Programmheft »Peter Grimes«

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PETER GRIMES Benjamin Britten


INHALT

Die Handlung

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Synopsis in English

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Über dieses Programmbuch

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Der Blick des Außenseiters → Thomas Leibnitz

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Britten und die Oper → Paul Banks

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Wie Peter Grimes entstand → Benjamin Britten

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»An Crabbe denken heißt an England denken« → Irmgard Harrer

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George Crabbe

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Montagu Slater

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Grimes heute → Philip Brett

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Weder Held noch Bösewicht → Peter Pears

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Das Detail und das Ganze → Wolfram Wagner

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Untypisch im tragischen Fach → Andreas Láng

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Das Meer als Element des Dramas → Hans Neunzig

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Wohin der Strom sie reißt → Walter Dobner

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Englands Elisabethanisches Opernzeitalter → Horst Koegler

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His Master’s Voice → Constanze Prašek

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Die Welt ist kalt und leer → Gustav Schörghofer

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Peter! You cannot buy your peace, you’ll never stop the gossip’s talk with all the fish from out the sea. Peter! Du kaufst dir keine Ruh’, die bösen Zungen schweigen nie, und fischest du die Meere leer. Ellen Orford, 2. Akt


PETER GRIMES → Oper in drei Akten und einem Prolog Musik Benjamin Britten Text Montagu Slater

nach George Crabbes The Borough Orchesterbesetzung 2 Flöten (auch Piccolo), 2 Oboen (2. auch Englischhorn), 2 Klarinetten (2. Klarinette auch in Es), 2 Fagotte, Kontrafagott, 4 Hörner, 3 Trompeten (3. in D), 3 Posaunen, 1 Basstuba, Pauken, Schlagwerk, Celesta, Harfe, Violine I, Violine II, Viola, Violoncello, Kontrabass Bühnenmusik 2 Klarinetten, Solovioline, Kontrabass, Schlagwerk, Orgel, Tuba, Glocken Spieldauer ca. 3 Stunden (inklusive einer Pause) Autograf Library of Congress, Washington Uraufführung 7. Juni 1945, Sadler’s West Theatre, London Erstaufführung an der Wiener Staatsoper 12. Februar 1996




DIE HANDLUNG In einem kleinen Fischerort an der Ostküste Englands

Prolog Eine gerichtliche Untersuchung unter dem Vorsitz des Bürgermeisters Swallow befasst sich mit dem Tod eines Buben, der als Gehilfe bei dem Fischer Peter Grimes auf See umkam. Obwohl die Menge Grimes für schuldig hält, stellt Swallow fest, dass es sich um einen Unfall gehandelt hat. Sein Urteil, dass Grimes künftig nur noch ausgebildete Fischer anheuern darf, bedeutet für diesen jedoch den Ruin: Er kann sich teure Arbeitskräfte nicht leisten. Peter begehrt gegen das Urteil und das Gerede im Dorf auf. Nur die Lehrerin Ellen Orford hält zu ihm. Zwischenspiel I

1. AKT Das Dorf bei der Arbeit. Swallow wacht über die Einhaltung seiner Beschlüsse. Grimes braucht Hilfe, um sein Boot an Land zu ziehen, doch alle weigern sich. Nur Handelskapitän Balstrode und Apotheker Keene kommen ihm zu Hilfe. Keene hat im Armenhaus wieder einen Buben für Grimes besorgt. Fuhrmann Hobson will diesen nicht abholen. Erst als Ellen sich bereit erklärt, das Kind unterwegs zu betreuen, stellt Hobson seinen Wagen zur Verfügung. Ein Sturm zieht auf. Während die Leute des Dorfes sich in Sicherheit bringen, legt Balstrode Peter nahe, das Dorf zu verlassen oder Ellen zu heiraten. Doch Peter will nicht aus Mitleid genommen werden, sondern erst, wenn er genug Geld »erfischt« und sich damit Ansehen und Respekt erkauft hat. Zwischenspiel II Das ganze Dorf sucht vor dem Unwetter in Aunties Beisl Schutz. Selbst Peter erscheint. Zwischen ihm und dem fanatischen Methodisten Bob Boles bricht Streit aus. Als Keene einen Kanon anstimmt, entspannt sich die Stimmung. Ellen kommt mit dem neuen Buben.

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2. AKT Zwischenspiel III Während die Dorfbewohner in der Kirche sind, unterhält sich Ellen mit dem Buben. Sie fürchtet, dass Grimes ihn grob behandelt. Ein blauer Fleck an seinem Hals scheint ihren Verdacht zu bestätigen. Sie stellt Grimes zur Rede, und bittet ihn, sein Verhalten zu ändern. Peters brutale Antwort zerstört ihre Beziehung. Dos Dorf macht sich auf, Grimes zur Verantwortung zu ziehen. Zwischenspiel IV Grimes hofft, diesmal den großen Fang zu machen. Bei den Vorbereitungen zur Ausfahrt treibt er den Buben zu großer Eile an. Dieser stürzt eine Klippe herunter und stirbt.

3. AKT Zwischenspiel V Das Dorf feiert. Balstrode und Ellen haben den Pullover des Buben gefunden und suchen Grimes. Die opiumsüchtige Witwe Mrs. Sedley hat ihr Gespräch belauscht und mobilisiert das Dorf. Zum zweiten Mal – nun aber bewaffnet – bricht man auf, um Grimes zu stellen. Zwischenspiel VI Ellen und Balstrode entdecken den halbwahnsinnigen Grimes mit dem toten Kind. Gegen Ellens Widerstand rät Balstrode ihm, hinauszufahren und sich mit seinem Boot zu versenken.

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SYNOPSIS A small fishing town on the East Coast of England

Prologue An inquest chaired by the mayor, Swallow, is looking into he death of a boy who died at sea while working as an apprentice to fisherman Peter Grimes. Swallow determines that Peter Grimes is not responsible for the death. His verdict that Grimes should in future hire only trained fisherman would mean Grimes’ ruin. He cannot afford to hire expensive labour. Peter protests at the verdict and the gossip in the village. Only the teacher Ellen Orford stands by Grimes. Interlude I

Act 1 The villagers go about their daily business. Swallow keeps watch to ensure that his orders are followed. Grimes needs help to pull his boat ashore, but everyone refuses. Merchant skipper Balstrode and apothecary Keene defy Swallow and hurry to help Grimes. Keene has found a boy for Grimes at the workhouse. The carrier Hobson refuses to fetch him. Only when Ellen agrees to look after the boy on the way does Hobson agree to use his cart. A storm approaches. While the villagers hurry to safety, Balstrode warns Peter to leave the village or marry Ellen. However, Peter does not want to be married out of pity, but only when he has »fished« enough money and with it bought prestige and respect. Interlude II The entire village has sought protection from the storm at Auntie’s pub. Even Peter shows up. A fight breaks out between him and the fanatical Methodist Bob Boles. When Ned Keene starts singing a round, the situation calms down. Ellen arrives with the new boy.

SY NOPSIS

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Act 2 Interlude III While the villagers are at church, Ellen converses with the new boy. She fears that Grimes is treating him too roughly. A bruise on his neck seems to confirm her suspicions. She confronts Grimes and asks him to change his ways. Peter’s brutal response wrecks their relationship. The village decides to call Grimes to account. Interlude IV Grimes hopes to land a big catch this time. As they prepare for their departure, he urges the boy to walk faster. The boy falls. The men find no one.

Act 3 Interlude V The villagers are celebrating. Balstrode and Ellen have found the boy’s pullover and are looking for Grimes. The widow Mrs Sedley, an opium addict, has listened to their conversation and mobilized the village. For the second time, they set out – armed this time – to find Grimes. Interlude VI Ellen and Balstrode find the semi-deranged Grimes with the dead child. Overriding Ellen’s objections, Balstrode advises him to sink his boat.

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SY NOPSIS


ÜBER DIESES PROGRAMMBUCH Der Außenseiter und das Meer – sie bilden die thematischen Eckpunkte der in einem südenglischen Fischerdorf spielenden tragischen Oper Peter Grimes, mit der der überzeugte Pazifist und Humanist Benjamin Britten für all jene eine Lanze bricht, die unter die Räder einer engstirnigen Gesellschaft geraten. Die Uraufführung 1945 wurde nicht nur zu einem großen Erfolg, sondern markiert den Beginn einer ungemein produktiven Entwicklung des Operngeschehens in Großbritannien mit internationaler Strahlkraft. Horst Koegler geht in seinem Beitrag ab Seite 66 sogar noch weiter: Für ihn war es Britten, der, beginnend mit Peter Grimes, die jahrhundertelange Opernimport-Nation England in einen gewichtigen Musiktheater-Exporteur verwandelte. Paul Banks untersucht ab Seite 16 auf welche traditionelle musiktheatralen Voraussetzungen Peter Grimes innerhalb Englands stieß und wie diese durch das Werk nachhaltig verändert wurden. Anschließend an einem kurzen Bericht des Komponisten über die Entstehung seiner Oper (S. 26), zeigt Irmgard Harrer in ihrem Artikel ab Seite 28 auf, in welcher Weise Britten und sein Librettist Montagu Slater die literarische Vorlage des Dichters George Crabbe umgestalteten, um die Chancenlosigkeit des von der Gemeinschaft nicht Akzeptierten noch eindrücklicher herauszuarbeiten. Wie Britten dadurch ein immerwährendes Mahnmal gegen jede Form der Ausgrenzung gelungen ist, betont Philip Brett in Peter Grimes heute (Seite 26). Dass das Thema des verfolgten Außenseiters Britten ein Leben lang in vielen seiner Werke beschäftigte und der Komponist sich geradezu zum Anwalt all jener machte, die Opfer eines von der Majorität diktierten Lebensentwurfes werden, beschreibt Thomas Leibnitz ab Seite 10, an die prekäre Position des Individualisten im Angesicht der Masse erinnert Walter Dobner ab Seite 60. Breiten Raum gewährte Benjamin Britten in Peter Grimes der Darstellung des Meeres – nicht zuletzt in sechs stimmungsvollen neoimpressionistischen Orchesterzwischenspielen. Die damit einhergehende Funktion des Meeres als Spiegel des Seelebens unterstreicht Hans Neunzig ab Seite 54. Wolfram Wagner zeigt ab Seite 46 auf, wie Britten darüber hinaus jede Facette seiner sehr persönlichen, farbenreichen Musiksprache benutzte, um Atmosphäre, Charaktere, zwischenmenschliche Beziehungen und Situationen zu porträtieren. Gustav Schörghofer unternimmt einen Exkurs über die Verarbeitung menschlicher Einsamkeit in der Kunst (Seite 78), Constanze Prašek analysiert (Seite 72) die Bedeutung der privaten Partnerschaft Benjamin Brittens und des Tenors Peter Pears für ihr gemeinsames künstlerisches Schaffen. Ü BER DIE SE S PROGR A M MBUCH

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George Crabbe → Umhergetrieben

»Wie ein ärmliches Boot, von Stürmen gefüllt, Mein Kompass zerstört, das Ruder zerspellt, Mein Segel zu schwach, den Winden ein Spiel, Vom Regen gepeitscht in Fetzen zerfiel; Meinen Anker HOFFNUNG reißt es vom Grund, Der Sog des KUMMERS zieht mich zum Schlund, So treibt es mich um in heilloser Not, Zwischen Treibsand und Klippen lauert der Tod. Im Ozean des Lebens tummeln sich frei Der schnelle Schwertfisch, der gierige Hai, Wo träges Getier am Muschelhaus klebt, Wo sich’s für Schufte für Schmeichler gut lebt. Was biet’ ich den Stürmen so wütenden Trutz? Die Herrscher des Meeres versagen mir Schutz. Eine düstre Muse nur taucht aus der Gischt, Als sah ich von ferne der Liebsten Gesicht, Und Tränen entlockt ihr mein müdes Gebet, Ihr Lied meine Hoffnung in Fernen verweht.«


Thomas Leibnitz

DER BLICK DES AUSSENSEITERS Benjamin Britten und sein Musiktheater Juli 1945: Benjamin Britten und Yehudi Menuhin brechen zu einer Konzertreise in das besiegte Deutschland auf; ihr Ziel sind die Lager der »Displaced Persons«, die jahrelange Qualen als Häftlinge, Zwangsarbeiter und Versuchspersonen erlitten haben. Britten wird hier erstmals in vollem Umfang mit der Realität des Leids konfrontiert, das der Krieg und ein unmenschliches Regime verschuldet haben: »Einige von ihnen sind in einem entsetzlichen Zustand, können nur mit Mühe sitzen und lauschen und sind immer noch erschrocken, dass für sie gespielt wurde.« Britten und Menuhin fahren durch die gesamte britische Besatzungszone, sie spielen in Lagern, Kasernen, Klöstern und Schulen, im Lager Bergen-Belsen sogar zweimal hintereinander. Was sie zu sehen bekommen, geht »über jegliche Vorstellungskraft«. Das tragische Erbe Hitler-Deutschlands macht gewissermaßen auf weltgeschichtlicher Bühne deutlich, wohin Ausschluss und Selektion bestimmter Menschengruppen führen können. Eine Thematik, die Britten nahegeht, die ihn – unter wechselnden Aspekten – sein Leben lang beschäftigt hat. Es fügt sich ins Bild, dass im Juni 1945 seine erste Oper aufgeführt wird, Peter Grimes. Auch hier geht es um die Schuld einer Gemeinschaft, die Andersartigkeit nicht verträgt und akzeptiert, die den Untergang des Fischers Peter Grimes bewirkt, ohne diesem auch nur die Chance zur Integration zu geben. Denn bereits am Beginn des Geschehens, in einer gerichtlichen Untersuchung, die den Tod von Grimes’ Lehrling klären soll, steht für die Menge der Dorfbewohner fest: Grimes hat den Buben auf dem Gewissen. An diesem Urteil, das nicht nach Fakten fragt, sondern auf dumpfer Überzeugung ruht, wird und kann sich auch im weiteren Geschehen nichts ändern. Ähnlich wie in Kafkas Prozess ist der Angeklagte einem unentrinnbaren Schicksal ausgeliefert, das nicht in seiner Hand liegt. Und dennoch will Grimes den Ort, wo ihm so übel mitgespielt wird, nicht verlassen: »Ich bin hier geboren und verwurzelt.« Andererseits hat die Gemeinde, die ihn ablehnt, kein Schuldgefühl; sie identifiziert Grimes mit dem Begriff des Bösen. Dieses Böse erhält musikalisch ein Gesicht: Das Meer, zumal das stürmische Meer an der ostenglischen Küste, wird zum Inbegriff des Fremden und Beängstigenden, und Britten holt es T HOM AS LEIBN ITZ

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in das dramatische Geschehen, indem er es in den Orchesterzwischenspielen zwischen den einzelnen Szenen schildert und damit die Grundfarbe des Dunklen und Ausweglosen aufträgt. Zweifellos spielen persönliche Erinnerungen mit: »Die meiste Zeit meines Lebens verbrachte ich in engem Kontakt mit dem Meer. Das Haus meiner Eltern in Lowestoft blickte direkt auf die See, und zu den Erlebnissen meiner Kindheit gehörten die wilden Stürme, die oftmals Schiffe an unsere Küste warfen und ganze Strecken der benachbarten Klippen wegrissen. Als ich Peter Grimes schrieb, ging es mir darum, meinem Wissen um den ewigen Kampf der Männer und Frauen, die ihr Leben, ihren Lebensunterhalt dem Meer abtrotzten, Ausdruck zu verleihen – trotz aller Problematik, ein derart universelles Thema dramatisch darzustellen.« Peter Grimes ist ein Außenseiter, und Benjamin Britten, sein künstlerischer Gestalter, war es auch. Sicherlich ist vorsichtig mit einem solchen Begriff umzugehen, und im Gegensatz zur tragischen Opernfigur, die in Ausweglosigkeit endet, mündete Brittens Leben in weltweite Anerkennung und Reichtum. Doch prägend sind Jugenderfahrungen, und hier hatte Britten die Erfahrung des »Anders-Seins« mehrfach machen müssen. Bis zum Sommer 1928 wurde der Knabe an der »South Lodge Prepatory School« unterrichtet, und das berüchtigt rigide Schulwesen dieser Zeit hinterließ unauslöschliche Spuren. Geschlagen wurde bei den geringsten Anlässen. Noch 1971, im Abstand vieler Jahrzehnte, hatte Britten die beklemmende Situation vor Augen: »Ich hörte, wie ein Bub geschlagen wurde, und ich erinnere mich an mein absolutes Erstaunen, dass niemand unverzüglich Anstalten zur Hilfeleistung machte. Zu erfahren, dass dies gleichsam Verzeihung und Einverständnis bedeutete, schockierte mich tief.« Der junge Benjamin konnte nicht untätig bleiben; beseelt von Zivilcourage organisierte er Protestversammlungen gegen die Prügelstrafe und zog sich damit die anhaltende Ablehnung des Kollegiums zu. Anders zu sein als andere – das ist generell und unausweichlich das Schicksal künstlerisch Hochbegabter. Britten wechselte die Schule und besuchte ab 1928 die renommierte, aber ebenfalls für ihre Strenge bekannte Gresham’s School in Holt, Norfolk. Der vulgäre Umgangston seiner Schulkameraden störte ihn ebenso wie deren Gepflogenheit, Jazzplatten auf einem alten Grammophon abzuspielen. Seine musikalische Welt war eine andere, und wenn er sich – pianistisch bereits weit fortgeschritten – ans Klavier setzte, dann erlebten seine Mitschüler und Lehrer einen Virtuosen, der Verblüffung, Bewunderung und Befremden auslöste. Was aber Britten mehr als all diese Umstände in die Grundbefindlichkeit des »Anders-Seins« versetzte, war seine aufkeimende und immer mehr zur Gewissheit werdende Homosexualität. Als seine Mutter Edith, zu der er eine sehr innige Beziehung gehabt hatte, 1937 starb, fühlte er tiefe Einsamkeit und die Sehnsucht nach neuer Gemeinschaft – im Sänger Peter Pears begegnete er einem als geistesverwandt empfundenen Musiker; es entwickelte sich Freundschaft und eine 11

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Liebesbeziehung. Ab 1938 teilten die Freunde eine Wohnung, und es kam zu einer beispiellosen künstlerischen Symbiose zwischen einem Komponisten und einem Interpreten, ohne die Brittens weiteres Schaffen kaum denkbar ist. Eine solche Beziehung musste im nachviktorianischen England freilich im Schatten von Geheimhaltung und Diskriminierung verbleiben, und wenn Britten kurz vor seinem Tod Donald Mitchell bat, er möge »die Wahrheit... über Peter und mich« kundtun, so zeigt dies, wie vergeblich bei Lebzeiten die Hoffnung auf gesellschaftliche Akzeptanz dieses Liebesverhältnisses war. Im Rückblick wurde mehrfach versucht, Brittens Musik aus dem Blickwinkel der homoerotischen Neigung heraus zu analysieren; es wurde behauptet, er sei nicht in der Lage gewesen, weiblichen Eros kompositorisch glaubhaft zu machen. Abgesehen davon, dass solche analytischen Ansätze immer schon voraussetzen, was sie zu ermitteln glauben, wird das Empfinden von »erotischer Qualität« einer Musik stets eine höchst subjektive Sache bleiben. Zweifellos aber kann die Wahl der gewählten Stoffe bei einem Opernkomponisten des 20. Jahrhunderts einiges über die psychische Verfasstheit ihres Gestalters aussagen. In Peter Grimes, wir sahen es, ist das Scheitern des Fischers Grimes an seiner Umgebung, der intransigenten Dorfbewohnerschaft, von unausweichlicher Tragik. Bei einem anderen Helden einer Britten-Oper, dem jungen Albert Herring, können wir über den Ausgang zunächst keineswegs sicher sein. Dass der tugendhafte und unter dem Einfluss einer dominanten Mutter stehende Albert – in Ermangelung einer moralisch einwandfreien »Maikönigin« – zum »Maikönig« ausersehen wird, lässt durchaus Raum für eine mögliche tragische Entwicklung; in diesem Fall nimmt das Geschehen aber eine heiter-ironische Wendung: Albert Herring, der sich seiner Situation bewusst wird, wirft eine Münze auf und macht davon abhängig, ob er weiterleben will wie bisher oder sein Leben grundlegend ändert. Das Schicksal hat für die Änderung votiert; also fährt der junge Mann mit einem gestohlenen Fahrrad in den Nachbarort und benützt das »Preisgeld«, um das gesamte Sündenregister zu erproben. Zurückgekehrt, provoziert er die Dorfhonoratioren mit seinen Erzählungen und wirft schließlich alle, einschließlich seiner Mutter, aus dem Haus. Mit anderen Worten: Albert, der Außenseiter, hat beschlossen, seine »Lebensrolle« nicht als unabänderliches Schicksal hinzunehmen, sondern die Herausforderung aufzugreifen und seine Umgebung mit deren eigenen Waffen zu schlagen – durchaus mit Erfolg. Eine wieder andere, sehr ergreifende Außenseiterposition fällt Billy Budd in der gleichnamigen Oper zu. Billy, der Matrose auf einem Handelsschiff, hat ein Leiden, das in entscheidenden Situationen zu tragischen Konsequenzen führt: er stottert. Als er – zu Unrecht – der Anstiftung zur Meuterei bezichtigt wird und seinem Widersacher gegenübergestellt wird, kann er nur mit fassungslosem Stammeln antworten und streckt seinen Gegner mit einem Schlag nieder – so heftig, dass dieser stirbt. Ein Kriegsgericht verurteilt ihn daraufhin zum Tod, und obwohl Kameraden ihm anbieten, die VollstreT HOM AS LEIBN ITZ

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ckung des Urteils mit Gewalt zu verhindern, bittet Billy darum, dem »Recht« seinen Lauf zu lassen. Das elementarste Bindeglied zwischen dem einzelnen und der Gemeinschaft, das Reden und Hören, hat versagt, und dieses Versagen hat eine tragische Kette von Konsequenzen ausgelöst, die schließlich sogar vom Opfer selbst in ihrer Rechtmäßigkeit akzeptiert wird. Während in den sechzehn Szenen der Kammeroper The Turn of the Screw (1954) Zweideutigkeit das Geschehen dominiert und nicht klar wird, ob den Begebnissen Realität zukommt oder ob sie nur als Phantasmagorien einer jungen Gouvernante anzusehen sind, findet Britten in seiner letzten Oper Death in Venice zu einem Stoff, der wie kein anderer sein eigenes Lebensproblem thematisiert und in aller Offenheit auf die Bühne bringt: der Held der zugrundeliegenden Novelle Thomas Manns ist ein alternder Schriftsteller, Gustav von Aschenbach, der in Venedig der bestrickenden Schönheit des polnischen Knaben Tadzio verfällt und ungeachtet der Warnungen vor der grassierenden Cholera in der Stadt bleibt, um seinem Idol nahe zu sein. Aschenbach schließt mit seiner bürgerlichen Existenz ab und gerät immer mehr in einen ausweglosen und unbedenklichen Rausch; er stirbt am Strand beim Anblick des Knaben. In Manns Novelle, der Britten zeit seines Lebens große Bewunderung zollte, ist vom »Triumph rauschhafter Unordnung über ein der höchsten Ordnung geweihtes Leben« die Rede – wie hätte der Komponist die Parallele zu seiner eigenen Existenz verkennen können? Jedenfalls, so Britten selbst, sei diese letzte Oper die Erzählung seines Lebens: »all das, wofür Peter und ich gestanden sind«. Dabei tut es nichts zur Sache, dass die Breitenwirkung dieses letzten und persönlichsten Werkes vom gleichnamigen und etwa zur gleichen Zeit entstandenen Film Luchino Viscontis übertroffen wurde – mit Unterstützung der Musik Gustav Mahlers, dem auch stets Brittens Verehrung gegolten hatte.

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Paul Banks

BRITTEN UND DIE OPER Peter Grimes im Kontext

Im Frühsommer des Jahres 1945, als Großbritannien aus einem sechs Jahre langen erschöpfenden Kampf hervorging, befand sich das kulturelle Leben des Landes in einem Stadium der Umformung. So wie die Kriegsjahre einen grundlegenden Wandel im staatlichen Sozial- und Unterrichtswesen gefördert hatten, so bildeten sie auch den Anstoß zu einem (für Großbritannien) radikal neuen Ansatz in der Finanzierung der Künste. Zum ersten Mal leistete der Staat einen substanziellen finanziellen Beitrag zu dem neu gegründeten Arts Council of Great Britain, und es waren die darstellenden Künste, die von diesem neuen Umfeld besonders profitieren sollten. Benjamin Britten gehörte einer jüngeren Generation von Kunstschöpfern an, die an der Spitze dieser Erneuerung standen. In Großbritannien blickte die Oper damals auf eine lange, wenn auch nicht notwendigerweise florierende Geschichte zurück. Was jedoch fehlte, war das Entstehen einer soliden Tradition an Opern aus heimischer Produktion – eine Tatsache, die dem jungen Britten nicht verborgen geblieben war. PAU L BA N KS

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Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es zwar einige beachtenswerte erste Schritte (so z.B. die Opern von Frederick Delius, Gustav Holst und Ralph Vaughan Williams), doch dauerte es bis zur Premiere des Peter Grimes am 7. Juni 1945, bis sich die Erkenntnis durchsetzte, dass die englische Oper ernst genommen werden musste. Das Werk fand beim britischen Publikum sofort begeisterte Aufnahme, und innerhalb von drei Jahren kam es zu 17 Produktionen in Europa und Amerika. Dieser enorme Erfolg bildete nicht nur die Grundlage für eine wachsende Beliebtheit der Oper in Großbritannien, sondern sorgte auch für eine komplett neue Einschätzung des Komponisten Benjamin Britten. Trotz der Ablehnung manch eines älteren Kritikers wurde klar, dass er nicht mehr bloß ein begabter Anfänger, sondern ein voll ausgereifter Meister war. Brittens Werdegang war in vielerlei Hinsicht außergewöhnlich. Obwohl er später (eher ungerechterweise) als ziemlich konservativ eingestuft wurde, spiegelten sich in seiner Laufbahn die Auswirkungen der neuen Technologie auf das Musikleben, nicht zuletzt im Zugang zu einer wahrhaft internationalen Palette von Massenkommunikationsmitteln der modernen Musik, die sich dem jungen Mann aus der englischen Provinz darbot. Der 1913 in der Kleinstadt Lowestoft an der englischen Ostküste geborene Benjamin Britten war in seiner Jugend von Amateurmusikern umgeben, kam jedoch nur sporadisch in direkten Kontakt mit professionellen Musikern. 1919 erhielt er erste Unterrichtsstunden von seiner Mutter und unternahm auch erste zögernde Kompositionsversuche. Er lernte Klavier (und entwickelte sich letztendlich zu einem hervorragenden Pianisten, insbesondere als Begleiter und Kammermusiker) und später Viola. 1924 hatte er bereits zahlreiche Kompositionen vorgelegt (ca. 450 abgeschlossene wie unfertige Werke datieren vor seiner Veröffentlichung des Op. 1 der Sinfonietta, im Jahre 1932), und er hatte ein starkes Interesse an der zeitgenössischen Musik entwickelt. Zu den einschneidendsten Erlebnissen seiner Entwicklung als Komponist gehört zweifellos Brittens Zusammentreffen mit Frank Bridge (1879-1941) im Oktober 1927 und dessen Bereitschaft, ihn als Schüler aufzunehmen. Als Musiker mit außerordentlicher Begabung (Komponist, Geiger und Dirigent) war Bridge einer der wenigen seiner Generation in England, die sich der zeitgenössischen europäischen Musik gegenüber interessiert und aufnahmebereit zeigten. Dieser Umstand sowie die Beharrlichkeit, mit der er Britten eine sichere kompositorische Technik vermittelte, machte ihn zum idealen Mentor für einen jungen Komponisten von größtem Einfallsreichtum und unstillbarem Appetit nach neuer Musik. Britten erweiterte sein Wissen um neue Entwicklungen durch die Möglichkeiten, die Rundfunk (die BBC unternahm, teilweise unter dem Einfluss des Schönberg-Schülers Edward Clark, gewisse Anstrengungen, ein derartiges Repertoire zu fordern) und Schallplatte boten. Seine Tagebücher zeigen, dass er nicht nur interessante Rundfunksendungen gezielt anhörte (wie etwa 17

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ein Konzert am 7. April 1930, bei dem Schönbergs Erste Kammersymphonie und Pierrot Lunaire auf dem Programm standen), sondern auch Schallplatten kaufte (beispielsweise Strawinski als Dirigent von Le sacre du printemps). Als Brittlen im September 1930 in das relativ konservative Royal College of Music eintrat, um dort Klavier und Komposition zu studieren, hatte er bereits Einflüsse aufgenommen, die vom Lehrkörper mit Misstrauen betrachtet wurden: Bei aller Anerkennung seiner frühreifen Begabung wurde sein Wagemut nicht gefördert. Schon 1930 verschaffte Britten den Bürgern von Lowestoft einen ersten Vorgeschmack auf die Wiener Avantgarde mit einer Aufführung von Schönbergs Klavierstücken Op. 19, und als er sich Bücher für den Preis aussuchen durfte, den er in seinem letzten Schuljahr gewonnen hatte, wählte er die Partitur zu Pierrot Lunaire. Seine Bewunderung für Schönberg dauerte an: 1933 wurde er dem Komponisten anlässlich einer Aufführung der Variationen Op. 31 in London vorgestellt. Vier Jahre später schrieb er, nachdem er das Vierte Streichquartett gehört hatte: »Das ist das Werk eines wahren Meisters.« Auch Berg erwarb Brittens intensive Bewunderung, insbesondere mit seiner Lyrischen Suite und Wozzeck (dessen Zwischenspiele jene in Peter Grimes deutlich beeinflussten). Als Britten 1934 das College mit einem kleinen Stipendium für Reisen ins Ausland verließ, hoffte er, bei Berg studieren zu dürfen. Die College-Leitung dürfte davon abgeraten haben, und bei seinem Besuch in Wien war Berg zur Enttäuschung des Engländers nicht in der Stadt. Er traf jedoch einen anderen Schönberg-­Schüler, Erwin Stein (1885-1958), der später als Mitarbeiter von Boosey & Hawkes einer der engsten musikalischen Berater Brittens werden sollte. Obwohl Britten die serielle Musiktechnik nie übernahm, erkannte er doch ihre Auswirkungen und adoptierte sie teilweise für seine Zwecke. Die Reise noch Wien förderte auch Brittens Interesse an einem anderen österreichischen Komponisten, der einen tiefgehenden Einfluss auf seine Musik für sein gesamtes weiteres Leben haben sollte – Gustav Mahler. Während seines Aufenthaltes in Wien hörte Britten Mahlers Vierte Symphonie, dirigiert von Mengelberg, und in den darauffolgenden Jahren beeindruckten ihn die Neunte Symphonie und Das Lied von der Erde in den bahnbrechenden Aufnahmen von Bruno Walter zutiefst. Im Juni 1937 schrieb er einem Freund, nachdem er das letztere Werk angehört hatte: »Weißt Du, es ist grausam, dass eine Musik so schön sein kann. Sie hat die Schönheit von Einsamkeit & Schmerz, von Stärke & Freiheit. Die Schönheit von Enttäuschung & nie befriedigter Liebe. Die grausame Schönheit der Natur und die immerwährende Schönheit der Monotonie… Im Augenblick kann ich nichts tun als mich in ihrem himmlischen Licht zu wärmen – & dafür hat es sich zu leben gelohnt.« In der Sinfonia da Requiem (1941) fand Mahlers Einfluss seinen stärksten Ausdruck, doch auch Mahlers »Fünfte« prägte sich unauslöschlich auf die orchestrale Klangfülle des zweiten Zwischenspiels von Peter Grimes ein. In PAU L BA N KS

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späteren Jahren gab Britten die erste moderne Aufführung von Blumine, dem beiseitegelegten Satz aus Mahlers »Erster«, und dirigierte bemerkenswerte Interpretationen der Vierten und der Kindertotenlieder… Wieder nach London zurückgekehrt, begann Britten 1935 sein Leben als Komponist. Seine Geläufigkeit, seine ganz und gar sichere Technik, sein Professionalismus und sein Eifer, Terminarbeiten zu erledigen, trieben ihn unaufhaltsam zur Arbeit für Film, Rundfunk und Theater. Auch hier ist der Einfluss der neuen Technologie auf seine Laufbahn deutlich zu erkennen. Britten genoss die Herausforderung des Films, als er für die GPO Film Unit, dem Herzstück der britischen Dokumentarfilmbewegung, arbeitete. Dabei lernte er auch, die Musik mit der bildlichen Vorstellung in Verbindung zu setzen (eine Eigenschaft, die seine späteren Opern auszeichnete), das richtige Tempo der dramatischen Musik und den Einsatz der Musik zur Charakterisierung von Gestalten. 1937 ging Britten eine lebenslang andauernde Beziehung mit dem Tenor Peter Pears ein, die ihm nicht nur zu der von ihm ersehnten emotionalen Stabilität verhalf, sondern auch seine kreative Laufbahn in andere Bahnen lenkte. Britten bewunderte die Stimme von Peter Pears und seine Qualitäten als interpretierender Künstler und komponierte daher ab den frühen 1940er Jahren verschiedene Vokalstücke und Opernrollen speziell für seinen Partner, die in Der Tod in Venedig ihren Höhepunkt fanden. Umgekehrt spielte die künstlerische Herausforderung der Werke Brittens eine nicht unbedeutende Rolle in Pears’ künstlerischer Entwicklung. In den Nachkriegsjahren entfalteten die beiden eine intensive Reisetätigkeit in Europa, Nord- und Südamerika und im Fernen Osten, wo sie gemeinsam Konzerte gaben. Ihre einzigartige künstlerische Partnerschaft ist uns zum Glück in zahlreichen Aufnahmen erhalten geblieben. Anfang 1939 waren beide, sowie zahlreiche andere Sympathisanten der Linken, zutiefst pessimistisch, was die Zukunft Europas anging. Brittens Tätigkeit für die GPO Film Unit und das Group Theatre hatte zu engen Kontakten mit den Schriftstellern W. H. Auden und Christopher Isherwood geführt. Deren Entschluss zur Emigration nach Nordamerika ermutigte Britten und Pears, ebenfalls auf die Reise zu gehen. Zunächst reagierte Britten enthusiastisch auf die neue Umgebung und stellte einige bedeutende neue Werke fertig, darunter Les Illuminations (auf Texte von Rimbaud), das Violinkonzert, die Sinfonia da Requiem und die Operette Paul Bunyan (nach einem Libretto von Auden). Obwohl er neue Freundschaften schloss und einigen beruflichen Erfolg hatte, verfiel er jedoch immer stärker dem Heimweh. In diesem Zustand las er 1941 einen lobenden Artikel des Romanautors E. M. Forster über den Poeten George Crabbe aus Suffolk (1754-1832) und dessen Dichtung The Borough, in der er das Küstenstädtchen Aldeburgh beschreibt. Erstaunlicherweise stieß Pears kurz darauf zufällig in einem Antiquariat von Los Angeles auf eine schöne Werksausgabe von Crabbe aus dem 19. Jahr 19

BR IT T EN U N D DIE OPER


hundert. Das Gedicht hatte tiefgreifende Auswirkungen auf Britten: Er beschloss, dass er nach England zurückkehren musste, zu der Landschaft, die ihm und Crabbe so nahestand, und dass er in The Borough die Grundlage für eine Oper gefunden hatte. Noch während der gefährlichen Atlantiküberquerung im März und April 1942 machten sich Britten und Pears an Entwürfe für das Szenarium. In England setzten sie sich mit einem alten Freund zusammen, dem linken Schriftsteller Montagu Slater, den Britten bei der GPO Film Unit kennengelernt hatte. Slater erhielt den Auftrag für das Libretto, und Peter Grimes begann Gestalt anzunehmen. Die frühen 1940er Jahre waren keine sehr günstige Zeit, um die Premiere einer ehrgeizigen neuen Oper ins Auge zu fassen. Covent Garden war in einen Tanzsaal umgewandelt worden und das Ensemble in alle Winde verstreut, und die Sadler’s Wells Opera, die zweite permanente Truppe der Metropole, verbrachte die Kriegsjahre auf Tournee in diversen englischen Provinzen. Dass sein Ensemble diese Erfahrung überlebte und ihr künstlerisches Niveau bewahrte, verdankt es in der Hauptsache den unermüdlichen Anstrengungen seiner Direktorin, der Sopranistin Joan Cross. (Dass es überhaupt möglich war, mit einem Ensemble erfolgreich Opern zu spielen, das keine feste Heimstätte hatte und sich auf Tourneen stützen musste, war eine Lektion, die bei der Gründung der English Opera Group, Brittens eigener Truppe, einige Jahre später Früchte trug.) Nach seiner Rückkehr nach England erhielt Pears Arbeit bei der Sadler’s Wells Opera und etablierte sich rasch als einer der führenden Tenöre des Ensembles. Dieser Kontakt war es auch, der letztendlich Joan Cross zu dem Entschluss bewog, die erste Aufführung von Peter Grimes zu wagen. Im Herbst 1944 bestand eine gewisse Hoffnung, dass die Truppe in ihr Londoner Heimattheater zurückkehren könnte, und Joan Cross beschloss, gegen den starken Widerstand im Ensemble, dieses Ereignis mit Peter Grimes zu feiern. Die Ablehnung stammte zum Teil aus einem tiefgehenden musikalischen Konservativismus (und einer Skepsis gegenüber der englischen Oper im allgemeinen), wurde aber genährt aus dem Antagonismus, den viele Britten und Pears gegenüber fühlten, die – Homosexuelle und Wehrdienstverweigerer – als Außenseiter betrachtet wurden. Auf diese Weise wurde das in der Oper dargestellte Gesellschaftsdrama – die Reaktion einer Gemeinschaft auf jene, die sich nicht konform verhalten – auch im Ensemble selbst dargestellt. Doch Joan Cross (die den Part der Ellen Orford übernahm) und Tyrone Guthrie (Gesamtleiter von Sadler’s Wells) waren von der Bedeutung des Werks überzeugt und sorgten dafür, dass es auf die Bühne kam. 40 Jahre später erinnerte sich Joan Cross an seine Aufnahme beim Publikum: »Am Ende war es still, und dann brach ein Sturm los. Die Bühnenarbeiter waren völlig verblüfft; sie dachten, es wäre eine Demonstration. Das war es auch, aber zum Glück eine von der richtigen Art«. Mit Peter Grimes fand Britten nicht nur seine Stimme als Komponist von PAU L BA N KS

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Opern, sondern auch seine bevorzugte Art, solche Werke zu komponieren. Es gibt Hinweise darauf, dass bei Paul Bunyan Auden der bestimmende Partner gewesen war. Dieses Werk stellte den ehrgeizigen Versuch dar, ein ernstes Stück für ein breites Publikum zu schaffen, indem es den Weg einer musikalischen Umgangssprache (die Broadway-Tradition) einschlug. Dem Ergebnis war zumindest damals kein Erfolg beschieden (obwohl seit seiner Wiederaufnahme im Jahr 1976 seine Bedeutung und Größe feststehen), und nie wieder ließ es Britten zu, dass das Primat der musikalischen Erwägungen in seinen Bühnenwerken gefährdet würde. Er bildete enge Arbeitsbeziehungen mit Librettisten, Bühnenbildnern und Regisseuren, übernahm eine aktive Rolle bei der Gestaltung des Textes und plante die erste Produktion in allen Einzelheiten, bevor noch die Arbeit an der Partitur begann. Diese enge Zusammenarbeit ermöglichte es, die Handlung theatergerecht zu gestalten und Musik, Text und Handlung zu koordinieren. Aber es bestand nie auch nur der geringste Zweifel, dass die endgültige Kontrolle über die wesentlichen Elemente des Amalgams beim Komponisten lag. Eine weitere Facette des Erfolgs als Opernkomponist ergab sich aus seiner Fähigkeit, das ewige Problem, wie man englische Texte überzeugend vertonen kann, zu lösen, wobei das Modell dazu von seinem großen Vorgänger Henry Purcell (1659-1695) stammte, wie Britten in Bezug auf Peter Grimes ausführte: »In den letzten hundert Jahren waren englische Gesangsstücke von einer strikten Unterordnung unter die logischen Sprachrhythmen dominiert, obwohl die sinngemäße Akzentuierung häufig der aufgrund des emotionalen Inhalts verlangten Akzentuierung widerspricht. Ein gutes Rezitativ sollte die natürlichen Intonationen und Rhythmen der Alltagssprache in besondere musikalische Phrasen transformieren (wie bei Purcell), doch sollte bei einer stilisierteren Musik der Komponist nicht absichtlich eine unnatürliche Betonung vermeiden, wenn die Prosodie des Gedichtes und die emotionale Situation sie verlangen, und er sollte sich auch nicht vor einer willkürlichen Behandlung der Worte fürchten, wo es vielleicht erforderlich ist, sie weit über ihre übliche Sprachlänge hinaus zu dehnen oder in einem Tempo vorzubringen, das in einer Konversation unmöglich wäre.« So enorm sein Geschick war, Texte in anderen Sprachen wie z.B. Französisch, Deutsch oder Russisch zu setzen, so besonders bemerkenswert war doch seine Wiederentdeckung der Sangbarkeil des Englischen. Als er nunmehr ein Genre gefunden hatte, das seinen speziellen Talenten entsprach, erforschte Britten das Potenzial der Oper auf unerwartete Art und Weise. Hatte er das Publikum mit einer Oper im großen Maßstab gefesselt, so schwenkte er jetzt entschieden in die Sphäre der Kammeroper ein: mit dem tragischen Raub der Lukretia (1946 für die Wiedereröffnung von Glyndebourne komponiert), der komischen Oper Albert Herring (1947), dem erzieherischen Stück Wir machen eine Oper (1949, in dem die Oper The Little Sweep enthalten ist), dem beklemmenden The Turn of the Screw (1954) und 21

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dem zauberhaften Sommernachtstraum (1960). Die unglückliche Erfahrung der Arbeit mit einer großen Truppe während der Vorbereitungen zu Peter Grimes trug zu Brittens Entscheidung bei, zusammen mit Pears, dem Regisseur (und künftigen Librettisten) Eric Crozier sowie dem Künstler und Bühnenbildner John Piper im Jahr 1947 die English Opera Group ins Leben zu rufen. Mit einem Stammorchester von zwölf Mitgliedern und einer kleinen Besetzung sollte das Ensemble »die Schaffung und Aufführung neuer Opern fördern und Dichter und Dramatiker dazu ermutigen, sich über das Schreiben von Libretti in Zusammenarbeit mit Komponisten zu wagen«. Die Gruppe erzielte eine Einheit von Musik, Drama und Ausstat tung von einer Konsequenz, wie sie kaum je in modernen Produktionen der großen Bühnen Großbritanniens erreicht wurde. Die Gruppe ging mit ihren Arbeiten auf Tournee in die Provinzzentren, wo Opern seltene Ereignisse waren. Sie hatte ihre Blütezeit in den 1950er und 1960er Jahren, bevor sie 1980 (nach ihrer Umbenennung in English Music Theatre Company) endgültig aufgelöst wurde. Die meisten seiner späteren Opern schrieb Britten für die English Opera Group. Ausnahmen von dieser Regel bildeten Billy Budd (1951 für das Festival of Britain komponiert) und Gloriana (1953 zur Krönung von Königin Elisabeth II.). In den 1960er Jahren nahmen seine Bühnenwerke Einflüsse der Musik des Fernen Ostens an, speziell in den drei Kirchenparabeln (Curlew River 1964, The Burning Fiery Furnace 1966 und The Prodigal Son 1968). Das Ergebnis waren neue harmonische und kontrapunktische Techniken sowie eine allgemeine stilistische Ausrichtung, mit der sich der Komponist dem Musiktheater der Avantgarde annäherte. In der Fernsehoper Owen Wingrave (1971) fand Britten ein Thema, das ihm den musiktheatralischen Ausdruck jenes überzeugten Pazifismus erlaubte, der auch das War Requiem inspiriert hatte. Doch erst in Der Tod in Venedig bündelte der Komponist seine Opernerfahrungen in einem zutiefst persönlichen Werk, das dem nunmehr 63jährigen Peter Pears zur größten Herausforderung seiner Opernkarriere verhalf. So sehr auch die Oper und andere Vokalgenres die zweite Hälfte des kompositorischen Lebenswerks Brittens bestimmten, so kehrte er doch immer wieder zu den instrumentalen Genres zurück, meist als Reaktion auf die technischen und interpretatorischen Fähigkeiten von Künstlern, die er zu bewundern lernte. Diesbezüglich kam wohl der größte Einfluss Mstislav Rostropovitsch zu. Britten hörte diesen bedeutenden russischen Cellisten das erste Mal im September 1960 und war sofort gefesselt von dem, was er später als »das außerordentlichste Cellospiel, das ich je gehört habe« bezeichnete. Die berufliche Bewunderung wurde durch eine enge persönliche Freundschaft ergänzt, die bis zum Tode Brittens andauerte, und sie trug Früchte in Form verschiedener Werke (drei Suiten für Solo-Cello, eine Cello­-Sonate und eine Symphonie für Cello und Orchester), die das Repertoire für dieses Instrument wesentlich bereichert haben. Tema Sacher for Solo Cello, zu Paul Sachers 70. Geburtstag komponiert, gehört zu den letzten Werken PAU L BA N KS

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Brittens, und seine Vertonung von Edith Sitwells Praise We Great Men, für das erste Konzert von Rostropovitsch mit dem National Symphony Orchestra 1977 gedacht, blieb durch Brittens Tod im Jahr 1976 unvollendet.¹ Peter Grimes hat im Laufe der Zeit nichts von seiner Bedeutung eingebüßt. Wie typisch dieses Werk für Brittens Opernschaffen ist, konnte seitdem sogar noch deutlicher hervortreten. Neben dem charakteristischen musikalischen Stil und der meisterlichen Beherrschung des Mediums fällt am meisten auf, mit welchem Interesse der Komponist den sozialen und moralischen Fragen, den Problemen persönlicher und kollektiver Verantwortung nachgeht. Bei seinem Tod war Brittens wahre Bedeutung etwas dadurch verschleiert, dass seine Musik nur wenige der zu diesem Zeitpunkt aktuellen stilistischen Obsessionen widerspiegelte. Es blieb einer jüngeren Generation von Zuhörerinnen und Komponisten überlassen, dem Einfallsreichtum und der Integrität seines Lebenswerkes volle Wertschätzung zu zollen.

¹ Nicht umsonst dirigierte Mstislav Rostropovitsch 1996 die Staatsopern-Erstaufführung von Peter Grimes

→ Nächste Seiten: Die englische Küste nach einem Sturm. Fotographie. England, 1937

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Benjamin Britten

WIE PETER GRIMES ENTSTAND Im Sommer 1941, während ich in Kalifornien arbeitete, bekam ich eine Nummer der BBC-Zeitschrift The Listener zu Gesicht, die einen Artikel von E. M. Forster über George Crabbe enthielt. Damals kannte ich noch kein Einziges von Crabbes Gedichten, aber als ich über ihn las, erwachte in mir ein so starkes Heimweh nach Suffolk, wo ich immer gelebt hatte, dass ich nach einem Band seiner Werke suchte und als erstes The Borough (Die Kleinstadt) las. Es dürfte nicht schwer zu verstehen sein, weshalb Mr. Forsters so einnehmende Abhandlung über diesen »durch und durch englischen Dichter« eine solche Sehnsucht nach der Wirklichkeit unserer rauhen, erregenden Meeresküste um Aldeburgh in mir erweckte. In jenem selben Jahr hatte ich die Musik zu Paul Bunyan, einer Operette nach Texten von W. H. Auden, geschrieben. Eine Woche lang wurde sie an der Columbia University in New York gespielt. Die Presse verurteilte sie schonungslos. Das Publikum scheint einigen Gefallen an den Aufführungen gefunden zu haben. Aller Kritik zum Trotz hatte ich den Wunsch, weitere Bühnenwerke zu schreiben. The Borough, vor allem die Geschichte von Peter Grimes daraus, lieferten Sujet und Rahmen für eine Handlung, die Peter Pears und mich zu dem Versuch anregten, einen Opernstoff aus ihr zu machen. BEN JA MIN BR IT T EN

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Mehrere Monate später, als ich an der Ostküste der Staaten auf eine Gelegenheit zur Überfahrt in die englische Heimat wartete, fand in Boston eine Aufführung meiner Sinfonia da Requiem durch Sergei Kussewitzki statt. Er fragte mich, weshalb ich noch keine Oper geschrieben hätte. Ich setzte ihm auseinander, dass die Anfertigung des Textbuches, die Diskussionen mit dem Librettisten, die Planung der musikalischen Struktur, die Komposition vorbereitender Skizzen und das Schreiben der annähernd tausend Partiturseiten eine Befreiung von allen anderen Arbeiten notwendig machen würde, was schon aus finanziellen Gründen für die meisten jungen Komponisten ein Ding der Unmöglichkeit sei. Kussewitzki zeigte sich an meinem Projekt zu einer Oper nach Crabbe interessiert, wenngleich ich nicht damit rechnen konnte, während der nächsten Jahre eine Gelegenheit zu haben, sie zu schreiben. Als wir uns nach einigen Wochen wiedersahen, eröffnete er mir, alles in die Wege geleitet zu haben, mir einen Opernauftrag geben zu können. Sie sollte dem Andenken seiner vor kurzem verstorbenen Frau gewidmet sein. Als ich im April 1942 in England eintraf, unterbreitete ich Montagu Slater den Plan in groben Umrissen und bat ihn, das Libretto zu schreiben. Diskussionen, Änderungen und Verbesserungen erstreckten sich über beinahe achtzehn Monate. Im Jänner 1944 begann ich mit der Komposition, im Februar 1945 war die Partitur abgeschlossen. Die meiste Zeit meines Lebens lebte ich in engem Kontakt mit dem Meer. Das Haus meiner Eltern in Lowestoft blickte direkt auf die See, und zu den Erlebnissen meiner Kindheit gehörten die wilden Stürme, die oftmals Schiffe an unsere Küste warfen und ganze Strecken der benachbarten Klippen wegrissen. Als ich Peter Grimes schrieb, ging es mir darum, meinem Wissen um den ewigen Kampf der Männer und Frauen, die ihr Leben, ihren Lebensunterhalt dem Meer abtrotzen, Ausdruck zu verleihen – trotz aller Problematik, ein derart universelles Thema dramatisch darzustellen. Mein besonderes Interesse gehört den architektonischen und formalen Fragen der Oper: Ich entschied mich gegen das Wagner’sche Prinzip der unendlichen Melodie und für die klassische Form von einzelnen Nummern, die zu gegebenen Augenblicken den seelischen Zustand, den eine dramatische Situation hervorruft, herauszukristallisieren und festzuhalten vermögen. Eines meiner Hauptziele sehe ich in dem Versuch, der Vertonung der englischen Sprache die Virtuosität, Freiheit und Vitalität wiederzugewinnen, die seit dem Tode Purcells so erstaunlich selten geworden sind.

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W IE PET ER GR IME S EN TSTA N D


Irmgard Harrer

»AN CRABBE DENKEN HEISST AN ENGLAND DENKEN« - Zur Entstehung des Librettos »In a flash I realized two things: that I must write an opera, and where I belonged« – »blitzartig wurde mir bewusst, dass ich eine Oper schreiben muss und wo ich hin gehöre«. So beschreibt Benjamin Britten seine Reaktion auf die Lektüre der Verserzählung The Borough des englischen Poeten George Crabbe. Britten hatte sie 1941 während seines Aufenthaltes in Amerika gelesen. Sein Freund und Lebenspartner, der Tenor Peter Pears hatte in einem Antiquariat in Los Angeles The Poetic Works of the Rev. George Crabbe (1851) entdeckt und gekauft. Die darin unter dem Titel The Borough (zu deutsch: Kleinstadt, Wahlbezirk) enthaltenen 24 Erzählungen, vor allem jene über »Peter Grimes«, faszinierten Britten. Sie weckten in ihm solches Heimweh, dass er an die sofortige Rückkehr nach England dachte, und gleichzeitig drängte es ihn, eine Oper zu komponieren. Beides, der Wunsch nach Heimkehr und der Wunsch zum Komponieren einer Oper, wurde durch einen Artikel verstärkt, den der englische Schriftsteller und Essayist Edward Morgan Forster über George Crabbe in der BBC-Zeitschrift Listener vom 29. Mai 1941 veröffentlicht hatte. Er beginnt mit dem Satz: »An Crabbe denken heißt an England denken.« George Crabbe, 1754 in Aldeburgh an der Nordseeküste der englischen Grafschaft Suffolk geboren, ist der Dichter der vom Meer umtosten Landschaft seiner Heimat und ihrer Menschen. »Mit was für einem Getöse bricht sich die See, wenn sie auf den Kieselstrand trifft. … Ablagerungen von Schlamm, salzige Marsch, kreischende Vögel des Watts. Crabbe hat dieses Tönen gehört und diese Melancholie empfunden, und sie sind in seine Verse eingegangen. Er wuchs unter armen Leuten auf und wurde als ihr Dichter IR MGA RG H A R R ER

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bezeichnet«, schreibt Forster über den von seinen Zeitgenossen geschätzten Dichter, der aber heute wohl vergessen wäre, hätte er nicht Britten zu seiner ersten Oper inspiriert. Suffolk ist auch Benjamin Brittens Heimat. 1913 in der Kleinstadt Lowestoft geboren, verbrachte er die meiste Zeit seines Lebens »in engem Kontakt mit dem Meer. Das Haus meiner Eltern in Lowestoft blickte direkt auf die See, und zu den Erlebnissen meiner Kindheit gehörten die wilden Stürme, die oftmals Schiffe an unsere Küste warfen und ganze Strecken der benachbarten Klippen wegrissen.« Suffolk »mit seinen Marschen, seinen wilden Wasservögeln, seinen großen Häfen und kleinen Fischerdörfern« sind Brittens Wurzeln, sind »Teil meines Lebens, ohne den ich nicht sein kann«. Die Erkenntnis seiner Zugehörigkeit zur heimatlichen Landschaft und ihren Bewohnern beendete das Intermezzo in Amerika. Britten und Pears, beide Pazifisten mit Kontakten zur englischen Linken, hatten 1939 das politisch unsichere England verlassen und waren nach Nordamerika emigriert, zumal auch die mit ihnen befreundeten Literaten W. H. Auden und Christopher Isherwood England verlassen hatten. Darüber hinaus aber, schrieb Britten später, waren es »tausend Gründe«, meistens »Probleme«, die mich zur Reise drängten und schon auf der Überfahrt bekannte er: »Je mehr ich an Snape denke, desto mehr halte ich mich für einen Narren, es verlassen zu haben.« In Snape, einem Dorf in Suffolk, hatte Britten eine alte Mühle gekauft und vor der Abreise mit Peter Pears bewohnt. Dennoch fühlte sich Britten in Amerika zunächst recht wohl, vor allem im Freundeskreis in Brooklyn, dem Zentrum der amerikanischen Linken, auch hatte er berufliche Erfolge zu verzeichnen und wichtige Werke abgeschlossen, darunter Les Illuminations zu Texten von Arthur Rimbaud, das Violinkonzert, die Sinfonia da Requiem und die Operette Paul Bunyan nach einem Libretto seines Freundes W. H. Auden. Doch die Sehnsucht England war nie erloschen und nach der Lektüre von Crabbes Dichtung und E. M. Forsters lobendem Artikel war der Entschluss zur Rückkehr gefasst. In George Crabbes Werk findet sich im Gegensatz zu Landschaftsschilderungen zeitgenössischer Schriftsteller nichts von pastoraler Idylle, nichts von Schönfärberei des Landlebens und schon gar nichts von romantischer Verklärung seiner Bewohner. Byron, ein Bewunderer Crabbes, nannte ihn den »zwar unerbittlichen, aber besten Maler der Natur«. Das Schicksal habe ihn auf eine finstere, bedrohliche Küste geworfen, sagte Crabbe, der nach einer unglücklichen Kindheit nach London geflüchtet war und sich in bitterster Armut als Schriftsteller zu etablieren versuchte. Der englische Politiker und Publizist Edmund Burke, der von den dichterischen Qualitäten des jungen Poeten überzeugt war, ermöglichte ihm das Studium der Theologie, und Crabbe wirkte fortan als Geistlicher der anglikanischen Kirche, später als Kaplan und schließlich als Pfarrer in Trowbridge in Westengland. 29

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In seinem Werk The Village (Das Dorf), griff Crabbe auf die Erfahrungen seiner Kindheit und Jugend zurück. Mit scharfem, von keinerlei Sentimentalität getrübtem Blick beschreibt er präzise und detailliert die Missstände in seiner Heimatstadt. In der 1810 erschienenen Verserzählung The Borough porträtiert er in 24 Briefen an einen imaginären Adressaten die Einwohner von Aldeburgh, schildert ihre beruflichen Aktivitäten, ihre religiösen Überzeugungen, die Teilnahme am öffentlichen Leben in Kirche und Gemeinde, Vergnügungen und Verstrickungen der Reichen und ebenso genau und schonungslos den Alltag der Arbeiter, das Elend im Kranken- und im Armenhaus wie auch im Gefängnis. Jener Brief, der Britten sosehr gefangen nahm, dass er abrupt beschloss, seinen Aufenthalt in Amerika abzubrechen und eine Oper zu schreiben, hat die Nummer 22 und trägt den Titel Peter Grimes. Crabbe zeichnet den Fischer Peter Grimes als brutalen Wüstling. Als Bub lehnt er sich gegen seinen Vater auf, trinkt und spielt, fischt illegal und stiehlt. Mit allen Mitteln will er reich werden. Sein Verlangen nach Macht und die Lust zu quälen stillt er, indem er sich aus Londoner Armenhäusern verwaiste Knaben holt, die dort völlig legal verkauft werden. Als Lehrbuben und Gehilfen sind sie seinen Misshandlungen hilflos ausgesetzt. Die Einwohner der Stadt wissen Bescheid, aber niemand kümmert sich oder fragt nach, wenn die Spuren von Hunger und Prügeln das Leiden der Grimes anvertrauten Buben sichtbar machen. Nach dem mysteriösen Tod seines ersten Lehrlings holt sich Grimes in London einen zweiten. Nachdem auch dieser ähnlich ungeklärt ums Leben kommt, holt er sich einen dritten. Als dieser ebenso rätselhaft stirbt, muss sich der Fischer öffentlich verantworten. Da ihm aber keine Schuld nachzuweisen ist, bleibt er straflos; es wird ihm lediglich verboten, sich einen vierten Buben zu kaufen. Nun, allein und ohne Objekt zur Befriedigung seiner Machtgelüste und sadistischen Triebe, fällt Grimes in tiefe Depression. Von schaurigen Visionen gequält, stirbt er, wahnsinnig geworden, in einem Hospiz. In Crabbes Erzählung ist Grimes die Verkörperung des Bösen, gleichzeitig auch der Ausgestoßene, ausgestoßen jedoch von einer Gemeinschaft, die sich durch Duldung des Unrechts mitschuldig gemacht hat. Im Kriegsjahr 1942 schiffen sich Britten und Pears zur Überfahrt nach England ein. Während der gefährlichen Überquerung des Atlantiks beschäftigen sie sich mit dem Entwurf einer Szenerie für das Libretto einer Oper mit dem Protagonisten »Peter Grimes«. Sie sehen ihn allerdings wesentlich differenzierter als Crabbe in seiner Verserzählung. In ihrer Interpretation ist Grimes ein schwacher Mensch, der das Böse in der Gesellschaft widerspiegelt, aber auch Gefühle des Mitleids wecken kann. In England erhält der befreundete Bühnenautor und Literaturkritiker Montagu Slater den Auftrag zur Ausarbeitung des Librettos. Nun liegt das Hauptaugenmerk auf der Auseinandersetzung des Einzelnen mit der Masse. IR MGA RG H A R R ER

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Peter Grimes, der sich den Konventionen seiner Umgebung nicht unterwirft, wird zum Außenseiter und Einzelgänger. Er hat sich verhasst gemacht und hasst selbst. Dennoch will er anerkannt, auch geliebt werden, ist aber unfähig, auf die Zuneigung der ihm gut gesinnten Lehrerin Ellen Orford zu reagieren. Er will reich werden, denn er möchte Ellen als reicher Mann heiraten, nicht aus Mitleid von ihr genommen werden. Aber nach dem Tod seines Lehrlings, den der Untersuchungsrichter als Unfall erklärt, bezichtigen ihn die zur Meute verkommenen Bürger des Mordes. Ihr Urteil ist gefällt, ungeachtet des Fehlens von Beweisen, und es beginnt der aussichtslose Kampf des Individuums gegen die Masse. Als sein Traum, mit Ellen ein freies Leben zu führen, undenkbar wird, flüchtet er sich in die Grausamkeit, wird so, wie ihn seine Mitbürger immer schon gesehen haben. Menschenjagden treiben die Handlung voran. Im zweiten Akt rottet sich die Meute zusammen, zieht gegen Grimes’ Hütte und versetzt ihn in Raserei. Die Wut lenkt den Fischer von seiner Aufsichtspflicht über seinen zweiten Lehrling ab und der Bub kommt zu Tode. Im dritten Akt hetzt die Witwe Sedley den bewaffneten Mob auf den Fischer. Ellen Orford und der Kapitän Balstrode können ihn nicht retten. Balstrode gibt Grimes den Rat, aufs Meer hinaus zu fahren und sein Boot zu versenken. Damit erspart er ihm den Tod durch die aufgebrachte Meute. »... denn die Überlegenheit auf Seiten der Masse ist enorm. Das Opfer kann ihnen nichts anhaben. Es flieht oder ist gefesselt. Es kann nicht zuschlagen, in seiner Wehrlosigkeit ist es nur noch Opfer« (Elias Cannetti). In der Wahl der Vorlagen zu seinen Opern wählte Britten Bereiche, die auch in seiner Biographie relevant waren. Dazu gehören das Meer in seiner Wandelbarkeit, die von Springfluten bedrohte Küste und das raue Leben der Küstenbewohner. Und dazu gehört das Thema Einzelgängertum. Als Pazifist, Wehrdienstverweigerer und Homosexueller war Britten ein Einzelgänger. Wenngleich er als erfolgreicher Komponist privilegiert war, fühlte er sich auf Grund seiner Veranlagung als Außenseiter, vielleicht auch schuldig. Er selbst bezeichnete die in Peter Grimes abgehandelte Problematik als »meinem Herzen sehr nahe liegend – der Kampf des Einzelnen gegen die Masse. Je bösartiger eine Gesellschaft, desto bösartiger das Individuum«. Die Oper Peter Grimes wurde am 7. Juni 1945 mit Peter Pears in der Hauptrolle im Sadler’s Wells Theatre in London uraufgeführt und begründete Brittens Weltruhm.

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Benjamin Britten

»Suffolk, Geburtsland und geistiger Anreger für Constable und Gainsborough, die anmutigsten der englischen Maler; die Heimat Crabbes, dieses urenglischen Dichters; Suffolk mit seiner welligen trauten Landschaft, seinen herrlichen gotischen Kirchen, hoch und eng, mit seinen Marschen, seinen wilden Wasservögeln, seinen großen Häfen, seinen kleinen Fischerdörfern. Ich bin ganz und gar in dieser wunderbaren Grafschaft verwurzelt. Und ich erfuhr es an mir selbst, als ich einst versuchte, woanders zu leben. Selbst wenn ich so gerühmte Länder wie Italien, so freundliche wie Dänemark oder Holland besuche, immer bekomme ich Heimweh und bin froh, wenn ich wieder nach Suffolk zurückkehren kann.


Ich glaube, das zeigt auch mein Werk. Von fünf Opern, die ich bisher geschrieben habe, spielen drei in Ostsuffolk. Let’s make an Opera wurde in Iken, nicht weit von Saxmundham, geschrieben. Peter Grimes spielt in Wirklichkeit in Aldeburgh, wo Crabbe schuf; Albert Herring in einer namenlosen Stadt in Suffolk, die überall sein könnte, wo es herrische alte Damen und tumbe Burschen gibt, vielleicht sogar in Lowestoft selber. Ich hüte diese Wurzeln, meine Suffolker Wurzeln, wie einen Schatz. Denn gerade heute, da so vieles, das wir lieben, sich verlieren will oder bedroht ist, da es so wenig gibt, an dem wir wirklich hängen, gerade heute sind sie mir von besonderem Wert.«


GEORGE CRABBE »An Crabbe denken, heißt an England zu denken«, charakterisierte E. M. Forster in einem Essay den Dichter George Crabbe, der 1810 die Vorlage für Brittens Peter Grimes verfasste. George Crabbe wurde 1754 in Aldeburgh/Suffolk an der englischen Küste geboren. Seine Mutter starb früh, er erlebte harte Jugendjahre, fürchtete seinen groben Vater, der ihn zur Kinderarbeit zwang und ihn später als Lehrbub zum örtlichen Apotheker schickte. Crabbe zog bei der ersten sich bietenden Gelegenheit nach London, um sich dort ab 1780 als freier Schriftsteller zu versuchen. Obwohl er wegen der harten Kindheit und der Misere der Bewohner seinen Heimatort hasste, blieben »der Geruch« der See, die Küste, die Beisln, die Armenhäuser und Gefängnisse in seinen Dich­tungen immer lebendig, und er konnte sich geistig nie von seiner Heimat trennen. Die schriftstellerischen Qualitäten Crabbes wurden bald von Edmund Burke entdeckt, und dieser finanzierte ihm ein Theologiestudium. Crabbe heiratete gut, wurde als Geistlicher zuerst in seine verhasste Heimatstadt geschickt, wo er schlecht aufgenommen wurde. Glücklich war er erst, als er 1782-1785 Kaplan des Herzogs von Rutland und dann Pfarrer in Trowbridge/Wiltshire (Westengland) wurde. Sein erstes wichtiges Werk war The Village/Das Dorf (1783) – eine Schilderung der Missstände in seinem Heimatdorf Aldeburgh. Mit Schroffheit, Ehrlichkeit und erbarmungslosem Realismus – bar aller in der Romantik üblichen Idylle und Sentimentalität – beschrieb Crabbe das harte Leben der Dorfbewohner. Während der folgenden Jahre widmete sich Crabbe seiner Familie und seiner Pfarre und begann nach familiären Schicksalsschlägen erst 1808 wieder zu schreiben. Inzwischen erfolgreich und wohlhabend geworden, lebte er bis zu seinem Tode (1832) in Trowbridge.

BIOGR A FIE

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MONTAGU SLATER Der englische Dichter, Bühnenautor und Literaturkritiker Montagu Slater (1902-1956) schrieb nach der Vorlage von George Crabbe das Libretto von Peter Grimes, nachdem Christopher Isherwood diese Aufgabe abgelehnt hatte. Britten und Slater begegneten einander in den dreißiger Jahren, als sie bei der GPO Film Unit arbeiteten. Schon damals vertonte Britten Stücke von Slater, so 1937 den Liedzyklus Mother Comfort. 1939 widmete der Komponist dem Schriftsteller sein Chorwerk Ballad of heroes (für die englischen Spanienkämpfer auf einen Text von W.H. Auden). Die Arbeit am Libretto begann der Dichter 1942 nach der Rückkehr Brittens aus Amerika. Nach Diskussionen, Änderungen und Verbesserungen lag die Textvorlage 1943 fertig vor. Zum Libretto meinte Montagu Slater: »Crabbes Gedicht ist allerdings nur der Ausgangspunkt der Oper. Einige der Charakterisierungen der Hauptfiguren stammen von ihm. Ich habe mich ihrer bedient, wie ich mich der Atmosphäre und der Ambiente von The Borough bedient habe. Die Geschichte aber ist von mir und von Benjamin Britten. Britten hatte die Idee, das Gedicht von Crabbe als Grundlage eines Librettos zu nehmen. Die Verantwortung liegt bei mir. Crabbe ist unschuldig.« In der Kriegszeit war Slater in der Filmabteilung des britischen Informa­ tionsministeriums beschäftigt. Dies führte zu einer weiteren Zusammen­arbeit mit Britten: Slater schrieb das Drehbuch für die originale Filmversion von The Young Person’s Guide to the Orchestra (1946). Seine Frau, Enid Slater (19031988) war eine angesehene Fotografin.

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BIOGR A FIE


Philip Brett

GRIMES HEUTE 1945 feierte die Sadler’s Wells Opera Company die Rückkehr in ihr Londoner Theater mit einer neuen Oper namens Peter Grimes. Die Zukunft der Truppe auf ein neues Werk eines jungen Mannes von kaum 30 Jahren zu setzen, war ein gewagtes Unterfangen. So gewagt, dass es zu schwersten Differenzen im Ensemble kam und die neue Oper nach ein paar Vorstellungen vom Spielplan abgesetzt wurde. Heute, nachdem Hunderte von Vorstellungen in der ganzen Welt ihm einen festen Platz im Bühnenrepertoire verschafft haben, scheint Peter Grimes eine weniger gefährliche Wahl zu sein. Doch dem ist nicht so. Peter Grimes erzählt die Geschichte eines Abweichlers. In Crabbes Dichtung ist Grimes ein Erzwüterich und Grobian. Er beschimpft seinen Vater, spielt und säuft, wird zum Wilderer und unbefugten Eindringling und gibt sich erst zufrieden, wenn er »ein fühlendes Wesen seiner Macht unterworfen« hat. Die drei Buben aus dem Armenhaus, die er zu diesem Zweck als seine Lehrlinge kauft, »spüren die Schläge seiner frevelhaften Hand« in einem solchen Ausmaß, dass sie dabei ihr Leben einbüßen. Grimes darf keine Lehrlinge mehr aufnehmen und versinkt in Melancholie, wird gepeinigt von Visionen seines Vaters und der toten Kinder, verliert seinen Verstand und stirbt als Almosenempfänger. E. M. Forster beschrieb ihn so: »Grimes ist hart, verstockt und stumpfsinnig, und der Dichter muss daher hart zu ihm sein, härter als es Shakespeare mit Macbeth sein musste, der immerhin Fantasie besaß. Er muss ihn körperlich zerschmet­tern... und ihm dann realistische Geistererscheinungen in den Weg stellen.« PHILIP BR ET T

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Crabbe war Realist und mehr Sozialkritiker denn Reformer. Sein Grimes geht bloß an die Grenze dessen, was das Gesetz erlaubt. Im Gegensatz zu dem Bösewicht eines romantischen Romanes muss er nicht zu Menschenraub Zuflucht nehmen, um jemanden in seine Gewalt zu bringen: Er braucht sich nur an das nächste Armenhaus zu wenden. Dabei werden die Stadtleute zu seinen Komplizen: Keiner fragt’, wozu das Seil in Peters Hand, noch woher das Mal, das den Bub zu Boden zwang... Keiner fragt’: »Peter, gibst du dem Jungen eben was zu Essen? – Was denn, Mann! Der Jung muss leben: Bedenke, Peter, gib dem Kinde Brot, er dient dir besser, kriegt er Speis und Lieb.« Keiner dacht’ dergleichen – und mancher, hört’ er die Schreie, sprach ruhig: »’s ist Grimes beim Exerzieren.« Als sich die Stadtleute letztendlich doch gegen Peter stellen, denken sie nicht daran, ihr eigenes Gewissen zu erforschen: Sie wollen lediglich einen Sündenbock. Wir erinnern uns, dass Crabbe, obwohl er immer wieder nach Aldeburgh zurückkehrte, weder den Ort noch seine Menschen mochte. Wie Ronald B. Hatch sagte: »Grimes nutzt ein überkommenes System aus. Seine persönliche Grausamkeit spiegelt die Grausamkeit der Gesellschaft wider.« Diese Anmerkung kommt dem sehr nahe, was Britten 1948 dem Time Magazine kurz vor der ersten Aufführung in New York sagte: »Je bösartiger die Gesellschaft, desto bösartiger der einzelne.« Doch zuvor erklärte er, dass Grimes »als Thema mir sehr nahe geht – der Kampf des einzelnen gegen die Massen«. Im Gegensatz zu Crabbe, der Grimes als Verkörperung einer bösen Gesellschaft sah, betrachtete Britten ihn als Opfer dieser Gesellschaft, hatte er Mitleid mit ihm und wies ihm die Rolle des Jedermann zu. Britten und Pears (der beim Entwurf der Handlung 1942 vor und während ihrer gefahrvollen Reise von den Vereinigten Staaten zurück nach England mithalf ) gingen so weit wie möglich darin, Grimes von jeder echten Schuld freizusprechen. Dabei wurden sie vom Librettisten Montagu Slater unterstützt, einem Dramatiker der Linken (er war Mitglied der Kommunistischen Partei), den Britten bei seiner Tätigkeit für die GPO Film Unit in den 1930er Jahren kennengelernt hatte. Handlungsentscheidend sind zwei Menschenjagden, bei denen die Stadtleute unter Hintansetzung eines ordnungsgemäßen Gerichtsverfahrens das Recht selbst in die Hand nehmen. Im 2. Akt rottet sich eine Meute zusammen und zieht zu Grimes’ Hütte 37

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– die dramatische Funktion kristallisiert sich im Anklopfen an seiner Tür im 2. Bild. Der aufgebrachte Fischer, den der bloße Anblick der Prozession in eine paranoide Raserei versetzt hat, wird durch dieses schwerstes Unheil verkündende Symbol der Verletzung der Privatsphäre gerade in dem Moment abgelenkt, als er versucht, den Buben zu überwachen, wie dieser die Hütte verlässt und die ausgewaschene Klippe hinunter steigen will. Der Bub stürzt und stirbt. Libretto und Musik verweisen deutlich auf die Verwicklung der Stadt in diesen Todesfall. Die Menschenjagd im 3. Akt zeigt die Gesellschaft in einem noch feindseligeren Lichte. Gipfelnd in einem Chorsatz, der in seiner dramatischen Intensität Händels würdig ist, beschwört sie ein paranoides Fantasiegebilde der Unterdrückung. Hier verlässt die Oper den Realismus (in dem sie bisher so fest verankert schien) und geht in einen Alptraum über, der aus der Sicht des Gejagten und nicht der Jäger erlebt wird. Wenn der Protagonist nach einem schrillen, wirren Zwischenspiel, das sein Selbstgespräch widerspiegelt, hereintaumelt, hängt sich die Musik zur Gänze an einen einzigen Melodiefaden, der von der menschlichen – nunmehr kaum noch menschlichen – Stimme ausgeht. Das Orchester bleibt, von Nebelhorntönen abgesehen, still. Alles konzentriert sich auf die Einzelstimme des Grimes, der zum Höhepunkt den geisterhaften Stimmen der im Nebel umherirrenden Verfolger seinen Namen entgegenschleudert, teils aus Trotz, teils aus Selbsthass. Ein ängstliches Absinken in gesprochene Worte und dann Stille bezeichnet die unvermeidbare Fahrt in den Selbstmord. Das Problem geht buchstäblich unter, während die Stadt wieder jenes Leben aufnimmt, das ihre Spuren verwischt, ihre eigene Tragödie auslöscht. Die Saat dieser Tragödie ist, musikalisch gesprochen, bereits im Vorspiel enthalten. Hier heben sich der polternde Tonfall und die zielstrebigen Phrasen des geschäftigen Advokaten (in b-Moll, jener Tonart, die für die Stadt steht) ab von den wenig überzeugenden, visionären Wendungen des Grimes, die über statische, mitfühlend klingende Septimenakkorde projiziert werden. Die Saat keimt, als Peter, mitten in seinen Träumen um Ellen im Sturm, das geschäftige, kumulative Motiv, das den Chor im Vorspiel charakterisiert, musikalisch invertiert. Und sie nimmt Gestalt an zum Höhepunkt der Oper, im 1. Bild des 2. Aktes, als Peter Ellen schlägt und (während die Kirchgänger zum Amen ihres unheiligen Glaubens kommen, an jener Stelle, wo die Musik endlich eine große Kadenz über b-Moll, der »Stadt«-Tonart, vollzieht) ausruft: »So sei es, und möge Gott mir gnädig sein!«, als er den Buben mit sich fortzieht. Die Tragödie ist eine alltägliche. Sie geschieht, wenn der Einzelne das ablehnende Urteil der Gesellschaft sich aneignet und übernimmt. Dies führt dazu, dass jene Verhaltensmuster abgespult werden – sei es aus Selbsthass oder aus Trotz –, die den von der Gesellschaft konstruierten Vorurteilen entsprechen. In vielen Fällen ist dies ein unbewusster Prozess. Der Mensch verinnerlicht die Unterdrückung so sehr, dass er sie nicht mehr erkennen PHILIP BR ET T

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kann. Im schlimmsten Fall kann das, wie bei Grimes, zur völligen Schwächung, zu Gewalt und letztendlich zur Selbstzerstörung führen. Die meisten Menschen kennen das aus eigener Erfahrung. Wir wissen mehr darüber, seitdem wir erkannt haben, dass »Unterdrückung« nicht bloß eine eindimensionale Angelegenheit entsprechend dem marxistischen Wirtschaftsmodell ist. Sie agiert auf vielen Ebenen, sodass du oder ich einmal ein Unterdrücker und einmal ein Unterdrückter sein können. Deshalb reagieren auch so viele Menschen auf die Tragödie des Peter Grimes mit echten Gefühlen, obwohl es bei der Geschichte – im wörtlichen Sinne der Handlung – um einen wenig ansprechenden Kindesmisshandler geht. Die Intensität von Brittens Darstellung des menschlichen Zustands der Unterdrückung entstammt seiner Erfahrung als Homosexueller. Er selbst verinnerlichte seine eigene Unterdrückung so sehr, dass er seine Sexualität nie akzeptierte, geschweige denn imstande war, zuzugeben, von welch entscheidender Bedeutung sie für seine Arbeit war. In der Öffentlichkeit flüchtete er sich stattdessen in seinen Pazifismus, der für ihn die Stellung eines Codewortes einnahm. Britten gehörte einer Generation von homosexuellen Männern an (die Bezeichnung »Gay« mochte er nicht, und es wäre anachronistisch, sie auf ihn anzuwenden), die Privilegien auf Kosten der Selbstunterdrückung und Verheimlichung genossen. Aus dieser Situation heraus, die von ihm einen Tribut in der klassischen Form einer schweren Depression und anderer Charaktereigenschaften forderte, rettete sich Britten durch seine Musik, die einen düsteren und doch trotzig herausfordernden Diskurs als »closet queen« (englischer Ausdruck für heimliche Homosexuelle) schuf Freizügige Gesellschaften haben heute viele der Zustände abgeschafft, die zu Brittens Dilemma beitrugen: ein erfolgreicher Künstler, der sich dennoch sein Leben lang wegen seiner Homosexualität als Außenseiter fühlte. Was Peter Grimes so brillant macht und so außerordentlich gut in derartige Debatten passt, ist der Umstand, dass die Oper zwar eine eindeutige Allegorie der sexuellen (und sonstigen) Unterdrückung darstellt, aber dennoch ganz und gar nicht sexuell ist. Alle Andeutungen von Erotik wurden unbarmherzig aus dem Libretto herausgestrichen, ebenso wie das bei Crabbe so prominente Vaterbild. Der Kampf des einzelnen gegen die Massen: In dieser Allegorie blieb kein Platz für Andeutungen eines psychologischen Dramas, das Grimes’ pathologisches Verhalten in Freud’schen Begriffen »erklären« und damit die Abweichung im Rahmen des vertrauten medizinischen Modells einschließen und steuern hätte können. Deshalb ist auch der Grimes eine so unerklärliche und unbefriedigende Rolle (ausgenommen in seiner Musik). Die Aufmerksamkeit richtet sich auf die soziale Erfahrung, und die Botschaft lautet: Nicht Homosexualität, sondern die Gesellschaft ist das Problem. Und es geht noch weiter: Zur Kartharsis in Peter Grimes gehört, dass sich das Publikum mit genau jener Figur identifiziert, die zu verachten es gelehrt wurde. Schließlich bestünde die – erschreckende – Alternative darin, sich mit der 39

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Stadt zu identifizieren (wozu natürlich verschiedene Musikkritiker bereit waren). Jeder von uns ist, wenn auch nur potenziell, ein Außenseiter, und jeder von uns hat daher gute Gründe die Tendenz einer zu starken Identifikation mit allen Aspekte der Mehrheitsmeinung zu vermeiden: Das ist die Lektion dieser Oper. Als Edmund Wilson 1945 London einen Besuch abstattete, war er entsetzt darüber, wieviel Brutalität in die britische Gesellschaft, die er in Friedenszeiten so reizvoll gefunden hatte, eingezogen war. Mit dieser Erfahrung verband er die Allegorie, die er in Peter Grimes erkannte: »Es ist die Chronik eines Impulses zum Verfolgen und Töten, die zum obsessiven Zwang geworden ist, die den Missetäter durch eine Reihe von unsteuerbaren Grausamkeiten schleppt, welche letztendlich dazu führen, dass er selbst vernichtet wird.« Wilson erkannte: »Wenn du mit der Oper fertig bist – oder wenn sie mit dir fertig ist –, hast du beschlossen, dass Peter Grimes die gesamte bombenwerfende, maschinengewehrfeuernde, verminende, torpedoabschießende, aus dem Hinterhalt angreifende Menschheit ist, die von einem garantierten Lebensstandard redet, aber andauernd ihr eigenes Werk zerstört, ihr moralisches Leben korrumpiert und sich selbst aushungert.« In einer Zeit, da die Regierungen sich immer mehr den Armen und Kranken gegenüber blind und taub stellen wollen, da Giftmüll die Umwelt verseucht und die Wirtschaft sich erfolgreich als Opfer von Regierungsmaßnahmen darstellt, da ethnischer Streit und Hader in Europa wieder um sich greifen, da spricht Peter Grimes deutlich zu uns von der Wut der Vergangenheit. Es ist eine Oper für das Jetzt, heute eine genauso gefährliche und relevante Wahl für Opernensembles wie damals, als sie vor über 50 Jahren das erste Mal auf die Bühne gebracht wurde.

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Christine Mielitz, Regisseurin der Produktion

»Ich sehe in Peter Grimes nicht den sympathischen Eigenbrötler, sondern einen Besessenen, der, gequält von seinem Außenseitertum, alles der Vision unterordnet, endlich reich werden und die Lebensumstände ändern zu können.«


Peter Pears

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Versuch einer Rollendeutung des Peter Grimes


In Crabbes schönem Gedicht The Borough ist Peter Grimes lediglich ein böswilliger Fischer, der sich gegen die Zucht seines Vaters aufgelehnt hat und zu fischwildern, zu schmuggeln und zu trinken beginnt. Um seine »grausame Seele« zu befriedigen, braucht er »einen gehorsamen Jungen zum Quälen und zum Kommandieren«. Wegen der abscheulichen Misshandlungen, die er nacheinander drei Lehrjungen hat zuteil werden lassen, sieht er sich vom Borough verstoßen und stirbt in Elend und Wahnsinn in einem Hospiz. Man sieht, eine Persönlichkeit, der für die Opernszene jeder Glanz abgeht! Jedoch entwirft Crabbe in seinem Gedicht auch ein vollständiges Bild des Lebens in einem kleinen Fischerhafen in Suffolk vor hundert Jahren – ein Gemälde, das von einer erstaunlichen Beobachtungsgabe zeugt. Alle Schichten der Gesellschaft sind vertreten, von den verschiedenen lokalen Menschentypen mit ihren charakteristischen Tätigkeiten und Zerstreuungen bis hin zum Los der Individuen in den Armenhäusern und Gefängnissen – mithin alle Einzelzüge, die das Leben einer Gemeinschaft ausmachen. Dieser äußerst konkrete Hintergrund, der in der Allgegenwart des Meeres gipfelt, gab dem Komponisten die Idee einer Oper ein, die auf dem Konflikt zwischen Gesellschaft und Individuum gründet – einem Konflikt, der übrigens in sehr vielen Gedichten Crabbes enthalten ist. In Brittens Oper ähnelt The Borough verblüffend stark dem Crabbe’schen, und die meisten Personen sind hier wie dort dieselben: Auntie, die Inhaberin der Beisl »The Boar« (»Der Eber«) und ihre zwei Nichten; der Quacksalber Ned Keene, der Advokat Swallow, der Pastor usw. Peter Grimes dagegen ist eine deutlich komplexere Persönlichkeit, die nur ziemlich entfernt an den »Desperado« in Crabbes Gedicht erinnert. Im Prolog, als er dem Leichenbeschauer Swallow vom Tod seines Lehrjungen auf dem Meer berichtet, wird klar, dass er die Wahrheit sagt; desgleichen zeigen später in seiner Hütte die Halluzinationen, in denen er das Gesicht des toten, die Augen auf ihn richtenden Jungen erblickt, dass er keine Mörderseele besitzt. Es ist der Zwang der Vorurteile, der die Menge der Dorfbewohner gegen ihn aufbringt, wie es übrigens die Worte Swallows bestätigen Grimes möchte ihnen »die Wahrheit und das Mitleid« über sein elendes Leben mit dem Jungen beibringen, aber der Borough will nicht hören. Freilich war es damals üblich, die Waisenkinder mit einer pauschalen Geldsumme für ihren Unterhalt der Obhut von Erwachsenen anzuvertrauen. Das Leben war für die Armen überall hart, wenn auch weniger in den Agrargegenden von Suffolk als in den neuen Industriestädten Nordenglands, die sich damals in voller Entwicklung befanden, wo die Gewerkschaften verboten blieben und wo der Arbeiter Gefängnis riskierte, wenn er seinen Arbeitsplatz verließ. Für Grimes besteht das einzige Mittel, dem Elend seiner Lage zu entkommen, in der Rechtfertigung vor den Augen des Boroughs, indem er Geld verdient und ein angesehener Mann wird. Er hat nur Verachtung übrig für die Vorschriften und den Dünkel des Boroughs, aber zugleich wünscht er brennend, nach den Kriterien des Boroughs Erfolg zu haben, einen »Hausstand und ein 43

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Geschäft« zu besitzen. Daher will er Ellen heiraten. Aber dafür muss er zuerst einen »ganz großen Fischfang machen« und überlastet deshalb den unglücklichen Lehrjungen; die Gesellschaft reagiert auf ihre Weise gegen Grimes, indem sie ihn lynchen will. Hätte er in der Großstadt gelebt, so hätte Grimes ein Revolutionär werden können; er hätte sich vielleicht einer von Robert Owens »communities« angeschlossen. Aber die Politik hat im Borough keinen Platz – es gibt nur Mehrheit und Minderheit, diejenigen, die sich anpassen, und die, welche außerhalb der »kleinen Welt der Beisl« bleiben. Und Grimes ist natürlich ein echter »Außenseiter«. Er ist ganz bestimmt kein Mensch von gutem Benehmen, ist brutal, ungepflegt und äußerst aggressiv. Er stößt die Freundschaft Balstrodes zurück, eines pensionierten Kapitäns, der sich für ihn interessiert und sich bemüht, ihm zu helfen; und er überwirft sich mit Ellen, die er doch liebt und die seine einzige Hoffnung darstellt – und das alles wegen eines blauen Flecks am Halse des Lehrjungen, den der unglückselige Bursche sich vielleicht im Durcheinander eines Seesturms selbst beigebracht hat. Grimes misst einer solchen Kleinigkeit kaum Bedeutung bei, aber sie ist der Anfang vom Ende, und der Zorn steigt in den Bewohnern des Boroughs auf. Grimes war fraglos ein sehr harter Lehrmeister, aber seine Wutausbrüche wären vielleicht unbemerkt vorübergegangen, wenn er das Spiel der gesellschaftlichen Konventionen hätte mitspielen können. Zu seinem Unglück lehnt er es ab, sich mit dem Borough zu befassen, und der Borough kann ihn nur ausschließen. Grimes ist weder Opernheld noch Opernbösewicht. Er ist auch weder Sadist noch eine dämonische Persönlichkeit, und die Musik lässt daran keinen Zweifel. Er ist im Gegenteil ein ganz gewöhnlicher Mensch, ein Schwacher, der im Kriegszustand mit der Gesellschaft steht, in der er lebt. Seine Anstrengungen, über sie zu triumphieren, führen ihn dazu, die gesellschaftlichen Konventionen zu verletzen; er wird also von der Gesellschaft als Verbrecher eingestuft und als solcher von ihr vernichtet. Es gibt, meine ich, viele Peter Grimes um uns herum!

→ Jonas Kaufmann als Peter Grimes und Sir Bryn Terfel als Balstrode, 2022, (Probenfoto)

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Wolfram Wagner

DAS DETAIL UND DAS GANZE Was ich an der Oper Peter Grimes bewundere, ist vieles. Britten, der sich öffentlich als überzeugter Pazifist deklariert hatte, komponierte sie während des 2. Weltkrieges, uraufgeführt wurde sie sehr bald nach Kriegsende, doch kaum etwas an der Musik (oder auch am Text) verweist ganz offensichtlich auf die politischen Umstände während der Entstehungszeit. Brittens – dann allerdings sehr intensive – künstlerische Auseinandersetzung mit dem Krieg erfolgte Jahre später mit seinem War Requiem, einem der bedeutendsten ChorOrchesterwerke des 20. Jahrhunderts. Der Chor singt im War Requiem den lateinischen Requiem-Text, während die Solisten Vertonungen von Gedichten von Wilfred Owen vortragen, die dieser während des 1. Weltkrieges geschrieben hat. In Peter Grimes findet sich Ähnliches zu Beginn des 2. Aktes, wenn man die Messgesänge des Chores als Kontrapunkt und unabsichtliche Antwort zum Gesang Ellens und zum Duett Ellens mit Peter Grimes hört. Der Chor spielt in dieser Oper – ähnlich wie in Brittens anderer großen Meeresoper Billy Budd – eine tragende, nicht kommentierende, sondern agierende Rolle, gerät dabei vom Singen mitunter ins Murmeln, Flüstern und Zischen und steht oft gegen einen Solisten als Masse gegen ein Individuum, übertönt etwa gegen Ende des 2. Aktes die eindringlich gegen die aufgebrachte Menge ansingen wollende Ellen, zeigt aber zuweilen auch gefällige, bestätigende oder sogar antreibende und angetriebene Übereinstimmung mit einem Solisten, wird zum gefährlichen Mob, ein andermal zum Träger gesellschaftlicher Wunschideen. Wünsche sind es, die zu einem der Hauptthemen dieser Oper werden und deren kompromisslose Verfolgung die titelgebende Hauptperson in den Tod treibt. Die musikalische Umsetzung dieses alle Zeiten und Welten beherrschenden Dramas, nämlich Wunsch gegen Widerstand bei dem Versuch seiWOLFR A M WAGN ER

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ner Durchsetzung, erfolgt auf eine Weise, die im Detail ansetzt und in der Gesamtform dieses Werkes ihre Vollendung findet. Man bemerkt das zum einen darin, wie jeder der drei Akte (Prolog und Epilog miteingebunden) für sich einen stringenten dramatischen Verlauf zeigt, einen Verlauf, der seine tatsächliche Rundung erst mit den letzten Tönen des Epilogs erfährt, zum anderen, wie sich als Details beschreibbare Elemente als verbindende Fäden durch das musikalische Geschehen ziehen und so als psychologische Fingerzeige fungieren. Dabei entwickelt sich eine Musiksprache, die im Lyrischen wie im Dramatischen, ja auch im (hier selten zu findenden) Komischen einen überaus stark ausgeprägten Sinn für Theatralik zeigt und zugleich eine Originalität, die mit unmittelbar ansprechenden Mitteln umzugehen versteht. Wenn eine Stimmung klanglich ausgemalt wird, wenn sie plötzlich kippt, wenn mehrere Schichten übereinandergelegt werden, wenn die Personen in ihrem Charakter und in ihrer momentanen psychischen Situation nachgezeichnet werden: der störrische, eigenbrötlerische Peter Grimes, der von der Gesellschaft der Untat verdächtigt und am Ende im Stich gelassen wird; die für ihre Liebe aufopferungsbereite Ellen, die sich in ihrem Einstehen für Peter Grimes dem Risiko der Missbilligung durch die Gesellschaft bewusst aussetzt; der sich um Ausgleich bemühende, dabei mitunter hin- und hergerissene Balstrode (der übrigens die einzigen solistisch nicht gesungenen, sondern gesprochenen Worte von sich gibt, nämlich anlässlich seiner an Peter Grimes gerichteten Aufforderung zum Selbstmord); aber auch Nebenfiguren wie die beiden ängstlich um die Friedlichkeit und Ungestörtheit ihrer Existenz bemühten Nichten, dann geschieht dies mit musikalischen Mitteln, die einfach und in ihrer Wirkung plastisch genug sind, um jedem offenen Ohr verständlich zu sein, ohne dabei in irgendeiner Weise klischeehaft zu wirken. Es ist eine staunenswerte musikalische Eingängigkeit, die mit absoluter Integrität einhergeht. Vertraute Klänge und Tonfolgen wie Dur- und MollDreiklänge und Tonleitern werden auf neue, eigenartige Weise verwendet, klingen wie gerade erst erfunden, vermischen sich mit zum Teil tatsächlich ganz neuartigen Klangerfindungen wie z.B. den tonalen Hornclustern zu Beginn des 2. Aktes, den spitz akzentuierten Oktaven der Soloflöte zu satten Dreiklängen des übrigen Orchesters zu Beginn des 3. Aktes, den Soli von Flöte, Violinen und Oboe zu orgelartig ausgehaltenen Pianissimo-Akkorden im letzten Zwischenspiel, dem verlorenen Singen des bereits verwirrten Peter Grimes zum begleitenden, seinen Namen rufenden Fern­chor gegen Ende. Es fällt auf, wie über längere Passagen die Tonsprache geprägt ist von behutsamem Kreisen um wenige, sich in ihrer Wiederholung nur leicht verändernde oder überhaupt gleichbleibende Motive, ein minimalistischer Ansatz Jahrzehnte vor der Erfindung der dann so bezeichneten Minimal-Music, was der Musik zusätzliche Eindringlichkeit verleiht. Bestimmte musikalische 47

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← Gabriel Sadé als Peter Grimes und Melanie Diener als Ellen Orford, 2005

Gesten kehren markant wieder, so der mit einem kurzen, lauten Moll-Dreiklang abgerissene Schluss des 1. Aktes im ebenso gestalteten Schluss des Dialogs Ellens mit Peter im 2. Akt, wogegen der gespenstische pianissimoSchluss des 2. Aktes steht, mit einem absteigenden Violasolo (als Nachsinnen über den tödlichen Absturz des Hilfsjungen?), das in seiner fallenden Tendenz die Umkehrung bildet zum 15 Minuten zuvor erklungenen aufsteigenden Violasolo am Beginn des Passacaglia-Zwischenspiels vor dem letzten Bild dieses Aktes. Dieses Aktende korreliert wiederum mit dem ebenso im Pianissimo versickernden Ende der Oper. Als die in ihrer Einfachheit einprägsam über das ganze Stück verteilten musikalischen Figuren bleiben mir besonders der wiederholte verhaltene Dur-Dreiklang in den Hörnern mit seiner signalhaften Wirkung im 1. Akt wie auch ganz gegen Ende der Oper in Erinnerung, auch das in seiner Espressivität auffällige Intervall der aufsteigenden None, das man im ersten Duett Peter Grimes’ mit Ellen ebenso findet wie in Peter Grimes’ Schilderung des Todes seines ersten Hilfsjungen und in seinen Gesängen von der Hoffnung auf die Erfüllung seiner Sehnsüchte. Man findet dieses eigentlich ungewöhnliche, hier aber ganz selbstverständlich und zwingend erscheinende Intervall auch als Reminiszenz in Peter Grimes’ Schlussgesang, verbunden mit einem anderen wesentlichen dieser Elemente, nämlich der diatonischen Tonleiter, hier in einer Abwärtsbewegung zu den Worten »turn the skies back and begin again«. Die Tonleiter, eine Art Urmaterial in der Musik überhaupt, wird schon zu Beginn der Oper in der eröffnenden Gerichtsszene des Prologs WOLFR A M WAGN ER

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exponiert, dann von Ellen im 1. Akt in ihrem Gesang zur Verteidigung Grimes’ gegenüber dem Chor sowohl aufsteigend als auch absteigend auffällig verwendet, abwärts geführt auch in ihrer Arie im 2. Akt bei der an den Buben wie auch an sich selbst gerichteten Beschwörung ruhigerer Zeiten. Das Orchester wiederum spielt eine aufbrausend aufwärts geführte Tonleiter in der gegen Peter Grimes gerichteten Massenszene des Chores bei dem Ausruf »To Grimes’s hut!«, bald danach findet man die Tonleiter wieder abwärts, nämlich leise und dissonant in parallel geführten Sekunden der hohen Holzbläser bei der stillen Reflexion der Frauen über das Handeln der Männer im wunderschönen Damenensemble vor dem letzten Bild des 2. Aktes. Diesem Element der diatonischen Tonleiter gegenüber steht die chromatische Tonleiter, die bedrohlich den von Mrs. Sedley geäußerten Mordverdacht gegen Grimes untermalt und gleich darauf zur orchestralen Begleitfigur des vergeltungssüchtigen Mob wird. Betrachte ich einzelne Edelsteine in der Schatzkiste an Besonderheiten dieser Oper, dann fallen mir neben der Vielfalt der Orchesterfarben, den enorm dramatischen Chor- und Orchesterausbrüchen und der Espressivität der Gesangslinien auch Details wie der erste Dialog Ellen-Peter ins Ohr, ganz ohne Instrumentalbegleitung, zwei anfangs ganz unterschiedliche Gesangslinien, die sich allmählich in einem immer enger werdenden Kanon annähern, um schließlich – als Sinnbild für die gegenseitige Zuneigung – im Unisono (bzw. der Oktav) zu verschmelzen. (Bezeichnenderweise folgt auf diesen a-cappella-Gesang ein vierminütiges rein instrumentales Zwischenspiel.) Oder die fortissimo-Oktav des Chores im 3. Akt zum Wort »Grimes« als Gleichsetzung mit dem knapp zuvor ebenso laut gesungenen, fast gleichklingenden Wort »Crime«, die dann in der nächsten Szene ihren Nachhall in einem im Chor nun ganz leise aus der Ferne erklingenden tritonushaltigen Septakkord findet, als klanglicher Kontrapunkt zum schon zuvor erwähnten verwirrten Schlussgesang Grimes’. Dass diese Musik in ihrer Verschmelzung intensivsten Ausdrucks mit souveränen Handhabung der Form (inklusive Passacaglia und Kanon) auch »absolut« funktioniert, das heißt, auch unabhängig von Text und Handlung die Zuhörerin und den Zuhörer zu bewegen und zu fesseln imstande ist, beweist nicht zuletzt der Umstand des Erfolges der Four Sea Interludes für Orchester, die der Oper entnommen sind. Und dennoch – oder umso mehr – sind die Töne überzeugende Botschafter der Handlung und Spiegel der Psychologie der in sie eingebundenen Personen.

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Andreas Láng

UNTYPISCH IM TRAGISCHEN FACH Er ist kein Held und kein Märtyrertyp, kein Bösewicht und kein Verbrecher. Ein Außenseiter, aber in einer kleinen überschaubaren Gemeinde ist man rasch ein solcher. Und allzu befremdlich konnte er schlussendlich auch nicht sein, da mit Ellen Orford zumindest theoretisch eine Beziehung möglich gewesen wäre. Peter Grimes ist nicht einmal ein Mann ohne Eigenschaften, da er die eine oder andere menschliche Schwäche aufweisen kann. Doch diese, vor allem die übertriebene Neigung zur Aggression und der über ein vernünftiges Maß hinausgehender Hang zum »ich mache es nach meinem Kopf«, heben ihn andererseits wiederum kaum aus der Masse anderer mit menschlichen Fehlern Behafteter heraus. Dennoch hat Britten diese Durchschnittsgestalt zur zentralen Figur einer Oper gemacht, die in ihrer NichtAußergewöhnlichkeit zum Sympathieträger, zu einer dramatischen Gestalt geworden ist. Durchaus unüblich im tragischen Fach des Musiktheaters. Brittens Billy Budd, jener unbefleckte Heilige beispielsweise ist aus einem anderen Holz geschnitzt. Und all die Helden und Antihelden – Don Carlo auf und abwärts –, all die romantischen Liebespaare – Rodolfo, Mimì und ähnliche –, sie tragen das Bühnentaugliche in ihrem Wesen. Aber Peter Grimes? Nicht einmal sein Umfeld ist in Wahrheit interessant: Ein Fischerdorf mit einigen skurrilen Persönlichkeiten, die gerade durch ihre Skurrilitäten jene von Grimes wieder einebnen und diesem jede Besonderheit nehmen. Die beiden toten Kinder scheinen Grimes freilich zu stigmatisieren – einerseits. Die Umstände ihres Todes entheben ihn – andererseits – beinahe jeder Schuld. Es bleibt nur so viel Schuld übrig, dass Grimes nicht zur typischen Opferfigur werden kann. Er ist also Opfer, aber nicht ganz ohne persönliches Zutun. Das Publikum läuft somit nicht Gefahr in die Sentimentalitätsfalle zu tappen. Einigen Zwischenkriegsautoren wie Hans Fallada oder Erich Kästner sind solche Charaktere in der Literatur gelungen. Man sieht als Außenstehender die Fehler dieser Typen, man spürt zugleich das Unrecht, das ihnen angetan A N DR EAS LÁ NG

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→ Nächste Seiten: Fischfang, Fotografie, 1952

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wurde, kann und will aber nicht entscheiden, ob sie in einer günstigeren Situation nicht trotzdem genauso oder ähnlich gehandelt hätten. Was fasziniert nun an der Person des Peter Grimes – denn dass er und sein Schicksal Katharsis auslösen, ist offensichtlich. Warum hofft man insgeheim, er möge es sich nicht mit Ellen Orford verscherzen, warum ist man enttäuscht, wenn offensichtlich wird, wie er mit dem zweiten Kind, seiner letzten Chance wohlgemerkt, umgeht? Woher kommt diese Anteilnahme seitens der Zuschauer? Sicher, ohne die musikalisch-dramatische Gestaltungskraft des Genies Britten, der unter anderem die Atmosphäre der Naturkulisse in den Handlungsablauf einbezog, verlöre die Figur des Peter Grimes Wesentliches. Die erste große Tat Brittens im Zusammenhang mit dieser Oper war jedoch die Erkenntnis, dass sich ein Grimes für die Opernbühne eignet. Grimes lässt den Zuseher nicht los, man beschäftigt sich noch Tage nach dem Erleben einer Aufführung mit seiner Handlungsweise; begreift sie und begreift sie wieder nicht. Vielleicht erweckt das Disparate dieses fiktiven Menschen, sein so ungemein aussichtloses Verhalten, das kollektive Mitleid des Publikums mit dem Menschen an sich. Jeder und jede sucht ja stets nach Vorbildern, nach denen man sich neu ausrichten möchte. Man will den Idealismus im Letzten nicht über Bord werfen, egal wie abgebrüht man womöglich nach außen tut. Irgendwo muss es doch jenen oder jene geben, deren Handeln jeder ethischen und moralischen Kritik standhält. Umgekehrt neigt man schnell dazu, gegen jedes bessere Wissen, private Sündenböcke zu kreieren, um die immer wieder auftretende eigene Unzulänglichkeit vor sich selber zu kaschieren. In der Figur des Peter Grimes hat die Hoffnungslosigkeit der Suche nach dem Vorbild und die gleichzeitige Einsicht der eigenen Unzulänglichkeit Gestalt angenommen. In Peter Grimes haben wir wohl ein gutes Stück uneingestandenes Mitleid – mit uns selber.

U N T Y PISCH IM T R AGISCHEN FACH




Hans Neunzig

DAS MEER ALS ELEMENT DES DRAMAS

Mein Herz gleicht ganz dem Meere, hat Sturm und Ebb’ und Flut. Heinrich Heine Das Meer, Urspenderin des Lebens, ist dem Menschen, der festen Grund unter den Füßen zu haben gelernt hat, unheimlich geworden, und doch zieht es ihn, solange man denken kann, magisch an. Kaum einer, der es einmal gesehen hat, wird es ganz aus seinen Sehnsüchten vertreiben können. Ist es so abwegig, mit Urerinnerung zu spekulieren? Wie jener Einzeller, der im Meer trieb und aus dem das Leben auf der Erde sich eines Tages zu entwickeln begann bis hin zum Menschen, schwimmt dessen Leibesfrucht im Fruchtwasser seiner Gebärerin. Über Jahrmillionen gesehen, sind wir alle Kinder des Meeres. »Des Menschen Seele gleicht dem Wasser« dichtete Goethe im Gesang der Geister über den Wassern und schloss Bergbach und See und Meer in den Gedanken ein. Seele des Menschen, Wie gleichst du dem Wasser! Schicksal des Menschen, wie gleichst du dem Wind! Setzt man Psyche anstelle des Wortes Seele, öffnet sich der Blick für das im Meer sich spiegelnde Psychodrama des Menschen, das man freilich geH A NS N EU NZIG

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nausogut ein Seelendrama nennen könnte. Die Dichter haben einen geradezu ausschweifenden Gebrauch davon gemacht. Stellvertretend für die Auseinandersetzung im Innern des Menschen stand zu Anfang die Spannung zwischen Göttern und Göttern sowie die zwischen Göttern bzw. Gott und den Menschen. Die große, die immerwährende Flut gehört zu den frühen Menschheitsmythen. Sie beschreibt einen ersten Versuch, mit der unsteten Psyche des Menschen fertig zu werden, mit unterschiedlichen Vorgaben für die Fortsetzung oder Neuerschaffung des Menschengeschlechts. In der Bibel herrscht ein gewisser Realismus vor: Die gerettete Familie des Noah zeugt sich freudig fort. Deukalion, Sohn des Prometheus, dagegen schafft der griechischen Mythologie zufolge ein neues Menschengeschlecht aus Steinen. Hatte Zeus, der es so wollte, auf die Festigkeit des Steins vertraut und den Wassergehalt desselben übersehen wollen? Des Menschen Seele Gleicht dem Wasser: Vom Himmel kommt es, Zum Himmel steigt es, Und wieder nieder Zur Erde muss es, Ewig wechselnd. Noch einmal Goethes Gesang der Geister über den Wassern mit dem Bild der menschlichen Psyche, die »wieder nieder zur Erde muss«, auch wenn sie »strebend sich bemüht«, hinaufzufliegen. Das Meer nun selbst als ein Element des Dramas vom Irren und Streben des Menschen hat seinen weltliterarischen Auftritt in Homers Odyssee. Was anderes ist das im erzürnten Poseidon personifizierte Meer als die aufgewühlte, zwischen Wollen und Wünschen, zwischen Streben und Anfechtung hinund hergeworfene Seele des Odysseus selbst? Wer wäre solchem inneren Tumult stärker ausgesetzt als der Künstler? Und Odysseus bleibt der Ahnherr des suchenden und irrenden Künstlertums bis tief hinein in die europäische Romantik. Lord Byron verkörperte den romantischen Genius unteilbar und konsequent wie kein anderer in Leben und Werk. Und er tut es im Gedicht wie selbstverständlich zu Schiff auf dem Meer. Nun los, mein Schiff, reiß mich hinaus aus der gebundnen Lust, trag mich weit fort, nur nicht nach Haus, befrei mir Hirn und Brust! Willkommen, Wind, willkommen, Meer, das mich begierig macht 55

DAS MEER A LS ELEMEN T DE S DR A M AS


nach Küsten fern und freudenschwer mein Vaterland, gut Nacht! Da ist es, was des Menschen unsteter Sinn verlangt: »Reiß mich hinaus aus der gebundnen Lust.« Nach ihr wird er sich immer zurücksehnen. (Hans Leip übersetzte Byrons Gedicht.) Das 19. Jahrhundert mit seinem ausgeprägten Bewusstsein vom Künstlerschicksal hat das Ausgesetztsein des schöpferischen Menschen wie auf einem Floß stets von neuem beschworen. Wie Odysseus strebt er Heimkehr in den Hafen an und wird an der Landung gehindert, nicht ohne eigenes Zutun. Das Meer ist Weg und Hindernis in einem. Äußersten dramatischen Ausdruck hat Richard Wagner dem Gleichnis vom inneren Aufruhr des Meeres und der menschlichen Psyche im Fliegenden Holländer gegeben. Der Holländer, gejagt vom Fluch seiner ewigen Wanderschaft, ist auch einer, der ausdrücklich Rettung, Erlösung sucht, und doch ist ihm von vornherein kein Hafen zugedacht. Die Allgemeingültigkeit seines Themas hat Wagner so begründet: »Die Gestalt des Fliegenden Holländers ist das mythische Gedicht des Volkes: ein uralter Zug des menschlichen Wesens spricht sich in ihm mit herzergreifender Gewalt aus. Dieser Zug ist, in seiner allgemeinsten Bedeutung, die Sehnsucht nach Ruhe aus Stürmen.« Diesen Lebens- und Seelenstürmen hat Wagner in seinem Holländer, ganz unmittelbar in der Ouvertüre, mit einem Seegemälde quasi, Ausdruck verliehen. Dem Meer als Element des Dramas bleibt sie nichts schuldig. Der Sturm peitscht die Wellen, die Streicher jagen in schwindelerregendem Tremolo. Der Aufruhr der Elemente wird nur übertönt vom düsteren Motiv des Fluchs. Das Meer, es ist nicht mehr Weg oder Hindernis, es verwandelt sich zur Hölle, zur Hölle für die Seele eines Verdammten. Wagner hat von der »Ballade vom Fliegenden Holländer« gesprochen, und tatsächlich hat die Ballade sich des Themas von der dem Meere innewohnenden dramatischen Kraft wie auch des Bildes von Meer und Seele des Menschen bevorzugt angenommen. Ein dramatisches Seegemälde entwarf Schiller, dessen Taucher als Standardrepertoire des Deutschunterrichts – zumindest früher – in seiner Wertschätzung gelitten hat, dessen Wortkaskaden die unheimliche Gewalt des Meeres jedoch kaum weniger vor Augen stellen als Wagners Holländer-Ouvertüre. Wer vermag es, die Strophen unvoreingenommen zu hören? Und es wallet und siedet und brauset und zischt, Wie wenn Wasser und Feuer sich mengt, Bis zum Himmel spritzet der dampfende Gischt, Und Flut auf Flut sich ohn’ Ende drängt, Und will sich nimmer erschöpfen und leeren, Als wollet das Meer noch ein Meer gebären.

H A NS N EU NZIG

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Wir wissen es: Der junge Mann, der den Sprung in die wilde Flut wogt, besteht sein Abenteuer beim erstenmal; beim zweiten Sprung, den er aus Liebe tut, behält ihn das Meer. Merkwürdig und aufschlussreich kann einem schon die Neugier des Königs erscheinen: Versuchst du’s noch einmal und bringst mir Kunde, Was du sahst auf des Meeres tiefunterstem Grunde. Geht man weiter von dem Doppelbild von Meer und Seele aus, steht damit Seelenforschung und Tiefenpsychologie im Blickpunkt. Nicht von ungefähr tritt das Naturmagische in der Ballade, zuerst wohl in Goethes Balladendichtung, hervor. Und das Meer ist zweifellos der Hort des Naturmagischen. Das Wasser rauscht’, das Wasser schwoll, Ein Fischer saß daran, Sah nach der Angel ruhevoll, Kühl bis ans Herz hinan. Und wie er sitzt, und wie er lauscht, Teilt sich die Flut empor; Aus dem bewegten Wasser rauscht Ein feuchtes Weib hervor. Auch Goethes Fischer folgt dem Anruf des Meeres, Gestalt geworden in jenem »feuchten Weib«. Es zieht ihn in die Tiefe; und hierher gehört das berühmte »halb zog sie ihn, halb sank er hin«. Das Meer: die Lebensspenderin, die Urmutter, das Weib schlechthin, Bewahrerin des Magischen - und der Liebe. Wagner führte die Gedankenkette weiter: »Die Musik ist ein Weib. Die Natur des Weibes ist die Liebe.« Seelendramen, Psychodramen, Dramen der Libido. Der Mensch und die Elemente, der Mensch, der den Sturm besteht: Das sind die Urstoffe des Dramas und der Ballade, deren Nähe zum Musiktheater, zur Oper, Goethe vielleicht als erster zur Sprache brachte. Die Ballade hält das Sangbare des Stoffes bereit, verkürzt den epischen Stoff zum Lied und kennt den Stimmungswechsel vom ruhigen Fluss der Erzählung zum Pathos der Erregung. Zur Beschreibung des Meeres scheint sie wie geschaffen. Die See, das ruhige Meer, das, aufgewühlt von Sturm und gepeitscht vom Orkan, zur Herausforderung für die besten Kräfte des Menschen wird und alle Gefühle losreißt: Angst und Hoffnung, Verzweiflung und Mut. Wir hören das Konzert der Elemente immer zugleich auch als ein Seelenkonzert. Die Balladen vom Meer, von Seefahrt, stets Dramen von Not und Rettung, verfehlten ihre Wirkung nie. Was könnte so friedlich wirken wie eine glatte See, was so dem Sturm im Inneren gleichen wie das aufgewühlte Meer? Verdi, der andere Genius des modernen Musiktheaters, hat den Seelenorkan in Otellos Brust an den Be 57

DAS MEER A LS ELEMEN T DE S DR A M AS


ginn des Dramas gestellt, mit grellen Blitzen und dem Orgeln des Sturms: Ein furchtbares wiewohl geordnetes Chaos demonstriert Gewalt und Gefahr der Elemente, deren Ausbruch ganz dem des Irrationalen in der verletzten Seele Otellos gleicht. Ganz deutlich hat endlich Benjamin Britten mit Peter Grimes das Meer als Element des Dramas eingesetzt. Peter Grimes, der Außenseiter, trägt alle Züge eines anderen Fliegenden Holländers. Denn Grimes begreift sein Unglück wie einen Fluch, und die anderen fürchten ihn, als sei seine Not ansteckend. Sein »Holländerlied« folgt demselben Sehnsuchtsmuster. Welch Hafen steuer ich zu, Weitab von Wetternot, Von Sturmflut fern? Welch Hafen bietet Ruh’, Wird Landung Grimes gewährn? Für den Außenseiter, immer auch Abbild des Künstlers, ist es die Gesellschaft, die ihn den Elementen überlässt, und sein eigenes Unvermögen, sich ihr anzupassen, das ihn unglücklich macht. Schon ist der Spruch über ihn gefällt: »Die Seel hast verkauft, Grimes.« »Als ich Peter Grimes schrieb«, sagte Benjamin Britten, »wollte ich ausdrücken, was ich vom unaufhörlichen Kampf jener Männer und Frauen weiß, deren Existenz vom Meer abhängt.« Aus diesem Vorsatz wurde eine weitere Strophe des Liedes vom Menschen und dem Meer. Das Meer wird zur handelnden Person des Dramas. Der Hafen, der Peter Grimes schließlich Ruhe bietet, ist das Meer selbst. Der Komponist Britten unterlässt es wie seine Vorgänger nicht, das Meer musikalisch zu malen. Die Zwischenspiele lassen die Farben des Meeres aufleuchten, beschreiben aufs Neue die See als Seelenlandschaft. Das Drama verlangt seiner Natur entsprechend nach den Stürmen des Meeres und der Herzen. Die heitere See, die zu »glücklicher Fahrt« lädt, gerät darüber fast in Vergessenheit so wie die Freiheit, die sie den Gedanken der Träumer und Dichter auch eingeben kann. Die See enthält alles: Heiterkeit und Trauer, Lust und Tod. Der amerikanische Dichter Walt Whitman gehörte zu denen, die Worte dafür fanden. Hans Reiser übersetzte sie so: »Meer, mit dem Salz des Lebens und den ungegrabenen, immer bereiten Gräbern, heulend und hohl in Stürmen, launische, liebliche See, eines Wesens bin ich mit dir, eines Zustands, und aller Zustände Kenner wie du.«

DAS MEER A LS ELEMEN T DE S DR A M AS

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Benjamin Britten

»Ich habe versucht, vom Meer entfernt zu leben, aber irgendetwas war falsch dabei, das spürte ich immer. Ich fühle mich zu Hause in dieser Umgebung. Die Fischer in ihren Booten, das alles ist Teil meines Lebens, ohne den ich nicht sein kann.«


Walter Dobner

WOHIN DER STROM SIE REISST

Individuum und Masse in Peter Grimes


Benjamin Brittens dreiaktige Oper Peter Grimes ist der Geniestreich eines Anfangdreißigers und sein wichtigster Beitrag für das Musiktheater. Ebenso ein Stück persönlichster Autobiographie. Sich als Homosexueller zu outen, wäre zu seinen Lebzeiten undenkbar gewesen. Solches einzubekennen hätte unweigerlich eine Haftstrafe nach sich gezogen. Auch für seinen langjährigen Partner und Lebensmenschen, den Tenor Peter Pears. In Peter Grimes finden sich zahlreiche Hinweise, womit beide hätte rechnen müssen, wenn sie ihre sexuellen Neigungen offen gelegt hätten. Tragödie eine Homosexuellen hat der deutsche Musikpublizist Ulrich Schreiber die Quintessenz dieser Britten-Oper zusammengefasst, dieser Parabel über das Schicksal eines Außenseiters. Nicht, wie meist im Musiktheater, ein Held oder eine Primadonna stehen im Mittelpunkt des Geschehens, sondern eine Person, deren unentrinnbares, tragisches Schicksal bereits von Anfang an besiegelt scheint. Ähnlich Alban Bergs Wozzeck. Beides aufwühlende Beispiele für das Wechselspiel zwischen dem Einzelnen und Masse. »Die Menge schwankt im ungewissen Geist, / Dann strömt sie nach, wohin der Strom sie reißt«, liest man im zweiten Teil von Goethes Faust. Und in Wilhelms Meisters Wanderjahre findet sich der Satz: »Die Menge fragt bei jeder neuen bedeutenden Erscheinung, was sie nutze, und sie hat nicht unrecht; denn sie kann bloß durch den Nutzen den Wert eine Sache gewahr werden.« Peter Grimes, der einfache, einzelgängerische Fischer, und die Gesellschaft. Hätte er nicht besser getan, auf sie zu hören, vielmehr: ihr zu gehorchen, und nicht einen ihm mehrfach unterlegenen Knaben als Lehrling mit auf Fischfang zu nehmen? Wo es ihm ohnedies nur um eine billige Arbeitskraft ankam, um sich rascher jenen Wohlstand zu erarbeiten, der es ihm erlaubte, die von ihm geliebte Witwe Ellen Orford zu heiraten und so sein Junggesellensein gegen eine mit der gesellschaftlichen Konvention besser im Einklang stehende standesgemäße Ehe zu tauschen. Die Gesellschaft will sich mit dieser Zukunftsvision erst gar nicht auseinander setzen. Sie blickt ausschließlich auf die Beziehung eines kräftigen, unverheirateten Mannes mit einem schwächlichen Jungen im Blickpunkt. Eine ungleiche, daher verständlicherweise Skepsis erregende Partnerschaft. In Brittens Oper wird dieser Aspekt dadurch noch verstärkt, als es sich beim Jungen um eine stumme Rolle handelt. Ein Gehilfe, der sich gegenüber seinem zur Brutalität neigenden Herrn verbal nicht zu artikulieren, geschweige denn körperlich zu wehren weiß, wie sich bald zeigt. Da muss man doch hellhörig werden. Was soll eine solche Konstellation? Kann man da nicht mit der Masse fühlen, die dahinter Unlauteres, vielleicht sogar Rechtwidriges vermutet? Noch dazu, weil sie der alleine auf Gelderwerb zielenden Ideologie des Fischer immer schon misstraut hat. Wie sollte es dieser Junge auch besser haben als sein Vorgänger aus dem Waisenhaus, den der Fischer so lange arbeiten ließ, 61

WA LT ER DOBN ER


bis er erschöpft starb? Man darf doch die Wiederholung eines solchen Falles nicht unterstützen, sondern muss den berühmten Anfängen wehren. Missbraucht tatsächlich die sprichwörtliche Masse ihre Macht, wenn sie, auch in Gestalt ihrer offiziellen Vertreter, diesem scheinbar starrköpfig um seine Interessen werbenden Einzelgänger Paroli zu bieten versucht? Schließlich geht der Fischer mit seinem neuen Gehilfen bald alles andere als freundlich um. Sind die Wunden an dessen Hals Zeichen von Misshandlungen, gar sexuellem Missbrauch, was die Leute offensichtlich schon befürchteten, als sie hörten, dass sich der Fischer neuerlich einen ihm körperlich wie intellektuell unterlegenen Gehilfen nehmen möchte? Man erfährt es im Libretto ebenso wenig wie die Gründe für das Einzelgängerdasein von Peter Grimes. Lebt er gewollt alleine? Waren es Enttäuschungen, die dazu geführt haben? Gibt es vielleicht andere, sehr intime Gründe, die er krampfhaft versucht von der Öffentlichkeit fernzuhalten und ist er gar nicht jener Individualist, als der er er sich gibt? Gerade eine solche Situation zwingt die Masse geradezu, nicht zur Tagesordnung überzugehen, sondern zumindest von den Möglichkeiten ihrer Einflussnahme Gebrauch zu machen. Wer will sich schon zu einem Mittäter, in welcher Form auch immer, stempeln lassen? Schließlich sprechen Indizien dafür, dass Schreckliches nicht auszuschließen ist. Darf nicht auch die Angst ein Indikator für diese massive Opposition der Masse gegen das Verhalten eines Einzelnen sein? Tatsächlich stürzt der neue Gehilfe in den Tod. Ein Unfall? Angesichts der Vorgeschichte wollen dies viele Einwohnern des kleinen Fischerdorfs nicht akzeptieren. Aber fühlen sich Boroughs Bürger zufrieden, als sie sicher sein können, dass Grimes in den Wellen umgekommen ist, wozu sie ihn quasi gezwungen haben, obwohl sie ihm eine konkrete Schuld am Tod des Jungen nicht nachweisen konnten? Sind sie mit ihrer Möglichkeiten nicht zu weit gegangen? Hat sich damit tatsächlich ihre Aufregung über diesen für sie so unangenehmen, vor allem unberechenbaren Zeitgenossen gelegt, getreu einem chinesischen Spruch: »Die Menschen der Masse suchen Dinge, die sich nicht erzwingen lassen, zu erzwingen, darum sind sie fortwährend in Aufregung«. Dass der hier geschilderte Konflikt zwischen ausgeprägtem, durch besondere Situationen erzwungenen Individualismus und einer Masse, die damit nur bedingt umzugehen weiß, derart im Mittelpunkt von Brittens Peter Grimes steht, ist kein Zufall. Auch nicht die dahinter stehende Gesellschaftskritik. Denn präsentiert sich Peter Grimes bei George Crabbe – dessen Verserzählung The Borough Grundlage für das von Montagu Slater verfasste Opernlibretto ist – als »sadistischer Schurke mit wenig versöhnlichen Charakterzügen« (Mike Ashman), ist er für Britten »weder ein Held noch ein Schuft«. Das zeigt sich in der betont lyrischen Ausgestaltung seines Parts, ohne dass damit seine Aggressivität völlig ausgeblendet wird. »Je verderbter WA LT ER DOBN ER

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die Gesellschaft ist, umso gemeiner ist das Individuum«, hat Britten in einem Interview nach der amerikanischen Erstaufführung der Oper, 1946 im Rahmen des Berkeley Festivals unter Leonard Bernstein, denn auch seinen Zugang zur Titelfigur seiner Oper beschrieben und ist diesem Zusammenhang auch auf das eigentliche Botschaft seines Dreiakters zu sprechen gekommen: den »Kampf des Einzelnen gegen die Massen«. Schließlich stand er während dieser Jahre nicht nur als Homosexueller außerhalb der Gesellschaft, sondern stellte sich auch durch seine explizite Haltung als Kriegsverweigerer gegen die Mehrheit. Deshalb verließ er Ende der 1930ger Jahre mit seinem Lebensgefährten Pears England und ging in die Vereinigten Staaten. »Ein zentrales Gefühl für uns war das des Einzelnen gegen die Menge, mit ironischen Untertönen, die unsere eigene Situation betrafen«, lässt er er im Rückblick keinen Zweifel, wie sehr er in Peter Grimes seine damalige Lebenssituation aufgearbeitet hat. Wobei die Größe dieser Oper darin liegt, dass es Britten nicht bei einer subjektiven Reflexion beließ, sondern ein Lehrstück von geradezu politischer Dimension vorlegte. Die an Aktualität gewiss nie verlierende Aufforderung, sich mit verschiedenen Formen des Menschseins, damit mit Humanität generell, zu beschäftigen. »Der Mensch, welcher nicht zur Masse gehören will, braucht nur aufzuhören, gegen sich bequem zu sein; er folge seinem Gewissen, welches ihm zuruft: ’Sei du selbst! Das bist du alles nicht, was du jetzt tust, meinst, begehrst’«, heißt es bei Nietzsche. Benjamin Britten ist dafür ein deutlicher Beweis.

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IN DI V IDU UM U N D M AS SE IN PET ER GR IME S


»Für mich ist Peter Grimes letztlich nicht schuldfähig. Durch den Druck, den die Gesellschaft gegen ihn aufbaut, bricht er vollkommen zusammen und gleitet in eine Schizophrenie, die dem Jungen schlussendlich das Leben kostet.


Gesellschaftlicher Psychoterror ist ja nichts Ungewöhnliches; nur halten die meisten Menschen diesem Druck entweder stand oder sie ziehen weg.«

Jonas Kaufmann anlässlich seines weltweiten Rollendebüts als Peter Grimes an der Wiener Staatsoper


Horst Koegler

ENGLANDS ELISABETHANISCHES OPERNZEITALTER Peter Grimes, fünfzig Jahre nach der Uraufführung

Englands Opernuhren gehen langsamer – gingen langsamer, bis vor fünfzig Jahren. Damals, 1945, tat die englische Oper einen gewaltigen Sprung über vierhundert Jahre, entstand sie, ein fremdländisches Produkt kontinentalen Ursprungs, sozusagen aus dem Nichts. Bis dahin hatte sich der Beitrag Englands zur internationalen Operngeschichte – ein paar frühe zaghafte Versuche John Blows (Venus and Adonis, 1684) und Henry Purcells (Dido and Aeneas, 1689) nicht gerechnet – auf das Londoner Œuvre Händels beschränkt, der seine Opern jedoch ausschließlich in italienischer Sprache komponierte. Aus dem ganzen neunzehnten Jahrhundert haben sich nur zwei in England uraufgeführte Opern einen bescheidenen Platz im internationalen Repertoire sichern können: Webers Oberon (1826) und Verdis I masnadieri (1847). Zwar hat es in London immer internationale Opernstagioni gegeben, doch die beruhten ausschließlich auf Importen. Es war eine Einbahnstraße, die Paris, Mailand, Wien und Berlin mit der Themse-Metropole verband. Das hat sich seit 1945 gründlich geändert. Heute, im Zeitalter Elisabeths II. (deren Operninteresse sich allerdings in engen Grenzen hält), gehört England zu den exportintensivsten Ländern der Welt, was die Oper angeht. Nicht nur zählen das Königliche Opernhaus von Covent Garden und die English National Opera zu den renommiertesten Opernhäusern der Welt, sondern englische Opern, englische Sänger, Dirigenten und Regisseure dominieren in einem Maße an unseren kontinentalen Opernhäusern, wie sich das auch kühnste Fantasten am Ende des Zweiten Weltkriegs nie hätten träumen lassen. Sogar ein Haus wie die Bayerische Staatsoper in München hat sich einen HORST KOEGLER

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Intendanten aus England geholt (Sir Peter Jonas: 1993 - 2006). Im Rückblick sehen wir die Vorläufer einer dezidiert englischen Opernkultur im Glyndebourne der dreißiger Jahre peu à peu Gestalt annehmen. Dort, im lieblichen Sussex, hundert Kilometer südlich von London, hatte ein reicher englischer Opernfan seiner Frau zuliebe, einer Sängerin, auf seinem Landsitz ein Opernhaus für sommerliche Aufführungen errichten lassen, die er der künstlerischen Obhut von drei profilierten kontinentalen Opernleuten anvertraute, welche vor den Nazis geflüchtet waren: dem aus Dresden gekommenen Dirigenten Fritz Busch sowie dem Regisseur Carl Ebert und seinem (aus Österreich stammenden) Assistenten und Manager Rudolf Bing, die bis 1933 die Städtische Oper in Berlin geleitet hatten. Die von ihnen ins Leben gerufenen Mozart-Festspiele mit englischen und kontinentalen Sängern zeichneten sich von Anfang an durch ihre hohe Ensemblekultur aus, die bis heute das Markenzeichen des Glyndebourne Festivals geblieben und auf zahllosen Schallplatten dokumentiert worden ist. Die Geburtsstunde der englischen Oper schlug dann, gleich nach dem Krieg, mit der Uraufführung von Benjamin Brittens Peter Grimes an der Londoner Sadler’s Wells Opera (der Vorläuferkompanie der heutigen English National Opera): ein Werk, stofflich wie musikalisch so durch und durch englisch, dass es allmählich den Status einer englischen Nationaloper annehmen konnte – vergleichbar etwa dem deutschen Freischütz, der tschechischen Verkauften Braut oder dem russischen Boris Godunow. Britten, der zuvor nur eine wenig erfolgreiche Operette (Paul Bunyan) für das Theater komponiert hatte, war damals noch nicht zweiunddreißig. Als er 1976 dreiundsechzigjährig starb, umfasste sein Opernœuvre nicht weniger als vierzehn Titel, darunter so international bekannte Werke wie Albert Herring, Billy Budd, Gloriana, A Midsummer Night’s Dream und Death in Venice, Werke von eher kammeropernartigem Zuschnitt (The Rape of Lucretia, The Turn of the Screw) sowie die Kirchenparabeln (Curlew River, The Burning Fiery Furnace, The Prodigal Son). Sie erfordern sehr unterschiedliche Besetzungen, behandeln sehr unterschiedliche Themen, sind aber durchwegs (mit Ausnahme von Rape of Lucretia und Death in Venice) englischen Ursprungs – und zwar sowohl in ihrem Rückgriff auf englische literarische Stoffe (und dazu wird man auch Billy Budd rechnen dürfen, obwohl sein Autor ein Amerikaner war – und auch den ursprünglich auf eine Kurzgeschichte von Maupassant zurückgehenden, aber total anglisierten Albert Herring) als auch in der Verwendung musikalischer Formen, die der englischen Tradition entstammen. Gemeinsam ist ihnen die Problemstellung von Unschuld, Versuchung, Verzicht und Überwindung, der man fast so etwas wie eine leitmotivische Funktion in Brittens Schaffen zuordnen kann. Dabei handelt es sich um nicht weniger als um die existenzielle Problemstellung von Brittens Leben als englischer Homosexueller, der sich nie öffentlich als solcher bekannt hat, der andererseits nie seine Lebenspartnerschaft mit Peter Pears verhehlt hat und 67

ENGLA N DS ELISA BET H A N ISCHE S OPER NZEITA LT ER


von der englischen Gesellschaft bis in ihre allerhöchsten Kreise zwar mit Vorbehalten, aber letzten Endes eben doch akzeptiert wurde. Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass Britten im Alleingang die englische Oper erschaffen hat. Durch die Etablierung der English Opera Group als einer zunächst mit Glyndebourne kooperierenden Operntourneetruppe und dann des Aldeburgh Festivals als vornehmlich der Aufführung seiner Opern dienendem Modellopernhaus hat er der englischen Opernszene zu einer Institution verholfen, die man eigentlich nur mit Wagners Bayreuth vergleichen kann, allerdings hat es Aldeburgh verstanden, sich jeder kultischen Vereinnahmung zu entziehen. Was in dem letzten halben Jahrhundert in Großbritannien auf dem Opernsektor geschehen ist, findet keine Parallele irgendwo in der Welt – auch nicht in Amerika, das die Oper als populäre und kreative Theatergattung, verbreitet über das ganze Land, ja auch erst nach dem Zweiten Weltkrieg entdeckt hat. Heute locken neben Covent Garden und der English National Opera Festivals wie Glyndebourne, Edinburgh, Aldeburgh und Wexford Opernfreunde aus allen Teilen der Welt an, ziehen Kompanien wie die Welsh National Opera, Opera North in Leeds und die Scottish Opera in Glasgow immer wieder internationale Aufmerksamkeit auf sich. Inzwischen repräsentiert England, einmal ganz abgesehen von Britten, mittels der Opernwerke von William Walton, Sir Michael Tippett, Thea Musgrave, Harrison Birtwistle, Peter Maxwell Davies, Nigel Osborne, Judith Weir und Mark-Anthony Turnage ein beachtliches Kontingent des internationalen zeitgenössischen Repertoires. Schließlich müssen wir auch den erst kürzlich wiederentdeckten, ehemals deutschen Berthold Goldschmidt zu den britischen Komponisten rechnen. Nicht minder beachtlich ist die Zahl der Sängerinnen, Dirigenten und Regisseurinnen, die heute regelmäßig an unseren Häusern arbeiten – zu viele, um namentlich genannt zu werden. Man stelle sich nur einmal vor, was geschähe, wenn all diese Opern-Engländer plötzlich vom Kontinent abgezogen würden! Welch eine wahrlich verblüffende Entwicklung: der Opernexport als zeitgemäße Variante des englischen Imperialismus – sozusagen ein Kolonialismus der sanften Art. Doch der englische Einfluss auf unsere Opernszene geht noch weiter. Man erinnere sich daran, dass die weltweite Berlioz­-Renaissance unserer Tage auf die Initiative eines englischen Dirigenten zurückzuführen ist: Sir Colin Davis. Ein anderer englischer Dirigent, Sir Charles Mackerras, hat international ähnliche Pionierdienste im Hinblick auf das Œuvre Janáčeks geleistet. Als dritter Dirigent, der entscheidend zur Bereicherung des Repertoires beigetragen hat, insbesondere der Belcanto-Opern des frühen neunzehnten Jahrhunderts, wäre Richard Bonynge zu nennen. Sir John Eliot Gardiner war es dann, der aus Lyon, vor ihm mehr oder weniger französische Opernprovinz, eine hoch renommierte Opernmetropole gemacht hat. HORST KOEGLER

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Schließlich sei daran erinnert, welche Pionierdienste England der internationalen Praxis des Musizierens auf Originalinstrumenten geleistet hat – einmal ganz abgesehen von dem Comeback der Kontratenöre seit Alfred Deller. Mit vierhundertjähriger Verspätung durchlebt die englische Oper derzeit ihr Elisabethanisches Zeitalter, gehört Großbritannien zweifellos zu den Hartwährungsländern der ECO alias European Community of Opera.

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Constanze Prašek

HIS MASTER’S VOICE Benjamin Britten und Peter Pears Das Jahr 1937 markiert einen Wendepunkt im Leben des jungen Benjamin Britten. Die Mutter, die ihm immer eine enge Vertraute war, stirbt. Von jeher auf Anerkennung von außen angewiesen, scheint dem – erst 23jährigen – Komponisten sein musikalisches Werk von Seiten des Establishments nicht ausreichend akzeptiert. Eine Problematik, die sich auch auf persönlicher Ebene fortsetzt. Britten fühlt sich als überzeugter Pazifist angesichts des drohenden Krieges am Rande der Gesellschaft. Diese Position wird noch verstärkt durch seine Homosexualität, deren Praxis in England bis 1967 strafbar ist. Und dann trifft ihn ein weiterer Schicksalsschlag: ein Freund, Peter Burra, stirbt bei einem Flugzeugabsturz. Im Zuge der Vor- und Nachbereitungen seines Begräbnisses lernt Britten einen engen Freund Burras kennen, den drei Jahre älteren Tenor Peter Pears. Sein selbstbewusstes Auftreten, das Pears im Gegensatz zu Britten auch gegenüber seiner gleichgeschlechtlichen Sexualität hat, imponiert dem Jüngeren sehr und gibt ihm Halt. Es entsteht eine freundschaftliche Verbindung zwischen den zweien. Im Frühjahr 1938 beziehen sie ihre erste gemeinsame Wohnung in London. Als Britten ein Jahr später nach Amerika – ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten – geht, kommt Pears mit. Zunächst geben sie einige Konzerte in Kanada, für die sie lange Reisen quer durch das Land unternehmen müssen. In dieser Zeit kommen sie sich näher und im Juni 1939 sind sie schließlich ein Paar. Für Britten ist es die erste Beziehung, eine völlig neue Erfahrung. Nach außen bleibt er diesbezüglich diskret, ist um Unauffälligkeit sogar bemüht. Umso zärtlicher ist das private Miteinander: »Peter [...] kümmert sich um mich wie eine Glucke! Er ist ein Schatz.« Tatsächlich hat Pears von Anfang an den dominierenden Part in der Beziehung inne. Er zeigt eine übergroße Fürsorglichkeit und übernimmt die Rolle des Hausmanns: Einrichtung, HausCONSTA NZE PR AŠEK

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haltsführung und heimische Atmosphäre zählen zu seinem Refugium. Britten lässt sich das gerne gefallen. Seine früheste Liebeserklärung an Pears ist die – noch sehr subtile – Widmung »To P.N.L.P.« (Peter Neville Luard Pears) von »Being Beauteous« aus Les Illuminations. Dieser Liederzyklus entsteht von März bis Oktober 1939, zeitgleich mit dem Beginn ihrer Beziehung. Das erste Werk, das Britten explizit für Pears komponiert, ist Seven Sonnets of Michelangelo mit der Widmung »To Peter« von 1940. Die Lieder dieses Zyklus drehen sich jeweils um einen bestimmten Aspekt des Themas Liebe. Allmählich wird der Sänger zum Zentrum seines künstlerischen Schaffens und Privatlebens, was die enge Verwobenheit ihrer Biographien nach sich zieht: »Es ist nicht die Geschichte eines Mannes. Es ist unser beider Leben.« (Pears) Im März 1942 – trotz mittlerweile tobendem Krieg in Europa – tritt das Paar die Rückreise nach England an. Weil auch Pears überzeugter Pazifist ist, bemühen sich beide um eine Befreiung vom Kriegsdienst – mit Erfolg. Doch der Sänger wird verpflichtet, im Namen des Council for the Encouragement of Music and the Arts im ganzen Land Konzerte zu geben. An Britten geht eigentlich nur ein Kompositionsauftrag, doch er übernimmt freiwillig die musikalische Begleitung seines Partners. Pears Stimme, einst eher klein, hat sich während dem Aufenthalt in Amerika, aufgrund der intensiven Arbeit mit Britten und renommierten Gesangslehrern, enorm entwickelt. So etabliert sich das Duo im Laufe dieser Konzerte als herausragendes Gespann für das Liedrepertoire. Nicht einmal den Vergleich mit Schubert und seinem favorisierten Sänger, dem Bariton Johann Michael Vogl, scheut das Publikum. Eine Parallelisierung, die das Paar selbst durchaus forciert. Der Zyklus Winter Words, den Britten für Pears 1953 komponiert, ist eine explizite Anspielung an Schuberts Winterreise. Bei der Erarbeitung ihrer Programme treffen sich die zwei in der Affinität zum Wort: Auf Klarheit der Diktion und Verständnis des Inhalts legen beide großen Wert. Pears fertigt teilweise sogar Übersetzungen für anderssprachige Lieder an, die er den Noten beilegt, beispielsweise für die Seven Sonnets of Michelangelo. Die intime Vertrautheit der zwei Männer ist bei den gemeinsamen Liederabenden so greifbar wie sonst kaum. Bis zu dem Moment, da Britten körperlich nicht mehr in der Lage ist, Konzerte zu spielen, bleibt er Pears einziger regelmäßiger Begleiter. Die Premiere von Peter Grimes, Brittens erste Oper, findet im Juni 1945 statt und ist ein voller Erfolg. Pears singt die Titelrolle, mit der er seinen endgültigen Durchbruch feiert. Musikalisch ist die Partie auf ihn zugeschnitten. Besonders in der Arie »Now the Great Bear and Pleiades« aus dem 1. Akt kann er glänzen, denn sie ist um seinen stärksten Ton aufgebaut: das hohe E. Diese Note verwendet Britten auch in seinen restlichen Vokalkompositionen häufig. Das ist wohl der markanteste Einfluss, den die intensive Auseinandersetzung mit Pears auf seine kompositorische Tätigkeit hat. Die Tatsache, dass Britten für bestimmte Stimmen schreibt, also bemüht ist, ihre Vorzüge zu betonen, heißt nicht zwingend, dass die Ergebnisse für die betreffenden Sän 73

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ger leicht zu interpretieren wären. Brittens Musik, so Pears, stelle für einen Sänger stets harte Arbeit dar, die sich letztendlich aber bezahlt mache. Peter Grimes ist Anfang einer langen Reihe von Rollen, die Britten speziell für Pears komponiert, darunter sind: Male Chorus in The Rape of Lucretia (1946), die Titelrolle in Albert Herring (1947), Earl of Essex in Gloriana (1953) und Peter Quint in The Turn of the Screw (1954). Pears ist oft in den Entstehungsprozess der Opern eingebunden. Die Mitarbeit reicht von Skizzierung eines ersten Handlungsverlaufs wie bei Peter Grimes bis hin zur gleichgestellten Bearbeitung des Librettos, was bei A Midsummer Night’s Dream (1960) der Fall ist. So wie Peter Grimes die Glanzrolle in Pears Jugend ist, stellt Captain Vere in Billy Budd (1951) den Höhepunkt seiner mittleren Jahre dar und seine Paraderolle im Alter ist Aschenbach in Death in Venice (1973). Die Arbeit an letztgenanntem Werk fällt in eine Zeit, da Britten physisch bereits sehr geschwächt ist und die Komposition kostet ihn Kraft: »Ben sitzt an dieser schrecklichen Oper, das bringt ihn noch um!« (Pears) Tatsächlich bleibt sie sein letztes Stück für die Opernbühne und auch Pears hat nach Aschenbach, was das Ausmaß der Partie betrifft, keine vergleichbaren Rollen mehr. Laut Britten ein Ende am Zenit: Death in Venice ist alles, wofür ich und Peter stehen.« Auf institutioneller Ebene setzt das Paar ebenfalls wichtige Meilensteine. 1947 rufen sie die English Opera Group ins Leben, die keinen minderen Anspruch hat, als die englische Nationaloper zu begründen. Die Gruppe will sich von bereits etablierten Bühnen unabhängig machen, da man sich davon eine größere künstlerische Freiheit verspricht. Albert Herring ist das erste Projekt mit dem sie auf Tournee gehen. Die örtliche Ungebundenheit ist Teil der Mission, die Britten und Pears verfolgen: die Oper soll in jeden Winkel des Landes gebracht werden. Doch Reisen ist teuer und so macht man sich bereits nach einem Jahr auf die Suche nach einem fixen Standort. Fündig werden sie in Aldeburgh unweit von Crag House, dem damaligen Wohnsitz von Britten und Pears. Das Aldeburgh Festival of Music and the Arts, dessen künstlerisches Programm sie zeit ihres Lebens wesentlich mitgestalten, wird 1948 eröffnet. Im Rahmen dieser Festspiele sind sie vor allem bemüht, jungen Interpreten die Möglichkeit zu bieten, mit bereits etablierten Künstlern zu arbeiten. Ab 1972 hält Pears regelmäßig Meisterklassen, was 1977 in die Gründung der Britten-Pears School for Advanced Musical Studies mündet. 1973 hat Britten eine Herzoperation, von der er sich nie mehr vollständig erholen wird. Sein Leben lang hat er den Rückzug ins ruhige Landleben in Aldeburgh gesucht. Nun verlässt er das Red House, welches er mit Pears seit 1957 bewohnt, kaum mehr. Dagegen hat Pears die Sehnsucht nach der Großstadt und fernen Ländern nie losgelassen. Besonders seit der Premiere von Death in Venice an der Metropolitan Opera 1974 ist er in Amerika als Interpret und Lehrer gefragter denn je und dementsprechend viel auf Reisen. Britten leidet sehr unter seiner Absenz. In Briefen sucht er Nähe sowie Bestätigung CONSTA NZE PR AŠEK

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von Pears: »Womit habe ich einen solchen Künstler und Mann verdient, für den ich komponieren kann?« Brittens eingeschränkte Gesundheit ist auch für den Sänger ein markanter Einschnitt in seiner Karriere, da ihm der langjährige Begleiter abhandenkommt. An einen Ersatz ist zunächst nicht zu denken – kann Britten ihn nicht selbst am Klavier begleiten, soll es auch kein anderer tun. Einen Ausweg sieht er schließlich darin, Stücke für Pears und den Harfenisten Osian Ellis zu schreiben, darunter Canticle V: The Death of Saint Narcissus (1975). 1976 wird Britten aufgrund seiner professionellen Erfolge in den Adelsstand erhoben, womit sich für ihn der lang gehegte Wunsch nach Würdigung seitens des Establishments erfüllt. Was seine private Beziehung zu Pears betrifft, die seit den frühen 1940er Jahren als ein offenes Geheimnis gilt, hält er sich in der Öffentlichkeit bis zum Schluss bedeckt. Erst sein Biograph Donald Mitchell erhält den Auftrag von Britten, diese Liebe – nach seinem Tod – publik zu machen. Ende Oktober 1976 bricht Pears eine Konzerttournee ab, da sich der Zustand des Komponisten rapide verschlechtert. In der Nacht vom 3. auf den 4. Dezember wird seine Atmung immer schwerer. Pears ist bis zu Brittens Tod an seiner Seite: »Er starb in meinen Armen [...]« Eine Beileidsbekundung der englischen Königin erreicht Pears kurz darauf – ein Schreiben, das hinterbliebenen Ehegatten vorbehalten ist. Zehn Jahre nach der Legalisierung der Homosexualität in England wird damit letztendlich auch die Lebenspartnerschaft Britten-Pears vom Establishment anerkannt. Das Leben des Künstlerpaares hinterlässt seine Spuren in Form von zahlreichen Kompositionen, Interpretationen und Institutionen. Britten und Pears haben die Operngeschichte des 20. Jahrhunderts über Jahre hinweg signifikant geprägt. Der eine wäre ohne den anderen nicht das geworden, was sie gemeinsam waren. »Pears hat schon immer die essentielle Gabe besessen, Musik zu erzählen, eine Reihe von Noten derart zu singen, dass sie Sinn ergeben, musikalischen Sinn. Diese Gabe ist es, [...] die mich angeregt hat, Musik für ihn zu schreiben, was ich seit 30 Jahren mit dem größten Vergnügen mache.«

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HIS M AST ER’S VOICE




Gustav Schörghofer

DIE WELT IST KALT UND LEER Über den in einer sanften Kurve nach rechts oben schwingenden Rand einer dunklen Fläche ragt der Kopf eines Hundes. Darüber düstere Helle. Sie nimmt etwa 4/5 der Bildfläche ein. Ein leerer Raum, in sich vielfältig gestaltet, keine ruhige Stelle, doch alles in allem ein Nichts. Das Bild gehört zu dem Zyklus der Schwarzen Malereien, die Francisco Goya zwischen 1819 und 1824 an die Wände seines Landhaus des Tauben gemalt hat. Die Bilder sind heute im Prado in Madrid. Möglicherweise war das Bild des Hundes auf ein Bild von zwei essenden Alten über einer benachbarten Tür bezogen. Sie schauen hämisch grinsend nach links unten. Der Hund in seiner bodenlosen Einsamkeit würde zu den beiden aufschauen, zu ihnen, die mit dem Löffel in der Hand vor der vollen Schüssel sitzen, ihn vor Augen, doch unerreichbar fern für ihn. Ein hungriger Hund in öder Leere, der die vollen Schüsseln der anderen vor Augen hat, aber es nie zu diesen Schüsseln schaffen wird. Nur wenige Jahre vor dem Bild des einsamen Hundes ist Der Wanderer über dem Nebelmeer entstanden, eine von Caspar David Friedrich um 1817 gemaltes Ölbild, heute in Hamburg. Zu sehen ist die Rückenansicht eines Mannes. Er steht auf einem Felsen. Mann und Fels sind scharf vom weiten Raum des Bildes getrennt. In der Ferne ragen aus Nebelschwaden Felsen, Höhenrücken und ferne Berge. Der Mann steht allein und isoliert, eine einsame Gestalt. Er schaut auf ihm Unerreichbares. Er hat die Weite vor Augen und kann nicht in sie hinein. Doch in der Gestalt des Mannes werden die Formen der fernen Berge abgewandelt. Es gibt eine Beziehung zwischen dem Einsamen und der Welt. Ob er um sie weiß? Wenige Jahre nach den Malereien im Landhaus des Tauben und nach dem Wanderer über dem Nebelmeer schreibt Georg Büchner die Geschichte eines Einsamen, Lenz: »Den 20. Hartung ging Lenz durchs Gebirg. …« Und etwas später: »… er stand, keuchend, den Leib vorwärts gebogen, Augen und Mund GUSTAV SCHÖRGHOFER

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weit offen, er meinte, er müsse den Sturm in sich ziehen, alles in sich fassen, er dehnte sich aus und lag über der Erde, er wühlte sich in das All hinein, es war eine Lust, die ihm wehe tat; …« Was weiß der Einsame von der Welt? Was weiß der Hund, was weiß der Wanderer, was weiß Lenz? Der Hund mag um das ferne Essen wissen und streckt sich in seiner schauerlichen Leere aus nach der unerreichbaren Schüssel. Er weiß um Unerreichbares, indem er danach verlangt. Lenz wühlt sich auf seinem einsamen Weg in das All hinein, er will die ganze Welt in sich fassen, aufgehen in der Welt und sich zugleich über die Erde erheben und eingehen in ein großes Ganzes. Aber das sind nur kurze Momente, »als wäre ein Schattenspiel vor ihm vorübergezogen – er wußte von nichts mehr.« Und der Wanderer über dem Nebelmeer? Er steht einsam und allein, und die Welt ist unerreichbar fern. Aber er weiß um sie in seiner Gestalt, die korrespondiert mit den Formen der fernen Welt. Im frühen 19. Jahrhundert erfährt sich das Subjekt auf eine völlig neue Weise. Herausgerissen aus alten Bezügen steht es allein, ist einsam angesichts der Welt, kann sich aber zu dieser Welt auf eine immer neue und einzigartige Weise in Beziehung setzen. Das gilt auch heute noch. Früher war das anders. Einsamkeit hieß im Mittelalter, sich isolieren gegenüber Menschen, Welt und Gott. Das war der Zustand der Verdammten. Die Darstellung des Weltgerichts im Tympanon der Kirche von Autun zeigt das in unüberbietbarer Intensität. Während die Erlösten alle wie ein großes Netzwerk miteinander und mit Christus verbunden sind, sie berühren sich alle, sind die Verdammten zusammenhanglos verklumpt wie geronnene Milch. Sie sind völlig isoliert, daher ohne Halt im Bodenlosen. Während die anderen durch zarte Berührung einander stützen, tragen, aufhelfen, werden die Verdammten gepackt, gezerrt, verschlungen. Einsamkeit bedeutet in diesem Kontext die Auslieferung an unmenschliche und zerstörende Mächte. Später, in der Neuzeit seit dem 15. Jahrhundert, konnten Menschen allein bestehen. Das Porträt, die Einzelfigur entstehen. Der Einzelne kann in sich die Ordnung des Ganzen verkörpern. Der Einsame bleibt dem Großen der Welt verbunden. Und, das ist wichtig, in der europäischen Kultur der Neuzeit bleibt Gott Grund und Garant der Ordnung des Ganzen. Sehr schön zeigt sich das in einer unscheinbaren Episode aus den Lebenserinnerungen des Ignatius von Loyola, dem Bericht des Pilgers. Ignatius war im Jahr 1523 unterwegs von Rom nach Venedig. Einige Gefährten haben sich ihm angeschlossen. Sie erfahren, dass man sie wegen der Pestgefahr ohne Gesundheitszeugnis nicht in Venedig einlassen würde. Die Gefährten entschlossen sich daher, nach Padua zu gehen, um einen Gesundheitsschein zu bekommen. Ignatius bricht mit ihnen auf. »Aber er konnte nicht so sehr wandern, denn sie wanderten sehr kräftig. Sie ließen ihn, fast bei Nacht, auf einem großen Feld zurück. Als er auf diesem Feld war, erschien ihm Christus auf die Weise, wie er ihm zu erscheinen pflegte… und tröstete ihn sehr.« (Bericht des Pilgers, n. 41, 3-4) Bei 79

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anbrechender Nacht, in der Fremde allein und einsam auf weitem Feld erfährt der Wanderer die Gegenwart Gottes. Die fremde Welt wird für ihn zum Ort einer Ankunft, er ist bei sich und Gott ist bei ihm. Die Begegnung des Ignatius auf nächtlichem Feld findet 400 Jahre später in einer Erzählung von Franz Kafka ein erstaunliches Echo: »Versunken in die Nacht. So wie man manchmal den Kopf senkt, um nachzudenken, so ganz versunken sein in die Nacht. Ringsum schlafen die Menschen. … Und du wachst, bist einer der Wächter, findest den Nächsten durch Schwenken des brennenden Holzes aus dem Reisighaufen neben dir. Warum wachst du? Einer muss wachen, heißt es. Einer muss da sein.« (Franz Kafka, Nachts) Die beiden Bilder, das des Ignatius und das von Franz Kafka, sind einander ähnlich. Bei Kafka erscheint kein Gott. Doch gibt es den anderen Wächter und die Gewissheit, einer Gemeinschaft von Wachenden anzugehören. Der einsame Wächter weiß andere um sich. Er sieht sie nicht, aber er kann ihnen ein Zeichen geben. Was wäre, wenn dieser Wächter keinen Auftrag verspüren würde, zu wachen und da zu sein? Was wäre, wenn sein Feuer niedergebrannt wäre, wenn er niemand um sich wüsste und für niemanden zu wachen hätte? Er würde in der Nacht versinken. Die Figuren in den Romanen Kafkas erleiden dieses Schicksal immer wieder. Sie werden in ihrer Einsamkeit zugrunde gerichtet. Im 20. Jahrhundert werden das Grauen und die Schrecken der Einsamkeit mehr als je zuvor dargestellt. Das Bild des von Dämonen hin und her gezerrten Einsiedlers Antonius scheint für dieses Jahrhundert passend. Doch ist über dem Einsamen, der bösen Geister scheinbar schutzlos ausgeliefert ist, kein Gott mehr zu sehen. Die Welt ist leer und kalt geworden. So scheinen es viele Menschen zu empfinden. Sie leben gequält in einer kalten und leeren Welt. Aber muss es so sein? Wenn wir schon aus allen Bindungen gefallen sind, wenn sich schon die alten Bezüge als nicht tragfähig erwiesen haben, können wir dann nicht neue Bindungen eingehen, neue Beziehungen stiften? Freilich lässt sich das nicht einfach machen. Aber wir können entdecken lernen, dass wir Bindungen eingegangen sind, dass wir in Beziehungen leben. Die Wüste ist der Inbegriff tödlicher Verlassenheit. Sie ist zugleich von alters her der Ort eines neuen Anfangs. Lebenswenden, Begegnungen mit Gott, die Entdeckung eines großen Auftrags – all das hat seinen Ort in der Wüste, in der Einöde. Wenn wir die Wüste so wie das Feld des Ignatius von Loyola oder den Aufenthalt unter kaltem Himmel und auf kalter Erde bei Franz Kafka als Bild verstehen, dann kann sich zeigen, dass unsere gegenwärtige Situation voll geheimer und noch nicht wahrgenommener Möglichkeiten ist. Die Einsamkeit wird zum Ursprung von Neuem. Wie kann das geschehen? Um in der Wüste der Einsamkeit den Weg zu einer Oase der Begegnung zu entdecken, muss ich zwei Bedingungen erfüllen. Ich darf nicht aufgeben, muss immer wieder neu beginnen. Und ich muss mit den anderen Menschen, auch mit Tieren, Pflanzen und Dingen, in dieser Welt leben wollen. Der Hund GUSTAV SCHÖRGHOFER

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Goyas wird von seinem Verlangen nach Nahrung bewahrt davor, in der Einöde zu versinken. Er hält den Kopf hoch, er lebt, auch wenn sonst weit und breit kein Leben ist. Der Wanderer über dem Nebelmeer steht im Zusammenklang seiner Figur mit den Figuren der Welt, mit Höhenrücken und fernen Felsen. Am Schluss von Büchners Erzählung heißt es: »Er tat alles, wie es die andern taten; es war aber eine entsetzliche Leere in ihm, er fühlte keine Angst mehr, kein Verlangen, sein Dasein war ihm eine notwendige Last. – So lebte er hin…« Ein Ende fehlt. Büchner hat die Erzählung nicht abgeschlossen. Sie bleibt offen. Lenz kann weiter so hinleben. Es kann aber in seiner Leere auch die neue Gestalt eines Weltbezugs entstehen. Nicht die Einsamkeit ist tödlich. Tödlich ist der Verlust des Begehrens. Doch ein Begehren, das nur als Aufforderung zum Konsum verstanden wird, ist zu wenig. Was, wenn der Reiz des zu Konsumierenden verblasst? Das Begehren dessen, der in der Wüste ist, geht auf das Einfache, auf ein Entgegenkommen, auf Wasser, auf Brot. Vielleicht brauchen wir die Wüste, um dieses Begehren in uns wach zu halten? Am 29. Juni 1916 schreibt Giuseppe Ungaretti: DANNAZIONE Chiuso fra cose mortali (anche il gran cielo stellato finirà) perchè bramo Dio? VERDAMMNIS Eingeschlossen zwischen sterblichen Dingen (auch der große gestirnte Himmel wird vergehen) warum begehre ich Gott? Ja, warum? Je größer die Wüste, je unerbittlicher die Einsamkeit, desto heftiger muss das Begehren sein. Und desto größer das Begehrte. Schwäche und Leere sind keine Folgen der Einsamkeit, sondern des allzu geringen Begehrens.

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Impressum Benjamin Britten PETER GRIMES Spielzeit 2021/22 (Premiere der Produktion: 12. Februar 1996) HERAUSGEBER Wiener Staatsoper GmbH, Opernring 2, 1010 Wien Direktor: Dr. Bogdan Roščić Musikdirektor: Philippe Jordan Kaufmännische Geschäftsführerin: Dr. Petra Bohuslav Redaktion: Sergio Morabito, Andreas Láng, Oliver Láng Basierend auf den Programmheften dieser Produktion von 1996 und 2013 Gestaltung & Konzept: Fons Hickmann M23, Berlin Layout & Satz: Julia Pötsch Bildkonzept Cover: Martin Conrads, Berlin Druck: Print Alliance HAV Produktions GmbH, Bad Vöslau TEXTNACHWEISE Die Handlung (bearbeitete Übernahme aus dem Peter Grimes-Programmheft der Wiener Staatsoper 1996), englische Übersetzung von Andrew Smith – Andreas Láng: Über dieses Programmbuch – Thomas Leibnitz: Der Blick des Außenseiters (Übernahme aus dem Peter Grimes-Programmheft der Wiener Staatsoper 2013) – Paul Banks: Britten und die Oper (Übernahme aus dem Peter Grimes-Programmheft der Wiener Staatsoper 1996) – Benjamin Britten: Wie Peter Grimes entstand, in: Benjamin Britten. Das Opernwerk, Musik der Zeit, Heft 11, Hg. H. Lindlar, Bonn 1955 – Irmgard Harrer: »An Crabbe denken heißt an England denken« (Übernahme aus dem Peter Grimes-Programmheft der Wiener Staatsoper 2013) – Philip Brett: Grimes heute (Übernahme aus dem Peter Grimes-Programmheft der Wiener Staatsoper 1996) – Peter Pears: Weder Held noch Bösewicht, in: Philip Brett, Benjamin Britten, Peter Grimes, Cambridge University Press 1983 – Wolfram Wagner, Das Detail und das Ganze (Übernahme aus dem Peter Grimes-Programmheft der Wiener Staatsoper 2013) – Andreas Láng, Untypisch im tragischen Fach (Übernahme aus dem Peter Grimes-Programmheft der Wiener Staatsoper 2013) – Hans Neunzig: Das Meer als Element des Dramas (Übernahme aus dem Peter Grimes-Programmheft der Wiener Staatsoper 1996; ursprünglich in: Programmheft der Bayerischen Staatsoper, 1991) – Walter Dobner: Wohin der Strom sie reißt (Übernahme aus dem Peter Grimes-Programmheft der Wiener Staatsoper 2013) – Horst Koegler: Englands Elisabethanisches Opernzeitalter (Übernahme aus dem Peter Grimes-Programmheft der Wiener Staatsoper 1996) – Constanze Prašek: His Master’s Voice (Übernahme aus dem Peter Grimes-Programmheft der Wiener Staatsoper 2013) – Gustav Schörghofer: Die Welt ist kalt und leer (Übernahme aus dem Peter Grimes-Programmheft der Wiener Staatsoper 2013)

BILDNACHWEISE Coverbild: Ohne Titel © Reuben Wu Szenenbilder Seite 2, 3, 14, 15, 45, 70, 71: Michael Pöhn / Wiener Staatsoper GmbH Szenenbilder Seite 48: Axel Zeininger / Wiener Staatsoper GmbH Seite 76, 77: Foto Fayer, Wien Seite 24, 25, 52, 53: AKG-Images Nachdruck nur mit Genehmigung der Wiener Staatsoper GmbH / Dramaturgie Kürzungen werden nicht extra gekennzeichnet. Rechteinhaber, die nicht erreicht werden konnten, werden zwecks nachträglicher Rechteabgeltung um Nachricht gebeten.


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