Programmheft »Nurejew Gala«

Page 1

nurejew gala




nurejew gala Allegro Brillante George Balanchine Pas de deux aus Cendrillon Rudolf Nurejew Pas de deux aus Le Corsaire nach der Fassung von Rudolf Nurejew & Margot Fonteyn Source of Inspiration Sol León & Paul Lightfoot Unisono Hans van Manen Tempo David Coria Ungarische Tänze Martin Schläpfer Le chant du compagnon errant Maurice Béjart Grand Pas Classique aus Paquita nach Marius Petipa

26. JUNI 2022 WIENER STAATSOPER


über die heutige vorstellung

»Es war, als hätte man in einem Salon ein wildes Tier losgelassen«, schrieb ein Londoner Journalist in einem Nachruf auf Rudolf Nurejew, jenen so außergewöhnlichen Künstler, der als Tänzer die Welt des Balletts neu vermaß und als Choreograph vor allem den Klassikern neues Leben einhauchte. Die legendenumrankte Vita vom Aufstieg des in Ufa am Ende der sowjetischen Welt aufgewachsenen Sohns eines Politoffiziers der Roten Armee zu einem international gefeierten Star des Balletts und dessen außergewöhnliches Künstlertum hat bis heute nichts an Faszinationskraft verloren. Das Wiener Staatsballett erinnert an den Ausnahmekünstler seit 2011 regelmäßig mit einer Gala und auch heuer wird diese die Saison krönen: »Als Verneigung vor diesem auch für Wien so wichtigen Jahrhunderttänzer, aber auch vor der Arbeit meines Vorgängers Manuel Legris«, so Ballettdirektor Martin Schläpfer, für den das Programm Anlass ist, den tänzerischen State of the Art seines Ensembles mit zentralen Werken des Repertoires zu präsentieren, aber auch in die Gegenwart und über den Tellerrand zu schauen. So vereinen sich heute unter der musikalischen Leitung von Guillermo García Calvo Historisches, Zeitgenössisches und Flamenco, das Wiener Staatsballett, die Studierenden der Ballettakademie der Wiener Staatsoper, die Gäste Friedemann Vogel (Stuttgarter Ballett), Guillaume Côté (The National Ballet of Canada) und Andrè Schuen (Bariton) sowie der spanische Tänzer David Coria mit seinen beiden Musikern David Lagos (Cantaor) und José Luis Medina (Gitarre) zu einem vielfältigen Tanzfest.

ÜBER DIE HEUTIGE VORSTELLUNG

2


about today’s performance

»It was as if someone had released a wild animal into a living room«, one London journalist wrote in an obituary of Rudolf Nureyev, that remarkable artist who as a dancer recalibrated the world of ballet and as a choreographer breathed new life into the classics. The legendary story of the rise of the son of a political officer in the Red Army, who grew up in Ufa at the end of the Soviet world, to become an internationally renowned star of ballet and his extraordinary artistic talent has lost none of its fascination to this day. Since 2011, the Vienna State Ballet has regularly commemorated this artist with a gala, and also this year the Nurejew-Gala will crown the season: »As a bow to this truly exceptional dancer, but also to the work of my predecessor Manuel Legris«, says ballet director Martin Schläpfer, for whom the programme is an occasion to present the dance state of the art of his ensemble with central works of the repertoire, but also to look into the present and beyond. Under the musical direction of Guillermo García Calvo, classical ballet, contemporary dance and flamenco, the Vienna State Ballet, the students of the Ballet Academy of the Vienna State Opera, the guests Friedemann Vogel (Stuttgart Ballet), Guillaume Côté (The National Ballet of Canada) and Andrè Schuen (baritone) as well as the Spanish dancer David Coria with his two musicians David Lagos (cantaor) and José Luis Medina (guitar) will unite in a multifaceted celebration of dance.

3

ABOUT TODAY’S PERFORMANCE


xx

Allegro Brillante Liudmila Konovalova, Masayu Kimoto



allegro brillante

ANNE DO PAÇO

»Allegro Brillante ist eine Art ›Beschleunigung‹ des klassischen Vokabulars, maximal verbreitert in seiner choreographischen Entwicklung, in einem Minimum an Zeit und Raum. [...] Allegro Brillante ist alles, was ich über das klassische Ballett weiß, in 13 Minuten«, äußerte sich George Balanchine über sein Tschaikowski-Ballett, das nicht nur zu seinen – wie der Titel schon sagt – brillantesten, sondern auch fröhlichsten abstrakten Tanzstücken zählt: ein raffiniertes Wechselspiel zwischen einem Solistenpaar sowie vier Tänzerinnen und Tänzern, die sich zu immer neuen Kombinationen aus Soli, Duetten und meist im Raum gespiegelten Ensemble-Formationen mit Drehungen, Balancen, Posen, Hebungen, Sprüngen und Battements finden. Uraufgeführt am 1. März 1956 im New York City Center mit dem New York City Ballet sowie Maria Tallchief und Nicholas Magallanes als Solisten fällt die Entstehung von Allegro Brillante in eine Zeit, in der Balanchine fasziniert vom menschlichen Körper und der immer weiteren Erforschung seiner tänzerischen Möglichkeiten den klassischen Tanz bis an seine Grenzen führte und auf radikale Weise weiterdachte. »Die großen neuen Ergänzungen zum Vokabular des zeitgenössischen Tanzes kommen aus der Musik, der neuen Betrachtungsweise von Zeitmaßen und von Intervallen in ihrer Spannung zwischen Klängen und Pausen«, erklärte er. »Die Schritte, die Petipa kannte, sind im Großen und Ganzen die Schritte, die wir heute kennen. Ich habe selbst manchmal diese Schritte umgedreht, formale Positionen verkehrt, um ihnen eine neue Bedeutung zu geben, um

ALLEGRO BRILLANTE

6


den Augen der Zuschauer einen visuellen Schock zu versetzen, denn die alten Formen schienen (zeitweilig) abgenutzt und durch zu häufigen Gebrauch geschwächt.« Gilt eine solche Aussage insbesondere für Ballette wie The Four Temperaments, Episodes und vor allem Agon, so spiegelt sich in Allegro Brillante die Überzeugung, an der Balanchine über sein gesamtes Schaffen hinweg – auch bei aller Radikalität einer Konzeption – festhielt: »Im Grunde bleiben die fünf Positionen die fünf Positionen, ist die Schule die Schule; es gibt keine andere neben ihr – diese Sprache ist universell.« Musikalische Basis ist ihm für seine Choreographie Allegro Brillante der erste Satz aus Piotr I. Tschaikowskis Klavierkonzert Nr. 3 Es-Dur op. posth. Dieses enthält Material, aus dem Tschaikowski zunächst eine Symphonie komponieren wollte. Gleich nach Beendigung der Arbeit an seiner »Pathétique« op. 74 arbeitete er die Skizzen dann jedoch in ein Klavierkonzert um, das er als lebensbejahende, fröhliche Antwort auf die düstere, von existenziellem Ringen geprägte h-Moll-Symphonie verstanden wissen wollte. Allerdings konnte er nur die Orchestrierung des Kopfsatzes noch vollenden bevor er am 25. Oktober (6. November) 1893 starb, sodass der 2. und 3. Satz nur als Version für zwei Klaviere überliefert ist und erst von nachfolgenden Generationen Instrumentierungen der beiden Sätze – die erste stammte von Sergei Tanejew – vorgelegt wurden. Für George Balanchine war Tschaikowski – neben Igor Strawinski – der bedeutendste Ballettkomponist. »Stellen Sie sich vor, Sie sind in der Kirche, und plötzlich beginnt eine überwältigende, großartige Orgelmusik, die alle Register zum Klingen bringt. Man steht mit offenem Mund da und staunt. So war es immer bei Tschaikowski. Er ist wie ein Vater für mich«, bekannte er, denn: »Immer wenn ich Musik von ihm umsetzte, spürte ich, dass er bei mir war. Natürlich war dies keine echte Konversation. Aber wenn ich arbeitete und fühlte, dass etwas aus meiner Kraft heraus entstand, hatte ich den Eindruck, dass es Tschaikowski war, der mir geholfen hatte. Ich habe viel zu seiner Musik getanzt und choreographiert: seine Musik besteht aus Emotion, aber sie ist nicht sentimental, sie ist von spiritueller Ordnung.« In seinem Tschaikowski-Ballett Allegro Brillante zeigt Balanchine aufs Schönste, dass er den Glauben an den Wert, das Potential und jene überwältigende Schönheit, die sich im klassischen Ballett finden kann, nie verloren hat. Wie in vielen seiner Werke beanspruchte er auch hier – neben dem Komponisten – die Rolle des schöpferisch Ebenbürtigen und vermied es, die Partitur nur durch Bewegung zu buchstabieren. Vielmehr ging es ihm um eine Durchdringung der Musik durch den Tanz. Der Theaterregisseur Robert Wilson schrieb dazu: George Balanchines »Arbeiten gefielen mir wegen des geistigen Raums, eines Raums, der es mir einfach gestattet, etwas zu hören und etwas zu sehen [...], so etwas wie geistige Freiheit«. Und Martha Graham sprach treffend davon, dass sich in Balanchines Werken die Musik gleichsam zur Choreographie breche – wie das Licht in einem Prisma.

7

ALLEGRO BRILLANTE


cendrillon & le corsaire NASTASJA FISCHER

»Ein Pas de deux ist ein Dialog der Liebe …«, sagte Rudolf Nurejew einst. Zwei Pas de deux, die den Tänzer und Choreographen in seiner Karriere begleitet haben, sind Teil des diesjährigen Galaprogramms – einer, der ihn auf der ganzen Welt berühmt gemacht und einer, den er in den letzten Jahren seines Lebens kreiert hat: die Pas de deux aus Le Corsaire und Cendrillon. Zwei Duette, die in ihrer Gestaltung gleichermaßen unterschiedlich und meisterhaft sind. Während der Pas de deux in Le Corsaire aufgrund seiner beinahe wilden Virtuosität enthusiastisch gefeiert wird, besticht jener in Cendrillon durch das Intime und Traumwandlerische. Eine der berühmtesten Szenen aus dem Ballett Le Corsaire ist der Pas de deux zwischen der weiblichen Hauptfigur Médora und Ali, dem Sklaven. Auch wenn dieser mit seiner bravourösen Choreographie stets Begeisterungsstürme bei den Zuschauer*innen auslöst, war er nicht Teil der Originalchoreographie von Joseph Mazilier 1856 und auch nicht in der Fassung Marius Petipas. Auch spätere Versionen wie Sergei Legats Kreation eines Pas de deux in der Grotten-Szene haben wenig mit dem zu tun, was Ballettliebhaber*innen heute als den Le Corsaire-Pas de deux kennen. Erst 1915 choreographierte Samuil Andrianov, jener Lehrer von George Balanchine, den Pas d’action, der einen Pas de éventails ersetzte, zwischen Médora, dem Piraten Conrad und einem weiteren Kavalier. Die ursprüngliche Musik für den Pas d’action stammte von Riccardo Drigo und dem russischen Komponisten Baron Boris Fitinhoff-Schell, der für die weibliche Variation eine Polka-Rhythmus-Variante aus seiner Komposition für Marius Petipas, Lew Iwanows und Enrico Cecchettis 1893 entstandenes Cinderella-Ballett verwendete. 1931 erfuhr dieser Teil des Balletts eine weitere wichtige Änderung: Agrippina Waganowa änderte Andrianovs Pas d’action in einen klassischen Grand Pas de deux für die Abschlussvorstellung ihrer beiden Starschüler*innen Natalia Dudinskaya und Konstantin Sergeyev. Sie entschied sich dafür, Conrads Part zu streichen und Médora und den Kavalier, der in ihrer Version Rhab und später Ali, der Sklave heißen sollte, ein Duett tanzen zu lassen. 1955 wurde diese Rolle das erste Mal in das abendfüllende Ballett Le Corsaire integriert, als Pyotr Gusev am Michailowski-Theater seine eigene Version auf die Bühne brachte.

CENDRILLON & LE CORSAIRE

8


RUDOLF NUREJEW

»Zum ersten Mal in meinem Leben verlangte das Publikum eine Zugabe. Sie galt dem Pas de deux aus Le Corsaire. Ich tanzte ihn noch einmal und der Applaus war sogar noch stärker als beim ersten Mal. Es war berauschend.«


Auch wenn sich der Pas de deux seit jeher in der ehemaligen Sowjetunion großer Beliebtheit erfreute, so war es erst an Rudolf Nurejew diesen im Ballettrepertoire des Westens zu integrieren. 1962, ein Jahr nach seiner Flucht, tanzte er den Pas de deux mit Dame Margot Fonteyn am Royal Ballet London. Das Publikum wie auch die Presse brachen in Begeisterungsstürme aus. Als »nicht von dieser Welt« wurde der Tanz und die Chemie zwischen den beiden beschrieben, deren künstlerische Partnerschaft von nun an zum Maß aller Dinge wurde und deren Auftritte weltweit frenetisch gefeiert wurden. Der Le Corsaire-Pas de deux machte die beiden nicht nur zu Legenden des Balletts, sondern das Fonteyn-Nurejew-Phänomen, beginnend mit ihrer Interpretation dieser Choreographie, trug auch wesentlich zum »Dance Boom« in den 1960er und 1970er Jahren bei. Beide machten die Ballettkunst populärer als sie je zuvor war. Nurejew tanzte den Pas de deux verschiedene Male und überzeugte stets als der Sklave mit freiem Oberkörper und beinahe katzenartigen Zügen. So schrieb die amerikanische Journalistin Joan Acocella im New Yorker über Rudolf Nurejews Performance: »Der Pas de deux demonstriert nicht nur die meisterhafte Kunstfertigkeit, die Nurejew auf dem Höhepunkt seiner Kräfte vollbringen konnte, er zeigt auch, was ihn sonst noch zum Star machte – sein stolzes Auftreten, seine ausgefallene Platzierung, seine große Freude am Tanzen und auch sein Sexappeal.« Auch wenn die männliche Variation nur eine Minute lang ist, so ist sie durch die zahlreichen Pirouetten und gestalterischen Sprünge nicht weniger beeindruckend und eine Paradepartie für Solisten. Die Schlusspose, in der Nurejew auf dem Boden liegt und Fonteyn anbetend anschaut, kann als ikonischer Moment der Balletthistorie betrachtet werden. So spannend die Entstehungsgeschichte des Pas de deux im Corsaire ist, so unterschiedliche Fassungen existieren bis heute. Deshalb sind im Laufe der Zeit auch für die Variation der Tänzerin zahlreiche Versionen entstanden. Martin Schläpfer, der den Pas de deux mit den beiden Ersten Solist*innen Hyo-Jung Kang und Davide Dato einstudiert hat, war inspiriert von jener Fassung, die Nurejew und Fonteyn getanzt haben. Die weibliche Variation stammt aus der Traumsequenz im zweiten Akt des Balletts Don Quichotte nach Marius Petipa. Über zwanzig Jahre nach Nurejews Premiere im Le Corsaire-Pas de deux feierte seine Version von Sergei Prokofjews Cendrillon ihre Uraufführung an der Pariser Oper. In seiner »Cinderella goes to Hollywood«-Adaption von Charles Perraults Märchenstoff verlegte Nurejew die Geschichte in das Hollywood der 1930er und 1940er Jahre. Entdeckt von einem Filmproduzenten, eine Art »Fairy Godfather«, flieht das junge Mädchen vor ihrem alkoholkranken Vater und der bösen Stiefmutter in die Welt des Films, um ihren Traum von der Schauspielerei zu leben. Ihr »Prinz« ist der Hauptdarsteller des Films. Den Ball hat Nurejew in einen Screen-Test, bei dem sich die jungen Liebenden kennenlernen, verwandelt. Kreiert hat Nurejew die Rolle der Heldin für Sylvie Guillem, er selbst tanzte den Filmproduzenten. Nurejews Version von Cendrillon ist eine Geschichte über den Traum von (Zu)flucht und Berühmtheit in der Welt des Scheins und Glanzes. Einige seiner Lieblingsthemen

CENDRILLON & LE CORSAIRE

10


hat der Choreograph so in seiner Kreation verarbeitet: Den Wunsch, der harten Realität zu entfliehen und eine reale mit einer imaginären Welt zu verschmelzen. »Nurejew sieht das Drama der Cinderella vor allem auch im Wandel der Zeiten begründet, einem Reifen und Werden, dessen Prozesse sich nur zu oft auch gegen eine Figur wenden können […]. In dieser Beziehung steht seine Cendrillon-Choreographie der Pariser Fassung des Schwanensee nahe: Beide nehmen die Idee des Träumens auf, beide tragen das Problem des Heranreifens in sich und beide nehmen starken Bezug auf die Ideenwelt Sigmund Freuds«, schreibt Oliver Peter Graber. Der Pas de deux zwischen Cendrillon und ihrem männlichen Filmstar findet im zweiten Akt statt. Auf einem einfachen Drehstuhl sitzend trifft Cendrillon auf ihren Partner. In einem tief romantischen und intimen Tanz eröffnen sich die beiden ihre Gefühle füreinander und doch steht Cendrillon ganz im Zentrum dieser Choreographie. Der Tänzer führt sie über die Bühne, hebt sie und unterstützt sie bei den Promenaden – ist ganz Partner und lässt ihr die Möglichkeit zu leuchten. Und wenn am Ende der Filmstar auf dem Drehstuhl Platz nimmt und Cendrillon liebevoll zart in seinen Armen hält, so wünscht man sich, nie aus diesem Traum zu erwachen. Einstudiert von Charles Judes, der die männliche Hauptrolle selbst interpretiert hat, tanzen die Erste Solistin Olga Esina und Senior Artist Roman Lazik, der sich mit diesem Auftritt von der Bühne der Wiener Staatsoper verabschieden und seine aktive Tänzerkarriere beenden wird.

RUDOLF NUREJEW

»Die ganze Dramatik in Cendrillon rührt vom Lauf der Zeit her, von der Angst, ihren Traum platzen zu sehen, ihr Glück mit ihrer Jugend fliehen zu sehen. Deshalb flüchtet sie zu dem Zeitpunkt, an dem sie von der Liebe verwandelt wird. Was mich betrifft, so stelle ich mir das ewige Leben als höchsten Luxus vor!« 11

CENDRILLON & LE CORSAIRE


xx

Pas de deux aus Le Corsaire Hyo-Jung Kang, Davide Dato


Pas de deux aus Cendrillon Olga Esina, Roman Lazik


xx

Source of Inspiration Edward Cooper, Ioanna Avraam


Source of Inspiration Masayu Kimoto, Ioanna Avraam


source of inspiration NASTASJA FISCHER IM GESPRÄCH MIT SOL LEÓN

Source of Inspiration ist Hans van Manen gewidmet. Was bedeutet er für Sie im persönlichen wie professionellen Sinn? SL

Hans van Manen hat einen einzigartigen Stellenwert in meinem Leben – sowohl als Künstler als auch als Mensch. Deshalb ist er 1998 auch Patenonkel von Paul Lightfoots und meiner Tochter Saura geworden. Das erste Mal traf ich Hans 1987 beim Nederlands Dans Theater. Ich kam aus Spanien, um in der Compagnie zu tanzen und er trat, nach einigen Jahren Abwesenheit vom NDT, ein Engagement als Hauschoreograph an. Gemeinsam mit Jiří Kylián, der damals Direktor der Compagnie war, programmierte er einen Tanzabend, um die neue Heimat des NDT, das Lucent Danstheater, einzuweihen. Es war die erste gemeinsame Kreation und ich werde diese wunderschöne und natürliche, aber auch intensive Verbindung, die wir von Beginn an miteinander hatten, immer und für den Rest meiner Karriere wertschätzen. Für mich als Tänzerin und später Choreographin war er stets eine »Source of Inspiration« (Quelle der Inspiration). Seine Persönlichkeit und Seele hat er in seinem künstlerischen Stil reflektiert. Ich habe von ihm gelernt, wie wichtig es ist, eine eigene Handschrift zu entwickeln. Das Vertrauen, das er in Paul und mich setzte, machte ihn zu einem besonderen Freund und zu Familie. Er hat uns über all die Jahre unterstützt und Mut gemacht. Er ist ein wahrer Pate. Wie haben Sie diese Bewunderung in Ihre Choreographie übertragen? SL

Als Tänzerin habe ich viele Ballette von Hans van Manen getanzt, was mir aber im Zusammenhang mit dieser Frage noch wichtiger scheint, sind die Momente, in denen wir zusammen kreiert haben: Paul und ich als Paar und Hans als Choreograph. Wie wir miteinander agiert haben, ist essentiell für unsere eigene Kreativität geworden und hat sich in unseren eigenen Stil eingeschrieben, zum Beispiel wie sich die Tänzer*innen verhalten, wenn sie einen Pas de deux tanzen, die

SOURCE OF INSPIRATION

16


Magie der Gegenwart, wenn sie sich die Hand geben, das Pure einer Bewegung, die Wiederholung einer Bewegungsphrase, das Timing, der Auftritt und Abgang auf der Bühne … Dieses gesamte Bewusstsein hat sich sehr stark in mir verankert und war stets Futter für unsere eigenen Choreographien. Source of Inspiration ist ein sehr intimes Stück und obwohl eine Tänzerin und zwei Tänzer besetzt sind und sie miteinander agieren, bleibt die choreographische Struktur singulär und das Publikum erlebt drei individuelle Künstler*innen auf der Bühne. SL

Das Ballett ist ein Geschenk für Hans. Die Intimität, Kreativität und Individualität der drei Tänzer*innen sind die Quelle der Inspiration, die das Portrait eines wahren Moments ist, der zu einer wichtigen Erinnerung wurde. Die Erinnerung an Hans, Paul und mich gemeinsam im Studio, um zu kreieren und zu tanzen. Warum fiel die Wahl der Musik auf Philip Glass? SL

Philip Glass ist ein großartiger Künstler, der, wie Hans van Manen, eine enorme Inspiration für uns wurde und so stellte sich eine klare und angenehme Verbindung zwischen dieser Komposition und der Kreation für Hans her. Mit Glass’ Musik waren wir in der Lage, ganz natürlich zu tanzen und das auszudrücken, was wir sagen wollten. Sie ist das perfekte Medium, um alle Emotionen und die Technik miteinander zu verbinden. Wir haben uns ganz von ihr leiten lassen.

PAUL LIGHTFOOT

»Es ist, als ob man über einen Freund spricht und diese Freundschaft auf andere überträgt.«

17

SOURCE OF INSPIRATION


uni sono

Einer der bedeutendsten zeitgenössischen Choreographen des 20. und 21. Jahrhunderts hat 1978 eigens ein Ballett für die Studierenden des Königlichen Konservatoriums Den Haag geschaffen, das seit jeher von jungen Elevinnen und Eleven getanzt wird. Hans van Manens Unisono zum Adagio aus Joseph Haydns Violinkonzert Nr. 1 C-Dur und Johann Sebastian Bachs Air aus der Orchestersuite Nr. 3 D-Dur setzt sich mit dem klassischen Ballettkanon auseinander und wendet sich hingebungsvoll seinen Grundlagen hin: Das Schreiten und Gehen über die Bühne, der bewusste Vollzug jedes Schrittes sind in der Choreographie genauso elementar wie die klassischen Port de Bras oder das intensiv wahrnehmende Kreisen des Kopfes. Das Ballett, das in seiner puristischen wie eleganten Anlegung eine typische Hans van Manen-Kreation ist, fördert so nicht nur die Homogenität, Musikalität und Konzentration der Tänzer*innen individuell und in der Gruppe, sondern auch das Gemeinschaftsgefühl. Insgesamt treffen 50 Schüler*innen von 10 bis 15 Jahren der Ballettakademie in Unisono aufeinander. Aufgeteilt in vier Gruppen tanzen die Stufen 1 bis 5 gemeinsam van Manens Choreographie und spüren im Tänzerischen die Bedeutung des »unisono« nach. Im Gespräch mit Nastasja Fischer erläutert die 15-jährige Elevin Jule Sachernegg aus der Stufe 5A ihre Auseinandersetzung mit Hans van Manens Choreographie.

UNISONO

18


Was ist es für ein Gefühl, Teil der Nurejew-Gala zu sein? Worauf freust du dich am meisten? JS

Es ist toll, nach dieser Corona-bedingten Pause, wieder auf der Bühne zu stehen. Besonders gefällt mir, dass wir gemeinsam mit den Tänzer*innen des Wiener Staatsballetts und den Gästen in der Wiener Staatsoper auftreten können und Teil einer so großen Produktion wie der Nurejew-Gala sind. Ich glaube, das ist für uns alle großartig. Wie habt ihr Hans van Manens Unisono einstudiert? JS

Zunächst haben wir seinen Stil bzw. den Stil des Balletts mit Larisa Lezhnina, die die Choreographie mit uns einstudiert hat, kennengelernt. So konnten wir uns in das Klima des Stücks hineinfühlen. Dann haben wir begonnen, die Formationen, die sehr wichtig für die Choreographie sind, zu lernen, intensiv zu studieren und zu üben. Was ist das Besondere daran, eine Choreographie von Hans van Manen zu tanzen? Was hast du dabei gelernt? JS

Ich habe gelernt, mit anderen zusammen zu tanzen. Vieles in dem Ballett bewegt sich in einer Linie und wir müssen uns immer gemeinsam bewegen. Der Wechsel in den Bewegungen war auch spannend zu erfahren, manchmal waren es sehr weiche und dann wieder eher klarere, fast strenge Bewegungen. Ich habe vorher noch nie ein Ballett von Hans van Manen getanzt und diese Choreographie einzustudieren, war eine ganz neue, sehr schöne Erfahrung für mich. Macht es dir Freude, mit deinen Schulkolleg*innen unterschiedlicher Stufen gemeinsam auf der Bühne zu stehen? JS

Meine Klasse sehe ich jeden Tag, aber mit der Unterstufe zu tanzen, ist definitiv etwas Besonderes. Als ich noch jünger war, fand ich es großartig, mit den älteren Schüler*innen zu tanzen und habe immer zu ihnen aufgeschaut. Ich glaube, dass es den Jüngeren jetzt genauso geht wie mir damals. Es macht sehr viel Spaß mit allen gemeinsam zu proben und sich mit Hans van Manens Ballett so intensiv und über einen langen Zeitraum auseinanderzusetzen.

19

UNIOSONO


xx

Unisono Studierende der Ballettakademie der Wiener Staatsoper



DAVID CORIA

Tempo »Ein fortwährender Dialog zwischen orthodoxen und akademischen Tendenzen des Flamenco-Tanzes und zeitgenössischen Handschriften, die auf der Spontaneität von Bewegung basieren und sich in Tempo annähern. Tempo – Tiempo, ein Wortspiel, mit dem der Autor mit dem Tanz über die Entwicklung dieser Kunst reflektiert, eine Kunst, die strenge, festgeschriebene, traditionelle Haltungen zeigen kann, aber auch solche, welche ihre Grenzen verwischen und mit anderen Kontexten verschmelzen.«


David Coria


tempo

DAVID CORIA IM GESPRÄCH MIT ANNE DO PAÇO

Wie sind Sie zum Flamenco gekommen? DC

Ich wurde in eine Familie hineingeboren, in welcher der Flamenco einen wichtigen Platz einnimmt. Meine ältere Schwester war auch Tänzerin, sodass meine Erinnerungen an den Flamenco bis in meine früheste Kindheit zurückreichen. Der Flamenco wurde 2010 durch die UNESCO zum Immateriellen Kulturerbe erklärt. Was ist das Besondere an dieser Kunst? DC

Flamenco ist eine Kunstform, die viele Disziplinen umfasst, nicht nur den Tanz. Rein musikalische Aufführungen – mit Gesang, mit Gitarre – vermitteln diese Kunstform genauso wie Darbietungen mit Tanz. Der Flamenco bietet aber auch die Möglichkeit eines Dialogs zwischen diesen drei Elementen (Gesang, Gitarre und Tanz), bei dem Improvisation, Intuition und technische Meisterschaft sich immer wieder neu miteinander verweben und einzigartige Kreationen hervorbringen. Dies sind einige der Merkmale, die den Flamenco zu einer so besonderen Kunstform machen, und vielleicht wurde er deshalb zum Immateriellen Kulturerbe der Menschheit deklariert.

TEMPO

24


Ihre Auftritte und Ihre Werke zeigen, dass der Flamenco auch heute eine äußerst anspruchsvolle und ernsthafte Bühnenkunst ist. Zugleich gehört er zu jenen Künsten, die sich immer wieder auch gegen ihr eigenes Klischee verteidigen müssen. DC

Absolut, ja. Flamenco wird oft mit Anarchie, Fiesta und Spontaneität gleichgesetzt und folglich mit einem Mangel an Strenge und Ernsthaftigkeit. Natürlich hat der Flamenco etwas Unbezwingbares und Spontanes, aber er basiert auf einer profunden Kenntnis seiner Regeln. Für seine korrekte Ausführung ist im Bereich des Tanzes eine enorme körperliche Vorbereitung, eine anspruchsvolle technische Beherrschung und eine tiefe Kenntnis seiner Eigenarten erforderlich. Traditionelle Tanzformen leben immer auch von der Erneuerung. Das gilt für das klassische Ballett ebenso wie für den Flamenco. Wie oder womit setzen Sie Ihre eigenen Akzente? DC

In der Tat ist der Flamenco ein sehr lebendiges Gebilde. Er verschlingt, was ihn bereichert, und verwirft, was nichts zu ihm beiträgt. Der Flamenco ist von vielen anderen Kulturen und Musiken der Welt beeinflusst. Deshalb braucht er einen ständigen Prozess der Erneuerung. Meiner Meinung nach ist der Flamenco eine höchst flexible Kunstform, sodass man keine Angst haben sollte, zu experimentieren und absolut frei im Umgang mit seinen Mitteln zu sein. In meinen Kreationen versuche ich nicht, die Regeln des Flamenco zu reproduzieren, sondern eine persönliche Interpretation dieser. Ich sehe den Flamenco als ein Universum, das auf unendlich viele Arten gehandhabt werden kann, wenn man in der Lage ist, es zu verstehen. In der Zwischenzeit haben Sie auch Ihre eigene Compagnie – die Cía Coria – gegründet. Was für ein Programm präsentieren Sie und woran arbeiten Sie mit Ihren Tänzern und Musikern? DC

Mit der Cía Coria präsentieren wir Werke, die sich von den eher orthodoxen Rändern des Flamenco entfernen. Wir vertreten eine Vision, die den Flamenco als eine sehr offene Kunstform begreift, die mit anderen Disziplinen ohne weiteres koexistieren kann. Unsere letzte Produktion Humano, die wir im Februar 2022 im Pariser Théâtre National de Chaillot herausgebracht haben, war zum Beispiel ein Stück mit einer zeitgenössischen Tänzerin, die nichts mit Flamenco zu tun hat. Und auch bei einer aktuellen Arbeit, die 2023 zur Uraufführung kommen wird, gehen wir von der Freiheit aus, die der Flamenco im Spiel mit Avantgarde und Tradition entfalten und bieten kann.

25

TEMPO


ungarische tänze ANNE DO PAÇO

Sie werfen sich geradezu hinein in diese Musik, die uns von der ersten Note an in ihren Bann zieht, greifen ihren Schwung auf, ja scheinen ihn noch übertreffen zu wollen in der Freude ihrer Bewegungen, der unbändigen Kraft des befreiten Tanzens. Martin Schläpfer lässt zu Johannes Brahms Csárdás tanzen, die Hände in die Hüfte stemmen, die Fersen Polka-gleich auf den Boden schlagen oder mit beiden Füßen gleichzeitig aufstampfen – und dann wird wieder nach allen Regeln der klassischen Kunst gesprungen, battiert und gedreht, stürzen sich die Tänzerinnen und Tänzer voller Humor und Virtuosität in die vielen Posen der Ballettkultur. Im Verein mit Volkstanz- und Modern Dance-Elementen, Alltagsgesten und winzigen anekdotischen Szenerien überführt Martin Schläpfer in seinem Ballett Ungarische Tänze den klassischen Tanz in eine wilde, ungezähmte Schönheit, aus der immer wieder auch Momente einer feinen Melancholie und plötzlichen Nachdenklichkeit hervorbrechen oder ganz offen gesellschaftspolitische Themen angesprochen werden. Für die heutige Nurejew-Gala hat Martin Schläpfer aus der am 10. November 2012 mit dem Ballett am Rhein im Opernhaus Düsseldorf uraufgeführten 50-minütigen Choreographie zu beiden Heften der Ungarischen Tänze von Johannes Brahms drei Nummern ausgewählt. In den beiden Eröffnungsszenen geht es um ein Tanzen an sich zwischen Frau und Mann und Frau und Frau, aber auch um Auftrumpfen und Fragilität, Bindung und Trennung. Im folgenden Trio für eine Tänzerin und zwei Tänzer begegnen sich dagegen drei große Persönlichkeiten auf Augenhöhe, loten die Spannungen aus, die auf choreographisch-formaler, aber auch auf menschlicher Ebene aus einem Tanz zu Dritt entstehen, setzen sich mal mit äußerst flinker Fußarbeit auf die schnellen Läufe der Brahms’schen Komposition tanzend drauf, meist dieser aber ein eigenes Tempo entgegen, das das Vivace der Musik in eine die Körper weit überdehnende explosive Kraft überführt, eine Kraft, die den Tanz derart fokussiert, als wäre er das ruhige Zentrum im Auge eines Tornados, wie vor allem das abschließende Solo der Tänzerin zeigt – ein Ausloten von Balancen auf dem Spitzenschuh in durchaus ungewöhnlichen Posen.

UNGARISCHE TÄNZE

26


MARTIN SCHLÄPFER

»Die Ungarischen Tänze von Johannes Brahms sind vor allem Tänze. Was liegt da näher als einfach zu tanzen, frei zu sein, loszulassen, virtuos zu sein und auch zu zeigen, was meine wunderbaren Tänzerinnen und Tänzer alles können. Ich wollte Energie, Freude, Positives, Extrovertiertes.«

27

UNGARISCHE TÄNZE


»Ich wollte eine Musik, die bekannt, ja belastet ist. Eine Musik, die man mir nicht sofort zuordnet. Auch eine Musik, zu deren Nummerncharakter ich mich bekenne, indem ich ihn an keiner Stelle zu überspielen versuche«, äußerte sich Martin Schläpfer zu seiner Wahl der Ungarischen Tänze für seine Choreographie. 1869 hatte sich Brahms zu einem ersten Zyklus von Tänzen durch eine für ihn exotische Welt inspirieren lassen, die er durch den Geiger Eduard Reményi und den ungarisch-stämmigen Joseph Joachim, aber auch auf mehreren eigenen Konzertreisen kennengelernt hatte. Vorausgegangen waren aber bereits auch eigene Volkslied-Recherchen, die er zwischen 1848 und 1850 zu einer Sammlung von Liedern aus verschiedenen Ländern vereinte. Am 8. Juni 1854, dem Geburtstag Robert Schumanns, überreichte er Clara Schumann dann in Düsseldorf die Abschrift eines Heftes mit weiteren 37 Nummern, darunter auch zehn Volksweisen aus Ungarn, von denen er einige auch für seine Ungarischen Tänze nutzte. Neben Melodiengut aus der ungarischen Volks-, Bauern- und sogenannten »Zigeuner-Musik« griff Brahms auch auf Csárdás-Kompositionen zurück wie z.B. auf den Emma Csárdás von Mór Windt in den Rahmenteilen von Tanz Nr. 2. In dem 1880 erschienenen zweiten Heft entfernte er sich dagegen mehr von den originalen Vorlagen, um seiner eigenen Fantasie auf der Suche nach Melodien im ungarischen Stil freien Lauf zu lassen. Alle Tänze stehen ausnahmslos im 2/4-Takt und weisen den typischen Wechsel von punktiert-synkopenreicher mit gleichmäßiger Rhythmik auf. Nach dem großen Erfolg der vierhändigen Ausgabe des ersten Heftes war es Brahms selbst, der – als kalkuliere er die unterschiedlichen Entfaltungsmöglichkeiten geradezu mit ein – seine Ungarischen Tänze auch für andere Besetzungen öffnete. Auf eine Fassung für Klavier zu zwei Händen fertigte er 1873/74 auf Wunsch seines Verlegers Simrock von den Tänzen Nr. 1, 3 und 10 auch eine Orchesterversion an und versprach: »gelegentlich kommen ja vielleicht mehr«. Mehr sollten es leider nicht werden, doch bald schon fühlten sich Zeitgenossen wie nachfolgende Generationen zu eigenen Orchesteradaptionen inspiriert, so dass heute auch mit Orchester eine Aufführung beider Zyklen möglich ist. Brahms war mit den Ungarischen Tänzen eine Gesellschaftsmusik von hohem Anspruch, wie sie das gebildete Bürgertum im 19. Jahrhundert für das gesellige häusliche Musizieren am Klavier zu vier Händen so sehr liebte, gelungen und noch viel mehr: eine Musik, die direkt an die Wurzeln alles Musikantentums rührt und doch mehr als Volksmusik ist. In Martin Schläpfers Ballett Ungarische Tänze trifft Folklore auf die verfeinerte Kunst des Balletts, Strenge auf Freiheit, Codiertes auf Entgrenzung – befruchten sich die Gegensätze, prallen aber immer wieder auch hart aufeinander. Johannes Brahms’ Musik wie Martin Schläpfers Choreographie sind eine hinreißende Hommage an das Tanzen.

UNGARISCHE TÄNZE

28


Ungarische Tänze Géraud Wielick, Claudine Schoch, Marcos Menha


Ungarische Tänze Géraud Wielick, Claudine Schoch, Marcos Menha


Ungarische Tänze Igor Milos, Fiona McGee


Le chant du compagnon errant Guillaume Côté, Friedemann Vogel


Friedemann Vogel


le chant du compagnon errant ANNE DO PAÇO

Mit Le chant du compagnon errant schuf Maurice Béjart – sechs Jahre nachdem Hans van Manen in seinen Metaforen 1965 wahrscheinlich zum ersten Mal in der Geschichte des Balletts zwei Männer in einem lyrischen Pas de deux hatte aufeinandertreffen lassen – ein weiteres zentrales Duo für zwei Tänzer: einen freiheitsliebenden fahrenden Gesellen und seinen Kompagnon, von dem offen bleibt, wer dieser Begleiter wirklich ist – Schutzengel, Doppelgänger oder der Tod, Verkörperung des Schicksals oder Gewissens oder doch nur ein Vertrauter, ein Freund? Die Uraufführung am 11. März 1971 vor 5000 Zuschauern in der restlos ausverkauften Brüsseler Sporthalle Forest National ließ zwei Ausnahmetänzer der damaligen Zeit aufeinandertreffen: Rudolf Nurejew als fahrenden Gesellen sowie Paolo Bortoluzzi – Mitglied von Maurice Béjarts Ballet du XXe Siècle. Zwei derart außergewöhnliche Tänzer zusammenzubringen, war mehr als Kalkül, wie Klaus Geitel in seiner Uraufführungsrezension schrieb: »Bortoluzzis Gelassenheit, seine freundliche Strenge werden zur hellen Folie, gegen die Béjart Nurejews borstiges, splitterndes und aufsässiges Pathos führt. Keuchen wird dem Atmen entgegengestellt, Hilfsbereitschaft dem Hochmut, Ruhe dem Unfrieden, Unrast der Geborgenheit.« Getanzt wurde die Choreographie seither von vielen großen Interpreten, angefangen von weiteren Partnern Nurejews wie Jean Guizerix, Charles Jude und Patrick Armand. Martin Schläpfer stieg mit dem fahrenden Gesellen, einstudiert von Jorge Donn 1989 in Basel in die Fußstapfen Nurejews – Grund genug für ihn, das Werk in der ersten Nurejew-Gala unter seiner Direktion erneut auf das Programm zu setzen mit einem weiteren

LE CHANT DU COMPAGNON ERRANT

34


KLAUS GEITEL

»Seine eindringlichsten Leistungen brachte Nurejew immer im Niederbruch der Charaktere, die er tanzend entwarf; in den Augenblicken schier monomanisch wütender Trauer und einer Zerrissenheit, die jede choreographische Form zu zerfetzen schien. Inmitten der lichten Welt des Balletts mit ihrem ätherischen Hochflug kauerte er als finsterer Engel, als Eindringling, als Mahner, als Usurpator, als Herausforderer. Als Opfer.« 35

XX


Ausnahmetänzer, mit dem er bei seiner Stuttgarter Uraufführung Taiyō to Tsuki zu einer besonders intensiven Zusammenarbeit gefunden hatte: Friedemann Vogel. Dieser hat Béjarts Pas de deux ebenfalls bereits mit verschiedenen Partnern präsentiert, darunter auch der Principal Dancer vom National Ballet of Canada Guillaume Côté, der heute Abend auch in Wien zu erleben ist. Béjart hatte sich als musikalische Basis die vier Lieder eines fahrenden Gesellen gewählt, die Gustav Mahler zwischen 1884 und 1885 zunächst als Klavierlieder konzipiert, über zehn Jahre später, am 16. März 1896, mit dem Berliner Philharmonischen Orchester dann auch in einer instrumentierten Fassung präsentiert hatte. Er selbst hatte die Texte geschrieben – mitten im Volkstümlichen ansetzend eine Art Urtypus des Volkslieds ausformulierend: vom verschmähten, verlassenen und unerhörten Verliebten (»Wenn mein Schatz Hochzeit macht«) über die Beschwörung einer »schönen Welt« in der friedlichen Heiterkeit der erwachenden Natur, in der auch das Gesellenglück bald anfangen könnte (»Ging heut’ morgen übers Feld«), hinein in einen jener existenziellen Abstürze, wie sie in Mahlers Werk nie fehlen (»Ich hab’ ein glühend Messer«) – vom Typus her ein grimmiges Scherzo im dramatischen Balladenton eines Danse macabre. Mit einem erzwungenen Abschied beginnt das letzte Lied »Die zwei blauen Augen« mit »geheimnisvoll schwermütigem Ausdruck«. Volkslied und Volkston erscheinen hier nurmehr als Versatzstücke, sind zerbrochen. Unter einem Lindenbaum findet der Geselle Ruhe – nicht wie sein Schubertscher-Müllerscher Vorgänger nur im Konjunktiv –, sondern wahrscheinlich für immer. Denn der da singt, meldet sich schon aus einer anderen Welt. Keines der Stücke endet in der Tonart, in der es begann, und auch der Schluss findet nicht an den Anfang zurück. In seiner Choreographie gelang es Maurice Béjart mit einem Minimum an Mitteln ein Maximum an Wirkung zu erreichen, wie Antoine Livio schriebt: »Das Mit- und Gegeneinander der Tänzer äußert sich in verschiedenen parallel, spiegelbildlich oder kanonartig versetzten Bewegungssequenzen; die Spannungszustände zwischen ihnen finden eher Mimischen und Pantomimischen Ausdruck.« Nurejew verabschiedete sich am 23. Oktober 1990 im Pariser Palais Garnier mit dem ersten und vierten Lied von seinem Publikum. Sein Partner auf der Bühne war Patrick Dupont, der gerade seine Nachfolge als Direktor des Ballet de l’Opéra de Paris angetreten hatte – eine ergreifende Begegnung zwischen einem verlöschenden Star und seinem jungen Rivalen. Der verzweifelte Gesichtsausdruck Nurejews, während er bei den Worten »Alles ist wieder klar, ja alles ist klar, alles, die Liebe und der Schmerz, die Welt und der Traum« seine Hand in Richtung Zuschauerraum streckte, grub sich für immer in die Erinnerung des Publikums ein.

LE CHANT DU COMPAGNON ERRANT

36


Paquita Maria Yakovleva, Lourenço Ferreira


Paquita Kiyoka Hashimoto


Paquita Maria Yakovleva, Lourenço Ferreira, Damenensemble


paquita NASTASJA FISCHER

Seine Premiere feierte das Ballett Paquita in der Choreographie von Joseph Mazilier und zur Musik von Édouard Deldevez 1846 an der Pariser Oper. Die Starballerina und Inkarnation des romantischen Balletts Carlotta Grisi tanzte die weibliche, titelgebende Hauptrolle, ihr Partner, der Offizier Lucien d’Hervilly, wurde von Lucien Petipa interpretiert. Die Premiere entpuppte sich als ein großer Erfolg und ein Jahr später studierte sein Bruder, Marius Petipa, das Ballett in St. Petersburg ein. Die Einstudierung von Paquita markierte den Beginn von Petipas Erfolgen in Russland. Viele weitere französische Ballette, die Petipa mit dem Mariinski-Ballett choreographierte, sollten folgen und ihn zu jener bedeutenden Tanzpersönlichkeit machen, die er bis heute ist. Petipas endgültige Fassung von Paquita wurde viele Jahre später, 1882, in St. Petersburg uraufgeführt. In der Historie von Paquita hat diese Neueinstudierung einen bedeutenden Stellenwert, haben Petipa und der Komponist Ludwig Minkus für jene doch die berühmtesten Szenen dieses Balletts choreographiert und komponiert: den Pas de trois im ersten Akt, die Mazurka und den Grand Pas Classique im letzten Akt. 1904 wurde diese Choreographie mit der Stepanow-Notation festgehalten, während Petipa die Titelrolle mit der Primaballerina Anna Pawlowa einstudierte. Zahlreiche Fassungen sowohl choreographischer als auch musikalischer Natur existieren vom Grand Pas Classique, der zu den bedeutendsten und markantesten Passagen des Balletts zählt. So ist dieser auch aufgrund der vielen Variationen, die ihren Ursprung in unterschiedlichen Balletten haben, ein beliebter Beitrag in Ballettgalas, aber auch in Wettbewerben und Unterrichtsstunden. Auch Rudolf Nurejew hat den Grand Pas Classique mehrfach einstudiert: u.a. mit der Royal Academy of Dancing 1964. Weitere Einstudierungen seiner Fassung entstanden für die Ballettensembles des Teatro alla Scala 1970, der Wiener Staatsoper und für das American Ballet Theatre (beide im Jahr 1971). Die Ballettakademie der Wiener Staatsoper zeigte ihn bei ihrer jährlichen Matinee im Jahr 2013 ebenso. Auch bei den Galas des Wiener Staatsballetts bzw. Balletts der Wiener Staatsoper und Volksoper hat der Grand Pas Tradition und wurde bereits 2006 und 2014 getanzt.

PAQUITA

40


Für die diesjährige Nurejew-Gala hat sich Ballettmeisterin und Einstudiererin Alice Necsea für eine »kurze« Fassung mit fünf Variationen entschieden und erläutert: »Im Laufe der Zeit haben viele Choreographen an den Variationen gearbeitet und eigene Fassungen kreiert, wie zum Beispiel Pierre Lacotte 2001. Wer weiß also, wie das Original wirklich aussah? Ich habe mich dazu entschieden, schöne, elegante, aber auch anspruchsvolle Variationen zu zeigen, die sowohl den Tänzer*innen als auch dem Publikum viel Freude bereiten.« Neben einer Mazurka finden deshalb auch Teile des Pas de trois Einklang in die zweite Variation, getanzt von Solistin Aleksandra Liashenko. Im Grand Pas trifft ein eleganter französischer Stil auf spanisches Temperament und es ist diese besondere Kombination von diversem Material, ein »Best of Petipa«, weshalb dieser Grand Pas so viel Freude sowohl beim Tanzen als auch beim Zusehen bereitet und öfter aufgeführt wird als das abendfüllende Ballett selbst.

GEORGE BALANCHINE ÜBER MARIUS PETIPA

»Was mich an den Energien dieses großen Meisters besonders interessiert, ist seine Verbindung von Eleganz und Professionalismus. Jeder Choreograph eines Repertoire-Balletts muss beständig Neuheiten vorsehen. Nur wenige Ballettmeister sind jedoch in der Lage, entweder kontinuierlich zu produzieren oder einen hohen Einfallsreichtum zu bewahren, ohne in Formelhaftes oder Monotonie zu verfallen.« 41

PAQUITA



ensemble


tänzerinnen & tänzer

Denys Cherevychko Erster Solotänzer

Davide Dato Erster Solotänzer

Olga Esina Erste Solotänzerin

Kiyoka Hashimoto Erste Solotänzerin

Hyo-Jung Kang Erste Solotänzerin

Masayu Kimoto Erster Solotänzer

Liudmila Konovalova Erste Solotänzerin

Marcos Menha Erster Solotänzer

Ketevan Papava Erste Solotänzerin

Alexey Popov Erster Solotänzer

ENSEMBLE

44


Claudine Schoch Erste Solotänzerin

Maria Yakovleva Erste Solotänzerin

Yuko Kato Senior Artist

Roman Lazik Senior Artist

Ioanna Avraam Solotänzerin

Elena Bottaro Solotänzerin

Francesco Costa Solotänzer

Sonia Dvořák Solotänzerin

Alice Firenze Solotänzerin

Rebecca Horner Solotänzerin

Aleksandra Liashenko Solotänzerin

Eno Peci Solotänzer

Daniel Vizcayo Solotänzer

Jackson Carroll Halbsolist

Iliana Chivarova Halbsolistin

Calogero Failla Halbsolist

Lourenço Ferreira Halbsolist

Adele Fiocchi Halbsolistin

Sveva Gargiulo Halbsolistin

Alexandra Inculet Halbsolistin

45

ENSEMBLE


Gala Jovanovic Halbsolistin

Andrey Kaydanovskiy Halbsolist

Helen Clare Kinney Halbsolistin

François-Eloi Lavignac Halbsolist

Eszter Ledán Halbsolistin

Anita Manolova Halbsolistin

Fiona McGee Halbsolistin

Tomoaki Nakanome Halbsolist

Laura Nistor Halbsolistin

Andrey Teterin Halbsolist

Zsolt Török Halbsolist

Arne Vandervelde Halbsolist

Géraud Wielick Halbsolist

Marie Breuilles Corps de ballet Staatsoper

Natalya Butchko Corps de ballet Staatsoper

Victor Cagnin Corps de ballet Staatsoper

Laura Cislaghi Corps de ballet Staatsoper

Edward Cooper Corps de ballet Staatsoper

Vanessza Csonka Corps de ballet Staatsoper

Giovanni Cusin Corps de ballet Staatsoper

ENSEMBLE

46


Gaia Fredianelli Corps de ballet Staatsoper

Marian Furnica Corps de ballet Staatsoper

Andrés Garcia Torres Corps de ballet Staatsoper

Javier González Cabrera Corps de ballet Staatsoper

Adi Hanan Corps de ballet Staatsoper

Trevor Hayden Corps de ballet Staatsoper

Isabella Knights Corps de ballet Staatsoper

Zsófia Laczkó Corps de ballet Staatsoper

Gaspare Li Mandri Corps de ballet Staatsoper

Sinthia Liz Corps de ballet Staatsoper

Godwin Merano Corps de ballet Staatsoper

Katharina Miffek Corps de ballet Staatsoper

Igor Milos Corps de ballet Staatsoper

Franciska Nagy Corps de ballet Staatsoper

Hanno Opperman Corps de ballet Staatsoper

Kristián Pokorný Corps de ballet Staatsoper

Alaia Rogers-Maman Corps de ballet Staatsoper

Isabella Lucia Severi Corps de ballet Staatsoper

Suzan Sittig Corps de ballet Staatsoper

Duccio Tariello Corps de ballet Staatsoper

47

ENSEMBLE


Iulia Tcaciuc Corps de ballet Staatsoper

Helena Thordal-Christensen Corps de ballet Staatsoper

Gloria Todeschini Corps de ballet Staatsoper

Chiara Uderzo Corps de ballet Staatsoper

Céline Janou Weder Corps de ballet Staatsoper

Gabriele Aime Corps de ballet Volksoper

Dominika Ambrus Corps de ballet Volksoper

László Benedek Corps de ballet Volksoper

Sarah Branch Corps de ballet Volksoper

Barbara Brigatti* Corps de ballet Volksoper

Vivian de Britto-Schiller Corps de ballet Volksoper

Roman Chistyakov Corps de ballet Volksoper

Kristina Ermolenok Corps de ballet Volksoper

Tainá Ferreira Luiz Corps de ballet Volksoper

Ekaterina Fitzka Corps de ballet Volksoper

Alexander Kaden Corps de ballet Volksoper

Tessa Magda Corps de ballet Volksoper

Cosmin Marinescu Corps de ballet Volksoper

Dragos Musat Corps de ballet Volksoper

Keisuke Nejime Corps de ballet Volksoper

ENSEMBLE

48


Aleksandar Orlić Corps de ballet Volksoper

Olivia Poropat Corps de ballet Volksoper

Natalie Salazar Corps de ballet Volksoper

Mila Schmidt Corps de ballet Volksoper

Marta Schiumarini Corps de ballet Volksoper

Gleb Shilov Corps de ballet Volksoper

Felipe Vieira Corps de ballet Volksoper

Robert Weithas Corps de ballet Volksoper

Martin Winter Corps de ballet Volksoper

Una Zubović Corps de ballet Volksoper

Ohne Abbildung Tanya Mazniak Corps de Ballet Staatsoper

49

*Karenzvertretung

ENSEMBLE


biographien


GUILLERMO GARCÍA CALVO – Musikalische Leitung Den spanischen Dirigenten Guillermo García Calvo führte eine internationale Karriere an viele bedeutende Bühnen, darunter die Wiener Staatsoper, die Opéra National de Paris, die Deutsche Oper Berlin, das Gran Teatre del Liceu Barcelona, das Teatro Real Madrid und New National Theatre Tokio. In Madrid geboren, schloss Guillermo García Calvo sein Studium an der Musikuniversität Wien ab. 2007 war er Assistent von Christian Thielemann für die Wiederaufnahme des Ring des Nibelungen bei den Bayreuther Festspielen. 2009 leitete er die Premiere von La Cenerentola an der Deutschen Oper Berlin, wo er seither zahlreiche Produktionen dirigierte. Seit 2003 ist Guillermo García Calvo eng mit der Wiener Staatsoper verbunden, wo er als Solokorrepetitor wirkte sowie Opern-Aufführungen – darunter die Premiere von Macbeth – und Kinderopern leitete. Für das Wiener Staatsballett stand er am Pult von Produktionen wie Mayerling, Der Nussknacker, Anna Karenina, Schwanensee, Onegin, Don Quixote, Giselle, Romeo und Julia, Die Schneekönigin und Peer Gynt. 2017/18 wurde Guillermo García Calvo zum Generalmusikdirektor der Theater Chemnitz und zum Chefdirigenten der Robert-Schumann-Philharmonie ernannt, wo er sich vor allem der Pflege des Wagner-Repertoires widmet. Die Inszenierung der Götterdämmerung aus der Chemnitzer Neuproduktion des Ring des Nibelungen unter seiner musikalischen Leitung wurde 2019 mit dem deutschen Theaterpreis Der Faust ausgezeichnet. In der aktuellen Saison leitete er in Chemnitz u.a. Lohengrin, Tristan und Isolde sowie Die Entführung aus dem Serail und Ernani. Für das Dirigat von Siegfried an der Oper Oviedo erhielt er den Preis Ópera XXI für die beste musikalische Leitung 2017/18, für La Gioconda am Gran Teatre del Liceu den Preis der Opernkritiker der Amics del Liceu. Weitere wichtige Produktionen waren L’elisir d’amore am New National Theatre in Tokio, Don Giovanni an der Opéra National de Paris und Katiuska am Teatro de la Zarzuela Madrid, dem er seit Jänner 2020 als musikalischer Direktor vorsteht. Zum Wiener Staatsballett kehrt Guillermo García Calvo auch in der kommenden Saison für Ashtons La Fille mal gardée zurück.

51

BIOGRAPHIEN


GEORGE BALANCHINE – Choreographie Allegro Brillante Als Georgi Balantschiwadse wurde 1904 in St. Petersburg einer der wirkungsmächtigsten Vertreter des neoklassischen Balletts geboren. Sein Lebensweg, der ihn von St. Petersburg über verschiedene Stationen im Westen Europas bis nach New York führte, liest sich wie eine Reise durch die Tanzgeschichte der letzten 100 Jahre: Verwurzelt in der Ballettwelt des zaristischen Russland und geprägt durch die Ästhetik Petipas schloss sich der Künstler in Paris den Ballets Russes und damit der Avantgarde an und nannte sich fortan George Balanchine. 1928 schuf er mit dem Ballett Apollo zur Musik Igor Strawinskis ein erstes Meisterwerk für Diaghilews Truppe und legte damit den Grundstein für seine eigene Ästhetik. Eine Einladung in die USA eröffnete Balanchine 1933 dann die Chance, konsequent an der Entwicklung seines Stils mit eigens dafür ausgebildeten Tänzern zu feilen: Der Industrielle Lincoln Kirstein konnte ihn mit der Perspektive auf eine eigene Compagnie als Leiter einer zu gründenden Ballettschule gewinnen. 1934 eröffnete die School of American Ballet mit einer von Balanchine eigens formulierten Ausbildungskonzeption. Vom Training, das stets die Basis seines Tanzverständnisses bildete, führte der Weg zur Choreographie – und was zunächst als eine Art Übung gedacht war, geriet ihm zu seinem ersten amerikanischen Meisterwerk Serenade. Es folgten Arbeiten an der Metropolitan Opera, für Hollywood, den Broadway und immer neue Ballette für seine Compagnie, die sich ab 1948 New York City Ballet nannte und schon bald zu den führenden Ensembles der Welt zählte. Neben zahlreichen Neukreationen – darunter Concerto Barocco (1941), The Four Temperaments (1946) und Orphée (1948) – baute Balanchine aus seinen bestehenden Werken ein breites Repertoire auf und feilte mit ganzer Konsequenz an seiner Ästhetik, die vor allem eines im Blick hatte: in größter Klarheit den Tanz als ein Musizieren mit dem Körper in den Mittelpunkt zu stellen. Inkarnation dieses Stils und eines der wichtigsten Beispiele der New Yorker Moderne der 1950er Jahre wurde das Ballett Agon in Zusammenarbeit mit Balanchines wichtigem künstlerischen Partner Igor Strawinski. Weitere stilprägende Werke entstanden in den folgenden beiden Jahrzehnten mit Liebeslieder Walzer (1960), Jewels (1967), Symphony in Three Movements (1972), Stravinsky Violin Concerto (1972), Chaconne (1976), Davidsbündlertänze (1980) und Mozartiana (1981). Als George Balanchine am 3. Mai 1983 in New York starb, hinterließ er ein 425 Ballette umfassendes Œuvre, aus dem zahlreiche Werke auch heute zum Repertoire der großen Compagnien weltweit gehören, darunter auch das Wiener Staatsballett, das seit 1964 regelmäßig Choreographien des Neoklassikers präsentiert.

BIOGRAPHIEN

52


RUDOLF NUREJEW – Choreographie Pas de deux aus Cendrillon Rudolf Nurejew wurde am 14. oder 17. März 1938 bei Irkutsk in einem Zug der Transsibirischen Eisenbahn geboren. Er erhielt seine Ausbildung in Ufa sowie am Leningrader Waganowa-Institut u.a. in der berühmten Männerklasse von Alexander Puschkin. Sein erstes Engagement als Solist des Kirow-Balletts machte ihn 1958 über Nacht zu einem der bekanntesten Tänzer der Sowjetunion. 1959 trat er bei den Weltjugendfestspielen in Wien auf, 1961 entschied er sich während eines Gastspiels in Paris zum »Absprung« in den Westen. Nach einer Saison 1961/62 beim International Ballet of the Marquis de Cuevas führte ihn seine Karriere als international gefeierter Star zu allen großen Ballettcompagnien. Aber auch mit Modern Dance Künstlern arbeitete Nurejew zusammen, darunter die Ensembles von Martha Graham und Paul Taylor. Eine besonders enge Beziehung pflegte er – neben dem Royal Ballet London – zum Wiener Staatsopernballett, mit dem er zwischen 1964 und 1988 mit 22 Rollen in 167 Vorstellungen im Haus am Ring, der Volksoper Wien sowie bei Inund Auslandsgastspielen zu erleben war. Mit seinem Touring-Ensemble Nureyev & Friends präsentierte er außerdem seine eigenen Programme. Als Choreograph konnte sich Nurejew sowohl mit eigenen Arbeiten als auch Adaptierungen großer Handlungsballette profilieren. An der Wiener Staatsoper kam 1964 sein Schwanensee nach Petipa und Iwanow heraus. Es folgten bis 1967 Dornröschen für die Scala di Milano und Der Nussknacker für das Königlich Schwedische Ballett. Kompositionen Tschaikowskis lagen auch den auf Werken von Lord Byron und Shakespeare basierenden Balletten Manfred und The Tempest zugrunde. Für Washington Square nach Henry James wählte Nurejew Musik von Charles Ives, nachdem er sich für Tancredi an der Wiener Staatsoper mit Hans Werner Henzes gleichnamiger Partitur bereits von der Musik eines Zeitgenossen hatte inspirieren lassen. Daneben erfuhren mit Sergej Prokofjews Romeo und Julia und Cinderella auch zwei Klassiker des Balletts des 20. Jahrhunderts Neuinterpretationen. Der für Wien entstandene Schwanensee gehört heute wie Dornröschen und Der Nussknacker sowie Nurejews Version von Raymonda und der ebenfalls für Wien geschaffene Don Quixote zum Repertoire vieler Compagnien. Von 1983 bis 1989 war er Direktor des Balletts der Pariser Oper. Als Darsteller wirkte er auch in Film- (Valentino, 1977) und Musicalproduktionen (The King and I, 1989) mit. Am 6. Jänner 1993 verstarb Nurejew in Levallois-Perret in der Nähe von Paris an Aids. Sein Vermögen bildete die Basis der Nurejew-Stiftung. Die Verdienste, die er sich in Wien erworben hatte, führten am 25. Jänner 1982 zur österreichischen Einbürgerung. Die Wiener Staatsoper ernannte ihn 1988 zum Ehrenmitglied. Seit 1999 gibt es in Wien eine Rudolf Nurejew-Promenade. 53

BIOGRAPHIEN


SOL LEÓN & PAUL LIGHTFOOT – Choreographie Source of Inspiration Sol León stammt aus Córdoba, Spanien. Sie wurde an der Nationalen Ballettakademie in Madrid u.a. bei Victor Ullate ausgebildet. 1987 erhielt sie ein Engagement an das NDT 2, 1989 wurde sie Mitglied des NDT 1. Sol León tanzte in Werken von Jiří Kylián, Hans van Manen, Mats Ek und Ohad Naharin. Nachdem sie bereits während ihrer aktiven Zeit als Tänzerin gemeinsam mit Paul Lightfoot Stücke kreiert hatte, entschloss sie sich 2003 dazu, sich ganz der Choreographie zu widmen. Von 2012 bis 2020 war Sol León zudem Künstlerische Beraterin des Nederlands Dans Theaters. Paul Lightfoot wurde 1966 in Kingsley, England geboren und erhielt seine Ausbildung zum Tänzer an der Royal Ballet School in London. 1985 wurde er Mitglied des Nederlands Dans Theaters. Nach zwei Jahren in der Compagnie des NDT 2 wurde er 1987 ans NDT 1 befördert und tanzte dort bis 2008 u.a. in Uraufführungen und Repertoirestücken von Jiří Kylián, Hans van Manen, Mats Ek, Ohad Naharin und Nacho Duato, um nur einige Namen zu nennen. Er war nicht nur einer der herausragendsten Tänzer des Ensembles, sondern präsentierte sich bei den jährlichen Workshops des NDT auch als ein hochbegabter Choreograph. Seit 1989 arbeitet er mit Sol León im Duo zusammen. 2002 wurden Paul Lightfoot und Sol León Hauschoreographen am NDT, seit 2003 war Lightfoot an der Seite von Kylián Künstlerischer Berater des Ensembles, von 2011 bis 2020 Künstlerischer Direktor der Compagnie. Das Repertoire des Duos umfasst knapp 60 Werke, die neben dem NDT von zahlreichen renommierten Ensembles aufgeführt werden. In den letzten Jahren entstanden außerdem Short time together für das Royal Danish Ballet (2015), Sisters für das NDT 1 (2017), Kunstkamer für das NDT 1 und 2 (2019) und zuletzt Postscript für das NDT 2 (2020). Für ihr künstlerisches Schaffen wurden Sol León & Paul Lightfoot mehrfach ausgezeichnet: 1994 mit einer Nominierung für den Laurence Olivier Award für die »Beste Tanzproduktion des Jahres« für SH-Boom, dem Lucas Hoving Prize für Paul Lightfoot, dem Merit Award der Stichting Dansersfonds ‘79 für Sol León 2003, dem Prix Benois de la Danse 2005 für Signing Off und dem Herald Archangel des Edinburgh International Festival 2006. Von der Vereinigung der Direktoren von Schouwburg und Concertgebouw Amsterdam erhielten sie für Shoot the Moon den Preis für die beste Produktion der Saison 2005/06.

BIOGRAPHIEN

54


HANS VAN MANEN – Choreographie Unisono Der Niederländer Hans van Manen zählt zu den bedeutendsten Choreographen unserer Zeit. Seine Karriere begann 1951 als Tänzer in Sonia Gaskells Ballet Recital, gefolgt von Engagements im Nederlandse Opera Ballet und der Compagnie von Roland Petit in Paris. 1960 schloss er sich dem neu gegründeten Nederlands Dans Theater an, zunächst als Tänzer und Choreograph, von 1961 bis 1971 als Künstlerischer Direktor. 1973 wurde er als Choreograph ans Het Nationale Ballet in Amsterdam berufen. Ab 1988 war er als Hauschoreograph erneut dem NDT verbunden, bevor er 2003 in dieser Funktion ans Het Nationale Ballet zurückkehrte. Hans van Manens Œuvre umfasst über 120 Werke, von denen ein jedes die unverwechselbare Handschrift seines Schöpfers trägt. Seine Ballette gehören zum Repertoire vieler namhafter Compagnien weltweit. Neben seinem choreographischen Schaffen erlangte er ein hohes Renommee als Fotograf. 2003 gründete er die Stiftung Hans van Manen. Er erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter 1991 den Sonia-Gaskell-Preis für sein Gesamtwerk und den Choreographie-Preis der Vereinigung der Direktionen von Schouwburg und Concertgebouw Amsterdam. 1992 schlug Königin Beatrix der Niederlande ihn zum Offizier des Ritterordens von Oranien-Nassau. Ein Jahr später wurde ihm der Deutsche Tanzpreis verliehen. Die niederländische Menschenrechtsorganisation COC ehrte ihn mit der Bob Angelo Medaille für »die als befreiend zu bezeichnende Weise, mit der er in seinen Balletten und Fotos Männer und Frauen, menschliche Beziehungen und Sexualität porträtiert«. 1997 nahm er den Gino Tani International Prize entgegen. 1998 widmete ihm das Edinburgh Dance Festival eine große Retrospektive, die mit der Verleihung des Herald Arcangel Award ihren Höhepunkt fand. Es folgten 2000 der Erasmus-Preis, 2004 der Musikpreis der Stadt Duisburg und im Bolschoi Theater Moskau der Prix Benois de la Danse für sein Lebenswerk, 2005 der Grand Pas Award. 2007 ehrte Amsterdam den Künstler zu dessen 75. Geburtstag mit der Ernennung zum Commandeur in de Orde van de Nederlandse Leeuw sowie einem dreiwöchigen Festival. 2013 wurde er zum Patron of the National Ballet Academy ernannt, erhielt den Golden Age Award und einen weiteren Prix Benois. 2017 folgte mit dem Titel Commandeur des Arts et des Lettres die höchste Auszeichnung des französischen Staates im Bereich der Künste. Mit dem Wiener Staatsopern- bzw. Staatsballett waren seit der Wiener Erstaufführung von Adagio Hammerklavier und Twilight im Jahr 1977 eine Reihe von Werken Hans van Manens zu erleben, darunter Five Tangos, Grand Trio, Lieder ohne Worte, Große Fuge, Bits and Pieces, Black Cake, Solo, Trois Gnossiennes sowie zuletzt Live und Four Schumann Pieces. 55

BIOGRAPHIEN


MARTIN SCHLÄPFER – Choreographie Ungarische Tänze Martin Schläpfer leitet seit September 2020 als Ballettdirektor und Chefchoreograph das Wiener Staatsballett. Geboren in Altstätten (Schweiz), studierte er Ballett bei Marianne Fuchs in St. Gallen und an der Royal Ballet School in London. 1977 engagierte Heinz Spoerli ihn ins Basler Ballett, wo er schnell zu einem der charismatischsten Solisten avancierte. Ein Engagement ins Royal Winnipeg Ballet führte ihn für eine Spielzeit nach Kanada. Mit der 1990 in Basel gegründeten Ballettschule Dance Place schuf er eine erste Basis für seine tanzpädagogische Arbeit. Mit seiner Ernennung zum Leiter des Berner Balletts begann 1994 Martin Schläpfers intensive Arbeit als Choreograph und Ballettdirektor. Seine bisherigen Ensembles – das Berner Ballett (1994 bis 1999), ballettmainz (1999 bis 2009) sowie Ballett am Rhein (2009 bis 2020) – formte er in kürzester Zeit zu unverwechselbaren Compagnien. Das Ballett am Rhein wurde viermal von der Zeitschrift tanz zur »Kompanie des Jahres« gewählt und begeisterte auch auf Gastspielen in Europa, Israel, Taiwan, Japan sowie im Oman. Martin Schläpfers Schaffen umfasst knapp 80 Werke, die für seine Ensembles entstanden. Außerdem schuf er Uraufführungen für das Bayerische Staatsballett München, Het Nationale Ballet Amsterdam und Stuttgarter Ballett. Das Ballett Zürich zeigte sein Forellenquintett. 2012 kehrte Martin Schläpfer für Hans van Manens The Old Man and Me als Tänzer auf die Bühne zurück, 2014 kreierte der Niederländer für ihn als Solisten die Uraufführung Alltag. 2017 war er als Choreograph und Pädagoge an Canada’s National Ballet School in Toronto zu Gast. Nachdem er 1977 den Prix de Lausanne als »Bester Schweizer Tänzer« gewonnen hatte, folgten für den Choreographen und Direktor Schläpfer zahlreiche Auszeichnungen, darunter der Kunstpreis des Landes Rheinland-Pfalz (2002), der Tanzpreis der Spoerli Foundation (2003), der Prix Benois de la Danse (2006), die Gutenbergmedaille der Stadt Mainz (2009) sowie 2009 und 2012 der deutsche Theaterpreis Der Faust. 2013 erhielt Martin Schläpfer den Schweizer Tanzpreis und 2014 den Taglioni – European Ballet Award in der Kategorie »Best Director« durch die Malakhov Foundation. Sein Ballett DEEP FIELD auf eine Auftragskomposition von Adriana Hölszky war für den Prix Benois de la Danse nominiert, 2015 erhielt er den Musikpreis der Stadt Duisburg. Das Magazin tanz kürte ihn 2010 zum »Choreographen des Jahres«, 2018 und 2019 folgte dieselbe Auszeichnung durch die Kritikerumfrage der Zeitschrift Die Deutsche Bühne. Seit 2017 ist Martin Schläpfer Mitglied der NordrheinWestfälischen Akademie der Wissenschaften und Künste. 2018 wurde er mit dem Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet, 2019 folgte die Ehrung mit dem Großen St. Galler Kulturpreis.

BIOGRAPHIEN

56


MAURICE BÉJART – Choreographie Le chant du compagnon errant Maurice Béjart, 1927 in Marseille geboren, begann seine Karriere als Tänzer 1946 in Vichy und setzte sie bei Janine Charrat, Roland Petit und vor allem beim International Ballet London fort. Bei einer Tournee durch Schweden mit dem Cullberg Ballet (1949) entdeckte er für sich das Choreographieren. Zusammen mit dem Schriftsteller Jean Laurent gründete er Mitte der 50er Jahre in Paris Les Ballets de l’Étoile, aus denen 1957 das Ballet Théâtre de Paris hervorging mit Béjart als Zentrum: als künstlerischer Direktor, Choreograph und Starsolist in Personalunion. Mit der 1955 entstandenen Symphonie pour un homme seul verließ er eingetretene Pfade: Nicht nur wie er die Thematik des einsamen Menschen für die Ballettbühne fasste, war neu, sondern auch die Arbeit mit Musique concrète von Pierre Henry und Pierre Schaeffer. Vier Jahre später brachte Béjart im Auftrag von Maurice Huisman, dem neuen Direktor des Théâtre Royal de la Monnaie, ein Sacre du Printemps heraus, das sein erster großer Triumph werden sollte. Ein Jahr später gründete Béjart in Brüssel das Ballet du XXe Siècle, mit dem er bald schon die ganze Welt bereiste und für das er eine ganze Reihe von Werken schuf, darunter Boléro, Messe pour le temps und L‘Oiseau de Feu. In Brüssel entstand 1971 außerdem auch Le chant du compagnon errant – kreiert für die beiden herausragenden Tänzer Rudolf Nurejew und Paolo Bortoluzzi. 1987 übersiedelt Béjart mit seinem Ensemble, das sich seither Béjart Ballet Lausanne nennt, an den Genfer See. 1992 beschloss er, die Größe der Compagnie auf ca. 30 Tänzerinnen und Tänzer zu reduzieren, um in einer engeren Arbeit mit ausgewählten Interpreten stärker »zur Essenz« vorzudringen. Im selben Jahr gründete er die École-Atelier Rudra Béjart Lausanne, zehn Jahre später die Compagnie M für junge Tänzerinnen und Tänzer. Zu den zahlreichen Balletten, die für das Béjart Ballet Lausanne entstanden, zählen Le Mandarin merveilleux, King Lear – Prospero, À propos de Shéhérazade, Lumière, Mutation X, La Route de la soie, Le Manteau, Enfant‑Roi, La Lumière des eaux sowie Le Presbytère n’a rien perdu de son charme, ni le jardin de son éclat. Béjart arbeitete aber auch als Theaterregisseur (La Reine verte, Casta Diva, Cinq Nô modernes, A‑6‑Roc), inszenierte Opern (Salome, La Traviata und Don Giovanni), realisierte Kinofilme (Bhakti, Paradoxe sur le comédien) und veröffentlichte zahlreiche Bücher. 2007 brachte er das autobiographische Stück La Vie du danseur heraus, erzählt von den beiden Comicfiguren Zig und Puce. Während der Arbeit an seinem letzten Werk, Le Tour du monde en 80 minutes, starb Maurice Béjart im November 2007 im Alter von 80 Jahren in Lausanne. 57

BIOGRAPHIEN


MARIUS PETIPA – Choreographie Grand Pas Classique aus Paquita Der Name des vielleicht bedeutendsten Choreographen des 19. Jahrhunderts, Marius Petipa, ist so eng mit dem russischen Ballett verknüpft, dass man seine französische Herkunft darüber fast vergisst. 1818 wurde Marius Petipa in Marseille geboren. Sein Vater und seine Brüder waren Tänzer. Vom Théâtre Royal de la Monnaie in Brüssel bis nach Bordeaux und dann in Nantes arbeitete Marius Petipa als Tänzer und Choreograph. Nach wenig glücklichen Versuchen in New York (1839), in Paris, wo er mit Auguste Vestris kollaborierte, sowie in Spanien (1845) zu reüssieren, ließ er sich 1847 nach St. Petersburg als Erster Solist engagieren und machte sich dort als Partner berühmter Tänzerinnen – darunter auch Fanny Elßler, mit der er in Esmeralda tanzte – einen Namen, konnte sich aber auch mit der Einstudierung von Joseph Maziliers Paquita als Ballettmeister beweisen. 1850 assistierte er Jules Perrot bei Giselle, die er in Frankreich bereits kennengelernt hatte, und brachte 1858 sein erstes eigenes Ballett in Russland heraus: Un mariage sous la Régence. 1862 wurde er zum zweiten Ballettmeister ernannt, 1869 trat er die Nachfolge von Arthur Saint-Léon als erster Ballettmeister an. Als Choreograph begann Marius Petipa, sich einen Namen als Schöpfer großer spektakulärer Ballette zu machen, mit denen es ihm gelang, die aus Frankreich kommende Reinheit des klassischen Balletts mit der italienischen Virtuosität zu verbinden: eine akademische Form des Tanzes, die in der Einbeziehung von Charaktertänzen auch Volkstanztraditionen aufnimmt. Petipas russisches Œuvre umfasst um die 50 Ballette, darunter La Fille du Pharaon (1856), La Belle du Libanon (1863), La Floride (1866), Le Roi Candaule (1868), Don Quichotte (1869), Camargo (1872), Le Papillon (1874), Les Bandits (1875), La Bayadère (1877), Roxane und La belle Albanaise (1878), La Fille des Neiges und Madla (1879), Les Pilules magiques und L’Offrande à l’Amour (1886), Dornröschen (1890), Der Nussknacker (1892), Aschenputtel (1893), Schwanensee (zusammen mit Lew Iwanow, 1895), Raymonda (1898), Les Ruses d’Amour (mit Alexander Glasunow als Komponist, 1899), Les Saisons (mit Glasunow, 1900) und sein letztes Ballett Der Magische Spiegel (1903). Alternd und krank wollte Petipa seinen Lebensabend in milderem Klima verbringen und verließ 1907 St. Petersburg, um sich am Schwarzen Meer niederzulassen. Im Alter von 92 Jahren verstarb er 1910 in Gurzuf auf der Krim.

BIOGRAPHIEN

58


DAVID CORIA – Tanz & Choreographie Tempo David Coria wurde nach seiner Ausbildung an der Schule der Compañía Andaluza de Danza mit 17 Jahren Mitglied des Ballet Nacional de España in Madrid. Nachhaltigen Einfluss hatten Persönlichkeiten wie Antonio Gades, Pilar López Júlvez, José Granero, Alberto Lorca und José Antonio auf seine künstlerische Entwicklung, aber auch seine Arbeit als Mitglied der Ensembles von Rocío Molina, Eva Yerbabuena und Rafaela Carrasco war prägend. Von 2013 bis 2016 war David Coria Haupttänzer, Repetitor und Choreograph des Ballet Flamenco de Andalucía. Heute leitet er sein eigenes, international tätiges Ensemble, die Cía Coria, für die er Werke kreiert, welche die Tradition des spanischen Tanzes in die Gegenwart führen. Die Zeitschrift tanz kürte David Coria 2010 zum »Hoffnungsträger«, 2016 wurde ihm der Lorca-Preis als »bester männlicher Tänzer« verliehen. Für die Produktion Anónimo erhielt er beim Festival de Jerez 2019 den Publikumspreis, für ¡Fandango!, 2020 im Pariser Théâtre National de Chaillot uraufgeführt, folgte ebenfalls in Jerez der Preis der Tanzkritik sowie bei der Bienal de Flamenco de Sevilla der Giraldillo Award in der Kategorie »Beste Aufführung«. 2022 brachte er mit Jann Galois und deren Compagnie Burn Out am Théâtre National de Chaillot das kollaborative Tanzstück Imperfecto heraus. Mit dem Solo Tempo gibt David Coria sein Debüt in der Wiener Staatsoper.

DAVID LAGOS – Gesang Tempo Der Cantaor David Lagos, 1973 in Jerez de la Frontera geboren, zählt zu den kreativsten Köpfen der aktuellen Flamenco-Musikszene. Als er 2014 die Lámpara Minera des Festival del Cante de las Minas de La Unión in Murcia gewann, hatte er bereits eine mehr als 20-jährige Profikarriere hinter sich. Auf dem Festival de Jerez wurde er 2007 und 2014 als bester Sänger ausgezeichnet, für sein erstes Album El espejo en que me miro erhielt er den Premio Flamenco Hoy Disco Revelación. Nachdem er bereits auf der IX. Bienal de Flamenco de Sevilla ausgezeichnet worden war, folgten auf der XXI. Ausgabe des renommierten Festivals 2020 weitere Giraldillos für das mit David Coria erarbeitete Stück ¡Fandango!, das 2021 auch den XXII. Premio de la Crítica des Festival de Jerez erhielt. Im Februar 2022 wurde David Lagos der Premio Andaluz del Flamenco für sein Schaffen verliehen. Eine enge Zusammenarbeit verbindet David Lagos mit Israel Galván und David Coria. Er arbeitete aber auch mit Mercedes Ruiz, Isabel Bayón, Eva La Yerbabuena, Pilar Távora, Rafael de Carmen, Manuela Carrasco, Andrés Marín, Rafael Campayo und El Torombo, Cristina Hoyos, Luisillo und Adrián Galia zusammen. 59

BIOGRAPHIEN


JOSÉ LUIS MEDINA – Gitarre Tempo José Luis Medina studierte Flamenco-Gitarre am Conservatorio Superior de Córdoba und erhielt wesentliche Anregungen von Künstlern wie u.a. Alberto Lucena, Manolo Franco, Pedro Sierra, Miguel Ángel Cortés und Niño de Pura. Zu den Preisen, mit denen er ausgezeichnet wurde, zählen 2005 der 1. Preis der Fundación Cristina Heeren Córdoba in der Kategorie »Nachwuchs Gitarren-Begleitung« sowie der 1. Preis beim Concurso Anilla la Gitana de la Peña Flamenca de Ronda in der Kategorie »Flamenco-Gitarre«. 2007 folgte der 1. Preis beim Concurso Nacional de Guitarra para Jóvenes Aficionados in Jaén, 2008 beim Festival Nacional de Jóvenes Flamencos in Calasparra, Murcia, 2013 beim Jóvenes flamencos Córdoba in der Kategorie »Begleitung«. 2018 gewann er in Madrid beim Certamen Coreográfico de Danza Española y Flamenco den 1. Preis in der Kategorie »Beste Komposition für den Tanz«. Als Sologitarrist ist José Luis Medina auf vielen wichtigen internationalen Festivals zu erleben, außerdem arbeitet er mit renommierten spanischen Tanzcompagnien zusammen wie die Ensembles von David Coria, Rafaela Carrasco und Ana Morales, um nur einige zu nennen.

FRIEDEMANN VOGEL – Gasttänzer Le chant du compagnon errant Friedemann Vogel zählt zu den herausragenden Tänzern seiner Generation. Im Anschluss an seine Ausbildung an der John Cranko Schule in seiner Heimatstadt Stuttgart und an der Académie de Danse Classique Princesse Grace in Monte-Carlo wurde er 1998 an das Stuttgarter Ballett engagiert. 2002 avancierte er dort zum Ersten Solisten. Sein umfangreiches Repertoire umfasst u.a. Ballette von Balanchine, Béjart, Bigonzetti, Cherkaoui, Cranko, Forsythe, Goecke, Khan, Kylián, MacMillan, McGregor, Neumeier, Robbins und Schläpfer, darunter auch Rollenkreationen. Als Gasttänzer und auf Tourneen des Stuttgarter Balletts trat er u.a. an der Mailänder Scala, beim Bayerischen Staatsballett, Staatsballett Berlin, English National Ballet, Finnischen Nationalballett, Royal Swedish Ballet, Ballett Zürich, Béjart Ballet Lausanne, National Ballet of China, Tokyo Ballet, Korean National Ballet, Hong Kong Ballet, Ballet de Santiago de Chile, Bolschoi-Ballett, am Teatro dell’Opera di Roma, MariinskiTheater und Michailowski-Theater auf. An der Wiener Staatsoper debütierte Friedemann Vogel 2013 in MacMillans Manon, es folgten Auftritte bei den Nurejew-Galas 2014 und 2015. Zu seinen zahlreichen Auszeichnungen zählten 1997 der Prix de Lausanne, der Prix de Luxembourg und die Goldmedaille bei der Eurocity Competition in Italien, der Erik Bruhn Preis (2002), der Positano Premio la Danza – Leonide Massine als

BIOGRAPHIEN

60


»bester internationaler Tänzer« und der Danza&Danza-Award als Bester Tänzer (2012) sowie der Prix MAYA (2016). Das Land Baden-Württemberg verlieh ihm 2015 den Titel des Kammertänzers. Darüber hinaus wurde Friedemann Vogel u.a. vom Magazin tanz 2010 und 2019 zum »Tänzer des Jahres« gekürt. 2020 erhielt er beim Deutschen Tanzpreis die Ehrung als »Herausragender Darsteller«. 2020 erschien die Fernsehproduktion Friedemann Vogel – Verkörperung des Tanzes, ein einfühlsames Porträt über den Tänzer an der Spitze der Ballettwelt.

GUILLAUME CÔTÉ– Gasttänzer Le chant du compagnon errant Guillaume Côté studierte an Canada’s National Ballet School in seinem Heimatland und schloss sich 1999 dem National Ballet of Canada an, wo er 2004 zum Principal Dancer avancierte. Seither tanzte er zahlreiche Hauptrollen in den klassischen Balletten. Unter den Rollen, die für ihn kreiert wurden, sind Romeo in Alexei Ratmanskys Romeo and Juliet, Prince Charming in James Kudelkas Cinderella und Gene Kelly in Derek Deanes Strictly Gershwin für das English National Ballet. Außerdem arbeitete er mit Choreographen wie Roland Petit, John Neumeier, William Forsythe, Christopher Wheeldon und Crystal Pite. Als Gastsolist trat Guillaume Côté mit dem Royal Ballet London, Bolschoi-Ballett, American Ballet Theater, New York City Ballet, English National Ballet, Staatsballett Berlin, Stuttgarter Ballett, Hamburg Ballett, Alberta Ballet und South African Ballet Theater sowie am Teatro alla Scala di Milano, Michailowski-Theater St. Petersburg, Teatro Colón in Buenos Aires, in der Arena di Verona, beim Maggio Musicale Fiorentino und in zahlreichen internationalen Galas auf. Seit 2013 ist er auch als Haus-Choreograph beim National Ballet of Canada tätig. Sein Stück Enkeli hat 2012 den Audience Choice Award bei The Tenth International Competition for the Erik Bruhn Prize gewonnen. 2021 gründete er seine eigene Compagnie Côté Danse, die sich auf die multidisziplinäre Entwicklung innovativer Werke konzentriert. 2011 wurde Guillaume Côté mit La médaille de l’Assemblée Nationale du Québec ausgezeichnet. 2014 wurde er zum Künstlerischen Direktor des Festival des Arts de Saint Sauveur, dem größten Sommer-Tanz-Festival Kanadas, berufen. 2021 wurde er zum Chevalier de l’Ordre national du Québec ernannt.

61

BIOGRAPHIEN


ANDRÈ SCHUEN – Bariton Le chant du compagnon errant Der Bariton Andrè Schuen, der aus dem ladinischen La Val (Südtirol, Italien) stammt, studierte an der Universität Mozarteum Salzburg Gesang sowie Lied und Oratorium bei Wolfgang Holzmair. Von 2010 bis 2014 war er Ensemblemitglied der Oper Graz. Am Theater an der Wien war er im Da Ponte-Zyklus von Nikolaus Harnoncourt als Figaro, Don Giovanni und Guglielmo zu hören. 2019 gab er sein Debüt als Olivier in einer Neuproduktion von Strauss’ Capriccio am Teatro Real in Madrid. Zuletzt sang er unter anderem die Titelpartie in Hamlet im Theater an der Wien, Papageno in Tokio, Don Giovanni in Hamburg und Nancy, Conte d’Almaviva in Nantes, Eugen Onegin beim Gulbenkian Orchester in Lissabon. Bei den Salzburger Festspielen ist Andrè Schuen schon seit 2010 bekannt, damals als Mitglied des Young Singers Project. Nach verschiedenen Produktionen unter Simon Rattle und Riccardo Muti ist er dort immer wieder gern gesehener Gast. Mit dem Pianisten Daniel Heide führen ihn Auftritte in die Wigmore Hall London, die Philharmonie de Paris, das Amsterdamer Concertgebouw, zur Schubertiade, zum Wiener Konzerthaus, ans Teatro de la Zarzuela Madrid, in den PierreBoulez-Saal, zum Heidelberger Frühling oder zum Tanglewood Festival. International beste Kritiken erhielt Andrè Schuen gemeinsam mit Daniel Heide für seine CD Wanderer mit Liedern von Schubert. An der Wiener Staatsoper war er 2021/22 als Almaviva und Eugen Onegin zu erleben und interpretiert aktuell den Olivier in Strauss’ Capriccio. Im März 2022 gab er sein Debüt an der Nederlandse Opera Amsterdam als Orpheus in Manfred Trojahns Die Liebenden blind.

SHINO TAKIZAWA – Klavier Allegro Brillante Shino Takizawa wurde in Osaka geboren und schloss ihre Ausbildung an der Toho Gakuen School of Music in Tokyo ab. Sie gewann 1. Preise bei renommierten Klavierwettbewerben wie die Sakai Piano Competition und die PTNA Piano Competition. Von 2004 bis 2011 war sie beim National Ballet of Japan engagiert, seit 2011 ist sie als Korrepetitorin für das Wiener Staatsballett tätig und in den Aufführungen der Compagnie in der Wiener Staatsoper und Volksoper Wien immer wieder auch solistisch zu erleben, bisher u.a. mit Klavierkonzerten von Johann Sebastian Bach, Edvard Grieg, Wolfgang Amadeus Mozart und Piotr I. Tschaikowski sowie dem Adagio aus der »Großen Sonate für das Hammerklavier« von Ludwig van Beethoven. Für den japanischen Produzenten Shinshokan spielte Shino Takizawa die drei CDs Dramatic Music for Ballet Class ein.

BIOGRAPHIEN

62


ALBENA DANAILOVA – Violine Unisono Albena Danailova studierte nach einer ersten Ausbildung an der Musikakademie ihrer Heimatstadt Sofia nach der Matura Konzertfach Violine an der Hochschule für Musik und Theater Rostock sowie in Hamburg bei Petru Munteanu und besuchte Meisterkurse u.a. bei Ida Haendel und Herman Krebbers. 2001 wurde sie in die 2. Violinen des Bayerischen Staatsorchesters aufgenommen, 2003 avancierte sie zur Vorspielerin der 1. Violinen und schließlich zur 1. Konzertmeisterin. In dieser Funktion war sie 2003/04 auch im London Philharmonic Orchestra tätig, ehe sie 2008 als Konzertmeisterin ins Orchester der Wiener Staatsoper engagiert wurde. Seit 2011 ist sie Konzertmeisterin der Wiener Philharmoniker. Sie ist Preisträgerin zahlreicher Wettbewerbe (u.a. 2. Preis Kloster Schöntal, Tibor Varga-Spezialpreis, Semifinalistin beim Moskauer Tschaikowski-Wettbewerb, 1. Preis Vittorio Gui) und baute sich neben der Orchesterlaufbahn eine ebenso erfolgreiche Karriere als Solistin und Kammermusikerin auf, u.a. ist sie Primaria des Ensemble Wien.

PATRICIA NEARY – Einstudierung Allegro Brillante Patricia Neary wurde in Miami geboren und studierte Klassischen Tanz bei Georges Milenoff und Thomas Armour sowie an der School of American Ballet. Ihr erstes Engagement erhielt sie im Alter von 14 Jahren beim National Ballet of Canada. 1960 wechselte sie zum New York City Ballet und wurde zwei Jahre später zur Solistin ernannt. Sie tanzte dort alle wichtigen Rollen des Balanchine-Repertoires, feierte aber auch große Erfolge als Odette/Odile in Schwanensee und als Myrtha in Giselle. Die Hauptpartien in Raymonda Variations (1961) und Rubies aus Jewels (1967) schuf Balanchine eigens für sie und betraute sie bald auch, seine Werke einzustudieren, darunter bei den Compagnien in Paris, London, Kopenhagen, Stuttgart, San Francisco, Buenos Aires, Kapstadt und Tokio. Von 1971 bis 1973 war Patricia Neary als Ballettmeisterin an der Deutschen Oper Berlin tätig, 1973 übernahm sie die Direktion des Ballet du Grand Théâtre de Genève, von 1978 bis 1985 leitete sie das Ballett der Oper Zürich, in der Saison 1986/87 war sie Ballettdirektorin des Teatro alla Scala di Milano. Seit 1988 konzentriert sich Patricia Neary im Auftrag des George Balanchine Trust auf die Einstudierung und Pflege von Balanchines choreographischem Erbe und erarbeitete seither über 30 seiner Ballette mit zahlreichen renommierten Compagnien weltweit. Mit dem Wiener Staatsballett verbindet Patricia Neary seit den 1970er Jahren eine Zusammenarbeit.

63

BIOGRAPHIEN


CHARLES JUDE – Einstudierung Pas de deux aus Cendrillon Nach seinem Studium am Konservatorium von Nizza unter Alexandre Kalioujny wurde Charles Jude 1971 Mitglied des Ballet de l’Opéra de Paris. 1975 avancierte er zum Premier Danseur und gewann die Bronzemedaille bei der Tokyo International Ballet Competition mit Florence Clerc. Zwei Jahre später wurde er zum Étoile ernannt. Zwischen 1978 und 1996 tanzte er zahlreiche Hauptrollen in den Ballettklassikern, aber auch Werke der Ballets Russes und ein großes Repertoire von Balanchine, Robbins, Tudor, Cranko, Béjart, Taylor, Cunningham, Neumeier, Kylián, Tetley, Carlson oder Limón. Eine besondere Beziehung pflegte Charles Jude zu Rudolf Nurejew, von dem er zahlreiche Werke interpretierte. Von 1980 bis 1992 war er regelmäßiger Gast bei den »Nureyev and Friends«-Tourneen. Heute setzt er sich als Mitglied der Rudolf Nureyev Foundation für den Erhalt des Œuvres ein. Gastengagements führten Charles Jude zum Royal Ballet London, Ballett der Mailänder Scala sowie dem Royal Danish Ballet, Gastauftritte nach Rom, Neapel, Berlin, Stockholm und an die New Yorker Met. An der Wiener Staatsoper war er 1985 als Jean de Brienne in Nurejews Raymonda zu erleben. Von 1996 bis 2017 war Charles Jude Ballettdirektor an der Opéra de Bordeaux. Als Pädagoge unterrichte er am Pariser Conservatoire und der Académie de Danse Princesse Grace Monaco an der Seite von Marika Besobrasova. Als Choreograph entwickelte er seine eigene Sicht auf Ballettklassiker. Zu seinen Auszeichnungen zählen der Nijinsky-Preis (1976) und der Lifar-Preis (1988). 1990 wurde er zum Chevalier des Arts et des Lettres ernannt, 1996 zum Chevalier de la Légion d’Honneur und 2001 zum Officier des Arts et des Lettres.

OLIVIER COËFFARD – Einstudierung Source of Inspiration Olivier Coëffard wurde in Carcassonne geboren und studierte am Conservatoire National de Danse d’Avignon. Mit 17 Jahren begann er seine Tänzerkarriere in der Europa Danse Company in Brüssel, anschließend tanzte er in der Dantzaz Kompania in Spanien und dem Malandain Ballet Biarritz. 2010 schloss er sich dem Nederlands Dans Theater unter Gerald Tibbs sowie Paul Lightfoot an. Heute realisiert er verschiedenste Projekte – vom Schauspiel bis zum Tanz – und ist als Coach und Pädagoge weltweit tätig. Als Mitglied der Kylián Foundation studiert Olivier Coëffard seit 2019 dessen Werke ein und setzt diese Arbeit auch für andere namhafte Choreograph*innen wie Sol León und Paul Lightfoot fort.

BIOGRAPHIEN

64


LARISA LEZHNINA – Einstudierung Unisono Larisa Lezhnina erhielt ihre Ausbildung zur Balletttänzerin an der Waganowa-Ballettakademie St. Petersburg. Von 1987 bis 1994 war sie als Erste Solistin des Mariinski-Balletts in zahlreichen prominenten Solopartien zu sehen. Im Anschluss tanzte sie bis 2014 bei Het Nationale Ballet Amsterdam ebenfalls als Principal Dancer. Nach ihrer aktiven Karriere als Tänzerin studierte sie Ballettpädagogik an der WaganowaAkademie. Seit 2013 arbeitet Larisa Lezhnina als Gastlehrerin, Ballettmeisterin und choreographische Assistentin bei Compagnien wie Het Nationale Ballet, Ballett des Teatro alla Scala di Milano, San Francisco Ballet, Tokyo Ballet, English National Ballet, Stuttgarter Ballett und Norwegisches Nationalballett. Zu den Preisen, mit denen sie ausgezeichnet wurde, zählen u.a. 2010 der Dansersfonds ‘79 sowie der Gouden Zwaan der Nederlandse Dansdagen 2014.

LOUISA RACHEDI – Einstudierung Ungarische Tänze Die Französin Louisa Rachedi studierte an Canada’s National Ballet School Toronto und begann ihre Laufbahn im Ensemble des National Ballet of Canada. 2007 engagierte Youri Vámos sie als Solistin in das Ballett der Deutschen Oper am Rhein. Ab 2009 gehörte sie in Martin Schläpfers Ballett am Rhein Düsseldorf Duisburg zu den herausragenden Solistinnen. Neben zahlreichen Solorollen, die Martin Schläpfer für sie kreierte, reicht Louisa Rachedis umfangreiches Repertoire von den Ballettklassikern des 19. Jahrhunderts bis zu Werken von George Balanchine, Hans van Manen, Mats Ek, Merce Cunningham und vielen anderen. Ab 2016 war sie freischaffend tätig und gründete nach ersten Erfahrungen als Choreographin mit Limbic Shift eine Plattform für ein eigenes Performing Arts Project, mit dem sie auch beim Busan International Dance Festival in Korea gastierte. Als Gastlehrerin und Ballettmeisterin war sie u.a. beim Finnischen Nationalballett, Ballett im Revier, Ballett am Rhein, Richard Siegal/Ballet of Difference und an der Oper Graz tätig. Als Ballettmeisterin bei Gauthier Dance Stuttgart betreute sie ab Juni 2018 u.a. Werke von Sharon Eyal, William Forsythe, Marco Goecke und Ohad Naharin. Seit 2020/21 gehört Louisa Rachedi als Stellvertretende Ballettdirektorin zum Leitungsteam des Wiener Staatsballetts.

65

BIOGRAPHIEN


JULIE THIRAULT – Einstudierung Ungarische Tänze Julie Thirault erhielt ihre Ausbildung an der École de danse der L’Opéra national de Paris unter Claude Bessy und trat bereits während ihres Studiums in beiden Pariser Opernhäusern auf. Sie tanzte am Théâtre de Bordeaux, im Semperoper Ballett Dresden sowie im Ballett des Staatstheaters Wiesbaden. 2002 wurde sie Mitglied des ballettmainz, 2009 wechselte sie mit Martin Schläpfer zum Ballett am Rhein Düsseldorf Duisburg. Neben zahlreichen Uraufführungen, in denen Martin Schläpfer für Julie Thirault zentrale Rollen kreierte, gehören zu ihrem Repertoire Werke von u.a. George Balanchine, August Bournonville, Christopher Bruce, Nils Christe, John Cranko, Mats Ek, Kurt Jooss, Jiří Kylián, Sol León & Paul Lightfoot, José Limón, Hans van Manen, John Neumeier, Jerome Robbins, Uwe Scholz und Antony Tudor. Im Sommer 2018 beendete sie ihre Tänzerkarriere und begann ein Studium der Choreologie an der Royal Ballet School London. Heute ist sie als Ballettmeisterin tätig – bis 2020 beim Ballett am Rhein, seit 2020/21 beim Wiener Staatsballett, wo sie auch für Einstudierungen verantwortlich zeichnet.

ALICE NECSEA – Einstudierung Grand Pas classique aus Paquita Alice Necsea wurde am Ballettinstitut in Bukarest ausgebildet und war von 1977 bis 1984 Mitglied des dortigen Staatsopernballetts. 1984 wechselte sie als Erste Solotänzerin an das Nationaltheater Sarajewo, 1988 wurde sie Mitglied des Wiener Staatsopernballetts. Ihr Repertoire umfasste zahlreiche Solopartien in den Klassikern von Nurejew und Grigorowitsch sowie in Balletten von Arpino, Balanchine, Cranko, Kylián, MacMillan, Neumeier, van Dantzig, Danovski und Orlikowsky. Seit 1999 ist sie als Probenleiterin und Ballettmeisterin für das Wiener Staatsballett tätig. Nach einer pädagogischen Ausbildung in Wolfsegg bei Eugen Dostal und Karol Tóth, war Alice Necsea auch am Ballettgymnasium Bukarest, an der Prager Oper, den Nationaltheatern von Sarajewo und Zagreb, am Stadttheater Baden sowie bei Workshops in den USA (Boulder Ballet), in Ungarn und Kroatien tätig. Eigene Choreographien entstanden für das Prag Festival Ballett, für EU-Projekte sowie die Reihe Junge Choreographen an der Wiener Staatsoper. Sie zeichnete für Einstudierungen von Zanellas Laus Deo in Wolfsegg, Legris’ Sylvia an der Scala di Milano sowie Forsythes Slingerland Duet und Nurejews Raymonda an der Wiener Staatsoper mitverantwortlich. Mit der Einstudierung des Grand Pas aus Paquita verabschiedet sich Alice Necsea von ihrem festen Engagement beim Wiener Staatsballett, wird aber auch im Ruhestand ihr großes Wissen weitergeben.

BIOGRAPHIEN

66


GEMEINSAM MEISTERN. Wir fördern die Ballettstars von morgen und unterstützen die Ballettakademie der Wiener Staatsoper. Näheres unter stroeck.at/teamstroeck 67

BIOGRAPHIEN


ELEKTRISIERT ALLE SINNE DER LEXUS NX PLUG - IN HYBRID Erleben Sie im Lexus NX 450h+ Plug-In Hybrid ein Fahrgefühl, das alle Sinne berührt – mit 309 PS purer Dynamik, überlegener Effizienz und Technologien der nächsten Generation im Tazuna Cockpit. Die Zukunft beginnt hier. Mehr entdecken auf lexus.at/nx

LEXUS WIEN NORD | KEUSCH | DAS AUTOHAUS | Lorenz-Müller-Gasse 7–11 | 1200 Wien Lexus NX 450h+ Plug-In Hybrid: Gesamtsystemleistung 227 kW (309 PS). Normverbrauch kombiniert: 1,1-1,0 l/100 km, CO 2 -Emissionen kombiniert: 25-22 g/km und 17,4-16,5 kWh Stromverbrauch/100 km, elektrische Reichweite (EAER kombiniert) 74 km, elektrische Reichweite (EAER city) 96 km. Abbildung zeigt Symbolfoto.


Die OMV ist seit langem Generalsponsorin der Wiener Staatsoper und wir sind stolz, diese herausragende österreichische Kulturinstitution mit voller Energie zu unterstützen. Wir freuen uns mit Ihnen auf die bewegenden Inszenierungen. Alle Sponsoringprojekte finden Sie auf www.omv.com/sponsoring


exklusive künstlergespräche/ proben- & trainingsbesuche/ werkeinführungen/ tanzfilme/ ballettclub-salons/ reisen & vieles mehr Helfen Sie mit, den Erfolg des Wiener Staatsballetts in die Zukunft zu tragen. wiener-staatsballett.at/freundeskreis


Vienna International Dance Festival Mit Performances von Tanztheater Wuppertal Pina Bausch, Anne Teresa De Keersmaeker, Wim Vandekeybus / Ultima Vez, Dada Masilo, Akram Khan Company, Trajal Harrell, Mathilde Monnier, Lenio Kaklea und vielen mehr

Tanztheater Wuppertal Pina Bausch Vollmond © Oliver Look

www.impulstanz.com


impressum

Nurejew-Gala Balanchine / Nurejew / León & Lightfoot / van Manen / Coria / Schläpfer / Béjart / Petipa Spielzeit 2021/22

HERAUSGEBER Wiener Staatsoper GmbH, Opernring 2, 1010 Wien Direktor: Dr. Bogdan Roščić Kaufmännische Geschäftsführerin: Dr. Petra Bohuslav Direktor & Chefchoreograph Wiener Staatsballett: Martin Schläpfer Kaufmännische Leiterin Wiener Staatsballett: Mag. Simone Wohinz Redaktion: Mag. Anne do Paço, Nastasja Fischer, MA Gestaltung & Konzept: Fons Hickmann M23, Berlin Bildkonzept Cover: Martin Conrads Layout & Satz: Mag. art. Anton Badinger / badinger.cc Hersteller: Print Alliance HAV Produktions GmbH, Bad Vöslau

AUFFÜHRUNGSRECHTE Für die Choreographien: Allegro Brillante: © The George Balanchine Trust, New York. Das Ballett wird mit Genehmigung des Trusts aufgeführt und wurde unter Berücksichtigung von Balanchine Style®- und Balanchine Technique®-ServiceStandards, wie sie der George Balanchine Trust vertritt, einstudiert. Source of Inspiration: © Sol León & Paul Lightfoot Unisono: © Hans van Manen Tempo: © David Coria Ungarische Tänze: © Martin Schläpfer Für die Musik: Pas de deux aus Cendrillon: Cinderella. Ballett in 3 Akten op. 97 von Sergei Prokofjew. © Universal Edition AG, Wien. Pas de deux aus Le Corsaire – Variation Médora: Variation Königin der Dryaden aus Don Quichote von Ludwig Minkus. © Internationale Musikverlage Hans Sikorski GmbH für Editions Mario Bois, Paris. Source of Inspiration: Facades & The First Meridian von Philip Glass. © Dunvagen Music Publishers Inc., New York 1981, 1995 / Musikmaterial: Bosworth Music GmbH/Wise Music Group.

TEXTNACHWEISE Die Texte und Interviews von Anne do Paço und Nastasja Fischer sind Originalbeiträge für dieses Programmheft. Umschlagklappe: Alastair Macaulay: Nureyev Remembered. In: The Times Literary Supplement. London, 9. Mai 2003 / S. 9 & 11: Rudolf Nurejew zitiert nach https://nureyev.org / S. 17: Paul Lightfoot zitiert nach https://artsandculture.google.com/asset/source-of-inspiration/ CgHngSdNb3W7FQ / S. 35: Klaus Geitels Tanzkritiken 1959–1979: Man ist kühn genug, um unmodern zu sein. Leipzig 2019 / S. 39: George Balanchine zitiert nach Eberhard Rebling (Hrsg.): Marius Petipa. Meister des klassischen Balletts. Berlin 1975. BILDNACHWEISE Cover: Farbtöne eines Kraterabhangs auf dem Mars. © NASA/JPL – Caltech/University of Arizona 2017. Alle Probenfotos von © Ashley Taylor. S. 32, 61: © Karolina Kuras / S. 33: © Michael Pöhn/Wiener Staatsoper / S. 44 bis 49, 56, 62 unten, 65 unten, 66: © Andreas Jakwerth / S. 51: © David Bohmann / S. 52: © George Platt Lynes / S. 53: © Rudolf Josef Pálffy / S. 54: © Rahi Rezvani / S. 55: © Sebastien Galtier / S. 57 bis 60 oben, 63 unten, 64, 65 oben: z.V.g. / S. 60 unten: © Yoon6photo4 / S. 62 oben: © Guido Werner / S. 63 oben: © Wiener Philharmoniker. Rechteinhaber, die nicht zu erreichen waren, werden zwecks nachträglicher Rechtsabgleichung um Nachricht gebeten.


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.