternimmt er eine strukturalistische Analyse mehrerer hundert Märchen und entwickelt daraus eine Art Märchen-Grammatik, derzufolge die unterschiedlichsten Gestalten dieselben Funktionen erfüllen können. Er gibt ein Beispiel: 1. Der Zar gibt dem Burschen einen Adler. Dieser bringt den Burschen in ein anderes Reich. 2. Der Großvater gibt Sutschenko ein Pferd. Das Pferd bringt Sutschenko in ein anderes Reich. 3. Der Zauberer gibt Ivan ein kleines Boot. Das Boot bringt lvan in ein anderes Reich. 4. Die Zarentochter gibt Ivan einen Ring. Die Burschen, die in dem Ring stecken, bringen Ivan in das fremde Zarenreich. Propp stellt fest, dass der Adler, das Pferd, das Boot und der Ring (aus dem die Burschen steigen), so unterschiedlich sie auch sein mögen, doch ein und dasselbe tun, und folgert daraus: »Für die
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Erforschung der Märchen ist daher die Frage primär, was die Märchengestalten tun; die Fragen nach dem wer und wie sind nur noch sekundärer Art.« Dementsprechend bestimmt er verschiedene Instanzen, die, wie Subjekt, Prädikat und Objekt im Satz, jeweils spezifische Funktionen im Märchen innehaben: den Helden, den Gegenspieler, die gesuchte Gestalt, den Sender, den Schenker und den Helfer. So kann man also die Fragen nach den Auftraggebern der drei Knaben in der Zauberflöte getrost hintanstellen. Es lässt sich nicht mit manichäischer Logik herausdividieren, ob sie nun im Dienste der Königin oder des Oberpriesters stehen oder vom einen zum anderen überlaufen, ob sie sich überhaupt stringent oder widersprüchlich verhalten. Es lässt sich aber sehr wohl im Sinne der Märchenlogik festhalten, dass sie ihre Funktion als Helfer für die Helden erfüllen. (Interessanterweise erwähnt Propp noch, dass Lebewesen, Gegenstände oder Eigenschaften gleichermaßen die Helfer-Funktion erfüllen können. Er schlägt aber vor, übernatürliche Wesen als »Helfer«, Gegenstände und Eigenschaften dagegen als »Zaubermittel« zu bezeichnen. Dies würde erneut die Annahme stützen, dass die Knaben, strukturell gesehen, auf derselben Stufe stehen wie Flöte und Glöckchen.)
Folgt man dieser Sicht, dass nicht das »wer und wie« der Märchengestalten, sondern ihr »was« entscheidend ist, also ihre »Bedeutung für den Gang der Handlung«, wäre zu fragen, was die drei Knaben denn nun eigentlich tun. Ergänzend zu dem bereits Gesagten lässt sich feststellen, dass die drei vor allem für die Liebe und für das Leben im Einsatz sind, im Gegensatz zur Königin, die Mord und Rache zetert und ihrer Tochter einen Dolch in die Hand drückt; im Gegensatz nicht minder zu Sarastro, dessen »Weisheitslehre« gegebenenfalls auch den Tod des Prüflings in Kauf nehmen würde. Und einen weiteren Aspekt wirklich menschlichen Lebens vergessen die Knäblein ebensowenig: das sogenannte leibliche Wohl. Bei ihrem zweiten Auftritt bringen sie nicht allein die Zauberdinge zurück, sondern fahren auch zu essen und zu trinken auf. Papagenos Vermutung, dass dies Kostproben aus Sarastros Küche seien, möchte man sich da schwerlich anschließen. Dass sowohl Speise als auch Trank köstlich munden, ist seiner Begeisterung: »Ha! – das ist Götterwein!« allerdings unschwer zu entnehmen. Wenn Tamino sich nur vornehm zurückhält und als Asket gebärdet, ist ihm, pardon, eben nicht zu helfen. Doch immerhin spielt er ja stattdessen auf seiner Flöte ...
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GEORG ZEPPENFELD als SARASTRO SERENA SÁENZ als KÖNIGIN DER NACHT
IMPRESSUM WOLFGANG AMADEUS MOZART
DIE ZAUBERFLÖTE SPIELZEIT 2024/25 P R E M I E R E D E R P R O D U K T I O N : 2 7. J Ä N N E R 2 0 2 5 Herausgeber WIENER STAATSOPER GMBH, Opernring 2, 1010 Wien Direktor DR. BOGDAN ROŠČIĆ Musikdirektor PHILIPPE JORDAN Kaufmännische Geschäftsführerin DR. PETRA BOHUSLAV Redaktion SERGIO MORABITO, ANDREAS LÁNG, OLIVER LÁNG, ADELE BERNHARD Gestaltung & Konzept EXEX Layout & Satz ROBERT KAINZMAYER Lektorat MARTINA PAUL Druck PRINT ALLIANCE HAV PRODUKTIONS GMBH, BAD VÖSLAU TEXTNACHWEISE / ORIGINALBEITRÄGE Sergio Morabito, Die Handlung, Über dieses Programmheft – Oliver Láng, Schlaglichter auf die Zauberflöte – Barbora Horáková, Die mehreren Schlüsse der Zauberflöte – Adele Bernhard, »Ein Weib tut wenig, plaudert viel«. ÜBERNAHMEN Volker Hagedorn, Der Zauberflötenmacher, Die Zeit, 23. August 2012, S. 16 – Gernot Gruber, Schaffensgeschichte und Uraufführung, aus dem Vorwort zur kritischen Ausgabe der Zauberflöte in der Neuen Mozart Ausgabe, S. VII-X – Laurenz Lütteken, Mozarts Publikum, aus: Laurenz Lütteken, Die Zauberflöte. Mozart und der Abschied von der Aufklärung, München 2024, S. 54-62 – Brief Wolfgang Amadeus Mozarts an den Vater, zitiert nach Laurenz Lütteken, Die Zauberflöte. Mozart und der Abschied von der Aufklärung, München 2024, S. 61 – Wolfgang Amadé Mozart, Drei Briefe an Konstanze kommentiert von H. C. Robbins Landon, aus: H. C. Robbins Landon, 1791. Mozarts letztes Jahr, Düsseldorf 1988, S. 175-181 – Gernot Gruber, Macht und Musik, in: Wolfgang Amadeus Mozart: Die Zauberflöte. Programmheft, Wiener Staatsoper, Spielzeit 1999/2000, S. 27-31 – Hermann Wolfgang von Waltershausen, Zur Dramaturgie der Zauberflöte, in: Die Zauberflöte. Texte, Materialien, Kommentare, herausgegeben von Attila Csampai und Dietmar Holland, München 1988, S. 217-224 – Wolf Rosenberg, »In diesen heil’gen Hallen«, aus: Mozarts Rache an Schikaneder, in: Die Zauberflöte. Texte, Materialien, Kommentare, herausgegeben von Attila Csampai und Dietmar Holland, S. 252-255 – Theodor W. Adorno, Über den Fetischcharakter in der Musik und die Regression des Hörens, in: Zeitschrift für Sozialforschung 7, Nr. 3, 1938, S. 324 – Attila Csampai, »Weil ein Schwarzer…« aus: Das Geheimnis der Zauberflöte oder Die Folgen der Aufklärung, in: Die Zauberflöte. Texte, Materialien, Kommentare, herausgegeben von Attila Csampai und Dietmar Holland, S. 14-16 – Heinz Sichrovsky, Im Bann des fürchterlichen Bruders. Die Zauberflöte als Freimaurer-Oper aus: Heinz Sichrovsky, Mozart, Mowgli, Sherlock Holmes. Die königliche Kunst in Musik und Dichtung der Freimaurer, Wien 2013, S. 77-84 – Ute Harbusch, Die drei Knaben. Helfer in Flugbereitschaft, aus: »Drei Knäblein, jung, schön, hold und weise«. Helfer in Flugbereitschaft, in: Wolfgang Amadeus Mozart: Die Zauberflöte. Programmheft, Staatsoper Stuttgart, Spielzeit 2003/2004, S. 86-91. BILDNACHWEISE Coverbild: Shutterstock. Bildkonzept Cover: Martin Conrads, Berlin – Bild S. 41: AKG Images – Alle Szenenbilder: Michael Pöhn/Wiener Staatsoper GmbH.
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