dornröschen Ballett in einem Prolog & drei Akten
Musik Dornröschen op. 66 von Piotr Iljitsch Tschaikowski Ferne Landschaft II für Orchester von Toshio Hosokawa Libretto Martin Schläpfer nach dem Märchen La Belle au bois dormant von Charles Perrault sowie nach Iwan Alexandrowitsch Wsewoloschski & Marius Petipa Choreographie Martin Schläpfer & Marius Petipa Musikalische Leitung Patrick Lange Bühne Florian Etti Kostüme Catherine Voeffray Licht & Video Thomas Diek Dramaturgie Anne do Paço URAUFFÜHRUNG 24. OKTOBER 2022 – WIENER STAATSBALLETT, WIENER STAATSOPER
über die heutige vorstellung Das Märchen von Prinzessin Aurora, die – von Carabosse verflucht, aber von der Fliederfee beschützt – in einen hundertjährigen Schlaf fällt, bis es schließlich Prinz Désiré gelingt, in ihr von Rosen umwuchertes Schloss einzudringen, existiert in unzähligen Varianten. Die Geschichte einer Frau, die schläft, bis sie von einem tapferen Helden wachgeküsst wird, ist ein Topos vieler Sagen und Märchen. Dornröschen ist eines der zartesten und schönsten unter diesen, in anderen Versionen aber auch eines der gewaltvollsten und grausamsten. Seine Offenheit und Durchlässigkeit hat es sich bis heute bewahrt: im Erzählen einer Geschichte über den Kampf des Hellen gegen das Dunkle, der Zeit gegen das Böse bzw. die Bitterkeit, aber auch die Selbstverständlichkeit einer Welt der Feen und anderer Wesen im Alltag der Menschen. 1636 wurde die bereits damals in zahlreichen Varianten erzählte Fabel durch den Italiener Giambattista Basile festgeschrieben. Von Charles Perrault und den Brüdern Grimm stammen die bekanntesten Überlieferungen. 1829 fand das Märchen an der Opéra de Paris auch seinen Weg auf die Ballettbühne in einer Choreographie JeanPierre Aumers zur Musik Louis Joseph Ferdinand Hérolds und dem Libretto Eugène Scribes – erfahrene Theatermacher, deren Erfolg in diesem Fall aber ausblieb. Durch den Theaterdirektor Iwan Alexandrowitsch Wsewoloschski zusammengebracht gelang es schließlich Piotr Iljitsch Tschaikowski mit seiner prächtigen Partitur Spiaschtschaya Krassawitsa sowie dem Choreographen Marius Petipa in einer Architektur aus perfekt gebauten Proportionen das vielleicht vollkommenste Werk des russischen Balletts zu schaffen, uraufgeführt am 15. Jänner 1890 im St. Petersburger Mariinski-Theater. Bis heute zählt es zu den schönsten und zugleich größten Herausforderungen, das an Figuren, Tänzen und Fragestellungen so reiche Werk auf die Bühne zu bringen. Mit dem Wiener Staatsballett hat Martin Schläpfer nun seine eigene Version erarbeitet, die mit einem Tanz voller Virtuosität und Schönheit in die inneren Welten der Figuren vordringt. Martin Schläpfers Dornröschen zielt ins Herz des Märchens und öffnet dieses zugleich für die Fragen unserer Zeit.
ÜBER DIE HEUTIGE VORSTELLUNG
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about today’s performance There are countless variations on the fairy tale of Princess Aurora who is cursed by Carabosse and protected by the Lilac Fairy and falls into a hundred-year sleep until Prince Désiré finally manages to find his way into her castle overgrown with roses. The story of a woman who remains dormant until she is reawakened by the kiss of a brave hero is a trope of numerous sagas and myths. Sleeping Beauty is one of the gentlest and most beautiful of these, while other versions are more violent and cruel. Its openness to interpretation persists to this day: in telling a story about the battle of light against darkness, time against evil and bitterness, and also a story where fairies and other creatures are a natural part of people’s everyday life. The folk tale, which already existed in a number of variations, was first written down in 1636 by the Italian Giambattista Basile. The best-known versions are by Charles Perrault and the Brothers Grimm. The story found its way on to the ballet stage as early as 1829, where it was performed at the Paris Opera, choreographed by Jean-Pierre Aumer to music by Louis Joseph Ferdinand Hérold and with a libretto by Eugène Scribe – established theatre makers who did not, however, score a hit on this occasion. Brought together at the behest of the theatre director Ivan Alexandrovich Vsevolozhsky, Pyotr Ilyich Tchaikovsky – with his magnificent score Spyashchaya krasavitsa – and the choreographer Marius Petipa – with a structure of perfect proportions – managed to create perhaps the most complete work of the Russian ballet repertoire, which was first performed on 15 January 1890 at the Mariinsky Theatre in St. Petersburg. To this day, staging this work with such a rich array of characters, dances and themes remains a sublime and challenging task. Martin Schläpfer has now created his own version with the Vienna State Ballet, using dance of beauty and virtuosity to probe the inner life of its characters. Martin Schläpfer’s Sleeping Beauty aims at the very heart of the fairy tale, exposing it to the questions of our own time.
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ABOUT TODAY’S PERFORMANCE
BRÜDER GRIMM
»Vor Zeiten war ein König und eine Königin, die sprachen jeden Tag: ›Ach, wenn wir doch ein Kind hätten!‹, und kriegten immer keins. Da passierte es, als die Königin einmal im Bade saß, dass ein Frosch aus dem Wasser ans Land kroch und zu ihr sprach: ›Dein Wunsch wird erfüllt werden, ehe ein Jahr vergeht, wirst du eine Tochter zur Welt bringen.‹ Was der Frosch gesagt hatte, das geschah, und die Königin gebar ein Mädchen, das war so schön, dass der König vor Freude ein großes Fest feiern wollte. Er lud nicht bloß seine Verwandten, Freunde und Bekannten, sondern auch die weisen Frauen dazu ein, damit sie dem Kind gute Wünsche bringen würden. Es gab dreizehn in seinem Reich, weil er aber nur zwölf goldene Teller hatte, von welchen sie essen sollten, so musste eine von ihnen daheim bleiben. Das Fest wurde mit aller Pracht gefeiert, und als es zu
Ende war, beschenkten die weisen Frauen das Kind mit ihren Wundergaben: Die eine mit Tugend, die andere mit Schönheit, die dritte mit Reichtum, und so mit allem, was auf der Welt zu wünschen ist. Eben als elf ihre Sprüche getan hatten, trat plötzlich die dreizehnte herein. Sie wollte sich dafür rächen, dass sie nicht eingeladen war, und ohne jemanden zu grüßen oder nur anzusehen, rief sie mit lauter Stimme: ›Die Königstochter soll sich in ihrem fünfzehnten Jahr an einer Spindel stechen und tot umfallen.‹ Und ohne ein Wort weiterzusprechen, kehrte sie um und verließ den Saal. Alle waren erschrocken, da trat die zwölfte hervor, die ihren Wunsch noch übrig hatte, und weil sie den bösen Spruch nicht aufheben, sondern ihn nur mildern konnte, sagte sie: ›Es soll aber kein Tod sein, sondern ein hundertjähriger tiefer Schlaf, in welchen die Königstochter fällt‹.«
handlung Prolog Ein Königspaar wünscht sich seit vielen Jahren nichts sehnlicher als ein Kind. Neun Monate später: Die Königin hat ein Mädchen geboren. Aurora soll es heißen. Zur Taufe geben die Eltern ein prächtiges Fest. Unter den zahlreichen Gästen sind auch sechs Feen mit ihren Freunden und Elfenkindern. Sie bringen dem Kind ihre guten Gaben. Der Haushofmeister Catalabutte stürzt aufgeregt herein. Eine Fee hat versehentlich keine Einladung von ihm erhalten: Carabosse. Zutiefst gekränkt betritt sie mit ihrem Gefolge den Saal. Alle Versuche, sie zu beruhigen, sind vergeblich. Carabosse verhängt über die Prinzessin einen Fluch: Herangereift zu einer jungen Frau soll Aurora durch einen Stich an einer Spindel sterben. Doch die Fliederfee stellt sich Carabosse entgegen. Es gelingt ihr, das Todesurteil in einen langen Schlaf abzumildern. Die Königin und der König beklagen Auroras und ihr Schicksal. Catalabutte ist am Boden zerstört.
1. Akt Am Königshof vor allen Gefahren beschützt, ist Aurora herangewachsen. Heute feiert sie ihren 16. Geburtstag. Pagen kontrollieren, ob alle Sicherheitsauflagen eingehalten sind, und müssen feststellen, dass ausgerechnet eine von ihnen von der am Hof verbotenen Spinnerei nicht ablassen kann. Das Fest ist bereits in vollem Gange, als Aurora den Ballsaal betritt. Alle sind von der jungen Prinzessin bezaubert – auch die vier Prinzen, die gekommen sind, um um Auroras Hand anzuhalten. Plötzlich mischt sich unter die Gäste eine Fremde und überreicht Aurora eine Spindel. Fasziniert von dem ihr unbekannten Gegenstand, beginnt sie mit diesem zu tanzen, und ehe jemand einzugreifen vermag, sticht sie sich. Die Fremde gibt sich als Carabosse zu erkennen. Doch die Fliederfee hält ihr Versprechen und wendet das Todesurteil ab. Fliederfee und Carabosse stehen sich gegenüber.
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2. Akt Seit hundert Jahren erzählt man sich die Geschichte eines verzauberten Schlosses, in welchem eine Prinzessin und mit ihr der gesamte Hofstaat so lange schlafen müssen, bis ein Prinz den Bann durchbricht. Auch Désiré hat davon gehört. Zahllose Wälder hat er auf der Suche nach der schlafenden Schönen bereits vergeblich durchstreift. Doch heute ist etwas anders. Die Natur beginnt zu ihm zu sprechen – eine Waldfrau, ein Faun, die Fliederfee. Er findet den Weg zu Aurora und bricht mit einem Kuss den Bann. Die beiden verlieben sich auf den ersten Blick. Auch der Hof ist aus dem Dornröschen-Schlaf erwacht. Aurora darf Catalabutte und ihre Eltern wieder in die Arme schließen und stellt ihnen Prinz Désiré vor. Carabosse muss erkennen, dass sie besiegt wurde. Désiré vergibt ihr.
3. Akt Aurora und Désiré feiern Hochzeit. Zahlreiche Gäste überbringen ihre Glückwünsche, darunter auch die Feen, ein blauer Vogel mit seiner Prinzessin und zwei Katzen. Plötzlich wird es still im Saal – auch die Waldfrau und der Faun sind gekommen. Prinz Désiré bringt Carabosse zurück in die Gesellschaft. Ein letztes Mal kommt es zur Konfrontation mit der Fliederfee. Aurora und Désiré eröffnen den Hochzeitswalzer. König und Königin wissen, dass ihre Zeit vorbei ist. Sie übergeben ihre Krone und die damit verbundene Verantwortung an Aurora und Désiré und ziehen sich zurück – mit den Feen, Tier- und Waldwesen.
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HANDLUNG
synopsis
Prologue The King and Queen have wished for a child for many years. Nine months later, the Queen has given birth to a baby girl. She is to be called Aurora. Her parents give a magnificent party to celebrate her Christening. Amongst the many guests are six fairies, their partners and children. They bring generous gifts for the child. Then the Master of Ceremonies Catalabutte bursts in, agitated. He has made a mistake and failed to invite one fairy: Carabosse. Outraged at being slighted, she enters the room with her entourage. All attempts to calm her down are in vain. Carabosse places a curse on the Princess: once Aurora has grown to be a young woman, she will prick her finger on a spindle and die. But the Lilac Fairy stands up to Carabosse. She manages to mitigate the curse of death to a long sleep. The King and Queen lament Aurora’s fate – and their own. Catalabutte is devastated.
Act 1 Aurora has grown up at the royal court, where she is protected from every danger. Today is her 16th birthday. Pages have the job of ensuring that all the security measures are followed, but discover that one of them cannot stop spinning – which is forbidden at court. The party is already in full swing when Aurora enters the ballroom. Everyone is enchanted by the young Princess – including the four Princes who have all come to ask for her hand in marriage. Suddenly a stranger appears among the guests and hands Aurora a spindle. Fascinated by this unfamiliar object, she starts to dance with it and – before anyone can stop her – she pricks herself. The stranger reveals herself to be Carabosse. However, the Lilac Fairy keeps her promise and prevents Aurora’s death. The Lilac Fairy and Carabosse face off against each other.
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Act 2 For a hundred years, people have spoken about an enchanted castle where a Princess and her entire court must sleep until a Prince breaks the spell. Désiré has heard this story too. He has already travelled through countless forests in a vain search for the sleeping beauty. But today feels different. Nature is talking to him – a Woman from the Woods, a Faun, the Lilac Fairy. He finds the path to Aurora and breaks the spell with a kiss. They both fall in love at first sight. The court, too, awakens from its enchanted sleep. Aurora is able to hug Catalabutte and her parents and introduce them to Prince Désiré. Carabosse is forced to acknowledge that she has been defeated. Désiré forgives her.
Act 3 Aurora and Désiré celebrate their wedding. Numerous guests offer their congratulations, including the fairies, the Blue Bird, his Princess and two cats. Suddenly the room falls silent – the Woman from the Woods and the Faun have appeared. Prince Désiré brings Carabosse back to join the others. There is a final confrontation with the Lilac Fairy. Aurora and Désiré dance the wedding waltz. The King and Queen know that their time is now over. They pass on their crowns and the responsibilities that go with them to Aurora and Désiré and withdraw – along with the fairies, animals and woodland creatures.
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SYNOPSIS
MARTIN SCHLÄPFER
»Ich möchte das Märchen als Märchen erzählen, in seiner ganzen Schönheit, aber auch mit all den Fragen, die sich mir bei der Lektüre der Geschichte und dem Studium dieser brillanten Musik Tschaikowskis stellen: Wie gehe ich mit den Figuren um? Was sind deren Beweggründe? Was denken und fühlen sie? Mutter-Kind und Vater-Kind ist die tiefste Beziehung, die es gibt. Da muss etwas zwischen Carabosse und König und Königin passieren – eine Reibung, die der Geschichte Tiefe gibt, ohne ihr das Lichte und Märchenhafte zu nehmen.«
im herz des märchens ANNE DO PAÇO
»Ich schaue immer wieder auf die großen romantischen Ballette, bewundere sie, studiere sie – und erkenne immer mehr ihre Größe, ihren Genius. Zugleich bin ich ein Choreograph von heute, habe ein anderes Menschenbild, liebe eine andere Freiheit«, äußerte sich Martin Schläpfer vor einigen Jahren – und hat bis heute ein 80 Werke umfassendes choreographisches Œuvre vorgelegt, das den Tanzschöpfer nicht nur als »Dancemaker« zeigt, sondern als einen mal voller bohrender Ernsthaftigkeit, dann wieder mit poetischer Leichtigkeit nach dem innersten Kern der Bewegungskunst Forschenden: »Wohin kann ich mit dem, woher ich komme, gehen?« oder: »Zu welcher Distanz zu den Meisterwerken der Vergangenheit bin ich fähig und gleichzeitig zu welcher Nähe?«, lauten Fragen, die er sich immer wieder stellte und die ihn schließlich zu seinem unverkennbaren Schläpfer-Stil führten: eine die Vokabeln und Formen der klassischen danse d’école nicht nur integrierende, sondern von Stück zu Stück immer neu modulierende Tanzsprache, deren Rhythmus und Intensität er durch die Persönlichkeiten seiner Tänzerinnen und Tänzer individuell timbriert. Die Weite und Überhöhung der Romantik, das Sehnen nach einer anderen Welt oder einem anderen Zustand kennt diese ebenso wie höchste Virtuosität. Sie kennt aber auch den Sturz aus der Harmonie, den harten Stich durch die Oberfläche, weiß um die Doppelbödigkeit jeglicher Idylle und erzählt über die reine Form, Haltung oder standardisierte Pose hinaus von etwas, das aus dem Inneren kommt: vom Verlust des Paradieses, der Sehnsucht nach diesem und der Ahnung, dass (mit Heinrich von Kleist) auch die »Reise um die Welt« vergeblich sein wird, da es auch »von hinten« nicht »offen« ist. Bereits als Student an der Londoner Royal Ballet School begeisterte sich Martin Schläpfer für die Feerie Dornröschen: »Dornröschen war das klassische Ballett, das ich mir in London immer wieder und am meisten angesehen habe mit Besetzungen wie Jennifer Penney und David Wall, Lynn Seymour, Rudolf Nurejew und vielen anderen«, berichtet er. »Später, als ich selbst Tänzer war, war der Blaue Vogel eine meiner schönsten und faszinierendsten Rollen. Losgelassen hat mich dieses Stück nie.«
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In seinem choreographischen Œuvre suchte man die Auseinandersetzung mit den Klassikern Tschaikowskis allerdings lange vergeblich, was Martin Schläpfer heute begründet: »Ich habe es mir viele Jahre sehr gewünscht, diese Stücke zu machen, habe sie studiert, an ihnen gearbeitet, aber meine Ideen immer wieder verworfen, denn als Direktor zunächst kleiner besetzter Ensembles war es für mich nicht interessant, einen Schwanensee, ein Dornröschen, einen Nussknacker auf die Bühne zu bringen und mich damit nur in die zahlreichen ›kleinen‹ Fassungen einzureihen.« Die Beschäftigung mit diesen Werken riss jedoch nie ab, sondern spiegelte sich vielmehr in symphonischen Choreographien wie Pathétique (2007), 24 Préludes (2008), Johannes Brahms – Symphonie Nr. 2 (2013) oder Nacht umstellt (2013), bevor sie dann 2018 zu einer eigenen Version des Schwanensee für das Ballett am Rhein Düsseldorf Duisburg führte. »Nach dieser Arbeit an Schwanensee war es für mich klar, dass ich mich früher oder später an ein weiteres großes Tschaikowski-Ballett heranwagen möchte. In meiner dritten Wiener Spielzeit schien mir nun der richtige Zeitpunkt für Dornröschen gekommen, denn ich schaue bei meinen Arbeiten immer als erstes, welche Künstlerinnen und Künstler vor mir stehen«, so Martin Schläpfer. »Was mich an Dornröschen fasziniert, ist das Zusammenspiel von Stoff, Musik, Tanz und Rezeption: die Partitur Tschaikowskis, diese wahnsinnige Schönheit, das Apollinische der Musik, der hohe Anteil an purem Tanz, das Märchen wie es unter anderem in den Büchern von Charles Perrault und den Brüdern Grimm steht, aber auch, was als sogenanntes ›Ballett-Original‹ in den Köpfen der Zuschauer oft regelrecht eingefräst ist. Zwischen diesen Koordinaten suche ich einen Weg, der nicht mit allem brechen will, was da ist, aber doch etwas anderes ist als nur eine weitere Version ›nach Marius Petipa‹.«
Pjotr Iljitsch Tschaikowski & Marius Petipa Was der in St. Petersburg wirkende Franzose am 15. Jänner 1890 im Mariinski-Theater zur Uraufführung gebracht hatte, gehört zu den größten Ereignissen der Ballettgeschichte. In enger Zusammenarbeit mit Piotr Iljitsch Tschaikowski und dem umfassend gebildeten Theaterdirektor Iwan Alexandrowitsch Wsewoloschski, der sich nicht nur am Libretto beteiligte, sondern auch die Kostüme entwarf, war ein Ballett entstanden, das in der Komplexität der musikalischen Gestaltung, der choreographisch-dramaturgischen Struktur, der metaphorischen Dichte und des symbolischen Reichtums der Bilder seinesgleichen sucht und sehr viel mehr ist, als nur der Versuch eines Theaterdirektors, dem angeschlagenen Ruf einer Ballettcompagnie zu neuem Glanz zu verhelfen. In Dornröschen verkörperte sich auf der Schwelle ins 20. Jahrhundert die Vision einer Weiterführung der romantischen Balletttradition in die Moderne – mit weitreichenden Folgen: George Balanchine bekannte in seinen Gesprächen mit Salomon Volkov: »Dank Dornröschen habe ich mich in das Ballett verliebt.« Anna Pawlowa war als kleines Mädchen von diesem Stück so hingerissen, dass sie ihre Mutter schließlich in einer Ballettschule anmeldete. Tamara Karsawina machte als Geistchen, das die Fliederfee begleitet, erstmals auf sich aufmerksam. Der später die Ästhetik der Ballets Russes maßgeblich mitprägende Maler, 15
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Bühnen- und Kostümbildner Léon Bakst, damals noch Student der St. Petersburger Kunstschule, berichtete: »Drei Stunden lang lebte ich verwunschen und im Traum, berauscht von Feen und Prinzessinnen, von üppigen goldenen Schlössern und dem Zauber eines Märchens ... Es war, als ob die Rhythmen und die schönen Melodien mit ihrem strahlend frischen und schon vertrauten Fluss in meinem ganzen Wesen widerklangen ... An jenem Abend, so scheint es mir, hat sich meine Berufung entschieden.« Und als Sergei Diaghilew das Stück 1921 mit seinen Ballets Russes in der Einstudierung durch Nikolai Sergejew mit riesigem Aufwand und immensen Kosten in London herausbrachte, führte ihn dies zwar fast in den finanziellen Ruin – doch die Bedeutung des Werkes war von da an nicht nur für das klassische Repertoire des 20. und 21. Jahrhundert gesichert, sondern immer wieder taucht sein Titel auch an wichtigen Stationen der neueren Ballettgeschichte auf.
Martin Schläpfers Dornröschen Gilt Dornröschen den einen als vollkommenes Gebilde im Corpus der russischen Ballette, so öffnet es zugleich vielfältige Fragen und behält seine Durchlässigkeit für neue Interpretationen nicht zuletzt durch das ihm zugrundeliegende Märchen, dessen Bildwelten äußerst ambivalent sich immer auch der Einbildungskraft des Lesers oder Zuschauers öffnen. Erscheint bei Petipa am Ende die »andere« Welt, die in das Leben von Prinzessin Aurora und ihrer Eltern intervenierte, säkularisiert in einem festlichen MärchenfigurenTheater, so findet Martin Schläpfer auf dem von ihm eingeschlagenen Weg zu einem anderen Finale, wissend, dass man das Märchen nicht unterschätzen darf: Statt Besinnlichkeit fordert es Sinnlichkeit – nicht hörig, sondern hellhörig. »Ich möchte das Märchen als Märchen erzählen, in seiner ganzen Schönheit, aber auch mit all den Fragen, die sich mir bei der Lektüre des Librettos und dem Studium der Musik stellen: Wie gehe ich mit den Figuren um? Was sind deren Beweggründe, was denken und fühlen sie?« Gleich zu Beginn nimmt Martin Schläpfer eine Setzung vor, die Konsequenzen für den gesamten weiteren Verlauf des Stückes hat: Er zeigt die Königin und den König in ihrem sehnlichen Kinderwunsch. »Die beiden haben alles getan, um dieses Mädchen zu bekommen – gebetet, gekurt, Ratschläge einer Weisen eingeholt, mit einem Frosch gesprochen ... Für mich sind die beiden keine passiven, elitären Herrscher, sondern Eltern, die ein sehr enges Verhältnis zu ihrer Tochter haben – und damit zwei Figuren, die nicht nur repräsentieren, sondern denen ich viel zu tanzen gebe.« Catalabutte steht dem Herrscherpaar wie auch Aurora sehr nahe. In Martin Schläpfers Version ist er es, der vergessen hat, Carabosse einzuladen – ganz ohne die dramatische Aufladung eines bewussten Ausschlusses oder der Metapher eines Mangels an goldenen Löffeln, ein schlichtes, menschliches Versagen, das bei Carabosse zu jenem folgenschweren, der Situation kaum angemessenen Missbrauch ihrer magischen Kräfte führt. »Meine Feen sind nicht so ätherisch-fragil, wie sie oft dargestellt werden, sondern sehr mächtige Wesen. Meine Lektüre der verschiedenen Fassungen des Märchens hat meinen Blick sehr geweitet, denn oft werden die Feen auch als weise Frauen
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LINDA VILHJÁLMSDÓTTIR
Nacht. Eins. Für dich will ich die Unbefleckte sein gleich Islands Sommernacht oder der Sternhimmelschmuck in einer Kirche landab. Bauchfell Prinzessin und hell wie die Tönung licht zwischen Wolken Opfer Verführung für dich den König im Glassaal gehe ich wieder und wieder.
oder als Magierinnen gezeichnet«, erklärt Martin Schläpfer, der in Carabosse »keine böse, hässliche, en travestie – also von einem Mann – darzustellende ›Alte‹ sieht, sondern eine wunderschöne Frau, die reifste und mächtigste dieses Feen-Clans.« Fliederfee und Carabosse repräsentieren, wie in der musikalischen Zeichnung Tschaikowskis, zwei Seiten einer Medaille und verwahren sich in der Charakterzeichnung doch vor Stereotypie: Die Fliederfee verkörpert nicht nur das Helle, Gute, die Hoffnung, sondern kennt auch martialische Töne, und Carabosse erfährt über das Stück hinweg eine große Entwicklung: »Wenn sie schließlich erkennen muss, dass ihr Fluch nicht gewirkt hat, akzeptiert sie, dass es vorbei ist und bittet um Vergebung. Prinz Désiré kann diese geben und bringt Carabosse auf seiner Hochzeit zurück in die Gesellschaft – und das ganz ohne Debatte.« Rund um die Erzählung der Geschichte von Königin und König, Aurora und Désiré, Catalabutte, Fliederfee und Carabosse, die das Gerüst der Handlung bildet, zeigt Martin Schläpfer in den Divertissements der drei Festszenen – der Taufe, dem Geburtstag und der Hochzeit – eine ungemeine Lust, sich in die von Tschaikowski komponierten Variationen hochvirtuos geradezu hineinzuwerfen und dabei auch all das zu präsentieren, wozu die Tänzerinnen und Tänzer des Wiener Staatsballetts fähig sind. Der Prolog ist von einer strömenden Weichheit und zarten Poesie geprägt, taucht das Fest zu Ehren der kleinen Prinzessin – bis zum dramatischen Auftritt Carabosses – in eine große Wärme, auch Studierende der Ballettakademie integrierend, aber nicht als ein »Kinderballett«, sondern als eine Variation der Elfenkinder mit den Feen und deren Partnern. Ganz anders die Stimmung dagegen zu Auroras Geburtstag: Da wird gesprungen, gedreht, battiert, kaprioliert, aber auch Walzer getanzt – mal in kleinen Ensembles und Soli, mal in großen Gruppenformationen: voller Eleganz, Raffinesse und Tanzfreude, aber auch mit Humor, wenn zum Beispiel die vier um Auroras Hand anhaltenden Prinzen ihre jugendliche Männlichkeit mit geradezu rüpelhaften Sprüngen zur Schau stellen. An den beiden zentralen Stellen, in denen es in der Handlung des Stückes um das Loslassenmüssen der Eltern geht – Auroras Brautschau, das sogenannte Rosen-Adagio, im ersten Akt sowie der Grand Pas de deux zu Auroras und Désirés Hochzeit im dritten Akt – hat Martin Schläpfer sich entschieden, die Choreographie Marius Petipas zu integrieren: »Diese beiden Szenen sind so perfekt choreographiert und inhaltlich und symbolisch derart kostbare Arbeiten, dass ich ihnen einen Platz in meinem Dornröschen geben wollte.« Dies geschieht nicht als Zitat oder Einlage von »fremdem Material«, sondern als eine Referenz an, aber auch Debatte über eine choreographische Kunst, die bis heute Wurzel und Ausgangspunkt der Versuche ist – jener eines George Balanchine, eines William Forsythe, Hans van Manen und auch Martin Schläpfer –, die Sprache des klassischen Balletts für die Gegenwart weiterzudenken. Bewusst leitet Martin Schläpfer in dieses Material hinein und auch wieder hinaus und durchtränkt an zwei weiteren Stellen – seinem Tanz der Freundinnen Auroras im ersten Akt und der Variation des Blauen Vogels und seiner Prinzessin im dritten Akt – seine Choreographie mit Anklängen an Petipa. Die Frage nach der Charakterzeichnung hält er dabei stets im Blick, führt sie doch auf formaler Ebene zur Frage der Balance zwischen Handlung und Divertissement, zwischen körperlicher Erzählung und Abstraktion: »Tanz heißt für mich nicht, dass Tanz nicht auch eine Geschichte erzählen kann – im Gegenteil. Darüber hinaus
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wollte ich aber untersuchen, inwieweit ich mit der Dramaturgie flexibler umgehen, ein Divertissement auch mal ›ausfransen‹ kann, indem ich es in den nächsten Erzählstrang hinein quasi ›aufkämme‹, mit dem Ziel, die Figuren zu porträtieren, denn viel Raum lässt mir das Szenario dafür nicht.« Dornröschen ist eine Geschichte über das Erwachsenwerden der Kinder und das Loslassen der Eltern. Es ist aber auch eine Geschichte über die Liebe und über eine Welt, in der – wie im Märchen üblich – Feen, Elfen, Fabeltiere und andere Wesen völlig selbstverständlich neben den Menschen auftreten. An diesen beiden Punkten – zwischen dem fixierten »Es war einmal ...« und dem nicht weniger fixierten »... und lebten glücklich bis an ihr Lebensende« – wird für Martin Schläpfer das Märchen offen, löst er sich nicht nur vom Libretto, sondern bricht auch aus der Musik und Nummerndramaturgie Tschaikowskis aus hinein in einen zweiten Akt, der vom Wunder der Erlösung durch Liebe ebenso erzählt wie von einer Begegnung mit den Urkräften der Natur. Hundert Jahre sind vergangen, seit sich Aurora an der Spindel der Carabosse gestochen hat, hundert Jahre hat sie – und mit ihr ihre Familie, der gesamte Hofstaat und die vier Prinzen – einen »Dornröschen«-Schlaf geschlafen, in dem sie immer und immer wieder geträumt haben muss von jenem Prinzen, der sie einst erlösen wird. Und dieser, Prinz Désiré, hat längst gehört von der schlafenden Schönen und ist aufgebrochen, sie zu suchen – nicht auf einer Jagd, umgeben von der gesamten Entourage eines Hofes, sondern allein sich vorwagend in einen Wald, in dem die Natur zu ihm zu sprechen beginnt: Eine geheimnisvolle Waldfrau zieht ihn in ihren Bann, ein Faun begegnet ihm und schließlich die Fliederfee. Ursprünglich hatte sich diese Szenerie zu dem 1965 entstandenen »Lyrischen Poem auf den Namen der Venus« Anahit entfaltet – eine Komposition Giacinto Scelsis, zu dessen Werk nun allerdings ein Vertanzungsverbot erneuert wurde, sodass Martin Schläpfer für die aktuellen Aufführungen den zweiten Akt seines Balletts anders konzipieren musste. Musikalische Basis ist ihm nun Toshio Hosokawas Ferne Landschaft II, eine Partitur, für die sich der japanische Komponist 1996 von ostasiatischen Landschaftsmalereien inspirieren ließ, in denen der leere, nichtbemalte Raum gleichwertig neben dem gestalteten steht: Musik, geboren aus der Stille, statische Klangbildungen, die unser Zeitempfinden außer Kraft setzen und – so Hosokawa – »alte und verdrängte Schichten des Gedächtnisses in Erinnerung rufen«. Zu jener Sarabande, die in fast keiner Ballettaufführung erklingt – dabei setzte Tschaikowski mit ihr vor dem Finale des dritten Aktes in einer meisterhaften Überschreibung barocken Denkens aus der Perspektive des spätromantischen Symphonikers einen Ruhe- und Reflexionspunkt, der in seiner strengen Gefasstheit ein ganzes vergangenes Zeitalter heraufbeschwört –, lässt Martin Schläpfer Königin und König schließlich ihre Kronen an Aurora und Désiré übergeben. Sie wissen, dass ihre Zeit gekommen ist, und ziehen sich zurück – und mit ihnen die Feen, der Blaue Vogel und Prinzessin Florine, die Katze und der Kater, aber auch die Waldfrau und der Faun, die alle zur Hochzeit Auroras und Désirés erschienen waren. Mit seiner Interpretation des zweiten Akts hat Martin Schläpfer einen Raum geöffnet, der das Märchen dem »Fairy Tale« enthebt und es seinen Feen, Fabelwesen und einer beseelten bzw. sozialisierten Natur ermöglicht, einen Anspruch auf Wirklichkeit einzufordern. 19
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WALTER BENJAMIN
»Das Märchen gibt uns Kunde von den frühesten Veranstaltungen, die die Menschheit getroffen hat, um den Alp, den der Mythos auf ihre Brust gelegt hatte, abzuschütteln. Es zeigt uns in der Gestalt des Dummen, wie die Menschheit sich gegen den Mythos, ›dumm stellt‹; es zeigt uns in der Gestalt des jüngsten Bruders, wie ihre Chancen mit der Entfernung von der mythischen Urzeit wachsen; es zeigt uns in der Gestalt dessen, der auszog das Fürchten zu lernen, dass die Dinge durchschaubar sind, vor denen wir Furcht haben; es zeigt uns in der Gestalt des Klugen, dass die Fragen, die der Mythos stellt, einfältig sind, wie die Frage der Sphinx es ist; es zeigt uns in der Gestalt der Tiere, die dem Märchenkinde zu Hilfe kommen, dass die
Natur sich nicht nur dem Mythos pflichtig, sondern viel lieber um den Menschen geschart weiß. Das Ratsamste, so hat das Märchen vor Zeiten die Menschheit gelehrt, und so lehrt es noch heute die Kinder, ist, den Gewalten der mythischen Welt mit List und mit Übermut zu begegnen ... Der befreiende Zauber, über den das Märchen verfügt, bringt nicht auf mythische Art die Natur ins Spiel, sondern ist die Hindeutung auf ihre Komplizität mit dem befreiten Menschen. Diese Komplizität empfindet der reife Mensch nur bisweilen, nämlich im Glück; dem Kinde aber tritt sie zuerst im Märchen entgegen und stimmt es glücklich.«
Gaspare Li Mandri, Javier González Cabrera (Pagen), Jackson Carroll (Catalabutte), Olga Esina (Königin), Masayu Kimoto (König), Adi Hanan (Pagin)
Ketevan Papava (Königin), Gala Jovanovic (Carabosse), Ensemble
Jackson Carroll (Catalabutte), Ensemble
Claudine Schoch (Carabosse), Igor Milos & Calogero Failla (Carabosses Gefolge), Ensemble
Hyo-Jung Kang (Aurora), Kristián Pokorný, Rashaen Arts, Arne Vandervelde, Géraud Wielick (Vier Prinzen), Ensemble
Elena Bottaro (Aurora), François-Eloi Lavignac (Catalabutte), Ketevan Papava (Königin), Eno Peci (König), Ioanna Avraam (Die Fliederfee)
Brendan Saye (Prinz Désiré), Daniel Vizcayo (Faun), Yuko Kato (Die Waldfrau)
Marcos Menha (Prinz Désiré), Ioanna Avraam (Die Fliederfee)
Hyo-Jung Kang (Aurora), Brendan Saye (Prinz Désiré)
Davide Dato (Prinz Désiré), Elena Bottaro (Aurora), Ensemble
Natalya Butchko (Prinzessin Florine), Arne Vandervelde (Blauer Vogel)
Masayu Kimoto (König), Olga Esina (Königin), Ensemble
rhythmus raum imagination
THOMAS STEIERT
Zwei knappe musikalische Porträts der beiden Gegenspielerinnen aus der Feenwelt, der bösen, wild und kantig gestikulierenden Carabosse, und der guten, sanft schwebenden Fliederfee – dann öffnet sich unter den Klängen eines aus der Ferne tönenden Marsches der Vorhang zum Auftritt der Damen und Herren des Hofes. Nachdem Catalabutte, der Zeremonienmeister, mit der ihm eigenen Gewichtigkeit die Liste der an die Feen gesandten Einladungen geprüft hat, kündigen feierlich-erhabene Fanfaren die Ankunft von König und Königin mit ihrem Gefolge und der Wiege Auroras an. Wie selbstverständlich fügen sich in dieser Eröffnung des Dornröschen-Balletts szenisches Geschehen, choreographischer Plan und musikalische Form zur Einheit. Die Musik setzt den Rhythmus, die Choreographie durchmisst den Raum, in dem das Geschehen sich formt; dieses wiederum gewinnt aus dem Musikalischen seine dramatische Dimension. Handlung, Tanz und Musik sind so auf eine Weise miteinander verflochten, dass jeder dieser Bereiche in seiner Eigenständigkeit erkennbar bleibt, obwohl er gleichzeitig auch durch die übrigen bestimmt wird. Auf die Musik bezogen heißt dies: Sie entwickelt weder eine symphonische Selbständigkeit, noch beschränkt sie sich auf die bloße rhythmische Begleitung der tänzerischen Bewegung oder das Illustrieren des Geschehens. Die Gesetzmäßigkeiten der Ballettmusik erwachsen viel-
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mehr aus ihrer unlösbaren Verflechtung mit dem choreographischen Verlauf und dem inhaltlichen Geschehen. Dieses Bild vom Ballett als einem Gefüge aus Tanz, Musik und Handlung hat seine unmittelbare Entsprechung in der Praxis: Als konzeptionelle Grundlage des Balletts entwirft der Choreograph eine sogenannte »Minutage«, einen Plan, der die zeitlichen Proportionen der Choreographie und ihren Bezug zur Handlung festschreibt. Die »Minutage« enthält die formale Gliederung des Handlungsverlaufes in szenisch-tänzerische Nummern; im Hinblick auf die Musik bestimmt der Choreograph das Metrum und die Anzahl der Takte für jede Nummer, darüber hinaus gibt er genaue Anweisungen zum Ausdrucks-Charakter der Musik. Dieser vorgegebenen Ordnung muss sich der Komponist einerseits bedingungslos unterwerfen, andererseits – darin liegt Tschaikowskis Meisterschaft – scheint aber gerade das »einengende« Reglement die Fantasie zu beflügeln. Eine entscheidende Rolle jedoch – dies wiederum zeichnet Marius Petipa aus – spielt in diesem Zusammenhang der musikalische Sachverstand des Choreographen. Liest man Petipas Anweisungen für den Komponisten, so könnte man glauben, er habe Tschaikowskis Musik bereits gehört, bevor sie komponiert wurde. Mit nur wenigen Worten gelingt es ihm, verschiedene Ausdrucksmomente, emotionale Nuancen und atmosphärische Stimmungen zu benennen, und so den Einfall des Komponisten in die gewünschte Richtung zu lenken. Beispielhaft hierfür sei jener Augenblick zitiert, in dem Prinz Désiré die schlafende Aurora küsst: »Die Musik verläuft crescendo, im Moment des Kusses stockt sie. Der Zauber ist gebrochen. Die Musik drückt Erstaunen, dann Freude und Glück aus. Bis zum Schluss des Aktes ein feuriges und bebendes Motiv.« Die musikalische Umsetzung dieses für das gesamte Ballett zentralen Moments ist so einfach wie wirkungsvoll: Dem Stocken der Musik folgt ein explosiver Tamtamschlag zum Zeichen des gebrochenen Zaubers. Dieses klangliche Signum der magischen Sphäre markiert auch jenen Augenblick, in dem Aurora in Schlaf versenkt wird. Beide Klangzäsuren betonen die großformale Gliederung des Geschehens, das vom Widerstreit der Fliederfee mit Carabosse getragen wird. Aus der Konfrontation der guten und bösen Mächte, charakterisiert durch die eingangs erwähnten Porträts von Carabosse und Fliederfee, entwickelt sich die musikalisch-dramaturgische Anlage der Komposition. Als musikalische Grundcharaktere bestimmen sie nicht nur szenische Einzelmomente, sondern die gesamte klangliche Atmosphäre. Besonders die Finalszenen von Prolog, ersten und zweiten Akt stellen verschiedene Entwicklungsstufen dieser Auseinandersetzung dar; sie münden in die jeweils leicht veränderte Wiederkehr der Fliederfee-Musik, die auch die [in Martin Schläpfers Version gestrichene] Visionsszene im zweiten Akt beherrscht und deren schwebender Gestus darüber hinaus im »Panorama« eine Fortsetzung findet. Die prägnanten Motive der Carabosse klingen ein letztes Mal in der Verwandlungsmusik auf, die dann jenes von Petipa verlangte »Crescendo« aufbaut, das schließlich zum Sieg über die Zauberkraft führt. Den Atmosphäre schaffenden Klangwelten von Fliederfee und Carabosse stehen die raumbildenden musikalischen Partien gegenüber, die aus der Korrespondenz mit den räumlichen Dimensionen der Choreographie ihre formale Eigenart entwickeln. So handelt es sich bei den breit angelegten Märschen der Eingangsszenen des Prologs 35
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und des dritten Akts nicht um musikalisch-tänzerische Charakterstücke, sondern um rahmenbildende Großformen, die in ihrem dynamischen und satztechnischen Aufbau sowohl dem szenischen Eröffnungscharakter als auch erzählerischen Handlungsdetails Rechnung tragen. Umgekehrt gelingt es der Musik, szenische Sequenzen, wie etwa den Dialog zwischen Catalabutte und dem König, allein mittels charakteristischer Einzelmotive zu einer größeren Einheit zusammenzufassen. Die tänzerischen Höhepunkte des Balletts, der Pas de six der Feen des Prologs, die beiden Pas d’action im ersten und zweiten Akt sowie der Pas de deux im Schlussakt, werden durch ausgedehnte instrumentale Soli vorbereitet. Diese zum Teil hochvirtuosen Solopartien von Violine, Flöte oder Harfe leiten vom Handlungsverlauf zu den exponierten Solotänzen über, indem sie gleichsam wie reich verzierte »musikalische Initialen« die Exklusivität der Situation ankündigen. Kontrastierend zur rhapsodischen Freiheit dieser musikalischen Passagen dominieren in den Tänzen selbst die rhythmischen Motive der Musik, die hier ihre engste Verbindung mit der Choreographie eingeht. Die Gesetzmäßigkeiten der Ballettmusik entwickeln sich somit aus ihrem Verhältnis zur Choreographie auf der einen und zur Handlung auf der anderen Seite. Ihre grundlegenden Kategorien sind Rhythmus, Raum und Imagination, die in der szenischen Realität als Bewegung, Form und Ausdruck sich präsentieren. Das Geheimnis von Tschaikowski Ballettkompositionen liegt weniger in der unerschöpflichen Vielfalt seiner musikalischen Erfindung als in der einmaligen Fähigkeit, die Proportionen der Choreographie und die Dramaturgie des Geschehens in musikalische Form zu verwandeln.
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MALTE KORFF
»Tschaikowskis Musiksprache hat sich in Dornröschen, 13 Jahre nach dem Ballett Schwanensee, stark fortentwickelt. Hiervon künden die geradezu betörenden Melodien, die inzwischen noch mehr verfeinerte Harmonik, kühne Modulationen und die überaus lebendige Rhythmik mit den so häufig anzutreffenden Synkopen. Und nicht zuletzt fasziniert die Partitur mit ihrer Vielfalt an neuen Farben, die durch ungewöhnliche Kombinationen der Instrumente und extreme Lagen entstehen. So gibt es zum Beispiel die Kanarienvogel-Fee mit ›zwitschernder‹, ›flatternder‹ Piccoloflöte, den Auftritt der bösen Fee mit höhnisch ›meckernden‹ Holzbläsern, und auch die Märchenfiguren aus Perraults Sammlung Contes de ma mère l’Oye, darunter der singende blaue Vogel oder der fauchende gestiefelte Kater, werden mit ungewöhnlich farbiger Instrumentierung gemalt.«
aus den briefen
»Je strenger, je genauer die Bestimmungen dessen waren, was man von ihm verlangte, das heißt je fester man – sozusagen – seine Hände band, je freier bewegte sich seine Inspiration. Interessante Beweise dafür sind die Ballettprogramme Petipas, welche Piotr Iljitsch in Musik setzte und sich dabei bemühte, mit der strengsten Gewissenhaftigkeit allen Vorschriften gerecht zu werden.« MODEST ILJITSCH TSCHAIKOWSKI ÜBER DIE ARBEITSWEISE SEINES BRUDERS
AUS DEN BRIEFEN
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An den Direktor des St. Petersburger Mariinski-Theaters Iwan Alexandrowitsch Wsewoloschski FROLOWSKOJE, 13. / 25. AUGUST 1888
Hochverehrter Iwan Alexandrowitsch! [...] Ich habe das Ballettlibretto nicht erhalten. Wenn es mir aus St. Petersburg zugesandt werden sollte [...], zögern Sie bitte nicht, dies zu tun. Ich bin an dieser Geschichte sehr interessiert. [...] Seit einiger Zeit habe ich eine Vorliebe für Geschichten, die nicht von dieser Welt sind, Geschichten, in denen keine Marmelade gekocht wird, in denen keine Menschen gehängt, in denen keine Mazurken getanzt werden, in denen man sich nicht betrinkt, in denen keine Bittgesuche gestellt werden, usw. usw. [...] Nochmals meinen herzlichen Dank. Aufrichtig gewidmet, P. Tschaikowski MOSKAU, 22. AUGUST / 3. SEPTEMBER 1888
Lieber und hochverehrter Iwan Alexandrowitsch! Ich beeile mich, Ihnen mitzuteilen, dass das Manuskript von La Belle au bois dormant endlich an seine Adresse gelangt ist, als ich mich gerade in den Zug setzte, um nach Moskau und Kiew zu fahren. Ich bin nur ein paar Stunden hier, aber ich hatte Zeit, das Szenario durchzusehen und möchte Ihnen gleich sagen, dass ich entzückt, ja über alle Maßen verzaubert bin. Es passt perfekt zu mir und ich wünsche mir nichts sehnlicher, als die Musik dazu zu machen. Diesen herrlichen Stoff könnte man nicht besser für die Bühne adaptieren und ich möchte Ihnen, dem Autor, meine herzlichsten Glückwünsche aussprechen. Ich reise nach Kiew, komme am 2. September nach Hause und bin am 12. diesen Monats in St. Petersburg. Ich werde mich beeilen, Sie zu besuchen und möchte Sie bitten, mich mit M. Petipa zu verbinden, um die Einzelheiten bezüglich der Vertonung Ihres Szenarios zu regeln. Es ist für die Saison 1889/90, nicht wahr? Denn es ist völlig unmöglich, dass ich in dieser Spielzeit fertig werde. Ich werde im Winter viele Reisen unternehmen, den ganzen Sommer in Paris verbringen und meine Partitur erst zu Beginn der nächsten Saison abliefern können. Ich freue mich auf diese Arbeit. [...] Von heute an denke ich nur noch an das Ballett. Bitte entschuldigen Sie meine schlechte Schrift, ich bin sehr in Eile. Danke, danke, danke! Ihr ergebener P. Tschaikowski 39
AUS DEN BRIEFEN
An Modest Iljitsch Tschaikowski MOSKAU, 22. AUGUST / 3. SEPTEMBER 1888
Mein Täubchen Modja! [...] Ich habe das Libretto für das Ballett. Es ist ausgezeichnet. Liebe Grüße, P. Tschaikowski
An seinen Förderer und Bewunderer Wladimir Petrowitsch Pogojew FROLOWSKOJE, 1. / 13. OKTOBER 1888
Hochgeschätzter, liebster Wladimir Petrowitsch! Ich bin gerade aus Moskau zurückgekehrt, wo ich an der Trauerfeier und Beerdigung meines alten Freundes Hubert teilgenommen habe. Die Reise hat meine Antwort an Sie verzögert. [...] Was das Ballett betrifft, muss ich Ihnen sagen, dass mir die Handlung sehr gut gefällt und ich sie mit größtem Vergnügen ausarbeiten werde. Ich muss aber auch betonen, dass ich noch keine einzige Note geschrieben habe. Bevor ich mit dem Komponieren beginne, muss ich ein ausführliches Gespräch mit dem Choreographen führen. Ich hatte vor, im September in St. Petersburg zu sein, aber das hat sich nicht ergeben, und nun werde ich wegen der überstürzten Fertigstellung von zwei großen symphonischen Werken bis Ende Oktober auf dem Lande bleiben. Um den 1. November herum werde ich für einige Zeit nach St. Petersburg kommen und mich mit dem Choreographen treffen, um das Wie, Was und Wann zu vereinbaren. In Anbetracht meiner bevorstehenden Reisen kann ich der Direktion die Partitur frühestens zu Beginn der nächsten Saison, also in etwa einem Jahr, vorlegen. Da Sie offenbar dachten, die Musik für das Ballett sei bereits fertig, fürchte ich, dass Iwan Alexandrowitsch mir nicht zutraut, dass ich sie in der laufenden Saison komponiere. Lieber Wladimir Petrowitsch, bitte sagen Sie ihm das alles. Auf Wiedersehen! Ich danke Ihnen nochmals von ganzem Herzen. Ihr P. Tschaikowski
AUS DEN BRIEFEN
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An die Freundin und Mäzenin Nadeschda von Meck FROLOWSKOJE, 8. / 20. JÄNNER 1889
Mein liebe, liebe Freundin! [...] Es ist traurig zu lesen, dass Ihre Gesundheit nicht annähernd so gut ist, wie wir es uns für diejenigen, die wir lieben, wünschen. Ich gestehe aber auch, dass es mir bei Ihrem Gesundheitszustand große Freude bereitet, daran zu denken, dass Sie an der Riviera di Ponente und nicht in Ihrem Belair sind. Ich erinnere mich, dass ich mir letztes Jahr mit Schrecken vorgestellt habe, wie Sie im Winter in Ihrem Schloss sitzen, ohne Sonne und Luft und so einsam. [...] Ich habe in letzter Zeit mit großer Ausdauer gearbeitet und bereits zwei Akte des Balletts geschrieben. Zwei Tage war ich in Angelegenheiten der Musikgesellschaft in Moskau und stürze mich nun wieder auf die Arbeit. Das Sujet ist von Theaterdirektor Wsewoloschski selbst für das Ballett bearbeitet worden und stammt aus Perraults Märchen La Belle au bois dormant. Das Thema ist sehr sympathisch und poetisch. [...] Ich reise am 19. Jänner von hier nach St. Petersburg und am 22. Jänner von St. Petersburg ins Ausland. [...] Ich bitte Sie, meine liebe Freundin, so freundlich zu sein, mir während meiner dreimonatigen Reise Ihre Nachrichten nach Berlin zu senden: Berlin W. am Carlsbad 19 Hermann Wolff pour remettre à P. T. Natürlich werde ich Sie zu gegebener Zeit wissen lassen, ob ich in Ihr Land komme und Sie im Allgemeinen über den Erfolg oder Misserfolg meiner Konzerte informieren. Gott segne Sie, meine liebe, unschätzbare Freundin. Ihr P. Tschaikowski FROLOWSKOJE, 12. / 24. JULI 1889
Meine liebe, liebe Freundin! [...] Ich führe weiterhin mein ruhiges Arbeitsleben auf dem Lande. Das Ballett entwickelt sich allmählich, aber nur allmählich; ich kann nicht mehr so schnell arbeiten wie früher. Das Gute ist, dass ich mit meiner neuen Arbeit sehr zufrieden und mir der Tatsache bewusst bin, dass ich dem Rückgang meiner Erfindungsgabe, der mir in naher Zukunft mehr oder weniger droht, noch gelassen entgegensehen kann. Ich spüre, dass die Zeit des Niedergangs noch nicht gekommen ist, und dieses Bewusstsein, dass ich noch kein Invalide bin, freut mich. Ich weiß, dass ich noch nicht in den Jahren bin, in denen die Kräfte nachlassen, aber ich habe in meiner Jugend zu viel gearbeitet, habe mich zu sehr verausgabt, und vielleicht deshalb diese Angst, dass der Niedergang früher kommt, als er sollte. Gott segne Sie, liebe Freundin. Möge er Ihnen alles Gute schenken. Ihr P. Tschaikowski 41
AUS DEN BRIEFEN
FROLOWSKOJE, 25. JULI / 6. AUGUST 1889
[...] Mein Ballett soll im November oder Dezember im Druck erscheinen. Siloti überträgt es am Klavier. Meine liebe Freundin, es scheint mir, dass die Musik dieses Balletts zu meinen besten Werken gehört. Das Sujet ist so poetisch und so sehr für eine Vertonung geeignet, dass ich – von dem Libretto ebenfalls begeistert – mit der Wärme und Freude komponiere, die stets die Voraussetzung einer guten Musik ist. Die Orchestrierung fällt mir, wie ich Ihnen bereits schrieb, schwerer als einst, deshalb schreitet meine Arbeit langsam fort, aber das ist vielleicht auch besser. Viele meiner früheren Kompositionen sind übereilt geschrieben und nicht genügend durchdacht worden. [...] Ich möchte nach Beendigung meiner anstrengenden Arbeit Ende August für ein paar Tage nach Kamenka fahren [...]. Unendlich hingebungsvoll an Sie P. Tschaikowski
FROLOWSKOJE, 13. / 25. AUGUST 1889
Meine liebe, liebe Freundin! [...] In ein paar Tagen werde ich aufatmen und das seltsam süße Gefühl eines Mannes spüren, der ein schwieriges Werk zu Ende gebracht hat. Wenn das Klavierarrangement herauskommt, werde ich es Ihnen sofort schicken, meine liebe Freundin! Ich bedaure, dass Sie im Winter nicht in St. Petersburg sein werden, um mein neues Werk zu hören. Ich habe mit besonderer Sorgfalt und Liebe an der Instrumentierung gearbeitet und einige ganz neue Kombinationen für das Orchester gewählt, die, wie ich hoffe, sehr schön und interessant klingen. Unendlich hingebungsvoll und dankbar, Ihr P. Tschaikowski
MOSKAU, 12. / 24. OKTOBER 1889 – PRETSCHISTENKIA, TROÏZKI PEREULOK NR. 6
Meine liebe, liebe Freundin! Wir erleben eine sehr interessante Krisis. Das Moskauer Publikum verhält sich der Musikgesellschaft gegenüber viel kühler, die Zahl der Mitglieder ist in den letzten Jahren zurückgegangen. Man müsste die Konzerte so gestalten, dass das Publikum wieder herbeiströmt. Wir hoffen das zu erreichen. Sollte die kommende Saison erfolgreich sein, so wäre ich sehr stolz darauf, denn durch meine persönlichen Beziehungen und Korrespondenzen habe ich dafür gesorgt, dass in jedem Konzert ein berühmter Dirigent auftritt.
AUS DEN BRIEFEN
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Aber mein Gott – wieviel Arbeit und Aktivitäten werde ich in diesem Winter haben!!! Ich schaudere bei dem Gedanken an all das, was mich hier und in St. Petersburg erwartet. Aber gleich nach dem Ende der Saison werde ich mich in Italien erholen, das ich seit 1882 nicht mehr gesehen habe. Gott gebe Ihnen Gesundheit und Wohlstand, meine liebe Freundin! Auf ewig treu ergeben, P. Tschaikowski
An den Musikkritiker Semjon Nikolajewitsch Kruglikow FROLOWSKOJE, 16. / 28. AUGUST 1889
Lieber Semjon Nikolajewitsch! [...] Gratulieren Sie mir: Ich habe heute eine große Ballettpartitur beendet. Mir ist ein Berg von den Schultern genommen. Mit vielen Grüßen P. Tschaikowski
»Ich habe die Skizzen am 26. Mai 1889 um 8 Uhr vollendet. Gelobt sei Gott! Insgesamt habe ich 10 Tage im Oktober, 3 Wochen im Jänner und eine Woche jetzt daran gearbeitet.« PIOTR ILJITSCH TSCHAIKOWSKI AUF DER LETZTEN SEITE DES PARTICELLS VON DORNRÖSCHEN
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AUS DEN BRIEFEN
ferne landschaft Toshio Hosokawa, 1955 in Hiroshima geboren, schöpft seine unverwechselbare Klangsprache aus dem Spannungsfeld zwischen westlicher Avantgarde und traditioneller japanischer Kultur. Musik ist für ihn eine Kunstform, in der sich »Töne und Schweigen« begegnen. Als Student der Fächer Komposition und Klavier in Tokio richtete sich sein Blick zunächst vor allem auf die westliche Musik. Als er 1976 nach Deutschland übersiedelte, um bei Isang Yun in Berlin sowie Klaus Huber in Freiburg zu studieren, erwachte über diesen »Umweg« sein Interesse für die vielfältigen Stile und das Instrumentarium der Musik seiner Heimat. Das aktive Gestalten der Zeit, wie es für die abendländische Musik typisch ist, steht in seinen Werken ihrer »fließenden« Ausdehnung, wie sie der Zen-Buddhismus begreift und sie sich in den statischen Strukturen des Gagaku – der traditionellen japanischen Hofmusik – spiegelt, gegenüber. Die »Musique concrète instrumentale«, wie er sie bei Helmut Lachenmann studierte, mit ihrer Integration von Alltagsgeräuschen und Klängen, die nach konventioneller Vorstellung möglichst auszuschaltende Nebenprodukte der Klangerzeugung sind, dient ihm zum »Ausdruck eines Wohllauts, der mit Klängen, die in der Natur erfahrbar sind, in Verbindung gebracht wird« (Walter-Wolfgang Sparrer): »Wir sagen auf japanisch ›sawari‹ [...], berühren – das bedeutet für mich, irgendwie anders zu berühren«, schreibt Hosokawa. »Früher hat man gedacht, dass man durch Musik die Natur oder das Universum berühren wolle oder umgekehrt, dass Musik die Klänge der Natur, des Universums widerspiegeln solle. Wenn man traditionelle japanische Musik hört, dann hört man stets sehr viele Geräusche, die wie Naturgeräusche klingen, z.B. Windgeräusche, besonders bei den Flöten. Das sind keine hässlichen Geräusche, sondern sie sind immer wie Klänge, die wir in der Natur hören und denen wir uns in der Musik annähern, um ihren Geist zu berühren. Das ist der Gedanke von ›sawari‹: Natur hören und ihren Geist berühren. [...] Ich möchte auch solche Klänge haben, schreiben und hören – jeder Ton berührt sich mit der Kraft der Natur und hat dadurch etwas, das über den Menschen hinausreicht.« Ferne Landschaft II entstand im Auftrag des Gunma Symphony Orchestra und wurde von diesem unter seinem Chefdirigenten Ken Takaseki am 20. März 1996 uraufgeführt. Das Werk gehört zu einer ab 1987 entstandenen Serie von Stücken – Ferne Landschaft I–III sowie die Sammlung an Landscapes –, zu denen sich Hosokawa durch die ostasiatische Landschaftsmalerei und Kalligraphie inspirieren ließ.
FERNE LANDSCHAFT
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TOSHIO HOSOKAWA
»1987 schrieb ich für das Kyoto Symphony Orchestra Ferne Landschaft I. In diesem Stück versuchte ich, eine Landschaft aus Klang zu gestalten, eine Idee, die mir beim Betrachten von Landschaftsmalereien in Kyoto gekommen war. Die Töne werden hier wie Pinselstriche behandelt, unterstützt durch weiße Leinwand, durch den leeren Raum, der nichts zeigt. Seit meiner Begegnung mit der traditionellen japanischen Hofmusik Gagaku vor rund acht Jahren habe ich immer wieder Stücke komponiert, in denen ich die Mundorgel Shô in formbildender Weise eingesetzt habe oder aber mit anderen Instrumenten den Mundorgel-Klang nachgebildet habe. Charakteristisch an- und abschwellend erklingen solche Klänge kontinuierlich im Hintergrund. Sie repräsentieren die Erde, den Ort, von dem aus die Pinselstriche oder Töne hervorgebracht werden oder ihren Ausgang nehmen. In Ferne Landschaft II (1996) verfolge ich fast dieselbe musikalische Konzeption wie in Ferne Landschaft I, doch habe ich hier ein neues stilistisches Element hineingebracht, das ich vor etwa einem Jahr gefunden habe und das ich den ›Tempelglocken-Modus‹ nenne. In Japan erklingen die Tempelglocken, denen man eine erlösende Kraft zuspricht, um Mitternacht zum Neuen Jahr 108 Mal. Wie bei diesen Glocken, die mit langen Abständen zwischen den Klängen zum Schwingen gebracht werden, dringt im ›Tempelglocken-Modus‹ das Läuten der Glocke aus dem Hintergrund, scheint ein Echo zu erzeugen, indem es sich mit den Impulsen anderer Glocken vermischt, und bringt schließlich einen neuen Glockenschlag hervor. Der Klang der Tempelglocke wird hier durch ein kurzzeitig heftig anschwellendes Orchestertutti dargestellt, mit einer volltönenden Harmonie, aus der sich – wie ein fernes Echo – allmählich und kontinuierlich leise Töne herauslösen für den Hintergrund, der die Luft oder den Nebel repräsentiert. Beim Hören eines von fern hereindringenden Glockenschlags wird die Erinnerung an Fernes und Vergangenes hervorgerufen. Die Erfahrung eines neu eintretenden Glockenschlags ermöglicht dem Hörer vielleicht aber auch den Vorschein einer fremden, bisher unbekannten Welt. Eine ›ferne Landschaft‹ kann also entweder alte und verdrängte Schichten des Gedächtnisses in Erinnerung rufen oder aber ein Fenster sein zu einer Klangwelt, die wir zuvor nie gehört haben.« 45
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Der Wiener Fotograf Florian Moshammer fotografierte für das Wiener Staatsballett die Saisonkampagnen 2022 bis 2024 und begleitete über mehrere Wochen die Proben zu Martin Schläpfers Ballett Dornröschen. Entstanden ist eine umfangreiche Serie von Fotografien, die einen intimen Blick auf die Kunstform Tanz sowie die Künstlerinnen und Künstler des Wiener Staatsballetts zeigen. Im Festhalten eines bestimmten Moments einer Bewegung, einer Begegnung oder eines Details eines Körpers sowie im Aufspüren des Zusammenspiels von Bewegung, Licht und Architektur dringt Florian Moshammer jenseits des dokumentarischen Abbilds in die Strukturen und verborgenen Details des Tanzes ein und findet dabei zu einer Visualisierung von Zwischentönen und einer Abstraktion des Sichtbaren. Florian Moshammer arbeitet mit Künstlern unterschiedlicher Branchen und stellte erstmals 2020/21 einen Auszug seiner Werke in Zusammenarbeit mit Leica in Moskau aus. Fotos Florian Moshammer
Fotos Florian Moshammer
la belle au bois dormant CHARLES PERRAULT
Da war in alten Zeiten, in sehr alten Zeiten, ein König und eine Königin, die hatten alles, nur keine Kinder. Endlich, nach jahrelangem Warten, ward ihre Sehnsucht gestillt, ihr höchster Wunsch erfüllt. Die Königin gebar eine Prinzessin. Man richtete eine große Taufe her und lud dazu sämtliche sieben Feen des Landes. Nach der Taufe begab man sich in den Saal zu einem großen Festessen. Jeder der sieben Feen legte man ein herrliches goldenes, mit Diamanten und Rubinen besetztes Besteck vor, Messer, Gabel und Löffel, in einem prächtigen Futteral. Als schon alles am Tische saß, trat plötzlich noch eine alte Fee ein, die nicht eingeladen war und die man vergessen hatte, weil man seit mehr als hundert Jahren nichts von ihr wusste und sie für tot oder verschollen hielt. Man bat sie, Platz zu nehmen, aber betreffs des goldenen Bestecks war der König in großer Verlegenheit, denn schon damals hatten die Könige nicht immer so viel Gold, wie sie brauchten. Man legte ihr also ein gewöhnliches Besteck vor und entschuldigte sich. Die alte Fee aber fühlte sich beleidigt, murmelte etwas zwischen den falschen Zähnen und machte ein böses Gesicht. Eine der jüngeren bemerkte das, und besorgt, dass die Alte der Prinzessin irgendwas Böses erfinden und anwünschen könnte, versteckte sie sich hinter einem Vorhang, um im entscheidenden Moment hervorzutreten und den bösen Zauber so viel wie möglich zu entkräften.
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Gleich nach Tische gingen die Feen, die wussten, wozu sie geladen waren, an ihr Geschäft und fingen an, die Prinzessin zu beschenken, und zwar mit allen jenen Eigenschaften, die eine Mutter vor allem ihrem Töchterlein anwünscht, damit es so bald wie möglich den Leuten in die Augen falle und eine gute Partie mache. Die erste Fee sagte: »Werde die schönste Person der Welt!« Die zweite: »Sei so geistreich wie möglich, ohne unausstehlich zu werden!« Die dritte: »Was du tust und wie du’s tust, soll Mode werden!« Die vierte: »Alle neuen Tänze sollst du gleich so vortrefflich tanzen, als hättest du nie etwas anderes gelernt, und niemals sollst du sitzenbleiben!« Die fünfte: »Singe wie eine Nachtigall!« Die sechste: »Spiele ausgezeichnet Klavier, zweihändig, vierhändig, sechshändig, achthändig, selbst einhändig!« Jetzt war die Reihe an der alten Fee, und ganz ärgerlich darüber, dass es ein so junges und perfektes Frauenzimmer geben solle, rief sie: »Die Prinzessin soll sich in ihrem fünfzehnten Jahre an einer Spindel stechen und tot hinfallen.« Diese schreckliche Bescherung erfüllte die ganze Gesellschaft mit Entsetzen, und alles fing zu weinen und zu jammern an. »Nur ruhig, nur ruhig!« rief die junge Fee, die plötzlich hinter dem Vorhang hervortrat, »beruhigt Euch, Herr König und Ihr, Frau Königin, ich habe auch noch etwas zu sagen, denn es ist nicht meine Art, der Alten das letzte Wort zu lassen. Zwar kann man das Übel, das alte Weiber mit bösen Worten anrichten, nicht immer ungeschehen machen, aber lindern und mindern kann es manchmal eine gute Fee. Und so soll die Königstochter nicht sterben an dem Spindelstich, sondern nur in einen tiefen, hundert Jahre dauernden Schlaf versinken. Nach diesen hundert Jahren wird sie ein wunderschöner Königssohn erlösen und aus dem Schlafe wecken.« Der König glaubte mit Verboten und Drohungen alles durchsetzen zu können. Und um das Unglück zu verhüten, erließ er ein Verbot, welches alles Spinnen und jede Hantierung mit Spindeln im ganzen Reiche aufs strengste untersagte und Verbannung und Verbrennung sämtlicher Spindeln anordnete. Und sobald das Gesetz ergangen war, verließ sich der König auf seine Beamten und war ganz ruhig. Als die Prinzessin fünfzehn Jahre alt war, machte der König mit seiner Königin eine Reise, und die Prinzessin, die nun von ihrer Dienerschaft weniger bewacht wurde, benützte ihre Freiheit, um sich im Schlosse näher umzusehen. Sie lief treppauf, treppab, durch Stuben und Kammern und kam zuletzt in einen alten Turm. Sie stieg die Wendeltreppe hinauf und gelangte hoch oben in ein kleines Gemach. Da saß eine gute alte Frau und spann emsig ihren Flachs. »Gute alte Frau«, fragte die Prinzessin verwundert, »was machst du da?« »Ich spinne meinen Flachs!« »Und was ist das für ein Ding, das da so lustig tanzt und springt und sich dreht wie im Tanze?« fragte die Prinzessin und griff nach der Spindel. Kaum hatte sie die Spindel berührt, so stach sie sich, fiel hin und sank in einen tiefen, tiefen Schlaf. Und in demselben Augenblicke schlief mit ihr alles ein, was im Schlosse war, die Kammerherren, die Hofdamen, die Möpse, die Jagdhunde, die Leibkatzen, die Kammer 69
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mädchen, die Hofmusizi, die Pferde im Stalle, die Schwalbe im Neste, die Nachtigall im Busche, die Taube auf dem Dache, die Pagen, die Türsteher, die Hundejungen, die Läufer, die Köche und Küchenjungen, die Beschließerin, das Feuer auf dem Herde, das Wasser am Rohrbrunnen und im Springbrunnen, selbst Blumen, Büsche und Bäume und selbst der Wind, der eben über das Schloss wehte, alles in der Stellung und Lage, die es eben hatte, als die Prinzessin in Schlaf sank. Rings um das Schloss aber begann es zu sprossen, zu wachsen und zu treiben, und bald war es von einer dichten, undurchdringlichen Dornhecke umgeben. Und um die Dornhecke wiederum wuchs ein gewaltiger, so hoher Wald, dass kaum die Turmspitzen des Schlosses, und diese auch nur aus weiter Ferne, sichtbar blieben. Und Bäume, Sträucher, Dornhecken und Schlingpflanzen aller Art woben und schlangen sich so ineinander, dass in das Schloss gar nicht zu gelangen war und dass man es im Lande nach und nach ganz vergaß. Nur die Sage erzählte noch, dass hinter der Hecke ein wunderschönes Schloss stehe und dass in dem Schlosse eine wunderschöne Prinzessin schlafe, und diese Prinzessin nannte man nach der Dornhecke, die ihren Schlaf beschützte, das Dornröschen. Die Sage von dem wunderschönen Schloss und der wunderschönen Königstochter lockte viele tapfere Königssöhne herbei, welche den besten Willen hatten, in das Schloss zu dringen und Dornröschen zu erlösen. Aber sie blieben in der Dornhecke hängen, zappelten sich vergebens ab und starben eines jämmerlichen Todes. Der Weg zum Glücke ist immer ein dorniger und voll von Hindernissen, und noch dorniger und reicher an Hindernissen ist der Weg zur Schönheit, welche erlöst werden, die Augen aufschlagen und die Welt mit ihrem Lächeln und Blick erheitern soll. Jeder hat Lust zu einer solchen Erlösung, aber wenige haben die Kraft, und am Ende nützt alle Kraft nichts, wenn nicht die rechte Stunde gekommen und zur rechten Stunde der rechte Mann. Der rechte Mann aber war ein Königssohn, der gerade hundert Jahre, nachdem Dornröschen eingeschlafen war, in die Gegend kam, angeblich der Jagd wegen, in der Tat aber, weil er gehört hatte, dass hier eine große Schönheit zu erlösen und ein herrliches Reich voll Schönheit zu gewinnen sei. Der Wald sah erschrecklich aus, und noch erschrecklicher war, was man ihm erzählte: von den unzähligen Königssöhnen, die in den Dornhecken wie in Schlingen hängengeblieben und sich zu Tode gezappelt; von den bösen Geistern, die in dem Schlosse umgehen und jeden Eindringling zerreißen sollten; von einem bösen Riesen, der es bewohne und Kinder und Erwachsene fresse. Aber all das konnte den tapfern Königssohn, der sich für berufen und auserwählt hielt und eine unendliche Sehnsucht nach dem Dornröschen empfand, nicht abhalten. Lieber sterben, dachte er, als sein Ideal nicht erreichen. Er tat, was in solchen Fällen am zweckmäßigsten ist, er ging darauf los. Und siehe da, die fürchterlichen Hecken, die alten Bäume, das Gestrüpp, die dornigen Wände, alles öffnete sich ihm wie weite Flügeltüren, die dienstfertige Bediente vor ihm aufgestoßen hätten. Auffallend war, dass die Hecken und Gesträuche sich gleich hinter ihm schlossen und nur ihn, ihn allein, durchließen, während sie vor den Nasen seiner Leute, die ihm folgten, wieder zusammenschlugen, als ob sie sagen wollten: Da könnte jeder kommen! Neu ermutigt schritt er weiter, wohl fühlend, dass er vor den andern etwas voraushatte und dass ihn eine geheimnisvolle Macht begünstigte.
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Endlich kam er an ein prächtiges Tor und durch das Tor in einen Hof, dann in einen zweiten Hof, dann an eine große Treppe. Die stieg er hinauf und gelangte in einen Vorsaal, dann in einen Prachtsaal, dann in einen zweiten, dritten, vierten Saal, einer immer schöner als der andere. Überall auf seinem Wege, vom Tor angefangen, standen, saßen, lagen oder befanden sich in den verschiedensten Stellungen des Gehens, Laufens und allerlei Handelns wie gefroren Türsteher, Wachen, Bediente, Hofleute jeglicher Art, zu Fuß, auch zu Ross, alles schlafend. Der Königssohn kümmerte sich nicht um die Menge, ebenso wenig ließ er sich durch die unheimliche Stille, die rings um ihn herrschte, anfechten, obwohl manches gar kurios und schön anzusehen gewesen wäre: wie der Page so schön an dem Türpfosten lehnte oder wie der Efeu sich um das Waldhorn des Jägerburschen geschlungen hatte, wie der Springbrunnen, als wäre er aus Kristall, steif und fest in der Luft stand und andere dergleichen Wunder. Ihn trieb es weiter, und aus den Sälen kam er in die Gemächer, in eine lange Reihe von Gemächern, alle mit Gold, Seide, Zindel, Schnitzwerk, Bildern und allen schönen Dingen geschmückt – etwas altmodisch, aber recht malerisch und höchst interessant. Er hätte mit einiger Geduld in diesen Gemächern allerlei lernen können, aber er hatte etwas Besseres zu tun, als altes Zeug zu studieren. Er wollte die Schönheit sehen mit Augen. So wanderte er weiter, bis er in eine vergoldete Schlafkammer trat, und da bot sich ihm ein Schauspiel dar, wie er dergleichen nie gesehen. In einem Bett, dessen Vorhänge ganz zurückgezogen waren, lag Dornröschen, frisch und gesund und schön wie Milch und Rosen. Es ging ordentlich ein Glanz von ihr aus, der das ganze Zimmer mit Licht erfüllte. Ihre Brust hob sich sanft, wie in leisem Schlummer, ihre Lippen lächelten und bewegten sich, als wollte sie etwas recht Angenehmes sagen. Der Königssohn stand wie verzaubert und wusste nicht, was beginnen. Endlich aber, nachdem er wohl eine Viertelstunde so im Anschauen des herrlichen Bildes dagestanden, fasste er sich, beugte sich zu ihr herab und drückte auf ihre Lippen einen herzhaften Kuss. Dornröschen war erlöst. Sie tat, als wüsste sie gar nicht, auf welche Weise sie erlöst worden, blinzelte eine Sekunde lang und schlug dann endlich die Augen ganz auf, die schönen großen blauen Augen. Dann sagte sie, indem sie die Hand vor den ein klein wenig gähnenden Mund hielt: »Sind Sie es, mein Prinz? Sie haben recht lange auf sich warten lassen, mein Prinz!« Man konnte nicht angenehmer ausgezankt werden, und in der Tat war der Prinz ganz entzückt von dem Vorwurf, von dem vornehmen Gähnen, von ihrer schönen Hand, von ihren Augen, kurz von allem, was er sah, hörte, fühlte. Und er überlegte es sich nicht lange, sank vor ihr aufs Knie und erklärte ihr seine Liebe, was umso schöner klang, je ungeordneter, verwirrter es zum Vorschein kam. Mittlerweile war, als Dornröschen die Augen aufgeschlagen, auch das ganze Schloss und alles, was mit ihr eingeschlafen, wieder erwacht, wie es sich für eine gute Dienerschaft ziemt. Jedermann ging an sein Amt und an seine Pflicht. Da aber die Herzen der Hofleute nicht so beschäftigt waren wie das Herz ihrer Herrschaft, machten sich ihre Mägen, die hundert volle Jahre gefastet hatten, desto empfindlicher geltend. Sie bellten förmlich vor Hunger, und die Erste Hofdame war so hungrig wie der Letzte Schweizer 71
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und Hundejunge, und sie stürzte ins Gemach der Liebenden und verkündete, dass die Suppe aufgetragen sei. Der Königssohn half Dornröschen, deren Glieder noch immer etwas eingeschlafen waren, aus dem Bette. Sie war ganz angekleidet, wobei er bemerkte, dass ihre Toilette die größte Ähnlichkeit hatte mit der seiner seligen Großmutter. Aber er hütete sich, darüber ein Wörtchen zu verlieren. Er ging sogar so weit, ihre veraltete Tracht von anno dazumal auf feine Weise zu loben, was ihm in ihren Augen gewiss nicht schadete, obwohl sie tat, als läge ihr an solchen Kleinigkeiten wie Kleider und Putz nicht das allermindeste. Zierlich ihre Hand fassend, führte er sie in einen großen Spiegelsaal, wo bereits die ganze Hofgesellschaft versammelt und ein gutes Nachtessen aufgetragen war. Geigen und Pfeifen spielten schöne alte Weisen auf, die Dornröschen wohl kannte, die dem Prinzen aber wie eine Musik aus einer andern Welt klangen. Nach Tische wurde der Hofprälat geholt und in der Hofkapelle das junge Paar zusammengetan, dann in ein Schlafgemach geführt, das einige alte Hofdamen mit besonderem Eifer rasch und zweckmäßig hergerichtet hatten, wobei diese Alten so heiter waren, als ob sie selbst Hochzeit machen sollten. Dornröschen schloss während der ganzen Nacht kein Auge, da sie die letzten hundert Jahre genug geschlafen hatte, und so wachte auch der Königssohn bis zum Morgen. Ziemlich früh brach er auf, um in die Stadt zurückzukehren, da sein Vater, der alte König, nicht wusste, was aus ihm geworden war. Er erzählte dem Alten die alte Geschichte, dass er sich auf der Jagd im Walde verirrt, in der bekannten Hütte des bekannten Köhlers übernachtet und daselbst das bekannte Schwarzbrot mit Käse gegessen habe. Trotzdem glaubte ihm der Vater, denn er gehörte zu jener Art von Leuten, die alles glauben. Der Mutter aber war nicht so leicht mit alten Köhlergeschichten etwas weiszumachen. Und da der Königssohn immer wieder in den Wald ging und oft mehrere Nächte ausblieb, sagte sie sich, dass man solches nicht wegen Schwarzbrot und Käse zu tun pflege und dass dahinter etwas ganz anderes stecken müsse. Denn so ging es nun schon seit nicht weniger als zwei Jahren. Und Dornröschen gebar zwei Kinder, deren ältestes ein Mädchen war, namens Morgenröte, das jüngere ein Knabe, der der helle Tag hieß, weil er noch schöner war als sein Schwesterchen. Als aber, wieder nach zwei Jahren, der alte König starb und sein Sohn den Thron bestieg, verkündete er laut seine Heirat mit Dornröschen und zog mit großem Pompe aus, um sie und die Kinder aus dem Waldschlosse abzuholen. Sie hielt einen prachtvollen Einzug in die Hauptstadt: Glockengeläute, Kanonendonner, Blumen, Triumphbogen, weißgekleidete Jungfrauen, viele Soldaten, alles war da. Bald darauf musste der König in den Krieg, und er übergab für die Zeit seiner Abwesenheit die Regentschaft der Königinmutter, indem er ihr zugleich sein Weib und seine Kinder besonders ans Herz legte. Sie versprach alles Gute. Aber kaum war der König abgezogen, als sie schon Dornröschen mit ihren Kindern aufs Land schickte, in ein Landhaus, das mitten im düstern, düstern Walde lag. Dort dachte sie ihre böse Lust auf leichtere und unentdeckte Weise büßen zu können. Nach einigen Tagen folgte sie, und eines Abends sagte sie zu ihrem Haushofmeister:
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DIANE PURKISS
»Es scheint, dass der menschliche Verstand es nicht ertragen kann, vieles nicht zu wissen – wo wir nicht wissen, erfinden wir, und was wir erfinden, spiegelt unsere Angst vor dem wider, was wir nicht wissen. Feen werden aus dieser Angst geboren.«
»Morgen zu Mittag will ich die kleine Morgenröte verspeisen!« »Ach, Majestät!« schrie der Haushofmeister erschrocken. »Ich will es! Ich geruhe es!« rief die Königin in einem Menschenfresserton, der zugleich besagte: und dass die Sauce ja recht gut sei! Der arme Mann sah ein, dass hier nicht zu spaßen war, nahm sein großes Messer und stieg hinauf in das Zimmer der kleinen Morgenröte. Das gute Kind war eben vier Jahre alt, sprang und lachte und warf sich lachend an seinen Hals und fragte ihn, ob er Zuckerwerk mitbringe. Er fing zu weinen an, ließ das Messer fallen und lief in den Hof und schnitt einem kleinen Schäflein den Hals ab, und machte eine so gute Sauce dazu, dass die Königin versicherte, ihr Lebtag nichts Besseres gegessen zu haben. Die kleine Morgenröte trug er in seine Wohnung im Hinterhofe und übergab sie seiner Frau, dass sie sie gut verstecken möge. Nach acht Tagen sagte die böse Königin wieder: »Heute Abend will ich den kleinen hellen Tag verspeisen!« Diesmal erwiderte der Haushofmeister nichts, er dachte sich nur: Wart, dich betrüge ich wie das erste Mal. Er holte den kleinen hellen Tag, der erst drei Jahre alt war und der eben mit einem Gewehr in der Hand Soldaten spielte und einen alten Affen einexerzierte, trug ihn zu seiner Frau, die ihn mit der kleinen Morgenröte versteckte, und setzte der Ogerin anstatt des hellen Tages ein sehr zartes, gut zubereitetes junges Böcklein vor, das sie überaus wohlschmeckend fand. Bis dahin ging alles gut. Aber eines Tages sagte die Königin zum Haushofmeister: »Ich will die Königin selber fressen, und zwar in derselben Sauce wie die Kinder.« Jetzt war guter Rat teuer. Die hundert Jahre, die sie verschlafen hatte, nicht mitgerechnet, war Dornröschen jetzt über zwanzig Jahre alt und ganz ausgewachsen. Wo in aller Welt ein Tier hernehmen, das man an ihrer statt der Königin vorsetzen könnte? In aller Verzweiflung und um sich selbst das Leben zu retten, beschloss er zu tun, wie die alte Königin befohlen, und die junge abzuschlachten. Er redete sich in eine arge Wut hinein, und sehr wütend und mit dem Messer in der Hand brach er in die Stube der jungen Königin und sagte ihr, ohne dabei die schuldige Ehrfurcht außer Acht zu lassen, welchen Befehl er von der Königinmutter erhalten. Er meinte, sie werde sich sträuben, schreien und ihn ausschimpfen und ihm so die Sache erleichtern, indem sie ihn noch mehr wütend machen würde. Dornröschen aber sagte gelassen, sanft und traurig: »Tut, was Eures Amtes ist«, und dabei streckte sie ihr schönes weißes Hälschen hin, »vollstrecket die erhaltenen Befehle. Ich folge gern meinen armen Kindern, die ich so sehr geliebt habe.« Sie glaubte nämlich, die Kinder seien tot, seit man sie ihr entführt hatte. »Nein! Nein!« rief der arme Haushofmeister außer sich vor Rührung, »nein, Ihr sollt nicht sterben, und Eure Kinder sollt Ihr auch wieder haben, denn ich habe sie versteckt, und die Alte soll statt Eurer ein Reh zu fressen bekommen!« Sofort brachte er sie zu ihren Kindern, überließ sie ihrem Glücke und eilte, ein Reh herzurichten, das die alte Königin mit demselben Appetit verspeiste, als ob es das appetitliche Dornröschen selbst gewesen wäre. Nun alle ihre Gelüste gestillt und keine
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Morgenröte, kein heller Tag, kein Dornröschen mehr zu haben waren, fühlte sie sich befriedigt und ohne Furcht vor dem König, dem sie weismachen wollte, die hungrigen Wölfe hätten sein Weib und seine Kinder gefressen. Eines Abends, da sie wie gewöhnlich im Hofe herumschnüffelte nach frischem Fleische, hörte sie mit einem Male aus einem unterirdischen Gemache die Stimme des kleinen hellen Tag, der da weinte, weil ihn die Mutter züchtigen wollte, und die Stimme der kleinen Morgenröte, die für ihr Brüderchen um Verzeihung bat. Die Ogerin erkannte die Stimmen der Königin und ihrer Kinder, und wütend, auf diese Weise hinters Licht geführt und in ihren höchsten Freuden beeinträchtigt worden zu sein, schwur sie, sich aufs Furchtbarste zu rächen. Und schon am nächsten Morgen befahl sie, dass man eine große Tonne in den Hof bringe und sie mit Kröten, Vipern, Nattern und Schlangen aller Art anfülle und die junge Königin und ihre Kinder und den Haushofmeister und dessen Frau und Magd hineinwerfe. Sie alle wurden, die Hände auf dem Rücken zusammengebunden, herbeigeführt. Und da standen sie, und die Henker machten sich eben bereit, sie zu packen und in die Tonne zu werfen, als mit einem Male der König in den Hof sprengte. »Was geht hier vor?« rief er beim Anblick dieses höchst sonderbaren Schauspiels. Aber kein Mensch hatte den Mut, ihm die Wahrheit zu sagen, und die alte Königin, entrüstet, sich im entscheidenden Augenblick so gestört zu sehen, stürzte sich nun selbst in die Tonne, wo sie alsbald von den scheußlichen Tieren aufgefressen wurde und ihren wohlverdienten Lohn erhielt. Der König aber war sehr glücklich mit seiner schönen Frau und seinen womöglich noch schöneren Kindern, die er nimmer verließ.
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ensemble
tänzerinnen & tänzer
Ioanna Avraam Erste Solotänzerin
Davide Dato Erster Solotänzer
Olga Esina Erste Solotänzerin
Kiyoka Hashimoto Erste Solotänzerin
Hyo-Jung Kang Erste Solotänzerin
Masayu Kimoto Erster Solotänzer
Liudmila Konovalova Erste Solotänzerin
Marcos Menha Erster Solotänzer
Ketevan Papava Erste Solotänzerin
Alexey Popov Erster Solotänzer
ENSEMBLE
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Brendan Saye Erster Solotänzer
Claudine Schoch Erste Solotänzerin
Yuko Kato Senior Artist
Timoor Afshar* Solotänzer
Elena Bottaro Solotänzerin
Sonia Dvořák Solotänzerin
Alice Firenze Solotänzerin
Rebecca Horner Solotänzerin
Aleksandra Liashenko Solotänzerin
Eno Peci Solotänzer
Arne Vandervelde Solotänzer
Daniel Vizcayo Solotänzer
Géraud Wielick Solotänzer
Rashaen Arts Halbsolist
Natalya Butchko Halbsolistin
Jackson Carroll Halbsolist
Iliana Chivarova Halbsolistin
Calogero Failla Halbsolist
Lourenço Ferreira Halbsolist
Giorgio Fourés Halbsolist
79
ENSEMBLE
Gaia Fredianelli Halbsolistin
Sveva Gargiulo Halbsolistin
Alexandra Inculet Halbsolistin
Gala Jovanovic Halbsolistin
Helen Clare Kinney Halbsolistin
François-Eloi Lavignac Halbsolist
Eszter Ledán Halbsolistin
Anita Manolova Halbsolistin
Tomoaki Nakanome Halbsolist
Duccio Tariello Halbsolist
Andrey Teterin Halbsolist
Zsolt Török Halbsolist
Benjamin Alexander Corps de ballet Staatsoper
Alisha Brach Corps de ballet Staatsoper
Marie Breuilles Corps de ballet Staatsoper
Victor Cagnin Corps de ballet Staatsoper
Laura Cislaghi Corps de ballet Staatsoper
Vanessza Csonka Corps de ballet Staatsoper
Giovanni Cusin Corps de ballet Staatsoper
Andrés Garcia Torres Corps de ballet Staatsoper
ENSEMBLE
80
Javier González Cabrera Corps de ballet Staatsoper
Adi Hanan Corps de ballet Staatsoper
Trevor Hayden Corps de ballet Staatsoper
Isabella Knights Corps de ballet Staatsoper
Zsófia Laczkó Corps de ballet Staatsoper
Phoebe Liggins Corps de ballet Staatsoper
Gaspare Li Mandri Corps de ballet Staatsoper
Sinthia Liz Corps de ballet Staatsoper
Meghan Lynch Corps de ballet Staatsoper
Tatiana Mazniak Corps de ballet Staatsoper
Godwin Merano Corps de ballet Staatsoper
Katharina Miffek Corps de ballet Staatsoper
Igor Milos Corps de ballet Staatsoper
Kirill Monereo de la Sota Corps de ballet Staatsoper
Junnosuke Nakamura Corps de ballet Staatsoper
Laura Nistor Corps de ballet Staatsoper
Hanno Opperman Corps de ballet Staatsoper
Ella Persson Corps de ballet Staatsoper
Kristián Pokorný Corps de ballet Staatsoper
Nicola Rizzo Corps de ballet Staatsoper
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ENSEMBLE
Alaia Rogers-Maman Corps de ballet Staatsoper
Iulia Tcaciuc Corps de ballet Staatsoper
Helena Thordal-Christensen Corps de ballet Staatsoper
Gloria Todeschini Corps de ballet Staatsoper
Chiara Uderzo Corps de ballet Staatsoper
Céline Janou Weder Corps de ballet Staatsoper
Gabriele Aime Corps de ballet Volksoper
Dominika Ambrus Corps de ballet Volksoper
László Benedek Corps de ballet Volksoper
Vivian de Britto-Schiller Corps de ballet Volksoper
Nina Cagnin Corps de ballet Volksoper
Roman Chistyakov Corps de ballet Volksoper
Kristina Ermolenok Corps de ballet Volksoper
Tainá Ferreira Luiz Corps de ballet Volksoper
Riccardo Franchi Corps de ballet Volksoper
Kevin Hena Corps de ballet Volksoper
Tessa Magda Corps de ballet Volksoper
Dragos Musat Corps de ballet Volksoper
Keisuke Nejime Corps de ballet Volksoper
Aleksandar Orlić Corps de ballet Volksoper
ENSEMBLE
82
Matilda Poláková* Corps de ballet Volksoper
Olivia Poropat Corps de ballet Volksoper
Marie Ryba Corps de ballet Volksoper
Natalie Salazar Corps de ballet Volksoper
Francesco Scandroglio Corps de ballet Volksoper
Marta Schiumarini Corps de ballet Volksoper
Mila Schmidt Corps de ballet Volksoper
Gleb Shilov Corps de ballet Volksoper
Felipe Vieira Corps de ballet Volksoper
Martin Winter Corps de ballet Volksoper
Una Zubović Corps de ballet Volksoper
*Karenzvertretung
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ENSEMBLE
Foto © Florian Moshammer
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biographien
PATRICK LANGE – Musikalische Leitung Patrick Lange studierte Dirigieren an den Musikhochschulen in Würzburg und Zürich. 2005 wurde er in das Förderprogramm Dirigentenforum des Deutschen Musikrates aufgenommen und von Claudio Abbado, den er auch zu den Berliner Philharmonikern, dem Lucerne Festival Orchestra und dem Orchestra Mozart Bologna begleitete, zum Assistenzdirigenten des Gustav Mahler Jugendorchesters ernannt. 2007 erhielt er den Europäischen Kulturpreis in der Kategorie Förderpreis für junge Dirigenten, 2009 das Eugen-Jochum-Stipendium des BR-Symphonieorchesters. Seine Laufbahn als Operndirigent begann er in Zürich und Luzern. Mit Mozarts Le nozze di Figaro gab er 2007 sein Debüt an der Komischen Oper Berlin, wo er ab 2008 als 1. Kapellmeister, ab 2010 als Chefdirigent des Hauses wirkte. Seine Interpretationen von Wagners Die Meistersinger von Nürnberg, Rusalka und Der Freischütz fanden internationale Beachtung. 2010 debütierte Patrick Lange mit Puccinis Madama Butterfly an der Wiener Staatsoper und ist dort seither regelmäßig zu Gast. Auf sein gefeiertes Debüt mit Mahlers Lied von der Erde in der Choreographie von John Neumeier 2015 an der Opéra national de Paris folgten regelmäßige Wiedereinladungen. Weitere Engagements führten Patrick Lange u.a. an die Semperoper Dresden, das Royal Opera House Covent Garden London, die Hamburgische Staatsoper, Opera Australia Sydney, Oper Zürich, Canadian Opera Company Toronto, Korean National Opera Seoul, Staatsoper Stuttgart, Opéra national du Rhin Strasbourg und die Oper Frankfurt. Mit dem niederländischen Radio Filharmonisch Orkest debütierte er im Jänner 2021 mit einer konzertanten Aufführung von Janáčeks Jenůfa im Concertgebouw Amsterdam. Ein weiteres Highlight war im Juli 2021 sein Debüt an der Bayerischen Staatsoper im Rahmen der Münchner Opernfestspiele mit Wagners Das Rheingold. Zu den Orchestern, mit denen Patrick Lange arbeitete zählen die Bamberger Symphoniker, Essener Philharmoniker, Staatskapelle Weimar, das Münchner Rundfunkorchester, Mahler Chamber Orchestra, die Sinfonieorchester des SWR und WDR und das WDR Funkhausorchester. Auf Tournee dirigierte er die Academy of St. Martin in the Fields, die Stuttgarter Philharmoniker, das RSO Wien und das Bundesjugendorchester. Von 2017 bis 2022 war Patrick Lange Generalmusikdirektor des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden. An der Wiener Staatsoper dirigierte er 2022/23 Dornröschen, Im siebten Himmel sowie Die Fledermaus. 2023/24 folgen nach einer Madama Butterfly-Premiere im koreanischen Seongnam – u.a. Dirigate von Giselle und einer Ballettproduktion mit Kompositionen von Maurice Ravel an der Opéra national de Paris, Ariadne auf Naxos mit der Bayerischen Staatsoper beim Hong Kong Arts Festival sowie Auftritte am Teatro Real Madrid und an der Jerusalem Lyric Opera.
BIOGRAPHIEN
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MARTIN SCHLÄPFER – Choreographie Martin Schläpfer leitet seit September 2020 als Ballettdirektor und Chefchoreograph das Wiener Staatsballett. Geboren in Altstätten (Schweiz), studierte er Ballett bei Marianne Fuchs in St. Gallen und an der Royal Ballet School in London. 1977 engagierte Heinz Spoerli ihn ins Basler Ballett, wo er schnell zu einem der charismatischsten Solisten avancierte. Ein Engagement ins Royal Winnipeg Ballet führte ihn für eine Spielzeit nach Kanada. Mit der 1990 in Basel gegründeten Ballettschule Dance Place schuf er eine erste Basis für seine tanzpädagogische Arbeit. Mit seiner Ernennung zum Leiter des Berner Balletts begann 1994 Martin Schläpfers intensive Arbeit als Choreograph und Ballettdirektor. Seine bisherigen Ensembles – das Berner Ballett (1994 bis 1999), ballettmainz (1999 bis 2009) sowie Ballett am Rhein (2009 bis 2020) – formte er zu unverwechselbaren Compagnien. Das Ballett am Rhein wurde viermal von der Zeitschrift tanz zur »Kompanie des Jahres« gewählt und begeisterte auch auf Gastspielen in Europa, Israel, Taiwan, Japan sowie im Oman. Martin Schläpfers Schaffen umfasst über 80 Werke, die für seine Ensembles, das Bayerische Staatsballett München, Het Nationale Ballet Amsterdam und Stuttgarter Ballett entstanden. Das Ballett Zürich zeigte sein Forellenquintett. 2012 kehrte Martin Schläpfer für Hans van Manens The Old Man and Me als Tänzer auf die Bühne zurück, 2014 kreierte der Niederländer für ihn als Solisten die Uraufführung Alltag. 2017 war er als Choreograph und Pädagoge an Canada’s National Ballet School in Toronto zu Gast. 2023 war er Mitglied der Jury des Prix de Lausanne. Nachdem er 1977 den Prix de Lausanne als »Bester Schweizer Tänzer« gewonnen hatte, folgten für den Choreographen und Direktor Schläpfer zahlreiche Auszeichnungen, darunter der Kunstpreis des Landes Rheinland-Pfalz (2002), der Tanzpreis der Spoerli Foundation (2003), der Prix Benois de la Danse (2006), die Gutenbergmedaille der Stadt Mainz (2009) sowie 2009 und 2012 Der Faust. 2013 erhielt Martin Schläpfer den Schweizer Tanzpreis und 2014 den Taglioni – European Ballet Award in der Kategorie »Best Director« durch die Malakhov Foundation. Sein Ballett DEEP FIELD auf eine Auftragskomposition von Adriana Hölszky war für den Prix Benois nominiert, 2015 erhielt er den Musikpreis der Stadt Duisburg. Das Magazin tanz kürte ihn 2010 zum »Choreographen des Jahres«, 2018 und 2019 folgte dieselbe Auszeichnung durch die Zeitschrift Die Deutsche Bühne. 2022 kürte das Magazin tanz das Wiener Staatsballett zum »Highlight der Saison« und nominierte Martin Schläpfer zum »Choreographen des Jahres«. Seit 2017 ist er Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und Künste. 2018 wurde er mit dem Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet, 2019 folgte die Ehrung mit dem Großen St. Galler Kulturpreis. 87
BIOGRAPHIEN
FLORIAN ETTI – Bühne Florian Etti studierte Sprachen und Kunst an der Freien Universität und der Hochschule der Künste Berlin sowie Bühnenbild bei Rolf Glittenberg in Köln. Engagements als Bühnenbildner führten ihn seit 1986 an die Opernhäuser von Düsseldorf, Essen, Köln und Zürich, an die Berliner Schaubühne, das Wiener Burgtheater und Volkstheater sowie u.a. an die Theater von Basel, Bochum, Bonn, Bremen, Dortmund, Dresden, Düsseldorf, Frankfurt, Hannover, Karlsruhe, Köln, Malmö, Mannheim, Stuttgart und Zürich. Eine enge Zusammenarbeit verbindet ihn mit dem Regisseur und Schauspielintendanten Burkhard C. Kosminski. Außerdem arbeitete er mit Gabriele Jacobi, Werner Schroeter, Günter Krämer, Karin Beier, Sönke Wortmann, Anna Badora, Joachim Lux, Gustav Rueb, Georg Kohl, Anna Bergmann, Itay Tiran sowie dem Filmemacher und Autor Udi Aloni zusammen. Für den Choreographen Heinz Spoerli kreierte er Bühnenbilder an der Deutschen Oper am Rhein sowie beim Zürcher Ballett. Für Martin Schläpfer entstanden mehrere Räume und Kostümentwürfe, darunter Ein Deutsches Requiem, 7, Konzert für Orchester, Petite Messe solennelle und Schwanensee. Seit vier Jahren widmet sich Florian Etti darüber hinaus der digitalen Malerei. Er präsentierte 2019 und 2021 in den beiden Einzelausstellungen Florian Etti – Artificial Painting No. 1 und No. 2 seine Werke im Münchner Künstlerhaus sowie 2020 in einer Ausstellung im Staatstheater Stuttgart. Im selben Jahr brachte er mit Alexander Kubelka im Wiener Theater in der Josefstadt die Uraufführung von Peter Turrinis Gemeinsam ist Alzheimer schöner heraus. Ebenfalls 2020 gab Florian Etti mit seiner Bühne für Martin Schläpfers Uraufführung 4 sein Debüt in der Wiener Staatsoper, im September 2021 folgte Ein Deutsches Requiem in der Volksoper Wien.
CATHERINE VOEFFRAY – Kostüme Catherine Voeffray absolvierte ihre Ausbildung als Modezeichnerin an der Mode Design Schule Zürich und arbeitete zunächst freiberuflich. 1993 wurde sie an das Theater Bern engagiert, wo sie 1997 stellvertretende Leiterin der Kostümabteilung wurde. Dort entwarf sie Kostüme für zahlreiche Schauspiel- und Operninszenierungen, außerdem war sie für den Maggio Musicale Fiorentino und das Teatro del Giglio Lucca tätig. Für den Choreographen Martin Schläpfer kreierte Catherine Voeffray bereits für das Berner Ballett Kostüme. Es folgten zahlreiche Produktionen für das ballettmainz wie Kunst der Fuge, ein Wald, ein See, 3 und Sinfonien sowie für das Ballett am Rhein, von denen Nacht umstellt und Ein Deutsches Requiem, das seit 2021 auch im Repertoire des Wiener Staatsballett zu
BIOGRAPHIEN
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sehen ist, besonders hervorzuheben sind. An der Wiener Staatsoper debütierte Catherine Voeffray 2020 mit ihrem Kostümbild zu Martin Schläpfers Uraufführung 4 – eine Produktion, die auch auf DVD vorliegt. Im Team mit dem Choreographen Stijn Celis war sie bei Compagnien wie Les Grands Ballets Canadiens Montréal, Cullberg Ballet, Nederlands Dans Theater, Cedar Lake Dance Company New York, Ballett der Semperoper Dresden, Aalto Ballett Essen und Ballett des Staatstheaters Saarbrücken zu Gast. Mit Johan Inger arbeitete sie an der Opéra de Lyon, am Theater Basel und der Semperoper Dresden zusammen. 2023 fand außerdem ihre beim Ballett am Rhein begonnene Zusammenarbeit mit Martin Chaix in der Uraufführung Giselle des Ballet du Rhin Strasbourg ihre Fortsetzung. Für Caroline Finn entwarf sie die Kostüme zum Ballett Romeo und Julia am Landestheater Linz. Ihre Rekonstruktion von Rei Kawakubos Kostümen zu Merce Cunninghams Scenario war mit dem Ballett am Rhein in Düsseldorf zu sehen.
THOMAS DIEK – Licht & Video Thomas Diek, in Meerbusch bei Düsseldorf geboren, begann seine berufliche Laufbahn mit einer Ausbildung zum Elektriker. Sein großes Interesse für das Medium Licht führte ihn 1991 an die Deutsche Oper am Rhein. 1996 absolvierte er seine Beleuchtungsmeisterprüfung in München und wurde anschließend zum kommissarischen Beleuchtungsmeister berufen. Seit 2007 unterstützt er das technische und künstlerische Team der Deutschen Oper am Rhein als Beleuchtungsinspektor und Lightdesigner. Seine Mitarbeit an zahlreichen Opern- und Ballettproduktionen namhafter Regisseure und Choreographen führte Thomas Diek auf Gastspiele u.a. nach Japan, China, Hong Kong, Spanien, Portugal, Italien, Finnland und in die Schweiz. Für den Choreographen Martin Schläpfer entwarf er seit 2009 zahlreiche Lightdesigns für das Ballett am Rhein sowie 2020 für das Stuttgarter Ballett. An der Wiener Staatsoper folgten ab der Spielzeit 2020/21 seine Lightdesigns für Martin Schläpfers Uraufführungen 4 und Die Jahreszeiten, an der Volksoper Wien für Ein Deutsches Requiem. Beim Ballett am Rhein schuf er außerdem das Licht für Uraufführungen von u.a. Remus Şucheană, Brigitta Luisa Merki und Ben J. Riepe. Seine enge Zusammenarbeit mit Natalia Horecna an der Deutschen Oper am Rhein setzte er 2018 mit der Uraufführung Return to Nothingness am Grand Théâtre de Genève fort.
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BIOGRAPHIEN
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Dornröschen Martin Schläpfer Spielzeit 2023/24 2. aktualisierte Auflage HERAUSGEBER Wiener Staatsoper GmbH, Opernring 2, 1010 Wien Direktor: Dr. Bogdan Roščić Kaufmännische Geschäftsführerin: Dr. Petra Bohuslav Direktor & Chefchoreograph Wiener Staatsballett: Martin Schläpfer Kaufmännische Leiterin Wiener Staatsballett: Mag. Simone Wohinz Redaktion: Mag. Anne do Paço Gestaltung & Konzept: Fons Hickmann M23, Berlin Bildkonzept Cover: Martin Conrads Layout & Satz: Mag.art. Anton Badinger, Wien Hersteller: Print Alliance HAV Produktions GmbH, Bad Vöslau AUFFÜHRUNGSRECHTE für die Choreographie © Martin Schläpfer für Ferne Landschaft II von Toshio Hosokawa © Universal Edition AG, Wien; für Schott Music GmbH & KG, Mainz für Schott Music Co. Ltd. Tokyo Musikmaterial Dornröschen: Alkor Edition Kassel GmbH VERWENDETE CD-EINSPIELUNG Toshio Hosokawa: Koto-uta, Voyage I, Konzert für Saxophon und Orchester, Ferne Landschaft II. Deutsches Symphonie Orchester Berlin, Dirigent: Ken Takaseki u.a. © Kairos 0012172KAI, 2001 TEXTNACHWEISE Über die heutige Vorstellung und die Handlung (ins Englische übertragen von David Tushingham) sowie Im Herz des Märchens und Ferne Landschaft sind Originalbeiträge von Anne do Paço für dieses Programmheft. Nachdruck nur mit Genehmigung des Wiener Staatsballetts/Dramaturgie. Umschlagklappe: Goethes Werke, Bd. 12: Schriften zur Kunst. Schriften zur Literatur. Maximen und Reflexionen. Hamburger Ausgabe hrsg. v. Erich Trunz. München 1981 / S. 6f.: Brüder Grimm: Kinder- und Hausmärchen. Vollständige Ausgabe. Zürich 1999 / S. 17: Linda Vilhjálmsdóttir: Nacht. Eins. Deutsch von Johann P. Tammen. Zitiert nach: Ich hörte die Farbe Blau. Poesie aus Island (Edition Die Horen). Bremen 1992 / S. 20f.: Walter Benjamin: Der Erzähler. Betrachtungen zum Werk Nikolai Leskows. In Ders.: Gesammelte Schriften, Bd. 2: Literarische und
ästhetische Essays u.a. Unter Mitwirkung von Theodor W. Adorno und Gershom Scholem hrsg. von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser. Frankfurt/Main 1991 / S. 34ff.: Thomas Steiert: Rhythmus, Raum, Imagination. Nachdruck des Originalbeitrags für das Programmheft Dornröschen des Balletts der Wiener Staatsoper Spielzeit 1994/95 / S. 37: Malte Korff: Tschaikowsky. Leben und Werk. München 2014 / S. 38ff.: Aus den Briefen Tschaikowskis zitiert nach: tchaikovsky-research.net (aus dem Russischen & Französischen für dieses Programmheft übertragen) sowie Teure Freundin. Peter Tschaikowskis Briefwechsel mit Nadeshda von Meck (Auswahl). Hrsg. v. Ena von Baer und Hans Pezold. Leipzig 1964 / S. 45: Toshio Hosokawa: Werkkommentar zu Ferne Landschaft II. Zitiert nach CD-Booklet: Toshio Hosokawa: Koto-uta, Voyage I, Konzert für Saxophon und Orchester, Ferne Landschaft II. Deutsches Symphonie Orchester Berlin, Dirigent: Ken Takaseki u.a. © Kairos 0012172KAI, 2001 / S. 68ff.: Charles Perrault: Die Feenmärchen. Aus dem Französischen von Moritz Hartmann. Darmstadt 2012 / S. 73: Diane Purkiss: Troublesome Things. A History of Fairies and Fairy Stories. London 2001 BILDNACHWEISE Cover: © Antti Laitinen: Ausschnitt aus Broken Landscape IV (2018) Die Fotos auf S. 4/5, 13 sowie 47 bis 67 fotografierte © Florian Moshammer für dieses Programmheft: S. 4/5: Hyo-Jung Kang, Brendan Saye / S. 13: Martin Schläpfer / S. 47: Yuko Kato, Daniel Vizcayo, Marcos Menha / S. 48: Sinthia Liz, Helen Clare Kinney / S. 49: Elena Bottaro / S. 50/51: Brendan Saye, Katharina Miffek / S. 52/53: Damenensemble / S. 54: Eszter Ledán / S. 55: Fiona McGee / S. 56: Fiona McGee, Rashaen Arts / S. 57: Liudmila Konovalova, Claudine Schoch / S. 58: Hyo-Jung Kang, Brendan Saye / S. 59: Masayu Kimoto, Olga Esina, Ensemble / S. 60: Masayu Kimoto / S. 61: Géraud Wielick, Francesco Costa / S. 62: Daniel Vizcayo / S. 63: Damenensemble / S. 64: Martin Schläpfer / S. 65: Natalya Butchko / S. 66/67: Hyo-Jung Kang Die Szenenfotos auf S. 22 bis 33 fotografierte © Ashley Taylor in der Saison 2022/23 / alle Porträts auf S. 78 bis 83 sowie 87: © Andreas Jakwerth / S. 86: © Neda Navaee / S. 88 oben: z.V.g. / S. 88 unten: © Ashley Taylor / S. 89: © Gert Weigelt Rechteinhaber, die nicht zu erreichen waren, werden zwecks nachträglicher Rechtsabgleichung um Nachricht gebeten.