Programmheft »Don Carlo«

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GIUSEPPE VERDI

DON CARLO


INHALT

S.

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DIE HANDLUNG S.

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ÜBER DIESES PROGRAMMBUCH S.

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VERDIS OPUS MAGNUM KIRILL SEREBRENNIKOV & DANIIL ORLOV S.

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EIN WUNDERBARES CRECENDO ÜBER VIER AKTE PHILIPPE JORDAN S.

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DIE ERFOLGREICHSTE ALLER GRAND OPÉRAS URSULA GÜNTHER S.

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KONZIS UND KRAFTVOLL FEDELE D’AMICO S.

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DIE TRUGBILDER DES »CLAIR-OBSCUR« RENÉ LEIBOWITZ S.

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SELBSTZWÄNGE UND UMGANGSETIKETTE NORBERT ELIAS S.

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WAS BEDEUTET FREIHEIT HEUTE? KIRILL SEREBRENNIKOV

S.

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DAS T-SHIRT LARA STEINHÄUSSER S.

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GESCHICHTE UNSERES MODEKONSUMS LARA STEINHÄUSSER S.

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GESPRÄCHE ÜBER ABWESENDE DRITTE JENS-MALTE FISCHER S.

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DIE SPANISCHE INQUISITION LION FEUCHTWANGER S.

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VERDI, DIE KIRCHE UND DON CARLOS GEORGE MARTIN S.

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ÜBERHÖHUNG INS MYSTISCH-PHANTASTISCHE SIEGHART DÖHRING S.

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AUS DEM 11. BRIEF ÜBER DON CARLOS FRIEDRICH SCHILLER S.

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IMPRESSUM


PHILIPP

Kann ich meinen Sohn der Welt opfern, ich, ein Christ? GROSSINQUISITOR

Uns alle zu erlösen opferte Gott den seinen. III. AKT, 1. SZENE


GIUSEPPE VERDI

DON CARLO OPER in vier Akten Text CAMILLE DU LOCLE, ACHILLE DE LAUZIÈRES-THÉMINES & ANGELO ZANARDINI nach FRIEDRICH SCHILLER

ORCHESTERBESETZUNG 3 Flöten (3. auch Piccolo) 2 Oboen (2. auch Englischhorn) 2 Klarinetten 4 Fagotte (4. auch Kontrafagott) 4 Hörner / 2 Trompeten 2 Cornets à piston / 3 Posaunen Ophikleide / Pauken große Trommel / Becken Triangel / Tamtam Glocken in fis und es Harfe / Streicher BÜHNENMUSIK Banda Harmonium oder Orgel Harfe

AUTOGRAPH Verlagsarchiv Ricordi, Mailand URAUFFÜHRUNG 10. JÄNNER 1884 Teatro alla Scala, Mailand WIENER ERSTAUFFÜHRUNG 10. MAI 1932 Wiener Staatsoper SPIELDAUER

3 H 30 MIN

INKL. 1 PAUSE




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DIE HANDLUNG ERSTER AKT 1. BILD Don Carlo, der spanische Thronfolger, ist in Elisabetta von Valois verliebt, der dritten Frau seines Vaters Filippo II., der die einst Carlo versprochene französische Prinzessin selbst geheiratet hat. Im Kloster Saint-Just, am Grab seines Großvaters Carlo V., glaubt Carlo in einem der Mönche dessen Geist zu erkennen. Rodrigo, Marquis von Posa, drängt Carlo zum politischen Eingreifen in Flandern. Carlo gesteht dem Freund seine unglückliche Liebe. Für Posa ist Carlos unhaltbare Situation ein Grund mehr, Spanien zu verlassen, um in Flandern für die Freiheit zu kämpfen. 2. BILD Prinzessin Eboli singt das Lied vom Schleier. Posa spielt Elisabetta ein Schreiben von Carlo zu, in dem dieser um eine Aussprache bittet. Prinzessin Eboli missversteht Posas Andeutungen und glaubt, Carlos unterdrückte Liebe gelte ihr. Elisabetta empfängt Carlo, der zunächst um Unterstützung für seinen Plan bittet, nach Flandern zu gehen; doch schon bald kann Carlo seine Gefühle für Elisabetta nicht mehr beherrschen. Filippo erscheint und trifft Elisabetta ohne Begleitung an. Zur Strafe für diesen Verstoß gegen das Hofzeremoniell entlässt er Elisabettas engste Vertraute, die Gräfin von Aremberg, zurück nach Frankreich. Filippo fordert Posa zu einem vertraulichen Gespräch auf. Posa nutzt diese Gunst, um die Zustände in Flandern zu beklagen und Freiheit für das unterdrückte Volk zu fordern. Filippo ist von der Offenheit Posas beeindruckt, weist seine Forderungen aber zurück und warnt Posa vor dem Großinquisitor. Schließlich bittet er Posa, Elisabetta und Carlo zu beobachten, da er die beiden einer Beziehung verdächtigt. Vorige Seiten ASMIK GRIGORIAN als ELISABETTA JOSHUA GUERRERO als DON CARLO KOMPARSERIE JOSHUA GUERRERO als DON CARLO KOMPARSERIE

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DIE HANDLUNG

ZWEITER AKT 1. BILD Carlo hat die anonyme Einladung zu einem nächtlichen Rendezvous erhalten, die er Elisabetta zuschreibt. Statt ihrer erscheint Prinzessin Eboli. Auch diese begreift ihren Irrtum und dass Carlo nicht sie, sondern die Königin liebt. Posa tritt dazwischen, kann den gefährlichen Verdacht der Eboli aber nicht mehr zerstreuen. Posa drängt Carlo, ihm alle Dokumente auszuhändigen, die auf eine Kollaboration mit der Rebellion in Flandern hindeuten könnten. 2. BILD Während eines festlichen Autodafés tritt Carlo gemeinsam mit Deputierten aus Flandern dem König entgegen, bittet um Freiheit für das Land und um Übertragung der politischen Verantwortung für die Provinzen auf ihn selbst. Als Filippo sich weigert und Carlo die Waffe gegen Filippo erhebt, gibt es niemanden, der diesen verteidigt – bis Posa, zur Verblüffung aller, dazwischentritt und Carlo festnehmen lässt. Die Ketzerverbrennung kann beginnen.

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DIE HANDLUNG

DRITTER AKT 1. BILD Filippo wird von dem Gedanken gequält, dass Elisabetta ihn nie geliebt habe. Er bittet den Großinquisitor zu sich, um über die Zukunft seines Sohnes zu beraten. Der Großinquisitor sichert Filippo Absolution für die Tötung Carlos zu, fordert aber im Gegenzug die Auslieferung Posas an die Inquisition. Elisabetta klagt bei Filippo über den Diebstahl persönlicher Gegenstände. Filippo, dem diese Gegenstände, unter denen sich auch ein Bild Carlos befindet, von Prinzessin Eboli zugespielt wurden, beschuldigt Elisabetta des Ehebruchs; die Situation eskaliert. Prinzessin Eboli gesteht Elisabetta den Diebstahl und offenbart außerdem, Filippos Geliebte zu sein. Elisabetta lässt ihr die Wahl zwischen Exil und Kloster. 2. BILD Posa besucht Carlo im Gefängnis und berichtet, dass er den Verdacht der Kollaboration mit Flandern von Carlo abgewendet und auf sich gezogen habe. Posa wird aus dem Hinterhalt erschossen. Filippo möchte seinen Sohn rehabilitieren, doch dieser verweigert sich. Angeführt von Prinzessin Eboli, stürmt das Volk das Gefängnis, um Carlo zu befreien, aber der gefürchtete Großinquisitor erstickt den Aufstand durch sein Erscheinen.

VIERTER AKT Carlo und Elisabetta nehmen voneinander Abschied. Doch bevor Carlo die Reise nach Flandern antreten kann, um Posas politisches Vermächtnis zu realisieren, werden beide von Filippo und dem Inquisitionsgericht überrascht. Als der Großinquisitor befiehlt, Carlo festzunehmen, erscheint Carlos Großvater Carlo V. und nimmt ihn zu sich ins Grab.

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ÜBER DIESES PROGRAMM- BUCH

Der Don Carlo stellt eine Synthese von Verdis Kunst dar. Die französischsprachige, 1866/67 entstandene und an der Pariser Opéra uraufgeführte Erstfassung war nur der Ausgangspunkt für eine aufwändige Ausarbeitung der Partitur. Sie erstreckte sich über 15 Jahre und fand 1884 mit der vieraktigen italienischsprachigen Fassung ihren Abschluss. Lesen Sie die Nachzeichnung dieser dramaturgischen und kompositorischen Reise durch die Musikwissenschaftlerin Ursula Günther ab S. 19. Verdi trachtete die teilweise als fremdbestimmt wahrgenommene Dramaturgie einer fünfaktigen Grand Opéra, der sein Werk zunächst entsprechen musste, so zu verdichten, dass sie seinem Ideal eines von allem episch-dekorativen Ballast befreiten italienischen Melodramma entsprach. Die Beiträge

des Dirigenten der Neuproduktion Philippe Jordan (S. 14), des Komponisten und Dirigenten René Leibowitz (S. 36) und des Musikkritikers Fedele D’Amico (S. 32) nähern sich aus unterschiedlichen Perspektiven dem stupenden Gelingen von Verdis Partitur, die dem Spätwerk Otello von 1887 stilistisch nähersteht als der Aida von 1871. Kirill Serebrennikov, der für Regie und Ausstattung der Neuproduktion verantwortlich zeichnet, äußert sich in zwei Texten (S. 10 und S. 54) zu seinen Intentionen. Ihn haben die spanischen Hoftrachten des 16. Jahrhunderts zu einem szenischen Diskurs über die Gefangenschaft des menschlichen Körpers damals und heute inspiriert. Lesen Sie zu dieser Erfahrung zivilisatorischer Prozesse auch die Überlegungen des Soziologen Norbert Elias (S. 50).

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ÜBER DIESES PROGRAMMBUCH

Das Thema der historischen Hofmode verknüpft Serebrennikov mit den teilweise dystopischen Textilproduktions, -vermarktungs und -entsorgungsbedingungen heute. Wir danken dem MAK – Museum für angewandte Kunst Wien dafür, dass wir Texte von Lara Steinhäußer und andere Materialien aus der Ausstellung Critical Consumption in dieses Programmbuch übernehmen durften (S. 57). Die Texte des Kulturwissenschaftlers Jens-Malte Fischer (S. 73), und des Opernforschers Sieghart Dühring (S. 92) sowie des Dichters der Dramen-

vorlage des Librettos Friedrich Schiller (S. 97) befassen sich mit dramaturgischen Einzelaspekten des Werks. Die spanische Inquisition steht bis heute für die Schrecken einer von dogmatischen Glaubensgewissheiten angetriebenen, staatlich sanktionierten Gewaltmaschine. Lion Feuchtwanger hat diese historische Institution skizziert (S. 80), der Musik-Essayist George Martin Verdis antiklerikale Haltung aufgefächert, die für seine Gestaltung der Inquisition eine maßgebliche Motivation darstellte (S. 86).

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KIRILL SEREBRENNIKOV & DANIIL ORLOV

VERDIS OPUS MAGNUM Von allen Künsten, welche die Menschheit erfunden hat, ist die Oper die Kunst mit den größten Übertreibungen. Selbst die unhörbare innere Stimme erschallt in ihr wie Donner, und ein geringfügiges seelisches Erlebnis wird zu einer antiken griechischen Tragödie. Verdis Don Carlo, sein opus magnum, ist beispielhaft für eine totale musikalische und philosophische Aussage, eine Art Kodex der Menschlichkeit: Liebe und Eifersucht, Pflichttreue und das Pathos der Rebellion, Vergebung und Freundschaft, Vergessen und Erinnerung werden Teil eines apokalyptischen Dramas über die Macht, das mit enzyklopädischer Gewissenhaftigkeit und psychologischer Authentizität vermittelt wird. Konservatismus und liberale Bestrebungen, weltliche und religiöse Macht, Tyrannei, Demokratie und Autokratie, die Revolte des Volkes und sein demütiger Gehorsam, der Traum von der Erlangung der Herrschaft und der Wunsch, sie zu bewahren – die Oper enthält so viele Themen und Motive, dass die Bühnenzeit bis zur Greifbarkeit verdichtet scheint. Zu den wichtigen und komplexen Duetten zählen nicht nur die Duette zwischen den Liebenden Don Carlos und Elisabeth, sondern auch die beiden Duette

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VERDIS OPUS MAGNUM

ebenso gewichtiger, tiefer Männerstimmen: Philipp– Rodrigo und Philipp–Inquisitor. In diesen psychologisch präzise ausgearbeiteten Szenen geht es um Leidenschaft der anderen Art – die unkontrollierbare Leidenschaft für die Macht, ihre dunkle Seite. Während Philipp im ersten Duett als allmächtiger Tyrann auftritt, entpuppt er sich im zweiten Duett als Marionette in den Händen einer weitaus schrecklicheren und dunkleren Macht. Die Oper Don Carlo beginnt und endet mit einem wichtigen Thema, das umfassender ist als alle anderen Themen, dem Motiv der Zeit und des Vergessens, einer Art verdianischer Vanitas: Wer die ganze Welt in seiner Faust hielt, muss zu Staub werden, und alle, die seinen Platz einnehmen wollten, werden das gleiche Schicksal erleiden.

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KO G PI F UZ S E IP LP EE V E R D I

»POSA IST EIN ANACHRONISMUS, DENN ER VERKÜNDET DIE IDEE DER MENSCHLICHKEIT IM MODERNSTEN SINNE – UND ZWAR ZU ZEITEN PHILIPPS II. WÄRE DIESER EINER ÄHNLICHEN PERSÖNLICHKEIT BEGEGNET, SO HÄTTE ER SIE ZERBROCHEN, ANSTATT DEN RAT ZU GEBEN, SICH VOR SEINEM INQUISITOR ZU HÜTEN.«

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PHILIPPE JORDAN

EIN WUNDERBARES CRESCENDO ÜBER VIER AKTE Obwohl Don Carlo nicht zur trilogia popolare gehört, also zu den drei »Schlagern« Rigoletto, Traviata, Trovatore, wird auch diese Verdi-Oper, insbesondere die italienische Version von 1884, von großen Teilen des Publikums überaus geschätzt. Das hat zwei Gründe: Erstens haben wir es mit einem unglaublich starken Sujet zu tun – Friedrich Schiller war nun einmal ein genialer Dramatiker, und sein Don Karlos, die wesentlichste Vorlage für diese Oper, hat Verdi zwangsläufig zu Höchstleistungen inspiriert. Zweitens sind wir mit der italienischen Version beim schon älteren Verdi angelangt, dem Verdi der Aida und des Requiem. Die Partitur bietet daher nicht nur großartige Melodien und einen Sinn für Dramatik, sondern zusätzlich eine kompositorische Reife, die sich in einer ungeahnten Raffinesse in der Harmonik und Instrumentation ausdrückt. Eine Raffinesse, mit deren Hilfe Verdi meisterhafte Atmosphärenschilderungen und Charakterporträts entwickelt. Das beginnt bereits im ersten Takt: Auf welche Weise lässt Verdi die Düsterkeit des Klosters entstehen? Zunächst Vorige Seite ÉTIENNE DUPUIS als POSA

vermittelt der Klang der vier unisono spielenden Hörner, die die Oper mit einer weitgespannten, langsamen, etwas wehmütigen und zugleich sakralen Melodie eröffnen, eine feierliche, aber fast resignierte, ruhige Erhabenheit in fis-Moll – in einer Tonart also, die von Haus aus etwas Dunkles, Verschattetes ausstrahlt. Verstärkt wird dieser Eindruck vom folgenden, wie aus der Ferne klingenden Choral der Mönche sowie der Spannung, die durch den steten Dur-Moll-Wechsel entsteht, der diesen Beginn durchzieht. Etwas, das übrigens Gustav Mahler später sehr gern einsetzen wird. Die Stimmung scheint jedenfalls zwischen dem Gefühl der Hoffnung und der Verzweiflung unentwegt zu changieren. Wie anders zeichnet Verdi hingegen später, im dritten Akt, eine weitere Düsterkeit, jene des Gefängnisses, in dem Carlo eingekerkert ist und wo er Posa zum letzten Mal trifft. Die sich mehrfach wiederholenden Figuren im kurzen Streichervorspiel und das klagende Oboensolo – eine Reminiszenz an das nämliche Motiv im Rezitativ zur CarloArie – spiegeln das Brüten und Warten

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EIN WUNDERBARES CRESCENDO ÜBER VIER AKTE

des Gefangenen wider, und das fast unbegleitete Rezitativ von Carlo und Posa verstärkt das Gefühl der alles beherrschende Stille. Selbst in der anschließenden Posa-Arie benutzt Verdi, um dieselbe Stimmung aufrechtzuerhalten, eine sparsame Orchestrierung. Die Einsamkeit Philipps in dessen Arie am Beginn des dritten Aktes wird wiederum durch die Einsamkeit des Solocellos symbolisiert, das den Gesang einleitet beziehungsweise begleitet. Ein komplett gegensätzliches Szenario erleben wir in der Gartenszene im ersten Akt, konkret in der Schleier-Arie der Eboli: Die Halbton-Koloraturen in der Kadenz, der wiederholte Wechsel zwischen Dur und der mixolydischen Kirchentonart, vereint mit einem markanten Rhythmus im 6/8-Takt, den wir übrigens auch im Zwischenspiel zum letzten Akt der Carmen vollkommen identisch wiederfinden, ruft unweigerlich den beabsichtigten Eindruck eines spanisch-arabischen Gartenambientes hervor. Und als letztes Beispiel nenne ich noch den Auftritt des Großinquisitors im dritten Akt: Anders als Mozart, der keinen seiner Akteure verurteilt, charakterisiert Verdi den Großinquisitor schon durch seine dogmatisch wirkende Auftrittsmusik als bedrohlichen, eiskalten, mitleidlosen Machtpolitiker, der über Leichen geht: lauter tiefe, dunkle Instrumente, die im punktierten Rhythmus das mühsame Schreiten und Hinken dieses unsympathischen, alten Mannes akustisch veranschaulichen. Schwärzer geht es kaum. Das alles kam natürlich nicht von ungefähr, sondern war das Ergebnis einer schrittweisen Entwicklung. Schrieb der junge Verdi seine Opern noch aus dem Geist der Belcanto-Tradition, in der der Fokus hauptsächlich auf der Gesangs-

stimme lag, wird die Funktion des Orchesters ab Rigoletto aufgewertet. Aus der bloßen »Orchestergitarre« mit den vergleichsweise simplen Begleitfiguren wird ein Mitträger und Kommentator der Handlung, der eine entsprechend größere Dichte und Farbigkeit in der Instrumentation erfordert. Durch seine fruchtbare Auseinandersetzung mit der französischen Grand opéra in der damaligen Musikhauptstadt Paris – zunächst mit Les Vêpres siciliennes 1855 und später mit dem französischen Don Carlos von 1867 – gelang Verdi dann eine weitere Vertiefung seines Kompositionsstils: Nicht nur die Anlage und die Dimension der einzelnen Teile des Stückes wurden deutlich größer, die psychologische Porträtierung der Charaktere wesentlich detaillierter und ausgefeilter, sondern auch der Orchestersatz durch Instrumentenverdopplungen und der Hinzufügung diverser in Italien weniger gebrauchter Instrumente noch reicher und vielfältiger. Hatte Verdi beispielsweise dem Berufskiller Sparafucile im ersten Gespräch mit Rigoletto als Begleitmelodie lediglich einen Solokontrabass und ein Solocello zugedacht (in F-Dur), so verfügt der Großinquisitor in seinem Duett mit König Philipp nicht nur über die gesamte Kontrabass- und Cellogruppe, sondern bekommt zusätzlich auch noch ein Fagott, Kontrafagott, Posaunen, Pauken, Große Trommel und eine Bassklarinette – und alles in einem dramatischbedrohlichen f-Moll. Überhaupt scheint Verdi im Don Carlos die Molltonarten neu für sich entdeckt zu haben. In seinen früheren Werken erklingen selbst dramatische, tragische Szenen oft in Dur – man denke nur an Macbeths Schlussarie. Hier im Don Carlos ist es geradezu erstaunlich, wie viel vor allem Carlo und Elisabeth in Moll zu singen haben.

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PHILIPPE JORDAN

Ein anderes, typisches Ergebnis aus den Pariser Erfahrungen ist das große Autodafé, in dem eine Massenhinrichtung als gewaltiges, propagandistisches Spektakel inszeniert wird: Solch ausladende, opulente Szenen mit zahlreichen Solisten, Chor und Statisten, großem Orchester und in diesem Fall zusätzlich mit einer Banda, also einer Bühnenmusik, waren für die Grand opéra obligat und führten im Falle von Verdi verständlicherweise zu einer kompositorischen und musikdramaturgischen Höchstleistung. Und als letztes Beispiel noch ein weiterer interessanter Aspekt, der in den frühen und mittleren Opern Verdis undenkbar wäre: dass die Titelfigur, von einer kurzen Arie abgesehen, nur in Ensembles vorkommt. Ich finde das für eine entwickeltere Musikdramaturgie durchaus bezeichnend. Da ist ein junger Mann, ein verzweifelnd Liebender, der zwar nominell als Thronfolger gehandelt wird, aber in den großen Fragen der Politik und Religion vollkommen bedeutungslos ist, ohne jede Macht, ohne jeden Einfluss. Sein Charakter ist geradezu unerheblich, seine Tragik vollkommen privater Natur, geschildert wird er immer nur in Konstellation mit den anderen. Er wird benutzt, ignoriert, in Situationen hineinmanövriert, denen er nicht gewachsen ist. Trotzdem oder gerade deshalb ist er auf eine gewisse Weise das Zentrum, um das sich alles dreht. Es ist also sehr stimmig, dass das Werk einerseits nach ihm benannt ist und er trotzdem nur ziemlich am Beginn diese für den Tenor herausfordernde Arie bekommt, mit der er positioniert wird: Denn gerade durch diese wird auch durch die Musik von Anfang an klargestellt, dass er niemals das Heft in der Hand hat und haben wird. Eine wei-

tere Arie ist nicht nötig, man hat seine ausweglose, beklagenswerte Situation verstanden und diese wird im Laufe der Handlung immer neu bestätigt. Im französischen Don Carlos wächst Verdi also aus seinem mittleren Stil in einen Grand opéra-Stil hinein, der schon den reifen Verdi erahnen lässt. Allerdings ist er hier noch deutlich französisch-formalistisch, wie es die damaligen Anforderungskriterien und Gepflogenheiten der Grand opéra eben erforderten. Nicht zuletzt im eröffnenden Fontainebleau-Akt, während der ersten Annäherung von Don Carlos und Elisabeth, hört man zahlreiche Punktierungen, Doppelpunktierungen, Triller, vieles im 4/4-Takt und/ oder marschmäßig, aber alles überaus elegant gezeichnet. Kurz gesagt: eine bewusste Betonung des Zeremoniellen, des Hofzeremoniells. Und was unterscheidet nun den französischen Don Carlos vom italienischen Don Carlo? Das sieht man beispielhaft am zentralen Duett Posa-Philipp, in dem es ja um nichts weniger als um die Gedankenfreiheit geht. Erleben wir in der französischen Version an dieser Stelle letztlich ein höchst intellektuelles Gespräch, hört man in der italienischen Fassung, insbesondere an jener Stelle, an der Posa von der furchtbaren Lage in Flandern berichtet, eine Dramatik à la Otello, voller Chromatik, ungewohnten Harmoniken und Kontrapunktik im Orchester. Bei Don Carlos ist die Tiefe eher durch den französischen Text gegeben, der weniger opernhaft als abstrakt-kühl wirkt, wie in einem Schauspiel. Im Don Carlo mit der musikalischeren und emotionaleren italienischen Sprache erleben wir hingegen eine vom Zeremoniellen befreite, viel höhere

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EIN WUNDERBARES CRESCENDO ÜBER VIER AKTE

Intensitätstemperatur. Alles ist kompakter, geraffter, experimenteller – Verdis Erfahrungen aus Forza del destino und Aida sind in dieser Partitur schon etabliert. Mein Herz schlägt jedenfalls für die vieraktige, in Mailand erstaufgeführte Fassung. Sicher ist die französische Uraufführungsversion in sich einheitlicher und konsequenter – so stoßen wir mitten im reiferen, italienischen Don Carlo auf einige ausladenden Relikte der Ursprungsversion, die – so großartig sie auch sind – etwas aus der neuen Gesamtdisposition herausfallen. Etwa Elisabeths, wie ein monumentales Triptychon angelegte Arie im letzten Akt. Und auch die Häufung von Nummern im 4/4-Takt, die nicht auf eins, sondern ungewöhnlich als auftaktige Melodie, ohne vorbereitende Orchestereinleitung zu Beginn des Taktes, auf der dritten Viertel beginnen – Beispiele wären die Carlo-Arie am Beginn »Io la vidi«, Posas »Per me

giunto« und im Grunde auch Philipps »Ah, si maledetto« und das Thema des Großinquisitors, dürften Reste der Ursprungsversion sein, da im Französischen die Betonung des Wortes oft auf der Endsilbe liegt. Trotzdem wirkt die Stückdramaturgie im italienischen Don Carlo ausgeglichener, zumal in der vieraktigen Fassung, die nicht im Wald von Fontainebleau sondern erst im Kloster beginnt: Erstens ergibt sich dadurch ein schönerer Bogen vom Anfang zum Schluss hin, der ja ebenfalls im Kloster spielt, und zweitens rückt das effektvolle Autodafé und die Szene mit dem Großinquisitor in die Mitte der Handlung, wodurch der Aufbau an Ebenmäßigkeit gewinnt und wir ein wunderbares Crescendo vom ersten Akt bis zum hochdramatischen Finale erleben, in dem sich der atmosphärische rote Faden der Todessehnsucht noch deutlicher ausnehmen lässt.

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URSULA GÜNTHER

DIE ERFOLGREICHSTE ALLER GRAND OPÉRAS Don Carlos, zur Weltausstellung von 1867 komponiert, ist in vielerlei Hinsicht ein ungewöhnliches Werk, vielleicht Verdis großartigstes und sicherlich sein ehrgeizigstes, wollte er doch damit auch in Paris endlich jenen Triumph erfechten, der ihm mit Jérusalem (1847), Les Vêpres siciliennes (1855) und dem umgearbeiteten Macbeth (1865) nicht vergönnt gewesen war. Don Carlos übertrifft alle anderen Opern Verdis an Vielschichtigkeit der Handlung, durch den Umfang der dafür komponierten Musik (etwa so viel wie Trovatore und Traviata zusammen) und durch die Fülle des erhalten gebliebenen Materials: ein Autograph von 1867 (Pariser Bibliotheque Nationale), zwei Teilautographe von 1872 und 1883 (Archiv Ricordi, Mailand), Arbeitslibretti in verschiedenen Stadien und Briefe aus dem Nachlass des Komponisten (Sant’ Agata), Dokumente und Briefe aus den Pariser Archives Nationales und der Opéra, die auch die Kopie des Autographs (mit letzten Änderungen), Ballettskizzen, eine unvollendete Szene für den Titelhelden und das Material für Chor, Orchester, Solisten, Dirigenten ÈVE-MAUD HUBEAUX als EBOLI KOMPARSERIE

und Ballettmeister der Uraufführung (11. März 1867) besitzt. All dies ermöglicht, die Umformungen und Striche während der Pariser Probenzeit von 1866/67 ebenso zu verfolgen, wie die Änderung im Duett Philipp-Posa von 1872 (für Neapel und daher auf italienischen Text komponiert) und die grundlegende, große Revision von 1882/83, bei der der erste Akt gestrichen und lange Abschnitte der Akte II bis V neu komponiert wurden. Die Handlung, die sich vornehmlich auf Schillers dramatisches Gedicht Don Carlos von 1805 stützt, ist komplexer als bei Verdi üblich. Sie zeichnet die ganze Skala menschlicher Gefühle und Leidenschaften vom Sublimsten bis zum Niedrigsten auf einem historisierenden Hintergrund derart nach, dass intimste menschliche Regungen und Probleme mit überzeitlichen, politischen und religiösen Ambitionen aufs Engste verknüpft werden. Mit Don Carlos wollte Verdi zweifelsohne die Großen Opern Meyerbeers in den Schatten stellen. Aber er übertraf auch deren Länge, was zu organisatorischen Komplikationen führte, die schon vor der Premiere und

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URSULA GÜNTHER

auch kurz darauf einschneidende, überhastete Kürzungen auslösten. Damit das Publikum noch die letzten Bahnen in die Pariser Vororte erreichen konnte, musste Verdi unmittelbar vor der Uraufführung 20 Minuten Musik streichen. Dieser Kürzung fiel vor allem der ursprüngliche Anfang zum Opfer, eine musikalisch beeindruckende Szene, die dem Publikum die politischen und psychologischen Hintergründe des späteren Konflikts deutlich vor Augen führt und verständlich macht, warum Elisabeth trotz ihrer Liebe zu Carlos um des Friedensschlusses willen in eine Heirat mit dessen Vater Philipp einwilligt. Hinsichtlich des Kassenerfolges blieb Don Carlos allerdings weit hinter Meyerbeers Triumphen zurück. Man hatte in acht Monaten zwar 270 Proben absolviert, aber dennoch – oder gerade deswegen – nur eine Inszenierung erreicht, die Verdi selbst als »senza sangue ed agghiacciata« bezeichnete, die also frostig und ohne Saft und Kraft gewesen sein muss. Sie verschwand nach weiteren acht Monaten und 43 in Routine erstarrten Aufführungen für fast ein Jahrhundert aus dem Repertoire der Opéra, um schließlich in italienischer Übersetzung dorthin zurückzukehren. Der Grund für das Vergessen der französischen Ursprünge des Werkes lag wohl hauptsächlich am durchschlagenden Erfolg, den der Dirigent Mariani mit einer italienisch gesungenen Aufführung in Bologna (am 27. Oktober 1867) nach einmonatiger Probenzeit erreichen konnte. Allerdings eigneten sich nur wenige Bühnen Italiens für die großen Dimensionen des Don Carlos. Auch stand der offenkundige Antiklerikalismus des Werkes seiner Verbreitung im Wege. 1868 wurde es in Rom beispielsweise so aufgeführt, dass alle An-

spielungen an die Inquisition eliminiert waren: Aus dem Chor der Mönche, die die von der Inquisition verurteilten Ketzer zum Scheiterhaufen führen sollen, wurde ein »Coro di nobili«, aus dem Großinquisitor »II Gran Cancelliere«. Längst hat sich im Rückblick über mehr als ein Jahrhundert herausgestellt, dass der Don Carlos die international erfolgreichste aller je für Paris komponierten Großen Opern ist. Seinerzeit in Paris urteilte man jedoch anders, offenbar weil Verdis Stil dem seiner französischen Zeitgenossen so weit vorausgeeilt war, dass er auch von guten Musikern nicht verstanden wurde. Bizet etwa schrieb: »Ich bin erschöpft, zerschlagen. Verdi ist nicht mehr italienisch; er will sich wie Wagner gebärden... Er hat seine Fehler nicht mehr, aber auch nicht mehr eine einzige seiner Qualitäten. Er will einen [anspruchsvollen] Stil schreiben und schreibt nichts als Anmaßungen. Das ist zum Davonlaufen – ein vollkommener Schuss in den Ofen... Vor allem das Publikum ist wütend! Die Künstler verzeihen ihm vielleicht einen unglücklichen Versuch, der letzten Endes zugunsten seines Geschmacks und seiner künstlerischen Rechtschaffenheit spricht. Aber das gute Publikum war gekommen, um sich zu amüsieren… « Heute scheint es uns fast unglaublich, dass in vielen Kritiken von 1867 von Wagners oder von deutschen Einflüssen die Rede ist. Sogar der von Ernani und Trovatore begeisterte VerdiAnhänger Alexis Azevedo klagte in L’Opinion Nationale: »Aber ein fataler Nordwind hat über diese italienischen Blumen geblasen. Ein germanischer Nebel ist gekommen, um sie einzuhüllen, und sie einhüllend, hat er ihre leuchtenden Farben getrübt und ihre einst so klaren und gut gefestigten For-

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DIE ERFOLGREICHSTE ALLER GRAND OPÉRAS

men deformiert. Der vage und eisige Redegesang hat fast überall den Platz der lebhaften und warmen Melodie usurpiert.« Lediglich Theophile Gautier verteidigte Verdis »Quasi-Conversion« gegen alle Vorwürfe mit dem Argument, Verdi habe verstanden, dass ein Werk, das in der Zukunft leben solle, durch die neuesten Formen der Kunst inspiriert sein müsse. Verdis Reaktion auf die Pariser Kritiken zeigt, dass er in seiner letzten französischen Grand opéra eine konsequente Weiterentwicklung von künstlerischen Intentionen sah, die er bereits in viel früheren Werken angestrebt und verwirklicht hatte, etwa im Terzett des Ernani und in der Schlafwandel-Szene des Macbeth. Da Verdi sich erst ab 1869/70 intensiver mit Wagner beschäftigt hat und zuvor nur die Tannhäuser-Ouvertüre gehört hatte, die er »matto« fand, wäre es absurd, ihm bereits 1867 eine – wenn auch vielleicht nur unbewusste – Orientierung an Wagners Stilmitteln zuzuschreiben. Die meisten Anregungen, die Verdi seit seinem ersten längeren Paris-Aufenthalt von 1847–49 aufgegriffen und in die eigene Sprache umgemünzt hatte, kamen von der Grand opéra und insbesondere von Meyerbeer, dessen Werke Verdi gut kannte und hochschätzte. In Robert le Diable sah er eine bewundernswerte Verbindung des Phantastischen mit dem Wahren in der Art Shakespeares. Auch Les Huguenots hielt er für wahres Theater. Insbesondere die Akte II und IV fand er »stupendo« – wundervoll. Noch größer jedoch schien ihm die dramatische Kraft des Prophète, vor allem in der Kirchenszene, in der Fidès von ihrem Sohn, dem falschen Propheten der Wiedertäufer, gezwungen wird, ihn zu verleugnen.

Seit seinen Erfahrungen mit Jérusalem (einer Umformung der Lombardi alla prima crociata) wusste Verdi, wie wichtig die Mise en scène für den bleibenden Erfolg eines Werkes sein kann, das heißt für die in Paris besonders üppigen Einnahmen. Seine Korrespondenz mit Eugène Scribe über Les Vêpres siciliennes, sein zweites französisches Werk, zeigt aber ebenso deutlich, dass er die »Wunder«, die Meyerbeer vollbrachte, vor allem den originellen, grandiosen und gleichzeitig leidenschaftlichen Situationen der Libretti zuschrieb. Luis Véron, der bahnbrechende Entrepreneur der Pariser Oper in den frühen 30er Jahren, veröffentlichte 1854 im dritten Band der Mémoires d’un Bourgeois de Paris seine Erfolgsrezepte: »Eine Oper in fünf Akten kann nur leben mit einer sehr dramatischen Handlung, welche die großen Leidenschaften des menschlichen Herzens und mächtige historische Interessen ins Spiel bringt; diese dramatische Handlung muss jedoch mit den Augen verstanden werden können wie die Handlung eines Balletts; die Chöre müssen dabei eine leidenschaftliche Rolle spielen und sozusagen eine der interessanten Personen des Stückes sein. Jeder Akt muss Kontraste der Dekorationen, Kostüme und geschickt vorbereiteter Situationen darbieten.« Ein Triumph in Paris, für den in Italien damals bereits dominierenden, allseits verehrten Verdi ebenso erstrebenswertes Ziel wie für viele Komponisten vor ihm – für die Italiener von Lully über Cherubini, Spontini und Rossini bis zu Donizetti wie für die Deutschen von Gluck bis Meyerbeer und Wagner –, dieser Triumph war ihm bisher nicht gelungen. Aber er hatte sehr wohl erkannt, von welchen außermusikalischen Komponenten ein durchschlagender

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URSULA GÜNTHER

Erfolg in Paris abhing. Dies zeigt seine Korrespondenz mit dem Operndirektor Emile Perrin. 1864 lehnte Verdi Scribes Libretto Judith ab mit der Bemerkung: »Wenn ich eines Tages für die Opéra schreiben sollte, so nur über eine Dichtung, die mich ganz befriedigt und vor allem stark beeindruckt.« Was genau damit gemeint war, zeigte sich deutlich im Juli 1865. Damals brachte der französische Verleger Léon Escudier neben Vorschlägen für eine Phaidre und einen Roi Lear auch zwei Arbeiten von Méry und du Locle mit nach Sant’Agata, nämlich das Libretto einer Cleopâtre und ein Prosa-Szenario zu Don Carlos. Der erst 32-jährige Camille du Locle war der Schwiegersohn des Operndirektors Perrin und arbeitete offenbar gerne mit dem literarisch versierten Joseph Méry (geb. 1798) zusammen. Was Verdi schon nach wenigen Tagen entschied, notierte Escudier für Perrin auf Französisch. Der Don Carlos betreffende Abschnitt lautet: »Großartiges Drama. Zu wenig Inszenierungseffekte. Man muss ein oder zwei große Szenen finden, die einen unvorhersehbaren und grandiosen Eindruck in Bezug auf das Schauspiel bieten, jedoch mit dem Drama verkettet sind. Man muss ein Duett zwischen Posa und Philipp hinzufügen, wie es bei Schiller vorhanden ist. Dem Inquisitor jenen Charakter verleihen, den ihm Schiller gibt. Verdi möchte ihn blind und begleitet von zwei Mönchen; der Szene Schillers folgen, bevor man die Ratgeber, Höflinge usw. eintreten lässt. Es gibt dort ein Zwiegespräch, eine kurze Szene, aber mächtig und von großer Tragweite. Sehr gut ist die Erscheinung Karls V. und der erste Akt.« Offenbar kannte Verdi Schillers Werk sehr genau und hatte daher sogleich Szenen vermisst, die für ein tie-

feres Verständnis der Problematik des Sujets wesentlich sind. Er fühlte sich aber andererseits in keiner Weise durch Schiller gebunden, sondern nahm begeistert jene Ergänzungen auf, die von den Librettisten bereits vorgesehen waren, ja, wünschte sich noch mehr theatralische Überraschungen. Dass die Franzosen an erhebliche Abweichungen von der Darstellung Schillers gewöhnt waren, liegt an den zahlreichen Bearbeitungen, die der legendenartige Stoff des Don Carlos erfahren hatte. Schillers Hauptquellen, die Memoiren von Pierre de Bourdeille von 1589 und des Abbé de Saint-Réal Histoire de Dom Carlos von 1691, stützen sich auf historisch inkorrekte, in politischer Absicht verzerrte Berichte des Prinzen Wilhelm von Oranien (1581) und des 1591 geflohenen Staatssekretärs Philipps II., Antonio Perez, die in Frankreich wie in England offene Ohren gefunden hatten. Die erfundene Liebesgeschichte des Prinzen zu seiner schönen Stiefmutter im pseudohistorischen Roman Saint-Réals inspirierte viele Bühnendichter. Thomas Otway und Vittorio Alfieri etwa hatten das Sujet schon vor Schiller behandelt. Dessen verschiedene Fassungen des Dom Karlos, Infant von Spanien erfuhren seit 1799 mehrere Übersetzungen ins Französische. Diese wiederum haben Stücke von Marie-Joseph Chénier, Alexandre Soumet und Eugène Cormon beeinflusst. Edmond Eggli hat (in seinem zweibändigen Werk Schiller et le Romantisme Français, Paris 1927) darauf hingewiesen, dass Stendhal schon 1804 an eine dreiaktige Oper Don Carlos dachte, in der man den abscheulichen Tyrannen Philipp und das Liebespaar inmitten der schönsten Feste sehen könne, »behindert durch den Pomp,

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der sie umgibt. Ich würde die Menschen trösten, nicht König zu sein, indem ich ihnen zeigte, wie oft deren Größe sie behindert. Dieser Aspekt der Liebe der Könige ist neu. Das Stück würde im Grunde den republikanischen Prinzipien entsprechen und einen umso besseren Effekt hervorrufen, weil Worte wie Vaterland, Tugend, etc. nicht ausgesprochen würden.« Mme de Staëls De L’Allemagne von 1813 pries das Jugendwerk Schillers als eine »Komposition ersten Ranges« mit den Worten: »Das Sujet des Don Carlos ist eines der dramatischsten, die die Geschichte bieten kann. Eine junge Prinzessin, Tochter Heinrichs II., verlässt Frankreich und den glänzenden, ritterlichen Hof ihres königlichen Vaters, um sich mit einem alten Tyrannen zu vermählen, der dermaßen düster und ernst war, dass der eigentliche Charakter der Spanier durch seine Herrschaft verändert wurde und die Nation noch lange Zeit den Stempel ihres Meisters trug. Don Carlos, zuvor mit Elisabeth verlobt, liebt sie noch, obwohl sie seine Stiefmutter geworden ist. Die Reformation und die Revolte der Niederlande, diese großen politischen Ereignisse, verbinden sich mit der tragischen Katastrophe der Verurteilung des Sohnes durch den Vater; das individuelle und das öffentliche Interesse sind in dieser Tragödie im höchsten Grade vereinigt.« Mme de Staël gibt später noch einen versteckten Hinweis auf das napoleonische Aufführungsverbot für die erste französische Bearbeitung von Schillers Stück, den Philippe II von Chénier (1801). Er durfte offenbar wegen seines Antiklerikalismus und Liberalismus nicht gespielt werden und konnte erst postum 1828 gedruckt werden, als auch Alexandre Soumets Elisabeth de France

gespielt und veröffentlicht wurde. Die Librettisten von Verdis Don Carlos könnten durch diese Werke zur Erscheinung Karls V. im zweiten und im letzten Akt der Oper inspiriert worden sein. Chénier wie Soumet behandeln nämlich ausführlich die enge Bindung des spanischen Thronfolgers an seinen Großvater und Taufpaten, den er Vater zu nennen pflegte und der im Kloster zu San Yuste verstorben war, wo er nach seiner Abdankung als Mönch gelebt hatte. Bei Schiller dagegen wird der in Mönchsgestalt durch die königliche Burg wandelnde »abgeschiedene Geist des Kaisers« nur im fünften Akt erwähnt, weil Karl hofft, in dieser Verkleidung seine Stiefmutter Elisabeth aufsuchen zu können. Während bei Schiller der Infant durch Posa im Zimmer der Eboli verhaftet wird, geschieht dies in der Oper wie bei Soumet auf Befehl Philipps vor allen Höflingen, nachdem Don Carlos für die unterdrückten Flamen eingetreten ist und gegen seinen Vater das Schwert gezogen hat, weil dieser ihm die Regentschaft über Flandern und Brabant verweigert. Der Einfluss Soumets lässt sich auch durch zahlreiche parallele Formulierungen und durch die Übernahme der Alarmglocke zu Beginn des Aufstands belegen. Wie Marc Clémeur zeigen konnte, sind weitere Handlungselemente der Oper, die bei Schiller nicht vorkommen, Eugène Cormons Philippe II von 1846 entnommen worden. Dies gilt für das unerwartete Einschreiten des Großinquisitors, der den Aufruhr der Volksmassen in Sekunden erstickt, wie auch für das Autodafé, das bei Cormon allerdings hinter der Szene stattfindet und nur vom Fenster aus beobachtet und geschildert wird. Soumet hatte es

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dagegen bereits gewagt, einen von Philipp zu Feuer und Eisen verurteilten Geistlichen nach der Tortur wieder auf der Bühne erscheinen zu lassen. Die Librettisten Méry und du Locle haben sich nachweislich am historischen Autodafé orientiert, das am 21. Mai 1559 im Beisein des erst 14-jährigen Don Carlos in Valladolid stattfand und bei dem vierzehn Ketzer verbrannt worden waren, einer sogar lebendigen Leibes. In den anderen Dingen nahmen sie es mit der historischen Treue ebenso wenig genau wie Schiller und Cormon, denn der Don Carlos der Geschichte war ein erblich schwer belasteter, bizarrer Schwachkopf, für Regierungsgeschäfte offenkundig untauglich, zudem hässlich und grausam, wie aus Berichten ausländischer Gesandter hervorgeht. Philipp war kein alter Mann, als er Elisabeth 1560 zu seiner dritten Gemahlin machte, sondern erst 33 Jahre alt. Der Escorial, in der Oper in Philipps Monolog erwähnt, war noch nicht einmal geplant. Elisabeth und Don Carlos, die als Kinder verlobt worden waren, begegneten einander erst als 15-jährige bei der Hochzeit Philipps und dem damit verbundenen Autodafé in Toledo. In Cormons Prolog jedoch, betitelt L’Étudiant d’Alcala, verlieben sich beide bereits am Hofe Heinrichs II. von Frankreich. In der sommerlichen Szene überreicht ein Gärtner Elisabeth einen Blumenstrauß des Studenten, der sich ihr dann als Verlobter zu erkennen gibt und seine Liebe bekennt. Die Parallele zum ersten Akt von Verdis Oper liegt auf der Hand. Kein Zweifel, Verdi war mit dem Libretto des ersten Aktes zufrieden. Zehn Wochen brauchte er, um es in Paris zu vertonen. Gleichzeitig wurde das Libretto der Akte II bis IV seinen Wünschen entsprechend überarbeitet, ab

Mitte Februar nur noch von du Locle, denn Méry war schwer erkrankt und starb am 17. Juni 1866. Von Ende März bis Mitte Juli komponierte Verdi in der Abgeschiedenheit seines Hauses in Sant’Agata (nahe Parma), diesmal unter seinen üblichen Halsschmerzen besonders leidend, denn er fand die Art des Werkes »sommamente difficile« – höchst schwierig. Escudier ließ er wissen: »Die Szene zwischen dem König und Posa hat mich die Lunge aushusten lassen. Und es gibt noch mehr Szenen von dieser Sorte!« Der Text des letzten Aktes, von du Locle nachgeschickt, befriedigte ihn nicht. Er wollte die sublime, hohe Konzeption Schillers nicht durch eine vulgäre Liebeserklärung und Theatereffekte »entpoetisieren« (dépoétiser). So entwarf er selbst auf Französisch einen kürzeren Schluss mit einem Choeur d’Inquisiteurs vor der überraschenden Erscheinung Karls V. Gleichzeitig bestellte er bei du Locle die Übersetzung einer Ergänzung für das Duett Elisabeth–Eboli. Er hatte die Musik – aus einer schon während der Proben gestrichenen Passage – bereits auf einen selbst formulierten italienischen Text komponiert, dessen Akzente und Rhythmen er zu respektieren bat. Am 4. Juli hatte Verdi endlich die Skizzen zum vierten Akt fertig und brach – gemeinsam mit seiner Frau Giuseppina – nach Genua auf, wo er mit der Partitur begann. Nach einem vergeblichen Versuch, seinen Vertrag mit der Opéra, der ihm immerhin 40.000 Francs zusicherte, wegen der politischen Spannungen zwischen Frankreich und Italien zu lösen, traf das Ehepaar Verdi am 24. Juli in Paris ein. Der Komponist übergab Perrin die unvollständige Partitur der Akte I bis III, spä-

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ter auch Akt IV, damit das Probenmaterial für Solisten und Chöre hergestellt werden konnte. Am 11. August begann Verdi die Proben mit den Künstlern und Korrepetitoren, aber schon am 18. reisten die Verdis in die Pyrenäen, nach Cauterets, wo der Komponist sich Akt V widmete, allerdings mit Verzögerung, denn er hatte Text und Skizzen in Paris liegenlassen. Ab Mitte September nahm Verdi wieder regelmäßig an den Proben teil, hatte aber manchen Ärger mit seinen Solisten: Der junge Tenor Morère war der anspruchsvollen Titelrolle so wenig gewachsen, dass Verdi zur Erleichterung seines Parts vieles änderte. Der Anfang des letzten Aktes zum Beispiel, ursprünglich für Don Carlos komponiert, wurde zu einer viel längeren Szene für Elisabeth (Mme Sass) umgeformt, offenbar auch, weil diese über die umfangreichen Transpositionen und Änderungen verärgert war, die Verdi für ihre Rivalin, Mme Gueymard (Eboli) vorgenommen hatte. Ein Teil des Duetts beider Primadonnen, nämlich das Bekenntnis Ebolis, die Mätresse des Königs zu sein, wurde gestrichen. Dies geschah teils wohl aus Rücksicht auf den Hof und die bürgerliche Moral, teils weil Mme Gueymard während der Probenzeit erkrankte und ihr Double eine kleinere Stimme hatte. Für die Rolle des Großinquisitors musste Verdi sich schließlich mit einem Sänger zweiter Klasse begnügen, denn M. Belval, ein erster Bass, beneidete seinen Kollegen Obin um die Rolle des Königs und ließ es deswegen sogar zu einem Prozess kommen. M. Faure, der Marquis de Posa, erfüllte zwar die in ihn gesetzten Hoffnungen, empfand es aber offenbar als Zumutung, nach seiner Sterbeszene noch einen langen Klagegesang sowie die anschließende

Aufstandsszene liegend erdulden zu müssen. Die großartige Klage um den ermordeten Posa, die Verdi später in veränderter Form im Lacrymosa seines Requiems verwendet hat, wurde ganz gestrichen, die Aufstandsszene gekürzt. Beides geschah nicht zuletzt wohl auch aus Rücksicht auf die Stimmprobleme des M. Morère, der einen ganzen Monat pausieren musste, und auf die wenig überzeugend vorgetragenen Chöre. Das Gesamtergebnis dieser Schlussszene muss bei der Premiere aber so unbefriedigend gewesen sein, dass Verdi nachgab und den Akt fortan mit dem Tode Posas enden ließ. Das umfangreiche Ballett, das Verdi erst Mitte Februar 1867 beendet hatte, wurde dagegen noch erweitert und umgeformt. Statt eines ursprünglich vorgesehenen Korallengotts (Dieu Korail) gibt es eine Königin der Gewässer (Reine des Eaux), und als schönste Perle, die ein Page Philipps II. im Indischen Ozean für seinen König gesucht hat, erscheint nicht Elisabeth, sondern Eboli, die zuvor ja mit der des Balles überdrüssigen Königin die Kleidung getauscht hatte. Der Name des Balletts, La Pérégrina, spielt zugleich auf das kostbare Schmuckstück gleichen Namens an, das lange nach Philipp II. auch Napoleon III. besessen hatte. 1869, als Verdi fest entschlossen war, niemals wieder für die Pariser »grande boutique« zu schreiben, bekannte er seinem Freund Camille du Loc!e, dass unter den Produktionsbedingungen der Opera niemals eine »opera di getto«, ein Werk aus einem Guss, entstehen könne, sondern immer nur ein Mosaik – und sei es auch noch so schön. Sogar in Rossinis französischen Opern glaubte Verdi, die fatale Atmosphäre der Opéra zu spüren, eine Atmosphäre von Zwei-

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feln, von vorzeitig geäußerter, bissiger Kritik und einseitigen Geschmacksurteilen. Dies könne auch den genialsten Komponisten in seinen Überzeugungen schwächen und ihn veranlassen, seine Arbeit zu ändern oder, besser gesagt, zu verderben. In Italien respektiere man das Werk und den Autor und lasse das Publikum entscheiden. »Im Foyer der Opéra dagegen flüstert man nach vier Akkorden überall »Oh, ce n’est pas bon... c’est commun... ce n’est pas de bon goût... ça n’ira pas à Paris...« Was bedeuten denn diese armseligen Worte wie commun… wie bon goût... wie Paris…, wenn man vor einem Kunstwerk steht, das universal sein muss!« Anlass für eine große Revision waren zwei Anfragen aus Wien, wo der Don Carlos nur in wesentlich kürzerer Fassung akzeptiert worden wäre. Die erste von 1875 blieb ohne Folgen. Verdi wusste, dass eine Verkürzung mit befriedigendem Ergebnis weitgehende Änderungen des Librettos nötig machen würde. Dafür wäre er auf die Mitarbeit du Locles angewiesen, der die Rechte am Text besaß. Die langjährige Freundschaft der Verdis zu dem um 20 Jahre Jüngeren und dessen Frau war jedoch zerbrochen – unheilbar, wie es schien. Der Grund lag in finanziellen Auseinandersetzungen. Im Kriegsjahr 1870 hatte Verdi das erste Drittel seines Aida-Honorars nicht selbst in Paris in Empfang nehmen können, sondern seinen Librettisten beauftragt, dafür italienische Anleihen zu kaufen und sie treuhänderisch zu verwalten. Als du Locle kurz darauf Geld benötigte – er hatte die Direktion der Opera Comique übernommen –, bat er Verdi um die Erlaubnis, die Wertpapiere zeitweilig als Sicherheit für einen persönlichen Kredit verpfänden

zu dürfen. Großzügig stimmte Verdi zu, aber 1875 musste er erkennen, dass du Locle seine wahre Lage verschleiert hatte und zahlungsunfähig geworden war. Ein quälender gerichtlicher Prozess war die Folge. Erst 1882, auf die zweite Wiener Anfrage hin, fand sich ein Ausweg durch Vermittlung von Charles-Louis-Étienne Truinet, der sich als Archivar der Opera und als Literat Charles Nuitter nannte. Dass es ohne diesen engen Freund du Locles vermutlich nie zu einer Revision des Don Carlos gekommen wäre, wissen wir durch den Briefwechsel Verdi–Nuitter–du Locle. Nuitter, der bei der Korrespondenz von Juni 1882 bis Februar 1883 nur die Rolle des Vermittlers spielte, hat die an ihn gerichteten Briefe des Komponisten und die ihm von du Locle aus Rom übermittelten Verse sorgsam verwahrt. Dem Briefwechsel ist zu entnehmen, warum Verdi einzelne Teile seiner Oper neu komponierte, auch ohne dadurch in jedem Fall eine Kürzung zu erreichen. Er setzte das Messer nicht nur an, um Teile zu entfernen, die nicht mit Schillers Konzeption übereinstimmten, sondern er eliminierte auch Passagen, deren Musik ihm schwach oder »nicht gelungen« erschien. Besonders dem Duett Philipp– Posa, das er als Durcheinander (»imbroglio«), als »schwarzen Punkt« (»punto nero«) empfand, wollte er eine neue Form geben und sich so selbst zwingen, die Musik neu zu schreiben. Den von ihm gewünschten Text dieser Szene notierte Verdi Wort für Wort selbst mit Hilfe einer Schiller-Übersetzung. In ähnlicher Weise führte das erneute Anknüpfen an den Wortlaut Schillers dazu, dass auch Ebolis volles Schuldbekenntnis wieder in die Oper aufgenommen wurde. Aus dem ersten Akt rettete Verdi nur die Romanze des Don Carlos,

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die – zusammen mit dem Erinnerungsmotiv aus dem Duett – leicht verändert mit der neuen Version des alten II. Aktes verknüpft wurde. Vom Thema jener Romanze ist das neue Vorspiel zum dritten Akt abgeleitet, welches die Kleidertauschszene mit anschließendem Ballett ersetzt. Das Quartett im vierten Akt wurde ohne jegliche Änderungen am Text musikalisch bedeutend verbessert. In der voraufgehenden Szene zwischen Königin und König hat Verdi das »dumme Cantabile« der Elisabeth durch eine energischere Passage ersetzt, die theatralisch weitaus wirksamer ist. Auch den Aufstand nach dem Mord an Posa komponierte Verdi in kürzerer Fassung von neuem, denn sonst hätten die Worte Ebolis »Un jour me reste! Je le sauverai!« (»Ein Tag bleibt mir! Ich werde ihn retten!«) keinen Sinn. Der Schluss des letzten Aktes wurde weitgehend neu konzipiert, diesmal ohne den Chor der Inquisitoren. Doch die Erscheinung Karls V. blieb erstaunlicherweise erhalten, obwohl Verdi sie 1882 ebenfalls als »punto nero« bezeichnet hatte. Du Locle war es gelungen, alle Skrupel Verdis hinsichtlich der historischen Unwahrheiten in Schillers Drama zu zerstreuen und den großen dramatischen Effekt der ursprünglichen Fassung zu retten. Die 1882/83 neu komponierte Musik, etwa ein Drittel der vieraktigen Fassung, steht an Ausdruckskraft und dramatischer Intensität dem Otello näher als der Aida, zeigt Verdi also auf dem Höhepunkt seiner künstlerischen Fähigkeiten. Dennoch stammen die

eindrucksvollsten Szenen des Musikdramas schon von 1866. Das Autodafé, meisterhaft verknüpft mit dem dramatischen Zusammenprall von Vater und Sohn, ist weit mehr als ein Schau- und Prunkstück der Grand opéra. Die mystische Stimme vom Himmel, die während der Ketzerverbrennung erklingt, muss ebenso als Ausdruck der tiefreligiösen Grundhaltung des Komponisten gewertet werden wie die irrealen Erscheinungen Karls V. und die Chöre der Mönche, die an die Vergänglichkeit alles Irdischen erinnern. Wie bei Schiller geht die nachhaltigste Wirkung aber vom Monolog des einsamen, ungeliebten und von Eifersucht gequälten Monarchen aus. Diese lyrisch-dramatische Szene zeugt von einer selten wieder erreichten Kunst psychologisierender Charakterdarstellung durch die Musik. Auf gleicher Höhe steht die Auseinandersetzung des höchsten weltlichen Herrschers mit dem blinden Vertreter des katholischen Dogmas, dem greisen und für menschliche Empfindungen unzugänglichen Großinquisitor, dessen unerbittliche Forderungen den König in die Knie zwingen. Mit der klanglichen Realisierung dieser Szenen sind Verdi Bilder von unvergesslicher Stärke und innerer Wahrheit gelungen. Dass Verdi mit der Revision zufrieden war, obwohl die historischen Unwahrheiten nicht beseitigt worden waren, ist einem Brief an seinen Verleger Giulio Ricordi zu entnehmen, in dem es unter anderem heißt: »Mir missfällt diese Erscheinung des alten Kaisers nicht.«

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F E DE L E D ’A M IC O

KONZIS UND KRAFTVOLL Warum haben wir uns bei unserer Aufführung für die vieraktige Version entschieden, nicht für die fünfaktige, der in letzter Zeit nicht wenige den Vorzug gegeben haben? Vor allem, weil dies – nach Meinung desjenigen, der in diesem Sinne entschieden hat – Verdis eigener Haltung entspricht; in einem Brief, den er nach Fertigstellung der kürzeren Fassung am 15. März 1883 an den Grafen Arrivabene schrieb, ist zu lesen: »Der D. Carlos ist nun auf vier Akte reduziert und wird bequemer aufzuführen aber, wie ich glaube, auch besser im künstlerischen Sinne sein. Konziser und kraftvoller.« Und in einem Folgebrief an denselben Adressaten, nach erfolgter Aufführung an der Scala: »Die gemachten Striche«, also die Beseitigung des 1. Aktes, »beschädigen das musikalische Drama nicht, im Gegenteil, in dem sie es kürzen, gestalten sie es lebendiger.« (29. Jänner 1884). Es ist zutreffend, dass zwei Jahre später die fünfaktige italienische Fassung erschien (die alle Neuerungen der Vierakt-Fassung beibehielt). Gleichwohl kann man sie nicht zwangsläufig als Verdis »letzten Willen« betrachten. Bereits das Fehlen eines Belegs dafür, dass diese Fassung auf seine Initiative hin erschienen ist, legt eher die Annahme nahe, dass er sich ihr lediglich nicht verweigerte, im Sinne eines schlichten Entgegenkommens, sodass derjenige, der sie bevorzugt, sich ihrer bedienen möge. Noch beredter aber ist der Umstand, dass diese Fassung in Modena erstaufgeführt wurde, also in einem Provinztheater, nicht einmal in Gegenwart des Autors und ohne besondere Öffentlichkeitsmaßnahmen. Und soweit uns bekannt ist, ist sie zu Verdis Lebzeiten (also weitere

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fünfzehn Jahre lang) nicht mehr aufgeführt worden. Sie kam erst 1910 am Teatro Costanzi in Rom unter dem Dirigat Pietro Mascagnis wieder auf die Bühne. Das wichtigste Argument bleibt jedoch, dass die Version von 1883/84 in der Tat jene Vorteile besitzt, die Verdi in den beiden Briefen dargelegt hat. Natürlich um einen gewissen Preis: Der 1. Akt enthielt schöne Passagen, die – neben anderen weniger bedeutenden – verloren sind. Und es ist ebenfalls richtig, dass zu diesen Passagen auch die Begegnung der beiden einander versprochenen Carlo und Elisabetta gehört, die auch ein musikalisches Thema enthält, das im letzten Akt als Reminiszenz wiederkehrt. Aber unvergleichlich bewegender noch sind in diesem letzten Akt die musikalischen Reminiszenzen an die folgende Begegnung, als Elisabetta bereits Königin ist, dank der ihnen eigentümlichen expressiven Intensität. Und noch ein weiterer dramaturgischer Rückbezug, den die Fünfakt-Version erheblich abschwächt, tritt in der Vierakt-Fassung leuchtend hervor: Die Wiederkehr jenes Materials am Ende der Oper, das nach Eliminierung des Fontainebleau-Aktes auch ihr Beginn ist: die Szene des Mönches, der an beiden Stellen denselben Gesang mit denselben Worten anstimmt, und sich beim zweiten Mal – melodramatischer Coup de théâtre par excellence (und der bei Schiller auch nicht zu finden ist) – als Geist oder Reinkarnation Karls V. zu erkennen gibt; während das Thema, das der Chor zu Beginn wie ein unterdrücktes Memento mori psalmodierte, nun – wie aus einer Gruft hervorbrechend und nach Rache rufend – im Orchester explodiert.

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RENÉ LEIBOWITZ

DON CARLOS ODER DIE TRUGBILDER DES »CLAIR- OBSCUR« Die Musik zu Don Carlos, so teilt uns Theophile Gautier mit, habe das Publikum erstaunt. Ihm zufolge rührte diese Überraschung daher, dass die Partitur eine »kraftvolle Schlichtheit« und neue Elemente enthalte, an die das Publikum nicht gewöhnt war. Gautier geht weiter und vermittelt uns Genaueres, wenn er von einer »außergewöhnlichen Entwicklung der harmonischen Mittel, von ausgesuchten Klangfarben und von neuen melodischen Formen« spricht. Wie weit trifft dies zu und was heißt das genau? Es wäre nicht gerecht, die Intelligenz oder die Intuition, oder gar die Kenntnisse einer der eher seltenen scharfsinnigen Kommentare über die Uraufführung von Don Carlos in Frage zu stellen. Aber ich sehe mich genötigt, ein wenig die Grundgedanken des Problems richtigzustellen. In der Tat sind diese sehr komplex und mehr-

deutig, denn wenn es keinen Zweifel darüber geben kann, dass Don Carlos wirklich gewisse neue klangliche Ausdrucksmittel einführt, so finden sich diese auf vollkommen logische und »normale« Art vorgeformt oder zumindest vorbereitet, d.h. ganz einfach, der Entwicklung Verdis angemessen und eingeschrieben. Konsequenterweise ist es ebenso absurd, sich über die Neuheiten der Partitur überrascht zu zeigen wie eben nicht überrascht zu sein. Es ist klar, dass die Überraschung nur aus einer gewissen Verkennung der tieferen Qualität der dem Don Carlos vorausgehenden Werken herrühren kann. Zur Zeit der Uraufführung ist eine solche Verkennung vielleicht erklärlich – und ließe sich sogar rechtfertigen. Unglücklicherweise aber hat sich die Fehleinschätzung bis in unsere Tage hinein erhalten, und wenn sie Theophile Gautier auch zu verzeihen

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DON CARLOS ODER DIE TRUGBILDER DE S »CL A IR- OB SCU R«

ist, so scheint sie mir doch eigentlich bei gewissen zeitgenössischen Exegeten unangemessen. Einer von ihnen, Pierre Petit (der nicht der einzige ist), liefert uns eine »Analyse« von Don Carlos, die mir so verblüffend scheint, dass wir uns einige Augenblicke bei den Problemen, die sie aufwirft, aufhalten wollen. »Endlich leidet dieser Don Carlos [...] an einem grundlegenden Übel, das darin besteht, dass Verdi dort auf gewisse Art seine ersten Waffen als ›moderner Harmoniker‹ schmiedet [...] Unglücklicherweise läuft imDon Carlos alles dergestalt ab, als entstünde die Melodie nach einem harmonischen Gerüst, als ob Verdi sie mehr oder weniger aus diesem Letzteren abgeleitet hätte. Diese neue Haltung der melodischen Linie gegenüber nötigt Verdi offensichtlich zu einer seiner Natur widrigen Anstrengung. Die »Umwandlung des Dampfes«, das sie voraussetzt – und das für die folgenden Werke endgültig erreicht sein wird –, ereignet sich genau im Don Carlos. Die harmonische Sorgfalt ist immer da, kommt aber nicht immer sehr gut aus mit dem melodischen Schwung, der Verdi weiterhin ganz natürlich beseelt. Manchmal geschieht das Wunder und der Bogen der gesungenen Phrase scheint sich einen spontanen Schwung zu bewahren. Man spürt aber doch die meiste Zeit allzu deutlich, dass sich Verdi von dem harmonischen Reichtum, den er erreichen will, einengen lässt. Noch bevor die Melodie sich entfalten kann, wird sie von einer unangebrachten Last neuer Klänge eines bis dahin doch ziemlich direkten Komponisten erdrückt. Wir wollen hoffen, dass Verdi schnell seine souveräne Leichtigkeit wiederfinden wird. [...] Don Carlos hat ihm in gewisser Weise als Versuchs-

bank für eine Formel gedient, die er sich noch endgültig aneignen wird.« Was versteht Herr Petit genau unter einem «modernen Harmoniker«? Ich nehme an, dass da ein Bezug besteht zu dieser »Umwandlung des Dampfes«, von der die Rede ist. Ich gebe dennoch zu, dies nicht zu verstehen. Die Melodien von Don Carlos scheinen mir in ihrer Gesamtheit ebenso schön und »spontan« wie diejenigen aller anderen Opern Verdis. Herr Pierre Petit gesteht diese Qualitäten aber lediglich gewissen Seiten der Partitur zu; dennoch enthält diese für alle Hauptpersonen eine oder mehrere Melodien, die zu den schönsten zählen, die unser Komponist je geschrieben hat. Ich kenne auch keine Stellen in der Partitur, bei denen die »harmonische Sorgfalt« schlecht auskommt mit dem »melodischen Schwung«, wo die Melodie »nach dem harmonischen Gerüst« entstehen würde etc., etc. Ich sehe auch nicht, wie man Verdi als »zu eingeengt von diesem harmonischen Reichtum« empfinden kann. Der harmonische Reichtum –offensichtlich unleugbar – bildet genau einen der faszinierenden Aspekte der Partitur, aber fern davon, dass die Melodie »unter einer unangebrachten Last neuer Klänge erdrückt« würde, eröffnet diese Harmonie und diese Klanglichkeit musikalische Perspektiven, die Don Carlos zu einem der leidenschaftlichsten Werke des ganzen Opernrepertoires machen. Dass Verdi im Verlauf seiner ganzen Karriere Fortschritte gemacht hat, und dies auf allen Ebenen der musikalischen Komposition, versteht sich von selbst (und dieselbe Binsenwahrheit trifft auf alle großen Meister unserer Kunst zu), – aber warum Don Carlos zum »Aushängeschild« einer Wende im

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Hinblick auf die Harmonie und »Klangfülle« erheben – wo diese Partitur keinen grundlegenden Unterschied darstellt zu den früheren Werken? Und dennoch haben die Kommentatoren von Verdi, die in Don Carlos eine Art Spezialfall (und sogar das Aushängeschild einer Wende} sehen, nicht unrecht. Wenn sie dem Irrtum verfallen, die speziellen Eigenarten des Werkes gewissen Kleinigkeiten zuzuschreiben, »fühlen sie doch richtig«, sobald ihre Kommentare miteinbeziehen, dass in dieser Partitur eine neue lyrisch-musi-

Oper von Verdi; wir haben just jenes »verrückte« Projekt vor uns, welches aus unserem Werk das einzigartige (und völlig sinnvolle) Ereignis macht, von dem man weder in den späteren Werken Verdis noch bei irgend einem anderen Komponisten eine wirkliche Weiterführung vorfinden wird. Dies ist es, was es jetzt zu verstehen gilt. Es ist beinahe unmöglich, auch nur annähernd eine Idee von den Reichtümern zu geben, die in der Partitur von Don Carlos enthalten sind. Wir denken dennoch, dass eine zusammenfassende Analyse be-

kalische Dialektik existiert. Aber dieser »Schritt vorwärts« ist nicht allein ein »vollendeter lyrischer Erfolg« oder eine »Versuchsbank« für eine Formel, die er sich endgültig aneignen wird. So würde es sich in Don Carlos allenfalls um eine Art Vorbereitung auf die drei letzten Werke (Aida, Otello und Falstaff ) unseres Komponisten handeln. Ganz im Gegenteil aber ist das Vorhaben von Don Carlos selbst einzigartig in seiner Art. Es finden sich hier sehr spezielle Bestrebungen – und in gewissem Sinn höhere als in irgendeiner anderen

stimmter Seiten den wesentlichen Sinn hervorheben wird. Das erste Bild des 1. Aktes (der vieraktigen Fassung) – das lediglich etwas weniger als eine Viertelstunde dauert – führt eine Menge musikalischer und dramatischer Ereignisse ein: Den Chor der Mönche, über den sich die Arie des zusammengesunkenen Mönchs vor dem Grab von Karl V. erhebt; die Begegnung von Don Carlos mit dem Mönch (an dessen Stimme Don Carlos den verstorbenen Herrscher zu erkennen glaubt) und endlich die Ankunft von

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DON CARLOS ODER DIE TRUGBILDER DE S »CL A IR- OB SCU R«

Rodrigo und das Duett der beiden Protagonisten. Halten wir fest, dass dieses Duett seinerseits durch die Ankunft von Philipp II. und von Elisabeth, die unter den Mönchen auftauchen – es ist wieder eine einfache Pantomime, aber wie dramatisch intensiv durch die Vielfalt der Gefühle, die sie bei den verschiedenen Personen auslöst! –, und andererseits auch durch einen neuen Unterbruch der Mönche gegliedert wird. Endlich schließt das Bild mit einem Freundschafts- und Freiheitspakt, der Don Carlos und Rodrigo verbindet. Wieder schafft das »clair-obscur« eine gespenstische Atmosphäre, die das gesamte Bild umfasst, und es ist der Mühe wert, ein Stück der ersten Szene zu zitieren, deren harmonische und orchestrale Struktur den zwielichtigen Zustand am einleuchtendsten wiedergibt. Beispiel 1 zitiert das Ende des ersten Abschnittes des Chores der Mönche. Das harmonische »clair-obscur« ist vollkommen deutlich durch die konstante Abwechslung von Moll (»Dunkel«) und von

Dur (»Hell«) in den vier ersten Takten. Diese Wirkung – mit einer entwaffnenden, aber sehr wirksamen Einfachheit – findet sich in der Instrumentierung der Dur-Akkorde des zweiten und vierten Taktes wieder: Das Fis im Bass wird von drei Hörnern und dem zweiten Fagott unisono gespielt, während das erste Fagott solo das ais spielt. Die Terz im tiefen Register erhält so eine dunkle Farbe, während das hohe Register »klar« instrumentiert ist. Das oktavierte Cis wird von der zweiten Oboe und der ersten Flöte gespielt, während das Fis von der ersten Oboe und der zweiten Flöte unisono gespielt wird. Das zweite Bild des 1. Aktes ist das längste Bild des gesamten Werkes (seine Dauer beträgt ungefähr vierzig Minuten). Es ist auch das einzige, das sich am hellen Tag abspielt, aber am Ende herrscht doch wieder eine dämmrige Atmosphäre. Ein kurzes Präludium, bei dem man an Carmen von Bizet erinnert wird, führt die Gesellschaftsdamen der Königin ein, schließlich singt die Prin-

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zessin Eboli das Schleierlied (auch hier scheint eine gewisse Verwandtschaft zu Carmen deutlich durch). Eine neue Szene schließt direkt an. Elisabeth tritt aus dem Kloster heraus, Rodrigo nähert sich und übergibt Elisabeth einen Brief von Don Carlos. Um der Königin die Gelegenheit zu bieten, den Brief zu lesen, beschäftigt sich Rodrigo mit Eboli und verwickelt sie in ein frivoles Gespräch. Verdi ist hier eine seiner vollkommensten und subtilsten »psychologischen Ensembles« gelungen. Auf einer ostinato-Figur der ersten Geigen von seltener Eleganz (und geeignet, auf wundersame Weise die frivole Gang-

art des Gesprächs zu übersetzten), entwickelt sich ein Dialog zwischen Eboli und Rodrigo, die über ein Unisono der Geigen Fragmente der Hauptmelodie (Beispiel 2a) singen. Elisabeth dagegen ist wehrlos ihrer starken Leidenschaft preisgegeben. Ihre Einwürfe teilt sie in à parts mit. Sie singt zuerst lediglich im parlando, auf der Basis einer einzigen Note. Jedes Mal, wenn sie später zum wirklichen Gesang übergeht, bleibt ihre Melodie vollkommenen unabhängig von der Hauptmelodie (Beispiel 2b). Wir haben es hier also noch einmal mit einem Effekt des »clair-obscur« zu tun, der sich

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in der polyphonen Konzeption des Stückes niederschlägt. Die Handlung setzt sich fort mit der Romanze des Rodrigo, der die große

nen Nummern, und die verschiedenen Einschnitte und Wechsel werden immer durch harmonisches Fortschreiten zusammengehalten, das einfach und

Szene und das Duett von Elisabeth und Don Carlos folgt. Das Auftreten Philipps II., der die Gräfin von Aremberg verbannt (da sie in ihrer Rolle als Ehrendame versagt hat), schafft eine dramatische Zäsur, auf die die melancholische Romanze Elisabeths folgt (die das Weggehen der Gräfin beweint). Sie wird von Rodrigo, Philipp und dem Chor begleitet. Das Bild schließt mit der großen Szene und dem Duett zwischen Rodrigo und Philipp. Es ist interessant, was den architektonischen Entwurf dieses weiten und komplexen Bildes betrifft, zu sehen, dass Verdi hier (wie übrigens fast immer im Verlauf des Werkes) gewisse strukturelle Muster benutzt, die an diejenigen in Euryanthe von Carl Maria von Weber erinnern. Die Verwandtschaft von Don Carlos mit der deutschen Romantik wird hier besonders deutlich. In der Tat vermeidet Verdi jeglichen wirklichen Bruch zwischen den einzel-

logisch die Verknüpfung eines Stückes mit dem nächsten herstellt. So steht z. B. das Vorspiel in h-Moll, der Chor der Damen in H-Dur. Mit den Einwürfen von Eboli beginnt aber eine Modulation nach A-Dur, der Tonart des Schleierliedes. Die kleine Szene, die dem Terzett vorangeht, beginnt in derselben Tonart, wobei die Zäsur zwischen den zwei Stücken lediglich durch ein kurzes Schweigen und vor allem durch den Gegensatz von Stil, Rhythmus, Tempo und durch die Intensität der Orchestrierung erfolgt (Beispiel 3). Das ganze Orchester nimmt im fortissimo am »Ergebnis« des Liedes teil, während lediglich die Streicher – pianissimo – den Beginn der folgenden Szene vernehmen lassen. Diese, die von Anfang an das G der Violen und Violoncelli zu Gehör bringt (Takt 5 unseres Beispiels), bereitet so die Tonart D-Dur vor, in der sich das Terzett entwickeln wird. Die Zäsur zwischen diesem Stück und der

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RENÉ LEIBOWITZ

folgenden Szene (dem Auftritt von Don Carlos) folgt einem noch subtileren Verfahren, das demjenigen der vorangehenden Zäsur ähnlich ist. Kurzes Schweigen, Rhythmus-, Tempo-, Intensitäts- und lnstrumentationswechsel, das Ganze gestützt auf eine harmonisch komplettere Weiterentwicklung (Beispiel 4).

ersten Szene erzielt, was sich in der Folge bestätigt. Währenddessen steht der letzte Teil des Duetts wieder in EsDur. Die Tonika dient als Dominante zu As-Dur, mit dem die folgende Szene durch den Auftritt Philipps eingeleitet wird. Diese neue Tonart (Klangfarbe) verwandelt sich ganz selbstverständ-

Angemerkt sei, dass die Piano-Schattierung des ganzen Endes des Terzetts durch den einzigen Schlussakkord widerlegt wird, und dass dieser ausreicht, den Gegensatz zum folgenden Piano zu schaffen. Des Weiteren sind es vor allem die Streicher, die die Hauptrolle während des gesamten Terzetts übernehmen, während die folgenden Szenen durch die charakteristischen Oktaven der Holzbläser (erste Flöte und erste Oboe in der oberen Oktave, erste Klarinette mit erstem Fagott in der tieferen) geprägt werden. Harmonisch gesehen ist der Kontrast extrem, da man ohne Übergang von D-Dur zu Es-Dur gelangt. Immerhin enthüllt sich die Logik dieser Entwicklung dadurch, dass das große Duett zwischen Elisabeth und Carlos in d-Moll beginnt und eine neapolitanische Wirkung zur

lich in seine Moll-Variante (f-Moll), in der die Romanze Elisabeths beginnt. Die Zäsur vollzieht sich nochmals nach dem uns schon vertrauten Muster (Beispiel 5a). Die Romanze wird in F-Dur fortgesetzt. Sie kehrt für einen Moment nach f-Moll zurück und endet wieder in F-Dur. Es folgt die große Szene und das Duett zwischen Rodrigo und Philipp, die das Bild beschließen. Der Übergang geschieht auf subtile Art: Nachdem die Romanze auf dem Tonika-Dreiklang von F-Dur geendet hat, setzt der Einwurf von Philipp mit den Tönen F–A ein, von denen das A als Mediante von F gesehen, sich in die erste Stufe bzw. den ersten Grundton von a-Moll verwandelt (Beispiel 5b). Die Fortsetzung des Stückes ist komplex. Die Tonart a-Moll geht über in A-Dur, das seinerseits als Dominante

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DON CARLOS ODER DIE TRUGBILDER DE S »CL A IR- OB SCU R«

für d-Moll dient (genau gesagt ist dies der Beginn des Duetts). Eine kühne Modulation von außerordentlicher Heftigkeit nach B-Dur unterstreicht den dramatischen Moment der Auflehnung von Rodrigo (Beispiel 6a). Der Sekundakkord auf cis muss enharmonisch als 5/6-Akkord zu der VI. Stufe von B betrachtet werden, eine Funktion, die es so ganz selbstverständlich erlaubt, die Dominante dieser Tonart einzuführen (siehe den 4/6-Akkord auf der ersten Stufe, Beispiel 6b). A-Moll (in dieser Tonart hatte das »Finale« des Bildes begonnen) bestätigt sich noch einmal, um sich gänzlich zu rechtfertigen. Schließlich endet das Duett in den Tonarten von f-Moll und F-Dur, wodurch die tonale Einheit des ganzen zweiten Teils des Bildes gewährleistet ist. Wir müssen weiter durch die Partitur gehen, um eine möglichst vollständige Idee ihrer Komplexität, ihrer wesentlichen Charakteristika zu gewinnen. Der 2. Akt teilt sich in zwei ziemlich kurze Bilder: Das erste dauert etwas weniger als eine Viertelstunde, das zweite kommt nicht auf zwanzig Minuten. Nach Heben des Vorhangs hören wir das Duett zwischen Don Carlos und Eboli (die als Elisabeth verkleidet ist), und das Bild schließt mit dem

Terzett zwischen Don Carlos, Eboli und Rodrigo. All dies ist von relativ einfacher Struktur, aber von außergewöhnlicher Konzentration. Der musikalische Charakter trifft bewundernswert die nächtliche Stimmung dieses so entscheidenden dramatischen Moments. Das Terzett stellt abermals das wunderbare Beispiel eines »psychologischen Ganzen« dar. Festzuhalten ist, dass in einem mächtigen Orchesternachspiel das Thema des Freundschaftspakts zwischen Don Carlos und Rodrigo zitiert wird, das wir im ersten Bild des ersten Aktes gehört hatten. Obwohl es ebenfalls von relativ kleinen Dimensionen ist, weist das zweite Bild des dritten Aktes der Form nach eine monumentale und außerordentlich komplexe Struktur auf. Ohne Zweifel sind wir mit dem sogenannten Autodafé auf dem Gipfel des Dramas angelangt – und Verdi zögert nicht, extremste und mächtige Vorgänge in Angriff zu nehmen. Sie entspringen ganz seinen Ausdrucksmitteln. Und es bedürfte einer gesonderten Studie, um diese Seiten der Partitur zu analysieren. Sie bilden eine der großen und gelungensten Massenszenen des Opernrepertoires überhaupt. Geben wir uns zufrieden mit der Feststellung, dass, nachdem ein dramatischer Kulminationspunkt erreicht wor-

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RENÉ LEIBOWITZ

den ist, mittels einer polyphonen Kompositionsweise von seltener Intensität (an der Elisabeth, Tebaldo, Don Carlos, Rodrigo, die sechs flandrischen Deputierten, sechs Mönche und der Chor des Volkes teilnehmen), das Tableau mit einem As-Dur-Akkord, getragen von allen Personen, zu enden scheint. Aber es gelingt Verdi (durch seine Titelgestalt) eine total unerwartete Episode einzuschalten, die der Coda vorangeht und die die dramatische Intensität noch steigert. Das wütende Eingreifen von Don Carlos, der sein Schwert gegen den Vater zückt, die erschreckten oder entrüsteten Interventionen der anderen Personen, das kurze heftige Eingreifen von Rodrigo (»A me il ferro!«), der sich anschickt seinen Freund zu entwaffnen, dies alles treibt das Drama auf einen neuen Höhepunkt von Wut und Verbitterung. Wiederum ertönt das Freundschaftsthema, während Don Carlos sein Schwert erstaunt Rodrigo hinstreckt. Zum ersten Mal verliert ihr gemeinsames Thema seinen triumphierenden Charakter, findet sich mit dem feinsten Piano vorgetragen (Beispiel 7). Damit sind wir schon in der Coda, die Ketzerverbrennung wird vorbereitet. Eine Variante der Fanfaren, mit denen das Bild seinen Ausgang nahm, führt zur Heftigkeit des Beginns zurück. Da erhebt sich plötzlich die Stimme vom Himmel, gestützt von Harfe und Harmo-

nium (die als Bühnenmusik fungieren, das Orchester im Graben interveniert nur zurückhaltend und sporadisch). Die Flammen des Scheiterhaufens lodern auf; die verschiedenen Chorgruppen, die flandrischen Deputierten, Mönche, Volk und Philipp II. verschmelzen mit der Engelsstimme und der Vorhang fällt – bei vollem Tageslicht. Zwei Bilder formen den 3. Akt. Das erste enthält vier gewichtige musikalische Nummern, die alle, eine wie die andere, erstaunlich sind: Einleitung und Arie des Philipp, die Szene zwischen Philipp und dem Großinquisitor, die Szene und das Quartett Elisabeth, Eboli, Rodrigo, Philipp und die Szene zwischen Elisabeth und Eboli sowie die Arie der Eboli. Die große Einleitung zur PhilippArie ist eine der reichsten und gewagtesten Musiken (melodisch wie harmonisch), die Verdi je geschrieben hat. Die folgende Arie ist mit vollem Recht nicht nur eines der berühmtesten Stücke des Werkes, sondern auch das Lieblingsstück aller Bassisten der Welt, wenn ich das so sagen darf. Ebenso wie diese Arie bildet das darauffolgende Stück, die Szene zwischen Philipp und dem Großinquisitor, eine Art Paradigma einer opernhaften dramatischen Situation par excellence. Dieser blinde Greis von neunzig Jahren, den man auf die Bühne kommen sieht, erfüllt den

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DON CARLOS ODER DIE TRUGBILDER DE S »CL A IR- OB SCU R«

szenischen Raum sofort mit einer Atmosphäre des Terrors. Halten wir fest, dass dieser ganze erste Teil des Bildes sich in einem Zwielicht abspielt, an den Grenzen von Nacht und Tag. Der Tag beginnt erst während Philipps Arie anzubrechen, und man würde gut damit fahren, die folgende Szene nicht zu sehr aufzuhellen, um im Hinblick auf den mu­sikalischen Text eine kongruente Wirkung zu erzielen. In der Tat entwickelt sich dieses Zwiegespräch zweier

sehr zärtlichen und zurückhaltenden Ton, alle singen für sich, keiner weiß und muss wissen, was die anderen sagen. Erst am Ende wird der musikalisch-dramatische Ton parallel mit der bildlichen Aufhellung außerordentlich brillant. Dies passiert in dem Moment, als Eboli Elisabeth für ihren Verrat um Verzeihung bittet. Die Szene gipfelt in der berühmten Arie der Eboli »O don fatale«, die ebenfalls eines der großen Glanzstücke des Opern-Repertoires ist.

Bässe (das nicht zufällig an jenes von Rigoletto und Sparafucile erinnert – es steht in derselben Tonart!) aus einem »Bass-Thema« (Beispiel 8): Seine Orchestrierung ist von großer Düsternis (festzuhalten ist die Verwendung des Kontrabasses in der unteren Oktave, der Violoncelli und Fagotte im Unisono). Auf dramatische Weise Iegt die Szene, die uns beschäftigt, den Schwerpunkt auf die inneren Konflikte der Personen. Im Quartett nun erreicht diese Psychologisierung ihren höchsten Grad. Gleichzeitig aber bemerken wir, dass Verdi in diesem Stück die subtilsten Effekte des »clair-obscur« erreicht. Nach einer heftigen Szene zwischen den Ehegatten Elisabeth und Philipp, an dessen Ende Elisabeth ohnmächtig wird, beginnt das Quartett in einem

Das zweite Bild des 3. Aktes ist wesentlich kürzer. Es dauert ungefähr eine Viertelstunde und besteht nur aus einem einzigen Stück: dem Tod Rodrigos, gefolgt von der Erhebung des Volkes. Wir befinden uns in einem dunklen unterirdischen Gewölbe, in dem Don Carlos eingesperrt ist. Rodrigo erscheint. Er weiß, dass er sterben wird. Einem dialogisierenden Rezitativ zwischen den beiden, das einzig von den Streichinstrumenten begleitet wird, folgt ein kurzes Arioso von Rodrigo. Da eröffnet ein mit einem Gewehr bewaffneter Mann das Feuer auf Rodrigo und verletzt ihn tödlich. In einem wunderbaren, sehr kurzen Arioso – es besteht lediglich aus acht Takten – fleht Rodrigo Don Carlos an, sich des flandrischen Volkes anzunehmen. Zum letzten Mal ertönt das Thema des Paktes

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DON CARLOS ODER DIE TRUGBILDER DE S »CL A IR- OB SCU R«

(wieder in einem sehr schattigen Piano) und auch das Arioso findet sich durch eine kleine, aber sehr subtile Variante wiederaufgenommen. Rodrigo stirbt in den Armen seines Freundes. Es folgt ein dramatischer Auftritt von Philipp, der mit seinem Sohn Frieden schließen möchte, indem er ihm sein Schwert zurückzugeben versucht. Das weist dieser zurück und verflucht seinen Vater. Da vernimmt man das Geschrei des Volkes, das ins Gefängnis einzudringen versucht, um Don Carlos zu befreien. Philipp selbst erteilt den Befehl, die Tore des Gefängnisses zu öffnen. Das Volk strömt auf die Szene. In dem Moment, da das Volk scheinbar die Oberhand errungen hat, hat der Großinquisitor seinen zweiten schreckenerregenden Auftritt. Es gelingt ihm, den Aufstand zu unterdrücken, das Volk auf die Knie zu zwingen Noch einmal: Wir haben es hier mit einer vielseitigen Struktur zu tun, die von den vielfältigsten (musikalischen wie dramatischen) Verfahren geprägt ist und mit einem Minimum an Zeit eine äußerste Konzentration der Ausdrucksmittel erzielt. Keine langwierigen Herzensergießungen, keine Überschwänglichkeiten! Doch sind sogar die »sentimentalsten« Musiken (das Arioso von Rodrigo zum Beispiel) erstaunlich prägnant und markig. In diesem Sinne können wir die von Gegensätzen angetriebene Kunst (das Genie) Verdis nur bewundern. In der Tat zeugt die Konzeption dieses dritten Aktes von zwei diametral entgegengesetzten Eigenschaften, die die Musik antreiben. Der vierte und letzte Akt besteht aus einem einzigen Bild, das weniger als zwanzig Minuten dauert und drei Stücke enthält. Szene und Arie der Elisabeth, Szene und Abschiedsduett Elisabeths von Don Carlos sowie das Finale der Oper.

Wir befinden uns wieder im Kloster St. Just vor dem Grab Karls V. Es ist Nacht (Mondschein). Ein ziemlich langes Orchestervorspiel, das den Chor der Mönche vom Anfang des zweiten Aktes als Material verwendet, leitet zur Arie Elisabeths über, die von reicher und komplexer Form ist. Vor dem Grab von Karl V. ist Elisabeth wehrlos dem Schmerz ausgeliefert. Das Tempo ist langsam (Largo/Viertel = 72) und die Melodie (zunächst in fis-Moll, dann in Fis-Dur) von ausdrucksstarker Intensität. In einer kurzen, aufregenden Episode denkt Elisabeth an Don Carlos, von dem sie weiss, dass er sie aufsuchen wird. An das Duett der beiden knüpft sich schließlich das sehr kurze und prägnante Finale. In vierzig Takten, die nicht mehr als zwei Minuten dauern, sehen wir Philipp, der Elisabeth aus den Armen von Carlos reißt, und den Großinquisitor, der lediglich zwei Sätze spricht, auftreten. Wir sehen auch Don Carlos, der sich gegen die Männer des heiligen Offiziums verteidigt. Er nähert sich dem Grab von Karl V. Die Tore des Grabes öffnen sich, und der geheimnisvolle Mönch des ersten Bildes des ersten Aktes erscheint. Er wirkt wie eine Verkörperung Karls V. selbst. Er zieht Carlos mit sich fort. Wir sagten, dass wir Don Carlos für eines der stärksten und originellsten Werke Verdis halten. Unser Interesse, das sich daraus ableitete, beruht nun nicht – wie sonst oft gesagt wird – auf seiner gewissermaßen »transitorischen« Qualität (ein Verdi zwischen dem traditionellen und dem wagnerischen Verdi), sondern fußt auf den musikalischen und dramatischen Eigenschaften der Oper selbst. Diese versuchte unsere Analyse der Partitur ans Licht zu bringen.

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ÉTIENNE DUPUIS als POSA ÈVE-MAUD HUBEAUX als EBOLI


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K IOUPSFEZPEPI E G L EV E R D I

»Wundern Sie sich nicht, den Finalchor der Inquisitoren gestrichen zu sehen. Es waren nichts als Noten. – Nachdem die Ereignisse bis zu jenem Punkt gediehen waren, musste der Vorhang schnell fallen. Philipp hat nichts mehr zu sagen. Elisabeth kann nichts anderes tun als sterben; und so schnell wie möglich. Die Inquisitoren haben nur noch die Hände auf D. Carlos zu legen. – Karl V. erscheint als Kaiser gekleidet!! Das ist nicht wahrscheinlich. Der Kaiser war bereits seit mehreren Jahren tot, aber in diesem Drama, glänzend durch seine Form und großzügigen Gedanken, ist alles falsch.

D. Carlos war ein Dummkopf, ungestüm

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KOPFZEILE

und unsympathisch. Elisabeth hat niemals mit D. Carlos kokettiert. Posa ist eine Phantasiegestalt, die niemals unter der Regierung Philipps hätte existieren können. Philipp, der, abgesehen vom übrigen, sagt Garde-toi de mon Inquisiteur… Qui me rendra ce mort!!... Philipp war nicht so zart. Schließlich gibt es in diesem Drama nichts Historisches, noch die Shakespeare’sche Wahrheit und Tiefe der Charaktere… dann schadet ein bisschen mehr oder weniger auch nichts; und mir missfällt diese Erscheinung des alten Kaisers nicht.«

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NORBERT ELIAS

STARKE SELBSTZWÄNGE UND STRIKTE UMGANGS- ETIKETTE ZUR EIGENTÜMLICHEN GESPALTENHEIT DES ZIVILISIERTEN MENSCHEN Im Einzelnen gibt es auf dem Wege der Zivilisation die mannigfachsten Kreuz- und Querbewegungen, Schübe in dieser und jener Richtung. Betrachtet man die Bewegung über größere Zeiträume hin, dann sieht man recht klar, wie sich die Zwänge, die unmittelbar aus der Bedrohung mit der Waffe, mit kriegerischer und körperlicher Überwältigung stammen, allmählich verringern und wie sich die Formen der Angewiesenheit und Abhängigkeit verstärken, die zu einer Regelung oder Bewirtschaftung des Affektlebens in der Form von Selbstzucht, von »self control«, kurzum von Selbstzwängen führen. Am geradlinigsten tritt diese Veränderung hervor, wenn man sie an den Männern der jeweiligen Oberschicht beobachtet, also in der Schicht, die zunächst von Kriegern oder, wie wir sie nennen, von Rittern, dann von Höflingen, dann von Berufsbürgern gebildet wird. Betrachtet man das ganze vielschichtige Gewebe des historischen Geschehens, dann sieht man, dass die

Bewegung unendlich viel komplizierter ist. Es gibt in jeder Phase mannigfache Schwankungen; sehr oft begegnet man einem Vor- oder Zurückfluten der inneren und äußeren Bindungen. Und die Beobachtung solcher Schwankungen, besonders in der Nahsicht der eigenen Zeit, trübt leicht den Blick für den allgemeinen Trend der Bewegung. Ein solches Schwanken der Bindungen, die dem Triebleben des Einzelnen, auch den Beziehungen von Frau und Mann, auferlegt sind, ist heute z. B. in aller Erinnerung; man hat den Eindruck, dass in der Zeit, die dem Kriege folgte, verglichen mit der Vorkriegszeit, das eingetreten ist, was man eine »Lockerung der Sitten« nennt. Eine Reihe von Bindungen, die dem Verhalten vor dem Kriege auferlegt waren, sind schwächer geworden oder ganz verschwunden. Manche Dinge, die ehemals verboten waren, sind nun erlaubt. Und die Bewegung scheint so, von Nahem betrachtet, eher· in der umgekehrten Richtung weiterzugehen; sie scheint zu einem Nachlassen

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S TA R K E S E L B S T Z WÄ N G E U N D STRIKTE UMGANGSETIKETTE

der Zwänge zu führen, die dem Einzelnen durch das gesellschaftliche Leben auferlegt werden. Aber wenn man genauer zusieht, erkennt man unschwer, dass es sich nur um ein ganz leichtes Zurückfluten, um eine jener kleineren Bewegungen handelt, wie sie aus der Vielschichtigkeit der geschichtlichen Bewegungen innerhalb jeder Stufe des umfassenderen Prozesses immer von Neuem entstehen. Da sind, um ein Beispiel herauszugreifen, die Badesitten. Undenkbar in der Tat, dass im 19. Jahrhundert eine Frau in der Öffentlichkeit eines jener Badekostüme hätte tragen können, die heute gang und gäbe sind, ohne der gesellschaftlichen Feme zu verfallen. Aber diese Wandlung und mit ihr die gesamte Ausbreitung des Sports für Männer wie für Frauen, alles das hat einen sehr hohen Standard der Triebgebundenheit zur Voraussetzung. Nur in einer Gesellschaft, in der ein hohes Maß von Zurückhaltung zur Selbstverständlichkeit geworden ist und in der Frauen wie Männer absolut sicher sind, dass starke Selbstzwänge und eine strikte Umgangsetikette jeden Einzelnen im Zaume halten, können sich Bade- und Sportgebräuche von solcher Art und – gemessen an vorangehenden Phasen – solcher Freiheit entfalten. Es ist eine Lockerung, die sich vollkommen im Rahmen eines bestimmten »zivilisierten« Standardverhaltens hält, d. h. im Rahmen einer automatischen, als Gewohnheit angezüchteten Bindung und Umformung der Affekte sehr hohen Grades. Zugleich aber zeigen sich, ebenfalls in unserer eigenen Zeit, die Vorboten eines Schubes zur Züchtung neuer und strafferer Triebbindungen; in einer Reihe von Gesellschaften begegnen wir

Versuchen zu einer gesellschaftlichen Regelung und Bewirtschaftung der Affekte von einer Stärke und Bewusstheit, die weit über den bisher vorherrschenden Standard hinauszuführen scheinen, und die, auch durch das Schema ihrer Modellierung, dem Einzelnen Versagungen und Triebumbildungen von einem Ausmaß auferlegen, dessen Konsequenzen für den menschlichen Habitus noch ziemlich unübersehbar sind. Die Zivilisationskurve des Geschlechtstriebs verläuft, im Großen besehen, parallel zu den Kurven anderer Triebäußerungen, soviel soziogenetische Unterschiede im Einzelnen immer vorhanden sein mögen. Auch hier wird, zunächst einmal gemessen an den Männern der jeweiligen Oberschicht, die Regelung immer strikter. Auch diese Triebform wird langsam aus dem öffentlichen Leben der Gesellschaft immer stärker zurückgedrängt. Auch die Zurückhaltung, die man ihr gegenüber im Sprechen zu üben hat, wächst. Und diese, wie jede andere Zurückhaltung, wird immer weniger durch unmittelbare äußere körperliche Gewalt erzwungen; sie wird durch den Aufbau des gesellschaftlichen Lebens, durch den Druck der gesellschaftlichen Institutionen im Allgemeinen und im Besonderen durch bestimmte gesellschaftliche Exekutionsorgane, vor allem durch die Familie, dem Einzelnen als Selbstzwang, als automatisch wirkende Gewohnheit von klein auf angezüchtet; die gesellschaftlichen Gebote und Verbote werden damit immer nachdrücklicher zu einem Teil seines Selbst, zu einem streng geregelten Über-Ich, gemacht. Wie viele andere Triebäußerungen, so wird auch die der Sexualität, nicht nur für die Frau, sondern auch für den

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NORBERT ELIAS

Mann, immer ausschließlicher auf eine bestimmte Enklave beschränkt, auf die gesellschaftlich legitimierte Ehe. Die halbe oder ganze Legitimierung anderer Beziehungen durch die gesellschaftliche Meinung, sei es für den Mann, sei es auch für die Frau, die früher keineswegs fehlte, wird – mit Rückschlägen – mehr und mehr zurückgedrängt. Jede Durchbrechung dieser Beschränkung und alles, was dazu dient, gehört dementsprechend das Gebiet des Geheimzuhaltenden, dessen, wovon man nicht spricht und ohne Prestigeverlust oder Verlust der sozialen Position nicht sprechen darf. Und wie derart die Kleinfamilie erst ganz allmählich mit solcher Ausschließlichkeit zur einzigen legitimen Enklave der Sexualität und der intimen Verrichtungen überhaupt für Mann und für Frau wird, so wird sie auch erst spät mit solcher Ausschließlichkeit über die ganze Gesellschaft hin zum primären Züchtungsorgan der gesellschaftlich geforderten Triebgewohnheiten und Verhaltensweisen für den Heranwachsenden. Solange das Maß der Zurückhaltung und Intimisierung noch nicht so groß ist und die Aussonderung des Trieblebens aus dem gesellschaftlichen Verkehr der Menschen noch nicht so streng, fällt auch die Aufgabe der ersten Konditionierung noch nicht so stark Vater und Mutter zu. Alle Menschen, mit denen das Kind in Berührung kommt, und das sind, wenn die Intimisierung noch nicht so weit fortgeschritten, wenn das Innere des Hauses noch nicht so abgeschlossen ist, oft eine ganze Menge, haben ihren Teil daran, ganz abgesehen davon, dass die Familie selbst und – in gehobenen Schichten – auch die Dienerschaft früher gewöhnlich größer ist. Man spricht ganz allgemein unver-

hüllter von den verschiedenen Seiten des Trieblebens, man gibt den eigenen Affekten im Sprechen wie im Handeln offener nach. Die Schambelastung, auch der Sexualität, ist noch nicht so groß. Und so vollendet sich auch die Reproduktion der gesellschaftlichen Gewohnheiten in dem Kind, die Konditionierung, noch nicht so ausschließlich in einem Sonderraum und gleichsam hinter verschlossenen Türen, sondern weit unmittelbarer im gesellschaftlichen Verkehr der Menschen. Die Ausrichtung der Zivilisationsbewegung auf eine immer stärkere und vollkommenere lntimisierung aller körperlichen Funktionen, auf ihre Einklammerung in bestimmten Enklaven, ihre Verlegung »hinter verschlossene Türen« hat Konsequenzen sehr verschiedener Art. Eine der wichtigsten dieser Konsequenzen, die gelegentlich schon am Beispiel anderer Triebformen hervortrat, zeigt sich an der Zivilisationskurve der Geschlechtlichkeit besonders deutlich: das ist die eigentümliche Gespaltenheit des Menschen, die sich umso stärker abzeichnet, je entschiedener der Schnitt zwischen den Seiten des menschlichen Lebens wird, die öffentlich, nämlich im gesellschaftlichen Verkehr der Menschen, sichtbar werden dürfen, und jenen, die es nicht dürfen, die »intim« oder »geheim« bleiben müssen. Die Sexualität, wie alle anderen natürlichen Funktionen des Menschen, ist eine der Erscheinungen, von denen jeder weiß, und die zum Leben jedes Menschen gehören; man hat gesehen, wie sie alle sich allmählich derart mit soziogenen Scham- und Peinlichkeitsgefühlen beladen, dass selbst das bloße Sprechen von ihnen in Gesellschaft durch eine Fülle von Regelungen und Verboten immer

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S TA R K E S E L B S T Z WÄ N G E U N D STRIKTE UMGANGSETIKETTE

stärker eingeengt wird; die Funktionen selbst, wie jede Erinnerung an sie, werden von den Menschen mehr und mehr vor einander verborgen gehalten. Wo das nicht möglich ist – man denke etwa an das Beispiel der Eheschließung, der Hochzeit –, werden Scham, Peinlichkeit, Angst und was immer an Erregungen sich mit diesen Triebkräften des menschlichen Lebens verbindet, durch ein genau ausgearbeitetes, gesellschaftliches Ritual und durch bestimmte verdeckende, den Schamstandard wahrende Sprechformeln bewältigt. Es scheiden sich mit anderen Worten im Leben der Menschen selbst mit der fortschreitenden Zivilisation immer stärker eine intime oder heimliche Sphäre und eine öffentliche Sphäre, ein heimliches Verhalten und ein öffentliches Verhalten voneinander. Und diese Spaltung wird den Menschen so selbstverständlich, sie wird ihnen dermaßen zur zwingenden Gewohnheit, dass sie ihnen selbst kaum noch zum Bewusstsein kommt. Entsprechend dieser wachsenden Teilung des Verhaltens in ein öffentlich erlaubtes und ein öffentlich nicht erlaubtes baut sich auch das psychische Gefüge des Menschen um. Die durch gesellschaftliche Sanktionen gestützten Verbote werden dem Individuum als Selbstzwänge angezüchtet. Der Zwang der Zurückhaltung von Triebäußerungen, die soziogene Scham, die sie umgibt, werden ihm so zur Gewohnheit gemacht, dass er sich ihrer nicht einmal erwehren kann, wenn er allein, wenn er im intimen Raum ist. In ihm selbst kämpfen die lustversprechenden Triebäußerungen mit den unlustversprechenden Verboten und

Einschränkungen, den soziogenen Scham- und Peinlichkeitsempfindungen. Dies ist, wie gesagt, offenbar der Sachverhalt, den Freud durch Begriffe wie »Über-Ich« und »Unbewusstes« oder, wie es der »Volksmund« nicht unfruchtbar nennt, »Unterbewusstsein« zum Ausdruck zu bringen sucht. Aber wie immer man es ausdrückt, der gesellschaftliche Verhaltenscode prägt sich in dieser oder jener Form dem Menschen so ein, dass er gewissermaßen ein konstitutives Element des individuellen Selbst wird. Und dieses Element, das Über-Ich, ebenso wie das psychische Gefüge und das individuelle Selbst als Ganzes, wandelt sich notwendigerweise in steter Korrespondenz mit dem gesellschaftlichen Verhaltenscode und mit dem Aufbau der Gesellschaft. Das relativ hohe Maß von Gespaltenheit des »lch« oder des Bewußtseins, das für die Menschen in unserer Phase der Zivilisation charakteristisch ist und das in solchen Begriffen wie »Über-Ich« und »Unterbewusstsein« zum Ausdruck kommt, korrespondiert der spezifischen Zwiespältigkeit des Verhaltens, zu der das Leben in dieser zivilisierten Gesellschaft zwingt. Es entspricht dem Maß von Regelung und Einklammerung, das den Triebäußerungen hier im Verkehr der Menschen auferlegt ist. Ansätze zu ihr mögen sich mit dem gesellschaftlichen Leben der Menschen in jeder Form, auch in jener, die wir »primitiv« nennen, herausbilden. Die Stärke, die diese Differenzierung hier erreicht, die Gestalt, in der sie hier auftritt, sind Spiegelungen einer bestimmten geschichtlichen Entwicklung, Ergebnisse eines Prozesses der Zivilisation.

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KIRILL SEREBRENNIKOV

WAS BEDEUTET FREIHEIT HEUTE? Verdi macht es der Regie nicht leicht. Seine Opern szenisch sinnvoll zu interpretieren, ist schwer und die Gefahr, dass man sich dabei in eine konzeptuelle Sackgasse manövriert, groß. Ein so verdichtetes, hinreißend durchstrukturiertes Meisterwerk wie Don Carlo ist fast so etwas wie ein Selbstläufer, der sich gegen eine ganze Reihe heutiger Regietechniken sperrt. Ich stand und stehe als Regisseur also vor einer großen Herausforderung. Folgende Überlegung wurde zum Schlüssel für mein Konzept. Das Stück ist ein »Familiengemälde in einem fürstlichen Hause«, wie Schiller selbst sein Drama einmal bezeichnet hat. Wir sollten uns also der historischen und sozialen Verortung seiner Geschichte und seiner Charaktere stellen. Aber ich musste meinen eigenen künstlerischen Zugang dazu finden, damit diese Oper zu wirklichem Theater und nicht zu einem »Konzert im Kostüm« wird – wie man szenisch statische und schauspielerisch nicht durchdrungene Opernaufführungen auch nennt. Ich musste also die Kostüme selbst theatralisieren.

Wir haben uns dazu entschieden, die Kostüme der historischen Akteure in einem aufwendigen Prozess zu rekonstruieren. Die offizielle Garderobe der historischen Vorbilder der im Stück auftretenden Figuren – Philipp II. von Spanien, sein Sohn Don Carlos, Elisabeth, die französische Prinzessin, die mit Carlos verlobt war, die aber dann sein verwitweter Vater für sich beansprucht hat, und Philipps Geliebte, die Fürstin Eboli sowie der geheimnisvolle Mönch, hinter dem Carlos’ Großvater Karl V. vermutet wird – ist auf einigen zeitgenössischen Ganzkörperporträts des 16. Jahrhunderts dokumentiert. Und natürlich sind diese Porträts und ihre Darstellungen in erster Linie Machtdiskurse. An ihrer Kostbarkeit und nicht zuletzt an der Zeit, die sowohl die Herstellung als auch das Anlegen dieser äußerst aufwendigen Hofkleidung in Anspruch nehmen, lässt sich die Macht ihres Trägers oder ihrer Trägerin ablesen. Alles kreist um den Träger oder die Trägerin des Kostüms und damit um die Macht. Aber zugleich wird der Bewegungsradius

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WA S B E DE U T E T F R E I H E I T H E U T E ?

der Träger rigoros eingeschränkt. Auch und gerade für die Mächtigen wird das Kostüm zum Gefängnis des Körpers, der darin diszipliniert und dem abgezirkelten Hofzeremoniell unterworfen wird. Die historische Garderobe ist also direkt mit der Frage nach Macht und Freiheit verknüpft und damit den zentralen Themen dieser Oper. Gemeinsam mit der Kostümbildnerin Galya Saladovnikova haben wir ein großes Rechercheprojekt gestartet, in dem wir viele Quellen zur historischen Kostümkunde des 16. Jahrhunderts studiert haben, bevor die eigentliche Herstellung dieser »Museumsstücke« in Zusammenarbeit mit den wunderbaren Wiener Werkstätten ein weiteres volles Jahr in Anspruch nahm. Eine Herausforderung bestand darin, nicht nur die Außenansicht der Vorlagen zu reproduzieren, sondern die Kostüme tatsächlich von innen her aufzubauen und auch dabei absolute historische Treue zu wahren, von der Unterwäsche, der Unterkleidung, den Unterbauten der Reifröcke und Strümpfe, bis hin zu allen Accessoires, den Bändern, Handschuhen, Perlen-, Feder- und sonstigen Applikationen, den Schmuckstücken, Orden, Waffen und natürlich auch dem Schuhwerk. Dabei haben wir auch mit nahezu ausgestorbenen Web-, Näh-, Stick-, Veredelungs- und Färbtechniken experimentiert. Es ist das erste Mal, dass ich in der Oper mit Rekonstruktionen historischer Kostüme arbeite. Diese historische Referenz stellt aber nur eine von mehreren Ebenen meiner Inszenierung dar. Denn wir präsentieren diese Kostüme in einem zeitgenössischen Kontext. Einer meiner stärksten Eindrücke bei einer Reise durch Japan war der Besuch des berühmten KCI, des Kyoto

Costume Instituts, in dem über 13.000 Originalobjekte aus allen Epochen und Kulturen aufbewahrt werden. Ich erhielt auf meine Bitte eine Führung durch den nach außen unauffällig wirkenden Gebäudekomplex. Im Inneren der Lager-, Forschungs-, Restaurierungs- und Ausstellungsräume fühlte ich mich dann aber wie ins 23. Jahrhundert katapultiert: Die Arbeit dort findet an Hightech-Computerarbeitsplätze statt, die mit avantgardistischen Lichtarmaturen ausgestattet sind; die Oberfläche der Wände ist gegen IV-Strahlung, Staub, Feuchtigkeit und anderen schädlichen Umwelteinflüssen versiegelt; all das, um das Fragilste überhaupt, nämlich die hoch empfindlichen Fasern und Texturen zu schützen, die zum Teil auch in temperierten Kühlfächern gelagert werden müssen. Die archivierten Textilien dürfen nur nach Anlegen weißer Handschuhe berührt werden, die ebenfalls Sonderanfertigungen darstellen. Und dennoch: Man empfindet die Gefährdung der Objekte geradezu körperlich, gerade weil hier alles Menschenmögliche getan wird, um gegen ihren Zerfall anzuarbeiten. Diese Erfahrung hat mir eine weitere Dimension von Verdis Oper erschlossen: Dem Wissen um die Vergänglichkeit des Menschen, seiner Leidenschaften, seiner Anstrengungen und seiner Taten, dem Fluss der Zeit, der merklich oder unmerklich alles von Menschen Gemachte auslöscht und zerstört. Don Carlo beginnt ja mit einem Memento mori, mit den Stimmen psalmodierender Mönche. Sie singen, dass vom einstigen Weltenherrscher Karl V. nicht mehr übriggeblieben ist als »stummer Staub«. Und am Ende der Oper erscheint der geheimnisvolle Mönch wieder, um anzukündigen, dass sich die »Kriege des

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WA S B E DE U T E T F R E I H E I T H E U T E ?

Herzens« nur im Himmel, also in der Ewigkeit beruhigen werden. Neben diesen beiden Dimensionen – die in ihren Überresten präsente Zeit des 16. Jahrhunderts und unserer heutigen Gegenwart – gibt es eine dritte Ebene, eine Zwischenzone gewissermaßen, in der sich Vergangenheit und Gegenwart vermischen und in der die Sängerinnen und Sänger aus ihrer heutigen Kleidung in schwarze, umrisshaft bleibende Prototypen oder Musterfertigungen der Kostüme ihrer historischen Avatare schlüpfen und deren Drama neu durchleben. Nur einer der von Schiller erfundenen Charaktere hat kein historisches Vorbild: Carlos Freund Rodrigo, der Marquis von Posa, ist eine Gestalt der Aufklärung, ein moderner Mensch, wenn wir so wollen. Als Öko-Aktivist

verkörpert er auch bei uns eine revolutionäre Fragestellung, nämlich die nach der dysfunktionalen Überproduktion und dem Überkonsum von Textilien und Bekleidung unter den Bedingungen der kapitalistischen Massenkultur und -gesellschaft heute. Er konfrontiert uns mit den katastrophalen Arbeitsbedingungen der Herstellung von Bekleidung in Taiwan, Pakistan, China oder Indien, und mit den nicht weniger katastrophalen Folgen der sogenannten Entsorgung von Textilmüll, die etwa in Lateinamerika zur Aufschichtung von Müllgebirgen und zur Verwüstung ganzer Landstriche führt. Posa stellt die Frage nach Freiheit und nach einer menschenwürdigen Gesellschaftsform heute, um sie an uns, die Zuschauerinnen und Zuschauer, weiterzugeben.

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LARA STEINHÄUSSER CRITICAL CONSUMPTION

DAS T-SHIRT Das T-Shirt hat sich ab ca. 1950 zu einem global verbreiteten, geschlechtsneutralen Basic entwickelt. Es wurde mit Aufdrucken im Brustbereich zum Erkennungsmerkmal in der Fan-Kultur, zur Werbefläche für Marken und Politiker, zum Träger positiver Sprüche und Bilder sowie komplexer, oft politischer Botschaften. Die US-amerikanische Künstlerin Jenny Holzer nutzte diese Funktion von T-Shirts ab den späten 1970er Jahren für ihre sogenannten Truisms (»wahre Aussagen«) wie Everyone’s Work Is Equally Important oder The Abuse of Power Comes as No Surprise. Auch die britische Designerin Katharine Hamnett begann etwa zeitgleich, bedruckte Kreationen aktivistisch einzusetzen. Bekannt ist v. a. ihr Kleid gegen Pershing-Raketen, das sie 1984 zu einem Treffen mit Margaret Thatcher hervorblitzen ließ. Ihre Shirts mit Slogans wie No More Fashion Victims sind bis heute beliebt. In dieser Tradition steht auch Vivienne Westwoods T-Shirt mit dem Aufdruck Buy Less Choose Well. Jutebeutel bzw. »Shopper« fungieren ebenso gerne als Informationsträger und sind auch Beispiel dafür, dass unsere Kleidung häufig eine wichtige Rolle spielt, unsere Meinung sichtbar nach außen zu tragen.

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DIE GESCHICHTE UNSERES MODEKONSUMS Die Geschichte der Mode steht mit der Geschichte des Konsums in engen Zusammenhang. Sich verändernde Produktionsbedingungen, die Erschließung neuer Handelsrouten, globale Expansion und auch Ausbeutung und die Ausrichtung auf eine Wachstumsgesellschaft, wie wir sie heute kennen, sind Ursachen und Folgen. Hand in Hand mit der Demokratisierung unserer Gesellschaft und dem Anstieg des allgemeinen Wohlstands fand das Individuum im globalen Norden seit der Aufklärung verstärkt über modische Kleidung Ausdruck. Die reglementierenden Kleidervorschriften lockerten sich im 18. Jh. zusehends, während individueller Konsum vor allem die nationale Wirtschaft fördern sollte. Luxus, den sich mehr und mehr Menschen leisten konnten, wurde zunehmend positiv bewertet. Von der Konsumgeschichtsforschung wird dieser Umbruch im 18. Jh. auch als »Konsumrevolution« bezeichnet. Zuvor verlief die Textil- und Bekleidungsproduktion gänzlich anders als heute. So wurden etwa für die Herstellung eines Laufmeters Seide mehrere Tage und Arbeitskräfte benötigt. Stoffe wurden daher so effizient wie möglich genutzt. Die Wieder-

verwendung und -verwertung von Textilien, z. B. durch Kleiderspenden an die Kirche, war die Norm. Die breite Bevölkerung fertigte ihr Garn, ihre Stoffe und oft auch die Kleidung für den eigenen Gebrauch selbst. Neben dieser sogenannten Subsistenzproduktion etablierte sich die Heimarbeit mit anschließendem Verkauf im Verlagssystem. Dies bedeutet, dass immer mehr Verleger Heimarbeiter*innen Rohstoffe zur Verfügung stellten, aus denen diese gegen Entlohnung Textilien in Heimarbeit fertigten. Die Konfektion, der Verkauf vorgefertigter Kleidung, setzte in der zweiten Hälfte des 18. Jh. ein. Auch Modezeitschriften wie das Journal des Luxus und der Moden kamen in diesem Jahrhundert auf. Zuvor war die sogenannte Pandora, eine lebensgroße Modepuppe, dazu genutzt worden, die tonangebende, französische Mode an den europäischen Höfen zu verbreiten. Im 18. Jahrhundert gab es sie auch als ca. 60 cm große Miniatur, mit der das gehobene Bürgertum über aktuelle Trends informiert wurde. Paradoxerweise brachte die Tendenz, Frauen in ihrer Rolle als Konsumentinnen zu fördern, auch Freiheiten für diese mit sich. In den im 19. Jahrhundert auf-

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DIE GESCHICHTE UNSERES MODEKONSUMS

kommenden Warenhäusern durften sich Frauen im Alleingang im öffentlichen Raum bewegen. Zu dieser Zeit wirkte sich der steigende Konsum auch auf das Stadtbild aus: Es entstanden Einkaufsstraßen mit vielfältigen »Konsumtempeln«, deren Schaufenster zum Flanieren einluden. Fixe Preise und genormte Kleidergrößen kamen auf und erleichterten den Kauf als auch den Verkauf. Shopping wurde für immer mehr Menschen zu einer Freizeitbeschäftigung, die auch außerhalb der Metropolen durch Versandkataloge möglich wurde. Charles Frederick Worth erfand in Paris die saisonale Haute Couture, mit der die Schneiderei zur Kunst wurde. Eingenähte Etiketten veredelten Kleidung hier erstmals im Stil einer Künstlersignatur. Seine Frau Marie Vernet wurde zum ersten Model der Geschichte und trug maßgeblich zum Erfolg der vielkopierten Marke bei. Auch die Entstehung der Werbung und die »Transportrevolution« in diesem Jahrhundert bilden die Grundlage unseres heutigen Modesystems.

KONSUMLUST UND MARKENFETISCH Wie eine zweite Haut schützt Kleidung unseren Körper und bedeckt, was wir gemäß gesellschaftlichen Konventionen nicht öffentlich zeigen sollen oder wollen. Die schmückende Funktion von Mode hat das Ziel, unsere Attraktivität zu erhöhen. Sie dient nicht nur der Deckung von Primärbedürfnissen, sondern auch der Steigerung von Sozialprestige. Wir nutzen das Image von Marken gerne dazu, unsere Identität zu konstruieren und auszudrücken. Unsere Statussymbole zeichnen sich durch die Exklusivität aus, die wir mit ihnen zur Schau stellen. Neben finanzi-

ellem Pouvoir kann auch Insiderwissen zum Erwerb dieser Besitztümer nötig sein. Wir zeigen damit also unsere ökonomische und/oder kulturelle Potenz. 1899 hat der Soziologe Thorstein Veblen das offensichtliche Zurschaustellen von teuren Statussymbolen als Geltungskonsum bezeichnet. Im Sinne der »Demokratisierung der Mode« sind heute nicht mehr nur die oberen Schichten stilbildend, auch Subkulturen sind in den letzten Jahrzehnten zum Beispiel mit Streetwear zu Trendsettern geworden. Mode ist mit ihrem Hang zum permanenten Wandel und stetig Neuen ein Sinnbild unseres unstillbaren Begehrens, sie steht für die Lust an Vielfalt und Abwechslung. Mode ist eine Form der Kommunikation. Mit ihr transportieren wir, wer wir sind und wer wir sein möchten. Wir drücken mit ihr Zugehörigkeit aus, aber auch, dass und inwiefern wir uns von der Masse abheben. Mode entsteht durch Wiederholung und damit im Kollektiv, vor allem im Spiegel der Medien. In den letzten Jahren haben sich mit dem Internet die Produktion und der Konsum beschleunigt und intensiviert: Mit nur einem Klick können wir Impulskäufe tätigen, die direkt an unsere Türschwelle geliefert werden. Fast Fashion hat sich längst zu Ultra Fast Fashion gesteigert. Allein zwischen 2000 und 2015 hat sich die Anzahl unserer Bekleidungskäufe verdoppelt. Wenngleich uns die höchst alarmierenden planetaren und sozialen Folgen von ressourcenausbeutendem Konsum bewusst sind, fällt es uns schwer, unsere Kauflust zu zügeln.

KONSUMREVOLUTION? Die Textilindustrie zählt weltweit zu den zwei größten Umweltverschmutzern: Sie

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DIE GESCHICHTE UNSERES MODEKONSUMS

ist global betrachtet für ca. 10 % der CO2Emissionen und ca. 20 % der Wasserverschmutzung verantwortlich. Obwohl Konsument*innen in Europa durchschnittlich sechzig Kleidungsstücke pro Jahr kaufen, wird vieles, was hergestellt wird, gar nicht verkauft, sondern vernichtet oder landet sofort auf Mülldeponien. Während unsere Kleiderschränke doppelt so voll sind wie vor zwanzig Jahren, tragen wir die Stücke im Schnitt immer kürzer oder gar nie. Im Sinne einer positiven Zukunft für unseren Planeten werden daher auf politischer Ebene zusehends überregionale Gesetze geschaffen, die auf eine Verbesserung der ökologischen und sozialen Standards abzielen, und auch Modeketten stehen in den letzten Jahren vermehrt unter Druck. Wertorientiertes »Purpose Marketing« kann schnell zu Greenwashing mu-

tieren, da Begriffe wie »nachhaltig« oder »ökologisch« nicht reglementiert sind. Doch auch dafür gibt es mittlerweile ein kritisches Bewusstsein in der Öffentlichkeit, das zu Transparenz und Verbesserungen in der Produktion von Textilien beiträgt. Die kritische Auseinandersetzung mit Mode zwingt und erlaubt uns, Kleidung nachhaltig zu denken. Die Lust an der Mode, auch die Lust zum Experimentieren und Repräsentieren, aber auch die Freude an etwas Neuem bewusster zu gestalten, ist möglich und wichtig. Denn das Konsumparadoxon und die Herausforderung, Mode und Nachhaltigkeit zusammenzudenken, sind nicht nur für Designer*innen Thema, sondern für uns alle als Träger*innen. Verantwortungsvolles Konsumieren wäre als »Konsumrevolution« und nicht als vergänglicher Trend zu denken.

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DER WEG EINES DURCHSCHNITTLICHEN T-SHIRTS Bis unsere Kleidung bei uns im Geschäft ankommt, legt sie oft einen sehr weiten Weg zurück, nicht selten über 30.000 km, da der Großteil der weltweiten Textilverarbeitung in Asien oder auch Afrika stattfindet.

EXISTENZ Unter zwei Prozent der weltweit in der Bekleidungsherstellung Beschäftigten verdienen einen existenzsichernden Lohn.

USA: ANBAU DER BAUMWOLLE

TÜRKEI: BAUMWOLLE WIRD ZU GARN VERARBEITET RECYCLING Recycling findet de facto kaum statt. (Gemäß EU-Studien wird erst rund ein Prozent aller Textilien recycelt.)

© MAK, Grafik: Fuhrer, Wien.

TRENNUNG Ab 2025 müssen Textilien in der EU getrennt gesammelt werden.


CRITICAL CONSUMPTION

LKW-LADUNG ÖSTERREICH: AUFDRUCK, VERTRIEB UND VERKAUF

Jede Sekunde landet eine LkwLadung an Kleidung in Müllverbrennungsanlagen oder auf Deponien.

CHINA: DER STOFF WIRD GEGLÄTTET UND GEBLEICHT EU-RICHTLINIEN Neben ihrem Fokus auf Kreislaufwirtschaft, Lieferkettentransparenz und Ecodesign hat die EU 2023 auch ein Vernichtungsverbot für neuwertige Kleidung beschlossen, damit Retoursendungen z. B. nicht mehr geschreddert oder verbrannt werden.

TAIWAN: AUS GARN WIRD STOFF

ALTKLEIDER Rund zwei Drittel unserer Altkleider werden als tragbare Ware weiter exportiert.

BANGLADESCH: PRODUKTION DES T-SHIRTS ALTKLEIDER Nur rund 20 Prozent der Altkleider werden weggegeben, weil sie tatsächlich »kaputt« sind. 80 Prozent werden weder wiederverwertet noch recycelt, sondern landen im Müll.

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KOPFZEILE

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HEINRICH VON KLEIST / DER ZERBROCHNE KRUG

»Hier grade auf dem Loch, wo jetzo nichts, Sind die gesamten niederländischen Provinzen Dem span’schen Philipp übergeben worden. Hier im Ornat stand Kaiser Karl der fünfte: Von dem seht ihr nur noch die Beine stehn. Hier kniete Philipp, und empfing die Krone: der liegt im Topf, bis auf den Hinterteil, Und auch noch der hat einen Stoß empfangen. Dort wischten seine beiden Muhmen sich, der Franzen und der Ungarn Königinnen, Gerührt die Augen aus; wenn man die eine Die Hand noch mit dem Tuch empor sieht heben, So ists, als weinete sie über sich. Hier in der Mitte, mit der heilgen Mütze, Sah man den Erzbischof von Arras stehn; Den hat der Teufel ganz und gar geholt, Sein Schatten nur fällt lang noch übers Pflaster. Hier standen rings, im Grunde, Leibtrabanten, Mit Hellebarden, dicht gedrängt, und Spießen, Hier Häuser, seht, vom großen Markt zu Brüssel, Hier guckt noch ein Neugierger aus dem Fenster: Doch was er jetzo sieht, das weiß ich nicht.«

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KOPFZEILE

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JENS MALTE FISCHER

GESPRÄCHE ÜBER ABWESENDE DRITTE ZU ZWEI ZENTRALEN SZENEN IN VERDIS DON CARLO Am Ende des zweiten Bildes des zweiten Aktes von Verdis Don Carlo hat gerade jene Strafaktion des Königs Philipp gegen die Gräfin von Aremberg stattgefunden, die als Hofdame der Königin diese alleine gelassen und damit Carlos Gelegenheit gegeben hatte, seine einstige Verlobte und jetzige Stiefmutter Elisabeth unbeaufsichtigt zu sprechen. Elisabeth hatte versucht, die vom Hof verbannte Vertraute zu trösten (sie weiß, dass diese Bestrafung vor allem sie selbst treffen soll), und war abgegangen, auch die Hofgesellschaft war ihr gefolgt. Rodrigo, der Marquis von Posa, ist ebenfalls im Begriff, sich zu entfernen, da ruft ihn Philipp mit einem herrischen »Bleibt!« zurück. Dem darf sich niemand entziehen, aber Verdi (mit Verdi sind im folgenden auch immer seine französischen Librettisten Méry und du Locle gemeint, die aus Schillers dramatischem Gedicht ein außerordentlich differenziertes Opernlibretto geschaffen haben, als italienischer Bearbeiter auch Antonio Ghislanzoni) macht mit einer wichtigen Regiebemerkung klar, dass sich Posa von den anderem Höflingen durch ein bemerkenswertes ÉTIENNE DUPUIS als POSA KOMPARSERIE

Selbstbewusstsein unterscheidet, das im folgenden Gespräch die Grenze der Kühnheit streifen, ja auch übertreten wird. Es heißt da nämlich: »Posa beugt ein Knie zur Erde. Dann nähert er sich dem König und bedeckt das Haupt ohne jede Verlegenheit.« Ein Untertan des Königs würde es normalerweise nicht wagen, in Gegenwart desselben seine Kopfbedeckung aufzusetzen, sondern müsste barhäuptig verweilen. Posa macht seinerseits deutlich, wahrscheinlich ohne es bewusst provozieren zu wollen, dass er sich als in gewissem Sinne ebenbürtige Person ansieht. Und nun beginnt eine der beiden zentralen Zweierunterredungen dieser Oper. Es gibt noch weitere, alle sind sie dramaturgisch und natürlich musikalisch wichtig; aber diese und die spätere zwischen Philipp und dem Großinquisitor sind ohne Zweifel die entscheidenden Begegnungen. Diese beiden Zweipersonenszenen (sie gehen über den Begriff des Duetts weit hinaus, sind, vom dramatischen Impetus Schillers beflügelt, bedeutende und gewichtige Konfrontationen von Personen, Prinzipien und Positionen) sind

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wesentlich davon bestimmt, dass sie Gespräche, Auseinandersetzungen darstellen, in denen ein abwesendes Drittes, ein abwesender Dritter (oder auch mehrere davon), entscheidende Rollen spielen. Das heißt, sie werden vor allem von Personen bestimmt, die nicht auf der Bühne, sondern nur im Bewusstsein der Anwesenden vorhanden sind. Philipp verhandelt mit Posa zunächst scheinbar Vordergründiges und Harmloses. Warum hat Posa, den der König als treuen Gefolgsmann schätzt, sich bisher nicht, wie alle anderen, eine Gunst erbeten? Mit seiner Antwort demonstriert Posa sofort, welchen Geistes er ist. Alles Folgende erklärt sich nur daraus, dass Philipp in diesem Moment klar wird: In Posa hat er einen äußerst unabhängigen, stolzen und unbestechlichen Menschen vor sich, den er mit einer Aufgabe betrauen kann, die niemand sonst am Hofe übernehmen könnte, nämlich mit der Beaufsichtigung seiner Frau und seines Sohnes, denen er tief misstraut, und zwar mit allen Vollmachten, die dazu nötig sind. Philipp führt das Gespräch mit Posa, indem er an diese beiden abwesenden Personen denkt, was seinem Gesprächspartner lange verborgen bleibt. Was der Marquis als echtes Interesse an seiner Person missversteht, ist zunächst nichts anderes als eine taktische Meisterleistung des menschenverachtenden und einsamen Escorialbewohners. Dass sich in Philipp nach und nach Sympathie und Bewunderung für Posa entwickeln, geschieht gewissermaßen gegen dessen Willen. Um Posas Eignung für die ihm zugedachte Aufgabe zu erkennen, genügt Philipp seine Antwort, dass ein Gunstbeweis nicht nötig sei: das Gesetz, dem König wie Untertan zu gehorchen haben, sei Schutz genug.

Verdi hat die verblüffte Reaktion des Königs sinnfällig gestaltet. A cappella antwortet dieser wie stockend, von Pausen unterbrochen: »Mir gefällt der stolze Geist ... Die Kühnheit verzeihe ich ... « (und nun kommt die Fortsetzung, die den zunächst klaren Sinn einschränkt) »nicht immer«. Dies geht an psychologischem Raffinement über Schiller hinaus; dort sagt Philipp nur anerkennend »Stolz will ich den Spanier«. In der Pause, die auf dieses »nicht immer« folgt, fällt die Entscheidung im Innern Philipps, Posa für seinen Plan heranzuziehen. Es ist gewissermaßen die Pause, in der sich zumindest das Schicksal von Carlos und Posa, und damit des Letzteren Tod, ankündigt. Doch Philipp ist ein Meister der Gesprächstaktik. Zunächst lässt er sich nichts anmerken und spinnt die höfische Argumentation mit der Frage weiter, warum Posa den militärischen Dienst quittiert habe. Noch einmal fragt er, ob er nichts für ihn tun könne. Zum zweiten Mal versetzt Posa den König in Verblüffung. Nicht für sich bittet er, aber für andere. Für andere? Das kann der König kaum verstehen; offensichtlich erbitten alle Bittsteller immer etwas für sich, nie für andere. Mit dem Allegro-Teil beginnt der zweite Abschnitt der Szene und damit die beredte, musikalisch furiose Schilderung Posas, wie er die Situation in Flandern vorgefunden habe, die von Unterdrückung und Willkür bis zum Mord an der Bevölkerung gekennzeichnet sei. Die Bewohner Flanderns also sind zunächst die abwesenden Opfer, für die sich der Marquis einsetzt. »Per altri« bittend, also altruistisch verhält sich Posa, während der finstere Realpolitiker, der die Abgründe der menschlichen Natur besser kennt als der junge Idealist, darauf beharrt, dass die Unter-

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GESPRÄCHE ÜBER ABWESENDE DRITTE

drückung notwendig sei, um das orientierungslose Volk vor falschen Wegen zu bewahren. Der Friede, den Philipp dadurch erreicht sieht, kann Posa aber nur als den Frieden ansehen, der über den Gräbern eines Friedhofs liegt, und er steigert seine Kühnheit, indem er Philipp ein historisches Vorbild vor Augen hält: »Er war ein Nero!« Das aber solle man später nicht von dem König sagen, und er wolle auch nicht hören, dass man ihn »verfluche!« (selbst als Prophezeiung ist das eine ziemliche Zumutung). Schon Schiller hatte hier kühn Anachronismen gegeneinandergehetzt: Der spanische König vertritt den Geist der Gegenreformation. Was aber der Marquis verkündet, ist der Geist der Aufklärung, der sich schon dem Idealismus nähert. Das späte 18. Jahrhundert wird so, abseits jeder historischen Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit, mit dem 16. Jahrhundert konfrontiert, und Posa ist gewissermaßen der Anwalt späterer Geschlechter, dem eine Art Zeitreise ermöglicht hat, bereits Rousseau, Kant und Schiller gelesen zu haben. Der Wirkung der Szene tut diese Freiheit des Autors keinen Abbruch, im Gegenteil. Es ist wohl nicht zu kühn spekuliert, dass eine solche Frechheit gegenüber dem König jedem anderen zum Verhängnis geworden wäre. Philipp aber ist einerseits tief beeindruckt von dem Mut des relativ jungen Mannes (wenn er auch nicht mehr so jung ist wie sein Sohn), andererseits jedoch und vor allem braucht er ihn noch für etwas Wichtigeres. Zunächst aber führt Verdi den zweiten Abwesenden ein nach dem flandrischen Volk – diesmal eine Person und zugleich eine Institution. Von diesem Gespräch, so der König, werde nichts nach außen dringen, aber dennoch

müsse Posa sich vor einem hüten: vor dem Großinquisitor – eine Warnung, die auf unheimlichen Pianissimo-Akkorden der Bläser und Streicher und mit der vorgeschriebenen düsteren Stimmfärbung des Sängers eine große Wirkung entfaltet. Es ist die Instrumentalfarbe, die auch die spätere Szene Philipp-Großinquisitor kennzeichnen wird. Posa ist sich dieser Gefahr offensichtlich nicht bewusst, denn völlig verdutzt fragt er: »Wie? Sire!« Philipp aber, ohne ihn weiter aufzuklären, dringt nun zum Kern der Unterhaltung vor, nachdem er sich darüber im Klaren glaubt, wen er vor sich hat. Es scheint ein wenig paradox: Posa ist angetreten, um dem König ein positiveres Bild von den Menschen zu vermitteln. Damit scheitert er. Der König lässt sich in seinem finsteren Pessimismus nicht irritieren, ist aber immerhin doch eingenommen für einen einzigen Menschen, eben für Posa. Bisher hatten eine anonyme Masse und eine schwer fassbare Institution, verkörpert in ihrem Leiter, die Rolle der Abwesenden gespielt, die dieses Gespräch bestimmten. Nun treten zwei Menschen aus dem engsten Umkreis der Sprechenden hinzu: Carlos und Elisabeth, Sohn und Frau für den einen, Freund und Königin für den anderen. In einer für Posa völlig unvermuteten, ja schockierenden plötzlichen Offenheit enthüllt ihm Philipp seine schlimmsten Befürchtungen: dass ihn Frau und Sohn hintergehen, ehebrecherisch betrügen. Die bei Posa ausbrechende Freude darüber, dass ihm der König so unvermutet sein Herz geöffnet hat, ist nur deshalb so groß, weil er nicht versteht, dass er nur Teil eines viel größeren Spieles ist, welches er nicht überblickt. In seinem Jubelüberschwang überhört Posa den gleichzeitig singenden Freund, der da-

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von spricht, dass dieser Tag hoffentlich ihm, Philipp, den Frieden wiederbringe, nicht Flandern oder dem Hofe oder seiner Familie, sondern nur ihm. Man wird sagen können, dass Posas Schicksal in dieser Szene besiegelt wird. Seine Existenz, aber auch die des mächtigeren Königs, so hat sich gezeigt, hängt von jenen Kräften und Personen ab, die nicht anwesend sind. Zwei bedeutende Männer, ein Weltherrscher und ein selbstbewusster Idealist mit aufklärerischem Impetus, sind nicht Herren der Situation und nicht frei in ihrem Handlungsspielraum. Der König sieht sich Freiheits- und Unabhängigkeitsbestrebungen gegenüber, die kaum noch mit Gewalt zu bändigen sind; er muss seinen aktuell engsten Vertrauten vor der Inquisition warnen, über die er keine Macht hat; er ist nicht Herr im eigenen Haus, weil er über die Liebe zwischen seiner Frau und seinem Sohn keine Gewalt hat. Posa hingegen wird ein Opfer der Inquisition werden, die er unterschätzt, und er wird nicht in der Lage sein, die verfahrene Situation seines engsten Freundes zu klären. Unter dem Gewicht der abwesenden Kräfte verkümmert das zarte Pflänzchen der Vertrautheit und Freundschaft zwischen Philipp und Posa bereits im Ansatz. Eine völlig andere Situation zeigt das erste Bild des vierten Aktes. Philipp hat den Großinquisitor zu sich rufen lassen, besser gesagt: zu sich gebeten. Nach Philipps großer Arie, die den Akt eröffnet, wird der Großinquisitor, ein blinder Greis von neunzig Jahren, gestützt auf zwei Dominikanermönche, hereingeführt. Diese Szene hat Geschichte gemacht und gehört bis heute zu den eindrücklichsten Konfrontationen auf der Opernbühne. Wie bereits bei Schiller wird hier sinnfällig, wie ein

Monarch, der sich bisher gottgleich gebärdet hatte, zu Kreuze kriechen muss vor einer Macht, die noch totalitärer ist als er selbst und vor allem besser informiert. Philipp weiß nämlich immer noch nicht, wie es zwischen Elisabeth und Carlos genau steht. Die Inquisition aber besitzt offensichtlich exakteste Informationen über die Beziehung zwischen dem König und Posa, und was Philipp zuvor Posa versichert hat, dass alles zwischen ihnen beiden sicher verborgen bleibe, erweist sich als Chimäre (bei Schiller ist Posa bereits vor dieser Szene ermordet worden; die Oper verlegt dieses Ereignis in das nächste Bild – der lebende Posa hat für die Szene eine gravierende Bedeutung). Verdi hatte zuvor nur einmal eine Szene für zwei tiefe Bässe geschrieben (von den Stimmfächern her gesprochen haben wir hier einen Basso cantante, Philipp, und einen Basso profondo vor uns}, und zwar in Luisa Miller, in der Szene zwischen Wurm und Walter. Aber diese hier übertrifft den Vorläufer bei weitem. Es ist eine in der Operngeschichte ganz ungewöhnliche Kombination, vergleichbar eigentlich nur der Begegnung zwischen Alberich und Hagen in Wagners Götterdämmerung. Uns interessiert hier jedoch nicht die so ungewöhnliche und atemverschlagende musikalische Charakterisierung der Szene (gegenüber der die zuvor analysierte in dieser Hinsicht fast konventionell anmutet), sondern wiederum die Staffelung der Personen auf der Bühne vor dem Hintergrund der abwesenden Personen und Mächte, die jetzt noch erheblich vielschichtiger ist als zuvor. Zunächst geht es Carlos, der sich am Ende des dritten Aktes gegen den Vater mit gezücktem Schwert aufgelehnt hatte und von Posa entwaffnet worden

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GESPRÄCHE ÜBER ABWESENDE DRITTE

war. Philipp sieht für den gefangengesetzten Sohn nur zwei Möglichkeiten, eine Flucht aus dem Gefängnis, das heißt der Möglichkeit zu einer solchen, die Carlos zu eröffnen wäre, oder den Tod. Auf die Frage, ob die Kirche den Tod des Sohnes dem Vater verzeihen würde und ob das Opfer des Sohnes für den Staat nicht zu hoch sei, verweist der Großinquisitor auf Gott, der seinen Sohn für die Menschen geopfert habe. Auf diese Weise schiebt sich sozusagen das Kreuz wie ein Schatten über die Szene. Gottvater und Gottes Sohn sind die abwesenden Personen‹, vor denen sich der König zu ducken hat. Die Taktik des machtbewussten Kirchenmannes schlägt an: Der skeptische König unterwirft sich der extremen Argumentation mit einem ermatteten »Es ist gut.« Nun aber kehrt der Großinquisitor den Spieß um. Dramaturgisch in exakter Parallele zu der Szene zwischen Philipp und Posa bringt er sein Anliegen vor. Hatte Posa diese Gelegenheit benutzt, um für Flandern zu bitten, so geht es dem Kirchenmann um anderes, nämlich um den Kopf des ebenfalls abwesenden Posa. Dieser erscheint ihm eine viel größere Bedrohung für den inneren Frieden zwischen Staat und Kirche zu sein als Carlos, dessen Schicksal ihm völlig gleichgültig ist. Wiederum eröffnet er die Perspektive in eine zweite Ebene hinein. So wie Philipp und Carlos eben als Gott und Sohn Gottes perspektiviert wurden, so nun Posa als Teufel, Verführer und Dämon (»il demon tentator« heißt es im italienischen Text), der den König in Versuchung führt. Dieser Teufel muss ausgeliefert werden, muss von den Teufelsaustreibern, eben der Inquisition, exorziert werden. Dazu bedarf es aber (leider, aus kirchlicher Perspektive) der

Zustimmung des Königs. Dieser will sie nicht geben und hier ist bemerkbar, dass ihm Posa stärker ans Herz gewachsen ist, als seine zunächst taktische Hinwendung zu ihm hatte vermuten lassen. Der Großinquisitor aktiviert daraufhin seine schärfste Waffe: die Drohung, den König selbst vor das Tribunal der Inquisition zu ziehen. Aber auch dadurch lässt sich Philipp noch nicht einschüchtern: »Zu lange ertrage ich deine grausame Rede«, herrscht er ihn an – im französischen Original steht sogar »ton orgeuil criminel« – deinen verbrecherischen Hochmut/Stolz, was mindestens so kühn ist wie die offene Sprache, die Posa gegen den König geführt hatte. Nun folgt eine Antwort des Priesters, die den Opernbesucher völlig ratlos machen muss. »Warum also den Schatten Samuels beschwören«, donnert er Philipp entgegen. Verdi hat diesen Satz von Schiller übernommen (»warum rufen Sie den Schatten Samuels herauf« heißt es dort). Da Schillers Text sehr viel mehr als der notwendigerweise stark verkürzende und auch vereinfachende Operntext von biblischen und christologischen Anspielungen durchwebt ist, bleibt dieser Satz in der Oper ohne hermeneutische Bemühung kaum verständlich. Es geht um nichts anderes als um die Verlängerung der Perspektive auf Abwesende – gewissermaßen über das Neue Testament hinaus auf das Alte Testament. Eben noch hatten Gottvater und Gott-Sohn die Folie abgegeben für die Auseinandersetzung der beiden Menschen auf der Bühne, jetzt treten Samuel, Saul, David und Jonathan hinzu. Der Großinquisitor spielt hier auf das erste Buch Samuel an, in dem vom Propheten Samuel Saul zum König der Israeliten bestimmt wird,

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GESPRÄCHE ÜBER ABWESENDE DRITTE

der mit seinem Sohn Jonathan erfolgreich gegen die Philister und Amalekiter kämpft. Der wichtigste Gefolgsmann des Saul aber ist David, den mit Jonathan eine tiefe Freundschaft verbindet. David ist Saul überlegen, beliebter beim Volk, erfolgreicher in den Schlachten und wird von Saul deshalb mit Eifersucht und Hass verfolgt. Saul stiftet sogar Jonathan an, David zu töten, aber die Freundschaft ist stärker als dieser Befehl. Es ist ganz deutlich: Mit dem Schatten Samuels meint der Großinquisitor diese alttestamentarische Konstellation. Er beziehungsweise die Kirche ist Samuel, Philipp ist Saul, Carlos ist Jonathan und Posa ist David. Und er kann auch voraussetzen, dass der gute Katholik Philipp den Ausgang der Geschichte kennt: Saul und Jonathan fallen, ehe die Einigung Israels gegen die Philister gelingt. David besiegt die Erben Sauls und wird erfolgreicher König Israels. Diese mehr als deutliche Warnung mit den Waffen der Bibel erzielt die erwünschte Wirkung: Der nun endgültig zermürbte König bricht seinen heroischen Widerstand gegen die Zumutungen der Kirche ab. Er kann nur noch gebrochen um Frieden bitten und darum, dass der Großinquisitor vergisst, was verhandelt wurde. Dessen Antwort ist ziemlich eindeutig: »Vielleicht«, was heißt: natürlich nicht. Der Verzweiflungsschrei des Königs mit seiner absteigenden Tonfolge besiegelt seinen moralischen und machtpolitischen Zusammenbruch: »Warum muss sich der Thron dem Altar immer beugen!«

In noch viel konsequenterer und gleichzeitig komplizierterer Weise als bei unserem ersten Beispiel haben abwesende Mächte diese Szene bestimmt. Im Vordergrund standen die beiden mächtigsten Männer Spaniens: Vertreter von Kirche und Staat. Ihr persönliches Verhältnis spielte keine Rolle, wurde auch kaum deutlich. Um Abwesende ging es, die ihre Schlagschatten über die Szene legten. Auf einer ersten Ebene um Carlos und Posa. Der Kampf um diese beiden Menschen wurde jedoch von Seiten der Kirche mit in der Tat kriminellen Mitteln geführt, mit dem geradezu erpresserischen Hinweis auf die alttestamentarischen Gestalten von Saul, Jonathan und David, in denen sich zu spiegeln der König gezwungen wurde, und mit einem noch stärkeren und nicht zu überbietenden Argument: mit der Perspektivierung auf Gott und dessen Sohn. Philipp mag ein Zyniker und Menschenverächter sein, aber er ist ein gläubiger Katholik. Die Wucht der ganzen Szene beruht nicht zuletzt auf ihrer Öffnung mit Blick auf zwei übereinander gestaffelte Bühnen, eine weltliche im Vordergrund und eine biblisch-himmlische im Hintergrund. Die Abwesenden sind es, unter deren Schatten die Anwesenden zu geradezu kleinen Akteuren im Vordergrund werden. Wie bei Ibsen besitzen die Gespenster der Abwesenden die entscheidende Macht über den Dialog der Anwesenden. Einen solch kunstvollen Aufbau einer Szene hat Verdi selbst in seinem Spätwerk nicht mehr überboten.

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ÈVE-MAUD HUBEAUX als EBOLI ASMIK GRIGORIAN als ELISABETTA


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L ION F E U C H T WA N G E R

DIE SPANISCHE INQUISITION Im Jahre 1478 hatten die katholischen Herrscher Ferdinand und lsabella ein Sondertribunal eingesetzt zur Verfolgung aller Verbrechen gegen die Religion. Das war geschehen nach der Niederkämpfung der Araber, als es galt, die mühsam hergestellte Einheit des Reiches durch die Einheit des Glaubens zu wahren. »Eine Herde, ein Hirt, ein Glaube, ein König, ein Schwert«, hatte damals der Dichter Hernando Acuna gesungen. Dieses geistliche Gericht, die Inquisition, das Heilige Offizium, hatte seine Pflicht getan. Ausgespäht, ausgetrieben, ausgetilgt waren die Araber und Juden, desgleichen alle jene, die ihre subversive Gesinnung hinter der Maske des katholischen Glaubens zu verbergen gesucht hatten: die heimlichen Mauren und Juden, die Moriscos, die Judaisantes, die Marranen. Aber als die Inquisition diese ihre Aufgabe erfüllt hatte, war sie zu einer selbstständigen Macht innerhalb des Staates geworden. Zwar beschränkte sich dem Namen nach ihre Tätigkeit auf die Ausfindung und Bestrafung der Ketzerei. Aber was alles war nicht Ketzerei? Ketzerei war zunächst jede Ansicht, die gegen ein Dogma der katholischen Kirche verstieß, und somit fiel der Inquisition die Aufgabe zu, alles Geschriebene, Gedruckte, Gesprochene, Gesungene und Getanzte zu zensieren. Ketzerei war weiterhin jede für die Allgemeinheit wichtige Tätigkeit, wenn

sie von dem Abkömmling eines Ketzers ausgeübt wurde. Somit hatte das Heilige Offizium die Pflicht, die Reinblütigkeit aller derer nachzuprüfen, die um ein Amt nachsuchten. Jeglicher Anwärter musste seine »limpieza« erweisen, seine Abstammung von altchristlichen Eltern und Ureltern; es durfte unter seinen Ahnen kein Maure oder Jude gewesen sein. Solche Gutachten ausstellen konnte nur die Inquisition. Sie konnte die Untersuchung nach Belieben hinausziehen, sie konnte dafür beliebig hohe Gebühren berechnen, die letzte Entscheidung, ob ein Spanier im Staatsdienst beschäftigt werden konnte, war in ihre Hand gegeben. Ketzerei war aber auch Fluchen, die Darstellung des Nackten, Bigamie, unnatürliche Unzucht. Ketzerei war Wucher; da er in der Bibel verboten war. Sogar der Pferdehandel mit Nichtspaniern war Ketzerei, weil solcher Handel den Ungläubigen jenseits der Pyrenäen Vorteile bringen konnte. Durch solche Interpretierung ihres Amtsbereiches riss die Inquisition immer mehr Rechte der Krone an sich und untergrub die Autorität des Staates. Alljährlich schrieb das Heilige Offizium einen Feiertag aus, um an ihm das sogenannte Glaubensedikt zu verkünden. In diesem Erlass wurden diejenigen, die sich ketzerischer Neigungen schuldig fühlten, ermahnt, sich selber innerhalb einer Gnadenfrist von dreißig Tagen bei dem Heiligen Tribunal zu bezichtigen. Weiterhin wurden alle Gläubigen auf-

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DIE SPA N ISCHE INQU ISI T ION

gefordert, jegliche Ketzerei anzuzeigen, von der sie erfahren hätten. Es wurde eine lange Liste verdächtiger Handlungen aufgezählt. Auf heimliche Ketzerei wiesen hin alle jüdischen Bräuche, das Anzünden von Kerzen am Freitagabend, das Wechseln der Wäsche zum Sabbat, das Nichtessen von Schweinefleisch, das Händewaschen vor jeder Mahlzeit. Auf ketzerische Neigungen hin wies die Lektüre fremdsprachlicher Bücher wie überhaupt häufiges Lesen profaner Werke. Kinder hatten ihre Eltern, Ehemann oder Ehefrau den Partner anzuzeigen, sowie sie Verdächtiges bemerkten, sonst verfielen sie der Exkommunikation. Beklemmend war die Heimlichkeit, mit der das Tribunal vorging. Die Bezichtigung hatte heimlich zu erfolgen; schwerer Strafe schuldig machte sich, wer den Beschuldigten von der Anklage verständigte. Geringe Indizien genügten dem Gericht, um Verhaftung zu verfügen, und keiner wagte, nach denen zu fragen, die in den Kerkern der Inquisition verschwanden. Anzeiger, Zeugen, Angeklagte wurden eidlich zum Schweigen verpflichtet, ein Verstoß gegen den Eid wurde ebenso bestraft wie die Ketzerei selber. Leugnete der Inkriminierte oder beharrte er in seinem Irrtum, so wurde die Folter angewandt. Um die Bezahlung der Folterknechte zu sparen, forderte die Inquisition manchmal hohe Zivilbeamte auf, die gottgefällige Tätigkeit umsonst auszuüben. Wie alle Phasen der Prozedur vollzog sich die Folterung nach peinlich genauen Vorschriften, in Anwesenheit eines Arztes und eines Sekretärs, der jede Einzelheit protokollierte. Mit Nachdruck, durch die Jahrhunderte hindurch, betonten die geistlichen Richter, dass sie das widerwärtige Mittel der Folter aus Barmherzigkeit an-

wendeten, um nämlich den Verstockten von seiner Ketzerei zu befreien und ihn auf den Weg der wahren Erkenntnis zu führen. Gestand und bereute der Beschuldigte, so wurde er dadurch »mit der Kirche ausgesöhnt«. Die Aussöhnung war verknüpft mit einer Buße; es wurde etwa der Auszusöhnende gegeißelt oder in öffentlicher Prozession im Schandkleid durch die Stadt geführt, oder er wurde den weltlichen Behörden überstellt zur Abbüßung einer drei- bis achtjährigen, manchmal auch lebenslänglichen Galeerenstrafe. Das Vermögen des Büßenden wurde konfisziert, zuweilen auch sein Haus zerstört; er und seine Nachfahren bis ins fünfte Geschlecht blieben unfähig, ein Amt zu bekleiden oder einen angesehenen Beruf auszuüben. Das Heilige Tribunal hielt am Prinzip der Milde fest, selbst wenn der Ketzer nicht gestand oder nur ein teilweises Schuldbekenntnis ablegte. Die Kirche tötete den Sünder nicht; wohl aber stieß sie den hartnäckigen oder rückfälligen Verbrecher aus ihrer Gemeinschaft aus und übergab ihn den weltlichen Behörden. Auch diesen empfahl sie die Vermeidung des Richtschwertes, forderte sie aber auf zur Beherzigung des Schriftverses: »Wer nicht in mir bleibt, der wird weggeworfen wie eine Rebe und verdorrt, und man sammelt sie und wirft sie ins Feuer; und sie müssen brennen.« Demzufolge verbrannte die weltliche Behörde die weggeworfenen Reben, die aus der Gemeinschaft Ausgestoßenen, und zwar lebendigen Leibes. Ging es um einen toten Ketzer; so wurde der Leichnam ausgegraben und verbrannt. Gestand der Ketzer noch nach der Verurteilung, so wurde er erdrosselt und nur seine Leiche verbrannt. War der Ketzer geflohen, so wurde er im Bilde verbrannt. Immer

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wurde sein Vermögen konfisziert; einen Teil der verfallenen Güter erhielt der Staat, einen Teil die Inquisition. So geheim das Verfahren der Inquisition war; mit so pomphafter Öffentlichkeit wurden ihre Urteile verkündigt und vollzogen. Verkündung und Vollziehung des Urteils wurde »Glaubensakt« genannt, »Glaubenskundgebung, Glaubensmanifest, Auto de fé«. Daran teilzunehmen galt als gottgefällige Handlung. Prächtige Prozessionen zogen auf, feierlich wurde die Standarte der Inquisition enthüllt, auf riesigen Tribünen saßen die zivilen und die geistlichen Würdenträger. Jeder einzelne Verbrecher wurde aufgerufen und vorgeführt, angetan mit dem Schandhemd und dem roten, spitzen Ketzerhut, sein Urteil wurde ihm mit schallender Stimme verkündet. Zum Quemadero, zum Verbrennungsplatz, wurden die Verurteilten mit großem Aufgebot von Militär geführt. Der Verbrennung der Ketzer schaute die Menge mit einer Gier zu, welche die Entzückungen des Stierkampfes übertraf, und wenn zu viele Sünder nach der Verurteilung bereut hatten, sodass sie mit der Erdrosselung davonkamen und nicht brennen mussten, dann murrten die Zuschauer. Häufig wurden solche »Glaubensakte« gehalten zur Feier freudiger Ereignisse, der Thronbesteigung oder Hochzeit eines Königs oder der Geburt eines Thronfolgers; dann wurde der Scheiterhaufen von einem Mitglied der königlichen Familie angezündet. Über jedes Autodafé wurden Berichte veröffentlicht, die von kundigen

geistlichen Schriftstellern verfasst waren. Diese Berichte waren sehr beliebt. Da erzählt etwa der Padre Garau von einem Autodafé auf der Insel Mallorca. Wie da drei verstockte Sünder den Feuertod fanden und wie sie, als die Flammen sie erreichten, verzweifelt vom Pfahl loswollten. Der Ketzer Benito Terongi riss sich wirklich los, doch nur um in die Flammen zu seiner Linken zu fallen. Seine Schwester Catalina, die sich vorher gerühmt hatte, sie werde sich selber in die Flammen stürzen, schrie und winselte, man solle sie losbinden. Der Ketzer Rafael Valla stand zuerst bewegungslos wie eine Statue im Rauch, aber als die Flammen ihn berührten, wand und krümmte er sich. Er war fett und rosig wie ein zullendes Ferkel, und als man außen an seinem Körper keine Flammen mehr sah, brannte er innen weiter; sein Leib brach auf, seine Eingeweide fielen heraus wie die des Judas. Das Büchlein des Padre Garau »La Fe Triunfante«, »Der triumphierende Glaube«, hatte besondern Erfolg, es erreichte vierzehn Auflagen, eine letzte in den Zeiten Francisco Goyas. Manche unter den Inquisitoren wurden von reinem Eifer für den Glauben getrieben, andere nützten ihre Autorität zur Befriedigung ihrer Machtgier; Habsucht, Fleischeslust. Die Erzählungen entkommener Opfer mögen übertrieben sein, doch zeigt das Manuale der Inquisition, ihre Prozessordnung, wie leicht es den geistlichen Richtern gemacht war, nach Belieben vorzugehen, und die Akten beweisen, wie willkürlich sie verfuhren.

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JOSHUA GUERRERO als DON CARLO ÉTIENNE DUPUIS als POSA KOMPARSERIE


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GEORGE MARTIN

VERDI, DIE KIRCHE UND DON CARLOS Don Carlos ist eine der wenigen Opern ihrer Entstehungszeit, in denen die Kirche nicht so sehr als eine religiöse Macht erscheint, die sich etwa im Gebet oder durch pompöse Zeremonien manifestiert, sondern vielmehr als politischer Machtfaktor. In Don Carlos verfolgt die Kirche eine Politik, die sie dank der Autorität des Großinquisitors über Philipp II. dem Volk der Niederlande aufzwingen kann. Sie ist es, und sie alleine, die den Pöbel von Madrid in die Schranken zu weisen versteht. Kurz, die Kirche stellt (zumindest in der Welt, die uns die Oper zeigt) eine echte politische Macht dar. Und sie wird durchaus nicht als tolerante oder menschenfreundliche Autorität präsentiert. In der Oper werden edle Gefühle ausschließlich Rodrigo und Don Carlos zugeschrieben. Der Großinquisitor seinerseits fordert Philipp recht brutal dazu auf, dem Beispiel des Herrn zu folgen, also seinen eigenen Sohn dem Gemeinwohl zu opfern. Er ist es auch, der später die Ermordung Rodrigos anordnet, selbst wenn dies auf der Bühne nicht ausdrücklich gesagt wird. In dieVorige Seiten ÈVE-MAUD HUBEAUX als EBOLI KOMPARSERIE

sem Punkt gibt es jedoch keinen Zweifel oder sollte es zumindest keinen geben. Die Anweisungen des Librettos sind eindeutig: der Mann, der dem Mörder zeigt, wer Rodrigo ist, muss die Uniform des Gefolges des Großinquisitors tragen. Leider – vielleicht nur, um ein Kostüm zu sparen – trägt diese Person manchmal die Uniform der Wache des Königs. Tatsächlich sollte diese Szene jedoch der endgültige Beweis sein, dass der Rat berechtigt war, den der König lange vorher Rodrigo gab: »Hüte dich vor dem Großinquisitor!« Dies ist einer der Punkte, in denen das Opernlibretto von Schillers Drama abweicht. Bei Schiller befiehlt der König selbst den Mord und zieht dadurch den Zorn des Großinquisitors auf sich, der gerade Rodrigo verhaften, ihn vor Gericht stellen und wegen Ketzerei verurteilen lassen wollte. Don Carlos ist, um auf das Eingangsthema zurückzukommen, eine Ausnahme unter den Opern dieser Zeit, insofern die Kirche als politische Kraft dargestellt und dabei negativ charakterisiert wird. Weshalb erschien Verdi diese Thematik für eine Oper geeignet, und

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VERDI, DIE KIRCHE UND DON CARLOS

warum war sie es besonders zu dieser Zeit? Ich glaube, dass dieses besondere Thema Verdi deshalb anzog, weil er – im privaten Bereich ein Agnostiker – politisch antiklerikal eingestellt war, und zwar aufgrund der Tatsache, dass die Kirche bis ins letzte Jahrhundert hinein auf der politischen Bühne Europas und vor allem Italiens eine wichtige Rolle spielte. Auch wenn man die besondere Bedeutung berücksichtigt, die der Glaube in Verdis Privatleben hatte und die seine Haltung gegenüber der Kirche bestimmte, neige ich dazu, sie nicht überzubewerten. Rufen wir uns in Erinnerung, was die Strepponi in einem Brief an Cesare Vigna (9. Mai 1872) schrieb: »Er ist ein Juwel von einem edlen Menschen, er fühlt und begreift alle erhabenen und feinfühligen Regungen, und trotzdem erlaubt sich dieser Bandit – ich würde nicht so weit gehen zu sagen: Atheist – aber sicherlich, wenig gläubig zu sein, und das mit einer Beharrlichkeit und einem Gleichmut, dass man ihn schlagen möchte. Vergeblich spreche ich ihm von den Herrlichkeiten des Himmels, der Erde, des Meeres, usw. – er lacht mir ins Gesicht und lähmt mich in meinem göttlichen Enthusiasmus, indem er einfach sagt: Ihr seid verrückt!« Verdi begleitete die Strepponi übrigens zur Messe, allerdings nur bis zum Kirchenportal, er selbst ging nicht hinein. Dennoch komponierte er das Requiem für Manzoni, heiratete zweimal kirchlich und ließ seine Kinder taufen. Selbst wenn seine Briefe häufig scharfe Attacken gegen den Klerus führten, behielt er doch sonst diese Ansichten für sich. Er diskutierte seinen persönlichen Glauben nicht öffentlich, noch weniger stellte er ihn zur Schau, und ich glaube, dass er niemals ein Libretto wie das von Don Carlos dazu verwendet hätte,

den Glauben anderer zu kritisieren. Ein glühender Katholik hätte sicherlich das Libretto, das Verdis Zustimmung fand, abgelehnt; meiner Meinung nach ist das jedoch der letzte Ort, an dem er seinem Glauben Platz eingeräumt hätte. Zwischen 1845 und 1870 war die Politik weitaus wichtiger, und Verdi spielte dabei eine öffentliche Rolle. Das große Problem, für das Verdi sich interessierte und zu dem er mit seiner Musik öffentlich Stellung nahm, war die Einigung der italienischen Staaten und ihre Befreiung von jeglicher Fremdherrschaft. Eines der Haupthindernisse bei der Kampagne, die darauf abzielte, die Österreicher von der italienischen Halbinsel zu vertreiben und die acht kleinen italienischen Staaten zu einen, war der Papst mit seinen Ländereien, die sich quer durch Italiens Nordhälfte erstreckten und den Süden abtrennten. Früher oder später mussten die Einigungsbemühungen mit dem Papst und dem Kirchenstaat kollidieren. Der Papst stand deshalb während des ganzen 19. Jahrhunderts bei der Einigung Italiens unwillkürlich im Zentrum der Auseinandersetzungen und wurde zwangsläufig in die Manöver der italienischen Politik hineingezogen.

REPUBLIKANISCHE GESINNUNG UND ANTIKLERIKALISMUS Es scheint nunmehr verständlich, dass viele Italiener und mit ihnen Verdi antiklerikal eingestellt waren, umso mehr, als die Päpste zur Sicherung ihrer Ländereien traditionsgemäß auf den Schutz der französischen oder österreichischen Armee vertrauten. Das war ein altes Problem. Schon Machiavelli hatte beklagt, dass der Papst Italien dauerhaft

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GEORGE MARTIN

entzweie, indem er fremde Armeen zu Hilfe rief. Zwischen 1845 und 1855 waren die Republikaner, angeführt von Mazzini, die mächtigste Fraktion, die an der Einigung Italiens arbeitete, und Verdi war ein enthusiastischer Republikaner. 1848, im Jahr der Revolution in Italien und ganz Europa, bat Mazzini Verdi, eine Hymne für die Republikaner zu schreiben. Verdi komponierte sie sehr schnell und schickte sie ihm (am 18. Oktober) mit folgenden Worten: »Möge diese Hymne mit der Begleitmusik der Kanonen bald in der lombardischen Ebene erklingen.« Die Hymne hatte jedoch keinen Erfolg. Später, im Jänner 1849, als die Republikaner den Papst gezwungen hatten, Rom zu verlassen und dabei waren, die Republik mit Mazzini an ihrer Spitze zu errichten, reiste Verdi zur Uraufführung der Battaglia di Legnano in die Hauptstadt. Die Oper wurde ein großer Erfolg, und ihr Komponist war nun für mehrere Monate das Symbol der Hoffnung und des Enthusiasmus der Republikaner. Jedoch endete dieses Abenteuer für die Republikaner und die, die sich ihnen in Rom angeschlossen hatten, fatal. Der Papst ersuchte die Franzosen, die Stadt mit Waffengewalt wieder einzunehmen; sie schlugen Garibaldi und Mazzini und stellten die Herrschaft des Papstes inmitten der Halbinsel wieder her. Die Kämpfe in Rom waren blutig und ein Freund Verdis, der Mailänder Luciano Manara, starb als Held. Wenig später erhielt Verdi von einem anderen Freund eine kleine Skulptur, die Manara darstellte. Der Komponist stellte sie auf seinen Schreibtisch, wo sie bis zu seinem Tod, zweiundfünzig Jahre später, ihren Platz haben sollte und wo man sie noch heute besichtigen kann.

Versetzen wir uns jetzt in die Zeit von 1866/1867, zu der die Oper geschrieben wurde. Die Situation in Italien war nun eine ganz andere, aber der Papst und die Kirche blieben immer noch eine politische Kraft im Zentrum der Halbinsel. Victor Emanuel, Cavour und Garibaldi hatten ganz Italien geeint – mit Ausnahme von Rom und seiner Provinz. Der Kirchenstaat erstreckte sich nicht mehr, Norden und Süden trennend, über die Mitte der Halbinsel. Was jedoch vom alten Pontifikalbesitz übrig geblieben war, wurde immer noch von der französischen Armee verteidigt. Zwischen 1853 und 1854 hatte Verdi, wie viele Italiener, die republikanischen Ideale zugunsten derer Cavours und des Hauses Savoyen aufgegeben und die Träume von einem republikanischen Italien der Hoffnung auf ein geeintes Italien geopfert. Auch Cavour und Garibaldi hatten dies getan und Verdi selbst, einer Aufforderung Cavours nachkommend, war Mitglied des ersten Parlaments im neuen Königreich Italien.

DER PAPST UND SEINE PARTEI ALS GEGENSPIELER DER EINIGUNG ITALIENS Wie viele Italiener wollte jedoch auch er, dass Rom die Hauptstadt des Landes würde. In einem Brief an den Tenor Tamberlinck (21. Februar 1862) schilderte er seine Pläne für das kommende Jahr in Sankt Petersburg: »Was werde ich die ganze Zeit über tun? Ich weiß es nicht ... ich werde mich amüsieren, mich langweilen, fluchen, vielleicht komponieren ... ja, ich werde komponieren, was wir auf dem Kapitol singen müssen – O Rom, Rom! ... Wann kommt dieser Tag? Der Traum von zwanzig Lebensjahren!«

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VERDI, DIE KIRCHE UND DON CARLOS

Wenn Rom die Hauptstadt Italiens werden sollte, musste der Papst auf seine Hoheitsrechte verzichten – er weigerte sich jedoch. Wie konnte man den Papst dazu verpflichten? War es gerechtfertigt, ihn zu zwingen? Das war das brennende Problem der Zeit. In Paris, wo die Uraufführung von Don Carlos stattfand, machte Kaiser Napoleon III. keinen Hehl aus seiner Bereitschaft, den Papst zur Einigung mit dem Königreich Italien zu zwingen. Aber das katholische Lager, das den Papst wieder mit seiner früheren Machtund Besitzesfülle ausstatten wollte, war stark. Außerdem war bekannt, dass die Kaiserin selbst diese Partei unterstützte. Daher hatte der Zwischenfall politische Bedeutung, den die Kaiserin bei der Premiere auslöste, indem sie sich bei der Szene abwandte, in der (so heißt es im Libretto) der König dem Großinquisitor entgegenschleudert: »Taistoi, prêtre!« (Schweig, Priester!). Diese Geste hatte eine größere Tragweite als nur die Entrüstung einer frommen Frau angesichts der Tatsache, dass ein Priester so harte Worte einstecken musste: Sie brachte auch die Entschlossenheit der Kaiserin und ihres Lagers zum Ausdruck, dass keine irdische Macht, sei es Napoleon III. oder Victor-Emanuel, das Recht haben würde, die Entscheidungen des Papstes zu beeinflussen. Es heißt, die Kritiker, die damals diesen Vorfall diskutierten, seien zu dem Schluss gekommen, dass diese Reaktion die Aufnahme der Oper durch das französische Publikum negativ beeinflusst habe. Das Thema der Oper war aus verschiedenen Gründen höchst aktuell. Im Dezember 1864 gab der Papst, um die Position der Kirche zu verdeutlichen und ihr Nachdruck zu verleihen, eine

Enzyklika zusammen mit dem Syllabus der Zeitirrtümer heraus, der offensichtlich auch für die Zukunft, sowohl für Italien als auch für alle anderen Staaten, jegliche Einigung zwischen Kirche und Staat verbot. Der Syllabus verurteilte im Kern die gesamten Grundlagen, auf denen die liberalen Staaten der Zeit aufbauten. Achtzig Postulate waren in ihm verzeichnet und vom Papst als Irrlehren verurteilt. So wurde nicht nur der Pantheismus oder die Vereinbarkeit von Bibel und Kommunismus verdammt, sondern auch die Gewissensfreiheit, Toleranz, Pressefreiheit und sogar die Vorstellung, dass der Papst die Kirche mit der modernen Zeit in Einklang bringen könne oder müsse. Kurz, der römische Pontifex (wie der Großinquisitor in der Oper) verurteilte samt und sonders die Ideale, für die Rodrigo steht. Niemand, der 1867 die Oper hörte, konnte das übersehen, denn der Syllabus hatte in Europa mehr Aufsehen erregt als alle anderen Pontifikalschriften des ganzen Jahrhunderts. Und während in Europa, besonders in Frankreich und Italien, die gesamte Öffentlichkeit das Problem des Verhältnisses zwischen Kirche und Staat im Sinne des Syllabus oder gegen ihn diskutierte, ließen sich Verdi und seine Librettisten von Schillers Drama als dem idealen Opernstoff faszinieren. Der Konflikt zwischen Freiheit und Pflicht, zwischen Toleranz und Intoleranz ist auch heute noch ein Thema, und Staatsmänner wie Philipp II. tragen noch immer die Last von Mächten, die sie nach und nach ihrer Menschlichkeit berauben. Verdi, ein Italiener auf der Höhe seiner Zeit, war am besten geeignet, diesen Konflikt zu erfassen und genial in Musik zu setzen.

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SIEGHART DÖHRING

ÜBERHÖHUNG INS MYSTISCH- PHANTASTISCHE Erscheint Don Carlos durchaus als eine politische Oper in der Tradition der musikalischen Ideendramen Meyerbeers, so enthält das Werk doch auch Elemente des modischen »genre fantastique«, die im Kontext der historischen Oper als Fremdkörper wirken: die Erscheinung des Mönch-Kaisers am Anfang des I. und am Schluss des IV. Aktes sowie die Stimme aus der Höhe am Schluss des II. Aktes – ein Umstand von erheblicher Relevanz für die Dramaturgie und vor allem die Poetik des Stückes. Für das erste Motiv gibt es einen Anknüpfungspunkt bei Schiller: Dort heißt es, der Geist Karls V. sei in den Gängen des Palastes gesehen worden, und Carlos macht sich dieses Gerücht zunutze, um in der Maske des verstorbenen Kaisers Zugang zu den Gemächern Elisabeths zu finden. Aus der berichteten beziehungsweise fingierten Erscheinung im Drama wird in der Oper eine reale, handelnde Person. Allerdings lässt der Wortlaut des Textes offen, ob es sich tatsächlich um den Geist des Kaisers handele oder um »ein[en] Mönch«, so die durchgehende Bezeichnung der Figur in den textlichen Quellen, den die Umstehenden lediglich für den Geist des Kaisers halten. Dass die Gestalt jedenfalls nicht der wirkliche Kaiser ist, geht unmissverständlich aus den Worten des unsichtbaren Chors der Mönche hervor, der ihren Auftritt im I. wie im IV. Akt begleitet: »Karl der Fünfte, der erhabene Kaiser, ist nur noch Staub und Asche.« Die geheimnisvolle Erscheinung des Mönch-Kaisers war die Idee du Locles, und auf ihn ist es zurückzuführen, dass ihre phantasmagorischen Züge in der Mailänder Neufassung noch deutlicher herausgearVorige Seiten JOSHUA GUERRERO als DON CARLO ROBERTO TAGLIAVINI als FILIPPO KOMPARSERIE

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ÜBERHÖHUNG INS MYSTISCH-PHANTASTISCHE

beitet wurden. Nun heißt es am Schluss der Oper von dem »Mönch«, der Carlos zu sich in den Schutz des Klosters zieht: »Es ist [!] Karl V. im Gewand und mit der Krone des Kaisers.« Zusätzliches Gewicht erhalten die Auftritte des Mönch-Kaisers durch die Streichung des Fontainebleau-Aktes, bilden sie doch nun, am Anfang und am Schluss der Oper stehend, den Rahmen der Handlung, die dergestalt eine Überhöhung ins Metaphysische erfährt. Dies fügte sich zwar nicht in die skeptizistische Weltsicht Verdis, dem die Figur im Grunde suspekt war und der deshalb vorschlug, sie auf eine eindeutig reale Ebene zu stellen, etwa als »Mitbruder des vor Jahren verstorbenen Karls V.« (Brief an Charles Nuttier vom 9. Juni 1882). Dennoch hat der Komponist ihre Zweideutigkeit – »halb Schatten, halb menschliches Wesen« – letztlich akzeptiert und an ihr in allen Fassungen der Oper festgehalten. Dass Verdi offenbar zu keiner Zeit in Erwägung gezogen hat, den Schillerschen Schluss (die Überstellung Carlos’ in die Gewalt des Großinquisitors) in die Oper zu übernehmen, kann nicht nur an der Bevorzugung des neuen Ausgangs gelegen haben. Vielmehr stand ihm der rätselhafte Mönch-Kaiser, »der die Nichtigkeit des Glanzes dieser Welt erkannt hat« (so Elisabeth vor seinem Grabmal am Beginn des IV. Aktes), für den VanitasGedanken als zentralen Bezugspunkt auch und gerade der politischen Handlung des Stückes. Eine Zutat des Komponisten und seiner Librettisten ist die »Stimme aus der Höhe« am Schluss des Autodafé-Bildes. Auch hier hat sich Verdi um eine Rationalisierung bemüht: Als eine trostspendende innere

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ÜBERHÖHUNG INS MYSTISCH-PHANTASTISCHE

Stimme der Verurteilten, die allein von ihnen wahrgenommen wird, wollte er sie verstanden wissen. Dem steht freilich die Objektivität des Theatereindrucks entgegen, der eine klangräumliche Verortung als »Stimme vom Himmel« (so ihre Bezeichnung in der Mailänder Fassung) unabweisbar macht. Die Deutung der Stelle als Freispruch der zum Tode Verurteilten im Sinne einer utopischen »Gegengeschichte« (Ulrich Schreiber) lässt den musikdramatischen Kontext außer Acht: Den Worten der Stimme aus der Höhe (»Schwingt euch empor zum Herrn, schwingt euch empor, ihr armen Seelen! / Kommt, den Frieden vor Gottes Thron zu schmecken!«) ist nämlich jene Melodie unterlegt, die beim Einzug der Verurteilten dem Mönchschor zugeordnet war (»Aber die Vergebung folgt der Verdammung, wenn der erschrockene Sünder in der letzten Stunde an der Schwelle der Ewigkeit seine Schuld bereut.«). So wird vom Anfang bis zum Schluss der Szene nicht nur eine musikalische, sondern auch eine Ideenverbindung hergestellt: Die Vergebung ist an das Eingeständnis der Schuld geknüpft, und sie wird den reuigen Sündern erst »vor Gottes Thron«, also im Tode, zuteil; der verheißene Frieden ist der Frieden der Kirche. Die tröstenden Worte aus dem Jenseits setzen denn auch das Ritual des Schreckens nicht außer Kraft, sondern tauchen es in ein verklärendes Licht. Wie die Gestalt des Mönch-Kaisers bleibt auch die Stimme aus der Höhe der Sphäre des Sakralen verhaftet, die damit eine Erweiterung ins Mystisch-Phantastische erfährt.

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JOSHUA GUERRERO als DON CARLO ASMIK GRIGORIAN als ELISABETTA KOMPARSERIE


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FRIEDRICH SCHILLER / AUS DEM SECHSTEN BRIEF ÜBER DON CARLOS

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FRIEDRICH SCHILLER

AUS DEM ELFTEN BRIEF ÜBER DON CARLOS Unstreitig! der Charakter des Marquis von Posa hätte an Schönheit und Reinigkeit gewonnen, wenn er durchaus gerader gehandelt hätte und über die unedlen Hülfsmittel der Intrige immer erhaben geblieben wäre. Auch gestehe ich, dieser Charakter ging mir nahe, aber, was ich für Wahrheit hielt, ging mir näher. Ich halte für Wahrheit, dass, »Liebe zu einem wirklichen Gegenstande und Liebe zu einem Ideal sich in ihren Wirkungen ebenso ungleich sein müssen, als sie in ihrem Wesen voneinander verschieden sind – dass der uneigennützigste, reinste und edelste Mensch aus enthusiastischer Anhänglichkeit an seine Vorstellung von Tugend und hervorzubringendem Glück sehr oft ausgesetzt ist, ebenso willkürlich mit den Individuen zu schalten als nur immer der selbstsüchtigste Despot, weil der Gegenstand von beider Bestrebungen in ihnen, nicht außer ihnen wohnt und weil jener, der seine Handlungen nach einem innern Geistesbilde modelt, mit der Freiheit anderer beinahe ebenso im Streit liegt als dieser, dessen letztes Ziel sein eigenes Ich ist.« Wahre Größe des Gemüts führt oft nicht weniger zu Verletzungen fremder Freiheit als der Egoismus und die Herrschsucht, weil sie um der Handlung, nicht um des einzelnen Subjekts willen handelt. Eben weil sie in steter Hinsicht auf das Ganze wirkt, verschwindet nur allzu leicht das kleinere Interesse des Individuums in diesem weiten Prospekte. DMITRY ULYANOV als GRANDE INQUISITORE

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FRIEDRICH SCHILLER

Geräuschlos, ohne Gehülfen, in stiller Größe zu wirken, ist des Marquis Schwärmerei. Still, wie die Vorsicht für einen Schlafenden sorgt, will er seines Freundes Schicksal auflösen, er will ihn retten, wie ein Gott – und eben dadurch richtet er ihn zugrunde. Dass er zu sehr nach seinem Ideal von Tugend in die Höhe und zu wenig auf seinen Freund herunterblickte, wurde beider Verderben. Carlos verunglückte, weil sein Freund sich nicht begnügte, ihn auf eine gemeine Art zu erlösen. Schon allein dieses, dass jedes solche moralische Ideal oder Kunstgebäude doch nie mehr ist als eine Idee, die, gleich allen andern Ideen, an dem eingeschränkten Gesichtspunkt des Individuums teilnimmt, dem sie angehört, und in ihrer Anwendung also auch der Allgemeinheit nicht fähig sein kann, in welcher der Mensch sie zu gebrauchen pflegt, schon dieses allein, sage ich, müsste sie zu einem äußerst gefährlichen Instrument in seinen Händen machen: aber noch weit gefährlicher wird sie durch die Verbindung, in die sie nur allzu schnell mit gewissen Leidenschaften tritt, die sich mehr oder weniger in allen Menschenherzen finden; Herrschsucht meine ich, Eigendünkel und Stolz, die sie augenblicklich ergreifen und sich unzertrennbar mit ihr vermengen. Nennen Sie mir, lieber Freund – um aus unzähligen Beispielen nur eins auszuwählen – nennen Sie mir den Ordensstifter oder auch die Ordensverbrüderung selbst, die sich – bei den reinsten Zwecken und bei den edelsten Trieben – von Willkürlichkeit in der Anwendung, von Gewalttätigkeit gegen fremde Freiheit, von dem Geiste der Heimlichkeit und der Herrschsucht immer rein erhalten hätte? Die bei Durchsetzung eines, von jeder unreinen Beimischung auch noch so freien moralischen Zweckes, insofern sie sich nämlich diesen Zweck als etwas für sich Bestehendes denken und ihn in der Lauterkeit erreichen wollten, wie er sich ihrer Vernunft dargestellt hatte, nicht unvermerkt wären

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AUS DEM 11. BRIEF ÜBER DON CARLOS

fortgerissen worden, sich an fremder Freiheit zu vergreifen, die Achtung gegen anderer Rechte, die ihnen sonst immer die heiligsten waren, hintanzusetzen und nicht selten den willkürlichsten Despotismus zu üben, ohne den Zweck selbst umgetauscht, ohne in ihren Motiven ein Verderbnis erlitten zu haben. Ich erkläre mir diese Erscheinung aus dem Bedürfnis der beschränkten Vernunft, sich ihren Weg abzukürzen, ihr Geschäft zu vereinfachen und Individualitäten, die sie zerstreuen und verwirren, in Allgemeinheiten zu verwandeln. Aus der allgemeinen Hinneigung unsers Gemütes zur Herrschbegierde oder dem Bestreben, alles wegzudrängen, was das Spiel unsrer Kräfte hindert. Ich wählte deswegen einen ganz wohlwollenden, ganz über jede selbstsüchtige Begierde erhabenen Charakter, ich gab ihm die höchste Achtung für anderer Rechte, ich gab ihm die Hervorbringung eines allgemeinen Freiheitsgenusses sogar zum Zwecke, und ich glaube mich auf keinem Widerspruch mit der allgemeinen Erfahrung zu befinden, wenn ich ihn, selbst auf dem Wege dahin, in Despotismus verirren ließ. Es lag in meinem Plan, dass er sich in dieser Schlinge verstricken sollte, die allen gelegt ist, die sich auf einerlei Wege mit ihm befinden.

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KOPFZEILE

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Kultur bewegt uns alle. Die OMV und die Wiener Staatsoper verbindet eine jahrelange Partnerschaft. Unser Engagement geht dabei weit über die Bühne hinaus. Wir setzen uns aktiv für Jugend und Nachwuchsprojekte ein und ermöglichen den Zugang zu Kunst und Kultur für junge Menschen. Gemeinsam gestalten wir eine inspirierende Zukunft.

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Alle Partnerschaften finden Sie auf: omv.com/sponsoring


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UNSER WICHTIGSTER ROHSTOFF: IDEEN

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IMPRESSUM GIUSEPPE VERDI

DON CARLO SPIELZEIT 2024/25 Herausgeber WIENER STAATSOPER GMBH, Opernring 2, 1010 Wien Direktor DR. BOGDAN ROŠČIĆ Musikdirektor PHILIPPE JORDAN Kaufmännische Geschäftsführerin DR. PETRA BOHUSLAV Redaktion SERGIO MORABITO Gestaltung & Konzept EXEX Layout & Satz ROBERT KAINZMAYER Lektorat MARTINA PAUL Druck PRINT ALLIANCE HAV PRODUKTIONS GMBH, BAD VÖSLAU TEXTNACHWEISE: ORIGINALBEITRÄGE Die Handlung sowie die Texte von Kirill Serebrennikov/Daniil Orlov und Philippe Jordan sind Originalbeiträge. ÜBERNAHMEN UND ÜBERSETZUNGEN Die Verdi-Zitate finden sich in seinem Brief an Giulio Ricordi vom 19. Februar 1883 (in: Analecta musicologica 14, Köln 1974, S. 340). – Ursula Günthers Essay erschien im Booklet zur Gesamteinspielung Don Carlos, Deutsche Grammophon 1985, UPC 00028941531629. – Der Text von Fedele d’Amico (aus: Forma divina. Saggi sull’opera lirica e sul balletto, Florenz 2012, Bd. 1, S. 244 f) wurde von Sergio Morabito für dieses Programmbuch übersetzt. – René Leibowitz’ Essay (aus seinem Buch Les Fantômes de l’Opéra, Paris 1972) erscheint als Nachdruck der Übersetzung aus dem Don Carlo-Programmbuch der Salzburger Festspiele 1998. – Norbert Elias zitieren wir nach dem 1. Band seiner Untersuchung Über den Prozess der Zivilisation, Frankfurt 1990, S. 264 ff. – Die Verse aus dem Zerbrochnen Krug sind zitiert nach Heinrich von Kleist, Dramen. Zweiter Teil, München 1976. – Der Text von Jens-Malte Fischer erschien erstmals im Don Carlo-Programmbuch der Bayerischen Staatsoper 2000. – Lion Feuchtwangers Text entstammt seinem Roman Goya oder Der arge Weg der Erkenntnis, Berlin 2007, S. 34 ff. – Der Text von George Martin stammt aus: ›Don Carlos‹. Libretto, Analyse, Kommentare, Dokumentation. Der Opernführer Nr.1/2, Taufkirchen bei München o. J. – Den Text von Sieghart Döhring entnahmen wir dem Verdi Handbuch, hrsg. v. Anselm Gerhard und Uwe Schweikert, Stuttgart 2013, S. 511. – Die Auszüge aus den Briefen über ›Don Carlos‹ nach Friedrich Schiller, Don Carlos, München 1984, S. 122 ff. – Die Verwendung der Texte und der Grafik aus der Ausstellung CRITICAL CONSUMPTION (30.8.2023–8.9.2024) © MAK – Museum für angewandte Kunst, Wien, 2023 erfolgte mit freundlicher Genehmigung. Kuratorin: Lara Steinhäußer; Lektorat: Cornelia Malli, Astrid Böhacker; Grafische Gestaltung: Fuhrer, Wien. Die Ausstellung wird vom 23.11.2024–31.10.2025 in adaptierter Form unter dem Titel STOFF/WECHSEL. Ein kritischer Blick auf Fast Fashion, ein Aufruf zu bewusstem Konsum im Frauenmuseum Hittisau gezeigt. BILDNACHWEISE Coverbild: Niina Kratz (www.niinakratz.com) / Bildkonzept Cover: Martin Conrads – Alle Szenenbilder fotografiert bei den Hauptproben zur Neuproduktion: Frol Podlesnyi / Michael Pöhn und Sofia Vargaiová/Wiener Staatsoper GmbH. Nachdruck nur mit Genehmigung der Wiener Staatsoper GmbH / Dramaturgie. Kürzungen sind nicht gekennzeichnet. Rechteinhaber, die nicht erreicht werden konnten, werden zwecks nachträglicher Rechtsabgeltung um Nachricht gebeten.




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