Programmheft »Palestrina«

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HANS PFITZNER

PALESTRINA


INHALT

S.

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DIE HANDLUNG S.

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ÜBER DIESES PROGRAMMBUCH S.

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»EINE ART TRIPTYCHON« HANS PFITZNER S.

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EIN SCHAUMBAD IN MOLL CHRISTIAN THIELEMANN IM GESPRÄCH S.

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DER ECHTE PALESTRINA PAUL ATTINELLO S.

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GIOVANNI PIERLUIGI DA PALESTRINA – EIN MUSIKHEILIGER? WALTER SALMEN S.

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PALESTRINA-KULT IM ALTEN WIEN FRIEDRICH ECKSTEIN S.

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»ALLEIN IN DUNKLER TIEFE...« OSWALD PANAGL S.

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GLÜCKLOS PROTEKTIONIERT FRITZ TRÜMPI S.

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PFITZNER ALLʼITALIANA SABINE BUSCH S.

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DIE ÄTHERISCHE ZUGABE KONRAD PAUL LIESSMANN

S.

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ZUR PALESTRINA-DICHTUNG DIETRICH FISCHER-DIESKAU S.

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SELBST SCHON MUSIK MICHAEL BERGER S.

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»DAS INNERSTE DER WELT IST EINSAMKEIT« HELLMUTH HERRMANN S.

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»WAS ZWISCHEN UNS STEHT... VERBINDET UNS AUCH WIEDER« JOACHIM REIBER S.

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EIN GIPFEL IM MUSIKALISCHEN SCHAFFEN BRUNO WALTER S.

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STRAUSS, PFITZNER UND DIE WIENER PALESTRINAERSTAUFFÜHRUNG S.

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PALESTRINA IN ZÜRICH BRUNO WALTER S.

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»DER GÖTTLICHE FUNKE« HANS HOTTER S.

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DIE PALESTRINA-PARTITUR CLEMENS HELLSBERG S.

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IMPRESSUM


»NUN SCHMIEDE MICH, DEN LETZTEN STEIN AN EINEM DEINER TAUSEND RINGE, DU GOTT!« PA L E S T R I NA , 3. A K T


HANS PFITZNER

PALESTRINA EINE MUSIKALISCHE LEGENDE in drei Akten Text HANS PFITZNER

ORCHESTERBESETZUNG 4 Flöten (3. und 4. auch Piccolo), 1 Altflöte, 3 Oboen (3. auch Englischhorn), 3 Klarinetten, 1 Bassklarinette, 3 Fagotte, 1 Kontrafagott, 6 Hörner, 4 Trompeten, 4 Posaunen, 1 Tuba, Pauken, Schlagzeug, Orgel, Celesta, 2 Harfen, 2 Mandolinen, Streichquintett mit Viola d’amore, Violine I, Violine II, Viola, Violoncello, Kontrabass BÜHNENMUSIK 2 Piccoloflöten, 2 Klarinetten, 2 Mandolinen, 4 Gitarren, Glocken, Tamtam

AUTOGRAPH

Historisches Archiv der Wiener Philharmoniker URAUFFÜHRUNG 12. JUNI 1917 Prinzregententheater, München WIENER ERSTAUFFÜHRUNG 1. MÄRZ 1919 Wiener Staatsoper SPIELDAUER

4 H 15 MIN

INKL. 2 PAUSEN




DIE HANDLUNG 1. AKT Silla, Palestrinas junger Schüler, hat sich der neuen, aus Florenz kommenden Richtung der Musik zugewandt und möchte seinen Meister verlassen. Palestrinas Sohn Ighino ist nicht nach Singen zumute. Er sorgt sich um seinen Vater, der seit dem Tode seiner Frau Lukrezia keine Musik mehr geschrieben hat und traurig dem Alter entgegensieht. Kardinal Borromeo überbringt seinem Freund Palestrina den Auftrag zu einer Messkomposition. Diese soll den Papst davon überzeugen, dass sich die Tradition der Mehrstimmigkeit mit der Klarheit des göttlichen Wortes verbinden lässt. Andernfalls werde die polyphone Musik durch Konzilsbeschluss aus dem Gottesdienst verbannt. Palestrina sieht sich nicht in der Lage, die Forderung des Kardinals zu erfüllen. Zornig verlässt ihn Borromeo. Die Meister der Tonkunst vergangener Zeiten erscheinen Palestrina und drängen ihn, die Messe zu schreiben. In tiefer Verzweiflung bleibt er allein. Da vernimmt er Engelsstimmen, unter ihnen die Stimme seiner Frau Lukrezia. Wie unter Zwang schreibt er auf, was diese Stimmen ihm eingeben. Am Morgen finden Ighino und Silla den schlafenden Meister. Ighino sammelt die verstreut umherliegenden Notenblätter auf: es ist die vollendete Messkomposition, die Palestrina in einer Nacht geschrieben hat.

2. AKT Die Schlusssitzung des Konzils verläuft nicht so, wie die päpstlichen Legaten Morone und Novagerio es wünschen. Im Auftrage Roms sollen sie die Versammlung zu einem Ende bringen, doch das Aufeinanderprallen der politischen Interessen von kirchlichen Würdenträgern, Fürsten und Nationen verhindert einheitliche Beschlüsse.

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DIE HANDLUNG

Borromeo hat Palestrina ins Gefängnis bringen lassen. Was die neue Messkomposition betrifft, vertröstet er das Konzil. Als es zwischen dem Kardinal von Lothringen und dem spanischen Grafen Luna zu einem Streit kommt, lässt sich Luna zu einer provozierenden Äußerung hinreißen. Das Chaos bricht über das Konzil herein, die Sitzung wird vertagt. Von der Erregung ihrer Herren angesteckt, geraten die Diener aneinander. Der Fürsterzbischof Madruscht lässt auf die Streitenden schießen und die Überlebenden der Folter überantworten.

3. AKT Palestrina ist gebrochen aus dem Gefängnis heimgekehrt. Er hat keinen Anteil mehr an dem, was rund um ihn geschieht. Ighino erklärt ihm, was sich ereignet hat: Um seinen Vater zu retten, hat Ighino die losen Notenblätter beim Kollegium abgegeben. Nun wird die Messe in der päpstlichen Kapelle gesungen. Sänger der Kapelle verkünden die Freudenbotschaft, dass die Messe auf den Papst und die Kardinäle einen tiefen Eindruck gemacht hat. Der Papst sucht Palestrina persönlich auf, um ihn zu ehren. Borromeo bittet, überwältigt vom Gefühl seiner Schuld, Palestrina um Verzeihung. Der Meister bleibt, in Gedanken versunken, allein. Die Freude Ighinos, die Nachricht von der endgültigen Abwendung Sillas berühren ihn kaum: Palestrina hat sein Lebenswerk vollendet.

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ÜBER DIESES PROGRAMM- BUCH Dass Hans Pfitzners Palestrina mittlerweile weltweit so selten auf den Spielplänen zu finden ist, hat auch mit den Besetzungs- respektive Dispositionsherausforderungen zu tun: Ein gut vierstündiges Werk mit 39 (!) solistischen Rollen plus Chor und großem Orchester muss erst einmal in den alltäglichen Probenprozess eingefügt werden. Die Handlung der Oper passt zum hochromantischen Weltverständnis des Komponisten – der in diesem Fall auch sein eigener Textdichter war: Zentrales Thema ist das Mysterium der künstlerischen Inspiration. Als Voraussetzung für diese wird hier der Rückzug des kreativ Tätigen in seine eigene innere Welt beschrieben, die im scharfen Gegensatz zum lauten Getriebe der äußeren Wirklichkeit steht. In diesem Programmbuch setzt sich der Dirigent der Wiederaufnahme 2024, Christian Thielemann, unter anderem mit der Musiksprache Pfitzners, der Längendramaturgie der Oper und Aspekten der Persönlichkeit des Kompo-

nisten auseinander (ab Seite 12), auch Helmuth Herrmann wirft Schlaglichter auf die umfangreiche Partitur (Seite 66). Fritz Trümpi beleuchtet die politischen Verstrickungen Pfitzners mit dem Nationalsozialismus (Seite 40), Walter Salmen und Paul Attinello setzen sich mit dem historischen Komponisten Palestrina auseinander, Oswald Panagl beleuchtet die Oper Pfitzners sowie den Komponisten aus unterschiedlichen Blickwinkeln (ab Seite 30). Über das Libretto schreiben Michael Berger und Dietrich Fischer-Dieskau (Seite 60 & 56), Sabine Busch setzt sich mit Pfitzners vergeblichem Trachten nach Internationalität auseinander (Seite 48). Das Verhältnis von Pfitzner und Thomas Mann behandelt Joachim Reiber (Seite 72), Konrad Paul Liessmann reflektiert über Schopenhauer und Pfitzner (ab Seite 52). Kürzere Textausschnitte, etwa von Bruno Walter, Hans Hotter und Thomas Mann, runden das Programmbuch ab.

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KS PETER WEBER als BORROMEO KS THOMAS MOSER als PALESTRINA



HANS PFITZNER

»EINE ART TRIPTYCHON« Da sitzt ein Mann in Rom beinahe das 16. Jahrhundert hindurch an ein und derselben Stelle, verlässt den Ort, wo er wirkt, sein ganzes Leben lang nicht. Je nach Laune und Beschaffenheit der regierenden Päpste bald gnädig, bald ungnädig behandelt, lebt dieses große Genie still und prunklos, von nichts belohnt als dem Gefühl seines Wertes, im Dunklen. Da auf einmal fällt auf ihn ein blendendes Licht, er steht sozusagen in welthistorischer Beleuchtung da. Folgendes Ereignis tritt an ihn heran: eine ganze Kunstentwicklung, der vielstimmige Musikstil, droht vernichtet zu werden. Die unkünstlerische Welt, die sich draußen im Getriebe der menschlichen Interessen und Leidenschaften bewegt, ist im Begriff, die zahllosen Meisterwerke, die im Laufe der Zeit wie aus einem Geist geboren entstanden sind, niederzustampfen und der ewigen Vergessenheit anheimzugeben. Da ergeht an ihn, Palestrina, der Ruf: rette die Musik! Es ist ihm, als streckten sich die Hände seiner Vorgänger, die gleich ihm gelebt, geschaffen, gerungen und gewirkt haben, aus dem Grabe und riefen ihn an: Du, der Du von unserem Geiste bist, rette unsere Werke! Und siehe da, nun lohnt sich sein Leben, seine stete Arbeit in der Stille: er ist bereit! Die große Stunde findet ihn groß, er schreibt das Werk, das die Rettung bringt. Eine geistige Herkulestat wird vollbracht, das Schwerste gelingt: auf Machtgebot Schönheit zu erzeugen. Dass da sozusagen zwei Welten als Faktoren der Handlung gegenein-

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»EINE ART TRIP T YCHON«

ander ins Spiel zu kommen hatten, stand für mich von vornherein fest: die eine äußerliche mit ihrem lauten und wilden Getriebe, die man schlechthin »die Welt« nennt, und die andere innerliche, stille, die im Herzen des schöpferischen Menschen die Ewigkeit sucht. Diese erzeugt das Geisteswerk nicht mit der anderen Welt, auf deren Geheiß; auch nicht gegen sie, gegen ihren Willen, sondern ohne sie, ganz andern Gesetzen gehorchend, als in jener wirksam sind. Diese beiden Welten mussten also auch in der Form des Werkes zum Ausdruck kommen. Sie bildeten die eigentliche Handlung. So sah ich denn, ehe ich es noch genau wusste, was in den einzelnen Akten zu geschehen hatte, eine Art Triptychon als Form: einen ersten und dritten Akt für die eigentliche Palestrina-Welt, und in der Mitte das Bild bewegten Treibens der Außenwelt, die dem stillen Schaffen des Genies immer feindlich ist. Diese konnte nur das Konzil sein, der Ausgangspunkt der kunstfeindlichen Beschlüsse.

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ANDREAS LÁNG & OLIVER LÁNG IM GESPRÄCH MIT CHRISTIAN THIELEMANN

EIN SCHAUMBAD IN MOLL ll

Anfänglich warfen Stimmen dem Komponisten Hans Pfitzner »Modernismus« vor, später nannten ihn viele einen Konservativen. Was war er nun eigentlich? Wie könnte man einem Opernneuling Pfitzner in wenigen Sätzen beschreiben? ct Ich empfinde ihn harmonisch weit über Richard Strauss hinausgehend – mit Ausnahme von Werken wie Elektra oder manchen Passagen in Die Frau ohne Schatten. Ganz allgemein ist Pfitzner in seiner ganzen Tonsprache sehr viel herber, weniger gefällig. Das liegt auch an den Sujets: einen Rosenkavalier hat er halt nie vertont, auf so etwas hat er sich nie eingelassen. Was sie beide, also Pfitzner und Strauss, verbindet, ist ein unglaubliches Gespür fürs Theater. ll Und wie ließe sich Palestrina kurz umreißen? Das Werk besteht ja aus vielen Facetten, vom Ringen eines Künstlers bis zur Komödiantik, wie etwa manche Passagen im zweiten Akt zeigen. ct Palestrina ist ein Künstler-Drama. Und es ist ein Werk voller Kontraste. Wir erleben im ersten Akt Palestrinas Selbstzweifel, die Erscheinungen der

alten Meister, diese ungeheure MessSzene – fast Wagner’sche Ausmaße! Im zweiten Akt gibt es auch, wie Sie sagen, die Karikatur, es ist mitunter geradezu eine Groteske, Slapstick! Dann wird es gewaltsam, es wird geschossen, es gibt Folter… willkommen im richtigen Leben! Der dritte Akt versucht aus dem eine Synthese zu bilden, wir sind stimmungsmäßig wieder näher beim ersten Akt, und die Oper endet sehr melancholisch. Man hat Palestrina letztlich zur Inspiration gezwungen – und hier sehe ich etwas Zeitloses, Aktuelles. Denn wie oft versucht die Politik, Künstler zu vereinnahmen! Palestrina ist für mich immer eine Warnung: Mach das nicht, bleib unabhängig! ll Das Karikaturenhafte im zweiten Akt beschert uns überdies präzise Porträts der Agierenden... ct So wie Wagner oder Richard Strauss besaß auch Pfitzner eine ungeheuerliche Meisterschaft in der Personencharakterisierung – verbrämt mit einer Portion an galligem Humor. Wie er beispielsweise die Wandlung des einflussreichen Kardinals Carlo Borromeo hinbekommt – vom säuselnden Bitt-

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EIN SCHAUMBAD IN MOLL

steller, der Palestrina als Komponisten einer alles entscheidenden Messe gewinnen möchte, hin zum absoluten Monstrum, der seine Macht spielen lässt – ist einfach großartig! Ebenso die Zeichnung des Kardinallegaten Novagerio als Gemeinheiten verspritzenden einflussreichen Fiesling, oder des Bischofs von Budoja, der das Konzil als willkommenen Anlass sieht, sich den Genüssen des Lebens auf fremde Kosten hinzugeben, oder des jungen Theologen, der sich nur Sorgen um die täglichen Diäten macht. Selbst die Prunksucht des gar nicht anwesenden habsburgischen Kaisers Ferdinand I. wird durch eine bewusst simpel-pompöse Leitmotivik karikiert. Jede Person im Dunstkreis des Tridentiner Konzils erhält von Pfitzner eine ganz konkrete, unverwechselbare Persönlichkeit und kriegt zugleich sein Fett ab, alles wird einer schonungslosen ironiegetränkten Kritik unterzogen. ll Die drei Akte sind auch in Bezug auf die Längen sehr unterschiedlich. Der letzte ist im Vergleich zu den vorangehenden erstaunlich kurz. ct Der erste Akt ist sehr ausführlich – aber da muss die Geschichte, geradezu Parsifal-haft, erst aufgefächert werden, denn schließlich soll das Publikum verstehen, mit wem man es zu tun hat. Der zweite Akt ist kürzer – und wirkt zudem durch die Drastik der Ereignisse geraffter. Geradezu kurzweilig! Der dritte Akt ist sehr kurz, aber unglaublich schön! Ich habe ihn für mich »Schaumbad in Moll« getauft, er gehört zum Tollsten, das je geschrieben wurde. Dieser Schluss, wenn Palestrina an der Orgel sitzt und diese verklingt… das geht einem doch sehr zu Herzen! Diese Längendramaturgie empfinde ich als

gelungen, denn nach dem ersten, einführenden Teil wird das Publikum hin zu einer Kurzweiligkeit und Kürze in den nachfolgenden Akten geführt. ll An der Wiener Staatsoper wurde Palestrina 1919 erstmals aufgeführt – unter Franz Schalk und in der Regie des Komponisten. Es folgten noch etliche Produktionen, die aber alle nicht sehr oft gegeben wurden. Auch erklangen im Haus am Ring seine anderen Opern, verschwanden aber nach und nach vom Spielplan. Woran liegt das? Warum ist Palestrina eine Rarität? ct Das hat auch mit der Struktur der Musik zu tun. Wenn man das Werk gut kennt und aufmerksam mitgeht, dann empfindet man es als sehr melodiös. Wenn diese genaue Kenntnis aber fehlt, und das ist bei den Werken von Pfitzner oft so, dann empfinden manche die Musik als schwierig. Doch das ist beim späteren Strauss – etwa bei Capriccio – auch nicht anders. Vieles ist ja sehr eingängig, der Beginn mit Ighino ist fast zum Mitsingen! Und der Borromeo-Auftritt: ungemein spannend! Die visionäre Szene mit den Meistern: sowas von unglaublich gut! Aber: Das Publikum muss sich ziemlich konzentrieren. Palestrina ist kein Stück, das man einfach so hören kann. Palestrina ist nicht Carmen oder La bohème oder womöglich sogar Lohengrin… ll Der Komponistenkollege Arthur Honegger sprach von einer »musikalischen Überlegenheit« des Palestrina. Ist es das, was das Werk herausfordernd macht? ct Es gibt diese wunderbare Geschichte einer Begegnung zwischen Pfitzner und Strauss. Pfitzner klagt über seine Schwierigkeiten beim Komponieren des zweiten Akts von Palestrina,

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IM GESPRÄCH MIT CHRISTIAN THIELEMANN

und Strauss antwortet lakonisch: »Warum komponieren Sie ihn dann, wennʼs ihnen so schwerfällt?« Genau das illustriert Pfitzners Zugang. Er hat sich in seinem Herumüberlegen und Ringen schon auch als sehr wichtig und bedeutsam gefühlt. Strauss aber gewann mit seinem zupackenden Theaterinstinkt und seinen Sujets etwas, das Pfitzner letztlich verwehrt blieb: die große Popularität. Pfitzner hing überdies einem Geniebegriff nach, wie er damals schon etwas angekratzt war, nämlich dass Inspiration und Genie gleichsam vom Himmel kommen müssen. Denken Sie mal, wie Strauss 1915 – da war er schon über 50 Jahre alt! – anlässlich der Uraufführung seiner Alpensinfonie meinte: »Jetzt endlich habʼ ich instrumentieren gelernt!« Pfitzner hätte so etwas nie gesagt! ll Das ist es, das Strauss meinte, als er Pfitzner einmal pointiertkritisch als »der ist so ideal« beschrieb. ct Ja, genau! Pfitzner wollte sich selbst so als eine Idealität darstellen. Ich verehre seine Musik, aber meine Kritik lautet: Manchmal wirkte er unnachgiebig und verkrampft. Er hätte generöser sein können. Man sagt, dass er bei Dirigenten, die seine Werke geleitet haben, gefürchtet war. Denn er saß während der Proben im Zuschauerraum und kommentierte laufend: Alles zu langsam, alles zu schnell, da kein Ritardando, dies geht doch nicht und das auch nicht. Hier möchte ich noch einmal Strauss gegenüberstellen, der in solchen Fällen entspannter war. Gewissermaßen: »Ach, wenn die Sängerin das nicht singen kann, streichen wir einfach zehn Takte...« ll Von John Steinbeck ist der Ausspruch überliefert, dass im Moment des Schöpferischen jeder

einsam ist. Palestrina geht im ersten Akt mit seiner Feststellung, dass »das Innerste der Welt Einsamkeit sei« über diesen Gedanken sogar noch hinaus. Keine sehr optimistische Weltsicht, oder? ct Es weiß natürlich jeder aus eigener Erfahrung, dass man mit manchen großen Fragen mutterseelenalleine ist. Da nutzt es nichts, in einer Gesellschaft aufgehoben zu sein, sich mit vielen gut zu verstehen. Freunde und Verwandte können bestenfalls Tipps geben, die letztgültige Entscheidung muss der einzelne selbst treffen. Das meint Palestrina respektive Pfitzner an dieser Stelle. Ich habe das Werk einmal mit Peter Schreier gemacht, der damals nachdrücklich bestätigte, gerade diesen Satz Palestrinas gut nachvollziehen zu können und ähnliche Depressionen – so nannte er es – ebenfalls schon durchlebt zu haben. Worauf ich ihm erwiderte, dass ich das Werk aber nicht aus einem Geist der Depression heraus dirigieren möchte, sondern die Vielschichtigkeit dieser Oper erhalten will. Wie wunderbar sind doch das »In dir, Pierluigi, ist noch ein hellstes Licht« in der Szene der Erscheinung der alten Meister und Lukrezias »Nah bin ich dir im Friedenslicht« oder das herrliche Rom-Thema am Schluss: Da hat Pfitzner dem Affen dann doch Zucker gegeben! Wie kontrastierend erscheinen zum ersten Akt der meistersingerhaft-spritzige, komödiantische zweite Akt und der im Letzten versöhnliche dritte Akt. Sicherlich, am Ende stellt sich Palestrina an der Orgel sitzend wie gesagt nachdenklich zu Recht die Frage, ob man ihn kleingekriegt und gezwungen hat, die Messe zu komponieren oder ob diese doch ein Ergebnis der künstlerischen

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CHRISTIAN THIELEMANN


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EIN SCHAUMBAD IN MOLL

Inspiration sei. Die Frage lässt Pfitzner musikalisch gesehen unbeantwortet, schließlich greift er an dieser Stelle wieder Motive des ersten Vorspiels auf. Interessant ist allerdings die Antwort Palestrinas auf die Frage seines Sohnes Ighino, ob er sich freue. Denn diese lautet: »Doch, mein Kind, nur siehʼ bin nicht mehr jung, ich freuʼ mich nicht so laut.« Aber immerhin, wenn auch nicht so laut, freut sich Palestrina offenkundig, ist also irgendwie glücklich. Und das vermittelt doch wirklich nichts Pessimistisches. ll In der erwähnten Szene der Erscheinung der Meister fällt der Satz »Ein letzter Ton noch fehlet zum klingenden Akkord«, der Palestrina darauf aufmerksam macht, dass sein »Erdenpensum noch nicht getan ist«, er also noch ein Werk zu vollbringen habe. Bedeutet das aber weitergedacht nicht: Irgendwann hat ein Künstler alles gesagt, was er zu sagen hatte? ct Sicherlich war Bruckner am Ende seines Lebens so müde, dass er das Finale seiner neunten Symphonie, die Aufgabe, die er sich dort gestellt hat, nämlich alle Themen miteinander zu verquicken, nicht mehr geschafft hätte. Aber wenn man physische Gebrechen oder Tod beiseitelässt: Wer weiß, was zum Beispiel von Mozart noch gekommen wäre. Oder von Schubert, von Wagner ... Nein, ich denke, dass Pfitzner sich mit diesem Palestrina, den um ein großes Werk ringenden Künstler, bis zu einem gewissen Grad einfach identifiziert hat, ein Idealbild seiner selbst auf die Bühne gestellt hat. Pfitzner wurde ja als junger Mann ähnlich wie Korngold als der Überflieger gehandelt. Zunächst war Pfitzner sogar angesehener als der

fünf Jahre ältere Richard Strauss und an seinem in Mainz uraufgeführtem tollen Opernerstling Der arme Heinrich erkennt man die Arbeit eines wirklichen herausragenden Komponisten. Doch spätestens ab Salome und Rosenkavalier war das Rennen zugunsten von Strauss entschieden. Dazu kam, dass Pfitzner grundsätzlich kein Sympathieträger war – man muss sich nur die Fotos ansehen, auf denen er vergrübelt beim Klavier sitzt. Er hat sich in seine Ansichten und Ideale verbissen, wollte, wie gesagt, im Gegensatz zu Strauss nie alle Fünfe grade sein lassen und kommt auch in seinen Schriften immer wieder fast diktatorisch daher. Er war überdies ein schlechter Netzwerker und konnte in späteren Jahren nirgendwo richtig Fuß fassen. Ich glaube auch, dass sich zum Beispiel seine antisemitischen Ausritte gegen Schönberg und jene gegen die Zwölftonmusik auch aus dieser Frustration nährten. ll Eines der Postulate Pfitzners lautete: »Ein Künstler hätte nur Anrecht auf Anerkennung, wenn er auch eine Vorwärtsschau hätte.« Erfüllt Palestrina diese Vorgabe in der Oper mit seiner Messe, seinem letzten großen Werk? Im ersten Akt wird Palestrinas Schreibstil von seinem Schüler Silla als veraltet abgetan. Was ist nun diese Messe? Doch etwas Neues oder ein letzter Gipfel einer alten Welt? ct Beides – und das ist ja das Schöne. Im Rückgriff auf das Gute kommt die Erneuerung. Also ein Konservativer mit Zukunftsblick, wenn Sie so wollen. Das gilt auch für Pfitzner selbst: Ich habe einiges von Pfitzner dirigiert und mich oft gewundert, wie unglaublich zukunftsweisend er beispielsweise instrumen-

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EIN SCHAUMBAD IN MOLL

tiert hat. Wie gesagt – Pfitzner sah im Opern-Palestrina sein Alter Ego. ll Gibt es eine künstlerische Wahrheit? Soll diese Messe in dieser Oper als Symbol für eine künstlerische Wahrheit einer bestimmten Zeit stehen? ct Nein, nein, das sehe ich überhaupt nicht, zumal ich selbst nicht an eine Wahrheit in der Kunst glaube. Wenn ich mich ans Pult stelle, um Palestrina

zu dirigieren, erwarten Sie von mir eine persönlich gefärbte Wiedergabe – und das werden Sie auch erhalten. Aber Wahrheit? Ich habe meine eigene Palestrina-Aufnahme von 1997 angehört und finde sie heute passagenweise zu langsam, ich habe mich also weiterentwickelt und bin von meiner früheren Interpretation nicht mehr überzeugt. Den Anspruch auf Wahrheit kann ein Kunstwerk nie erheben.

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PAU L AT T IN ELLO

DER ECHTE PALESTRINA Die Handlung erhebt den Anspruch, die Geschichte von Palestrinas Missa Papae Marcelli und dem Konzil von Trient nachzuerzählen, wobei jene Messe die Wende gebracht und die Wortführer der Gegenreformation überzeugt haben soll, dass polyphone Kunstmusik für die katholische Liturgie geeignet sei. Doch ist diese Geschichte falsch und ihre Nacherzählung noch falscher. Pfitzner gründet sein Libretto offenbar auf Geschichten, die zuzeiten als wahr gegolten haben mögen, die aber schon zu seiner Zeit längst von der Musikwissenschaft als Mythologie entlarvt worden waren. Vor allem aber nahm er Änderungen an Palestrinas Familienleben vor, deren Unhaltbarkeit 1912 keinen Zweifel litt – und einige dieser Modifikationen sind höchst bezeichnend. Sillas jugendliche Unwissenheit ist Teil einer interessanten Konstellation von Stellenwerten, die auch Ighino, Palestrinas fünfzehnjährigen Sohn (der wirkliche Ighino war 1563, in dem die Handlung spielen soll, erst

fünf Jahre alt), umfasst. Silla und Ighino sind Hosenrollen, sie werden von Frauen gespielt. Allein, es kommt in diesem Werk noch eine weitere Frau vor. In der Regieanweisung steht: »An der linken Hinterwand ein großes Bild, eine schöne Frau in mittleren Jahren, darstellend Lukrezia, Palestrinas verstorbene Gemahlin.« Palestrina spricht mit Lukrezias Bild, wenn er allein ist; dann aber erscheint Lukrezia glorreich und unerwartet in des Komponisten Himmelsvision am Schluss des ersten Aktes als eine Art Hauptengel. Sie hat ein paar kurze Zeilen zu singen, in denen sie ihn ihrer Liebe und des im Himmel herrschenden Friedens versichert; sie entschwindet, sobald der Engelschor dem Komponisten die Messe diktiert. Das einzige Problem bei diesen rührenden Szenen aber ist, dass die wirkliche Lukrezia 1563 keineswegs verstorben war, vielmehr bis 1580 lebte, und dass der Komponist acht Monate nach ihrem Tod wieder heiratete.

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GIOVANNI PIERLUIGI DA PALESTRINA


KOPFZEILE

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WA LT E R S A L M E N

GIOVANNI PIERLUIGI DA PALESTRINA – EIN MUSIK- HEILIGER? In dem um 1780 weitgehend vom säkularen Konzert bestimmten Musikleben wurde insbesondere von Berliner Musikern und Gelehrten das Verlangen nach der Wiedergewinnung eines »erhabenen feierlichen Kirchenstils« formuliert. Angeregt durch Kunstreisen nach Italien wurden damit institutionell wie auch ästhetisch die Grundlagen gelegt für eine interkonfessionelle Renaissance der A-cappella-Vokalpolyphonie, als deren romantisierter Inbegriff Giovanni Pierluigi da Palestrina und sein Werk neu entdeckt wurden. Der Berliner Hofkapellmeister Johann Friedrich Reichardt (1752–1814) erkor diesen Repräsentanten römischer Hochkunst gar zu seinem »Musikheiligen«. In dem von ihm herausgegebenen Musikalischen Kunstmagazin von 1791 ließ er Werkproben abdrucken, aus denen die Vorbildlichkeit seiner Musik hervorgehen sollte. In Pfundnoten spartiert sollten sie einen Eindruck von FRONTISPIZ von PALESTRINAS MISSARUM LIBER PRIMUS

Erhabenheit, Ruhe, sakraler Würde im Harmonischen (weniger im Linearen) vermitteln. Der Dichter Johann Ludwig Tieck, ein Schwager Reichardts, schloss sich neben einigen anderen dieser Bewunderung an. Auch er erfuhr die Musik Palestrinas enthusiasmiert als einen sich selbst genügenden Gesang, der »in unsrer Seele das Bild der Ewigkeit, so wie der Schöpfung und der entstehenden Zeit« wachrufe. E.T.A. Hoffmann, ein häufiger Gast im Hause Reichardts, pries den Komponisten als nachhaltig wirksamen Verkünder des »Göttlichen mit Macht und Herrlichkeit«, dessen Musik ihm wie »aus der anderen Welt« erschien. An diese Glorifizierungen und Divinisierungen schloss sich Hans Pfitzner an und apostrophierte den Renaissancemeister im dritten Akt seiner »Musikalischen Legende« sogar als den »Fürsten der Musik aller Zeiten«, als »Gefäß der Gnade«, aus dem »Gott spricht«.

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WA LT E R S A L M E N

Wer war dieser zum »Retter der Musik« Erhobene wirklich? Und war am Ende des 16. Jahrhunderts, in der nachtridentinisch-gegenreformatorischen Epoche eine Rettung überhaupt vonnöten? Um 1525 in Palestrina, dem geschichtsträchtigen Praeneste, in der Nähe Roms geboren, lebte und wirkte er stets im Umfeld des Vatikans und von S. Pietro. In diesem zentralen Dom des römischen Katholizismus fanden 1594 seine Gebeine ihre letzte Ruhestätte. Die Laufbahn eines Kirchenmusikers war dadurch vorgezeichnet, dass er kaum zwölfjährig um 1537 das Orgelspiel erlernte und in die Praktiken und liturgischen Dienste eines Sängers eingeübt wurde. Beide Fertigkeiten vermochte er bereits 1544 praktisch anzuwenden, indem er an der Domkirche seiner Geburtsstadt Knaben und Kleriker im Gesang unterrichtete und an Festtagen die Orgel spielte. Als Honorar gewährte man ihm für diese Dienste die Einnahmen eines Kanonikats. Im Jahr 1547 heiratete er Lucrezia Gori, die Tochter aus einem wohlhabenden Bürgerhaus, die drei Söhne (der Jüngste hieß Iginio) gebar und 1580 starb. 1551 hatte Palestrina die Aufgaben eines Kapellmeisters an der Cappella Giulia in Rom übertragen bekommen, und 1555 fand er Aufnahme als Sänger in der päpstlichen Kapelle. Diese Anstellung erfolgte auf ausdrückliche Weisung von Papst Julius III., der den Sänger trotz des Umstands, dass Palestrina verheiratet war, in seine Nähe zog und ihm sogar die ansonsten abzulegenden Prüfungen erließ. Im Jahr 1554 veröffentlichte Palestrina in Rom sein Missarum Liber Primus mit einem bemerkenswerten Frontispiz (siehe S. 20). Das Bild zeigt den Autor kniend vor dem Thron des Papstes, dem »gnädigen Protektor« devot das

Messbuch überreichend, das von der Huldigungsmesse Ecce Sacerdos magnus eingeleitet war. Nach dem Tod dieses Renaissance-Papstes (im Jahr 1555) wurde von dessen Nachfolger Paul IV. eine strengere Kirchendisziplin eingefordert, der auch Palestrina vor allem wegen seines Ehestands zum Opfer fiel. Allerdings wurde diese Entlassung aus den päpstlichen Diensten generös gemildert durch die Gewährung einer Pension, die auch künftig der Familie einen sozial gehobenen Lebensstandard sicherte. In diesem Jahr der Freistellung erschien das erste Buch vierstimmiger Madrigale, mit dem der früh etablierte Komponist auch die Serie seiner Beiträge zur gepflegten, vokalen Gesellschaftsmusik einleitete. Palestrina erhielt schon nach kurzer Zeit, im Oktober 1555, die Anstellung zum Kapellmeister der Laterankirche, die er nur vier Jahre innehatte, um 1561 an die dritte Hauptkirche Roms, S. Maria Maggiore, zu wechseln. Es folgten in kurzen Abständen Bestallungen als Musiklehrer am neu eröffneten Seminario Romano, im Palast des luxuriös lebenden Kardinals Ippolito dʼEste II. sowie im März 1571 die Rückkehr in die Dienste von S. Pietro. In diesem Kapellmeisteramt verblieb er 23 Jahre bis zu seinem Tod im Jahr 1594. Etabliert und sich seines sozialen Ranges bewusst, ließ er die Angebote, die ihm der Wiener Kaiserhof oder der herzogliche Hof zu Mantua machten, an seinen außergewöhnlich hohen Gehaltsforderungen scheitern. Palestrina führte ein Leben im Umfeld der damals pompös ausgestatteten päpstlichen Hofhaltung, das dem seines illustren Zeitgenossen Orlando di Lasso in München vergleichbar war. Nicht zuletzt die Heirat mit seiner zweiten Frau, der vermögenden Pelz-

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G IOVA N N I P I E R L U IG I DA PA L E S T R I N A – EIN MUSIKHEILIGER?

händlerwitwe Virginia Dormoli, bestätigt das Bild eines Musikers, dem es gelungen war, eine elitäre gesellschaftliche Position einzunehmen. Diese herausragende Stellung erlaubte es ihm, einen Großteil seines umfangreichen Œuvres zu Lebzeiten in Rom, Venedig oder Mailand veröffentlichen zu lassen. Zahlreiche Drucke von Messen, Motetten, Offertorien, Antiphonen, Psalmen, Hymnen, Litaneien, Madrigalen u.a. wurden auch durch zahlreiche Nachdrucke sowie durch Abschriften weit verbreitet. Dank dieser Publizität gerieten seine Werke nie gänzlich in Vergessenheit (so wie später etwa die Hinterlassenschaft von Heinrich Schütz). Zahlreiche Kopien aus dem 17. bis 19. Jahrhundert in Kirchen von Coimbra, Modena, München, Regensburg oder Mexico City belegen diese dauerhafte internationale Präsenz. Diese singuläre Wirksamkeit wurde zudem dadurch bekräftigt, dass der sogenannte Palestrinasatz bis heute zum Repertoire des Fundamentalunterrichts der Musikerausbildung in den Konservatorien, Musikhochschulen oder Universitäten gehört. Palestrina hat selbst zwar kein Lehrwerk hinterlassen, in welchem er den strengen Regelkanon seiner auf der Melodik im Gregorianischen Choral basierenden Satztechnik angelegt hat, es bedurfte erst der Theoretiker und Praktiker der Folgezeit, dieses Regelwerk vornehmlich aus seinen Messen und durchimitierten A-cappella-Motetten zu extrahieren. Vor allem war es der Wiener Hofkapellmeister Johann Joseph Fux, der in seinem 1725 in Dialogform erschienenen Gradus ad Parnassum den Standard des Palestrinasatzes formulierte, an dem sich noch 1935 der dänische Musikwissenschaft-

ler Knud Jeppesen orientierte, dessen Kontrapunkt zur Standardliteratur zählt. Nicht unumstritten definierten diese Autoren einen »Palestrinastil«, an dem sich auf Dauer alle Lernenden orientieren sollten. So konnte sich jene Einstellung verbreiten, die der (von Hans Pfitzner nicht geschätzte) Komponist und Leiter der Berliner Singakademie Carl Friedrich Zelter in den Briefen vom 4. August und 28. Dezember 1828 an Johann Wolfgang Goethe bekräftigte. Die Grundsätze der Harmonie des »Praenestinus«, so ließ er seinen Weimarer Freund wissen, die »endlich allen großen musikal[ischen] Meisterwerken bis heutigen Tag unter[lägen], gelten noch fort wie wohl unsere allerneusten Theoristen uns einreden wollen, dass das jetzt alles anders sei«. Auf diese und ähnliche Weise wurde die maßvoll strenge Pracht der retrospektiven Satzkunst Palestrinas zum geschichtlichen Symbol und zum Vorbild für eine vom Geiste römischer Liturgie durchpulste »musica sacra«. Dieses exemplarische Fortschreiben der Vokalpolyphonie Palestrinas löste freilich auch wiederholte Konflikte aus: in der Konfrontation mit dem neuzeitlichen Ausdrucksbedürfnis und den erweiterten Musiziermöglichkeiten innerhalb wie außerhalb der liturgisch eingebundenen Kirchenmusik. Der überaus streitbare Hans Pfitzner hat diese Problematik im Libretto seines Künstlerdramas deutlich hervorgehoben, etwa in der dritten Szene des ersten Akts, dem Auftritt des römischen Kardinals Borromeo in Palestrinas Haus, aus dem die Versuche der Scholaren dringen: »Seltsame Geräusche hört man hier/ Im Haus des strengen Meisters!/ Ist das die Kunst, Praeneste, die Ihr lehrt?« Für Pfitzner wurde die

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G IOVA N N I P I E R L U IG I DA PA L E S T R I N A – EIN MUSIKHEILIGER?

Legende um den »Retter der Musik«, die seit 1609 von Italien aus verbreitet worden ist, zur willkommenen Metapher und zum unumstößlichen Exemplum für die Tradition, das Reine und Edle. Palestrina war es, so will es die Legende, der mit seiner längst vor den Sitzungen dieser Kirchenversammlung

um 1564 geschriebenen Missa Papae Marcelli in die Auseinandersetzungen um die wahre Kirchenmusik während des Concilium Tridentinum einbezogen gewesen sei. Tatsache ist indessen, dass dieser »Alte Meister« bei der Erörterung einer angestrebten Reform der Kirchenmusik keine Sonderrolle gespielt hat.

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DAS KONZIL VON TRIENT


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FRIEDRICH ECKSTEIN

PALESTRINA- KULT IM ALTEN WIEN Seit unvordenklichen Zeiten ist die Stadt Wien ein Mittelpunkt kirchlicher Bestrebungen gewesen und dort hat auch die geistliche Musik immer neue Anregungen und liebevolle Pflege gefunden. In der Augustinerkirche und dem uralten Stephansdom, insbesondere aber in der Hofburgkapelle, konnte man bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges jeden Sonntagvormittag Messen, Offertorien, Gradualien und andere sakrale Stücke in vorbildlichen, enthusiastisch dargebotenen Aufführungen miterleben. In der Hofburgkapelle war die Pflege eines hohen Musikstils – und vor allem Palestrinas – eine alte, streng gehütete Tradition; hatte doch hier schon zur Zeit des Spanischen Erbfolgekrieges der aus der Steiermark eingewanderte Johann Joseph Fux als Dirigent gewirkt, einer der größten Meister des A-cappella-Gesanges, der bald darauf »Sr. Kaiserlichen und Königlichen Catholischen Majestät Karls des Sechsten Ober-Capellmeister« geworden ist. Sein berühmtes Buch über den Kontrapunkt, Gradus ad Parnassum, hat vielen Geschlechtern bis auf unsere Tage als eine wichtige Grundlage für die höhere musikalische Ausbildung gegolten. Unter der Leitung von Fux wurden in der Hofkapelle auch die Knabenchöre

zu großer Vollendung gebracht, und gerade dieser Umstand hat bewirkt, dass man dort von den sonst kaum zugänglichen A-cappella-Werken Palestrinas und des Orlando di Lasso Aufführungen von wundervoller Reinheit und hoher Schönheit hat hören können, wie sonst wohl kaum irgendwo. Aber auch in späteren Zeiten sind es immer die größten Künstler gewesen, denen es als eine besondere Auszeichnung erschienen war, in der Hofkapelle wirken zu dürfen, und der Schreiber dieser Zeilen hat oft genug Anton Bruckner an der Orgel, wie auch häufig die bedeutendsten Instrumentalsolisten und Sänger, zusammen mit einem ganz erlesenen Orchester und dem berühmten Knabenchor des Löwenburg’schen Konvikts unter der Leitung von Dirigenten wie Hans Richter und Josef Hellmesberger gehört. In meiner Jugendzeit habe ich auch das hohe Glück genossen, bei trefflichen Aufführungen jener unsterblichen Meisterwerke von Palestrina, Vittoria, Orlando di Lasso und Gallus des Öfteren mitzuwirken, und die Erinnerung an jene kostbaren Stunden ist mir bis in mein Alter eine unverlierbare Freude und Erhebung geblieben! Das unvergleichliche Stabat mater Palestrinas, achtstimmig, in zwei vierstimmigen,

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PA LE ST R INA-K U LT IM A LT EN W IEN

gegeneinander bewegten Chören: Schon gleich der Anfang klingt für moderne Ohren fremdartig genug, und es ist gewiss nicht ohne tiefere Bedeutung, dass, wie Wilhelm Tappert hervorgehoben hat, Richard Wagner gerade diese eigentümlichen Harmoniefolgen in seinen Parsifal hinübergenommen hat, dort, wo es galt, die unnahbare Heiligkeit des Karfreitags durch besondere Klänge zu charakterisieren. Es ist ja bekannt, dass sich Wagner damals ganz in Palestrinas Musik versenkt hatte und dass er es auch nicht verschmäht hat, das Stabat mater, in wundervolles Deutsch übertragen, mit einer Fülle genauer Vortragsbezeichnungen versehen, herauszugeben. Nur wer selbst bei Aufführungen von Palestrinas Werken oft mitgesun-

gen hat, kennt die verborgenen seraphischen Schönheiten dieser Werke, aber auch die ungemeinen Schwierigkeiten der Ausführung. Alle diese Kompositionen eignen sich nicht für den gemischten Chor, denn die Frauenstimmen wirken da viel zu weich, und Sopran wie Alt müssen von Knabenstimmen vorgetragen werden, deren eigenartig strenge und herbe kindliche Schönheit für die richtige Klangerscheinung des Ganzen unerlässlich ist. Wie wundervoll wirken sie in der Tiefe, dort wo Alt und Tenor sich begegnen, sodass man oft glauben möchte, die singenden Engel auf den Altarbildern des Fra Angelico oder des van Eyck zu hören, wie sie mit weit geöffnetem Munde ihre Chöre in den blauen Himmel hinausjubeln.

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O S WA L D PA N AG L

»ALLEIN IN DUNKLER TIEFE ... « EIN UNZEITGEMÄSSER AN DER EPOCHENSCHWELLE I. IM WIRBEL DER PARADOXIEN Hans Pfitzner ist am 22. Mai, dem Geburtstag Richard Wagners, gestorben. Es fällt schwer, sich der Symbolkraft dieser Koinzidenz zu entziehen, und es liegt nahe, die Zeitspanne zwischen 1813 und 1949 (dem Todesjahr auch von Richard Strauss) zu einer musikgeschichtlichen Periode aufzuwerten, die mit dem Ableben der beiden großen Alten unwiderruflich zu Ende gegangen ist. Den letzten Vertreter der Romantik hat man Pfitzner oft und gern genannt, und sein Interesse, seine Begeisterung für diese geistesgeschichtliche Epoche in Dichtung und Musik sind in der Tat unübersehbar: Der so häufig und kongenial vertonte Lyriker Eichendorff; E. T. A. Hoffmann, dessen Undine er bearbeitet; Heinrich Marschner, für dessen Opern er sich unermüdlich einsetzt, dessen Vampyr und Hans Heiling er aus dem mächtigen Schlagschatten Richard Wagners hervorholt; endlich Robert Schumann, dem seine ganze Liebe und Verehrung gilt, dessen Lieder er in eigenwilliger Dramaturgie koppelt und

mit gleitenden Übergängen zyklisch aufführt, dessen kleinem Klavierstück Träumerei er einen Text widmet: Sie alle waren Schutzpatrone und Hausheilige von Pfitzners künstlerischer Existenz. Dennoch lässt sich dieser Musiker nicht auf retrospektive Traditionspflege festlegen, und er bekennt selbst: »Anrecht auf Anerkennung als schöpferisches Genie hat aber nur der, der in der Vorwärtsschau lebt.« Damit ist nur einer der vielen Gegensätze bezeichnet, die Hans Pfitzner zum extremen Beispiel für einen »Menschen mit seinem Widerspruch« machen. Das gilt für die Kunst und das Leben, für sein offizielles Auftreten und sein privates Verhalten. Und dieser Zwiespalt führte zu einer Lagerbildung im Urteil über sein Werk, die bis heute ihre Spuren hinterlassen hat: da die Gemeinde der bedingungslosen Verehrer, dort der Chor der unnachsichtigen Kritiker. Die Biografie wurde zur Hagiografie stilisiert oder als Invektive genützt – dazwischen verlief eine strikte Bruchlinie. Versuchen wir im Spannungsfeld von Zitat und Anekdote einige Charakterzüge und Wesensmerkmale des Kom-

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B RU N O WA LT E R

»HABEN WIR NICHT IN SEINEM WESEN DIE SELTSAMSTE MISCHUNG VON WAHRER GRÖSSE UND INTOLERANZ, DIE VIELLEICHT JE DAS LEBEN EINES MUSIKERS VON SOLCHER BEDEUTUNG PROBLEMATISCH GEMACHT HAT?«

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ponisten zusammenzutragen, die dieses seltsam flackernde Persönlichkeitsbild begreiflich machen. Die scheinbar unverträglichen Paradoxa beginnen schon im Alltag: Dem musikalischen Herold von Dämmerschein und Zwielicht konnte man das elektrische Licht nicht früh genug anschalten. Ein langjähriger Weggefährte berichtet, dass der Barde des Waldesdickichts am liebsten auf geebneten Pfaden in Parkanlagen spaziert ist. Der zeitlebens kränkelnde und über seine Bresthaftigkeit klagende Musiker lernt als Fünfzigjähriger schwimmen und entdeckt die Freude am Sport. Die gegensätzlichen Eigenschaften setzen sich im geistigen Bereich fort: Der als schwärmerisch, versunken, auch resignativ beschriebene Mann kann rasch aggressiv werden, beweist schneidend scharfen Intellekt und ist zu ätzenden Ausfällen fähig. »Ich bin ein böser Kerl, und in meinen Adern fließt nicht gerade Limonade«, warnt er nicht ohne Selbstironie. Er ist – und gibt sich vor allem – in finanziellen Belangen naiv, im täglichen Leben unbeholfen und ist zugleich der Verbreitung seines Werkes, der Verteidigung seines Einkommens ein beredter, nicht selten lästig-penetranter Anwalt. Auch seine Bindungen sind voll der Spannungen und Gegensätze: Er umwirbt und verstößt Freunde, fordert bald unbedingte Gefolgschaft, um gleich darauf alles zu verstehen und vieles zu verzeihen. Er liebt seine Kinder und verliert sie auf tragische Weise: Der älteste Sohn stirbt an den Spätfolgen einer Gehirnhautentzündung, die Tochter nimmt sich das Leben, der andere Sohn fällt im Zweiten Weltkrieg; von beiden hatte sich der Vater im Verdruss geschieden. Pfitzner lebte in schwieriger Ehe mit seiner ersten Frau und hat nach ihrem frühen Ableben tief und nachhal-

tig um sie getrauert: »Ein treuer Hund legt sich aufs Grab und stirbt, ich komponiere das Lied Lethe.« Die Chorfantasie Das dunkle Reich, im Gedenken an Mimi geschrieben, halten viele für sein persönlichstes und kühnstes Werk. Beinahe an die Groteske rührte die letzte Begegnung mit seinem Bruder Heinrich, dem er mehrmals im Leben unbedankt Gutes erwiesen hat. Als sich dieser zur Unzeit wieder um Hilfe an den Komponisten wendet, weist er dem Bittsteller die Tür, um ihm tags darauf – ebenso schuldbewusst wie vergeblich – bis nach Hamburg nachzureisen. Eigenwillig, lebhaft diskutiert, von den jeweiligen Parteigängern aufgebauscht und zugespitzt war Pfitzners Beziehung zu Richard Strauss. Die Unterschiede in Lebensstil, Gesinnung, auch im äußeren Erfolg sind nicht zu übersehen. Wenn Strauss in spaßiger Drohgebärde gegenüber Hans Knappertsbusch vom »tiefsten Contrapfuhl der Pfitznerhölle« und der Verdammung »zu lebenslänglichem Palestrina« schreibt, dann werden darin divergierende ästhetische Grundsätze scherzhaft pointiert. Und wenn Strauss auf die Mitteilung, dass sich Pfitzner gerade in Berlin aufhalte, nachgefragt haben soll: »Worüber denn?«, so liegt in diesem Ondit ein gesundes Maß an Menschenkenntnis. Doch immerhin haben einander die beiden Antipoden den gegenseitigen Respekt nicht versagt. Die Ironie des Schicksals wollte es, dass Pfitzner 1920 dem Konkurrenten in der Leitung einer Berliner Kompositionsklasse nachgefolgt ist und 1945 in einem Garmischer Flüchtlingslager ganz in der Nähe der Strauss-Villa logieren musste! Heikel, ja, auf beinahe quälende Weise kontroversiell ist das vieldiskutierte Verhalten Pfitzners in der NS-Dik-

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»A L L EI N I N DU N K L ER T I EF E ...«

tatur und seine Einstellung zum Nationalsozialismus. Dass sich sein Begriff von deutscher Seele mit der Schlächtermentalität der Nazischergen nicht vergleichen lässt, ist zweifelsfrei erwiesen. Dass er in Bekenntnissen nach dem Zweiten Weltkrieg dem Deutschland Luthers, Bachs, des Freischütz wie der Meistersinger verbunden bleibt (»diesem Land bleib ich treu bis zu meinem letzten Hauch«), klingt ebenso ehrlich, wie die Instinktlosigkeit befremdet, mit der er sich der Schuldfrage der Deutschen rasch entledigen will. Seine konforme Haltung im Jahre 1933 ist nicht frei von opportunistischen Hoffnungen für den eigenen Anwert, die freilich gründlich enttäuscht werden. Er muss seine Mitwirkung bei den Salzburger Festspielen absagen, wird überpünktlich als Münchener Professor pensioniert, und seine Werke erfahren als introvertiert und pessimistisch wenig offizielle Förderung. Und wieder erweist sich Pfitzner als zwiespältige Persönlichkeit: Er lehnt unter Hinweis auf Mendelssohn Bartholdys Rang den Kompositionsauftrag für eine neue Musik zum Sommernachtstraum ab, will – laut trefflichem Kalauer – keine »Pimpfonien in Bal-Dur« schreiben, widmet aber dafür noch 1944 dem berüchtigten Generalgouverneur von Polen Hans Frank sein op. 54, die Krakauer Begrüßung.

II. VOM MUSIKALISCHEN EINFALL Musikalischer und dramaturgischer Höhepunkt des ersten Aufzugs von Palestrina, wohl sogar das Herzstück der ganzen Oper, ist die große Szene, in welcher der Komponist, eben noch voller Selbstzweifel, kraftlos und seelisch erschöpft, dabei von äußeren Zwängen

bedrängt, den kreativen Zugang findet, sich die lange versiegten Quellen der Inspiration erschließt und im Verlaufe einer Nacht die erwartete große Messe schreibt. Von dem enttäuschten und empörten Kardinal Borromeo unter schlimmer Drohung zurückgelassen, weiß sich Palestrina nunmehr schutzlos und ausgesetzt: »Der letzte Freund, der mir noch wohlgesinnt, nun geht auch er ... « Jetzt erst deutet der Musiker das Ausmaß seiner Krise und seine häretischen Gedanken an: »O wüsstest du, du wohlgeborgʼne Seele, was hier noch alles flüstert, reden möchte, welch dunklere Gedanken, unheimliche – für mich der Holzstoß wärʼ dir noch zu mild!« Mit dem Dante-Zitat beschreibt der Verzweifelte seine Lage: »Wie schrecklich, sich plötzlich einsam tief im Wald zu finden, wo in der Finsternis kein Ausweg ist.« Mit dem Verlust seiner Frau, seines Lebensmenschen, hat ihn auch die Schöpferfreude verlassen: »Lukrezia! – Als du mir noch im Leben, war ich geborgen. Ja, da sprang der Quell, und weil er sprang, war mir das Leben wert.« Auch das bisher Geschaffene bietet keinen Halt, stiftet keinen Sinn, und selbst die Vernichtung seiner Werke vermag ihn nicht mehr zu schrecken: »Ob die Flamme sie rasch, oder die Zeit sie langsam frisst, allʼ eins, und sinnlos alles, alles, alles! Wozu das ganze Schaffen, Freuen, Leiden, Leben? – Wozu?« Das kreative Geschehen, der Prozess der Inspiration vollzieht sich in drei Schritten, gleichsam spiegelverkehrt zu den Stationen der vorausgegangenen Zerstörung: die Produktion als umgestülpte Destruktion. Mit der Vision der »verstorbenen Meister der Tonkunst vergangener Epochen, Palestrinas große[r] Vorgänger« konsolidiert sich zunächst das Selbstwertgefühl des

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KO B PRFUZNEOI LW EA L T E R

»TROTZ ALLER DÜSTEREN ZEITEREIGNISSE LEBT DIE ZUVERSICHT IN MIR, DASS PALESTRINA BLEIBEN WIRD. DAS WERK HAT ALLE ELEMENTE DES UNVERGÄNGLICHEN.«

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»A L L EI N I N DU N K L ER T I EF E ...«

Musikers. In der Auseinandersetzung mit ihnen, die man als Auslagerung widerstreitender Seelenkräfte deuten mag, gewinnt er inneren Halt, wird sich seiner Rolle und Aufgabe bewusst, überwindet die mentale Blockade und psychische Schreibhemmung. Den eigentlichen Einsatz der Kreativität, den musikalischen Einfall gestaltet Pfitzner gleichfalls in einer bildhaften Projektion. Der bangen Kundgabe »Voll Angst ich armer Mensch rufe laut nach oben« antwortet ganz im Sinne des Messtextes ein Engel mit dem vertonten »Kyrie eleison«, das Palestrina selbstgewiss nachsingt. Im Wechselspiel von ›Engelskonzert‹, als Visualisierung der künstlerischen Inspiration, und menschlicher Resonanz (»Ist wo ein Liebesquell? … Was erschließt sich dem suchenden Blick? Wer bringt den Frieden?«) erleben wir die Komposition von Teilen der Messe, wobei die Worte der Liturgie mit den Gefühlen und Erlebnisinhalten des Schöpfers korrespondieren: »Credo in unum Deum, patrem omnipotentem« / »Allmacht-Geheimniskraft! Wie durch die eigne Brust selig nun zieht allmächtige Schöpferlust, ewiges Hohelied!« – »Gloria in excelsis Deo« / »Erdenruhm bleibt tief zurück. Selig nur den Dankesblick sendʼ ich nach oben« – »Dona nobis pacem« / »die den Frieden gebracht, den Frieden.« Als Klimax in diesem kreativen Vorgang erscheint auch Lukrezia und »schmiegt sich nah an Palestrina«. Sie bringt persönlichen Zuspruch und individuelle Nuancen in das strenge Ritual ein: »Nah war ich dir in Nöten des Lebens; nah bin ich dir im Frieden des Lichts … « Der Musiker, dem sich damit ein letztes Reservoir der Eingebung erschließt, lässt seiner Emotion freien Lauf: »Liebes-Mysterium! Fühle durch

tiefe Nacht, durch Wonnen der Geistesmacht seliges Menschentum, innig vertraut. Liebender Laut –.« Dieses gleichermaßen subtile und komplexe Gleichnis künstlerischer Inspiration findet abseits des Bühnenwerks seine Entsprechung in vielen theoretischen Schriften, in denen der Komponist das Thema unermüdlich umkreist und immer wieder den Primat des musikalischen Einfalls betont: von den frühen polemischen Traktaten Futuristengefahr und Die neue Ästhetik der musikalischen Impotenz bis zur späten Abhandlung Über musikalische Inspiration. Der deutlich artikulierte Vorrang der Musik stellt Pfitzner sogar in Gegensatz zu dem in vielem vorbildhaften Richard Wagner: »Der große elementare Unterschied zwischen allem Dichten und allem Komponieren besteht darin, dass ein jedes Dichtwerk seinem Wesen nach erst in seinem Verlaufe, vom ersten bis zum letzten Wort eine an sich ungreifbare Einheit (Konzept, Handlung) darstellt, von der es ausgegangen ist. Während eine jede Komposition, ihrem Wesen nach, von einer sinnlich greifbaren, in sich schon vollendeten Einheit (Einfall, Thema) ausgeht, von der der Verlauf zehrt oder deren er neue bringen muss.« Das Vorbild Arthur Schopenhauers, für den Musik die höchste Kunst darstellt, ist mit Händen zu greifen. Denn nach diesem Philosophen deutet der Musiker »das innerste Wesen der Welt und spricht die tiefste Weisheit aus in einer Sprache, die seine Vernunft nicht versteht.« Für Hans Pfitzner ergibt sich auch für das Verhältnis von Wort und Ton in der Oper eine gerichtete Beziehung: »In der höheren Kunstform des Musikdramas steht die Dichtung vor der schweren Aufgabe, alles, was sie zu sa-

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O S WA L D PA N AG L

gen hat, der sinnlichen Gegenwart der Musik anzupassen, ihr Stimmungen zu liefern.« Und bei seinen Betrachtungen über den Einfall als das im Wortsinn »hineingefallene Geschenk« fühlt man sich durchaus in die Situation Palestrinas im ersten Akt erinnert: »Bewusste Gedankenarbeit heißt hier nicht: solange rechnen, bis die sichere Lösung erzielt ist, sondern es schwebt einem etwas vor, eine Gestaltung, die man finden möchte: man müht sich, entwirft, verwirft, bis der glückliche Augenblick kommt, der das rechte bringt, was einem natürlich dann einfällt; aber alles ist doch abhängig von dem Ur-Einfall.« Der gelegentlich geäußerte Vorwurf, Pfitzner habe gerade in seiner großen Allegorie des musikalischen Schaffens eben nicht auf die Spontaneingebung gewartet, sondern bewusst Elemente aus der originalen Missa Papae Marcelli eingebaut und seiner Komposition zugrunde gelegt, zielt daneben. Mit der Rückversetzung in die Lage des historischen Vorbilds meldet eben auch das Bedürfnis nach beglaubigter Echtheit, nach dem Originalton, seine Rechte an. Der musikalische Einfall verfolgt diesen Musiker bis in die Anekdotik seines hohen Alters. Als 1943 Pfitzners Münchener Heim das Opfer eines Bombenangriffs wird, meint der greise Komponist lakonisch: »Und da sagen die Leute, mir fiele nichts mehr ein.«

III. »NUN SCHMIEDE MICH DEN LETZTEN STEIN…« CHIFFREN EINER KÜNSTLERISCHEN EXISTENZ Von der mystifizierenden Absicht Pfitzners, von der verfremdenden Spiegelung seiner eigenen Aufgabe in einer anderen Biografie ist oft geschrieben

worden, bisweilen so nachdrücklich, dass der poetische und musikalische Eigenwert dieses Meisterwerks hinter einer minutiösen Spurensuche zu kurz gekommen ist. Aber dennoch: Man findet Signale der Identifikation, Momente und Facetten, die zwar kein einheitliches Bild ergeben, sich aber doch quasi zu einem Mosaik fügen. Das Sujet beschäftigt schon den jungen Mainzer Kapellmeister: Palestrina als Retter der abendländischen Sakralmusik ist zwar ein Topos, aber die Formel stiftet Sinn, weist eine Aufgabe zu, schafft Orientierung im Trubel der musikalischen ›Ismen‹. Während der folgenden langen Beschäftigung mit Person und Epoche trennt Pfitzner allmählich Fiktion und Realität, sondert den Schein vom Sein. Doch auch als die haltlosen Stereotypen beseitigt sind, bewahrt die historische Figur ihre Faszination. Textvorschläge und Szenarien seiner literarischen Mitstreiter James Grun und Ilse von Stach verwirft der Komponist und wird im Gefolge Wagners sein eigener Librettist. Er betreibt umfangreiche Quellenstudien, benützt die authentischen Daten und Fakten bald mit der Akribie des Forschers, dann wieder mit dichterischer Freiheit und dem Mut zum produktiven Missverständnis. Porträts aus den Jahren der intensiven Arbeit an Palestrina zeigen eine auffallende Ähnlichkeit in Physiognomie, Haarschnitt und Barttracht zwischen dem Schöpfer und seinem Vorbild. Das Subjekt nähert sich dem Objekt äußerlich an, stilisiert und abstrahiert sich selbst zum zeitfernen Ideal. Das fertige Werk nennt er »Eine musikalische Legende« und nimmt damit jedem pedantischen Wahrheitsanspruch den Wind aus den Segeln. Bald nach der Uraufführung des Palestrina schreibt Pfitzner pro-

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B RU N O WA LT E R

»PALESTRINA MIT MORALISCHEM ERNST UND INNIGER HERZENSWEISHEIT CHARAKTERISIERT AUCH DEN MENSCHEN. ES IST EIN UNRECHT, VON SEINEM VERHALTEN AUF SEINEN WAHREN CHARAKTER ZU SCHLIESSEN.«

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»A L L EI N I N DU N K L ER T I EF E ...«

grammatische Sätze, aus denen sich ein Vergleich seiner Epoche mit der Renaissancezeit und damit das eigene Rollenprofil ableiten lassen: »Aber ist es an der Hand dieser Untersuchung nicht klar, dass das, was jetzt am Werk ist, das Gegenteil von Fortschritt ist, nämlich Zersetzung, Zersetzung in die Bestandteile, die da waren vor der ganzen Entwicklung? Gegen beide läuft man Sturm von verschiedenen Seiten; man will das Gebäude der Harmonie abbrennen, weil man glaubt, nicht mehr darin wohnen zu können, es sei zu eng, und weiß noch gar nicht, was man dafür hinsetzt.« In einem wesentlichen Punkt unterscheiden sich freilich Wunsch und Wirklichkeit, hat sich die Lebensbahn Pfitzners vom künstlerischen Entwurf abgesetzt. Der Komponist »versenkt sich« nach der Vollendung des Palestrina nicht »leise spielend, in musikalische Gedanken, den Blick über die Tasten weg ins Weite gerichtet«. Er bleibt

vielmehr streitbar, reibt sich an seiner Umgebung, quält sich und andere mit seiner Angriffslust. Vielleicht, weil die Rufe »Evviva Palestrina, evviva der Retter der Musik!« von der Straße ausgeblieben sind? Oder, weil seine eigenen Kinder nicht in Ighinos Kostüm geschlüpft sind, um zu »springen und hören, wie sie meinen Vater feiern«? Oder hebt sich dieser Widerspruch zwischen Dichtung und Wahrheit etwa doch auf, wenngleich erst am Ende dieses Lebens? Seine zweite Frau Mali schildert die Tage vor seinem Tod in Salzburg. Als Pfitzner am 19. Mai 1949 zu innerlich gehörter Musik die Hände bewegt, lobt die Gattin sein schönes Dirigat. »Nie habe ich ihn glücklicher, jünger, strahlender gesehen als damals – und das Zeichen ist gekommen, denn er leuchtete förmlich auf.« Hier schließt sich wohl ein Kreis zum Programm seiner musikalischen Legende: »… und ich will guter Dinge und friedvoll sein.«

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KS FRANZ GRUNDHEBER als BORROMEO


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FRITZ TRÜMPI

GLÜCKLOS PROTEKTIONIERT HANS PFITZNER UND DER NATIONALSOZIALISMUS Die politischen Verstrickungen von Hans Pfitzner (1869–1949) mit dem Nationalsozialismus beschäftigen die Öffentlichkeit bis heute, mitunter auch weit über musikinteressierte Kreise hinaus. Im Zuge von Diskussionen über die Umbenennung von Straßennamen beispielsweise fiel Pfitzners Name in den letzten Jahren des Öfteren – sei es hierzulande in Linz oder Salzburg, sei es in deutschen Städten, etwa in Wiesbaden. Und auch die Programmierung von Werken Pfitzners in Konzertprogrammen sorgt mitunter für Aufregung. So entbrannte um Ingo Metzmacher ein veritabler Skandal, als dieser den »Tag der deutschen Einheit« am 3. Oktober 2007 mit einem Konzert beging, das er mit »Von deutscher Seele« überschrieb und – unter anderem – Pfitzners gleichnamige Kantate aus dem Jahr 1921 dirigierte. Metzmacher kassierte damals heftige Vorwürfe, er huldige damit einem erklärten Antisemiten und Nazi-Freund. Der Dirigent entgegnete, er wolle Pfitzners Musik gegen ihren Komponisten verteidigen, und er stelle diese ja zudem in einen breiteren Zusammenhang, indem Beethoven und Weill ebenfalls auf dem Programm stünden. Und schließlich habe Pfitzner die besagte Kantate ja bereits im Jahr 1921 geschrieben, und damit »weit vor der Zeit des deutschen Nationalsozialismus«, so Metzmacher in einem Inter-

view mit Deutschlandfunk Kultur von 2007. Dies allerdings wäre zu präzisieren: Die NSDAP wurde 1920 gegründet und 1921 von Adolf Hitler (1889–1945) übernommen. Zwar war sie zunächst eine Kleinpartei, doch aus dieser Zeit ist eine erste – und wie die Pfitzner-Biographik nahelegt: einzige – persönliche Begegnung zwischen Hitler und Pfitzner überliefert. Sie datiert auf 1923/24 und kam zustande, indem der rechtsextreme Politiker dem Komponisten in einem Münchner Spital einen Krankenbesuch abstattete. Im Gegenzug soll sich Pfitzner mit einer Buchüberreichung an Hitler erkenntlich gezeigt haben, als dieser nach dem gescheiterten Putsch vom November 1923 auf Schloss Landsberg inhaftiert war (so ein Eintrag zu Pfitzner im Webportal »Music and the Holocaust«). Seit diesem Zeitpunkt sind zahlreiche Ergebenheitsadressen Pfitzners an Hitler und die nationalsozialistische Bewegung überliefert, insbesondere aus der Periode rund um die Machtübertragung an die Nationalsozialisten im Jänner 1933. Was den sprichwörtlichen ästhetischen Konservativismus Pfitzners betraf, ließ er sich in die Kunstideologie des NS problemlos einfügen – die Pfitzner-Biographin Sabine Busch hat dies bereits 2001 ausführlich thematisiert. Schon in den 1910er Jahren verfasste Pfitzner musikästhetische Pamphlete,

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in denen er dezidiert gegen die Moderne Stellung bezog. Frühes Aufsehen erregte etwa die unter dem reißerischen Titel Futuristengefahr veröffentlichte Schrift von 1917, in der er über rund 50 Seiten hinweg Ferruccio Busonis Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst (1907/1916) attackierte. So heißt es darin etwa: »Wer sich also vom Neuaufbau auf dem radikalen Umsturz einzig etwas erhofft und in diesem Sinne gewagte Anfänge als schöpferische Kunst begrüßt, der muß dazu kommen, – reden wir deutsch – den greulichsten Kitsch hoch zu preisen. Zu allen Zeiten ist irgend ein Kitsch obenauf. Wir haben und hatten den ausländischen, den trivialen, den glänzenden Orchesterkitsch, den Salon- und andere Kitscharten; unserer Generation ist es vorbehalten, den futuristischen Kitsch in unserer Mitte aufgenommen zu haben.« Noch drastischer betitelte Pfitzner 1919 einen über 150 Seiten gehenden Angriff auf die musikalische Moderne, die sich im Besonderen gegen den Neuem in der Musik aufgeschlossenen Musikkritiker Paul Bekker (1882–1937) richtete: Die neue Ästhetik der musikalischen Impotenz. Ein Verwesungssymptom? Pfitzner führt darin unter anderem aus: »Nun aber, in diesem Moment des Weltgeschehens, welches das Unterste zu oberst kehrt, und wo Dinge Faktum werden, die früher den Gedankenkreis nicht betraten, – nun aber geschieht auch etwas in unsrer heiligen Kunst, was früher undenkbar war: die musikalische Impotenz wird in Permanenz erklärt, theoretisch gestützt. Musik braucht nicht mehr schön zu sein. Der Komponist braucht keine eigenen Einfälle mehr zu haben.« Zum Ende des Pamphlets hin klärt Pfitzner sein Lesepublikum dann auch über die

Urheberschaft dieser »Impotenz« auf: Der »geistige Kampf gegen den musikalischen Einfall« werde geführt »von dem jüdisch-internationalen Geist, der dem Deutschen den ihm ganz fremden Wahnsinn des Niederreißens und Zertrümmerns einpflanzt. Das Ganze ist ein Verwesungssymptom.« Für Sabine Busch leistete der Komponist damit einen frühen, vorbereitenden Beitrag zum »Handwerkszeug der NS-Kulturbetrachtung«, das ein Jahrzehnt später in aller Breite zur Anwendung gelangen sollte. Zugleich zügelte sich Pfitzner in seinen antisemitischen Tiraden von 1919 zumindest vordergründig, indem er festhielt, es sei ein »Unterschied zwischen Jude und Judentum« zu machen, denn der »Grenzstrich der Scheidung in Deutschland« gehe »nicht zwischen Jude und Nichtjude, sondern zwischen deutsch-national empfindend und international empfindend«. Manche sehen darin einen Beleg, dass Pfitzner kein Vertreter eines radikalen rassischen Antisemitismus gewesen sei. Tatsächlich veröffentlichte er noch 1930 einen Artikel, in dem er hasserfüllten Antisemitismus ausdrücklich ablehnte, jedoch nicht ohne anzufügen, dass das Judentum durchaus eine Gefahr für »deutsches Geistesleben« und »deutsche Kultur« bilde, auch wenn »solche Gefahren […] jede Rasse in gewisser Ausprägung für eine Kultur« in sich berge. In musikwissenschaftlichen Studien zu Pfitzners Antisemitismus wird dieser deshalb zumeist als mehr kulturell grundiert denn als biologisch-rassisch charakterisiert. Dennoch kann mit Sabine Busch festgehalten werden, dass Pfitzners weltanschaulicher Nationalismus wie auch sein ästhetischer Konservativismus gute Voraussetzungen dafür waren, sich in die kulturpolitischen Auffas-

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FRITZ TRÜMPI

sungen und Absichten der Nazis einzufügen – zumindest der Theorie nach. Pfitzner selbst rechnete sich zunächst gute Chancen aus, im nationalsozialistischen Deutschland eine gewichtige Rolle als Komponist zu spielen. So brachte er sich 1933 als Nachfolger für den aufgrund seiner jüdischen Herkunft gekündigten Düsseldorfer Generalmusikdirektor Jascha Horenstein (1898–1973) in Stellung. Doch trotz der Unterstützung durch den Chefideologen der NSDAP, Alfred Rosenberg (1893– 1946), scheiterte Pfitzner und ging leer aus. Auch für die Leitung der Berliner Städtischen Oper war er kurze Zeit später im Gespräch, doch auch hier agierte Pfitzner glücklos. Schon in den ersten Jahren nach der Machtübertragung an die Nationalsozialisten wurde deutlich, dass Pfitzner, der 1933 im 64. Lebensjahr stand, kaum eine leitende Stellung im NS-Kulturbetrieb erreichen würde. Wie Sabine Busch aufzeigte, waren dafür nicht zuletzt auch mehrere Intrigen gegen Pfitzner verantwortlich, die dieser mit seinem notorischen Nörglertum und seiner schroffen, unfreundlichen Umgangsweise zudem deutlich beförderte. Vor allem aber konnte er weder von Hitler noch von Joseph Goebbels (1897–1945) auf Unterstützung zählen, vermutlich, weil er weder über die überragende Popularität eines Richard Strauss (1864–1949) verfügte noch zu den jüngeren Leistungsträgern in der Musik gehörte, die ein – vermeintlich – dynamisches neues Deutschland repräsentieren sollten. Offenbar änderten daran auch seine öffentlichen Unterstützungserklärungen für die NSDAP im Laufe der 1930er Jahre nichts. Zwar trat Pfitzner nie der Partei bei, doch ein politisches Gutachten, das 1938 eingeholt wurde, als dem Komponisten eine

Professur in Wien angeboten wurde (die er dann jedoch nicht antreten sollte), hielt ausdrücklich fest, er stehe dem Nationalsozialismus »bejahend gegenüber«. Doch so wenig dies Pfitzner half, um zu einer relevanten Stellung im kulturpolitischen Betrieb zu gelangen, so wenig ließ sich dadurch auch die Präsenz seiner Werke auf den Opernspielplänen steigern. Im Gegenteil nahm diese während der Zeit des Nationalsozialismus sogar beständig ab, sieht man von den Spielzeiten 1933/34 und 1938/39 ab, für die aufgrund des 65. und 70. Geburtstags des Komponisten eine gewisse Hausse zu verzeichnen ist, wie Sabine Busch in ihrer Analyse der Aufführungszahlen seiner Werke nachwies. Erstaunlicherweise half Pfitzner auch sein durchaus illustrer Freundeskreis verhältnismäßig wenig, um im NS-Deutschland eine breitere Anerkennung zu finden, obschon sich dieser bis zur oberen Führungsriege der Nazis erstreckte. Der politisch gewichtigste und einflussreichste Freund Pfitzners war zweifellos Hans Frank (1900–1946). Frank hatte in der Zeit der Weimarer Republik als Rechtsanwalt Hitlers sowie weiterer NS-Funktionäre agiert und war 1933 in leitender Stellung an der »Gleichschaltung« des Justizapparats beteiligt. Ab 1939 übte er als »Generalgouverneur« in den militärisch besetzten Gebieten Polens eine brutale Gewaltherrschaft aus, die ihm den Namen »Schlächter von Polen« eintrug und für die er 1946 beim Nürnberger Prozess zum Tode verurteilt wurde. Und eben diesem Hans Frank widmete Pfitzner noch Ende 1944 sein Orchesterwerk Krakauer Begrüßung – wodurch sich der Komponist zugleich aktiv an der gewalttätigen Besatzungspolitik der Nazis beteiligte, indem er sie musika-

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GLÜCKLOS PROTEKTIONIERT

lisch legitimierte. Für dieses Auftragswerk des Generalgouverneurs wurde Pfitzner zudem auch monetär großzügig entlohnt. Überhaupt betätigte sich Frank wiederholt als Mäzen und Unterstützer Pfitzners (ebenso wie anderer Künstler und Literaten) und lud diesen verschiedentlich zu Festanlässen nach Krakau ein. So auch zum 75. Geburtstag des Komponisten, für den Frank sogar eigenhändig zwei Beiträge verfasste, die anlässlich der Geburtstagsfeierlichkeiten publiziert wurden. Und zumeist waren diese Aufenthalte Pfitzners unter Franks Obhut von ausschweifendem Luxus geprägt – was Pfitzner angesichts der zunehmenden Entbehrungen in den letzten Kriegsjahren nachweislich tief beeindruckte. Seine letzte Fahrt nach Krakau unternahm er 1944 bereits von Wien aus – wo ihm Baldur von Schirach als Gauleiter (1907–1974) und Reichsstatthalter eine gewisse Anerkennung zuteilwerden ließ: Er verlieh Pfitzner den gut dotierten Beethovenpreis und stellte ihm außerdem ein Haus in Rodaun zur Verfügung, nachdem Pfitzner in München im Oktober 1943 »ausgebombt« worden war. Goebbels, erklär-

termaßen kein Pfitzner-Anhänger, zog schließlich nach, sodass der Komponist 1944 auch aus Berlin eine stattliche Zuwendung in Form einer (steuerfreien) »Ehrengabe« und obendrein einen Platz auf der »Gottbegnadeten-Liste« zugesprochen bekam. Nach Kriegsende zeigte Pfitzner keinerlei Bedauern über die Menschheitsverbrechen des Nationalsozialismus. Und wie so viele, übte sich auch er im Zuge der Entnazifizierung im Abstreiten, Relativieren und Herunterspielen seiner Verstrickungen mit dem Regime. Zugleich blieb er auf sonderbare Weise stur und beharrte auf der Richtigkeit seiner früheren weltanschaulichen und politischen Auffassungen, die er außerdem aktualisierte: Sabine Busch attestiert Pfitzner seit dem Zusammenbruch der NS-Herrschaft einen neuerlichen »Rechtsruck«, was sich insbesondere in krassen antisemitischen Positionen äußerte, die er öffentlich kundtat. Doch dies änderte nichts daran, dass Pfitzner in einem wenig tiefgreifenden Entnazifizierungsverfahren 1948 freigesprochen wurde, bevor er 1949 in Salzburg verstarb.

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PAU L AT T IN ELLO

DER KUMMER DER KONSER- VATIVEN Die am unmittelbarsten zutage liegende Eigenschaft der Oper Palestrina ist der Kummer, der Gram ums Verlorene, sei es um die verlorene Kultur oder um die verlorene Stabilität, der sich im gesamten Ton der Musik und in einer Vielfalt dramatischer Einzelheiten ausdrückt. Ich verstehe das, was ich den »Kummer der Konservativen« nenne, in einem doppelten Sinn: sowohl als bestimmendes Moment der Frühmoderne als auch als Gegenbewegung zur radikalen Moderne, die so viel mehr Beachtung fand. Es ist dies vielleicht ein Wunsch, den nunmehr, im ausgehenden zwanzigsten Jahrhundert, viele von uns verstehen können, denn wie radikal oder progressiv auch immer unsere Standpunkte werden mögen, können wir uns doch selten einer hintergründigen Trauer ums geschichtlich Entschwundene erwehren. Die ausgedehnten Monologe und Dialoge des Librettos, in denen es um Sillas ungeduldigen Blick auf die Tradition, Borromeos heftigen Druck auf den Komponisten, eine Erfolgsmesse zu produzieren, und in Palestrinas verzweifelndes Gewahrwerden seiner inneren Leere geht, implizieren eine paradoxe Pattsituation, in der weder Tradition noch Innovation

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DE R K U M M E R DE R KON S E RVAT I V E N

lebendig oder gangbar sind. Ich glaube, dass dies der Kummer der Konservativen ist: das endlose Bedürfnis, zurückzugehen und eine Welt wieder zu erschaffen, die noch in Ordnung war, wird unablässig durch die Einsicht frustriert, dass die Dinge niemals in Ordnung waren und Nostalgie zur conditio humaine seit dem Beginn des Bewusstseins (oder christlich gesagt: seit dem Sündenfall) gehört. Wir neigen oft dazu, deutsche Komponisten des zwanzigsten Jahrhunderts durch den Filter – oder mit Bedacht nicht durch den Filter – des Zweiten Weltkriegs zu lesen. Vielleicht ist es möglich, sich in eine Zeit zurück zu lesen, in der ein derartiger Krieg noch undenkbar war, und den subtileren Kummer der deutschen Musik zu einem Zeitpunkt zu erfassen, als der Modernismus eine neue Bedrohung, keine affirmative Alternative war. Dieselben Angst- und Untergangsgefühle, die wir aus Schönbergs Schriften kennen, wurden auch von seinem aggressivsten Feind, Hans Pfitzner, dem Konservativen, empfunden und ausgedrückt, der dann mit den Führern der NS-Diktatur kollaborieren sollte. Daher glaube ich, dass Pfitzner uns einen Teil des Schlüssels zum Verständnis dessen liefern kann, was Schönberg tat, ähnlich wie Schrekers Opern manche Sachverhalte in Bergs Musik erklären. Auch glaube ich, dass eine unverstellte Erkenntnis der Spannungen und Widersprüche, welche die deutsche Musik des zwanzigsten Jahrhunderts kennzeichneten, enorm zum Verständnis der sozialen und politischen Krisen beizutragen vermag, die mitten aus dem Kontext der Epoche hervorbrachen.

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SABINE BUSCH

PFITZNER ALLʼ ITALIANA VOM VERGEBLICHEN TRACHTEN NACH INTERNATIONALITÄT Pfitzner der Deutsche, wenn nicht gar der »deutscheste unter den lebenden Komponisten«, so sah sich der Meister des Palestrina gerne, so umriss er im vollen Ernst und ohne sich von einem Hauch der Anfechtbarkeit getroffen zu fühlen, sein Bild von sich selbst. Dabei hätte er manche Voraussetzung für ein Selbstverständnis als Kosmopolit gehabt, war er doch als Sohn deutscher Eltern in Moskau geboren worden und hatte lange Jahre in Straßburg, im französische und deutsche Einflüsse gleichermaßen spiegelnden Elsass, verbracht. Doch mehr noch als Richard Wagner, seinem schöpferischen Übervater, der sich im Laufe der Jahre immer weniger mit »welschem Dunst und welschem Tand« abfinden wollte, fehlte auch Pfitzner das Zeug zum Weltmann; seine Sprachkenntnisse waren begrenzt, seine Reisen ins Ausland waren meist nur Gastspielen oder Konzerten gewidmet und scheinen kaum ein tieferes Interesse für andere Lebensstile hervorgerufen zu haben. Auch sein Literatur- und Musikgeschmack zehrte fast ausschließlich von der heimatlichen

Kost, von deutscher Geisteswelt, »deutscher Art«. So war es nur naheliegend, wenn in den dreißiger Jahren einige nationalsozialistische Gruppen versuchten, Pfitzner als Vorreiter und Vordenker ihrer Bewegung darzustellen – der konservative, ja, fast regressive Künstler hatte bereits in den zwanziger Jahren in seinen Schriften einen soliden Grundstein dazu gelegt. Geprägt von dem nicht nur von ihm persönlich als verheerend empfundenen Erlebnis des verlorenen Ersten Weltkriegs, hatte Pfitzner in Schriften gegen den deutschitalienischen Komponisten Ferruccio Busoni und gegen den Musikschriftsteller Paul Bekker das Feld der Diskussion verlassen und war in wild um sich schlagender, verletzender, chauvinistischer und antisemitischer Polemik gegen alle »Schänder« der Tradition und des Deutschtums ins Feld gezogen. »Ich will deutsche Art in Deutschland positiv behandelt, geliebt und vorgezogen sehen«, hatte der Komponist gefordert – sicher ohne zu ahnen, dass aus ähnlichen Motiven heraus nach 1933 Adolf Hitler einen bestialischen und menschenverachtenden Kampf

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PF I T ZN ER A L LʼI TA L I A NA

zur Ausmerzung alles »Undeutschen« vom Zaun brechen würde. Dabei gingen natürlich Pfitzners Selbstdefinition als »Deutschester« und sein Nationalismus Hand in Hand; beim Schutz der deutschen Geisteswelt dachte er vorrangig an seinen persönlichen imaginären Hausaltar (an dem Schumann, Weber, Eichendorff und G. A. Bürger ihre Andachtswinkel hatten) und an die Pflege und Würdigung seines eigenen musikalischen Schaffens. Letztlich fehlten ihm einerseits politischer Weitblick und der historische Überblick, um jenen von ihm so eifrig vertretenen Grundsätzen mehr als nur seine persönliche Überzeugung entgegenbringen zu können, andererseits auch schlicht das Interesse und die Begeisterungsfähigkeit für eine solche Betätigung – er war schließlich vorrangig Komponist, Dirigent und Künstler. Die Konstruktion einer Ideologie oder gar die pseudowissenschaftliche Begründung der These, dass es gerade das »deutsche Wesen sei, an dem die Welt nun einmal zu genesen« habe, überließ er gerne Berufeneren, genau wie die politische Realisierung eines neuen, »dritten deutschen Reiches«. Als dieses aber dann nach Hitlers Machtergreifung Realität wurde, musste Pfitzner enttäuscht feststellen, dass die neue Regierung durchaus keinen gesteigerten Wert darauf legte, ihre Kulturpolitik nach seinen Vorstellungen zu steuern. Er blieb weiter hinter dem wie eh und je von den Mächtigen gehätschelten Kollegen Richard Strauss zurück, seine Interventionen gegen die Ausgrenzung jüdischer Freunde und Interpreten blieben erfolglos, der widerspenstige kleine Don Quichotte der Opernwelt wurde in der NS-Diktatur zwar demonstrativ respektvoll behandelt, blieb aber ohne

jede Einflussnahme, und die Aufführungszahlen seiner Werke gingen sogar zurück. Der gekränkte Meister, gesegnet mit einem ausgeprägten Selbstbewusstsein, nahm den Kampf gegen die Windmühlenflügel auf, intervenierte wahllos bei den verschiedenen Mächtigen der NS-Diktatur, klagte bei Presse und Freunden, setzte seine Lobby aus linientreuen Pfitznerianern in Gang – jedoch der Erfolg blieb hinter seinen Erwartungen weit zurück. Anerkannt und geschätzt blieb er als Meister des Palestrina, als Sänger der »deutschen Seele«, dass er aber als Person noch quicklebendig und trotz hohen Alters bereit für größere Aufgaben war, blieb weitestgehend unbeachtet – wahrscheinlich war es den führenden Braunhemden einfach zu schwierig, den Komponisten in seiner unberechenbaren Knorrigkeit und mangelnden Linientreue, in welcher er unverwandt Kontakt zu jüdischen emigrierten Freunden hielt oder in großem Kreise Witze über Hitler und Eva Braun zum Besten gab, für ihre Politik zu instrumentalisieren. Pfitzner war sicherlich eine Art lebendiges »nationales Kulturheiligtum« in der NS-Diktatur und hätte wohl auch gute Chancen auf ein Staatsbegräbnis gehabt – doch mit dem höchst lebendigen und sich zu höheren Weihen berufen fühlenden Künstler wusste man nichts Rechtes anzufangen. Dabei war Pfitzner gerade der grundlegende Baustein seines selbstgeschaffenen Denkmals im Wege, das »Deutschtum«: Konnte Hitler auf den ebenfalls nicht gerade stromlinienförmigen Richard Strauss als kulturellen Botschafter nicht verzichten, weil sich z.B. Der Rosenkavalier inzwischen weit über die deutschen Sprachgrenzen hinaus sein

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SABINE BUSCH

Publikum geschaffen hatte, blieb Pfitzner, dem dunkelgraue Spätromantik unterstellt wurde, unangefochtene Angelegenheit des deutschen Sprachraums; das geografische Dreieck Wien – München – Berlin war zugleich grobe Begrenzung für die Rezeption seiner Werke. Dabei war die Außenpolitik des Hitlerreiches so kompliziert, die Definition der Begriffe Freundes- und Feindesland so rascher Fluktuation unterworfen, dass von den Musikgewaltigen flinke Anpassungsfähigkeit gefordert war: Da musste aus dem Polenblut schnell eine Erntebraut gezimmert werden, wurde je nach dem momentanen Stand der Politik russische Musik als brüderlich vertraut oder bolschewistisch verseucht bewertet und jeder Antrag eines Künstlers auf ein Visum für internationale Gastspielreisen der momentanen Außenpolitik unterworfen. Überwiegend freundschaftliche Verbindungen unterhielt man immerhin mit dem faschistischen Italien, Führer und Duce demonstrierten Harmonie und Einigkeit, und da sich beide Länder als Kulturvolk und Heimstätten der Musik betrachteten, war im Sinne der Achsenpolitik auch kultureller Austausch erwünscht. Hier sah sich Pfitzner als den richtigen Mann, hatte er doch mit dem Palestrina einen der erklärten Lieblingskomponisten des italienischen Duce zur Titelfigur einer Oper gemacht und war, wie er 1936 einmal formulieren sollte, ausgesprochen stolz darauf, dass »in meinem größten Bühnenwerke einer der edelsten italienischen Meister, Palestrina, seine Verklärung findet«. Dabei hatten die italienischen Meister ansonsten einen schweren Stand bei Pfitzner, der die »grässlichen Traviatas und Manons und Butterflys« am liebs-

ten aus dem deutschen Repertoire verbannt gesehen hätte und sich darüber empörte, dass »eine widerwärtige und abstoßende Oper wie Tosca von Puccini an jeder Bühne Deutschlands zu Hause ist, [und dass sie] wie eine deutsche Nationaloper behandelt wird«. Auch das gewaltige Opernwerk Verdis wollte er relativiert sehen und betonte: »Der erfolgreiche italienische Opernkomponist Verdi hat in demselben Jahrhundert gelebt wie gewisse andere Leute: Beethoven, Weber, Schubert, Schumann, Brahms und andere.« Dennoch erhoffte er sich umgekehrt eine positive Resonanz von der Aufführung seiner Werke im Ausland, speziell des Palestrina, in Italien, von welchem er vermutete, dass er in einer »sehr guten Aufführung« den »allergrößten Eindruck« machen würde. Einen ersten Versuch, eine solche Aufführung zu forcieren, startete er mit Hilfe der Frankfurter Bühnen, die auf Gastspielreise nach Italien geladen waren, bereits 1934. Pfitzner gab dem Frankfurter Intendanten Meissner für Mussolini einen Klavierauszug des Palestrina mit, in welchen er sogar eine persönliche Widmung geschrieben hatte – so hoffte er, den italienischen Diktator für sein Werk begeistern zu können. Doch der Klavierauszug kam nie in die Hände des Diktators, und Pfitzner musste auf diesen hochkarätigen potenziellen Gönner verzichten. Für das Einsetzen einer PfitznerPflege in Italien machten sich aber weiterhin Verehrer seines Werks stark, so Clemens Krauss, der Pfitzner 1939 mitteilen konnte: »Anlässlich meines letzten Aufenthaltes in Italien habe ich mit einem der leitenden Herren des Verlages Sonzogno Fühlung genommen und ihm sehr ans Herz gelegt, Ihrem

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PF I T ZN ER A L LʼI TA L I A NA

Meisterwerk Palestrina zur Aufführung in Italien zu verhelfen. Meine Anregung wurde mit großem Interesse aufgenommen und die Verlagsleitung hat mir nunmehr mitgeteilt, dass eine Übersetzung des Palestrina ins Italienische in Auftrag gegeben ist und nach Fertigstellung den zuständigen kulturpolitischen Stellen vorgelegt werden wird. Dies erscheint mir demnach ein verheißungsvoller Anfang und ich wollte nicht verfehlen, Ihnen hiervon Kenntnis zu geben. Ich werde meinerseits mit größter Beharrlichkeit alles Mögliche tun, um die Angelegenheit zu einem positiven Ergebnis zu bringen.« Doch auch dieser Vorstoß scheint nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs ohne Folgen geblieben zu sein und so erblickte Palestrina das Licht einer italienischen Bühne erst nach Pfitzners Tod – ohne dort allerdings zu einer festen Größe des Repertoires zu werden, wie es sich Pfitzner wohl erträumt hatte. In Paris hatte Palestrina immerhin schon Jahre zuvor, 1942 unter deutscher Besatzung, eine anscheinend umjubelte Erstaufführung erlebt. London zog gar erst 1997, achtzig Jahre nach der Uraufführung, nach – eine zähe, zaghafte internationale Rezeptionsgeschichte, die so gar nicht zum rauschenden Erfolg der Oper bei jener legendären Uraufführung im Münchner Prinzregententheater unter Bruno Walter 1917 passen will. Gerade Pfitzner, der dem Ausland und dessen Kunst so oft mit Misstrauen

und Geringschätzung entgegenkam, konnte sich außerhalb seines Kulturkreises keinen soliden Publikumsstamm erobern, ganz anders als Richard Wagner, für den trotz harscher Äußerungen gegen Italien, Frankreich oder gar das Judentum in toto bis heute die Nationen der Welt unbeirrt nach Bayreuth pilgern. Der Palestrina bleibt eine Angelegenheit des deutschen Sprachraums. Denn hier kann und darf Pfitzner nicht außer Acht gelassen werden, wenn es sich auch unbestreitbar um eine schwierige und menschlich schwer einzuordnende Komponistenerscheinung handelt. Seinem Palestrina ist eine Seitennische im Dom des Musiktheaters sicher, ist er doch wichtige Verbindung zwischen Tannhäuser und Mathis der Maler und vollwertiges Glied einer wahren Kette von Künstleropern, zudem eine der wenigen ernstzunehmenden Antworten auf das Phänomen Richard Wagner aus der Epoche, die nach dem Tod des Bayreuther Meisters ihren Anfang nahm. Pfitzner hatte prophezeit: »Ich werde es immer schwer haben, aber ich werde immer da sein.« Vielleicht sitzt heute ein weise gewordener, gemäßigter und von aller überflüssiger Galle befreiter Pfitzner im Opernhimmel zwischen Wagner und Hindemith und ist gar nicht einmal so unzufrieden damit, dass aus seinem Meisterstück kein »Renner« der Opernbühne geworden ist…

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KON R A D PAU L LIE S SM A N N

DIE ÄTHERISCHE ZUGABE Der Partitur zu seiner »musikalischen Legende« Palestrina stellte Hans Pfitzner ein Zitat des von ihm verehrten Philosophen Arthur Schopenhauer voran: »Jenem rein intellektuellen Leben des Einzelnen entspricht ein eben solches des Ganzen der Menschheit, deren reales Leben ja ebenfalls im Willen liegt. Dieses rein intellektuelle Leben der Menschheit besteht in ihrer fortschreitenden Erkenntnis mittels Wissenschaften und in der Vervollkommnung der Künste, welche beide, Menschenalter und Jahrhunderte hindurch, sich langsam fortsetzen und zu denen, ihren Beitrag liefernd, die einzelnen Geschlechter vorübereilen. Dieses intellektuelle Leben schwebt, wie eine ätherische Zugabe, ein sich aus der Gärung entwickelnder wohlriechender Duft über dem weltlichen Treiben, dem eigentlich realen, vom Willen geführten Leben der Völker, und neben der Weltgeschichte geht schuldlos und nicht blutbefleckt die Geschichte der Philosophie, der Wissenschaft und der Künste.« Diese Sätze aus dem § 52 der Parerga und Paralipomena, also einem Nebenwerk von Schopenhauer, bieten nicht nur einen Schlüssel zum Verständnis von Pfitzners Oper, sondern lesen sich wie eine düstere Antizipation und vorweggenommene Rechtfertigung jener unrühmlichen Rolle, die der Komponist in der NS-Diktatur gespielt hatte: als wollte er sich und seine Kunst schon vor ARTHUR SCHOPENHAUER

allem reinwaschen. Aus seinem Antisemitismus hatte Pfitzner nie ein Hehl gemacht, auch wenn er diesen nicht biologisch-rassistisch, sondern weltanschaulich begründete; ebenso fühlte er sich einem völkischen Konzept der deutschen Nation verpflichtet, deren Kultur er durch Neutöner wie Ferruccio Busoni oder Arnold Schönberg gefährdet sah. Er wollte demgegenüber am romantischen Konzept des schöpferischen Genies festhalten, und dieses sah er durch Schopenhauers Sentenz wohl bestätigt. Pfitzner war nicht der einzige Künstler, der eine starke Affinität zu diesem pessimistischen Philosophen aufwies. Nicht zuletzt Richard Wagner war phasenweise ganz im Banne Schopenhauers gestanden. Doch auch darüber hinaus gilt Schopenhauers Philosophie als besonders anschlussfähig für die Künste, und dies aus einem nachvollziehbaren Grund: Kaum ein Denker hatte der Kunst, vor allem der Musik, eine derart wichtige Rolle zuerkannt wie Schopenhauer. Nur in der Kunst, nur in der Vorstellung, nur durch das Schöne gelingt es dem Menschen, sich wenigstens für Momente von jenem prekären, unerbittlichen Willen zum Leben, der weniger Lust als vielmehr Leid bedeutet, zu befreien. Für Schopenhauer war das irdische Dasein karg, kurz und qualvoll. Nur in der Kunst können wir die damit verbunde-

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nen Nöte und Notwendigkeiten außer Kraft setzen. Aber – und dies darf nicht übersehen werden: Die Kunst bleibt eine »ätherische Zugabe«, ein Darüberhinaus, nicht ein Stattdessen. Die Kunst wendet sich nicht gegen das Leben, sie will nur nichts mit diesem zu tun haben. Die Kunst ist für Schopenhauer das Vermögen, geistige Fähigkeiten nicht zweckgebunden, sondern zweckfrei einzusetzen und dadurch, unbeeinflusst von den Begierden und Trieben des Leibes, einen wahren Blick auf die Welt zu gewinnen. An anderer Stelle, aber in unmittelbarer Nähe zu der von Pfitzner zitierten Passage, schreibt Schopenhauer: »Um originelle, außerordentliche, vielleicht gar unsterbliche Gedanken zu haben, ist es hinreichend, sich der Welt und den Dingen auf einige Augenblicke so gänzlich zu entfremden, dass einem die allergewöhnlichsten Gegenstände und Vorgänge als völlig neu und unbekannt erscheinen, als wodurch eben ihr wahres Wesen sich aufschließt. Das hier Geforderte ist aber nicht etwa schwer, sondern es steht gar nicht in unserer Gewalt und ist eben das Walten des Genius.« In diesen Überlegungen findet sich jenes Konzept formuliert, das Hans Pfitzner begeisterte und das den Kern seines Palestrina bildet: der schöpferische Einfall als Fundament der Kunst. Die Geister der verstorbenen Meister und die Stimmen der Engel symbolisieren im ersten Akt jene innere künstlerische Kraft, die Palestrina schon längst versiegt glaubte. Gerade das Genie – und das muss betont werden – ist nicht Herr über seinen Schaffensprozess; das Kunstwerk, das uns über die Welt hinweg-, aber dadurch zu ihrer Erkenntnis trägt, ist nicht das Resultat eines methodisch abgesicherten und durch

Regeln vorgegebenen Tuns, es entzieht sich unserem Willen. In der Kunst leuchtet das schlechthin Unverfügbare auf. Vielleicht vermag sie uns gerade deshalb so tief zu berühren. Wenn man es gut mit Pfitzner meint, könnte man sagen, dass ihn sein Genie davor bewahrt hat, eine Oper zu komponieren, die seinen politischen Ansichten entsprochen und diese widergespiegelt hätte. Denn nahezu nichts in Palestrina erinnert an die nationalistischen Töne des damals kriegsbegeisterten Musikers. Er hat sich als Stoff kein deutsches Heldenepos, keine Szene aus der deutschen Geschichte gewählt, auch keine Legende um einen deutschen Tonsetzer gesponnen, sondern versucht, sich in einen italienischen Komponisten der Renaissance einzufühlen, der sich nicht nur von einem kulturpolitischen Auftrag, sondern auch von künstlerischen Entwicklungen überfordert fühlt. Die Meister, die Palestrina ins Gewissen reden, repräsentieren unterschiedliche musikalische Traditionen, das Konzil von Trient stellt in all seiner Turbulenz ein buntes Nationengemisch dar, und letztlich rettet Palestrina durch seine gelungene Missa Papae Marcelli den ästhetischen Aspekt der katholischen Gegenreformation, die sich vorrangig gegen die deutschen Protestanten richtete. In den Prügelszenen des Konzils eine karikierende Anspielung auf den modernen Parlamentarismus zu sehen, reicht nicht aus, um Palestrina auf den musikalischen Ausdruck einer prekären politischen Ideologie zu reduzieren. Tatsächlich steht die Musik selbst im Zentrum dieser Oper, und auch dies in einer eigenartigen Ambivalenz. Anders als Pfitzner, der als Theoretiker das Neue, die Avantgarde scharf ablehnte, reagiert Palestrina angesichts der Be-

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DIE ÄTHERISCHE ZUGABE

strebungen seines Schülers Silla, neue Wege in der Musik zu beschreiten, seltsam einsichtig. Nicht nur konzediert er dem Jungen, »voll von Gottesgabe« zu sein, sondern er überlegt sogar, ob der rebellische Knabe nicht recht haben könnte: »Wer kann es wissen, ob jetzt die Welt nicht ungeahnte Wege geht, / Und was uns ewig schien, nicht wie im Wind verweht?« Vor allem der dritte Akt macht dann klar, dass Pfitzner seinem Palestrina, anders vielleicht als sich selbst, keinen musikalischen Triumphzug, sondern nur eine stille, vielleicht sogar resignative innere Versunkenheit gönnte. Erst unter diesen Voraussetzungen wird deutlich, wie die ungeheure Diskrepanz zwischen der »ätherischen Zugabe«, diesem »wohlriechenden Duft«, der sich aus Gärung, also einem Verfallsprozess, entwickelt, und dem »weltlichen Treiben, dem eigentlich realen, vom Willen geführten Leben der Völker«, zu lesen ist. Wohl wurzelt die Kunst in den fatalen Verstrickungen und Zerfallsprozessen des Lebens, aber sie vermag deren üblen Gerüche umzubiegen in eine reine und unschuldige Anschauung. Aus den Zerfallsprodukten der Geschichte formt Kunst das Schöne. Das Werk des Genies schlägt uns in seinen Bann, lässt uns alles andere vergessen und eröffnet uns nach Schopenhauer die Möglichkeit, uns für Augenblicke aus dem »endlosen Strom des Begehrens und Erreichens« herauszuheben und vom »Sklavendienst des Willens« zu befreien. Als Kraft, die uns von den Widrigkeiten des Daseins suspendiert, hat die Kunst keinen Anteil an dem Verhäng-

nis der Wirklichkeit. Sie bildet mit Philosophie und Wissenschaft eine eigene, abgehobene Sphäre. Nur die Kunst, das Werk, nicht aber der Künstler als individuelle Person ist in diesem Sinne schuldlos gegenüber den Brutalitäten des weltlichen Geschehens. Sofern der Künstler nicht seiner Kunst, sondern anderen Mächten dient, ist er deren Gesetzen und Begierden unterworfen. Das Werk dispensiert seinen Schöpfer nicht von seiner moralischen und politischen Verantwortung. Wohl aber leistet das Genie durch seine Arbeit einen Beitrag zu jener anderen, nicht blutgetränkten Geschichte der Menschheit, die zu einer Entfaltung von Erkenntnis durch Schönheit führt. Ein Künstler wie Palestrina, der einen kulturpolitischen Auftrag erfüllen soll, ist deshalb in einem besonderen Maße ein Zerrissener, da Kunst und Politik nie auf einen Nenner gebracht werden können. Keine Frage: All das sehen wir heute anders, und wir fordern gerne die Einheit von künstlerischer Anstrengung und politischem Engagement. Viele Menschen werden diese romantische, auf Schopenhauer fußende Genieästhetik wohl nicht mehr teilen. Die Einsicht allerdings, dass es zu den zutiefst humanen Ansprüchen zählt, nicht alles dem Gesetz des Willens, also dem Gesetz der Macht und der Gier, zu unterwerfen, sondern darauf zu insistieren, dass wir Wesen sind, die an einer Welt des Geistes, der Schönheit und der Freiheit teilhaben können, die weit über die unmittelbaren Bedürfnisse des Lebens hinausgeht, scheint in unserer krisengeschüttelten Zeit unverzichtbarer denn je.

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DIETRICH FISCHER-DIESKAU

ZUR PALESTRINA- DICHTUNG Pfitzners Musikalische Legende Palestrina ist häufig im Zusammenhang mit der Geschichte des deutschen Künstlerdramas gesehen worden. Die Berechtigung dazu bei einem Bühnenwerk, das eigentlich der Gattung Oper, besser wohl dem Musikdrama zugehört, das erst durch die Musik auf der Szene lebensfähig wird, ergibt sich aus dem hohen literarischen Rang, der diesen »Operntext« über den üblichen Librettostil erhebt. Zwar handelt es sich bei der Personalunion von Wort- und Musikschöpfer nicht um den einzigen Fall seit Richard Wagner. Pfitzners geistiger Gegner und einst von ihm arg gezauster Kontrahent Ferruccio Busoni mit seinem Doktor Faust gesellt sich ebenso hinzu wie Paul Hindemith mit seinem Mathis der Maler. In allen drei Werken, in denen ich singen durfte, erhält die schöpferische Begabung des Musikers das Primat, und sie sind sich deshalb näher, als es zunächst den stilistischen Anschein hat. Pfitzners musikalische Legende potenziert sich allerdings zu selbstständiger poetischer Leistung, und so können wir mit ihrem Komponisten berechtigt fragen, »wie es kommt, dass das größte Werk eines Komponisten eine Dichtung ist, das, weil es zugleich einen seiner musikalischen Höhepunkte darstellt, sein eigentliches Lebenswerk genannt werden muss«. Wir Nachgeborenen dürfen behaupten, dass sich ein solcher Höhepunkt aus dem Charakter des Werkes als Summe des Leidens, Erlebens, Schaffens und Denkens erklärt. Pfitzners Hauptwerk diagnostiziert die Einsamkeit des schöpferischen Menschen und handelt somit von einer Grunderfahrung des Komponisten. Heute wissen wir, dass das Selbstverständnis des Künstlers in eine Krise geraten war, die die hervorragenden Geister jener Zeit eben auch in musikalischen

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ZUR PALESTRINA-DICHTUNG

Bühnenwerken zu erhellen suchten. Als ich zunächst den Morone, später den Borromeo studierte, ging es mir wie bei Wagner: ich sah beim ersten Lesen des Textes die andere, komplettierende Hälfte, die Musik vor mir, die dann die Erwartungen natürlich noch weit übertraf. Die Spiritualisierung der Oper schien mir im Palestrina so weit gediehen zu sein, dass rein Gedankliches szenisch in Erscheinung zu treten gezwungen wird. Pfitzner tat dies auf so anschauliche Weise, dass keine Verödung der Szene eintreten konnte und dass sich das, was er sagen wollte, völlig einleuchtend mitteilt. Auch die vielfach angegriffene, ja, geschmähte Proportion der drei Palestrina-Akte ist und bleibt ein Beispiel für geistgeführte Dramaturgie. Wie es das Sujet aus dem 16. Jahrhundert forderte, kam ein Element der Musik zu Hilfe, das der romantischen Vorliebe für das Vergangene genügen konnte und dabei – zur Entstehungszeit um den Ersten Weltkrieg – auf damals noch ungeahnte künftige Möglichkeiten der Beschreibung des Archaischen hinzielte. Das Wunder bleibt, dass Pfitzner mit sparsamem Aufwand Archaisches erfand, ohne historische Formen zu wiederholen. Pfitzner verwirklichte eine Vision des von ihm so hochverehrten Ernst Theodor Amadeus Hoffmann: der Komponist möge sein eigener Textdichter sein. Es ist schade, dass Pfitzner diese Personalunion auf die Arbeit am Palestrina begrenzte, denn er erreichte eine Spiritualisierung des Operntextes, ein Libretto ohne Manierismen, eine Dichtung, die mit ihrem Rang einer nicht mehr ganz autonomen Musik zur Verfügung stand.

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MICHAEL BERGER

SELBST SCHON MUSIK DIE SPRACHE DES PALESTRINA Am Schluss von Hans Pfitzners autobiographischem Aufsatz Philosophie und Dichtung in meinem Leben lesen wir ein erstaunliches Bekenntnis: »Dasjenige Werk jedoch, das in Wahrheit eine große Dichtung genannt werden darf, ist der Palestrina. Wie es kommt, dass das größte Werk eines Komponisten eine Dichtung ist, das, weil es zugleich einen seiner musikalischen Höhepunkte darstellt, sein eigentliches Lebenswerk genannt werden muss, das zu erklären ist hier nicht der Ort. Jedenfalls bildet die schicksal-umwitterte Konzeption dieses Werkes den Gipfel meines künstlerischen Lebens.« Dass die Musik hier fast als Nebensächlichkeit dargestellt wird, ist sicher überspitzt, macht aber auf einen bedeutenden Punkt aufmerksam: Für Pfitzners Verständnis des musikalischen Dramas ist die Qualität der Dichtung von fundamentaler Bedeutung. In seiner Abhandlung Zur Grundfrage der Operndichtung fordert er, direkt an Wagner anknüpfend, das Ineinandergreifen von musikalischem Einfall und dichterischer Idee als Basis des Kunstwerks. Die letzte Konsequenz daraus, nämlich die Personalunion von Kompo-

nisten und Textdichter, die Wagner für sich gezogen hatte, stand aber für den Palestrina nicht von vornherein fest: »Ich fühlte mich nicht als Dichter und hatte ja auch nie mich auf diesem Gebiet versucht, wenigstens nicht in nennenswerter Weise«, so Pfitzner retrospektiv in einem Vortrag zur Entstehung des Palestrina. Das aber sollte sich rasch ändern. Im August 1911 beendet Pfitzner das Textbuch und konstatiert, dass er sich »in dieser ganzen Zeit gar nicht als Komponist fühlte«. Die Art und Weise, in der Pfitzner verschiedenen Szenen durch sprachliche Mittel ein je eigenes Kolorit und eine je bestimmte Dynamik verleiht, hat jedoch sehr wohl etwas Musikalisches an sich. Dies lässt sich gut anhand des Szenenkomplexes am Ende des ersten Aktes nachvollziehen. Im großen Monolog Palestrinas über die Sinnlosigkeit des irdischen Daseins (I, 4) wird Palestrina zunächst als genialer Künstler im romantischen Sinne vorgestellt, der, Schopenhauer zufolge, immer auch der Melancholie zugeneigt ist. Als solcher steht er dem eitlen Treiben der gesellschaftlichen Welt gegenüber, und an diesem Gegensatz verzweifelt er –

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SELBST SCHON MUSIK

ein seit der Frühromantik Tiecks und Wackenroders gängiger Topos, der auch die strukturelle Grundlage der Oper bildet. Diese Grundsituation wird hier in einem mustergültigen soliloquy entfaltet, der auch auf die Sprechtheaterbühne passen würde. Verfasst ist er in Blankversen, also ungereimten fünfhebigen Jamben, dem seit Lessing klassischen Metrum der Bühnendichtung. Die Häufung von Exklamativsätzen verleiht der Rede dramatischen Ausdruck, inhaltlich stellen sich Assoziationen zur Weltverdrossenheit Fausts und zu den Suizidgedanken Hamlets ein, die Orientierungslosigkeit des Individuums wird in ein fast wörtliches Zitat aus Dantes Divina Commedia gefasst: Wie schrecklich, Sich plötzlich einsam tief im Wald zu finden, Wo in der Finsternis kein Ausweg ist. So in der Mitte find’ ich mich des Lebens […] Am Ende der Rede dann eine nochmalige Steigerung der Intensität, in Wortwiederholungen kommt die emotionale Überspanntheit zum Ausdruck, die fragmentierte Syntax zeigt die Zerrissenheit der Figur: Ob ich’s vermöchte? – Nein, ach nein! Wozu, Wozu das alles – ach wozu – – – wozu? Darauf antwortet der Chor der Alten Meister (I, 5), der inzwischen geisterhaft erschienen ist, und dieselben Stilmittel sorgen nun für einen gänzlich anderen Effekt: Die abgehackten Sätze Palestrinas zeigen seine Verblüffung, die repetitiven Äußerungen der Alten

Meister geben ihrer Rede eine mystischurtümliche Färbung: PALESTRINA Vertraut, von je vertraut – Aus urversunk’ner Zeit – – – – – – – DIE MEISTER Vertraut – vertraut auch du – Auch du uns – vertraut. Die darauffolgenden Kompositionsszene (I, 6) ist in stufenweiser Steigerung arrangiert. Die Meister verschwinden und Palestrina ruft, in Anlehnung an Psalm 130 (De profundis), »[a]llein in dunkler Tiefe […] laut nach oben«. Und nun setzen die Engelschöre ein, den Beginn der Marcellusmesse zitierend: »Kyrie eleison«. Palestrina »ergreift mechanisch die Feder« und wiederholt das Diktierte: »Kyrie eleison«. Im weiteren Verlauf der Szene wird der Gesang der Engel mit Palestrinas Reflexion seiner wiedererwachenden Kreativität überblendet. Diese beginnt mit einer Reihe immer deutlicher alliterierender Fragen (hier durch Fettdruck hervorgehoben): Ist wo ein Liebesquell? Wenn nicht auf Erden Er warm ins Herz mehr fließt Ach, wo ergießt Er lind sich dem Müden? Was erschließt Was sich dem suchenden Blick? Wer bringt den Frieden? Wieder antworten die Engel: »Christe eleison«, und Palestrina notiert: »Christe eleison«. Dann: schöpferische Ekstase, geheimnisvolle »Schöpferlust«. Die Sprache verdichtet sich formelhaft in einzelnen Exklamationen, in denen die neugefundene schöpferische Ener-

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MICHAEL BERGER

gie affirmiert wird: »Allmacht – Geheimniskraft!« Die Tendenz zur Alliteration steigert sich zu wagnerianischem Staben: »Wunder ist Möglichkeit, allwo sie weit Welten schafft!« Dann der erneute Ausruf: »Liebes-Mysterium!«, und Palestrinas verstorbene Frau Lukrezia erscheint. Ihren Segenswunsch – »Frieden auch dem auf Erden, / Der guten Willens ist« – wiederholen die Engel auf Latein: »In terra pax hominibus bonae voluntatis«, zitiert aus dem Gloria. Palestrina wendet sich schließlich nochmals, wie zu Beginn der Szene, »nach oben« und dankt der »ewige[n] Liebesmacht / Die den Frieden gebracht«. Wieder folgt das Echo der Engel, die nun aus dem Agnus dei zitieren: »Dona nobis pacem.« Durch die Verfugung mehrerer sich überlagernder Sprecherebenen, die inhaltlich aufeinander Bezug nehmen, gelingt es Pfitzner, den erlösenden Schöpfungsakt als sukzessive Vereinnahmung der Immanenz durch die Transzendenz zu inszenieren. Solche Dynamisierungen und Steigerungsfiguren sind charakteristisch für die sprachliche Struktur des Palestrina-Textes. Ein zentrales Werkzeug dafür ist auch die metrische Variation, wie Bernhard Adamy herausgearbeitet hat. Pfitzner arbeitet vielfach mit freier Versfüllung, einem Prinzip, das von Wagner für das Musiktheater fruchtbar gemacht wurde und das verschiedene Wirkungen erzeugen kann. In den schnellen Wortwechseln und hitzigen Streitszenen des zweiten Akts etwa wird so öfter eine prosaähnliche Diktion erreicht. Anders in Borromeos großem Monolog, in dem er Palestrina mit der Komposition der Messe beauftragt (I, 3). Das Konzil von Trient schildert er in Vierhebern, die aufgrund ihrer unregelmäßigen Füllung knittelversar-

tig wirken. Der Versbau gibt der Rede etwas Spielerisch-Zwangloses, das zur Würde des Trienter Konzils nicht recht zu passen scheint. Die zahlreichen Latinismen, die insbesondere im Reim stehen, verstärken diese Reibung noch (die Hebungen sind unterstrichen): Demnach ist nun die letzte Session Am kommenden dritten November schon. Es fehlt nun auch noch ein Dekret, Das auf manche inn’re Reformen geht. Das Reimschema ist hier komplex, neben Paarreimen (aabb) werden auch ineinandergreifende Kreuz- (abab) und umarmende Reime (abba) sowie Reimwaisen eingesetzt. Mit der konkreten Formulierung des Auftrags an Palestrina aber verändert sich der Charakter von Reim und Metrum: Die Vierheber werden nun aus regelmäßigen Jamben mit abwechselnd weiblicher und männlicher Kadenz gebildet und kreuzweise gereimt. Diese Form entspricht der sogenannten Schäferliedstrophe, die nah mit der Hymnenstrophe verwandt ist und der Rede einen feierlichen Gestus verleiht, ohne statisch zu wirken. Die letzte dieser Strophen etabliert dann auch auf der Bildebene einen Höhepunkt, indem Borromeo die bestellte Messe, nicht ohne Pathos, mithilfe einer architektonischen Metapher umschreibt: Auf, Meister! Euch zum ew’gen Ruhme, Zur Rettung der Musik in Rom, Der höchsten Spitze Kreuzesblume Setzt auf der Töne Wunderdom! Die klimaktische Gestaltung in Versbau und Bildsprache am Ende des Monologs signalisiert deutlich die epochale Rele-

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vanz des Kompositionsauftrags. In anderen Szenen werden über die sprachliche Ebene einzelne Figuren charakterisiert. So wählt Pfitzner für Ighinos Bericht über Palestrinas Verhaftung und die Übergabe der Messe (III, 1) eine recht frei gefüllte Volksliedstrophe, also Dreiheber mit abwechselnd weiblichen und männlichen Kadenzen. Dies ist eine der Lieblingsformen der Romantiker und findet sich beispielweise häufig bei Eichendorff, den Pfitzner sehr verehrt und dessen Gedichte er vielfach vertont. Der balladenhaft-erzählende Ton gibt der Figur, gemeinsam mit der Schlichtheit der Sprache, eine ungekünstelte Zärtlichkeit und kindlich-naive Unschuld: Als sie dich griffen und banden An jenem schrecklichen Tag, Nicht hab’ da die Welt ich verstanden, Wo solches geschehen mag. Anders hingegen bei Palestrinas Schüler Silla, der für die von Pfitzner verachteten »Futuristen« des beginnenden 20. Jahrhunderts steht. Dieser ist hingezogen zu »Dilettanten in Florenz«, die »[a]us heidnischen, antiken Schriften / Sich Theorien künstlich ausgedacht« (I, 3). Gemeint ist die Florentiner Camerata um Giovanni de’ Bardi, die sich in Rückbesinnung auf die griechische Antike der Monodie verschrieb. Dieser Rückbezug spiegelt sich im sprachlichen Register, das in Sillas Liebeslied (I, 1 und 2) gezogen wird: Durch den Einsatz stereotyper Versatzstücke – Nymphe, Schäfer, elysischer Hain – wird der topische Schönheitspreis mit einer antikisierenden Patina überzogen. Und noch an einer anderen Stelle des Palestrina ist die Sprache antikisierend, dort aber mit völlig anderer Wirkung. Die Ansprache

von Papst Pius (III, 2) ist nämlich in elegische Distichen gefasst: Wie einst im himmlischen Zion Johannes der Heilige hörte Singen die Engel der Höhe, also lieblich und hehr. Das antike Versmaß, das in der Weimarer Klassik auch in der deutschen Sprache ihren Höhepunkt fand, verleiht den Worten des Papstes Gravität und Erhabenheit. Solche punktuell gesetzte sprachliche Details generieren Bedeutungseffekte, die inhaltlich Verhandeltes auf der formalen Ebene unterstreichen. Diese wenigen Beispiele dürften gezeigt haben, dass Dichtung bei Pfitzner nicht bloßer Stoff ist, nicht nur Mittel zum Zweck, sondern zentrale Komponente seiner dramatischen Konzeption. Sprache charakterisiert im Palestrina Situationen und Figuren, treibt Szenen voran, reguliert Tempo und Intensität der Handlung. Der Einfluss Wagners zeigt sich dabei nicht nur in der musikdramatischen Konzeption des Werks, sondern auch in der sprachlichen Form: Dies betrifft zum einen die relativ freie Silbenfüllung der gebundenen Rede, die manchmal an die Meistersinger von Nürnberg erinnert, in der Inspirationsszene aber auch die Tendenz zur sprachlichen Verdichtung und den punktuell aufblitzenden Stabreim. Darüber hinaus aber hallt im Palestrina die breite dichterische Tradition der deutschen Romantik wider, sowohl in Bezug auf die zentrale Kunstthematik als auch in der Bildsprache und dem formalen Bau der Dichtung. Pfitzner bedient sich einer künstlerisch geformten, manchmal leicht altertümelnden, aber stets zugänglichen, syntaktisch und stilis-

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tisch relativ schlichten Sprache. Die angestrebte Natürlichkeit und Einfachheit ist durchwegs spürbar. Dies mag dazu führen, dass sich hie und da »Härten, Cruditäten, scheinbare Dilettantismen« im Text finden, wie Thomas Mann in einem Brief an Pfitzner schreibt. Und tatsächlich begegnen immer wieder auch ungelenke Verse, kauzige Formulierungen, gezwungen wirkende Reime. Doch dieser Eindruck sei, so Mann weiter, Konsequenz einer verfehlten Rezeption, nämlich einer von der Musik losgelösten Betrachtung des Textes: »Das Bezeichnende aber

ist, dass das Sprachliche immer nur an solchen Stellen unzulänglich wirkt, wo man versucht ist, es absolut, als direktes dichterisches Mittel zu nehmen, – niemals dort, wo die Worte nicht sowohl für die Musik geschrieben, als vielmehr aus der Musik geboren und eigentlich selbst schon Musik sind[.]« Trotz des Augenmerks, das Pfitzner seiner Dichtung beimaß, darf sie nicht als selbstgenügsam angesehen werden: Erst in Verbindung mit der Musik erschließt sich die geistige Aussage, deren Vermittlung Pfitzner als Kernaufgabe des musikalischen Dramas galt.

Ausgewählte Literatur Bernhard Adamy: Hans Pfitzner. Literatur, Philosophie und Zeitgeschehen in seinem Weltbild und Werk, Tutzing: Schneider 1980 (Veröffentlichungen der Hans Pfitzner-Gesellschaft 1). Bernhard Adamy: Das Palestrina-Textbuch als Dichtung. In: Symposium Hans Pfitzner, Berlin 1981. Tagungsbericht, hrsg. von Wolfgang Osthoff, Tutzing: Schneider 1984 (Veröffentlichungen der Hans Pfitzner-Gesellschaft 3), S. 21–68. Sabine Lichtenstein: »Something uncommonly German«: Hans Pfitzner’s Palestrina, Eine musikalische Legende. In: »Music’s Obedient Daughter«. The Opera Libretto from Source to Score, hrsg. von Sabine Lichtenstein, Amsterdam/New York: Rodopi 2014 (Textxet 74), S. 325–357. Thomas Mann: Brief an Hans Pfitzner, 19. Mai 1917. In: Briefe 1889–1936, Frankfurt a. M.: Fischer 1962, S. 135f. Hans Pfitzner: Palestrina. Ein Vortrag über das Werk und seine Geschichte. In: Reden, Schriften, Briefe. Unveröffentlichtes und bisher Verstreutes, hrsg. von Walter Abendroth, Berlin: Luchterhand 1955, S. 23–34. Hans Pfitzner: Philosophie und Dichtung in meinem Leben. In: Reden, Schriften, Briefe. Unveröffentlichtes und bisher Verstreutes, hrsg. von Walter Abendroth, Berlin: Luchterhand 1955, S. 35–44. Hans Pfitzner: Zur Grundfrage der Operndichtung. In: Gesammelte Schriften, Bd. 2, Augsburg: Filser 1926, S. 5–97.

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HANS PFITZNER


KOPFZEILE

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»DAS INNERSTE DER WELT IST EINSAMKEIT« ANMERKUNGEN ZUR MUSIK VON HANS PFITZNERS PALESTRINA Pfitzners Palestrina ist schon rein inhaltlich mit keinem anderen musikdramatischen Werk von ähnlicher Größenordnung zu vergleichen. Es geht darin um Wichtigeres als die sonst üblichen erotischen Konflikte. Zur Diskussion steht die Frage der künstlerischen Inspiration und somit das Kernproblem jeder großen Kunst, die die Zeiten überdauert. Als »Objekt« der Darstellung wählte Pfitzner Palestrina, einen Komponisten des 16. Jahrhunderts. Dies sollte für den musikalischen Stil des Werkes entscheidende Folgen haben. In intensiver schöpferischer Synthese verbindet Pfitzner in seinem Meisterwerk Stilelemente der Renaissancemusik mit den Errungenschaften seines eigenen Schaffens. Für primitive Stilkopien ist in dem Werk kein Platz. Auch geht es Pfitzner keineswegs nur um »Kolorit«. Vielmehr gelingt es ihm, sich derart intensiv in den Geist der alten Musik zu versenken, dass dieser schließlich der Pfitznerʼschen Inspiration und damit Pfitzners absoluter Schaffensautorität Richtung und Ziel

weist. Das aufsteigende Quinten- und Quartenthema, mit dem das Vorspiel zum ersten Akt beginnt, fasst den Stil des Werkes paradigmatisch zusammen. Als Pfitzner und Richard Strauss mit ihren musikdramatischen Werken hervortraten, war das Œuvre Richard Wagners längst künstlerischer Allgemeinbesitz geworden. Die stilistischen Errungenschaften des Bayreuthers galten als unabdingbare Gegebenheiten für das eigene Schaffen. Vor allem Wagners Leitmotivtechnik, die in Tristan und Isolde und vor allem in Götterdämmerung und Parsifal eine unerhörte Verfeinerung erfahren hatte, wurde für seine Nachfolger von entscheidender Bedeutung.

LEITMOTIVE UND SYMBOLISCHE TONGESTALTEN Auch in Pfitzners Palestrina gibt es Leitmotive. Das Motiv des Titelhelden bezieht seine musikalische Substanz aus der Sprachmelodie des Namens

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»Pierluigi«. Palestrinas Sohn Ighino ist leitmotivisch ebenso gekennzeichnet wie die verstorbene Gattin Lukrezia. Daneben aber weist das Werk auch eine Fülle »allgemeiner« Motive auf, die bestimmte, rational nicht immer ganz genau bestimmbare Sachverhalte musikalisch symbolisieren. Die motivische Charakterisierung kann mitunter mit geradezu stenografischer Präzision erfolgen. Ein einzelner Akkord, eine einzige charakteristische Dissonanzauflösung oder eine nicht minder charakteristische Verzögerung eines derartigen harmonischen Vorganges vermögen Assoziationen an analoge Inhaltssituationen zu wecken. Dann wieder offenbart die Musik tiefe geistige Zusammenhänge, etwa zwischen Palestrinas edlem Konservativismus und der Stadt Rom oder zwischen dem Schüler Silla und dem »Modernisten« Bardi und der Stadt Florenz, die mit den jeweils gleichen Tongestalten musikalisch symbolisiert werden. Mit einem besonders schönen und feierlichen Thema wurde Palestrinas »echter Ruhm« bedacht, der still und mit der Zeit sich um ihn legte wie ein Feierkleid. Ein Bekenntniswerk vom Range des Palestrina vermittelt vornehmlich auch geistige Anschauungen und Überzeugungen. Derartige Intentionen aber sind auch für den Stil eines solchen Werkes von eminenter Bedeutung. Fast zwangsläufig muss es Reden und Monologe geben, in denen zum Ausdruck gebracht wird, was dem Komponisten am Herzen liegt. Die lange Borromeo-Szene im ersten Aufzug ist ein signifikantes Beispiel für diese stilistische Komponente des Werkes. Gerade an solchen Stellen aber erweist es sich, dass Pfitzner ein begnadeter Musikdramatiker war, der auch bei der Darstellung theologischer und

ästhetischer Fragen der Kirchenmusik nicht in einen akademisch-trockenen Stil verfiel, sondern die Fähigkeit hatte, auch hier musikdramatisch wirksam zu bleiben. Der formale Aufbau dieser »Borromeo-Rede« ist zwingend, ihr Höhepunkt symphonisch tief begründet. Das innerste Singen dieses Werkes hebt an, sobald Palestrina, nachdem Borromeo in höchstem Zorn von ihm geschieden, mit seinem Monolog beginnt. (»Der letzte Freund, der mir noch wohlgesinnt...«) Jetzt legt der Dichterkomponist Pfitzner sein tiefstes künstlerisches Bekenntnis ab. Die Musik wird immer feinnerviger und differenzierter, ihre linearen Spannungen erreichen ein Höchstmaß an Ausdruckskraft und Sensibilität, wobei vor allem das innerhalb der Tonalität als scharfe Dissonanz bekannte Intervall der großen Septime eine wichtige Rolle spielt. (Wir werden ihm im zweiten Akt mit ganz anderer Zweckbestimmung, nämlich jener, die grauenhafte Wirklichkeit der Folter musikalisch zu beschwören, wiederbegegnen.) »Das Innerste der Welt ist Einsamkeit«, bekennt Palestrina in diesem Monolog und spricht damit eine ganz tiefe Wahrheit aus. Dass die Erkenntnis dieser Wahrheit nicht zu Lethargie und Pessimismus führen muss, sondern eine künstlerische Kraftquelle ersten Ranges sein kann, beweist Pfitzners Musik in jedem Takt dieses Werkes.

SYNTHESE UND METAPHYSIK Pfitzners Tonsprache erhält einen in dieser Intensität in der Oper kaum bekannten metaphysischen Aspekt, sobald die Erscheinungen der neun verstorbenen Meister der Tonkunst sichtbar werden. Nunmehr findet auch die Synthese aus

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HELLMUTH HERRMANN

dem mit größter Einfühlung beschworenen Geist der Musik des 15. und 16. Jahrhunderts mit jenem der hypersensiblen Pfitznerʼschen Spätromantik ihre schönste künstlerische Erfüllung. Josquin de Près und Heinrich Isaac (TedescʼEnrico) werden namentlich genannt und antworten musikalisch prägnant und mit zu Herzen gehender Würde. Kirchentonale Kadenzformen fügen sich mühelos in den Duktus des Pfitznerʼschen Personalstiles. Und auch in der berühmten Szene der die Komposition der Messe auslösenden Engelserscheinungen fällt es schwer, zwischen »Zitat« und Eigenerfinden zu unterscheiden. Tatsächlich zitiert Pfitzner in freier Umgestaltung nur das »Kyrie eleison«, das »Christe eleison« und Teile des »Gloria« aus der Missa Papae Marcelli von Palestrina. Wir gewinnen aber den Eindruck, als hörten wir die ganze Messe. In meisterlicher »perspektivischer« Verkürzung führt uns Pfitzner das kirchenmusikalische Schlüsselwerk vor, dem hier die Aufgabe zufällt, den Primat der schöpferischen Inspiration in der Musik zu dokumentieren. Schöner, überzeugender, ergreifender und sicherlich auch romantischer hätte Pfitzner seine innerste Überzeugung nicht formulieren können!

MUSIKDRAMATISCHE MEISTERSCHAFT Immer schon, seit den Tagen der Uraufführung, war der zweite Akt des Werkes eine Quelle des Missverständnisses. Die Schaffensnöte eines Komponisten als Inhaltssujet einer Oper mochte das Publikum noch hinnehmen. Kaum aber die ausführliche Auseinandersetzung mit einem historischen Vorgang wie der Vorbereitung einer feierlichen

Sitzung des Konzils von Trient. Die Fülle historischer Details und Anspielungen musste, auch wenn sie Pfitzner schon rein textlich mit größter Plastik vermittelte, auf manchen Opernbesucher verwirrend wirken. Und dabei ist gerade der Konzilsakt ein Ehrfurcht gebietendes Dokument musikdramatischer Meisterschaft, die sich schon im Vorspiel, dem symphonischen Prunkstück der Oper, in vehementer Weise manifestiert. Das motivische Geflecht erreicht höchste Dichte. Durch thematische Kombinationen alle Art, durch die symphonische Umdeutung einzelner Motivteile erschafft Pfitzner eine musikalische Welt, deren Geschlossenheit ebenso beeindruckt wie ihre farbenreiche Lebendigkeit. Morones Anrufung des Heiligen Geistes und seine lange Ansprache verfehlen sicher auf den unbefangenen Opernbesucher nicht ihre Wirkung. Ernst, Feierlichkeit und Würde geben dieser Musik ihr unverwechselbares Profil. Beziehungen zur Welt des ersten Aktes ergeben sich vor allem im Gespräch mit Borromeo, dann aber auch in der erwähnten Rede Morones, wenn dieser den Wunsch des Kaisers, es möge bleiben »aus großer Meister Zeit das wohlerfundʼne Alte ... « der hochansehnlichen Versammlung zur Kenntnis bringt, und schließlich in der Diskussion über die Komposition der Messe, wenn Borromeo lapidar feststellt: »Die Messe wird geschrieben.« Das symphonische Fundament dieses Konzilakts ist überaus tragfähig. Kurze Charakteristiken sind als Kontrastwirkung von großer Bedeutung, stellen aber den festgefügten formalen Rahmen nie in Frage. In diesem Zusammenhang ist auf die musikalisch so ergreifend geschilderte Gestalt des Patriarchen Abdisu ebenso hinzuwei-

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sen wie auf den Bischof von Budoja und seine spätere »Predigt«, in der sich der strenge Meister Pfitzner von einer ungewohnt burschikosen, unbekümmert virtuosen Seite zeigte. Aber auch die Arroganz des Grafen Luna, die bärbeißige Frömmigkeit Madruschts und die verhaltene Spiritualität des Brus von Müglitz, dem offensichtlich Pfitzners besondere musikalischen Sympathien galten, sind wichtige Farbtöne auf diesem historischen Teppich, der da vor uns ausgebreitet wird; nicht minder die bezaubernden musikalischen Charakterisierungen der Städte Bologna und Trient und der leitmotivisch bedeutsame Spottkanon der Spanier auf die beim Konzil zahlenmäßig dominierenden Italiener. Vielleicht wird man erst heute der Tatsache inne, wie suggestiv es Pfitzner in diesem Konzilsakt gelungen ist, die Wirklichkeit der parlamentarischen Demokratie zu beschwören. Und der furchtbare Schluss des Aktes könnte als Mahnung genommen werden, auch scheinbar unüberbrückbare Gegensätze mit den Mitteln solider Argumentation zu lösen zu versuchen und nicht zu warten, bis sie auf der Straße oder gar auf dem Schlachtfeld den unschuldigen Massen zum Verhängnis werden.

VERINNERLICHUNG Milde Verklärung kennzeichnet die Musik des dritten Aktes, dessen Grundstimmung schon im Vorspiel – bezeichnenderweise steht es ebenso wie das Vorspiel zum dritten Akt Parsifal in bMoll – beschworen wird. Auch der feierliche Triumph der Papst-Szene verlässt nicht die Sphäre tiefer Verinnerlichung, die diesem Akt seinen eigentümlichen Zauber verleiht. Und auch die begeisterten »Evviva«-Rufe und Ighinos so vitale Freude über den künstlerischen Sieg des Vaters sind nicht mehr als ein wirkungsvoller Kontrast. Dominierend bleibt der Gefühlsbereich seliger, erfüllter Einsamkeit: »Nun schmiede mich, den letzten Stein an einem deiner tausend Ringe, du Gott – und ich will guter Dinge und friedvoll sein.« Und wenn ganz am Schluss der musikalischen Legende Palestrina leise zu fantasieren beginnt, dann werden wir von Pfitzner aus seinem Werk mit einem Urbild entlassen, dessen Faszination stark genug sein sollte, alle Welt davon zu überzeugen, dass diese Oper »alle Elemente des Unvergänglichen« in sich birgt.

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JOACHIM REIBER

»WAS ZWISCHEN UNS STEHT ... VERBINDET UNS AUCH WIEDER« THOMAS MANN, HANS PFITZNER UND PALESTRINA »Der letzte Freund, der mir noch wohlgesinnt, nun geht auch er...« Freundschaften, erfährt man in Pfitzners Palestrina, sind ein prekäres Gut: wankend, schwankend, stets vom Scheitern bedroht. Wenn sie in Brüche gehen, kann es den wirklich Wissenden nicht überraschen. »Traurig« zwar, doch »gefasst« fügt sich Palestrina dem wütendzorndurchbebten Abgang Borromeos, den er für den endgültigen Abschied seines letzten Freundes halten muss – getragen von der Einsicht: »Das Innerste der Welt ist Einsamkeit.« Einsam bleibt er auch am Schluss zurück. Wohl hat Borromeo nochmals den Weg zu ihm gefunden, wohl schließt Palestrina den reuig Zerknirschten zärtlich in die Arme, doch dann »reißt sich Borromeo rasch los und verlässt mit abgewandtem Gesicht die Bühne«. Von der Unbeständigkeit der Freundschaft handelt auch ein Stück, das mit der Oper Palestrina aufs Engste verknüpft ist: das Drama der Beziehung zwischen Thomas Mann und Hans Pfitzner. Dieses Zwei-Personen-Stück endet, anders als die Geschichte von Palestrina und Borromeo, ohne mensch-

liche Versöhnung, in schneidender Dissonanz. Wo Pfitzners Opernheld sein Gegenüber noch trösten kann: »Gefäße Du und ich; zerschlagen hier, doch Liebeshauch steigt aus den Scherben auf«, da bleiben für den Komponisten selbst und Thomas Mann nur Scherben: Beziehungstrümmer ohne jeden »Liebeshauch«. Der Vorhang senkt sich über einem Wortwechsel von galliger Bitterkeit. 1947, zwei Jahre vor Pfitzners Tod, geht Thomas Mann mit dem Komponisten öffentlich ins Gericht. Von einem »namhaften alten Tonsetzer in München, treudeutsch und bitterböse«, ist da die Rede, von Zeichen der »Unbelehrtheit« und von »unverbesserlichem Dünkel«, bis die Causa rasch erledigt wird: »Nun, der Mann hat sein Leben lang viel zänkischen Unsinn geredet, und so legt manʼs zum übrigen.« Pfitzner wiederum greift erbost zur Feder und schreibt eine »Antwort auf Thomas Mannʼs Anrempelung«. Begonnen hatte alles ganz anders – dreißig Jahre zuvor, im Zeichen Palestrinas und voll hochfliegender Begeisterung. »Wie sehr dieser Palestrina mir am Herzen liegt, kann ich nicht

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sagen!«, schrieb Thomas Mann wenige Tage nach der Uraufführung an Bruno Walter, den Dirigenten der Premiere. Das Werk komme seinen »tiefsten, eigensten Bedürfnissen entgegen, ja, sein Erscheinen eben jetzt bedeutet mir nichts weniger als ein großes Glück: es macht mich positiv, es erlöst mich von der Polemik, und meinem Gefühl ist ein großer Gegenstand geboten, an den es sich schließen kann...« Im folgenden Jahr, 1918, kehrte der Satz in Thomas Manns Betrachtungen eines Unpolitischen wieder: ein Fanal des Enthusiasmus, dem der Autor auf rund zwanzig Seiten breiten Raum gab. Eine Künstlerfreundschaft schien besiegelt. Auch Pfitzner, mehr der Umworbene als der Werbende, war dem Dichter gewogen. Er sprach, wie Thomas Mann seinem Tagebuch dankbar anvertraute, »mit Liebe von den Betrachtungen«. Thomas Mann wiederum wurde nicht müde, die Zuneigung zu Palestrina und seinem Komponisten öffentlich zu bekunden. 1918 stellte er sich mit einem national getönten Aufruf an die Spitze des neu gegründeten »Hans Pfitzner-Vereins für deutsche Tonkunst«. Was aber war es, das die Einheit stiftete? Wo genau begegneten sich der Autor der Buddenbrooks und der Schöpfer des Palestrina? Thomas Mann hatte zunächst einmal – und dies war ein ganz wesentlicher Punkt – den richtigen Blick für die grundlegende dramatische Konzeption des Palestrina. Er verstand den dreigliedrigen Aufbau als zentrale Idee des Werks, er verteidigte den zweiten Akt, die theatralisch-bunte Darstellung des Tridentiner Konzils, als notwendigen Widerpart zu den dramatischen Interieurs der beiden Palestrina-Akte. Jeder hier einsetzende Tadel,

ließ Thomas Mann seine Leser wissen, greife »das Ganze an, die Empfängnis. Man darf glauben, dass dieser Kompositionsgedanke: Kunst, Leben und wieder Kunst der früheste Nebel war, das erste, was der Dichter eigentlich sah...«. Das war Pfitzner aus der Seele gesprochen, mehr noch: es entsprach fast wörtlich den mit Nachdruck vorgebrachten Erklärungen des Dichterkomponisten. Es war dieser Antagonismus, der Thomas Mann faszinierte. Der Gegensatz von Kunst und Leben – er hatte schon seine frühen Novellen und die Buddenbrooks thematisch geprägt, und er beschäftigte Thomas Mann gerade jetzt, da er von einem »krisenhaft verstörten Zustande [s]eines Künstlertums« betroffen war, mit bohrender Beharrlichkeit. Vor dem Hintergrund des Ersten Weltkriegs, den Mann wie so viele als »grundstürzendes Ereignis«, ja, als »Weltwende« erlebte, suchte er mit einer »General-Revision der eigenen Grundlagen« den Halt zu wahren. Rhetorisch fand er diesen Halt im Widerspruch, im handlich-griffigen Gegensatz. Antithesen durchziehen die rund 600 Druckseiten der Betrachtungen vom Anfang bis zum Schluss: Da gibt es nicht nur die Divergenz von Kunst und Leben, sondern auch den »Unterschied von Geist und Politik..., von Kultur und Zivilisation, von Seele und Gesellschaft, von Freiheit und Stimmrecht, von Kunst und Literatur«. Der Bürger steht gegen den Bourgeois, das Deutschtum gegen die Zivilisation, die Romantik gegen die Aufklärung, die Musik gegen die Demokratie... In dieses opulente Spiel der Oppositionen fügt sich Pfitzners Opus als ideales Exempel. Thomas Mann sieht Palestrina in genau jenem Gegensatz, der seinen eigenen Standpunkt bestimmt –

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Ich möchte alles sagen. Der Komponist des Armen Heinrich, der Rose vom Liebesgarten und des Palestrina, der bis zum Hochsommer 1914 sich um Politik den Teufel mochte gekümmert haben, der ein romantischer Künstler, das heißt: national aber unpolitisch gewesen war, erfuhr durch den Krieg die unausbleibliche Politisierung seines nationalen Empfindens. Wahrhaftig, dieser Zarte, Inbrünstige und Vergeistigte nach Stellung gegen »den Geist«: erwies sich als »Machtmensch«, ersehnte den kriegerischen Triumph Deutschlands, widmete demonstrativ, als die Wogen des U-Boot-Streites am höchsten gingen, ein paar Orchesterlieder dem Großadmiral von Tirpitz; mit einem Worte: der nationale Künstler hatte sich zum antidemokratischen Nationalisten politisiert. Wen wunderte es? Kein christlicher Kosmopolitismus aber soll mich hindern, im Romantischen und im Nationalen eine und dieselbe ideelle Macht zu erblicken: die herrschende des neunzehnten, des »vorigen« Jahrhunderts. Alle Zeitkritik verkündete vor dem Kriege das Ende der Romantik; der Palestrina ist der Grabgesang der romantischen Oper. Und die nationale Idee? Wer wollte mit ganz fester Stimme der Behauptung widersprechen, dass sie in diesem Kriege verbrennt, – in einem Feuer freilich, so riesenhaft, dass noch in Jahrzehnten der ganze Himmel davon in Gluten stehen wird? Das neunzehnte Jahrhundert war national. Wird auch das zwanzigste es sein? Oder ist Pfitzners Nationalismus, auch er, – »Sympathie mit dem Tode«?

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Kunst als Kontrapunkt zur Tugend. »Man soll sich nichts vorlügen um eines Systems willen«, heißt es im Kapitel Von der Tugend, in das Mann seine Palestrina-Betrachtungen einschließt: »Die Kunst steht mit der Tugend auf keinem guten Fuß, sie tat es selten oder nie, sofern nämlich Tugend den demokratischen Fortschritt bedeutet...« Im Gleichklang dazu vernahm er in Palestrina »das Gegenteil einer politisch tugendhaften Neigung und Stimmung« und zitierte genüsslich jene druckfrische Streitschrift, in der dem Glauben an den musikalischen Fortschritt, an die Zielstrebigkeit jedweder Kunst der Kampf angesagt wurde: Pfitzners Futuristengefahr. Die Abwendung vom Fortschrittsdenken stieß auf Manns ganze Zustimmung, die Hinwendung zum Vergehenden aber, die er in Palestrina fand, ließ die Begegnung für ihn zu »Trost und Wohltat« werden. Dass er in einem Werk der Gegenwart auf jene »Atmosphärilien des abgelaufenen Zeitalters« traf, denen er sich selbst als ein Kind des 19. Jahrhunderts so nahe fühlte: das war es, was ihn von Erlösung sprechen ließ. Und ähnlich, wie er im Tod in Venedig, seiner eigenen Erzählung, »auf ihre Art etwas Letztes, das Spätwerk einer Epoche« sah, erkannte er auch in Pfitzners Werk »etwas Letztes und mit Bewusstsein Letztes aus der schopenhauerisch-wagnerischen, der romantischen Sphäre, mit seinen dürerisch-faustischen Wesenszügen, seiner metaphysischen Stimmung, seinem Ethos aus ›Kreuz, Tod und Gruft‹, seiner Mischung aus Musik, Pessimismus und Humor...«. Pfitzner fand sich so inmitten des leuchtenden »Dreigestirns« Schopenhauer, Wagner und Nietzsche (auf den Thomas Mann mit dem Zitat

von »Kreuz, Tod und Gruft« anspielte). Für den Schöpfer des Palestrina war diese Gesellschaft aller Ehren wert. Thomas Manns Ausführungen boten ihm auch sonst keinen Anlass zum Unbehagen. Problematisch war allenfalls die Bestimmung der »Romantik«, die Mann auf Pfitzners Oper anwandte. »Sympathie mit dem Tode«: so lautete die Formel, mit der er den romantischen Wesenszug des Palestrina beschrieb – eine Conclusio, die er schlüssig aus der Interpretation des Werks entwickelte, rhetorisch brillant vortrug und mit einem verbürgten Wort des Dichterkomponisten bekräftigte. Pfitzner selbst, berichtet Thomas Mann, habe im Hinblick auf seine Oper von der »Sympathie mit dem Tode« gesprochen. Und mit unverhohlener Begeisterung konstatiert Mann, dass exakt diese Formulierung – ohne dass einer vom anderen hätte wissen können – in das Manuskript des Zauberberg eingeflossen sei. »Wieviel Brüderlichkeit«, ruft er aus, »bedeutet Zeitgenossenschaft ohne weiteres!« Damit aber erklärte er Hans Pfitzner für einen Bruder im Geist der Décadence. Thomas Mann stand ihr nahe, wie er auch in den Betrachtungen bekannte. Aber war das die »Romantik«, der Pfitzner anhing? 1934 – zu einer Zeit freilich, da mit dekadenten Stimmungen fürwahr kein Staat zu machen war – relativierte er seinen Ausspruch als »ein einmal bei bestimmtem Anlass hingeworfenes Wort« und wehrte sich dagegen, als »romantischer Todeskandidat« abgestempelt zu werden. Doch was bewies das gegen Thomas Manns Palestrina-Deutung? Ohne jeden Vorbehalt aber konnte Pfitzner jener Passage des PalestrinaAufsatzes zustimmen, in der das »Ro-

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mantische« und das »Nationale« in eins gesetzt wurde. Und mit großer Zustimmung dürfte er vernommen haben, was Thomas Mann 1919, zu seinem 50. Geburtstag, in einer Tischrede auf Pfitzner zu sagen hatte: »Meine Herren«, hob da der Dichter an, »ich glaube, dass in Deutschlands gegenwärtiger historischer Situation dem tiefen und echten Romantizismus der Kunst, der wir heute huldigen, ihrer träumerischen Rückwärtsgewandtheit, welche in Wahrheit nach innen, ein in die Tiefe der nationalen Seele Gewandtsein ist, – dass dieser musikalisch-romantischen Kunst mehr Zukunft bildende Kraft innewohnt als mancher scheinbar zeitgerechteren«. Nach Tische aber las manʼs anders. Drei Jahre später stellte sich Thomas Mann wieder als Festredner ein und sprach zu Gerhart Hauptmanns 60. Geburtstag Von deutscher Republik. Der Meinungswandel, den der Autor der Betrachtungen hier mit einem Bekenntnis zu Republik und Demokratie vollzog, sorgte für gehöriges Aufsehen. Rechtskonservative Blätter riefen höhnisch »Mann über Bord!« und prägten die Formel vom »Saulus Mann«. Enttäuscht zog sich auch Pfitzner von Thomas Mann zurück. 1925 – diesmal war Thomas Manns 50. Geburtstag zu feiern – brach er sein Schweigen und schrieb dem Dichter, er habe ihn bewusst gemieden: »Nicht leichten Herzens. Denn die wirklichen Freunde meiner Kunst und die Personen, die mir so wenig fern stehen in ihrem Leben und Wirken wie Sie, sind nicht so dicht gesät, als dass mir ein Verzicht auf ihre zeitweilige Nähe ein Vergnügen wäre. Aber gerade aus diesen Gefühlen heraus ist es meiner Art unmöglich, unehrlich zu sein. So möchte ich denn das sagen,

was Sie wahrscheinlich schon längst fühlen, dass mich Ihre letzten öffentlichen ›politischen‹ ... Kundgebungen schmerzlich Ihnen entfremdet haben.« Thomas Mann antwortete warmherzig, dankbar für Pfitzners »männliche Bekenntnisse« und froh darüber, dem »lieben Meister« seine Sicht der Dinge darlegen zu können. »Natürlich war ich mir im Klaren darüber, dass meine neueren geistigen Entschlüsse Ihnen zuwider sein mussten. Glauben Sie wenigstens, dass sie einem guten Willen entstammen – und dem Gefühl einer Verantwortung, die strenger sein mag, als diejenige, die dem Musiker auferlegt ist.« Denselben Gedanken, dieselbe Differenzierung griff er nochmals auf, nun in Verbindung mit der vertrauten Dichotomie von Leben und Tod. Wie es nun auch um »die romantischen Lizenzen des Musikers« stehen möge, meinte Mann: »Ein literarischer Künstler, der in einem europäischen Augenblick, wie diesem, nicht die Partei des Lebens und der Zukunft gegen die Faszination des Todes ergriffe, wäre wahrhaftig ein unnützer Knecht.« Bei den »Lizenzen des Musikers« schwang zweifellos Schopenhauer mit, aber auch Wagner und Nietzsche wurden in den Zeugenstand gerufen. »Unser Stück, lieber Meister, hat sich geistesgeschichtlich, im Großen und Repräsentativen, längst abgespielt; wir Heutigen sind nur eine journalistisch-aktuelle Durchführung des Falles Nietzsche contra Wagner.« Beide, erklärte Thomas Mann, seien sie späte Söhne der Romantik gewesen. Indem Nietzsche (Mann) aber die Kraft der Selbstüberwindung aufgebracht und sich von Wagner (Pfitzner) gelöst habe, sei er zu einem »Seher und Führer in neue Menschenzukunft geworden«,

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während Wagner (Pfitzner) »nur der letzte Verherrlicher und unendlich bezaubernde Vollender einer Epoche blieb«. Dieses »nur« allein dürfte es Pfitzner schwer genug gemacht haben, der kühnen Selbststilisierung des Dichters zuzustimmen. Tiefer berührte ihn sicherlich Thomas Manns persönliches Eingeständnis, auch er habe – wie Pfitzner – »nicht viele wahre, höhere Freunde zu verlieren«. Um dieser höheren Freundschaft willen suchte Mann nochmals die Brücke zu schlagen: »Was zwischen uns steht, zwischen uns schwebt, es verbindet uns auch wieder, mindestens so sehr, wie es uns trennt.« Und nochmals: »Es stehe uns frei, uns zu verfeinden; aber wir werden nicht hindern können, dass künftige Zeiten unsere Namen häufig in einem Atem nennen werden. Vielleicht sollten wir also unser Verhältnis ein wenig sub specie aeterni betrachten und über alle Meinungsgegensätze hinweg eine Brüderlichkeit anerkennen, von der die Nachwelt uns kaum dispensieren wird.« Die Parteinahme für das »Leben« veranlasste Thomas Mann auch zu einer veränderten Sicht jener todvertrauten »romantischen Sphäre«, der er sich noch in seinem Palestrina-Aufsatz hingegeben hatte. Als einer, der sich zum »Seher und Führer in neue Menschenzukunft« berufen fühlte, durfte er sich nicht mehr der »metaphysischen Stimmung« des Palestrina überlassen, und die »träumerische Rückwärtsgewandtheit«, die er noch in seiner Tischrede auf Pfitzner beschworen hatte, war als Zukunftsperspektive unmöglich geworden. So schritt Mann abermals zu einer General-Revision seiner Grundlagen: Die Romantik, das Erbe, auf das er sich immer berufen hatte, musste mit verschärft kritischem Blick diskutiert werden.

Es berührt merkwürdig, wie in dieser Stimmung existenzieller Bedrohung nochmals die Welt des Palestrina auftaucht: »Die Melancholie und Resignation alternden Meistertums, das sich zweifelnd fragt, ›ob jetzt die Welt nicht ungeahnte Wege geht und, was uns ewig schien, nicht wie ein Wind verwehtʼ‹ ...«. Die Welt ging ungeahnte Wege. Und die Schreckensvision des Exils wurde für Thomas Mann zur bitteren Realität – eine unmittelbare Folge des Protests der Richard-Wagner-Stadt München. Hans Pfitzner blieb in Deutschland, noch immer im Glauben an die »Zukunft bildende Kraft« der »musikalisch-romantischen Kunst«, von dem Thomas Mann einst in seiner Tischrede auf Pfitzner gekündet hatte. Der Glaube trog. Pfitzner musste erfahren, dass es auch im NS-Staat um die Zukunft seiner eigenen Werke nicht sonderlich gut bestellt war. So lavierte er zwischen verbittertem Rückzug und trotzigem Auftrumpfen, schürte den Groll, verfing sich in Polemiken, ging faule Bündnisse ein und erlag fatalen Täuschungen. Selbst nach dem Krieg war er nicht vor schrecklichen Entgleisungen gefeit: Hans Frank, dem im Nürnberger Prozess zum Tod verurteilten Generalgouverneur von Polen, schickte er 1946 noch einen »herzlichen Gruß als Zeichen der Verbundenheit auch in schwerer Zeit« in die Zelle. Pfitzner schien den als »Polenschlächter« verrufenen NS-Minister nur als den Verehrer seiner Kunst wahrgenommen zu haben... Thomas Mann verfolgte all dies aus der Ferne. Das Telegramm an Frank kommentierte er pikiert in seinem Tagebuch, und einen Brief, den Pfitzner 1946 an Bruno Walter geschrieben hatte, nahm er zum Anlass seiner letzten –

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»WA S Z W I S C H E N U N S S T E H T. . .«

eingangs zitierten – öffentlichen Auseinandersetzung mit ihm. Es sei »intellektuell ebenso flach und falsch, wie moralisch infam« – stand in Pfitzners Brief zu lesen –, wenn man Deutschland mit Hitler identifiziere (»wie es selbst manche Deutsche sich nicht schämen zu tun, wie Thomas Mann und Hermann Hesse«). Der kruden Realität des Hitler-Regimes, der grausamen Wirklichkeit der KZs – die er nicht zu leugnen, aber zu relativieren versuchte – stellte Pfitzner Deutschlands »platonische Idee« entgegen: das Land »Luthers, in dem die h-Moll-Messe und der Faust entstanden sind, das den Freischütz und Eichendorff, die Pastorale und die Meistersinger hervorgebracht, in dem die Vernunftkritiken und die Welt als Wille und Vorstellung gedacht worden sind – diesem Land bleibe ich treu bis zu meinem letzten Hauch«. In diesen Zeilen tat sich nochmals die ganze Problematik des deutschen Nationalismus kund – eine Problematik, die weit ins 19. Jahrhundert hineinführte. Thomas Mann kannte diese Problematik aus Eigenstem ganz genau. Er

aber hatte gelernt, dass die vielberufene deutsche Tiefgründigkeit ins Abgründig-Barbarische abgleiten kann, wo ihr nicht der wache Intellekt, der Sinn fürs »Leben« die Waage hält. Thomas Mann und Hans Pfitzner: Sie waren tatsächlich, wie Thomas Mann 1925 gemeint hatte, zwei Brüder »sub specie aeterni« – zwei Söhne des 19. Jahrhunderts, die das Erbe ihres Säkulums für das nächste zu erhalten suchten, zwei Künstler mit dem gleichen Ziel. Denn beide, der Dichter wie der Komponist, wünschten sich nichts mehr, als dass Kunst und Leben zueinanderfänden. Thomas Mann ging den schwierigen, nicht immer geraden Weg von der Kunst zum Leben. Hans Pfitzner aber hoffte darauf, dass das Leben zur Kunst käme. Es war eine Utopie, dessen war er sich bewusst. Ohne Mysterium, ohne Wunder ließ sie sich nicht ins Werk setzen. Genau davon aber handelt Palestrina, die Oper, die er zu Recht eine »Legende« nennt. Als Heilsgeschichte gelingt auf Augenblicke, was er selbst wie Thomas Mann ersehnte: die Versöhnung von Kunst und Leben.

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KH T OO PF MZAESI LMEA N N

Pessimismus und Humor ... ich habe ihre Zusammengehörigkeit nie stärker und sympathischer empfunden, als angesichts des zweiten Palestrina-Aktes. Der Optimist, der Besserer, mit einem Wort: der Politiker ist nie Humorist, er ist pathetisch-rhetorisch. Der pessimistische Ethiker dagegen, er, den man heute recht uneigentlich den »Ästheten« zu nennen beliebt, wird sich zur Welt des Willens, der Realität, der Schuld und des harten Geschäftes mit natürlicher Vorliebe humoristisch verhalten, er wird sie als Künstler pittoresk und komisch sehen, im grellen Kontrast zur stillen Würde des intellektuellen Lebens: und nur in diesem Kontrast beruht die Dramatik der Konzil-Szenen, in welchen das Erzeugnis jener überschwänglichen Nacht, die wir erlebten, Palestrinas Messe, zu einem Gegenstand des politischen Handelsgeschäftes wird. Wahrhaftig, welche Art von Leben und Realität wäre im Sinne jenes Kontrastes grotesker, tumultuöser und komischer, als die Politik? Der zweite Akt ist nichts anderes, als eine bunte und liebevoll studierte Satire auf die Politik und zwar auf ihre unmittelbar dramatische Form, das Parlament. Dass es ein Parlament von Geistlichen ist, erhöht die Lächerlichkeit und Unwürde aufs äußerste.

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B RU N O WA LT E R

EIN GIPFEL IM MUSIKA- LISCHEN SCHAFFEN Der persönliche Verkehr mit Pfitzner bedeutete stets eine Bereicherung. Er war fast immer der Gebende im Gespräch. Er kannte keine Banalität, belebte sich an seinem drolligen Humor, funkelte von seinem geistreichen Witz und strömte dabei eigentlich immer aus der Tiefe seines Wesens; seinen eigenen Reiz wie seine geistige Fülle empfing er aber von seiner außerordentlich intensiven Beziehung zu ihm Wesensverwandten, Dichtern, Denkern und Musikern. Nicht minder intensiv lebte er aber auch in allem Menschlichen. Und so wurde mir denn mein persönliches Verhältnis zu der bedeutenden und originellen Individualität Hans Pfitzners zu einer sich stets erneuernden Beziehung meines Lebensertrages. Ihren Höhepunkt erreichte unsere Verbundenheit in der Zeit um die Uraufführung des Palestrina in München, die ich als das wichtigste Ereignis in meiner zehnjährigen Tätigkeit als Leiter der Münchner Oper ansehe. Unvergesslich bleibt mir die begeisterte Zeit der Proben zu dem Vorhaben. Unvergesslich der erschütternde und überwältigende Eindruck des Werkes auf die Mitwirkenden und die Hörer, ein Eindruck, der sich bei jeder weiteren Aufführung erneuerte und ihm bei unseren damaligen Gastspielen an Schweizer Bühnen treu blieb. Es war die Zeit des Ersten Weltkriegs, und die Fahrt mit der Palestrina-Aufführung ins Ausland sollte von der Höhe der deutschen Kunstleistung in schwerster Zeit zeugen. Dazu war nun gerade ein Werk wie der Palestrina und wohl auch jene Aufführung besonders geeignet. In der schöpferischen Tätigkeit Hans Pfitzners, die auch eine Fülle von

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EIN GIPFEL IM MUSIKALISCHEN SCHAFFEN

Liedern, Kammermusik, Orchester- und Chorwerken einschließt, bedeutete sicherlich Palestrina einen Höhepunkt. Und die Münchner Aufführung, die um die treue Erfüllung der Intentionen des Dichterkomponisten bemüht war, half, den Hörern das große Werk zum Verständnis zu bringen. Ich möchte heute, so viele Jahre nach jenem bedeutenden Kunstereignis mit seiner nachhaltigen Wirkung, aussprechen, dass meiner Überzeugung nach Palestrina als ein Gipfel im musikalischen Schaffen unserer Epoche angesehen werden muss. Die poetischen wie die musikalischen Schaffenskräfte Pfitzners heben sich in diesem Werk über die Sphäre des Romantikers, der er seiner Natur nach eigentlich war, hinauf in einen einzigartig hohen Kunstbezirk, der mit keinerlei begrenzenden Begriffen wie Romantik oder Klassik, auch nicht wie Dramatik oder Lyrik, zu fassen wäre; einen Bezirk, wo eine edle und reine Menschlichkeit ihren beredsamen künstlerischen Ausdruck gefunden hat, wo ein Genius seine reichen Gaben zu einer meisterhaften und stileigenen künstlerischen Gestaltung eines ergreifenden menschlichen Geschehens gesteigert hat.

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STRAUSS, PFITZNER UND DIE WIENER PALESTRINA- ERSTAUFFÜHRUNG Über Unverträglichkeiten, Animositäten und Spannungen zwischen Richard Strauss und dem fünf Jahre jüngeren Hans Pfitzner ist viel geschrieben und spekuliert worden. Darum mag es überraschen, dass Strauss bereits in seinem »Ergebensten Programmvorschlag für die Saison 1915-1916« an der Berliner Oper den noch unvollendeten Palestrina vorgesehen hatte. Im November 1918 wurde Richard Strauss zum künstlerischen Oberleiter der Wiener Oper ab der kommenden Saison (1919/20) bestellt, der Wiener Kapellmeister Franz Schalk fungierte gleichsam als sein »Statthalter«, der mit Strauss bereits alle Projekte abstimmte. Am 30. November 1918 referierte Franz Schalk den Plan zur Wiener Erstaufführung des Palestrina: »Von allen Seiten bestürmt, die noch bis zu Ihrem Eintritt verstreichenden Monate nicht ohne ›That‹ inʼs Land gehen zu lassen, habe ich mich entschlossen an die Idee des Pfitznerʼschen Palestrina (für den jetzt alle Zensurbedenken wegfallen) näher heranzutreten und bin wohl Ihrer Zustimmung sicher.« Als erfreuliche Nebenerscheinung vermeldete Schalk in demselben Brief, dass diese Novität den stark beanspruchten Damen Jeritza und Lehmann »einige Luft verschaffen« werde. Strauss war »natürlich einverstanden mit Palestrina im März in eigener Regie Pfitzners nach Einverständnis Professor Roller«.

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STRAUSS, PFITZNER UND DIE W IEN ER PA LE ST R INA-ER STAU FF Ü HRU NG

Am 1. März 1919 konnte Schalk dem Lagebericht ein höchst originelles und gewiss treffendes Komponistenporträt anfügen: »Die Palestrina-Proben sind ohne jede Reibung und den sehnlichst erwarteten Krawall vorüber gegangen, heute endlich ist die Première. Wie schade, dass Sie nicht da sein können. Pfitzner schwebte so himmelhoch jauchzend zu Tode betrübt durch die ganze Probenzeit, bis er endlich nach der vorgestrigen Generalprobe sich in eitel Wonne auflöste.« Die Antwort von Richard Strauss (7. März) wirft ein klares Licht auf sein Verhältnis zu Hans Pfitzner: »Ich freue mich herzlich, ganz besonders für Sie [also nicht für sich oder den Komponisten!], dass Palestrina so erfolgreich war. Wollen Sie mir aber einen Gefallen thuen, bringen Sie Pfitzner nicht nach Wien an die Akademie! Sein fortwährender Anblick könnte mir die ganze Freude an Wien verderben und er ist doch in München so gut aufgehoben inmitten seiner Gemeinde! Ich ziehe eigens von München weg – außerdem hat Pfitzner gar kein Interesse fürs Conservatorium und wir schaffen uns nur einen Nachfolger mehr! Weingartner und Gregor, links und rechts genügen doch vorläufig – Br Walter in der Ferne: ich danke. Und der gute Pfitzner ist so ungemütlich und so ›ideal‹! Wir wollen alles für ihn thuen, für seine Werke – aber ihn nicht in der Nähe haben!«

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PALESTRINA- PREMIEREN AN DER WIENER STAATSOPER ERSTAUFFÜHRUNG AM 1. MÄRZ 1919 (Franz Schalk/Hans Pfitzner, 19 Aufführungen) 21. MÄRZ 1926 (Hans Pfitzner/Hans Breuer, 11 Aufführungen) 14. OKTOBER 1937 (Bruno Walter/Otto Erhardt, 16 Aufführungen) 27. FEBRUAR 1949 (Premiere im Ausweichquartier Theater an der Wien, Josef Krips/Josef Witt, 33 Aufführungen) 16. Dezember 1964 (Robert Heger/Hans Hotter, 25 Aufführungen) 26. Oktober 1978 (Erich Leinsdorf/Helge Thoma, 12 Aufführungen) 23. Mai 1999 (Peter Schneider / Herbert Wernicke, 16 Aufführungen bis 2024)

Reihenfolge der Namensangaben: Dirigent/Regisseur

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KS FRANZ HAWLATA als MADRUSCHT


KOPFZEILE

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B RU N O WA LT E R

PALESTRINA IN ZÜRICH

Und so trug eines schönen Tages ein Extrazug Solisten, Chor, Orchester, technisches Personal und Dekorationen für Palestrina nach Zürich, um das edle neue Werk und dessen Wiedergabe durch eines der großen deutschen Operntheater der »Außenwelt« zu zeigen. Da ein bedeutender militärischer Verkehr auf allen Strecken herrschte, hatte unser Zug öfter lange Aufenthalte, zu denen eine unvorhergesehene Fahrtunterbrechung jenseits der Schweizergrenze kam. Fast das ganze Personal benutzte diese Gelegenheit zu einem kurzen ersten Spaziergang in »neutraler« Luft, und noch sehe ich einige unserer Chorsängerinnen vor einem Delikatessengeschäft des kleinen Schweizer Städtchens verwundert anhalten und beim Anblick von Schinken und Weißbrot im Schaufenster Tränen vergießen – die Münchner Schaufenster hatten schon lange keinen solchen Anblick mehr geboten – und andere in ein Schuhgeschäft stürzen, um sich in aller Schnelligkeit mit solidem Schuhwerk auszustatten. Wir kamen mit etwa anderthalb Stunden Verspätung in Zürich an, wo Pfitzner uns am Bahnhof erwartete. Ich hatte mir während der Fahrt die Genugtuung des Komponisten ausgemalt, für dessen Werk die gesamte Münchner Oper sich auf die Wanderschaft begeben hatte. Aber er enttäuschte mich. Als ich aus dem Zug stieg und auf ihn zueilte, zog er die Uhr aus der Tasche und sagte mit strafendem Blick zu mir: »Seit anderthalb Stunden warte ich hier.«

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PALESTRINA IN ZÜRICH

Am nächsten Abend fand die Aufführung statt, in der er mir eine ähnliche Enttäuschung bereitete. Der erste Akt war schöner gewesen als je, und das tief ergriffene Publikum gab seiner Rührung und Erhebung begeisterten Ausdruck. Aber nur mit Mühe gelang es mir, Pfitzner vor den Vorhang zu bringen, um den Dank des vollen Hauses entgegenzunehmen. Er war deprimiert, weil Schipper als Borromeo bei seinem zornigen Abgang den roten Kardinalsmantel vom Sessel, wo er ihn beim Eintritt abgelegt, nur an sich gerissen und über den Arm gelegt hatte, statt ihn sich umzuhängen. »Kannst du dir wohl einen Kardinal in Rom auf der Straße mit dem Mantel über dem Arm vorstellen? Ich nicht«; so sagte er und blieb deprimiert. Am nächsten Abend in Basel bedrohte ich Schipper mit allen Strafen der Hölle, wenn er nochmals vergäße, den Mantel umzuhängen. Er gehorchte der Warnung, und Pfitzner fiel mir nach dem ersten Akt um den Hals und erklärte mir, nun sei er glücklich. Die dritte Vorstellung fand in Bern statt, und am nächsten Tag brachte uns der Zug wieder nach München und in die Lebenseinschränkungen zurück, die in diesem Jahr, 1917, schon drückend fühlbar geworden waren.

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HANS HOTTER

»DER GÖTTLICHE FUNKE« Ich möchte die Tage, als dem österreichischen Komponisten Franz Salmhofer die Leitung des Operngeschehens anvertraut war, um keinen Preis missen. Wir waren Teilnehmer an einem Ereignis, das Operngeschichte schrieb: war es doch gelungen, dem Schöpfer des Palestrina, Hans Pfitzner, kurz bevor er uns am 22. Mai 1949 für immer verließ, sein Lieblingswerk noch einmal vorzuführen. Josef Krips saß am Pult, Julius Patzak sang die Titelrolle. Ferdinand Frantz war Morone, und die Rolle des Kirchenfürsten Borromeo, die ich schon während des Krieges im großen Haus gesungen hatte, vertraute man wieder mir an. Der Komponist, nahezu völlig blind und vom nahen Tode gezeichnet, war noch einmal glücklich und nahm, soweit er konnte, am Geschehen auf der Bühne teil. Zu meiner großen Freude erschien zu vielen Proben und auch zu den Vorstellungen einer der ersten berühmten Interpreten des Kardinals während des Uraufführungsjahrs 1917, der große Sänger Dr. Emil Schipper, und nahm in echter, neidloser Kollegialität an meiner Freude und meinem Stolz über das Gelingen der Gestaltung der von uns beiden so heiß geliebten Rolle teil. Während der Vorbereitungszeit und der ersten Aufführungen dieser Oper

kam es zu einem amüsanten Zwischenfall, an den ich immer mit viel Vergnügen zurückdenke. Dazu muss man wissen, dass Kardinal Borromeo im 3. Akt, als er sein großes Unrecht Palestrina gegenübererkennt, mit dem Gefühl tiefster Reue und Zerknirschung vor dem Komponistenfreund auf die Knie fällt und ihn um Verzeihung bittet. Ich muss gestehen, dass ich diese kurze, emotionsgeladene Szene immer mit großer innerer Beteiligung erlebt habe. Während einer Probe nahm mich mein Direktor Salmhofer zur Seite und mahnte mich eindringlich: »Also, des mit dem Niederknien vorm Palestrina, als ehrwürdiger Kardinal vor einem weltlichen Musikanten, noch dazu im Ornat, des lass mir weg, des tust auf kan Fall wieder, ich hab ja sonst die ganze katholische Kirchen von Wien am Hals. I brauch doch die Schwarzen wieʼs tägliche Brot...« – »Aber Direktor«, fiel ich ihm ins Wort, »das ist doch hier ein ganz besonderer Fall, das hab ich bisher überall und in allen Inszenierungen so gemacht, auch der Pfitzner will das so…« – »Ein Hotter kniet net vor einem Tenor, merk dir des! Des bist du allein schon deinem Wiener Renommee schuldig.« Auf ein solches Argument war ich nicht vorbereitet, hilflos streckte ich die

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DER GÖTTLICHE FUNKE

Waffen und startete einen schwachen Versuch, Pfitzner einzuschalten. Der aber reagierte ungewohnt milde: »Stehen Sie, mein Lieber, knien Sie, tun Sie, was Sie wollen – aber singen Sie!« Von dieser Seite war also auch keine Hilfe zu erwarten. Also kniete ich in Zukunft oder kniete nicht, je nachdem, ob Salmhofer in Sichtweite war oder nicht. Bei der Premiere war Pfitzner überglücklich, als wir mit ihm vor den Vorhang traten, wobei wir ihn eher trugen, als dass er auf eigenen Füßen stehen konnte. Nach Ende der dritten Wiederholungsvorstellung begab ich mich wieder in meine Garderobe, glücklich, das schwere Kostüm endlich loszuwerden, als mein Garderobier zu mir hereinstürzte und ganz aufgeregt sagte: »Behalten S’ den Ornat an, Herr Kammersänger, Sie kriagʼn an hohen Besuch.« Da klopfte es auch bereits an der Tür, und herein trat ein sehr soignierter Herr mit grauen Schläfen, gekleidet in einen dunklen Rock mit hohem weiß und rot geränderten Kragen. »Grüß Sie Gott, Herr Kammersänger! Mein Name ist Jachym, ich bin der Erzbischofkoadjutor von Wien«, und indes er mir freundlich die Hand reichte, fuhr er fort: »Meine

herzlichste Gratulation zum heutigen Abend.« Unwillkürlich zuckte ich ein wenig zusammen, denn ich kam mir reichlich deplatziert vor in meinem Kardinalsornat, den er fachmännisch prüfte und dann schmunzelnd urteilte: »Ausgezeichnet machen Sie das, ich muss schon sagen, Sie sind eine unangenehm gefährliche Konkurrenz!« Ich hatte dieses hohe Lob noch nicht richtig verdaut, als es abermals klopfte und unser Direktor Salmhofer mit einem flüchtig angedeuteten Kreuzzeichen und einem gehauchten »Gelobt sei Jesus Christus« eintrat. Sein Kopf sank tief über die Hand mit dem Ring. In diesem Moment durchzuckte mich eine Eingebung: »Sagen Sie, Eminenz – hat es Sie eigentlich gestört, als der Kardinal vor Palestrina auf die Knie sank?« – »Aber nicht im Geringsten«, meinte der Kirchenfürst. »Er kniet ja nicht vor dem Menschen Palestrina, sondern vor dem göttlichen Funken in ihm. Er sagt ja auch deutlich: »Aus dir spricht Gott – und ich erkanntʼ es nicht.« Daraufhin wandte Salmhofer sich triumphierend an mich und tönte: »No, was hab i dir gʼsagt: KNIEN musst du – KNIEN!«

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CLEMENS HELLSBERG

DIE PALESTRINA- PARTITUR »Sie glauben gar nicht, wie sehr ich Wien (und Wein) vermisse; aber in das jetzige Wien zu kommen werden Sie wohl selbst nicht raten, selbst wenn die Möglichkeit dazu bestünde, was ja kaum der Fall ist. Ich hoffe, meine Tage in Rodaun zu beschließen und nicht im Altersheim Ramersdorf (wie schlecht macht sich das doch für den Nekrolog!) ( ... ) Ich komme über das Dasein hier – leben kann man es nicht nennen – nicht hinweg!« Der zutiefst deprimierte Hans Pfitzner richtete im August 1946 diesen Brief an den Wiener Gemeindebeamten und späteren Oberamtsrat Alfred Waldhauser, der ihn während des Krieges im Auftrag des Bürgermeisters betreut hatte. Sowohl der Komponist als auch seine Frau bereuten nun, die Stadt entgegen Waldhausers Rat vor Kriegsende verlassen zu haben, zeichnete sich doch keinerlei Möglichkeit zu einer Rückkehr ab. In die Trostlosigkeit fiel plötzlich ein unerwarteter Hoffnungsschimmer: Die Wiener Philharmoniker, vor allem ihr Vorstand Rudolf Hanzl, nahmen sich des Künstlers an. Sie schickten ihm Briefe und Lebensmittelpakete und bemühten sich um die Erfüllung des sehnlichsten Wunsches –

»seinen Lebensabend in Wien verbringen« zu können. Eine diesbezügliche Initiative war aufgrund von Pfitzners Rolle im NSStaat äußerst problematisch. Wohl hatte er in beständigem Streit mit hohen und höchsten Parteifunktionären gelebt, aber die Ursache waren nicht ideologische Differenzen gewesen, sondern sein cholerisches, höchst reizbares Temperament sowie sein veritabler Verfolgungswahn, unter dessen Einfluss er sich ständig verkannt, zurückgesetzt und benachteiligt fühlte. Tatsächlich hatte er, wie das Propagandaministerium feststellte, Mitte der dreißiger Jahre glänzend verdient, sodass seine »penetrante Pose des duldenden Gerechten in einer absichtlich bösen Welt« rasch als solche durchschaut worden war. Bei seinem Versuch, dem kranken und gebrochenen Komponisten eine Aufenthaltsgenehmigung in Wien zu verschaffen, musste Hanzl bald erfahren, dass sich viele Stellen absolut dagegen aussprachen. »Das alles hat mich wahnsinnig gestört«, berichtete der Vorstand dem Komitee, »ich habe gefunden, man müsste bei solchen Kapazitäten Halt machen«. Er lud Pfitzner daraufhin privat zu sich

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DIE PALESTRINA-PA RT I T U R

nach Wien und brachte ihn provisorisch in einem Sanatorium unter – um bald darauf zu erfahren, dass sich nun auch andere Institutionen und Personen für den Komponisten interessierten. »Sprechen wir ganz offen und ehrlich«, eröffnete Pfitzner dem Vorstand im Jänner 1948, »ich bin ein alter Mann, bald 80 Jahre alt, ich spüre selbst, ich lebe nicht mehr lange, aber ich möchte die paar Wochen oder Monate, die ich noch lebe, ein menschenwürdiges Dasein. Ich verspreche der Institution, die mir das verschafft, dass ich ihr die Palestrina-Partitur gebe.« In dieser wirtschaftlichen Notzeit fasste das Komitee, welches noch den strengen antinationalsozialistischen Bestimmungen unterlag, einen bemerkenswerten Entschluss, zu dem sich Politiker und finanziell wesentlich potentere Institutionen nicht durchringen konnten: Die Frage Hanzls, ob er ein eventuelles Abkommen mit Pfitzner weiterhin betreiben solle, wurde einstimmig bejaht. Damit waren die Weichen für eine kulturelle Großtat gestellt und der Verbleib einer der bedeutendsten Opernpartituren der Spätromantik in Österreich gesichert. Obwohl der Komponist bereits resigniert hatte (»Der Wunsch, meine Erdentage in Wien beschließen zu können, wird mir wohl nie erfüllt werden.«) und noch im Juni 1948 seine Übersiedlung seitens der Gemeinde Wien abgelehnt worden war, führten die Bemühungen der Philharmoniker letztlich zum gewünschten Erfolg: Der Meister erhielt die Aufenthaltsgenehmigung, und per 21. Jänner 1949 wurde ein Vertrag abgeschlossen, demzufolge Hans Pfitzner

Wien oder deren unmittelbarem Stadtrand« erhielt; – dreimal wöchentlich ein Auto für Konzert- oder Arztbesuche zur Verfügung gestellt wurde; – das Gehalt eines Sektionschefs abzüglich eventueller in Österreich anfallender Tantiemen erhielt. »In Anerkennung der besonderen Fürsorge um meine Person erkläre ich mich bereit, dem Verein Wiener Philharmoniker als Gegenleistung die handschriftliche Partitur meiner musikalischen Legende Palestrina auf ewige Zeiten zu schenken. In Verehrung Ihr Dr. Hans Pfitzner.« Am 5. März 1949 kam es im Brahmssaal des Musikvereinsgebäudes zu einem festlichen Ereignis. Pfitzner wurde zum Ehrenmitglied der Philharmoniker ernannt und überreichte ihnen die Originalpartitur seines Meisterwerkes, während das Konzerthaus-Quartett den ersten Satz aus Mozarts Streichquartett in d-Moll spielte und das Orchester mit den Vorspielen zum ersten und dritten Akt von Palestrina (Dirigent: Josef Krips) die Feier umrahmte. In der Folge fand man eine Wohnung in Schönbrunn, die der Komponist noch im März besichtigte. Überglücklich traf er die letzten Vorbereitungen zur Übersiedlung, die für »Ende Mai« geplant war – und starb am 22. Mai 1949 in Salzburg.

– eine aus zwei bis drei Zimmern bestehende Wohnung »in der Stadt

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IMPRESSUM HANS PFITZNER

PALESTRINA SPIELZEIT 2024/25 (PREMIERE DER PRODUKTION: 23. MAI 1999, WIEDERAUFNAHME: 5. DEZEMBER 2024) Herausgeber WIENER STAATSOPER GMBH, Opernring 2, 1010 Wien Direktor DR. BOGDAN ROŠČIĆ Musikdirektor PHILIPPE JORDAN Kaufmännische Geschäftsführerin DR. PETRA BOHUSLAV Redaktion SERGIO MORABITO, ANDREAS LÁNG & OLIVER LÁNG Gestaltung & Konzept EXEX Layout & Satz ROBERT KAINZMAYER Lektorat MARTINA PAUL Druck PRINT ALLIANCE HAV PRODUKTIONS GMBH, BAD VÖSLAU TEXTNACHWEISE: Die Artikel von Walter Salmen, Oswald Panagl, Sabine Busch, Dietrich Fischer-Dieskau und Joachim Reiber waren Originalbeiträge für das Premierenprogrammheft. Aus dem Premierenprogrammheft wurden weiters folgende Texte übernommen: Paul Attinello, Pfitzner, Palestrina, Nazis, Konservative, in: Musikkonzepte Nr. 86: Palestrina. Zwischen Demontage und Rettung, München 1994 – Friedrich Eckstein, »Alte unnennbare Tage!«, Erinnerungen aus siebzig Lehr- und Wanderjahren, Wien 1936 – Thomas Mann, Pfitzners Palestrina (Sonderdruck aus den Betrachtungen eines Unpolitischen), Berlin 1919. – Bruno Walter, Thema und Variationen, Frankfurt am Main 1961. – Hans Hotter, Der Mai war mir gewogen. Erinnerungen, München 1996. – Clemens Hellsberg, Demokratie der Könige. Die Geschichte der Wiener Philharmoniker, Wien 1992. Die Artikel von Hans Pfitzner und Hellmuth Herrmann sind dem Palestrina-Programmheft der Wiener Staatsoper, Saison 1978/79 entnommen. Das Interview mit Christian Thielemann und die Texte von Konrad Paul Liessmann, Fritz Trümpi und Michael Berger entstanden für dieses Programmbuch. BILDNACHWEISE Coverbild: Tilman Wendland, Schaumkopf, 2001 © Bildrecht, Wien 2024 – Bildkonzept Cover: Martin Conrads, Berlin – Alle Szenenbilder Axel Zeininger/Wiener Staatsoper GmbH – AKG Images (S. 19, 20, 65) – Matthias Creutziger (S. 15).

Nachdruck nur mit Genehmigung der Wiener Staatsoper GmbH / Dramaturgie. Rechteinhaber, die nicht erreicht werden konnten, werden zwecks nachträglicher Rechtsabgeltung um Nachricht gebeten.


Hochgenuss trifft Hochkultur OFFIZIELLER SEKT DER WIENER

GRANDE CUVÉE

S TA AT S O P E R

K AT T U S K AT T U S _ S E K T

K AT T U S . AT


Kultur bewegt uns alle. Die OMV und die Wiener Staatsoper verbindet eine jahrelange Partnerschaft. Unser Engagement geht dabei weit über die Bühne hinaus. Wir setzen uns aktiv für Jugend und Nachwuchsprojekte ein und ermöglichen den Zugang zu Kunst und Kultur für junge Menschen. Gemeinsam gestalten wir eine inspirierende Zukunft. Alle Partnerschaften finden Sie auf: omv.com/sponsoring



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