Opernring 2 | November 2024

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Das MONATSMAGAZIN

S. 2

VON KURTÁG ZU MONTEVERDI ZUR WIEDERAUFNAHME

VON IL RITORNO D’ULISSE IN PATRIA

S. 7 DEBÜTS

S. 8

IST DAS SCHON EIN SKANDAL? IOAN HOLENDER, EHEMALIGER DIREKTOR DER STAATSOPER, ERINNERT SICH

S. 15 SCHLAGLICHTER

S. 16

FESSELNDES DRAMA & BEZAUBERNDE KOMÖDIE

ZUR PREMIERE VON THE WINTER’S TALE

S. 22

DAS HERZ DER EMOTIONEN TREFFEN GESPRÄCH MIT CHRISTOPHER WHEELDON

S. 25 VON DEN VIOLINEN ANS DIRIGENTENPULT GESPRÄCH MIT CHRISTOPH KONCZ

S. 30

DER EWIGE MEISTER GIACOMO PUCCINI STARB VOR 100 JAHREN

S. 36

EINFACH GROSSES KLANG-KINO MARINA REBEKA SINGT CIO-CIO-SAN

S. 42

SCHLAFLOS IN WIEN KONZERTMEISTER YAMEN SAADI

S. 45

DER PRÄGENDE MOMENT GEORG NIGL

S. 50 WOLKE & ERDE DAS ENSEMBLEMITGLIED ALMA NEUHAUS

S. 54 OPERNKARAOKE MIT PONY TYLER MITMACHPROGRAMME IM NEST

S. 56

ALLES GUTE & DANKE! KS AGNES BALTSA WIRD 80

S. 58 PINNWAND

VON KURTÁG ZU MONTEVERDI

ANLÄSSLICH DER WIEDERAUFNAHME DES RITORNO D’ULISSE IN PATRIA

Im Oktober dieses Jahres erfuhr György Kurtágs Beckett-Vertonung Fin de partie an der Wiener Staatsoper ihre österreichische Erstaufführung. Es gelang die Erweiterung des Repertoires um eine der wesentlichen zeitgenössischen Opernpartituren. Aber dieses Ereignis ist auch deshalb wichtig, weil Becketts kanonischer Text, der in Kurtágs Oper eine so eindringliche musikalische Gestaltung erfährt, eine der Voraus -

setzungen aller ernstzunehmenden Theaterarbeit heute darstellt. Und zwar nicht erst, wo sich diese einer zeitgenössischen Partitur stellt, sondern ganz ebenso, wenn sie sich mit der Realisation historisch tradierter Werke befasst. Im Rahmen der Einführungsmatinee zu Fin de partie nahm Staatsoperndirektor Bogdan Roščić auf Theodor W. Adornos berühmten Versuch, das Endspiel zu verstehen Bezug. Er zitierte

daraus: »Die Interpretation des Endspiels kann darum nicht der Schimäre nachjagen, seinen Sinn philosophisch vermittelt auszusprechen. Es verstehen kann nichts anderes heißen, als seine Unverständlichkeit verstehen, konkret den Sinnzusammenhang dessen nachzukonstruieren, dass es keinen hat.« Nicht anders und nicht präziser lässt sich die Aufgabe beschreiben, die heutigen Theaterschaffenden bei der Annä-

ISABEL SIGNORET als MINERVA
GEORG NIGL als ULISSE & ANNA BONDARENKO als GIUNONE Fotos MICHAEL PÖHN

JÖRG SCHNEIDER als IRO & ROBERT BARTNECK als EUMETE

CLAUDIO MONTEVERDI

IL RITORNO D’ULISSE IN PATRIA

22. 25. 28. 30. NOVEMBER 4. DEZEMBER

Musikalische Leitung STEFAN GOTTFRIED Inszenierung JOSSI WIELER & SERGIO MORABITO Bühne & Kostüme ANNA VIEBROCK

Ko-Bühnenbildner TORSTEN KÖPF Licht REINHARD TRAUB Video TOBIAS DUSCHE Orchester CONCENTUS MUSICUS WIEN

Mit GEORG NIGL / STEPHANIE MAITLAND / CYRILLE DUBOIS / ISABEL SIGNORET / DARIA SUSHKOVA

ADRIAN AUTARD / ANTONIO DI MATTEO / PAVEL KOLGATIN / ANNA BONDARENKO / LUKAS SCHMIDT / JÖRG SCHNEIDER

STEPHANIE HOUTZEEL / MATTHÄUS SCHMIDLECHNER / HYEJIN HAN / ANITA MONSERRAT

herung an Werke der Vergangenheit gestellt ist. Becketts Schreiben hat alle vermeintlich unverlierbare Sinnproduktion auch und gerade in Werken der Vergangenheit des Scheins überführt: Kunst heute verfügt über keine Botschaften mehr. Wie alle künstlerische Praxis, der es gelingt, ihrer eigenen Gegenwart gerecht zu werden, hat Becketts Schreiben rückwirkend die Wahrnehmung aller vorangegangenen Kunst verwandelt, oder richtiger: Diese selbst ist es, die sich in ihren innersten Zellen neu konfiguriert.

Können Kunstwerke seit Beckett nicht mehr als Träger eines zeit- und geschichtsenthobenen, gar philosophisch formulierbaren Sinnes betrachtet werden, so ist die alleraufmerksamste Betrachtung und Analyse dieser Werke um so dringlicher geboten. Die »Konstruktion des Sinnlosen«, die Adorno angesichts von Becketts Endspiel einforderte, verpflichtet die Interpreten zur wachen Ertastung ihrer historisch zutage getretenen Abbruchkanten und Risse, ihrer Leerstellen und Widersprüche. Nicht um die Vergegenwärtigung eines vermeintlich zuhandenen Sinnes dieser Werke kann es heute auf dem Theater gehen, sondern um die Vergegenwärtigung ihres präzise herauszuarbeitendenden Nicht-Sinns. Ein solcher Zugang ist der einzige, der vor dekorativer und konzeptueller Beliebigkeit im Umgang mit diesen Kunstwerken zu schützen und ihnen den Status von Kunst im emphatischen Sinne zurückzuerobern vermag. Und so darf es auch nicht überraschen, dass György Kurtág sich auf Vorgänger seines kompositorischen Schaffens beruft und berufen darf, von denen ihn Jahrhunderte trennen. Neben Modest Mussorgski oder Claude Debussy nennt er immer wieder einen Namen: Claudio Monteverdi, dessen Lebensdaten von 1567 bis 1643 reichen und der mit seinem Schaffen das erste halbe Jahrhundert Operngeschichte überspannt und definiert. »Monteverdis Anliegen«, so hat es Nikolaus Harnoncourt einmal formuliert, »ist die optimale Wirkung des Wortes, die Musik darf niemals davon ablenken, niemals Selbstzweck sein, sie muss, deutend und mitreißend, die Wortbedeutung untermalen und verstärken...«; somit sei, so Harnoncourt, der Ritorno d’Ulisse in patria im Prinzip als ein einziges großes Rezitativ aufzufassen, gegliedert von den Zwischenspielen des Orchesters. Das ist eine durchaus einseitige Zuspitzung: Monteverdi wäre nicht der große Komponist, der er ist, schüfe er nicht bezwingende

musikalische Strukturen und Architekturen. Ganz ebenso wie Kurtág ist ihm in seiner Odysseus-Oper das Wunder gelungen, aus der Musikalisierung zahlloser sprachlicher Einzelgesten einen großformatigen Zusammenhang zu stiften.

ZERBRECHLICHE HELDEN

Seiner Oper hat Monteverdi einen Prolog vorangestellt. Dieser formuliert eine ganz eigene Perspektive auf das überlieferte antike Heldenepos. Er lenkt nämlich den Fokus auf die menschliche Zerbrechlichkeit. Deren Verkörperung wird in ihrem Ausgeliefertsein an die Gewalten der Zeit, des Zufalls und der Liebe gezeigt. Dieser Prolog ist ein deutlicher Fingerzeig darauf, dass uns, auch wenn der Oper das homerische Epos zugrunde liegt, keine lineare Nacherzählung erwartet. Vielmehr arbeiten Monteverdi und sein hervorragender Textdichter Giacomo Badoaro in ihrer Theatralisierung der Gesänge XIII bis XXIII der Odyssee die schmerzhaften Risse und Brüche und unausgesprochenen Widersprüche in der vermeintlichen Kontinuität des Geschehens heraus. Die Wiener Inszenierung von Jossi Wieler, Sergio Morabito und Anna Viebrock setzt in Monteverdis Oper – in engster Tuchfühlung mit dem Wortlaut der Dichtung und der Struktur ihrer Vertonung – eine subkutane Dynamik der Entmythologisierung frei. Die den Figuren rezeptionsgeschichtlich zugesprochene Heroik wird dabei mit einem Fragezeichen versehen, im Versuch, ihnen ihre fragile menschliche Würde zurückzugewinnen.

Der quecksilbrige Georg Nigl in der Rolle des Titelhelden spielt einen wirklich Gealterten, eine ungerechte, teilweise bösartige, in ihren Widersprüchen nicht unkomische Figur. Wir verfolgen den Geschichten-Erfinder und Identitäten-Schwindler in seiner Sprunghaftigkeit mal als vom Tode umflorten Greis, mal als lüsternen Pantalone, als Schelm und Landstreicher, Hochstapler und Lügenbaron. Dabei ist dem Irrfahrer selbst seine Identität nicht weniger maskenhaft-ungewiss geworden als den von ihm Getäuschten und Betrogenen. Hinter den Masken liegt eine existentielle Erschöpfung und die Überforderung durch Minervas maßlosen Racheplan. Denn es ist die Göttin, die Ulisse zum unfreiwilligen Exekutor seines eigenen Mythos macht. Bei Monteverdi haben die olympischen Götter ihre angestammte Macht verloren und trachten danach, diese zurückzuerzwingen. Ulisse

wird für dieses Vorhaben gefügig gemacht und missbraucht – ausgerechnet Ulisse, der als junger Mensch ein Aufklärer und Rebell gewesen war, der die Grenzen im Denken und die Grenzen der Heimat überschritten und sich in unbekannte Welten hinausgewagt hatte. Monteverdi zeigt, dass und wie es den Göttern gelingt, diese Entwicklung rückgängig zu machen und die Menschen erneut ihrer Macht zu unterwerfen.

Penelope ist keine Ikone fragloser ehelicher Treue und Selbstzurücknahme, sondern eine durch den Liebesverrat Ulisses traumatisierte Frau. Ihre Zurückweisung der sie erotisch bedrängenden Freier geschieht in der Oper weniger aus Treue zu Ulisse oder weil sie unempfindlich wäre für deren Werbung, sondern aufgrund ihrer Verwundung durch die Liebe zu ihm, aus panischer Angst, in ihrer Liebe wieder verletzt, wieder enttäuscht, wieder betrogen zu werden; auch dies eine deut-

liche Verschiebung, welche die Autoren der Oper in der motivierenden Deutung ihres Verhaltens vornahmen.

Ebenso entscheidend aber ist, dass Penelope in der Wiener Lesart ihrer Figur ab einem bestimmten Moment ihre Selbstbestimmung und das Heft des Handelns zurückgewinnt. Als sie nämlich ihren zurückgekehrten Mann hinter seiner Vermummung als alter Bettler beim allerersten Anblick erkennt –ohne es sich anmerken zu lassen. So wird die Bogenprobe der Freier zum Spiel, das sie inszeniert, und in dem er mitwirkt, ohne zu verstehen, was wirklich geschieht. Die blutige Eskalation dieses Spieles aber hat Penelope nicht voraussehen können: das Massaker an den Freiern. Die von ihr gestellte Aufgabe bestand darin, die Sehne auf den Bogen aufzuspannen, und nicht darin, Menschen umzubringen. So wird Penelope Zeugin von Ulisses kriegerischer Verrohung. Es geschieht nach der Abschlachtung der Freier durch Ulisse,

dass Penelope sich erstmals im Stück als Witwe bezeichnet – nachdem sie zuvor die Annahme eines möglichen Todes ihres verschollenen Gatten stets von sich gewiesen hatte. Ihr unfassbar langes Zögern, in dem Heimgekehrten ihren nach dem Trojanischen Krieg verschollenen Mann anzuerkennen, wird in der Wiener Aufführung überaus schlüssig: Jener Ulisses, der sie vor zwanzig Jahren verließ, ist nicht der, der nach zehn Jahren Krieg und zehn Jahren Irrfahrt zu ihr zurückfindet. Erst ganz zuletzt meint sie in dem Fremden doch noch einen Funken jenes Menschen glimmen zu spüren, den sie einst geliebt und geheiratet hatte. Monteverdis Unheld bezeichnet sich an dieser Stelle als »Überrest der Asche, Abfall des Sterbens«. Es ist einer von vielen Beckett-nahen Momenten dieser Oper aus dem Jahre 1643, die in dieser Wiener Aufführung aus dem Jahre 2023 zu erleben sind.

GEORG NIGL als ULISSE
ANDREA MASTRONI als ANTINOO & KATE LINDSEY als PENELOPE

DEBÜTS

HAUSDEBÜTS

MANON 14. NOV. 2024

EMMANUEL VILLAUME

Musikalische Leitung

Dirigent Emmanuel Villaume, geboren in Strasbourg, arbeitet mit den bekanntesten Opernhäusern (Met, Covent Garden, Pariser Opéra, Liceu, Teatro Real Madrid, Bayerische und Hamburgische Staatsoper, Deutsche Oper Berlin, Kölner Oper, La Fenice, Chicago, Washington, San Francisco, Los Angeles) und Sinfonieorchestern der Welt zusammen. Er ist seit 2015 Musikdirektor der Prager Philharmonie und begann seine elfte Spielzeit als Musikdirektor der Dallas Opera. Er studierte Dirigieren, Philosophie, Literatur- und Musikwissenschaften.

TERESA SALES REBORDÃO* Rosette

Teresa Sales Rebordão ist eine portugiesische Mezzosopranistin. Die Intensität ihrer ersten Opernerfahrung als Dido in Purcells Dido and Aeneas am Instituto Gregoriano de Lisboa verdeutlichte ihr, dass Musik eine wesentliche Rolle in ihrem Leben spielt. Sie ist mittlerweile mehrfache Preisträgerin und sang bisher Partien wie Annio ( La clemenza di Tito), Hänsel ( Hänsel und Gretel ), La messagiera ( L’Orfeo), L’enfant (L’enfant et les sortiléges), Witwe (Ombra Felice), Stewardess ( Flight), Frau Pfeil ( Der Schau spieldirektor).

IL RITORNO

D’ULISSE IN PATRIA 22. NOV. 2024

HYEJIN HAN* Liebe

Die koreanische Sopranistin Hyejin Han stammt aus Daegu und studierte an der Seoul National University sowie seit 2023 an der Universität der Künste Berlin. 2022 erhielt sie den 3. Preis beim Korean Broadcasting System KEPCO Music Competition, 2021 sang sie Olympia ( Les Contes d’Hoffmann) im SNU Cultural Center Grand Theatre. Ferner erhält sie Unterstützung von der Hyundai Motor Jung Mong-gu Stipendien-Stiftung und war Mitglied des Ondream Ensemble. Ab 2024/25 ist sie Mitglied des Opernstudios der Wiener Staatsoper.

ROLLENDEBÜTS

MADAMA BUTTERFLY 1. NOV. 2024

GIAMPAOLO BISANTI

Musikalische Leitung

MARINA REBEKA Cio-Cio-San

DARIA SUSHKOVA Suzuki

ANITA MONSERRAT* Kate Pinkerton

JOSHUA GUERRERO Pinkerton

STEFAN ASTAKHOV Sharpless

MATTHÄUS SCHMIDLECHNER Goro

ALEXANDER ILVAKHIN* Yamadori

IVO STANCHEV Onkel Bonze

ANDREI MAKSIMOV*

Kaiserlicher Kommissär

GIACOMO SAGRIPANTI

Musikalische Leitung

KS ERWIN SCHROTT Don Pasquale

EDGARDO ROCHA Ernesto

DAVIDE LUCIANO Malatesta

PRETTY YENDE Norina

MARCUS PELZ Notar

KRISTINA MKHITARYAN Manon

VITTORIO GRIGOLO Des Grieux

MATTIA OLIVIERI Lescaut

ALMA NEUHAUS Javotte

THE WINTERʼS TALE 19. NOV. 2024

CHRISTOPH KONCZ

Musikalische Leitung und alle weiteren Mitwirkenden der Premiere

IL RITORNO

D’ULISSE IN PATRIA

STEFAN GOTTFRIED

Musikalische Leitung

STEPHANIE MAITLAND Penelope

CYRILLE DUBOIS Telemaco

ADRIAN AUTARD* Eurimaco / Anfinomo

ANTONIO DI MATTEO Neptun / Antinoo / Die Zeit

PAVEL KOLGATIN Pisandro / Menschliche Zerbrechlichkeit 4

LUKAS SCHMIDT Eumete

STEPHANIE HOUTZEEL Ericlea / Menschliche Zerbrechlichkeit 1

MATTHÄUS SCHMIDLECHNER Jupiter

ANITA MONSERRAT* Zufall

THE WINTERʼS TALE 23. NOV. 2024

JOHANNES WITT

Musikalische Leitung

Fotos MARCO BORGGREVE (Villaume)

FILIPE FERREIRA ( Sales Rebordao) * Mitglied des Opernstudios

MANON

IST DAS SCHON EIN SKANDAL?

IOAN HOLENDER, EHEMALIGER DIREKTOR

DER STAATSOPER, ERINNERT SICH

MACBETH und seine LADY verschwanden in der Duschkabine.

KS SIMON KEENLYSIDE & ERIKA SUNNEGÅRDH in MACBETH Foto AXEL ZEININGER

Ausgezischt, ausgepfiffen, ausgebuht oder sogar ausgelacht: Die Operngeschichte weiß von zahlreichen bemerkenswerten Missfallenskundgebungen seitens des Publikums. Und auch an der Wiener Staatsoper wird der Anekdotenschatz durch kleinere oder größere sogenannte Aufführungsskandale regelmäßig bereichert. Wobei sich die Frage stellt, ab wann man von einem Skandal sprechen darf. War die erfolglose Faust-Premiere im Haus am Ring im Jahr 1985 schon ein Skandal, nur weil Regisseur Ken Russell dem buhenden Publikum beim Schlussvorhang demonstrativ seinen Allerwertesten zuwandte? Die aufsehenerregenden Störaktionen während der Premiere des französischen Don Carlos in der Inszenierung Peter Konwitschnys 2004 gehören hingegen mit Sicherheit in diese Kategorie. Einer, der auch diese Facetten der Wiener Operngeschichte zur Genüge kennt, ist Ioan Holender – seines Zeichens nicht nur der bisher längstdienende Direktor der Wiener Staatsoper (1991–2010), sondern jemand, der schon zuvor als international gefragter Sängervermittler jahrzehntelang die Geschicke des Hauses aus nächster Nähe mitverfolgt und -geprägt hat. Nicht von ungefähr titelte eine wichtige österreichische Tageszeitung in den 1980er Jahren »Dieser Mann gibt im Operngeschäft den Spitzenton an«. Im folgenden Gespräch mit Andreas Láng erinnert IOAN HOLENDER an so manche Begebenheit, in der die Empörung der Zuschauerrinnen und Zuschauer Ausmaße annahm, dass selbst abgebrühte Opernfreunde überrascht waren.

al Zu Beginn eine bewusst provokante Frage: Hat das Publikum grundsätzlich recht?

ih Ich antworte genauso provokant: Sehen Sie sich doch die schier unendlich lange Reihe der kollektiven Fehlurteile an: Wie viele große Meisterwerke, wie viele interpretatorisch neue Wege, wie viele Inszenierungen, die später große Popularität erlangten, wurden zunächst vehement abgelehnt? Denken wir nur an die Pfeifkonzerte bei der Uraufführung von Verdis Traviata in Venedig 1853 oder an das hämi-

Der  TROVATORE  von 1993 löste

eine gewaltige Publikumsopposition aus.

Foto AXEL ZEININGER

sche Gelächter bei der Uraufführung von Rossinis Il barbiere di Siviglia in Rom 1816 – heute zählen beide Opern zu den populärsten in den internationalen Spielplänen. Davon abgesehen: Wer ist schon »das Publikum«? Wenn dreihundert applaudieren und drei »Buh« rufen, hört man vor allem die Buhrufer und nicht die Majorität derer, die zustimmen. Außerdem verunsichern die Buhrufer so manche andere im Zuschauerraum, womöglich solche, die zum ersten Mal gekommen sind und sich noch kein eigenes Bild machen konnten. Wir spielen aber für das gesamte Publikum, das noch dazu dafür bezahlt, um uns zu sehen. Nebenbei angemerkt sei noch, dass man in Italien heute noch, so wie früher auch bei uns, auspfeift – und nicht ausbuht.

al Wobei es einen großen Unterschied macht, ob die Buhs –oder Pfiffe – am Ende der Vorstellung fallen oder mittendrin, in einer Szene, nach einer Arie, zwischen den Akten... ih … oder, bevor überhaupt ein Ton erklungen ist! Das Buhen während der Vorstellung ist auf jeden Fall unverantwortlich, verunsichert die Sängerinnen und Sänger und mindert daher nachhaltig die Qualität der Darbietung. Bei der immer wieder thematisierten Faust-Produktion von Ken Russell begannen beispielsweise die Missfallenskundgebungen schon, als der Méphistophélès vor einem Aktschluss so tat, als ob er in das Weihwasserbecken urinieren würde. Am Ende der Vorstellung kann hingegen jeder

seine Meinung kundtun, das gehört zum Wesen des Theaters, seit dessen Entstehung. Wobei ich ein bewusstes Nicht-Applaudieren und die daraus resultierende Stille als demütigender empfände als einen Buhorkan. Seitens des Theaters kann man allerdings nur wenig gegen vereinzelte notorische, störende Zwischendurch-Buhschreier unternehmen. Und in diesem Zusammenhang kann ich an einen wirklich großen Skandal erinnern, und zwar an die Premiere von Verdis Aida am 4. Februar 1973: Ich war anwesend, weil ich Plácido Domingo, den Interpreten des Radames, als Bühnenvermittler vertreten hatte – es handelte sich nach einigen Einzelvorstellungen, die zunächst keine Folgeengagements nach sich zogen, um seine erste Premi-

ere an diesem Haus. Im Zuschauerraum saß übrigens unter anderem auch Bundeskanzler Bruno Kreisky –damals gingen Bundeskanzler noch in Opernpremieren. Riccardo Muti debütierte an diesem Abend mit großem Erfolg am Pult der Wiener Staatsoper und auch Domingo und Bonaldo Giaiotti als Ramfis wurden gefeiert. Schon viel weniger Gwyneth Jones als Aida oder Viorica Cortez als Amneris. Doch gegen die Inszenierung Nathaniel Merrills entlud sich spätestens im Triumphakt ein ungeheurer Sturm der Entrüstung, endlose, bis in die Pause hineinreichende Schreiduelle im Publikum, die nach dem damaligen Direktor riefen – der seine Loge jedoch schon längst verlassen hatte und nicht wieder auftauchte. Im Nilakt kamen schließlich Kriminalbeamte ins Stehparterre und führten die am lautesten Protestierenden ab. Daraufhin kam es zum Gipfel dieses Skandals: KS Eberhard Waechter erhob sich in der Künstlerloge, zeigte auf das Stehparterre und rief mit lauter Stimme: »Der Bundeskanzler sieht zu, wie in diesem Haus die freie Meinung unterdrückt wird.« Tosender Applaus war die Antwort. al Die nächste Aida -Premiere – 1984 – war kaum erfolgreicher… ih Der damalige Sturm der Entrüstung richtete sich gegen den dirigierenden Direktor Lorin Maazel,

der für einzelne Fehlbesetzungen ebenso verantwortlich gemacht wurde wie für die Regie von Nicolas Joel und für grundsätzliche Fehlentscheidungen in seiner Amtszeit. Als Maazel nach der Pause wieder in den Graben kam, empfing ihn ein Orkan der Ablehnung. Zu verantworten hatte Maazel aber schon vorher einen weiteren, zumindest halben Skandal, der durch mein Einschreiten davor bewahrt wurde, sich zu einem vollständigen Skandal zu entwickeln: 1982 leitete er einen neuen Tannhäuser in der Inszenierung von Otto Schenk. Der von mir vermittelte, aus der DDR stammende Tenor Reiner Goldberg war mit der Titelpartie besetzt. Schon während Probenzeit, in der Goldberg kein einziges Mal aussang, kamen größte Bedenken, ob er, offenbar psychisch belastet, der Rolle überhaupt gewachsen sei. Ich selbst besuchte die Generalprobe, bei der Goldberg nur markierte und nicht einen einzigen hohen Ton aussang. Da ich davon ausging, dass sich ein Fiasko anbahnte, kaufte ich, ohne jemanden darüber zu informieren, dem Tenor Spas Wenkoff eine Eintrittskarte für die Premiere, um ein Cover zur Verfügung haben. Der Rest ist Geschichte: Reiner Goldberg musste noch im ersten Akt, bereits nach der zweiten Strophe des Preislieds an Venus, abbrechen und verließ die Bühne. Der Vorhang fiel. Und tatsächlich ge-

Ebolis

PETER KONWITSCHNYS DON CARLOS -Inszenierung war nicht jedermanns Sache (Eve-Maud Hubeaux als Eboli, Jonas Kaufmann als Carlos & Michele Pertusi als Philippe).

Foto MICHAEL PÖHN

Traum in

IST DAS SCHON EIN SKANDAL?

Teuer – und von kurzer Lebensdauer: Rossinis VIAGGIO A REIMS

Foto AXEL

ZEININGER

lang es mir, Spas Wenkoff Zutritt zum Bühnenbereich zu verschaffen, sodass er die Premiere schlussendlich retten konnte. Der ungeliebte Direktor Maazel räumte jedenfalls nach nicht einmal zwei Jahren seinen Stuhl. Der aber wohl nachhaltigste Entrüstungssturm gegen einen Direktor war sicher jener gegen Karl Böhm, bei einer Fidelio -Vorstellung 1956. Böhm – der letzte Direktor des Hauses in der NS-Zeit und erster Direktor nach der Wiedereröffnung – hatte bekanntlich nach einer Reise in den USA am Flughafen in Schwechat dem Journalisten Karl Löbl ins Mikrofon gesagt, dass er nicht daran denke, seine internationale Karriere für die Wiener Staatsoper zu opfern. Das war dem Publikum zu viel. Das Haus war nach langer Bauzeit gerade erst feierlich wiedereröffnet worden, gewissermaßen als Zeichen des wiedererstandenen unabhängigen Österreichs – und dann diese Aussage. Als Böhm bei besagtem Fidelio das Pult betrat, wurde er mit einem ungeheuren Pfeif- und Pfui-Geschrei empfangen, was Böhm wiederum zur Aussage veranlasste, dass der Pöbel in der Staatsoper Einzug gehalten hätte. Das Ergebnis war, dass Karajan bereits wenige Monate später Böhm als Staatsoperndirektor nachfolgte. al Sie nannten den legendären Otto Schenk. Aber auch er musste, was heute viele nicht mehr wissen, immer wieder mit Ablehnun-

gen aus dem Publikum leben. Auch sein Don Carlo von 1970 stieß beispielsweise nicht auf ungeteilten Zuspruch.

ih Auf Verdis Don Carlo scheint in Wien überhaupt ein Fluch zu liegen. Zunächst gab es ein jahrelanges Gezerre mit Verdi und dem Verlag Ricordi, das Werk im Haus am Ring aufführen zu dürfen, was vorerst peinlichst misslang – die Staatsopern-Erstaufführung fand erst 1932 statt. Und später erhielten überdurchschnittlich viele Neuproduktionen dieses Werks nicht auf Anhieb die Gunst des Publikums. Die von Ihnen erwähnte von 1970 richtete sich aber weniger gegen Otto Schenk als gegen die Direktion im Allgemeinen. Es gab zwei Stoßrichtungen des Publikums: Zunächst verübelte man, dass ein so geliebter Sänger wie Franco Corelli »nur« einen Don Carlo bekam, in dem er nicht einmal eine echte Arie zu singen hatte. Und dann stieß man sich am vor allem im Deutschen Fach hoch geachteten Dirigenten Horst Stein. Der Vorwurf lautete: Dieser Deutsche kann unmöglich den Italiener Verdi dirigieren. In Wahrheit war man enttäuscht, dass nicht Karajan zum Zug kam und endlich an das Haus zurückkehrte. Die Buhs und Pfui-Rufe gegen Stein waren so intensiv, dass der damalige Direktor Heinrich Reif-Gintl und der Leiter der Bundestheaterverwaltung Gott-

fried Heindl zu einer Sitzung zusammenkamen, bei der die Einschaltung der Polizei diskutiert wurde und die Auflassung des Stehplatzes – letztlich wurde aber von beiden Schritten abgesehen. Noch turbulenter ging es 2004, in meiner Amtszeit, bei der Staatsopern-Erstaufführung des französischen Don Carlos zu. Peter Konwitschnys Inszenierung, insbesondere des Autodafés, das schon in der Pause davor gewissermaßen einen Prolog im Zuschauerraum bekam und das Publikum in das Geschehen

gewinnt man sie manchmal sogar lieb. Zumindest hier in Wien.

al Wenn wir von Skandalen sprechen, muss auch der Trovatore von 1993 genannt werden: Der früher beliebte Sänger KS Eberhard Waechter hatte als Direktor gemeinsam mit Ihnen als Generalsekretär der Staatsoper die Produktion geplant. Er starb und so kam es zu Ihrer ersten Premiere als alleiniger Direktor des Hauses…

»Das Problem ist ja oft, dass ungewohnte und unerwartete Umsetzungen zunächst von Vornherein abgelehnt werden.
Hat man sie dann aber öfter gesehen, gewinnt man sie manchmal sogar lieb. Zumindest hier in Wien.«
IOAN HOLENDER

einbezog, erhitzte die Gemüter in einem unfassbaren Ausmaß. Das Geschrei und Buhgebrülle ging soweit, dass Cosmin Ifrim, der Sänger des Herold, gar nicht erst einsetzen konnte. Er blickte verzweifelt zu meiner Loge und ich bedeutete ihm durch Zeichen, solange zu warten, bis der Tumult sich legen würde, was nach einigen Minuten – vorübergehend – auch geschah. Heute besitzt die Inszenierung Kultstatus und wird immer gerne gesehen. So viel zur eingangs gestellten Frage, ob das Publikum recht hätte.

al Manchmal hat eine Inszenierung allerdings keine Chance, sich in die Herzen des Publikums einzunisten. Verdis Macbeth in der 2009 herausgekommenen Inszenierung von Vera Nemirova verschwand bereits nach insgesamt fünf Vorstellungen.

ih Die Premiere stand wahrlich unter keinem guten Stern. Der vorgesehene Regisseur Jürgen Gosch war wenige Monate vor der Premiere verstorben und der Dirigent und die vorgesehene Sängerin der Lady hatten kurzfristig abgesagt. Die daraufhin engagierte Regisseurin Vera Nemirova, die mit ihrer Pique Dame -Deutung an der Wiener Staatsoper durchaus Erfolg hatte, überforderte viele im Publikum mit ihrer Macbeth -Inszenierung. Das Ergebnis waren ein gewaltiger Buhorkan am Ende und Missfallenskundgebungen während der Vorstellung. Insbesondere eine Szene in einer Duschkabine, in der sich die Lady halbnackt und singend wusch, um sich vom Blut zu reinigen, erregte die Gemüter. Aber da die nachfolgende Direktion die Produktion sofort skartieren ließ, blieb es bei den von Ihnen angesprochenen fünf Aufführungen. Das Problem ist ja oft, dass ungewohnte und unerwartete Umsetzungen zunächst von Vornherein abgelehnt werden. Hat man sie dann aber öfter gesehen,

ih … die fast auch mein Ende besiegelte. Ich hatte den preisgekrönten Film- und Theaterregisseur István Szabó mit der Inszenierung beauftragt. Und er machte etwas, was die Wiener unmöglich gutheißen konnten: Er zeigte den Niedergang der Staatsoper durch die Bombardierung im Zweiten Weltkrieg und wie sie durch Musik wieder zum Leben erweckt wurde. Dieses an sich schöne Konzept – das heute, 30 Jahre später, mit Sicherheit anders aufgenommen werden würde –, bekam die geballte Opposition der allermeisten im Zuschauerraum zu spüren. Dazu kam, dass Cheryl Studer als Leonora schon während der Vorstellung ausgebuht wurde, und der an sich nicht üble Tenor Frederic Kalt als Manrico das hohe C in der Stretta aus lauter Freude, den Ton geschafft zu haben, solange aushielt, bis er abriss und damit ebenso den Unmut der Masse auf sich zog. Der allgemeine Aufruhr war jedenfalls so groß, dass bereits laut über meine Nachfolge sinniert wurde. Gerettet hat mich dann die nächste Premiere, Offenbachs Contes d’Hoffmann, die insbesondere durch die Leistungen der jungen, damals unbekannten Sängerriege Dessay-Terfel-Frittoli und dazu Domingo zu einem ebenso großen Triumph wurde, wie der Trovatore ein Misserfolg war.

al Und manchmal bestand der Skandal darin, dass es überhaupt keine Vorstellung gab… ih ... unvergessen die Absage der Bohème-Premiere 1963. Da Karajan einen italienischen Maestro suggeritore installieren wollte – für die internationalen italienischen Stars war dieser mitdirigierende Souffleur Usus –, hatte er es sich mit dem Betriebsrat verscherzt. Als besagter Maestro suggeritore am Premierenabend seinen Platz einnahm, verhinderte der Betriebsrat daraufhin die Vorstellung und das bereits erschienene Publikum des ausverkauften Hauses

musste wieder heimgeschickt werden. Letztendlich war diese Premierenabsage mit ein Grund für Karajans Demission als Direktor der Wiener Staatsoper. al Zusammenfassend zeigt sich, dass das Publikum in erster Linie gegen Inszenierungen und manche Besetzungen zu Feld zieht. Nicht aber gegen Werke an sich.

ih Dazu hatte das hiesige Publikum auch wenig Gelegenheit. Die Wiener Staatsoper war nie ein Novitäten-Haus und spielt meistens rauf und runter den althergebrachten Kanon. Und so manch schwierigeres Stück, etwa Bergs Lulu, ist von der Staatsoper

Da nutzte die beste Besetzung nichts –der  ZIGEUNERBARON  empörte die Anwesenden Foto AXEL ZEININGER

zunächst nur in einer Dependance – in diesem Fall 1962 im Theater an der Wien – gezeigt worden. Insofern finde ich es eine schöne Entwicklung, dass aktuell innerhalb eines Jahres so wichtige zeitgenössische Werke wie Grand Macabre, Fin de partie, Animal Farm und Tempest gezeigt werden! Und es gab durchgehend Zustimmung! Die frühe Geschichte des Hauses kann aber auch hier mit gegenteiligen Details aufwarten: Etwa mit der Erstaufführung der Meistersinger 1870. Da sich Wagnerianer und Wagner-Gegner ab Beckmessers Ständchen massive Schreiduelle lieferten, blieb die Musik praktisch un-

hörbar. Das Getümmel dürfte so ausgiebig gewesen sein, dass sich die Kritiken in den darauffolgenden Tagen vor Schadenfreude regelrecht überschlugen. Etwas mehr als hundert Jahre später entlud sich der Zorn der Zuschauerinnen und Zuschauer gegen eine ganz andere Erstaufführung: Rossinis eher schwächeres Stück Viaggio a Reims war unter großem finanziellem Aufwand angesetzt worden. Doch trotz der Mitwirkung einer Reihe gefeierter und beliebter Sängerinnen und Sänger lehnte das Publikum das Werk vehement und lautstark ab, so vehement, dass zugleich sogar das Ende der damaligen Direktion Drese eingeläutet wurde. Aber auch die Proteste gegen die Zigeunerbaron-Premiere von 1975 müssen hier erwähnt werden: Man verstand einerseits nicht, wieso dieses Stück überhaupt in den Spielplan gelangt war, und stieß sich andererseits an der Inszenierung des bekannten Schauspielregisseurs Werner Düggelin, der leider keinen nachvollziehbaren Zugang zum Werk fand… da hat dann die hochkarätige Besetzung mit Franco Bonisolli, Hans Beirer, Hans Helm, Erich Kunz, Heinz Zednik ebenfalls nichts mehr ausrichten können. Apropos Bonisolli: In die Annalen des Hauses ist auch sein Abgang bei der öffentlichen Trovatore-Probe unter Karajan eingegangen, als er vor der Stretta sein Schwert wütend hinschleuderte und die Bühne verließ und Karajan bis zur Pause das Orchester – ohne Manrico – weiterdirigierte. Alles in allem kann man sagen, dass das zahlende Publikum ein Recht darauf hat, zu applaudieren, wenn ihm etwas gefällt und Missfallen zu äußern, wenn ihm etwas nicht gefällt. Schlussendlich werden Operneinrichtungen durch Steuergelder und zusätzlich durch die Karten kaufenden Zuschauerinnen und Zuschauer erhalten. Aber sowohl Zustimmung wie Ablehnung haben am Ende der Vorstellung zu geschehen, wenn sich die einzelnen Mitwirkenden vor dem Vorhang verbeugen. Seien dies nun Sängerinnen, Sänger, Dirigentinnen oder Regisseure –letzterer ist jedoch oft schwer auszumachen, weil er meist mit einer Kompanie von Mitarbeitern erscheint.

IM NOVEMBER

DAS STÜCK MIT DEN 39 ROLLEN

Hans Pfitzners Palestrina gehört für viele zu den ganz besonderen Marksteinen der Operngeschichte des 20. Jahrhunderts. Erzählt wird vor dem Hintergrund des tridentinischen Konzils die Legende des RenaissanceKomponisten Palestrina, der in einer schöpferischen Ekstase jenes Meisterwerk schafft, mit dem er eine ganze Musiktradition vor dem Untergang bewahrt. In der Rezeptionsgeschichte waren es immer wieder große Dirigentenpersönlichkeiten, die sich für das besetzungstechnisch herausfordernde Stück eingesetzt haben. So wird auch bei der Wiederaufnahme im Dezember einer der großen Apologeten dieser Rarität am Pult stehen: Christian Thielemann. Da seit der letzten Staatsopern-Aufführung doch schon mehr als 23 Jahre vergangen sind, wird es am 1. Dezember eine eigene Einführungsmatinee mit Direktor Bogdan Roščić geben. Selbstverständlich unter Mitwirkung von Dirigent Christian Thielemann.

AUSNAHMESÄNGERIN

»Sie phrasiert minutiös und wunderbar intensiv. Perfekt setzt sie Spitzentöne; berührend ihre Arien« (Kronen Zeitung), oder: »präzise Koloraturen, immense Höhe, vor allem eine große Palette an Zwischentönen« ( Bachtrack). Die Rede ist von Pretty Yende, jener Ausnahme-Sopranistin, die aus Südafrika kommend in kürzester Zeit die Musikwelt eroberte. Darstellerische Glaubwürdigkeit und eine makellos-berührende Stimme begeistern, wo sie auch auftritt. Ob in Opernrollen oder in Liederabenden: das Publikum feiert sie. Gleich mehrfach ist sie im November an der Wiener Staatsoper zu erleben: Zunächst im Rahmen eines Solistinnenkonzerts am 6. November und dann viermal als Norina in Donizettis Don Pasquale. Regisseurin Irina Brook setzt diese musikalische Komödie in die Gegenwart, führt sie rasant in ein übersteigert-bonbonfarbenes Finale. Zu erleben sind auch KS Erwin Schrott, Edgardo Rocha und Davide Luciano – zuletzt Don Giovanni im Oktober.

OPERNDAUERBRENNER

Das 1731 erschienene Werk Die Geschichte des Chevalier Des Grieux und der Manon Lescaut, verfasst von Abbé Prévost, war ein literarischer »Renner« seiner Zeit – und auch noch im 19. und 20. Jahrhundert. So ist es nicht verwunderlich, dass zahlreiche Komponisten, unter ihnen Auber, Halévy, Puccini und Henze sich dem Stoff näherten. Eine der wichtigsten Musiktheater-Vertonungen dieses Stoffes stammt von Jules Massenet: kurz und bündig nannte er seine Oper Manon, 1884 kam das Werk in Paris höchst erfolgreich zur Uraufführung und wurde international rasch nachgespielt. An der Wiener Staatsoper ist in Andrei Şerbans Inszenierung diesmal Kristina Mkhitaryan in der Titelrolle zu hören: Eine Sopranistin, die zuletzt als Liù in Puccinis Turandot für einhelligen Jubel sorgte. Den Chevalier Des Grieux singt Vittorio Grigolo, den Lescaut gibt Mattia Olivieri. Die musikalische Leitung dieses Opern-Dauerbrenners hat Hausdebütant Emmanuel Villaume übernommen.

CHRISTIAN THIELEMANN
KRISTINA MKHITARYAN
Fotos MATTHIAS CREUTZIGER (Thielemann) GREGOR HOHENBERG ( Yende)
DIANA GULEDANI (Mkhitaryan)
BRENDAN SAYE als LEONTES & HYO-JUNG KANG als HERMIONE Probenfotos ASHLEY TAYLOR

FESSELNDES DRAMA & BEZAUBERNDE KOMÖDIE

PREMIERE VON CHRISTOPHER WHEELDONS SHAKESPEARE-BALLETT THE WINTER’S TALE

Christopher Wheeldon ist einer der großen Geschichtenerzähler unter den Choreographen unserer Zeit. Für das Royal Ballet London hat er 2014 zu einer Auftragskomposition von Joby Talbot William Shakespeares Schauspiel The Winter’s Tale in ein ebenso fesselndes wie bildgewaltiges Handlungsballett verwandelt. Mit dem Wiener Staatsballett feiert die Produktion nun ihre Österreich-Premiere: ein Tanzdrama über Freundschaft und Liebe, zerstörerisches Misstrauen und Eifersucht, aber auch die Kraft der Verwandlung und Möglichkeit zu Vergebung und Versöhnung.

Bereits seit dem 18. Jahrhundert lieferten William Shakespeares Werke mit ihren Bildern und Emotionen, die jenseits der Worte geradezu zu Bewegung drängen, der Ballettbühne immer wieder Inspiration. In der Regel waren es aber Dramen wie Romeo und Julia, Hamlet, Othello oder König Lear und Komödien wie Ein Sommernachtstraum oder Der Widerspenstigen Zähmung, die das Interesse von Choreograph*innen erregten. Aus Shakespeares späten, keiner Gattung mehr eindeutig zuordbaren und im Charakter höchst experimentellen Werken fand nur der Sturm gelegentlich auch auf die Tanzbühne – bis Christopher Wheeldon 2014 das vermutlich erste Ballett nach Shakespeares um das Jahr 1610 entstandenen Wintermärchen kreierte.

Der Titel spielt auf den märchenhaften Charakter des Geschehens an, unterstreicht aber auch die Analogien zwischen der Dynamik des menschlichen Schicksals und dem Zyklus der Jahreszeiten, erzählt Shakespeare doch die Geschichte eines Winters, der durch den plötzlichen Wahn eines Königs in eine heile und friedliche sommerliche Welt hineinbricht.

Zu Beginn der Handlung stehen zwei seit ihrer Jugendzeit in enger Freundschaft verbundene Könige: Leontes von Sizilien und Polixenes von Böhmen. Leontes führt mit seiner Frau Hermione und dem Sohn Mamillius ein glückliches Familienleben. Als sein Freund Polixenes nach vielen Jahren zu Besuch kommt, schlägt die anfänglich große Freude aber plötzlich in Hass und

Doch Shakespeare lässt das Geschehen nicht –wie in seinen Königsdramen – in der Tragödie verharren. Mit dem 2. Akt wandelt sich die Szenerie. Die düstere, in der entfesselten Naturgewalt eines tobenden Seesturms kul-

CHRISTOPHER WHEELDON

THE WINTER’S TALE

ÖSTERREICHISCHE ERSTAUFFÜHRUNG

19. 21. 23. 26. 29. NOVEMBER 1. 6. 17. 20. DEZEMBER Musik JOBY TALBOT Choreographie CHRISTOPHER WHEELDON

Szenario CHRISTOPHER WHEELDON & JOBY TALBOT Musikalische Leitung CHRISTOPH KONCZ / JOHANNES WITT (23.11. & 6.12.)

Bühne & Kostüme BOB CROWLEY Licht NATASHA KATZ Projection Design DANIEL BRODIE Silk Effects BASIL TWIST Einstudierung JASON FOWLER, GREGORY MISLIN, JILLIAN VANSTONE, EDWARD WATSON Mit BRENDAN SAYE / HYO-JUNG KANG / MASAYU KIMOTO / IOANNA AVRAAM / DAVIDE DATO / KETEVAN PAPAVA WIENER STAATSBALLETT / STUDIERENDE DER BALLETTAKADEMIE DER WIENER STAATSOPER ORCHESTER & BÜHNENORCHESTER DER WIENER STAATSOPER

Tyrannei um: Leontes verstrickt sich immer mehr in den Wahn, seine schwangere Frau habe ein Verhältnis mit Polixenes. Aus Eifersucht und falschen Unterstellungen entsteht eine Spirale an Verwerfungen mit existentiellen Konsequenzen: Polixenes muss Sizilien fluchtartig verlassen, Hermione ins Gefängnis. Leontes weigert sich, ihre dort geborene Tochter als sein Kind anzuerkennen, und befiehlt, das Neugeborene aussetzen zu lassen. Vor Gericht beteuert Hermione vergeblich ihre Unschuld. Als Mamillius aus Gram über die Tragödie zwischen seinen Eltern zusammenbricht, raubt der Anblick ihres toten Kindes auch Hermione das Bewusstsein ...

minierende Atmosphäre am sizilianischen Königshof weicht einer frühlingshaft-pastoralen Stimmung voller fröhlicher Tänze und einer verspielt-unschuldigen Liebesgeschichte: Die von einem Hirten gerettete und inzwischen zu einer jungen Frau herangewachsene Tochter von Hermione und Leontes verliebt sich in einen vermeintlichen Schäfer, von dem Perdita, so der Name des Mädchens, nicht ahnt, dass dieser Prinz Florizel, der Sohn von Polixenes, ist. Als der König von der Beziehung mit einer Hirtin erfährt und diese wütend zu verhindern versucht, unterlaufen Perdita und Florizel mit Entschlossenheit, Humor und voller Menschlichkeit nicht nur alle Barrieren, die ihre Liebe verhindern sollen, sondern vertreiben auch die Gespenster des Wahnsinns am Hof von Leontes, sodass der Weg zu einem Happy End frei wird.

Dem Choreographen Christopher Wheeldon eröffnet die tragische, aber auch von einer märchenhaften Leichtigkeit durchzogene Handlung vielfältige Räume für die

ELENA BOTTARO als HERMIONE & TIMOOR AFSHAR als LEONTES
HYO-JUNG KANG als HERMIONE & BRENDAN SAYE als LEONTES

linke Seite: HYO-JUNG KANG als HERMIONE & BRENDAN SAYE als LEONTES

Entwicklung der Charaktere, große, hochvirtuose und farbenprächtige Tanzszenen, aber auch atmosphärische Schilderungen wie der Seesturm oder die dramatische Verfolgungsjagd Perditas und Florizels per Schiff. Seine Bewegungssprache stellt Wheeldon ganz in den Dienst einer packenden Erzählung mit den Mitteln des Tanzes: mal mit einer Expressivität, die in der Tradition Martha Grahams, Antony Tudors und Kenneth McMillans steht, mal voller Virtuosität das Vokabular des klassischen Balletts nutzend.

»Im Moment gibt es wenige, die Handlungsballette auf diesem Niveau choreographieren. Christopher Wheeldon ist ein charismatischer Künstler und großartiger Choreograph, der nicht nur für Ballettcompagnien, sondern auch für den Broadway kreiert. Seine Arbeit hat eine faszinierende Leichtigkeit, aber trotzdem haben seine Charaktere eine große und berührende Tiefe«,

äußert sich Ballettdirektor Martin Schläpfer über Wheeldons Werk. Auf musikalischer Ebene zeichnet sich The Winter’s Tale durch die Zusammenarbeit Wheeldons mit dem britischen Komponisten Joby Talbot aus. Gekonnt fusioniert dieser klassisches Komponieren mit Filmmusik-, Musical- und Weltmusikelementen, zeigt sich als brillanter Maler mit den Farben des Orchesters, genauer Zeichner von Figuren und Atmosphären durch die Arbeit mit Leitmotiven sowie als kluger Dramaturg im Hinblick auf die Schaffung musikalischer Räume für all das, was ein Ballett auszeichnet von Soli, Pas de deux bis zu Ensembleszenen. Ein besonderes Highlight ist das Frühlingsfest des 2. Aktes, bei dem eine Banda auf der Bühne mit an Volksmusik erinnernden Melodien zum Tanz aufspielt. Für diese wählte Talbot Instrumente aus aller Welt wie die indische Bambusflöte Bansuri

oder afrikanische und südamerikanische Trommeln: »Ich wollte Volksinstrumente verwenden, aber die Musik sollte nicht so klingen, als käme sie von einem bestimmten Ort in der realen Welt. Shakespeares Böhmen ist ein idyllisches, arkadisches Paradies, kein reales Land, und ich wollte versuchen, die Illusion zu erwecken, dass wir einen winzigen Einblick in die reiche Musikkultur dieses imaginären Reiches erhalten« – so der Komponist. Im Design Bob Crowleys – unterstützt durch das raffinierte Zusammenspiel mit Videos von Daniel Brodie, Silk Effects von Basil Twist und dem Licht von Natasha Katz – entsteht in The Winter’s Tale eine Welt, die uns unter Hochspannung versetzt und zum Staunen ebenso anregt wie verzaubert.

THE WINTER’S TALE ist eine Koproduktion des Wiener Staatsballetts mit dem American Ballet Theatre New York. FESSELNDES

MASAYU KIMOTO als POLIXENES

DAS HERZ DER EMOTIONEN TREFFEN

CHRISTOPHER WHEELDON bei den Proben mit dem Wiener Staatsballett Foto ASHLEY TAYLOR
ANNE DO PAÇO IM GESPRÄCH MIT CHRISTOPHER WHEELDON

adp Sie sind einer der wenigen Choreographen, denen es gelungen ist, dem Handlungsballett mit neuen Stoffen wie Alice’s Adventures in Wonderland (2011), The Winter’s Tale (2014) oder Like Water for Chocolate (2022) neues Leben einzuhauchen. Was reizt Sie am Geschichtenerzählen durch Tanz?

cw Es geht um meine Beziehung mit dem Publikum. Wie kann ich ein Werk kreieren, das zu diesem eine Verbindung schafft. Die Zuschauer*innen sind fasziniert von der

Auftrag. Welche Rolle spielt für Sie die Musik?

cw Die Musik ist alles. Ohne Musik, die tief in die Geschichte eindringt, gibt es kein erfolgreiches Handlungsballett. Die Musik muss mehr tun, als nur die Handlung zu beschreiben. Sie muss das Herz der Emotionen treffen.

adp Wie sind Sie auf den Komponisten Joby Talbot gestoßen?

cw Joby und ich haben 2009 sehr erfolgreich an einem Einakter für meine Compagnie Morphoses zusammengearbeitet. In

»Ich liebe Shakespeares Spiel von Licht und Dunkel. The Winter’s Tale ist ein sehr menschliches Stück, voller Eifersucht, Schrecken und schließlich Vergebung.«

poetischen, abstrakten Form sinfonischer Einakter, als Menschen lieben wir aber Geschichten. Ich mag die Herausforderung, eine Tanzsprache zu kreieren, die Emotionen und Handlung klar vermittelt, Tänze, die einen Charakter durch einen Handlungsbogen tragen. Als Choreograph suche ich diese Herausforderungen. Ich möchte das Publikum auf eine Reise mitnehmen. adp Soweit wir wissen, wurde William Shakespeares The Winter’s Tale noch nie zuvor choreographiert. Wie sind Sie auf die Idee gekommen, daraus ein Ballett zu machen?

cw Mein Freund Sir Nicolas Hytner, ein brillanter Shakespeare-Regisseur, hat mir das Stück vorgeschlagen. Anfangs hatte ich wegen der anspruchsvollen und dichten Handlung etwas Bedenken. Aber im Grunde ist The Winter’s Tale in seiner Komplexität eine sehr menschliche Geschichte, voller Eifersucht, Schrecken und schließlich Vergebung – Emotionen, die wir in der einen oder anderen Art nachvollziehen können. Ich liebe Shakespeares Spiel von Licht und Dunkel und dass The Winter’s Tale uns zeigt, dass es immer noch Hoffnung für Menschen gibt, die anderen durch ihre Handlungen Schmerzen zugefügt haben. Emotionen können uns oft für die Realität blind machen, aber Vergebung ist viel stärker als Hass. adp Sie wählen nicht nur für die Ballettbühne unverbrauchte Stücke, sondern geben dazu auch die Musik in

seinem Komponieren war so viel Magie, dass sich in der abstrakten Welt, die ich schuf, ein ganzes Drama entfaltete. Damals wurde mir klar, dass er der perfekte Partner ist, um die verrückte Fantasie und Schönheit in Alice’s Adventures in Wonderland einzufangen. So begann unsere äußerst fruchtbare Zusammenarbeit. Joby weiß, wie man situations-, emotions- und charakterbezogene Musik schreibt. Er hat eine Reihe von Filmmusiken, aber auch sehr erfolgreiche Konzert- und wunderschöne Chorwerke komponiert. Er bringt ein unglaubliches Wissen über Weltmusik mit und liebt es, seltene und exotische Instrumente in seine Orchestrierungen einzubeziehen.

adp Das Schauspiel The Winter’s Tale zählt zu Shakespeares Spätwerk. Es ist nicht Drama, nicht Komödie, sondern gehört in die Gattung der Romanze. Wie wirkt sich das auf Ihr Ballett aus?

cw Es ist ein Drama, eine Komödie und eine Romanze. Das gab uns viel Variationsspielraum und die Möglichkeit, zwei gegensätzliche Welten zu schaffen. Wir haben acht Hauptrollen und auch das Corps de ballet hat eine wichtige Präsenz innerhalb des Balletts.

adp Wie muss man sich Ihre Umsetzung von Shakespeares Stück vorstellen?

Haben Sie den Text in Tanz übertragen oder arbeiten Sie mit einer Minutage, in der die grundsätzliche

Atmosphäre und wichtigen Säulen einer Szene skizziert sind?

cw Beides! Natürlich hat Shakespeare großartige Handlungsstränge kreiert, aber man kann auch sehr viel aus seiner Poesie herausholen. Im Text des Stückes gibt es zahlreiche fantastische und sehr körperliche Bilder und ganz direkte Hinweise auf Bewegung. Die Herausforderung, Shakespeare tänzerisch zu inszenieren, besteht darin, ihn nicht nur auf die Handlung zu reduzieren, sondern auch den Reichtum seiner Sprache in der Bewegungserzählung einzufangen.

extrem schwer zu tanzendes Ballett, bietet den Tänzer*innen aber auch anspruchsvolle Charaktere, die sich im Laufe des Abends entwickeln. Ich habe ein Team, das hervorragende Arbeit bei den Einstudierungen meiner Werke leistet. Ohne sie könnte ich nicht tun, was ich tue.

adp Besonders ist auch das Bühnenbild zu The Winter’s Tale. Was muss eine Bühne für ein Ballett von Christopher Wheeldon können?

cw Viel Raum zum Tanzen lassen und das Publikum mit auf eine magische Reise

»Ich habe keine Angst, komplexe Geschichten durch Tanz zu erzählen. Jeder Schritt fungiert als Text, die Emotionen entstehen ganz aus der Bewegung heraus.
Zugleich geht es mir aber nicht nur um die Handlung. Ich wollte auch die Poesie von Shakespeares Sprache durch Bilder und Formen einfangen.«

adp Ihre Figuren sind sehr genaue Charakterstudien. Wie würden Sie Ihre Bewegungssprache beschreiben, die Sie nutzen, um die Figuren zu zeichnen?

cw Ich kann meine Sprache nicht anders beschreiben als als klassisches Ballett, das aber von anderen Tanzästhetiken inspiriert ist. Ich neige dazu, nach der Form, nach dem Schritt zu suchen, in dem sich ein bestimmter Moment oder eine Emotion vermittelt. Außerdem versuche ich, Motive zu finden, die leitmotivisch als Charakterzüge erkennbar sind. So hat Leontes zum Beispiel eine spinnenartige Hand, mit der ich seine Infektion durch die unerklärliche Eifersucht in seinem Geist und Körper symbolisiere. Im 2. Akt ist das Corps de ballet der eigentliche Star. Das böhmische Frühlingsfest ist ein fröhliches Spektakel und eine der aufregendsten Nummern, die ein Ensemble tanzen kann. adp Worauf legen Sie bei der Auswahl der Besetzung und der Einstudierung besonders Wert?

cw Ich suche natürlich nach Tänzer*innen, von denen ich glaube, dass sie das Wesen der Figuren einfangen und sie auf ihre eigene Weise verkörpern können. Mit jeder Neueinstudierung erwacht eine Produktion zu neuem Leben. The Winter’s Tale ist ein

nehmen. Niemand kann das so gut wie der brillante Bob Crowley. Bob fängt die Essenz eines Stückes ein, die menschlichen und atmosphärischen Qualitäten und bringt sie dann in die heutige Zeit, ohne die klassischen Elemente zu eliminieren. Er aktualisiert nicht, sondern stellt etwas neu dar.

Plötzlich denkt man: »Natürlich sieht das Wunderland, Böhmen oder Nordmexiko so aus«, aber eben auf die Art von Bob Crowley. adp Was sind Ihre nächsten Projekte? Wird es bald ein weiteres Handlungsballett geben?

cw Ich habe gerade in Australien ein neues Ballett über Oscar Wilde herausgebracht und freue mich sehr – nach der Einstudierung von Fool’s Paradise mit dem Wiener Staatsballett in der Saison 2015/16 – nach Wien und in die Wiener Staatsoper zurückzukehren. Es folgt nicht direkt ein neues Story-Ballett, aber es ist ein großes neues Werk für das Royal Ballet in Planung. Gerade habe ich mich für das Thema entschieden. Es ist sehr aufregend, sich wieder auf eine neue Reise zu begeben.

Das Gespräch ist ein Auszug aus einem Interview, das vollständig im Programmheft THE WINTER’S TALE erscheint.

VON DEN VIOLINEN ANS DIRIGENTENPULT

Mit nur zwanzig Jahren gewann Christoph Koncz das Probespiel für das Orchester der Wiener Staatsoper, aber auch als Kammermusiker und Solist machte sich der Geiger schnell einen Namen. Seine Einspielung sämtlicher Violinkonzerte Mozarts mit Les Musiciens du Louvre sorgte 2020 für internationales Aufsehen. Bei der Premiere The Winter’s Tale steht der vielseitige Musiker nun als Dirigent am Pult des Orchesters der Wiener Staatsoper. Ein Gespräch über eine ungewöhnliche Karriere und Joby Talbots Ballettmusik zu Christopher Wheeldons The Winter’s Tale.

adp Du hast es als Geiger an die Weltspitze gebracht und warst Mitglied der Wiener Philharmoniker. Heute bist du als Dirigent tätig, hast dich also entschieden, die Seite zu wechseln. Wie ist es dazu gekommen?

ck Diese Entscheidung ist in meinen sehr vielfältigen Interessen begründet. Selbstverständlich ist es ein Traum, bei den Wiener Philharmonikern zu spielen. Ich war zwanzig, als ich aufgenommen wurde, und habe das Musizieren in diesem Orchester immer sehr genossen und mit viel Herzblut betrieben. Das

ist bis heute so. Ich identifiziere mich nach wie vor sehr mit den Wiener Philharmonikern und empfinde meine 15-jährige Mitgliedschaft als einen wahren Erfahrungsschatz: Der einzigartige Klang meiner Kolleg*innen, den ich von innen heraus spüren und aufnehmen durfte. Aber auch die Begegnung mit den bedeutendsten Dirigent*innen unserer Zeit in einer Bandbreite, wie es sie sonst kaum gibt, noch dazu aus so direkter Nähe – ich saß ja im Zentrum, ganz vorne bei den Zweiten Violinen. Wie wirkt etwas, was der Dirigent vorgibt? Wie reagiere ich darauf,

CHRISTOPH KONCZ F oto ANDREAS HECHENBERGER

wie meine Kolleg*innen? Wieso ist man in einem Moment fasziniert, in einem anderen irritiert? Im Konzert gleichermaßen wie in der Wiener Staatsoper mit ihrem legendär breiten Repertoire, das für jeden Musiker auch eine große Gedächtnisschule ist, konnte ich Erfahrungen sammeln, die ich heute als Grundlage für all meine künstlerischen Aktivitäten betrachte. Neben dem Geigenspiel war ich aber

adp Was interessiert dich am Tanz? ck Ich habe vor einiger Zeit eine Produktion von Christian Spuck am Zürcher Opernhaus geleitet, die zu Musik von Claudio Monteverdi das Ballett zusammen mit Sänger*innen auf die Bühne brachte. Ich war von der Art und Weise, wie Spuck und die Tänzer*innen gearbeitet haben, tief beeindruckt und als Martin Schläpfer dann Direktor des Wiener Staats-

»Im Konzert gleichermaßen wie in der Wiener Staatsoper mit ihrem legendär breiten Repertoire, das für jeden Musiker auch eine große Gedächtnisschule ist, konnte ich Erfahrungen sammeln, die ich heute als Grundlage für all meine künstlerischen Aktivitäten betrachte.«

immer schon auch sehr am Dirigieren interessiert. Ich komme aus einer Musikerfamilie. Mein Vater ist Dirigent und schon als Kleinkind habe ich es geliebt, seinen Orchesterproben beizuwohnen. Heute weiß ich, dass er uns Musik aus einer typisch dirigentischen Perspektive vermittelt hat: Wieso wird diese Phrase so gespielt? Wieso hat der Komponist jetzt genau das geschrieben und nicht etwa dieses oder jenes? Was drückt diese Passage aus? Wir waren zwar noch Kinder, aber er hat von Beginn an sehr tiefgehende interpretatorische Fragen mit uns geteilt. adp Du hast bereits mit vier Jahren mit der Violine begonnen!

ck Nach der Matura habe ich parallel zur Violine dann an der Wiener Musikuniversität auch Dirigieren studiert und während meines PhilharmonikerEngagements immer wieder nach Möglichkeiten gesucht, hierin Praxis zu sammeln. In den letzten Jahren haben die Anfragen für Dirigate dann derart zugenommen, dass – auch wenn mich meine Kolleg*innen im Orchester immer sehr unterstützt haben – beides gleichzeitig nicht mehr realisierbar war. Ich musste mich also entscheiden und widme mich nun ausschließlich dem Dirigieren, um mich als Dirigent zu etablieren und auch als solcher wahrgenommen zu werden.

adp Du bist als Gastdirigent weltweit im Einsatz und stehst bei Orchestern wie dem London Symphony, Orchestre de Paris oder der Staatskapelle Dresden am Pult. 2023 wurdest du zum Musikdirektor des Orchestre symphonique de Mulhouse ernannt, das nicht nur Konzerte spielt, sondern auch eines der beiden Partnerorchester der Opéra national du Rhin in Strasbourg ist ... ck ... genau, und ich dirigiere dort auch in beiden Bereichen!

balletts wurde, bin ich auf ihn zugegangen. Mich interessiert die Balance zwischen dem, was die Tänzer*innen auf der Bühne benötigen und der rein musikalischen Interpretation einer Komposition sehr. adp Mit The Winter’s Tale bringen wir ein abendfüllendes Handlungsballett in die Wiener Staatsoper, für das auch die Musik extra komponiert wurde ...

ck ... was heute ja eine Seltenheit ist!

adp Wie würdest du die Partitur beschreiben? ck Man hört sofort, dass Joby Talbot in der Londoner Szene zu Hause ist. Seine Musik vibriert, pulsiert, ist modern, aber nicht aus einer Experimentierstube. Man könnte seinen Stil als populär umschreiben, seine Musik als sehr zugänglich – sowohl für den Interpreten als auch für den Zuhörer. Sicher hören wir in The Winter’s Tale auch seine Erfahrungen als Filmmusikkomponist und Einflüsse durch die Musicals des Londoner West End. Als ich mich vor kurzem mit ihm getroffen habe, saßen wir in einem Café gegenüber einem der dortigen Theater und was war annonciert: MJ – das Musical über Michael Jackson, dessen Regisseur und Choreograph Christopher Wheeldon ist! Talbot weiß sehr genau, wie man eine Szene illustriert und Emotionen kreiert, ohne sich aber in den Vordergrund zu drängen – eine Qualität, die man nur selten findet. Die für mich vollkommensten Beispiele sind die großen Tschaikowski-Ballette, Strawinskis Le Sacre du Printemps und Prokofjews Romeo und Julia – geniale Partituren, in denen man die gesamte Handlung hören kann, ohne dass die Aufmerksamkeit vom Bühnengeschehen weggezogen wird. Wenn eine solche Synthese gelingt, haben wir eine perfekte Ballettmusik und damit eine großartige Kunstform vor uns.

adp Die Partitur von The Winter’s Tale verlangt neben dem Orchester im Graben auch eine

Banda auf der Bühne, bestehend aus einer Bansuri (eine indische Bambus-Querflöte), Dulcimer (eine Art Hackbrett) sowie Akkordeon und diverse Schlagin strumente.

ck Talbot kreiert durch dieses Instrumentarium mit großer Virtuosität ein für unsere Ohren sehr exotisches Kolorit und charakterisiert damit die beiden Königswelten, den sizilianischen Hof und die fröhliche böhmische Hirtenszenerie des 2. Aktes. Man könnte das mit den klar getrennten Klangwelten der Kaiserin sowie Baraks und der Färberin in Richard Strauss’ Die Frau ohne Schatten vergleichen. Die Bühnenmusik trägt Kennzeichen einer fiktiven Volksmusik, erinnert mich mit ihren In strumenten aber auch an ein Musical wie The Lion King. Neben solchen Referenzen zeigt Talbot in seinen Klangfarben aber eine ganz eigene Stimme, die – wie ein Gewand, das man sich überzieht – sofort wiedererkennbar ist.

adp Mit der musikalischen Leitung der Premiere kehrst du in die Wiener Staatsoper zurück. Wie ist es, als Dirigent eines abendfüllenden Werkes vor den ehemaligen Kolleg*innen zu stehen?

ck Ich freue mich sehr darauf! Natürlich ist da eine persönliche Vertrautheit, auf der ich aufbauen und auf die ich mich verlassen kann. Andererseits wurde mir, als ich im April 2023 die Staatsballett-Premiere von Tabula rasa dirigiert habe, auch klar: dass ein Musiker aus den eigenen Reihen am Pult des Orchesters der Wiener Staatsoper steht, gab es schon über 30 Jahre nicht mehr. Es ist also eine außergewöhnliche, freudenvolle und spannende Aufgabe!

»MAN HÖRT SOFORT,

DASS JOBY TALBOT IN DER

LONDONER SZENE

ZU HAUSE IST. SEINE MUSIK VIBRIERT, PULSIERT, IST MODERN, ABER NICHT AUS EINER EXPERIMENTIERSTUBE.«

RAHMENPROGRAMM ZUR PREMIERE

TANZPODIUM

NEUE MUSIK FÜR DEN TANZ

Die Beziehungen zwischen Ballett und Musik, Choreograph*innen und Komponist*innen sind heute so vielfältig wie die beiden Kunstgattungen. Musik aller Zeiten, Ästhetiken, Gattungen und Besetzungen ist Tanzschaffenden Inspirationsquelle, live aufgeführt oder von Tonträger zugespielt, als Soundcollage, Klangkulisse oder Remix. Immer mehr in den Hintergrund tritt dabei allerdings bereits seit vielen Jahrzehnten die Entstehung originärer Ballettpartituren. Dabei zeigen die Spielpläne: Der Tanz braucht auch neue Musik, insbesondere das großformatige, abendfüllende Handlungsballett braucht neue Komponist*innen. Anlässlich der Premiere von Christopher Wheeldons The Winter’s Tale diskutieren wir über das Thema Neue Musik für den Tanz . Auf dem Podium zu Gast sind die Komponisten Joby Talbot und Christof Dienz, Ballettdirektor Martin Schläpfer und Choreograph Andrey Kaydanovskiy sowie weitere Gäste. Das Gespräch findet in deutscher und englischer Sprache statt. Es moderiert Anne do Paço.

Sonntag 10. NOVEMBER 15 UHR Gustav Mahler-Saal

EINFÜHRUNGSMATINEE

Die Einführungsmatineen sonntags Vormittags vor einer Premiere in der Wiener Staatsoper gehören seit der Direktion von Martin Schläpfer zum festen Programm des Wiener Staatsballetts. Die Matinee zu The Winter’s Tale eröffnet ein interessantes Feld an Fragen an das Produktionsteam: Wie geht ein Choreograph von heute an die Form des Handlungsballetts heran? Wie lässt sich ein Drama Shakespeares für die Tanzbühne adaptieren? Wie gestaltet Christopher Wheeldon die Charaktere in seinem Stück? Wie muss man sich die Zusammenarbeit zwischen Choreograph und Komponist vorstellen? Welche Herausforderungen stellt die Komposition an das Orchester? Probenausschnitte mit Tänzer*innen des Wiener Staatsballetts vertiefen die Einblicke. Die Veranstaltung findet in deutscher und englischer Sprache statt.

Sonntag 17 NOVEMBER 11 UHR Wiener Staatsoper

DANCE MOVI ES CENTER STAGE

Es war der Tanzfilm der 2000er Jahre und hat bis heute Kultstatus bei Ballettfans und Tänzer*innen. Nicholas Hytners Center Stage (115 Min, OmU) erzählt die Geschichte von Ballettstudierenden in New York, die alle den gleichen Traum und unterschiedliche Probleme haben. Amerikanische Ballettstars wie Julie Kent, Sascha Radetsky und Ethan Stiefel spielen im Film ebenso Hauptrollen wie die leidenschaftlichen und bravourösen Choreographien, von denen eine von Christopher Wheeldon stammt.

Im Anschluss Publikumsgespräch mit Mitgliedern des Wiener Staatsballetts.

Sonntag 24 . NOVEMBER 13 UHR Filmcasino

Margaretenstr. 78, 1050 Wien Tickets über FILMCASINO.AT oder an der Kinokasse

JOBY TALBOT, Komponist von THE WINTER’S TALE

F oto ANNA MCCARTHY

Foto MICHAEL PÖHN

ASMIK GRIGORIAN als CIO-CIO-SAN & FREDDIE DE TOMMASO als PINKERTON in MADAMA BUTTERFLY

DER EWIGE MEISTER

GIACOMO PUCCINI, EINER DER GRÖSSTEN

IM OPERNOLYMP, STARB VOR 100 JAHREN. EINE WIENER SPURENSUCHE.

»Puccini tot! Die Kunst der ganzen Welt ist in Trauer, weil sie den Schöpfer so vieler Melodien verliert, welche die ganze gebildete Welt entzückt haben. Mein Sinn ist von dem großen Schmerz verdüstert: es ist mir nicht möglich, meine Gedanken zu ordnen. Es ist die Stunde der Sammlung… Und die Stunde der Tränen!« Viele Rufzeichen. Viel Schmerz. Es schreibt dies Pietro Mascagni, Komponistenkollege und Freund Puccinis, man liest es unter anderem in der Neuen Freien Presse , der wichtigsten Zeitung Wiens. Die Nachricht vom Tod des Komponisten am 29. November 1924 ruft also auch in Österreich Bestürzung hervor. Noch einmal breitet man Erinnerungen, Wissen und Puccini-Anekdoten aus. Nicht nur Mascagni schreibt, auch etwa Marie Renard, eine der großen Sängerinnen der Wiener Oper, darf sich in der Presse erinnern. Überall: Puccini der Mensch. Puccini der Meister. Puccini der Einzigartige. Die österreichische Bundesregierung schickt Beileidschreiben nach Italien. Franz Schalk, nicht nur Operndirektor und Dirigent, sondern auch Puccini-Freund, kondoliert gemeinsam mit seiner Frau.

Der Tod Puccinis weist aber auch über einen Abschied von einem Komponisten hinaus, es schwingt der Abgesang einer Epoche der Musikgeschichte mit. »In Puccinis Opern durchglüht die Sonne des Südens noch einmal das Theater und schenkt dem modernen Menschen die Frühlingspracht der blühenden Melodie.« Das schreibt nun nicht mehr Masca-

gni oder die Renard, sondern die große Kritikerin Elsa Bienenfeld im Neuen Wiener Journal . Auch künstlerisch verabschiedet man sich: Am 14. Dezember veranstaltet die Staatsoper einen Gedenkabend mit Mozarts Requiem und Puccinis Suor Angelica , in der Titelpartie ist Lotte Lehmann zu erleben. Dankbar der Anteilnahme schreibt Puccinis Witwe am selben Tag aus Mailand: »Tröstlich der Gedanke, dass Wien, das er so liebte, das Gedenken an ihn in so würdevoller Weise feiert.«

Das er so liebte? Tatsächlich wird von Puccini der charmante Satz »Wenn ich jemals von Torre del Lago oder Viareggio fortzöge, müsste meine Heimat in Wien sein« überliefert und tatsächlich schätzte er die Stadt: das kulturelle Angebot, die Anerkennung, die ihm entgegengebracht wurde, die hohe Qualität der Aufführungen: »Ich glaube, dass sogar heute, wo es verlassen und so anders ist, als es war, Wien immer noch die führende Stadt der Welt ist – großartige Orchester, Konzerte, fantastische Chöre, und ein Opernhaus von allererstem Rang.« Das schrieb er 1923, dem Jahr seines letzten Wienbesuchs. So etwas hörten die Wienerinnen und Wiener natürlich immer gerne und ebenso gerne reichte man den Bewunderten von Salon zu Salon weiter. Dass Puccini, der kein expliziter Freund der Hautevolee war, dies zum Teil mitmachte, ja, sich bei Abendveranstaltungen fallweise sogar ans Klavier setzte und musizierte, zeigt ein wenig die Zerrissenheit seines Charakters: Die allgemeine Anerkennung genoss er, auch

Abendzettel der PUCCINI- Trauerfeier

wenn er zur Introvertiertheit neigte. Dass er in den Salons dann auch darum bat, Richard Wagner vorgesungen und -gespielt zu bekommen: das wiederum zeigt sein immerwährendes Interesse an Musik, auch solcher, die ihm vielleicht nicht ganz so nahestand. War er in der Wiener Oper, hörte er auch Werke von Richard Strauss, 1906 fuhr er sogar nach Graz, um die österreichische Erstaufführung der Salome zu erleben – und saß mit Zemlinsky, Mahler, Strauss, Berg und Schönberg im Opernhaus. 1920 besuchte er während eines Wien-Aufenthalts das Konzerthaus, um unter anderem Alban Bergs Vier Stücke für Klarinette und Klavier zu erleben. Mehr noch: Auch ins Wiener Sprechtheater kehrte er ein, selbst, wenn er bis »Auf Wiedersehen« und »Kotelette mit Kartoffeln« so gut wie kein Deutsch sprach. Aber was zählte das? Puccini war Theatermensch, was er suchte, war der Theaterausdruck, in welcher Sprache auch immer.

Und wer meint, dass Echt zeitjournalismus, der sich Promis auf die Fersen heftet, erst im Onlinezeitalter akut geworden ist, kann sich vom damaligen Wiener Puccini-Kult eines Besseren belehren lassen. Gerne berichteten Zeitungen praktisch zeitgleich über seine Ankunft am Bahnhof, seine Restaurantbesuche, seinen Lebensstil, seine Arbeit am Theater, seine Abreise, kurzum: über alles. Wobei, ganz allgemein: War Puccini in der Stadt, dekorierte sich Wien für ihn. Geschäftsauslagen mit seinem Konterfei, Empfänge, Besuche, Jubel: Man feierte nicht nur seine Musik, sondern auch den Meister und nahm Anteil an dessen Leben. Andererseits: Dass sich die Wiener Hofoper anfangs zierte, Puccini auf den Spielplan zu setzen, ist ebenso eine Tatsache wie dass Tosca und Manon Lescaut ihre Wiener Erstaufführungen im Haus am Gürtel und nicht im Haus am Ring erlebten. Doch gehen wir an den Anfang in Wien: 1897 wird La bohème als erste von Puccinis Opern im Theater an der Wien gegeben. Der Komponist ist anwesend, man feiert ihn. »Man«: Das ist das Publikum. Nicht so hingegen der Wiener Kritikerpapst Eduard Hanslick, der vermeint, »harmonische Scheußlichkeiten« gehört zu haben – und dies auch schreibt. Dem Erfolg kann dies aber nichts anhaben, Puccini ist von Anfang an der Puccini in Wien. Und die Hofoper? Sie zögert. Man versucht es erst einmal erfolglos mit dem Konkurrenzprodukt, der Bohème Ruggero Leoncavallos, die 1898 am Ring

erklingt und floppt. 1903 bringt der geniale Direktor, Dirigent und Komponist Gustav Mahler die Bohème Puccinis endlich ans Haus am Ring und gibt damit den Auftakt zur Puccini-Pflege. Wer nun aber meint, dass Mahler als Musiker ein besonderer Freund Puccinis gewesen sei, irrt. Zwar dirigierte er in Hamburg Le villi mit Erfolg, doch ist ein Brief an Alma Mahler mit einem bissigen Kommentar zu Tosca in Lemberg mehr als berühmt geworden: »Aber das Werk! Im ersten Akt Aufzug des Papstes mit fortwährendem Glockengebimmel… im zweiten wird Einer mit grässlichem Schreien gefoltert, ein Anderer mit einem spitzigen Brodmesser erdolcht. Im 3. Akt wird wieder mit der Aussicht von einer Citadelle auf ganz Rom gebimbaumbummelt... und Einer von einer Compagnie Soldaten durch Erschießen hingerichtet. Vor dem Schießen bin ich aufgestanden und fortgegangen.« Das sagte… der Komponist Mahler. Der Operndirektor Mahler hingegen wusste, dass es ohne Puccini in Wien nicht gehen würde und setzte die Bohème an. Wie recht er hatte! Das Werk wurde auch am Ring zum durchschlagenden Publikumserfolg, allein im ersten Jahrzehnt nach der Premiere fanden mehr als 120 Vorstellungen statt. Mahler setzte aber auch Madama Butterfly an, eine erfolgreiche Neuproduktion, die dem anwesenden Puccini künstlerisch jedoch nicht recht zusagte: »Es war ein glänzender Erfolg – zehn Vorhänge nach dem ersten, fünfzehn nach dem zweiten und fünfzehn bis zwanzig nach dem dritten – obwohl die Frau [die sehr beliebte Sopranistin Selma Kurz] schwach und der Tenor [der viel eingesetzte Tenor Georg Maikl] wenig wert war.« Auch Tosca, 1910 erstmals an der Wiener Hofoper gegeben, wurde schnell zu einem Eckstein des Repertoires. Und an sie knüpft sich so etwas wie eine beständig weitererzählte Wiener Theaterhistorie. Denn Puccini war einst, wie er es gerne tat, bei Proben in Wien anwesend und lauschte einer seiner Lieblingssängerinnen, der bedeutenden Maria Jeritza. Diese erinnerte sich später an einen Schlüsselmoment, der viel von Puccinis Theatergespür und szenische Unmittelbarkeit erzählt: »Bei einer dieser Proben des zweiten Akts war ich, in Vorbereitung auf die Arie Vissi d’arte, vissi d’amore dabei, trauererfüllt auf das Sofa zu sinken, während Scarpia am Tisch Kaffee einschenkte. Beim Zugehen auf das Sofa rutschte ich aus und fiel, und da ich den musikalischen Ablauf nicht unterbrechen wollte, sang ich meine Arie liegend, an der Stelle, an welcher ich auf der Bühne hingefallen war. Puccini war erfreut: ›Zuletzt‹, rief er, ›haben wir genau die Art, wie Vissi d’arte gesungen werden muss! Nicht am Sofa liegend, nicht an der Rampe, sondern flach am Bühnenboden!‹« Doch nicht nur mit Jeritza verband Puccini eine (Theater-)Freundschaft, auch mit der Familie Korngold und vor allem dem jungen Komponis-

ten Erich Wolfgang, dessen Werk er schätzte und mit dem er privat in Wien gemeinsam musizierte. Nicht anders mit Franz Lehár: Gegenseitige künstlerische Wertschätzung, aber auch deutlich mehr verband die beiden. Kein Wunder, dass nach Puccinis Tod das Gerücht aufkam, dass Lehár ein Wunschkandidat für die Vollendung der nicht abgeschlossenen Turandot sei. Dass La rondine, eigentlich ein Wiener Auftragswerk, aufgrund des Ersten Weltkriegs nicht im heute nicht mehr existierenden Wiener Carltheater, sondern in Monte-Carlo erstaufgeführt wurde, macht die Wiener Operngeschichte um eine Uraufführung ärmer. Dass Puccini kurz vor dem Weltkrieg vom Kaiser das Komturkreuz des Franz Joseph-Ordens mit dem Stern verliehen bekam, seine Opern im Krieg allerdings – weil er ein lebender italienischer Komponist war – in Wien nicht gespielt werden durften, zeigt, wie sehr Kunst

immer schon ein Spielball der Politik war. Heute, genau 100 Jahre nach Puccinis Tod, hat sich der Komponist als das bewiesen, was er von Anfang an war: eine der tragenden Säulen des Opernrepertoires. An der Wiener Staatsoper werden heute neben den berühmten »alten« Inszenierungen von Tosca und La bohème auch noch regelmäßig Manon Lescaut, Madama Butterfly, Turandot, Trittico, Fanciulla del West gespielt – in den letzten Jahren gab es gleich drei Puccini-Premierenabende. So sieht Theaterunvergänglichkeit aus! Wie wusste es Elsa Bienenfeld schon 1924 in ihrem Puccini-Nachruf? »Puccini ist das Glück und der Segen sämtlicher Operndirektoren geworden, die keinen Spielplan machen könnten, wenn die betörenden, unwiderstehlichen Opern Puccinis ihnen genommen würden.«

KS PIOTR BECZA Ł A als CAVARADOSSI in TOSCA
Foto MICHAEL PÖHN
KS JONAS KAUFMANN als CALAF in TURANDOT Foto MICHAEL PÖHN
GIACOMO PUCCINI

GEHÖRT ZUR BESONDEREN SORTE DER SÄNGERFREUNDLICHEN KOMPONISTEN. ER STELLT

AN UNS SEHR HOHE ANFORDERUNGEN, DIE ABER MIT TECHNIK UND MUSIKALITÄT ZU

EINFACH GROSSES KLANG-KINO

MARINA REBEKA Foto JANIS DEINATS

Marina Rebeka hat viele der Frauengestalten Puccinis auf den internationalen Bühnen erforscht: Mimì und Liù, Musetta und Cio-Cio-San. Dazu jene von Mozart, Verdi, Donizetti, Rossini – und noch viele andere. Alleine an der Wiener Staatsoper war sie unter anderen Tatjana und Mimì, Amelia und Nedda, Antonia und Juliette. Erstmals singt sie nun im Haus am Ring in der berückenden Bilderwelt des Regisseurs Anthony Minghella die Partie der Cio-Cio-San. Was Puccini auszeichnet und ob er in die Seele der Frauen blicken konnte, wovor Cio-CioSan flüchtet und was diese Oper mit uns allen zu tun hat, das erzählt sie Oliver Láng im Interview. Und sie gesteht, warum sie Madama Butter fly anfangs nicht mochte.

ol Am 29. November jährt sich Puccinis Todestag zum hundertsten Mal. Was macht ihn aus Ihrer Sicht so besonders?

mr Naja, Puccini ist nicht nur für mich besonders, sondern für jede und jeden! (lacht) Einige der bedeutendsten Opernwerke wurden von ihm verfasst. Und wenn wir an große »Schlager«-Arien denken, dann fällt uns sofort ein: »Vissi d’arte« aus Tosca, »Nessun dorma« aus Turandot, »O

als JULIETTE in ROMÉO ET JULIETTE
Fotos MICHAEL PÖHN

mio babbino caro« aus Gianni Schicchi , »E lucevan le stelle« aus Tosca , »Un bel dì, vedremo« aus Madama Butterfly und viele andere. Kein Wunder, dass seine Musik eine so enorme Publikumswirksamkeit hat! Puccinis besondere Meisterschaft besteht darin, in komprimierter Form unglaublich

GIACOMO PUCCINI

ist hörbar. Im 2. Akt von Madama Butterfly hört man zum Beispiel den aufdämmernden Morgen. Dieser wird musikalisch ganz genau beschrieben, bis hin zum Vogelklang. Man könnte fast die Augen schließen und sich die ganze Szene ausmalen. Es ist einfach großes Klangkino!

MADAMA BUTTERFLY

1. 4. 8. 11. 13. 15. NOVEMBER

Musikalische Leitung GIAMPAOLO BISANTI Inszenierung ANTHONY MINGHELLA

Regie & Choreographie CAROLYN CHOA Bühne MICHAEL LEVINE

Kostüme HAN FENG Licht PETER MUMFORD

Puppendesign & -regie BLIND SUMMIT THEATRE MARK DOWN & NICK BARNES

Mit u.a. MARINA REBEKA / DARIA SUSHKOVA / ANITA MONSERRAT / JOSHUA GUERRERO / STEFAN ASTAKHOV / MATTHÄUS SCHMIDLECHNER / ALEX ILVAKHIN / IVO STANCHEV / ANDREI MAKSIMOV / HSIN-PING CHANG / ANDREW ROBINSON

viel auszudrücken. Wie er das schafft? Als wunderbarer Melodiker! Das Wichtigste aber bleibt das große Herz, das bei Puccini schlägt. Es ist für mich als Sängerin einfach immer ein Vergnügen, seine Opern zu singen!

ol Als Puccini starb, schrieben Zeitungen, dass mit ihm eine ganze Ära der (italienischen) Oper endet. Wenn Sie heute, 100 Jahre später, zurückblicken: War das so?

mr Ja, es wurde mit Turandot, seiner letzten, unvollendet gebliebenen Oper, ein Kapitel beschlossen, ein Kapitel, das ich vielleicht die »klassische« italienische Oper nennen würde. Natürlich ging es weiter, es folgten wunderbare Werke, aber der Zugang verändert sich in vielem, etwa, was die Kompositionstechnik betrifft. Diese Entwicklung hat selbstverständlich schon vor Puccinis Tod eingesetzt; aber dennoch markiert sein Tod eine Grenze.

ol Was macht Puccini zu Puccini?

Etwa in Abgrenzung zu seinem älteren Kollegen Giuseppe Verdi?

mr Nun, Verdi liegt genau zwischen Belcanto und Puccini, wobei man natürlich nicht einfach »Verdi« sagen kann: Sein Schaffen gliedert sich ja in drei Phrasen, die früheren Werke, dann die überaus populären drei Opern Rigoletto, Il trovatore, La traviata und schließlich sein späteres Werk. Bei Puccini ist jede Handlung ungemein konzentriert. Es ist alles auf den Punkt gebracht. Und seine Opern sind wie Kino, hätte es zu seiner Zeit schon einen echten Tonfilm gegeben, dann wäre Puccini ein Filmkomponist gewesen. Er legt alles in die Musik, alles

ol Wenn Sie eine Rolle wie jene der CioCio-San singen: Wie genau wollen und müssen Sie die Figuren verstehen, wie sehr müssen Sie die Figur sein? Oder ist es nur Schauspiel?

mr Nein! Niemals ist es nur Schauspiel! Niemand auf der Bühne macht das. Man muss die Figuren, die man spielt, immer ganz genau erforschen, studieren, begreifen. Das gehört zur Vorbereitung, ohne die man unmöglich Theater spielen kann. Den Charakter einer Rolle muss man in seinem Inneren fühlen, ja, in sich tragen. Und man muss verstehen, warum der Komponist genau diesen musikalischen Ausdruck wählte, warum im Libretto genau diese Worte stehen, wie die Musik auf den Text Bezug nimmt. Für mich ist es also zwingend, dass ich jede Phrase, jedes Wort exakt auf seine tiefere Bedeutung untersuche. Anders kann man ja keine höchstpersönliche Sicht auf ein Werk entwickeln.

ol Und diese Sicht auf Cio-Cio-San lautet?

mr Für mich ist Cio-Cio-San eine Person, die nicht sehen will, was offensichtlich ist; die hartnäckig nicht zugibt, was sie tatsächlich im Innersten längst weiß. Sie will sich die Wahrheit über Pinkerton, der sie verlassen hat, aus vielen Gründen einfach nicht eingestehen. Das ist ja durchaus etwas, das wir alle kennen. Wie oft wissen wir, dass wir falsch liegen, wollen es aber nicht zugeben, einfach, weil wir weiter an unseren Traum glauben wollen und ihn so lange weiter träumen, bis uns die Realität hart trifft. Cio-Cio-San ist überdies ein Opfer und eine Sklavin der Umstände. Sie ist eine

Geisha. Sie hatte keine Kindheit, weil Geishas in frühester Jugend von ihren Eltern getrennt wurden. Die Heimat war dann die Schule – glücklich waren sie natürlich nie. Dazu kommt, dass Cio-Cio-Sans Familie einstmals sehr wohlhabend war, dann aber verarmte. Im Zuge dessen verlor sie auch ihren Vater. All dem kann sie nicht entkommen, will es aber hinter sich lassen. Also flüchtet sie sich zu Pinkerton und schafft sich ein kleines Amerika in Japan. Sie wechselt den Glauben, wird Christin und bricht mit ihrer Vergangenheit. Heute könnte man ganz einfach in ein Flugzeug steigen und woanders ein neues Leben beginnen. Neue Menschen, eine neue Umgebung, eine neue Atmosphäre. Aber damals, in dieser Situation? Da war das nicht möglich. Also schafft sie sich ihre eigene Welt. Eine Illusion, natürlich. Vielleicht muss man zum Aspekt der Geishas noch etwas sagen: Die echten Geishas waren sehr gelehrt, sie waren Künstlerinnen, streng erzogen, von hoher Kultur, in vielem ausgebildet. Das war nicht nur ein Beruf, sondern eine Lebensweise. Und sie waren psychologisch versiert, konnten auf ihr Gegenüber eingehen und mit ihm entsprechende Gespräche führen. Cio-Cio-San ist zwar erst 15 Jahre alt und ein Mädchen, aber durch ihre Erziehung verfügt sie über ein großes Wissen und auch über so etwas wie Erfahrung.

ol Aber liebt Cio-Cio-San Pinkerton? mr Ich denke, dass sie sich in ihn verliebt. Sie ist von Pinkerton fasziniert, von diesem Leutnant in seiner schmucken Uniform. So, wie sie zu ihm spricht, hat es aber etwas sehr mädchenhaftes, es ist die Sprache eines sehr jungen Menschen: »Sie sind groß und stark. Sie lachen so offen.« Butterfly ist von ihm als Mann beeindruckt, aber er ist auch etwas wie eine Vaterfigur für sie. Sie sieht in ihm einen Beschützer, wenn er etwa Bonzo verjagt und zu Butterfly sagt: »Deine Sippe und alle Bonzen Japans sind deine Tränen nicht wert!« Natürlich: Anfangs spielt sie ihm sicherlich etwas vor, es gehört zu ihrem Beruf, aber dann wird es etwas anderes. Und schließlich bleibt diese Hoffnung, dass er eines Tages zurückkehrt und sie holt.

ol Und Pinkerton?

mr Er ist, wie er ist. Manchmal markiert er den starken Mann, wenn er Bonzo verjagt. Dann aber verlässt er sie und zieht es vor, nicht über sie nachzudenken. Wenn man weit weg ist, ist es einfacher zu verdrängen, dass eine andere Person leidet. Er meint vielleicht, dass sie ihn auch vergessen hat und eine andere Beziehung eingegangen ist. Als er aber zurückkehrt, wird er mit der Wahrheit konfrontiert und macht sich Vorwürfe. Aber Pinkerton ist einer, der es vorzieht, Dinge lieber nur finanziell zu regeln. Viele Menschen sind übrigens – im tatsächlichen Leben – so.

ol Die Vorlage der Oper wurde von einem Mann geschrieben. Das Libretto von zwei Männern. Und die Musik wiederum von einem

Mann. Konnte Puccini überhaupt die Seelenwelt einer Frau verstehen und abbilden? mr Ich denke, dass Puccini die Persönlichkeit der Protagonistin sehr genau verstanden und sie psychologisch sehr genau gezeichnet hat. Diese Hartnäckigkeit, die ich anfangs erwähnt habe, mit der sie selbst nach dem Gespräch mit Sharpless, der ihr die Wahrheit sagt, die Realität verweigert, ist klar gezeigt und sehr menschlich. Weil man die Angst spürt, die Cio-Cio-San hat, die Angst vor der Wahrheit. Aber auch das lange Duett im ersten Akt, in dem sie die Sterne besingt, die »wie Augen« funkeln – das ist ein großartiges psychologisches Portrait. Ebenso wie im Verlauf der Handlung gezeigt wird, wie CioCio-San ihr Kind liebt und sie für ihren Sohn eine bessere Zukunft will: das ist sehr genau entwickelt und verstanden.

ol Cio-Cio-San stirbt, Mimì in La bohème stirbt, Liù in Turandot stirbt. Warum schauen sich Menschen tragische Handlungen offenbar so gerne an?

mr Machen sie das? Geht es ums Sterben? Das ist eine gute Frage! Interessant ist aber letztlich immer, wie die Figuren gelebt haben, bevor sie starben. Das betrifft jede und jeden! Was war der Motor des Daseins und die wichtigste Sache? In La traviata ist es die Liebe. Violetta will richtig lieben und geliebt werden, die Liebe spüren. Kann man sagen, dass sie nach Erfüllung dieses Wunsches wusste, dass sie nun zum Sterben bereit ist? Gewissermaßen: Sie kann sterben, weil sie liebt und geliebt wird. Im Falle von Cio-Cio-San: Sie lebt letztlich für ihre Hoffnung. Für den Glauben, dass Pinkerton eines Tages kommen würde und sie Japan verlassen könnte. Und es gibt den Moment, in dem sie sich verliebt und in dem es nicht mehr um den Beruf der Geisha geht. Auch bei ihr ist die Liebe der Schlüssel. Ich muss allerdings an dieser Stelle gestehen, dass ich Madama Butterfly lange nicht mochte. Einige Kolleginnen haben mir das eingeredet, sie meinten, dass die gesamte Oper ein einziges Leiden sei und die Handlung ganz schrecklich… Und ich dachte, dass ich eine JapanSpezialistin sein müsste, um die Oper zu begreifen. Aber dann sang ich in einem Konzert das Duett mit Pinkerton und verliebte mich in das Werk. Von diesem Duett aus erforschte ich die gesamte Oper. Ich weiß nun, dass beide Argumente nicht stimmen: Das Japanische ist nur die Umgebung, eine Farbe, und wenn man tiefer gräbt, geht es auch in diesem Werk ausschließlich um Menschen. Und was die Handlung betrifft: Ich finde es interessant, wie eine Frau ihren Traum verteidigt, und das gegen alle, die sie umgeben. Da ist die Illusion einer Hoffnung, eine Welt, die sie in ihrem Kopf entworfen hat und die sie einfach nicht aufgibt. Das betrifft so viele von uns! Es geht also auch um unsere Traumwelten, die wir erfinden, und wie wir uns dann der Realität stellen –oder nicht.

als AMELIA in SIMON BOCCANEGRA
als MIMÌ in LA BOHÈME

OLIVER LÁNG IM GESPRÄCH

MIT

YAMEN SAADI

YAMEN SAADI Fotos SOFIA VARGAIOVÁ

SCHLAFLOS IN WIEN

KONZERTMEISTER YAMEN SAADI SPIELT IM NOVEMBER KAMMERMUSIK

2022 gewann er das Probespiel und erhielt so eine der begehrtesten Stellen im internationalen Musikbetrieb: Konzertmeister des Wiener Staatsopernorchesters. Die Rede ist vom 1997 geborenen Geiger Yamen Saadi. Er war Preisträger zahlreicher wichtiger Wettbewerbe, mit elf Jahren trat er Daniel Barenboims West-Eastern Divan Orchestra bei, 2022 veröffentlichte er seine erste CD. Als gefragter Solist und Kammermusiker tritt Saadi auch international auf, darüber hinaus war er Initiator, Organisator und Mitwirkender des Friedenskonzerts im Mai 2024 in der Wiener Staatsoper. Nun ist er im Rahmen der Kammermusik der Wiener Philharmoniker im Gustav Mahler-Saal zu erleben.

ol Opern- und Ballettvorstellungen, philharmonische Konzerte, üben. Hat man als Konzertmeister nicht schon genug zu tun? Warum spielen Sie am Samstagvormittag auch noch Kammermusik?

ys Weil ich es liebe! Wir alle lieben es! Und es ist so wichtig, es bringt uns Musikern und Musikerinnen auf so vielen Ebenen sehr viel. Wobei: Im Grunde ist Kammermusik ja eine Form, die wir die ganze Zeit über betreiben, auch im Orchesterverband, auch in einer großen Besetzung, im Opernhaus und auf der Konzertbühne. Denn dieses genaue Hören aufeinander, das Miteinander-Spielen, das Reagieren auf das Gegenüber: das praktizieren wir ja unser ganzes Musikleben lang. Abgesehen davon ist Kammermusik einfach eine Leidenschaft. Und für diese Leidenschaft nehme ich mir gerne auch am Samstagvormittag Zeit.

ol Das gehört ja zu den großen Atouts des Staatsopernorchesters: dass alle so gut aufeinander eingespielt sind und mit so wachem Ohr auf die Bühne und die Kollegenschaft hören.

ys Ja, absolut. Und es kommt noch etwas dazu: Jede und jeder weiß um eine besondere Dualität. Auf der einen Seite spielen wir als Gruppe zusammen und müssen uns musikalisch gut mischen, auf der anderen ist eine

Individualität da, die eingebracht wird. Natürlich muss man im Orchester das Individuelle ein bisschen zurücknehmen und sich einordnen, aber es ist immer vorhanden –und wichtig!

ol Das bedeutet, dass Sie als Solist anders spielen als im Orchesterverband. In welchem Maße unterscheiden sich diese Spielweisen?

ys Das ist eine sehr gute Frage! Als Solist habe ich in manchem, etwa im Tempo, größere Freiheiten. Auch ist der Klang unterschiedlich: Wenn ich im Orchester zum Beispiel piano spiele, dann ist es wirklich sehr leise. Solistisch muss man anders artikulieren, es muss einfach mehr Ton da sein, ich muss hörbarer sein. Auch setze ich ein anderes Vibrato ein, bin an sich präsenter –eben solistischer. Im Falle des Konzertmeisters ist es so, dass ich auch ein wenig mit dem Klang führen muss, selbst, wenn ich ein Teil der Gruppe bin. Es ist immer die vorhin angesprochene Dualität: Gruppe und Individuum. Früher gab es den Gedanken, dass Orchesterspielen etwas mit Passivität zu tun hat. Das ist jedoch grundfalsch. Man muss ebenso aktiv sein wie als Solist, nur sich eben immer auch als Teil einer Gruppe wissen.

ol Ein weiteres Erfolgsrezept des Orchesters ist, dass das Repertoire so immens groß ist. Es stehen laufend

unterschiedliche Stücke am Spielplan und durch die permanente Abwechslung muss man sich immer wieder auf neue Stile und Konstellationen einstellen.

ys Klar, gerade aufgrund dieses großen Repertoires, das das Orchester anbietet, bleiben wir in unserer Musikalität sehr wach. Das ist ein Aspekt, der mir wichtig ist! Denn wenn man in eine Routine verfällt, ist es für uns Künstler das Schlimmste. Routine ist unser Feind! Stattdessen muss man sich immer weiterentwickeln und kreativ bleiben. Das breite, abwechslungsreiche Repertoire ist da ideal.

ol Das Repertoire muss aber erst einmal erarbeitet werden. Wie ist es als junger Konzertmeister, in das Orchester einzusteigen und ein so großes Programm erarbeiten zu müssen? Wann schläft man noch? ys Ganz einfach: gar nicht. (lacht) Für mich war diese Position musikalisch so wertvoll, so ungeheuer wichtig, dass einfach nichts darüber

»Bevor ich diese Stelle antrat, dachte ich:

Vielleicht wird es zwischendurch zu viel, vielleicht kann einem dieses beständige Lernen über den Kopf wachsen. Aber siehe da: Nein, es macht immer Spaß und hat immer Spaß gemacht!«

ging. Ich wollte unbedingt Teil dieses Orchesters sein und habe dementsprechend viel Zeit investiert. Gerne investiert! Es gab im ersten Jahr Tage, da war ich der erste, der in die Oper kam und der letzte, der gegangen ist. Denn es geht ja nicht nur um die Vorstellungen, die man spielt, sondern man muss die Stücke natürlich auch lernen. Und nicht nur die eigene Instrumental-Stimme, sondern ich muss als Konzertmeister die ganze Partitur kennen. Bevor ich diese Stelle antrat, dachte ich: Vielleicht wird es zwischendurch zu viel, vielleicht kann einem dieses beständige Lernen über den Kopf wachsen. Aber siehe da: Nein, es macht immer Spaß und hat immer Spaß gemacht! Inzwischen ist es ja so, dass ich einen Teil des Opernrepertoires schon kenne und es daher für mich einfacher wird. Was aber nicht bedeutet, dass ich mich langweile. Schließlich ist man als Musiker ohnedies immer auf der Suche und will immer etwas Neues finden.

ol Wo hat man als Konzertmeister die Ohren? In der eigenen Gruppe? Oder muss man auch da den gesamten Klangkörper mitdenken?

ys Natürlich geht es um das ganze Orchester! Man kann alles hören – wenn auch aus meiner Position leider nicht alles sehen. In diesem Punkt habe ich in den letzten zwei Jahren sehr viel gelernt: Es geht nicht nur um die eigene Stimme, sondern um das Orchestergefüge. Alles ist wichtig.

Alles muss bedacht werden. Wenn zum Beispiel die ersten Violinen mit dem zweiten Fagott eine Phrase gemeinsam spielen, dann muss man sich musikalisch und im Timing verbinden. Man muss wissen, wie und wohin sich musikalische Themen innerhalb des Orchesters entwickeln. Wer auf wen reagiert. Es braucht also einen großen Überblick – und mit dem musiziert es sich einfach besser!

ol Eine so einfache wie schwierige Frage: Was macht eine gute Geigerin, einen guten Geiger aus? Oder anders: Worauf hören Sie? Was ist das Besondere an einer Solistin wie etwa an Vilde Frang, die auch beim Friedenskonzert in der Staatsoper auftrat?

ys Schön, dass Sie Vilde Frang erwähnen, eine fantastische Musikerin und eine gute Freundin von mir! Ich bin ein Fan von ihr… Vielleicht ist die Antwort ganz einfach: Es muss von Herzen kommen. Natürlich, eine gute Technik, das Handwerk, die Fingerfertigkeit, die Intonation, das Wissen, das muss alles da sein. Aber das Wichtigste bleibt dann doch das Gefühl, das gewisse Extra, das ein Spiel zu etwas Besonderem macht. Und dieses Extra, das kommt aus dem eigenen Leben. Man muss etwas sagen wollen als Musiker. Und wenn eine Aufführung zu einem Zuhörer oder einer Zuhörerin spricht: dann hat man das Wichtigste geschafft!

ol Wie aber erzeugt man dieses berühmte Extra? Geht es um das Erzählen einer Geschichte? Wie vermittelt man Emotion?

ys Ich glaube, es kommt aus der persönlichen Lebenserfahrung: Man muss dieses Persönliche in sich finden und in die Kunst transferieren. ol In Ihrem Kammermusikprogramm spielen Sie neben Antonín Dvořák mehrere Werke von Krzysztof Penderecki. Warum dieser Schwerpunkt?

ys Das hat mein Kollege Jurek Dybał initiiert: Er kann auf ein großes Penderecki-Repertoire zurückgreifen, hat auch in einigen Penderecki-Uraufführungen gespielt. Und nachdem ich letztes Jahr das Violinkonzert dieses großen Komponisten aufführen durfte – übrigens ein ungemein herausforderndes, langes Werk –, war ich gleich Feuer und Flamme. Ein großartiges Programm!

KAMMERMUSI K

DER WIENER PHILHARMONIKER

30. NOVEMBER Gustav Mahler-Saal

Mit YAMEN SAADI, BENJAMIN MORRISON, BENJAMIN BECK, SEBASTIAN BRU & JUREK DYBAŁ

DER PRÄGENDE MOMENT

GEORG NIGL als NEKROTZAR in LE GRAND MACABRE Foto MARCEL URLAUB

als CLOV in FIN DE PARTIE
Foto MICHAEL PÖHN

Wir alle werden naturgemäß regelmäßig von Menschen, die unseren Lebensweg kreuzen oder ihn ein Stück weit begleiten, geprägt. Bei mir waren es bedeutende Persönlichkeiten wie Nikolaus Harnoncourt, meine Lehrerin KS Hilde Zadek oder die Regisseurin Andrea Breth, mit denen ich zusammenar-

los: »Wer war Zeus, warum hatten die Griechen so viele Götter, wo ist Odysseus überall unterwegs gewesen?« Als Gesangsprofessor in Stuttgart habe ich daher versucht, den Studierenden nicht nur das Singen nahezubringen, sondern ihnen zu vermitteln, wie wichtig das Fragen und Hinterfragen wäre.

»Als Sänger und Schauspieler muss man in einen Zustand kommen, dass einem die Umgebung und die Reaktionen egal sind und man sich einfach getragen fühlt –, dann kann Kunst entstehen.«

beiten und von denen ich lernen durfte. Aber ebenso der große Hans Gillesberger, der in mir noch während meiner Zeit bei den Wiener Sängerknaben in den unzähligen Proben und ebenso vielen Gesangsstunden erst das Fundament des Sängers und Musikers gelegt hatte. Oder auch mein Wahlgroßvater Alfred Nissels, ein Altösterreicher im besten Sinn des Wortes, der aufgrund seiner jüdischen Abstammung in der NS-Zeit fliehen musste und nach dem Zweiten Weltkrieg in Frankreich sein neues Zuhause fand. Ihn lernte ich, ebenfalls noch in meiner Sängerknabenzeit im Zuge einer Europatournee, in Paris kennen und besuchte ihn dann später Jahr für Jahr. Er hat mir nicht nur sämtliche Museen und Kunstwerke der Stadt erschlossen, sondern darüber hinaus mein Interesse für alles, das über meine fundierte Klassische-MusikInselbildung hinausging, dauerhaft befeuert. Seinen Ratschlag, »Georg, das einzige, das du deinen Kindern mitgeben kannst, ist Liebe und Bildung«, habe ich nie vergessen und versuche ihn bei meinem Sohn und meiner Tochter zu beherzigen. Jedenfalls stürzte ich mich mit großer Freude verstärkt auf die Literatur, Philosophie, Psychologie, Geschichte und Kunstgeschichte. Alles Humus, aus dem ich seither in meiner kreativen Arbeit schöpfen kann!

Was mir im Umgang mit all diesen wunderbaren Menschen zu Hilfe kam, ist mein Bestreben, Fragen zu stellen. Ausgelöst durch eine Grippe-Erkrankung als Neunjähriger, die mich zwei Wochen ans Bett fesselte und zum nahegelegenen Bücherschrank meiner Eltern greifen ließ. Bei Homers Odyssee bin ich begeistert hängengeblieben und da ging es auch schon mit dem Fragen

Schließlich entsteht erst durch den Vorgang des Fragens das erste eigenständige Denken. Und wie wunderbar war es für mich, als ein Nikolaus Harnoncourt während der Probenzeiten auf meine Fragen nicht nur Antworten gab, sondern mich gleich mit weiterführender Literatur versorgte! Aber es gab nicht nur Menschen, die mich geprägt haben, sondern auch einzelne Situationen, Augenblicke, die mir die die Augen öffneten. Einer liegt schon eine geraume Zeit zurück: 1986 wurde bei der bekannten österreichischen Wohltätigkeitsveranstaltung Licht ins Dunkel ein Lipizzaner-Hengst der Spanischen Hofreitschule versteigert. Es gab einen kleinen Skandal, weil derjenige, der das Pferd ersteigert hatte, die gebotenen umgerechneten ca. 120.000 Euro nicht aufbringen konnte. Pluto Verona, so hieß der Hengst, ging daraufhin an den Zweitbieter, den bekannten Tiroler »Stanglwirt« Balthasar Hauser, der danach sogar ein eigenes Lipizzaner-Gestüt ins Leben rief. Zufällig sah ich im Fernsehen – damals 14 Jahre alt –in einer Ausgabe der Sendung Seitenblicke den Moment, in dem Pluto Verona eine Stute decken sollte. Warum das überhaupt gezeigt wurde, ist mir bis heute nicht klar. Jedenfalls waren rund um den Hengst viele Schaulustige in Feierlaune, die ihn anfeuerten. Und da geschah das Unerwartete: Vollkommen irritiert von all dem Gejohle, begann Pluto Verona, anstatt zu decken, zu tanzen. Alle lachten – nur ich begann zu weinen, weil mir das Pferd unendlich leidtat. Damals hatte ich zwei Dinge begriffen: Erstens, dass eine gute Komödie sich dadurch auszeichnet, dass dem Großteil zum Lachen zumute ist, eine Minderheit aber die Tragik der Situation erkennt

und tief betroffen sein kann. Und zweitens, dass man auf der Bühne (und auch im Leben), egal, wie das Publikum reagiert, niemals ein »als ob« bieten dürfe, niemals sich selbst verraten dürfe. Wer dem Affen Zucker gibt, wer die Zuschauer beherrschen und lenken will, wer auf der Bühne steht, weil er geliebt werden möchte, hat schon verloren. Als Sänger und Schauspieler muss man in einen Zustand kommen, dass einem die Umgebung und die Reaktionen egal sind und man sich einfach getragen fühlt –, dann kann Kunst entstehen.

Ein anderer essenzieller Augenblick, der mich im Moment reifen ließ, fand während einer Probenpause zu Bizets Carmen in der Grazer Helmut-List-Halle statt. Ich unterhielt mich mit Nikolaus Harnoncourt über Monodie und Monteverdi, weil ich damals –mit dem Lautenisten Luca Pianca – eine CD-Aufnahme plante. Luca, der in Harnoncourts Concentus Musicus regelmäßig mitwirkte, ist einer der versiertesten Barock-Interpreten. Gerade als Harnoncourt zurück in den Orchestergraben gehen wollte, ließ ihn mein »Und wenn ich nicht weiß, wie etwas geht, frage ich einfach Luca«, stoppen. Er drehte sich um und sagte ganz trocken: »Nein, Herr Nigl, Sie müssen sich immer ein eigenes Bild machen.« Dieser Satz hat mich tief erschüttert und mir bis heute eines klargemacht: Überprüfe alles und lass dir von niemandem etwas einreden. Ein weiser Rat gerade in einer Zeit, in der Fake News immer mehr überhandnehmen. Eine ganz andere Erkenntnis gewann ich nach einer Wozzeck-Generalprobe an der Mailänder Scala. Es handelte sich damals um mein Haus- und Rollendebüt, also ein sehr wichtiger Markstein in meiner Laufbahn. Aber als ich das Theater verlassend, die Galleria Vittorio Emanuele-Passage betrat und mich mit einem Mal umgeben sah von den zahlreichen Passanten, die nichts mit Oper zu tun hatten, wurde mir klar, dass es neben meinem Beruf, meiner mir am Herzen liegenden Berufung, noch etwas Wichtigeres gibt: mein eigenes, privates Leben. Nicht umsonst

Die jahrelange Zusammenarbeit mit NIKOLAUS HARNONCOURT prägte GEORG NIGL nachhaltig.

Foto MARCOBORGGREVE / WARNERCLASSICS

lautete meine Frage auf dem ersten Weihnachtsfest an der Musikhochschule nicht: »Wie wird man Sänger?«, sondern: »Kann man als Sänger auch eine Familie haben?« Denn ich erkannte damals schon die Einsamkeit des Sängerdaseins und wollte auf ein Heimatgefühl im Kreise jener, die einem nahestehen und die man liebt, nicht verzichten. Und besagter Gang durch die Galleria Vittorio Emanuele führte mir diese Sehnsucht nach Geborgenheit und Heimat abseits jeglichen Ausgestelltseins erneut nachdrücklich vor Augen.

Zum Abschluss noch ein dritter »prägender Moment«. Es war Anfang dieses Jahres, auf dem Spielplan der Bayerischen Staatsoper stand die Fledermaus und ich war als Eisenstein angesetzt. An dem Abend war ich wirklich nicht gesund und entschloss mich erst im letzten Moment, die Aufführung nicht abzusagen. Zu Beginn der Vorstellung trat der Direktor vor den Vorhang und teilte dem Publikum meine Indisposition mit. In dieser Produktion von Barrie Kosky habe ich von Anfang an auf der Bühne in einem Bett zu liegen und konnte daher hinter dem Vorhang alles akustisch mitverfolgen: Die Ansage ebenso wie die Reaktionen der Zuschauerinnen und Zuschauer. Ich hörte das betroffene Murmeln, als mitgeteilt wurde, dass ich krank wäre, aber auch den spontanen Jubel, als versichert wurde, dass ich trotzdem auftreten würde. Und dieser Jubel, dieses Gefühl des Aufgehobenseins in einem größeren Ganzen, diese emotionale Unterstützung rührte mich zu Tränen und sorgte dafür, dass ich für diese Fledermaus zusätzliche Kräfte mobilisieren konnte.

IL RITORNO D’ULISSE IN PATRIA

Ulisse GEORG NIGL

22. 25. 28. 30. NOVEMBER 4. DEZEMBER

DIE FLEDERMAUS

Eisenstein GEORG NIGL

31. DEZEMBER 1. 4. JÄNNER

als EISENSTEIN in DIE FLEDERMAUS
Foto MICHAEL PÖHN
ALMA NEUHAUS als CHERUBINO in LE NOZZE DI FIGARO
Fotos MICHAEL PÖHN

WOLKE & ERDE

2022 debütierte die US-Amerikanerin Alma Neuhaus an der Wiener Staatsoper, nachdem ihr Weg sie von Minnesota über die renommierte New Yorker Juilliard School und mehrere Preise bei wichtigen Wettbewerben geführt hat. Als Mitglied des Opernstudios lernte sie den Wiener Opernbetrieb kennen und trat in zahlreichen Rollen auf. Highlights waren etwa Cherubino in Le nozze di Figaro, Zerlina in Don Giovanni, Tisbe in La cenerentola, Mercédès in Carmen oder Rosina im Barbier für Kinder. Seit Beginn der Spielzeit ist sie nun festes Ensemblemitglied im Haus am Ring. Wie außergewöhnlich der Beruf der Sängerin ihr heute noch vorkommt, ob man sich mit Kolleginnen vergleichen darf und was das Schöne im Ensembleleben ist – das erzählte sie Oliver Láng.

ol Sie sind seit mehr als zwei Jahren an der Wiener Staatsoper, seit Beginn dieser Spielzeit im Ensemble. Gibt es ganz typische Charaktereigenschaften oder Qualitäten, die man als Sängerin und Ensemblemitglied in einem großen Opernhaus haben muss?

an Um überhaupt an den Punkt zu kommen, auf einer solchen Bühne zu stehen, wird viel von einem verlangt: Wissen, Können, Ausbildung und so weiter. Entscheidend aber ist, all das nicht nur zu besitzen, sondern im Auftrittsmoment tatsächlich ein- und umsetzen zu können. Dass einem das gelingt: darauf muss man vertrauen. Insofern

ist dieses Vertrauen auf sich selbst eine ganz zentrale und wichtige Eigenschaft. Ebenso zentral: die Fantasie! Wir erzählen Geschichten auf der Bühne, spielen Szenen. Ohne die nötige Vorstellungskraft geht das einfach nicht. Auch braucht es viel Eigendisziplin. Und schließlich ist eine Offenheit wichtig, da wir mit vielen Menschen arbeiten, die sehr unterschiedliche Denkweisen und Lebenshintergründe mitbringen. Als Letztes: Sich ausreichend Zeit für Dinge nehmen. Das beginnt als Sängerin schon beim Ausruhen. Für eine wie mich, die aus den USA kommt, ist das ein schwieriges Konzept. (lacht) Aber ich habe hier in Wien gelernt zu erkennen, wann ich Ruhe brauche

und welche Art von Ruhe. Manchmal bedeutet diese Regenerationszeit allein zu sein, manchmal Zeit mit Freunden zu verbringen und manchmal mit meiner Familie zu reden.

ol Wenn wir Wien und New York vergleichen: Wie fühlt sich der Unterschied aus Sicht einer jungen Sängerin an? an Es sind sehr unterschiedliche Orte, die ich aber beide – jeweils auf ihre Art – sehr genieße. In New York ist es viel hektischer als hier. Wenn man irgendwo hinfährt, ist man beim Ankommen schon erschöpft, einfach, weil die Entfernungen so groß

»Immer nur Wolken, das scheint mir fast eskapistisch. Man braucht auch den Boden. Ich mag es, dass es eine Struktur gibt, ein Handwerk und Wissen, das ich in die Kunst mitbringe.«

sind und man so lange gebraucht hat. Und es ist einfach die ganze Zeit etwas los. – Diese Energie von New York kann einen durchaus beflügeln. Im Vergleich dazu: In Wien habe ich das Gefühl, dass ich Raum zum Atmen habe, Raum, um meine Umgebung in mich aufzunehmen. Und ich habe ausreichend geistigen Freiraum, um wirklich über die Musik nachzudenken. Es liegt auch so viel Kulturelles in der Luft… Daher fühlt sich Wien für mich wie ein Ort an, an dem ich längerfristig bleiben kann. (lacht) ol Sie waren im Opernstudio und sind nun Ensemblemitglied. Empfinden Sie einen Unterschied oder ist für Sie die Staatsoper immer dieselbe Staatsoper? an Es gibt durchaus einen Unterschied! Im Studio hatte ich das Gefühl, dass es ein bisschen eine »Polsterung« um mich herum gab, es wurde ein geschützter Raum geschaffen, in dem wir erleben konnten, wie es ist, an einem so großen Haus wie diesem zu arbeiten. Im Ensemble ist das anders, nun bin ich mehr auf mich gestellt. Es ist, als würde man einem Kind die Stützräder vom Fahrrad nehmen... Aber ich weiß, dass ich das notwendige Wissen und die Fähigkeiten erworben habe und dass es jetzt an der Zeit ist, selbständig zu werden. Ich spüre gleichermaßen mehr Verantwortung als auch ein größeres Vertrauen, das in mich gesetzt wird. Beides fühlt sich gut an!

ol Wie lange hat es gedauert, bis Sie sich an der Staatsoper zu Hause gefühlt haben? Bis Sie Wege, Abläufe, Gebräuche, Personen, Orte kannten? Und dachten: Jetzt bin ich angekommen.

an Also, mindestens ein Jahr. Anfangs ist natürlich vieles neu, man saugt wie ein Schwamm alles in sich auf. Und es passiert so viel Aufregendes. Mein erstes kurzfristiges Einspringen zum Beispiel, in Rheingold – eine intensive Erfahrung! Im Laufe des zweiten Jahres, vor allem, als ich wusste, dass ich bleiben werde, konnte ich mich mehr fallen lassen.

Heute fühlt es sich ganz natürlich an, hier in Wien zu sein. Ich genieße das.

ol Was ist nun das Beste im Leben als Ensemblesängerin?

an Am besten gefällt mir am Ensemble nicht nur, dass ich jeden Tag von so vielen großartigen Musikerinnen und Musikern umgeben bin, sondern auch, dass ich Teil einer so einzigartigen Gemeinschaft bin. Da wir die ganze Saison über zusammenarbeiten, können wir Beziehungen aufbauen und Vertrauen zueinander entwickeln – so fühlen wir uns auf der Bühne wohler und können mehr Spaß haben. Ich fühle mich von meinen Kolleginnen und Kollegen inspiriert und bin so dankbar, dass ich zu dieser unglaublichen Gruppe gehöre.

ol Was ist Singen für Sie? Ein Beruf, wie es viele andere gibt, nur eben mit ungewöhnlichen Arbeitszeiten, oder ist es doch etwas ganz Eigenes? Eine Berufung, ein Umgehen mit Emotionalitäten, eine andere Dimension? an Für mich liegt es irgendwo in der Mitte. Wenn man den Kopf nur in einer künstlerischen Wolke trägt, fehlt einem der Ort, an dem man sich erden kann. Und dann kann es schwierig werden: Immer nur Wolken, das scheint mir fast eskapistisch. Man braucht auch den Boden. Ich mag es, dass es eine Struktur gibt, ein Handwerk und Wissen, das ich in die Kunst mitbringe. So ausgestattet ist es schön, in eine andere Welt einzutauchen, ganz in einer Rolle aufzugehen. Andererseits genieße ich es durchaus, aus dem Theater nach Hause gehen zu können und ein ganz normales Leben zu führen. Ich glaube, dass es für den Beruf Verschiedenes braucht: Das vollkommene Eintauchen, aber auch einen sehr realistischen Zugang zu dem Beruf und ein Leben außerhalb.

ol Kommt Ihnen der Beruf nach ein paar Jahren im Geschäft noch außergewöhnlich vor? Oder ist für Sie »Sängerin« etwas ganz Alltägliches?

an (lacht) Ich vergesse immer wieder, dass es kein ganz gewöhnlicher Beruf ist. Und dann treffe ich Leute, die mit Oper und Musik wenig zu tun haben und erlebe stets eine intensive Reaktion in Bezug auf meinen Beruf. Dann fällt mir wieder ein: O ja, was ich tue, ist schon irgendwie seltsam. (lacht) ol Staunen Sie über sich selbst, wenn Sie auf der Bühne stehen? Wenn plötzlich diese Stimme aus Ihnen strömt und Sie eine andere Person sind?

an Wenn ich auf der Bühne bin, merke ich das nicht. Aber nach einem Auftritt frage ich mich manchmal: Was habe ich gerade getan? Ist das wirklich passiert? Und dann bin ich manchmal doch beeindruckt. Einfach davon, dass ich das tun darf und kann. ol Fühlt sich das gut an? Dieses Stehen-auf-derBühne, dieses Stimme-erklingen-Lassen? Auch das In-eine-Rolle-Schlüpfen?

an Das Körpergefühl, auf der Bühne zu stehen und mit einer Orchesterwoge zu singen, ist unvergleichlich. Dieser Adrenalinschub hat etwas Rauschhaftes und ich glaube, dieses Singen auf der Bühne macht uns Sängerinnen und Sänger auch ein wenig süchtig. Es ist ein so cooles Gefühl, wie ich es aus keinem anderen Bereich meines Lebens kenne. Gleichzeitig geht es mir aber um diese intensive Verbindung, die ich mit den Leuten auf der Bühne und mit dem Publikum herstellen kann. An einem Punkt ist man plötzlich auf einer Wellenlänge, fühlt eine gemeinsame Energie und tickt synchron. Ich verbinde mich mit den Zuschauerinnen und Zuschauern, und vielleicht denkt sich jemand: Das, was sie gerade spielt, das habe ich schon einmal empfunden! Oder es setzt ein Nachdenken über das ein, was gerade gezeigt wurde. Mir geht es also auch sehr darum, zu und mit allen zu kommunizieren: mit dem Publikum wie auch mit den Kolleginnen und Kollegen. ol Das Sängerinnenleben, gerade in einem Ensemble, hat viel mit Gemeinschaft zu tun. Und zwangsläufig misst man sich – bewusst oder unbewusst – mit Kolleginnen. Schon Søren Kierkegaard meinte dazu: »Das Vergleichen mit anderen ist das Ende des Glücks und der Anfang der Unzufriedenheit.« Ein Problem?

an Wenn man noch im Studium steckt, ist es schwierig, sich nicht zu vergleichen – weil man ja erst dabei ist, seine eigene Stimme zu entdecken und zu finden. Man fragt sich : Welche Richtung werde ich gehen? Aber dann wächst man als Sängerin und das Vergleichen wird weniger. In meinem Fall war es so, dass ich desto unglücklicher war, umso mehr ich im Kaninchenbau des Vergleichens steckte. Wenn ich die Leistungen anderer aber als Motivation sehe, geht es mir gut und ich kann eine bessere Künstlerin werden. Kierkegaard hat jedenfalls sehr recht!

ol Aber braucht es so etwas wie Konkurrenz? an Es ist gut, diesen Schub ein bisschen zu spüren. Aber ganz grundsätzlich sage ich mir immer, dass es Platz für mehr als nur eine Sängerin gibt. Wir brauchen unterschiedliche Zugänge zu jeder Rolle, unterschiedliche Sichtweisen, andernfalls wäre es ja wirklich zu langweilig. Und wie ich vorhin sagte: Man wächst als Sängerin auch in dieser Hinsicht. Früher spürte ich mehr so etwas wie künstlerische Eifersucht, heute frage ich mich: Was ist es an einer anderen Künstlerin, das mich so interessiert? Und wenn es mir so wichtig ist: Wie kann ich es mir auch erwerben? Das ist viel besser als einfach nur festzustecken und zu denken: O, diese Sängerin hat etwas, das mir fehlt. Wenn man ständig über andere Personen grübelt, nimmt man sich überdies die Zeit, seine eigene Stimme und Kunst weiterzuentwickeln. Konkurrenz ist in unserer Welt ohnedies immer da, da muss ich nicht noch meinen Teil beitragen. Ich sehe meine Kolleginnen also tatsächlich als Kolleginnen und nicht als Konkurrentinnen. Dann kann man auch besser über gemeinsame Rollen reden und Erfahrungen austauschen: und das ist etwas wirklich Schönes!

Momente im Ensembleleben:

ALMA NEUHAUS probt mit dem musikalischen Studienleiter STEPHEN HOPKINS – Vor einer Vorstellung in der Maske – Szenische Probe mit Oberspielleiterin

KATHARINA STROMMER – Im Notenarchiv mit Archivdirektorin

KATHARINA HÖTZENECKER

Fotos SOFIA VARGAIOVÁ

OPERNKARAOKE MIT PONY TYLER

UND WEITERE MITMACHPROGRAMME RUND UM DIE ERÖFFNUNG DER NEUEN

SPIELSTÄTTE NEST

Am 7. Dezember eröffnet die Wiener Staatsoper mit der Uraufführung der Kinderoper Sagt der Walfisch zum Thunfisch ihre neue Spielstätte, das NEST im Künstlerhaus. Hier finden Kinder- und Jugendoper, Mitmachprojekte, experimentelle Formate und Tanz eine weitere Spielstätte – gewidmet einem jungen Publikum. Diese Eröffnung muss gebührend gefeiert werden!

Ab sofort kann man sich für ein vielfältiges und kostenloses Mitmachprogramm anmelden, um sich selbst ein Wochenende lang einen Eindruck von dem neuen Ort zu machen.

EINE OPER BAUEN & SELBST CHOREOGRAPHIEREN

7. & 8. DEZEMBER

In vier verschiedenen Workshops, gerichtet an unterschiedliche Altersgruppen, können sich Theaterinteressierte entweder in szenischem Spiel und Musik oder Tanz ausprobieren. Inspiriert durch Inhalte aus dem Repertoire laden Opern- und Bewegungsworkshops Teilnehmer*innen ab 6 Jahren ein, mit Familien oder Freund*innen im Workshop-Raum des NEST kreativ zu sein!

ERST RADLN, DANN SINGEN BEI: WELCHEN SONG SUCHST DU DIR AUS?

7. DEZEMBER

Am Abend gehört die Bühne dann ausnahmsweise dem Publikum selbst, denn: Pony Tyler lädt zum Opernkaraoke ein. Ja, man liest richtig: nicht Bony, sondern Pony Tyler. Es handelt sich hierbei um ein Künstler*innenkollektiv, das sich selbst als »eine Mischung aus Performance Art, mobiler Karaoke-Bar, Goldsprint-Projekt und Bühnen Chaos« beschreibt.

»Opernkaraoke mit Pony Tyler« verbindet Massenkaraoke mit einem Goldsprint. Hier wird fleißig auf dem Fahrrad gestrampelt. Freiwillige aus dem Publikum kämpfen in einem Zweier-Duell auf dem Rad um den nächsten Song, danach werden lauthals die größten Pop-Hits, Liebesballa-

den oder Opernkracher gesungen. Wer ins Rampenlicht mag, ist herzlich eingeladen, auf der Bühne zu performen, man kann jedoch auch einfach entspannt bei einem Glas Wein oder Limo aus dem Publikum mitsingen, tanzen, mitfeiern!

Opernkaraoke richtet sich an alle Menschen ab 16 Jahren, die das perfekt Unperfekte an Karaoke-Nächten lieben und noch unentschieden sind, ob Robbie Williams’ »Angels« mitreißender ist, als die Rache-Arie der Königin der Nacht aus Die Zauberflöte!

ZU DEN KARTEN

Sowohl die Workshops des Eröffnungswochenendes als auch das KaraokeEvent sind kostenlos. Zählkarten können ab sofort auf der Website der neuen Spielstätte NEST.AT gebucht werden.

ALLES GUTE –& DANKE!

KS Agnes Baltsa, Ehrenmitglied der Wiener Staatsoper, »die Mezzosopranistin mit dem eigensten Ton für Tragödie und Komödie«, wie sie in einer Ö1-Sendung bezeichnet wird, feiert am 19. November ihren 80. Geburtstag. Und tatsächlich war die Baltsa unverkennbar. Unverkennbar und einzigartig. Nicht umsonst gehörte sie weltweit über mehrere Jahrzehnte zu den wesentlichsten Interpretinnen der internationalen Opern- und Konzertbühnen, hat mit ihren Rollenporträts Aufführungsgeschichte geschrieben. So

gilt sie beispielsweise bis heute als beste Carmen-Interpretin – allein an der Wiener Staatsoper verkörperte sie diese Partie 60mal. Im Haus am Ring begeisterte sie unter anderem aber genauso als Komponist ( Ariadne auf Naxos), Santuzza (Cavalleria rusticana), Octavian (Der Rosenkavalier), Eboli (Don Carlo), Klytämnestra (Elektra), Fedora, Hérodiade, Romeo (I Capuleti e i Montecchi ), Rosina (Il barbiere di Siviglia), Küsterin ( Jenůfa), Isabella (L’italiana in Algeri), Angelina (Cenerentola), Cherubino (Le nozze di Figaro), Fidès (Le pro-

KS AGNES

BALTSA als ELVIRA in L’ITALIANA IN ALGERI F oto AXEL ZEININGER

phète), Elisabetta (Maria Stuarda), Dido (Les Troyens), Dalila (Samson et Dalila), Charlotte (Werther). Insgesamt war sie an der Wiener Staatsoper an über 450 Abenden zu sehen. Wer sie erleben durfte – hier oder andernorts – wurde jedenfalls regelmäßig mit Sternstunden beglückt. Schon einzelne von ihr gestaltete Phrasen oder Takte blieben dauerhaft im emotionalen Gedächtnis des Publikums haften und konnte die Kollegenschaft um sie herum beflügeln. In diesem Sinne einen großen Dank an eine große Künstlerin!

GEBURTSTAGE

KS THOMAS QUASTHOFF wird am 9. November 65 Jahre alt. An der Wiener Staatsoper sang er u.a. Amfortas ( Parsifal ) und ein Solistenkonzert.

Der schottische Dirigent SIR DONALD RUNNICLES feiert am 16. November seinen 70. Geburtstag. An der Wiener Staatsoper leitete er über 130 Vorstellungen – darunter die Premieren von Billy Budd und Die tote Stadt

KS AGNES BALTSA – siehe Seite 56.

Der aus den USA stammende ALAN HELD wird am 20. November 65 Jahre alt. An der Wiener Staatsoper debütierte er 2001 als RheingoldWotan und sang hier noch Jochanaan, Orest, Caspar und die vier Bösewichter in Les Contes d’Hoffmann .

JIŘÍ NOVÁK , seit 1992 äußerst verdienstvoller Korrepetitor des Wiener Staatsballetts, feiert am 21. November seinen 60. Geburtstag. Bei den Ballettproduktionen Blaubarts Geheimnis und Mozart à 2 | Don Juan an der Volksoper Wien war er zudem als Dirigent tätig.

Die deutsche Regisseurin CHRISTINE MIELITZ vollendet am 23. November ihr 75. Lebensjahr. An der Wiener Staatsoper schuf sie Inszenierungen von Peter Grimes, Der fliegende Holländer, Otello und Parsifal

TODESFÄLLE

Der Dirigent, Komponist und Lehrer LEIF SEGERSTAM ist am 9. Oktober 2024 verstorben. Geboren 1944, studierte er an der Sibelius-Akademie in Helsinki und an der Juilliard School in New York. Er war u.a. Leiter des ORF-Symphonieorchesters und des Philharmonischen Orchesters Helsinki. An der Wiener Staatsoper debütierte er 1985 mit La traviata und leitete bis 2010 insgesamt 41 Abende – Tristan und Isolde, La traviata, Salome, Manon Lescaut, Lohengrin und Turandot. Zusätzlich zu seiner internationalen Tätigkeit als Dirigent – so war er u.a. an der Mailänder Scala, der New Yorker Metropolitan Opera, dem Londoner Royal Opera House und bei den Salzburger Festspielen zu erleben –wirkte er auch als Komponist (oder »Tonwähler«, wie er es nannte): ein umfangreiches Œuvre, das u.a. rund 350 Symphonien umfasste, zeugt von seiner großen Schaffenskraft. Darüber hinaus unterrichtete er lange Jahre an der SibeliusAkademie in Helsinki.

Der 38jährige chilenische Tenor LEONARDO NAVARRO , ehemaliges Ensemblemitglied der Wiener Staatsoper, ist am 14. Oktober an einer Krebserkrankung in Concepción verstorben. An der Wiener Staatsoper sang er in rund 90 Vorstellungen – u.a. Don Basilio und Don Curzio in Le nozze di Figaro, Roderigo (Otello), Pong (Turandot), Spoletta (Tosca), Abdallo ( Nabucco). Er hinterlässt eine Frau und einen sechsjährigen Sohn.

RADIOTERMINE

3. Nov. 15.05

PUCCINI-DIVEN I Ö1

Mit MICHAEL BLEES

10. Nov. 15.05

PUCCINI-DIVEN II Ö1

Mit MICHAEL BLEES

16. Nov. 14.00 PER OPERA radioklassik

AD ASTRA

Pfitzners Palestrina

16. Nov. 19.30 MADAMA Ö1 BUTTERLY (Puccini)

Musikalische Leitung BISANTI

Mit u.a. REBEKA, SUSHKOVA, GUERRERO, ASTAKHOV, SCHMIDLECHNER

Chor und Orchester der Wiener Staatsoper (aufg. in der Wiener Staatsoper am 4. & 8. Nov.)

21. Nov. 14.05 KS AGNES BALTSA Ö1

ZUM 80. GEBURTSTAG

Mit CHRIS TINA TENGEL

24. Nov. 15.05 DAS WIENER Ö1

STAATSOPERNMAGAZIN

Ausschnitte aus aktuellen Aufführungen der Wiener Staatsoper

25. Nov. 10.05 PUCCINI- Ö1 ERKUNDUNGEN I

Zum 100. Todestag des Komponisten

Mit MICHAEL BLEES

26. Nov. 10.05 PUCCINI- Ö1 ERKUNDUNGEN II

Zum 100. Todestag des Komponisten

Mit ANDREAS MAURER

27. Nov. 10.05 PUCCINI- Ö1 ERKUNDUNGEN III

Zum 100. Todestag des Komponisten

Mit ROBERT FONTANE

28. Nov. 10.05 PUCCINI- Ö1

ERKUNDUNGEN IV

Zum 100. Todestag des Komponisten

Mit MARIE-THERESE RUDOLPH

30. Nov. 10.05 ZU GAST IM NEST Ö1

Die neue Spielstätte der Wiener Staatsoper

Gäste: Dir. BOGDAN ROŠČIĆ, SARA OSTERTAG, MARTIN FINNLAND

Präsentation: ELKE TSCHAIKNER

LIVESTREAM

AUS DER WIENER STAATSOPER

3. Nov. 18.30 BILLY BUDD (Britten)

Musikalische Leitung WIGGLESWORTH

Inszenierung DECKER

Mit u.a. KUNDE, MONTAGUE RENDALL, SHERRAT, KS ERÖD, KS BANKL, MOKUS

Chor und Orchester der Wiener Staatsoper

19. Nov. 19.00 THE WINTER’S TALE

(Ballett nach Shakespeare) Musik TALBOT Choreographie WHEELDON Musikalische Leitung KONCZ

Bühne & Kostüme CROWLEY Licht KATZ

Projection Design BRODIE Silk Effects TWIST

Mit SAYE, KANG, KIMOTO, AVRAAM, DATO, PAPAVA u.a. Wiener Staatsballett Studierende der Ballettakademie Orchester & Bühnenorchester der Wiener Staatsoper

OFFIZIELLER

FREUNDESKREIS DER WIENER STAATSOPER

Ein Highlight im Freundeskreis-Programm ist der Dialog am Löwensofa am 9. November: Das Thema lautet diesmal »Warum Wagner?« Im Rahmen der Veranstaltung soll der Faszinationskraft des Komponisten, die er über viele ausübt, nachgespürt werden, soll über »Wagnerianer« gesprochen werden und darüber, warum es überhaupt den stehenden Begriff »Wagnerianer« gibt, »Mozartianer« oder »Donizettianer« hingegen nicht. Als Gast wird unter anderem der Philosoph und Opernkenner Konrad Paul Liessmann begrüßt.

Fotos ASHLEY TAYLOR (Ballettakademie) & SOFIA VARGAIOVÁ (Freundeskreis Wiener Staatsballett)

WERKEINFÜHRUNGEN

Bei ausgewählten Vorstellungen werden eine halbe Stunde vor Vorstellungsbeginn im Gustav Mahler-Saal kostenlose Einführungsvorträge angeboten. Dabei wird über das Werk, die Autoren, die Aufführungsgeschichte und über Besonderheiten der aktuellen Produktion gesprochen. Im November gibt es Werkeinführungen zu Billy Budd, The Winter’s Tale und Il ritorno d’Ulisse in patria.

FREUNDESKREIS WIENER STAATSBALLETT

Blick in die Dekorationswerkstatt von THE WINTER'S TALE

Auch wenn die Saison schon fortgeschritten ist –es ist nie zu spät, Mitglied im Freundeskreis des Wiener Staatsballetts zu werden und so nicht nur die Arbeit des Ensembles zu unterstützen, sondern auch in den Genuss eines exklusiven Programms zu kommen. Im November bietet dieses etwas ganz Besonderes: mit dem Besuch der Klavierhauptprobe zur Premiere The Winter’s Tale die Gelegenheit, zu erleben, wie erstmals alle visuellen Parameter des Stückes, die in diesem Fall äußerst aufwendig sind, zusammenkommen – neben der vom Wiener Staatsballett getanzten Choreographie auch Bühnenbild, Kostüme und Maske, Video-Projektionen, Silk-Effects und das Licht. Alle Informationen zum Freundeskreis und die Möglichkeit zur Anmeldung finden Sie hier: WIENER-STAATSOPER.AT/FOERDERN/ FREUNDESKREIS-WIENER-STAATSBALLETT

JETZT MIT MASTERCARD ZAHLEN & DIE BALLETTAKADEMIE DER WIENER STAATSOPER UNTERSTÜTZEN

Die erfolgreiche Partnerschaft von Mastercard und der Wiener Staatsoper wird auch in der Saison 2024/25 fortgesetzt: Als »preferred pay-

ment partner« spendet Mastercard für jede von Ihnen im November 2024 mit Mastercard bezahlte Eintrittskarte 5€ an die Ballettakademie der Wiener Staatsoper. Durch Ihren Ticket kauf fördern und unterstützen Sie somit die Ausbildung unserer jüngsten Talente und ermöglichen ihnen einen Einstieg in die Welt des Balletts. Der gesamte Spendenbetrag wird bei der jährlichen Matinee der Ballettakademie am 15. Dezember 2024 übergeben. Eine Aufführung, die wir Ihnen sehr gerne empfehlen möchten, da sie auf eindrucksvolle Weise zeigt, welch hohen künstlerischen Stellenwert die Arbeit mit den Schülerinnen und Schülern im Haus am Ring bereits hat.

AUFNAHMEPRÜFUNGEN FÜR DIE BALLETTAKADEMIE

Für das Schuljahr 2025/26 an der Ballettakademie der Wiener Staatsoper laufen jetzt die Eignungsprüfungen an: Private Auditions für die Aufnahme ab der 2. Klasse für schulpflichtige Schüler*innen finden am 18. und 19. November statt. Die Bewerbungsfrist ist der 4. November. Für die 1. Klasse ist die Aufnahmeprüfung am 20. Dezember geplant, Bewerbungsfrist ist der 1. Dezember. Alle weiteren Infos und die Anmeldeformulare finden Sie hier: WIENER-STAATSOPER.AT/DAS-HAUS/ AUSBILDUNG/BALLETTAKADEMIE/ TANZAUSBILDUNG

DON PASQUALE

MANON SERVICE

ADRESSE

Wiener Staatsoper GmbH

A Opernring 2, 1010 Wien

T +43 1 51444 2250 +43 1 51444 7880

M information@wiener-staatsoper.at

IMPRESSUM

OPERNRING 2

NOVEMBER 2024 SAISON 2024 / 25

Herausgeber WIENER STAATSOPER GMBH / Direktor DR. BOGDAN ROŠČIĆ / Kaufmännische Geschäftsführung DR. PETRA BOHUSLAV / Musikdirektor PHILIPPE JORDAN / Ballettdirektor MARTIN SCHLÄPFER / Redaktion SERGIO MORABITO / ANNE DO PAÇO / IRIS FREY / ANDREAS LÁNG / OLIVER LÁNG / KRYSZTINA WINKEL / Art Direction EXEX / Layout & Satz IRENE NEUBERT / Lek torat MARTINA PAUL / Am Cover CHRISTOPHER WHEELDON / Foto ASHLEY TAYLOR / Druck PRINT ALLIANCE HAV PRODUK TIONS GMBH, BAD VÖSLAU

REDAKTIONSSCHLUSS für dieses Heft: 24. OKT. 2024 / Änderungen vorbehalten / Allgemein verstandene personenbezogene Ausdrücke in dieser Publikation umfassen jedes Geschlecht gleichermaßen. / Urheber/innen bzw. Leistungsschutzberechtigte, die nicht zu erreichen waren, werden zwecks nachträglicher Rechtsabgeltung um Nachricht gebeten. WIENER-STAATSOPER.AT

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