the winter’s tale
inhalt
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Über die heutige Vorstellung
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Handlung
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Aus Shakespeare wird ein Ballett Anne do Paço
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Keine Angst vor komplexen Geschichten Christopher Wheeldon im Gespräch
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Rätsel des menschlichen Lebens Frank Günther
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Szenenfotos
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Neue Musik für die Ballettbühne Anne do Paço
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»Du musst tanzen, lieber Romeo« Nastasja Fischer
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Szenenfotos
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Pandosto – Der Triumph der Zeit Robert Greene
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Ensemble & Biographien
INGEBORG BACHMANN
»Spielt die Komödien, die lachen machen. Und die zum Weinen sind.«
Das Wiener Staatsballett ist Teil der Wiener Staatsoper und der Volksoper Wien.
the winter’s tale Ballett in einem Prolog & drei Akten Musik Joby Talbot Choreographie Christopher Wheeldon Szenario Christopher Wheeldon & Joby Talbot Musikalische Leitung Christoph Koncz / Johannes Witt Bühne & Kostüme Bob Crowley Licht Natasha Katz Projection Design Daniel Brodie Silk Effects Design Basil Twist Einstudierung Jason Fowler / Gregory Mislin / Jillian Vanstone / Edward Watson Orchester & Bühnenorchester der Wiener Staatsoper URAUFFÜHRUNG 10. APRIL 2014, THE ROYAL BALLET – ROYAL OPERA HOUSE COVENT GARDEN LONDON IN KOPRODUKTION MIT THE NATIONAL BALLET OF CANADA ÖSTERREICHISCHE ERSTAUFFÜHRUNG 19. NOVEMBER 2024, WIENER STAATSBALLETT – WIENER STAATSOPER IN KOPRODUKTION MIT DEM AMERICAN BALLET THEATRE NEW YORK
Brendan Saye (Leontes), Masayu Kimoto (Polixenes), Hyo-Jung Kang (Hermione), Ensemble
über die heutige vorstellung
Eifersucht zerstört die Freundschaft zweier Könige und löst eine Spirale von Verwerfungen mit dramatischen Folgen aus ... Christopher Wheeldon ist einer der großen Geschichtenerzähler unter den Choreographen unserer Zeit und ein vielseitiger Künstler, der sein Schaffen auf dem Grat zwischen ernster Kunst und Unterhaltung ansiedelt, für die Ballettbühne ebenso arbeitet wie für das Musical und den Film. Für das Royal Ballet London hat er 2014 eines der letzten Werke William Shakespeares – die 1611 uraufgeführte und von einer höchst experimentellen Struktur geprägte Romanze Das Wintermärchen – in ein ebenso fesselndes wie bildgewaltiges Handlungsballett verwandelt. Nach Alice’s Adventures in Wonderland ließ er sich erneut eine eigene Partitur durch den Briten Joby Talbot komponieren, der in den letzten Jahren der zeitgenössischen Ballettmusik mit seinen Werken wesentliche Impulse zu schenken vermochte. Im Design Bob Crowleys – unterstützt durch das raffinierte Zusammenspiel mit Videos von Daniel Brodie, Silk Effects von Basil Twist und dem Licht von Natasha Katz – entwirft The Winter’s Tale eine Welt, die uns unter Hochspannung versetzt und zum Staunen ebenso anregt wie verzaubert: ein Wintermärchen, in dem sich tragische und lyrische Charaktere, Drama und Komödie, Tanz, Musik und Bühnendesign zu einem Ballett über Freundschaft und Liebe, die zerstörerische Kraft des Misstrauens, aber auch den Glauben an Schönheit, Menschlichkeit, Vergebung und Verwandlung vereinen.
ÜBER DIE HEUTIGE VORSTELLUNG
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WILLIAM SHAKESPEARE
Hermione: Komm, sitz bei uns, Erzähl ein Märchen, komm. Mamillius: Mehr lustig oder traurig? Hermione: So lustig wie du willst. Mamillius: Zum Winter passt Ein trauriges am besten.
DAS WINTERMÄRCHEN, 2. AKT, 1. SZENE
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handlung Prolog Zwei Könige, die als Kinder getrennt wurden, finden als Erwachsene wieder zueinander. Der eine, König Leontes von Sizilien, heiratet Hermione und schenkt ihr einen wunderschönen Smaragd. Sie bekommen einen Sohn, Mamillius, und sind überglücklich. Der andere, König Polixenes von Böhmen, besucht den Hof von Leontes. Er freut sich über das Wiedersehen mit seinem alten Freund und bleibt für neun Monate. Zum Zeitpunkt seiner Abreise steht Hermione kurz vor der Geburt ihres zweiten Kindes.
1. Akt DER HOF VON SIZILIEN Am Tag der Abreise von Polixenes. Der böhmische Hof nimmt Abschied von den sizilianischen Freunden. Hermione bittet Polixenes, noch eine Woche zu bleiben. Als dieser einwilligt, meint Leontes, von Eifersucht getrieben, den Beweis zu haben, dass ihn seine Frau betrogen hat und das ungeborene Kind von Polixenes ist. Als er rasend vor Wut seinen Freund angreift, flieht Polixenes nach Böhmen. Leontes beschuldigt Hermione öffentlich des Ehebruchs und Verrats und lässt sie verhaften. Mamillius ist darüber so erschüttert, dass er schwer erkrankt. Im Gefängnis hat Hermione ein Mädchen geboren. Ihre Erste Hofdame Paulina bringt das Kind zu Leontes in der Hoffnung, ihn davon überzeugen zu können, dass es seine Tochter ist. Stattdessen weist Leontes das Neugeborene gewaltsam zurück und befiehlt Paulinas Ehemann Antigonus, es an einem entlegenen Ort auszusetzen. Antigonus segelt mit der kleinen Prinzessin und einigen Schätzen, darunter der Smaragd, den Leontes einst Hermione geschenkt hatte, in einen aufziehenden Sturm. Hermione wird vor Gericht gestellt. Sie beteuert ihre Unschuld. Doch der wahnsinnig gewordene Leontes weigert sich, ihr zu glauben. Verwirrt und fiebrig betritt Mamillius den Gerichtssaal. Als er Zeuge der Tragödie zwischen seinen Eltern wird, bricht er zusammen und stirbt vor Kummer. Der Anblick ihres toten Kindes raubt auch Hermione das Bewusstsein. Sie wird für tot erklärt und fortgebracht. Leontes muss seinen verhängnisvollen Irrtum erkennen. DIE KÜSTEN BÖHMENS Antigonus kämpft sich in tobendem Sturm an Land. Sein Schiff zerschmettert an den Felsen. Nachdem er die kleine Prinzessin ausgesetzt hat, wird er von einem wilden Bären angegriffen und getötet. Als der Tag anbricht, entdecken ein Hirte und sein Sohn das kleine Mädchen und den Schatz.
HANDLUNG
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2. Akt IN DEN HÜGELN BÖHMENS. SECHZEHN JAHRE SPÄTER Die Königstochter ist bei dem Hirten, der sie gefunden und ihr den Namen Perdita (Die Verlorene) gegeben hat, zu einer jungen Frau herangewachsen. Sie ist in Prinz Florizel, den Sohn von König Polixenes, den die Dorfbewohner allerdings nur als Hirtenjungen kennen, verliebt. Unter einem mächtigen Baum tanzt sie mit ihm. Das Dorf versammelt sich zum Frühlingsfest. König Polixenes, dem zu Ohren gekommen ist, dass sich sein Sohn mit einer Hirtin vergnügt, schickt seinen Hofmeister, um Florizel auszuspionieren. Als sich der Verdacht bestätigt, wird Polixenes wütend und möchte sich selbst ein Bild machen. Perdita wird auf dem Fest zur Maikönigin gekrönt. Zu diesem Anlass schenkt ihr der Hirte die Smaragdkette, die er bei dem ausgesetzten Mädchen am Strand gefunden hatte. Polixenes und sein Verwalter mischen sich verkleidet unter die Feiernden, um zu sehen, was Florizel vorhat. Als sie Zeugen der Verlobung des Prinzen mit der einfachen Schafhirtin werden, gibt sich Polixenes zu erkennen. Wütend auf seinen Sohn verurteilt er Perdita und deren Familie zum Tode. Alle fliehen mit dem Schiff nach Sizilien, verfolgt von Polixenes.
3. Akt EINE STEILKÜSTE IN SIZILIEN König Leontes trauert am Grab seiner Frau und seines Sohnes, bewacht von Paulina. Das Schiff von Perdita und Florizel nähert sich Sizilien. DER PALAST IN SIZILIEN Perdita und Florizel bitten Leontes, ihrer Verbindung zuzustimmen und sich für sie bei Polixenes einzusetzen. Leontes lässt sich von der Ähnlichkeit des Prinzen mit seinem ehemaligen Freund bezaubern und willigt – sich an seine verlorenen Kinder erinnernd – ein, dem jungen Paar zu helfen. Polixenes ist den Geflüchteten gefolgt und will die Verbindung gewaltsam verhindern. Dabei kommt Perditas Smaragd-Kette zum Vorschein – der Beweis, dass sie die verschollen geglaubte Prinzessin von Sizilien ist. Florizel und Perdita feiern ihre Hochzeit. Als das Fest seinem Ende entgegen geht, führt Paulina Leontes zu einer neuen Statue von Hermione und Mamillius. Der König legt voller Gewissensbisse seine Hand auf den Arm der Figur seines Sohnes. Da erwacht das Denkmal plötzlich zum Leben: Hermione hat den Schock im Gerichtssaal überlebt und wurde von Paulina sechzehn Jahre lang versteckt. Hermione umarmt Leontes. Paulina bringt Perdita, in der Hermione ihre Tochter erkennt. Die Familie ist wieder vereint. 7
HANDLUNG
CHRISTOPHER WHEELDON
»Ich liebe Shakespeares Spiel von Licht und Dunkel. The Winter’s Tale ist ein sehr menschliches Stück, voller Eifersucht, Schrecken und schließlich Vergebung.«
aus shakespeare wird ballett
ANNE DO PAÇO
Es war der 450. Geburtstag William Shakespeares im Jahr 2014, den das Royal Ballet London mit der Uraufführung von Christopher Wheeldons abendfüllendem Ballett The Winter’s Tale zu einer eigens dafür komponierten Partitur von Joby Talbot feierte. Seit Frederick Ashtons The Dream nach Ein Sommernachtstraum im Jahr 1964 sowie Kenneth MacMillans ein Jahr später mit Rudolf Nurejew und Margot Fonteyn in den Titelrollen zur Premiere gebrachten Romeo and Juliet hatte es keine neue ShakespeareBallettadaption im königlichen Opernhaus Covent Garden mehr gegeben. Wheeldon, der sich im Auftrag Alexei Ratmanskys für das Bolschoi-Theater bereits 2007 in einer schlussendlich als Elsinore betitelten Hamlet-Fantasie für einen Solisten und vier Paare zur 3. Symphonie von Arvo Pärt einem Shakespeare-Stoff angenähert hatte, entwickelte die Idee, sich mit dem großen englischen Dichter in einer abendfüllenden Choreographie auseinanderzusetzen, 2011 während der Arbeit an Alice’s Adventures in Wonderland und diskutierte sie mit dem britischen Theater- und Filmregisseur sowie damaligen Direktor des National Theatre Nicholas Hytner. Überzeugt, dass Shakespeares Stücke voll von
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»dramatischen Momenten« seien, die sich »sehr gut für Körperlichkeit und Choreographie eignen«, folgte Wheeldon dem Rat des Shakespeare-Kenners, weder auf eine der immer wieder als Tanzstücke gezeigten Tragödien noch auf eine der Komödien zurückzugreifen, sondern einen eigenen Weg einzuschlagen mit einem Werk, das auch auf der Schauspielbühne eher selten zu erleben und von dem bis heute keine Ballettadaption bekannt ist: Das Wintermärchen.
Experimentelles Spätwerk Das 1611 im Londoner Globe Theatre erstmals aufgeführte Wintermärchen zählt – mit Perikles, Cymbeline und Der Sturm – zu Shakespeares späten, keiner Gattung mehr eindeutig zuordbaren und im Charakter höchst experimentellen Werken. Diese zeichnen sich durch eine ungewöhnliche Vielfalt an Handlungssträngen und Personal, unterschiedliche Orte und große Zeitsprünge aus. Mit den romanzenhaft-verschlungenen, Generationen überspannenden Ereignissen und symbolhaften Szenen dürfte Shakespeare nach seinen großen Tragödien mit seinen letzten Werken auf einen sich verändernden Geschmack des Publikums reagiert haben. Bei Das Wintermärchen spielt bereits der Titel auf den märchenhaften Charakter des Geschehens an, unterstreicht aber auch die Analogien zwischen der Dynamik des menschlichen Schicksals und dem Zyklus der Jahreszeiten in der Geschichte eines Winters, der durch den plötzlichen Wahn eines Königs in eine heile und friedliche sommerliche Welt hineinbricht, bevor die Familie nach langen Jahren der Trennung auf wundersame Weise wieder vereint wird. Als Vorlage diente Shakespeare die 1588 erschienene, damals äußerst populäre Prosaromanze Pandosto: The Triumph of Time des elisabethanischen Schriftstellers, Dramatikers und Kritikers Robert Greene, aus der er das Handlungsgefüge übernahm – allerdings neben dem Tausch der Königsländer dem Geschehen auch durch einige eigene Akzente eine andere Wendung gab: Stirbt bei Greene die Königsgattin Bellaria tatsächlich, so lässt Shakespeare mit einem Coup de théâtre, der auch dem Zuschauer erst zum Schluss bewusst wird, seine Hermione im Gerichtssaal nur das Bewusstsein verlieren und die Totgeglaubte von ihrer Hofdame Paulina verstecken. Nach sechzehn Jahren darf Hermione ihre verloren geglaubte Tochter Perdita wieder in die Arme schließen. Und wo bei Greene ein weiterer Schatten über der Hochzeit der beiden Königskinder liegt – Pandosto begeht aus Verzweiflung über sein grausames und gewalttätiges Handeln Selbstmord –, findet Shakespeare auf märchenhafte Weise zu einem Happy End. Anders als Greenes Erzählung glaubt das Wintermärchen an die heilende Wirkung der Zeit, die Kraft der Verwandlung sowie die Möglichkeit zu Vergebung und Versöhnung. Mehrfache Aufführungen zu Beginn des 17. Jahrhunderts belegen, dass sich Das Wintermärchen in England zunächst großer Beliebtheit erfreute. Zeiten, in denen die drei »Aristotelischen Einheiten« von Handlung, Ort und Zeit als oberstes Konstruktionsprinzip eines Dramas hochgehalten wurden, mussten Shakespeares späte Werke dagegen ein Gräuel sein – und so geriet auch Das Wintermärchen weitgehend in Vergessenheit oder wurde nur in stark gekürzten Fassungen aufgeführt. 11
AUS SHAKESPEARE WIRD BALLETT
Ein zeitgenössischer Klassiker Für Christopher Wheeldon waren es gerade die ungewöhnliche Struktur, das Wechselspiel zwischen der düsteren Dramatik am sizilianischen Königshof und der lebensfrohen, arkadischen Idylle der böhmischen Schäferwelt, die große Raffinesse im Spiel mit märchenhaften Unwahrscheinlichkeiten, aber auch die den Figuren innewohnende Menschlichkeit und Tragik, in denen er das Potential für eine Umsetzung des Schauspiels in ein Ballett fand – eine Choreographie, die sich als ein zeitgenössischer Klassiker versteht, enthält sie doch alles, was ein Handlungsballett traditionell ausmacht: die Entwicklung von Charakteren in Soli, Pas de deux und Ensembleszenen und die Dualität von die Handlung vorantreibenden Pas d’actions und dem reinen Tanz verpflichteten Divertissements, die in The Winter’s Tale allerdings durchgehend von einer psychologisch fundierten Rollenverkörperung durchzogen sind, in der jeder Schritt eine Bedeutung hat, jede Bewegung dem Ausdruck dient. Bei der Einrichtung des Librettos entschied sich Wheeldon im Dialog mit seinem Komponisten Joby Talbot zu einer Reduktion der Nebenhandlungen, was – gegenüber der zwanzig Sprechrollen Shakespeares – auch zu einer Fokussierung auf sechs Hauptcharaktere führte: die beiden Könige und Hermione, deren Kinder Perdita und Florizel sowie die Hofdame Paulina, ergänzt um kleinere Rollen wie u.a. Paulinas Mann Antigonus, den Prinzen Mamillius, dem Shakespeare nur wenige Sätze zu sprechen gab, den Schäfer mit seinem Sohn Clown, eine Schäferin und den Hofmeister von Polixenes. Eine eigene Hauptrolle schenkte Wheeldon dem Corps de ballet, für das er vor allem im 2. Akt ebenso große wie höchst anspruchsvolle Tanzszenen kreierte. Zugleich verschaffte die Tatsache, dass der auf kinetischem Ausdruck von Gefühlen beruhende Tanz – anders als die für die faktische Information auch die Form des Berichts kennende Sprache – nur durch Darstellung erzählen kann, Wheeldon Raum für einige höchst dramatische Szenen, in denen er Ereignisse anschaulich auf die Bühne bringt, über die bei Shakespeare nur gesprochen wird. Dies betrifft zum einen den Anfang des Stückes. Bei Shakespeare kündigt Polixenes nach seinem neumonatigen Aufenthalt am sizilianischen Hof seine Abreise in seine Heimat an, nachdem wir in der 1. Szene des 1. Aktes in einem Dialog zwischen dem Edelmann Camillo und dem Hofbeamten Archidamus erfahren haben, dass »der König von Böhmen [...] dem von Sizilien gar nicht überherzlich begegnen« könne, da sie »als junge Schösslinge zusammen aufgezogen« wurden: »Damals schlug zwischen ihnen eine Art Narrenliebe Wurzeln, die heute notwendig Zweige treiben muss. Seit gereiftere Würden und königliche Pflichten ihre Unzertrennlichkeit nun doch separierten, sind sie sich, wenn auch nicht mehr persönlich, so doch stellvertretend im königlichen Austausch von Geschenken, Briefen, herzlichen Botschaften begegnet, so dass sie beisammen schienen, obwohl sie getrennt waren, sich die Hände reichten wie über unendliche Weiten und sich umarmten wie von entgegengesetzten Punkten der Windrose.« Wheeldon nutzt diesen Bericht zu einem Prolog, der uns in einer rasanten Zeitreise in wenigen Minuten in die Geschichte mithineinnimmt: Eine schwarz gekleidete, geheimnisvolle Menschenansammlung findet sich in einer winterlichen Szenerie zu
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WILLIAM SHAKESPEARE
Leontes: Wie ich gesegnet bin Mit scharfer Urteilskraft, mit klarer Einsicht! Ach, wüsst ich weniger! Wie ich verflucht bin, Wo ich gesegnet bin! Da kann ’ne Spinne Im Becher zappeln, und manch einer trinkt, Und geht, und’s tut ihm nichts, denn sein Bewusstsein Weiß nichts vom Gift; doch wenn man seinen Augen Die Ekelzutat zeigt, ihm klarmacht, was er da Getrunken hat, platzt ihm der Hals, der Magen, Vom wilden Würgen. Hab getrunken, sah die Spinne.
DAS WINTERMÄRCHEN, 2. AKT, 1. SZENE
einem düsteren Reigen, aus dem schließlich die beiden Königskinder Polixenes und Leontes farbig gewandet und lebensfroh herausspringen. Damit ist mit wenigen choreographischen »Strichen« das gesamte Spannungsfeld aufgerissen, das sich auftut, nachdem die beiden Könige herangewachsen sind, Leontes Hermione geheiratet, sie mit Mamillius einen Sohn bekommen haben, Polixenes nach vielen Jahren zu seinem Freund zurückgekehrt ist und mit der ganzen Familie einen unbeschwerten Sommer verbracht hat, an dessen Ende Hermione ihrem Mann verrät, dass sie erneut schwanger ist. Die Beziehung zwischen Leontes, Hermione und Polixenes inspirierte Wheeldon zu wirbelnden Pas de trois und – erweitert durch spielerische »Einwürfe« des kleinen Mamillius – Pas de quatres. Mit zunächst weichen Verschlingungen, dann kantigeren Verknotungen und immer größeren Verlusten von Balance zeichnet er die Fallhöhe der anfangs so unbeschwerten, leicht-schwebenden Familien- und Freundeskonstellation hin zur Katastrophe nach – und dies in choreographischen Figuren, in denen mal Leontes, mal Polixenes die zunehmend schwangere Hermione durch die Luft hebt, auf durchaus ambivalente Weise. Im Verlauf der Handlung intensiviert Wheeldon an zwei weiteren markanten Punkten das dramatische Geschehen durch die szenische Umsetzung von Berichten bei Shakespeare: In der Gerichtsszene erleben wir den tödlichen Zusammenbruch von Mamillius angesichts des Wahns seines Vaters und des Unglücks seiner Mutter und im letzten Akt bringt Wheeldon – anders als das Schauspiel – die Versöhnung von Leontes mit seiner verloren geglaubten Tochter Perdita anschaulich auf die Bühne. Über die Transformation der Handlung in ein Ballett hinaus war es Wheeldon in seiner Auseinandersetzung mit Shakespeare ein zentrales Anliegen, auch jene Momente sprachlicher Poesie aufzuspüren, die dem Tanz Energien für ganz eigene Bilder, Formen und Bewegungsmotive schenken können. Zu den sicherlich eindrucksvollsten tänzerischen Evokationen einer solchen poetischen Metapher zählt Leontes’ Ausdruck seines Ekels durch das Bild einer Spinne, die in einen Trunk hineingeraten ist: Verschluckt man sie versehentlich, ohne von ihr zu wissen, sei das Gift nicht zu spüren, doch werde man darauf aufmerksam gemacht, platze »der Hals, der Magen [...] vom wilden Würgen«, heißt es in Shakespeares Text. Wheeldon übersetzt das Bild der Spinne in eine krampfartig gekrümmte Hand, mit der sich die immer mehr steigernde »Vergiftung« durch die Eifersucht ihren Weg durch den Körper sucht. Eingeführt wird dieses choreographische Leitmotiv, wenn im 1. Akt auf dem Höhepunkt einer festlichen Tanzszene des ganzen Hofes Hermione plötzlich nicht nur die Hand von Leontes, sondern auch jene von Polixenes auf ihren schwangeren Bauch legt – eine einfache Geste, mit der Wheeldon den Grund für Leontes’ Eifersucht zeigt. Dessen Bewegungen verlieren daraufhin alles weich Fließende, erscheinen unkontrolliert und ruckartig. Dass es sich um eine Innenschau in die Psyche des sizilianischen Königs handelt, zeigt der abrupte Lichtwechsel, der Leontes in die gleißende Helle eines kalten Spots stellt, während die übrigen Tänzer*innen in einem Freeze erstarren – eine Dramaturgie der raffinierten Überblendung von Perspektiven, die in der folgenden Szene zu einer doppeldeutigen, erneut von einer Hell-Dunkel-Lichtregie unterstützten Choreographie führt: Während Hermione und Polixenes durch eine Skulpturenhalle wandeln, meint der den beiden nachspionierende Leontes in jedem
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Blick, jeder unschuldigen Berührung einen Beweis für die Untreue seiner Frau zu finden. Ein lyrischer Pas de deux zwischen Hermione und Polixenes wird, sobald Leontes ins Licht tritt, von erotischen, als Schattenspiel angelegten Szenen zwischen den beiden unterbrochen. Auf eindrucksvolle Weise zeigt Wheeldon hier die alles vergiftenden und den König immer weiter in Besitz nehmenden Wahnvorstellungen und seine Ängste, dass man ihn – den Betrogenen – unter »Buhs und Gelächter« als »Totenglocke« ins »Grab pfeifen« werde. Zusätzliche Dynamik erhält die Szene, indem Leontes die zunächst nur von hinten zu sehenden, scheinbar mythologische Szenen darstellenden klassizistischen Statuen im Bühnenbild Bob Crowleys rasend vor Wut umdreht und sich diese dabei als erotisch-laszive Skulpturen entpuppen. Mit im eigenen Körper gefangen wirkenden, die klassischen Linien deformierenden Bewegungen, hinter dem gekrümmten Rücken verdrehten Armen und von rasenden Sprüngen auseinandergerissenen Gliedmaßen steht ein König auf der Bühne, der schließlich auch vor brutaler Gewalt gegenüber seiner Frau nicht mehr zurückschreckt. Von der Tänzerin der Hermione verlangt Wheeldon eine ungewöhnliche Bandbreite im Ausdrucksspektrum. Begegnet sie uns zunächst als unbeschwert Liebende, offenherzige Gastgeberin und sorgend-warmherzige Mutter gegenüber Mamillius und der ungeborenen Perdita, so wechselt ihr Vokabular in den Eifersuchtsvisionen Leontes’ blitzschnell in sinnlich-lüsterne Betrügereien. Im Gerichtssaal erscheint sie schließlich als eine tragische Heldin, die sich der zerstörerischen Macht ihres Mannes aber nicht einfach ausliefert, sondern in einer von Kontraktionen geprägten Bewegungssprache auf ebenso anrührende wie emanzipierte Weise ihre Unschuld verteidigt.
Ein böhmisches Arkadien Mit seiner Choreographie der Hirtenwelt schafft Wheeldon nicht nur ein fröhlich-buntes Gegenbild zur emotional aufgeladenen Düsternis des 1. Aktes, sondern stellt in ballettästhetischer Hinsicht auch die Harmonie als Sinnbild einer arkadischen »Unschuld« wieder her. Unterstreicht die fiktive Geographie eines am Meer liegenden Böhmens den märchenhaften Charakter von Shakespeares Wintermärchen, so denkt Wheeldon diesen zu einer pastoralen, von Friede, Freiheit, Schönheit und Lebensfreude geprägten Utopie weiter, indem er sein Böhmenbild an die rein tänzerische Dramaturgie der »Weißen Akte« des romantischen Balletts anlehnt, ohne allerdings deren monochromem Farbschema und Fokussierung auf die Ballerina zu folgen. Stattdessen kommt es zu einem hochvirtuosen Wechselspiel zwischen dem jungen Liebespaar Perdita und Florizel, verschiedenen Gruppenformationen des Corps de ballet sowie körperlich ex trem fordernden solistischen Einlagen. Das Vokabular besteht aus klassischen Schritten und Bewegungsfolgen wie u.a. Piqués, Fouettés, Grands Jetés oder Sauts de Chats. Die Duette von Perdita und Florizel werden dagegen durch Arabesques geprägt, jene Pose, die wie keine andere in den Balletten der Romantik als tänzerische Metapher der Sehnsucht und des Begehrens eine über das ornamentale der Figur weit hinausführende semantische Aufladung erfahren hat. 15
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Erst mit dem Auftritt von Polixenes und dessen Hofmeister auf der Suche nach Florizel kommt das sich immer wieder neu aus der von der auf der Bühne agierenden Banda geprägten Musik generierende Tanzfest zu einem abrupten Ende – das aber nicht ohne Komik in einem Verkleidungsspiel, in dem sich Polixenes und der Hofmeister heimlich unter das Volk mischen, um die Verbindung Florizels mit der vermeintlichen Hirtin zu vereiteln. Und auch wie Perdita und Florizel mit Entschlossenheit, Humor und voller Menschlichkeit nicht nur alle Barrieren, die ihrer Liebe im Wege stehen, umgehen, sondern schließlich auch die Gespenster des Wahnsinns am Hof von Leontes vertreiben, sodass der Weg zu einem Happy End frei wird, trägt komödiantische Züge.
Kraft der Vergebung An der schlussendlichen Auflösung aller Verstrickungen ist eine weitere Figur maßgeblich beteiligt – und dies mit einer ganz eigenen Kraft und zugleich anrührenden Bescheidenheit: Hermiones Hofdame Paulina. Sie bildet den roten Faden in der Erzählung, ist an Schlüsselstellen des Geschehens die Leitfigur, schafft Verbindungen. Paulina rettet und versteckt nicht nur Hermione, sondern sie ist es auch, die Perdita an Hermiones Smaragd-Halsband erkennt, das dem Baby in den Korb gelegt worden war, in welchem es Antigonus an Böhmens Küste aussetzte – ein Auftrag, der für Paulinas Mann tödlich endete, wurde er doch, während sein Schiff im Sturm an den Klippen zerschellte, von einem Bären gefressen. Auch über Paulina bringt Leontes’ Wahn also existentielles Unglück und doch entscheidet sie sich, über den an sich selbst verzweifelnden König zu wachen. Dies zeigt nicht nur die Begegnung der beiden am Ende des 1. Aktes, sondern vor allem ein bemerkenswerter Pas de deux im 3. Akt am Grab von Hermione und Mamillius, in welchem es – von einigen tröstenden Gesten Paulinas abgesehen – trotz der Synchronität der Bewegungen zu keinerlei Berührung kommt. In einem Paartanz ohne allen Körperkontakt findet Wheeldon den passenden Ausdruck für eine tiefernste, durch das Leid verbundene Beziehung. Wenn er ganz am Ende, nachdem Leontes realisieren durfte, dass Hermione noch lebt, diese ihm verzeiht und ihre verlorene Tochter wiederfindet, Paulina alleine am Fuß von Mamillius’ Grab zurückbleiben lässt, ist dies nicht der einzige Akzent, den Wheeldon in seiner Version gegen ein pures Happy End setzt. Anders als in einem Märchen, in dem alles wieder gut wird, zeigt er in einem – so der Kritiker Mark Monahan – »Drahtseilakt zwischen Licht und Dunkelheit, Leichtigkeit und Tiefe, Klassizismus und Modernität«, der »mehr oder weniger alle grundlegenden menschlichen Emotionen umarmt«, dass zerstörerisches Misstrauen, Eifersucht und Wahn immer ihre Spuren hinterlassen. Mit Wheeldon weiß das auch Leontes vor der Statue seines toten Kindes Mamillius stehend. Und es weiß Hermione. In ihrem letzten gemeinsamen Pas de deux greift sie auf ihr Solo aus dem traumatisierenden Gerichtsprozess zurück – ein starkes Schlusswort einer Frau, die bei Shakespeare ihrem zurückgewonnenen Mann nichts mehr zu sagen hat, über die Möglichkeit, aus der Fähigkeit zur Vergebung neue Kraft zu gewinnen.
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keine angst vor komplexen geschichten ANNE DO PAÇO IM GESPRÄCH MIT CHRISTOPHER WHEELDON
Sie sind einer der wenigen Choreographen, denen es gelungen ist, dem Handlungsballett mit neuen Stoffen wie Alice’s Adventures in Wonderland (2011), The Winter’s Tale (2014) oder Like Water for Chocolate (2022) neues Leben einzuhauchen. Was reizt Sie am Geschichtenerzählen durch Tanz? Es geht um meine Beziehung mit dem Publikum. Wie kann ich ein Werk kreieren, das zu diesem eine Verbindung schafft. Die Zuschauer*innen sind fasziniert von der poetischen, abstrakten Form symphonischer Einakter, als Menschen lieben wir aber Geschichten. Ich mag die Herausforderung, eine Tanzsprache zu kreieren, die Emotionen und Handlung klar vermittelt, Tänze, die einen Charakter durch einen Handlungsbogen tragen. Als Choreograph suche ich diese Herausforderungen. Ich möchte das Publikum auf eine Reise mitnehmen.
CW
Während das Ballett der Romantik die Handlung durch Pantomime mit einem streng kodierten Vokabular vorantrieb, hat das Storytelling im 20. Jahrhundert bedeutende Entwicklungen durchgemacht, beeinflusst und inspiriert durch den modernen Tanz und das Tanztheater. Kann das Ballett heute noch ein guter Geschichtenerzähler sein? CW
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Ja natürlich, davon bin ich fest überzeugt. Ich bin mit den großen Balletten von Sir Kenneth MacMillan und Sir Frederick Ashton aufgewachsen.
KEINE ANGST VOR KOMPLEXEN GESCHICHTEN
Sie haben die Pantomime durch eine integrierte Erzählung ersetzt. Die Schritte transportieren die Emotionen. Genau das versuche ich mit meiner Arbeit. Ich habe keine Angst, komplexe Geschichten durch Tanz zu erzählen. Jeder Schritt fungiert als Text, die Emotionen kommen ganz natürlich von den einzelnen Tänzer*innen und entstehen aus der Bewegung heraus, statt sie zu überlagern. Soweit wir wissen, wurde Ein Wintermärchen noch nie zuvor choreographiert. Wie sind Sie auf die Idee gekommen, daraus ein Ballett zu machen? Mein Freund Sir Nicholas Hytner, ein brillanter Shakespeare-Regisseur, hat mir das Stück vorgeschlagen. Anfangs hatte ich wegen der an spruchsvollen und dichten Handlung etwas Bedenken. Aber im Grunde ist Das Wintermärchen in seiner Komplexität eine sehr menschliche Geschichte, voller Eifersucht, Schrecken und schließlich Vergebung – Emotionen, die wir in der einen oder anderen Art nachvollziehen können. Ich liebe das Spiel von Licht und Dunkel und dass Das Wintermärchen uns zeigt, dass es immer noch Hoffnung für Menschen gibt, die anderen durch ihre Handlungen Schmerzen zugefügt haben. Emotionen können uns oft für die Realität blind machen, aber Vergebung ist viel stärker als Hass.
CW
Sie wählen nicht nur auf der Ballettbühne unverbrauchte Stücke, sondern geben dazu auch die Musik in Auftrag. Was bedeutet Ihnen die Musik für ein Ballett? Die Musik ist alles. Ohne Musik, die tief in die Geschichte eindringt, gibt es kein erfolgreiches Handlungsballett. Die Musik muss mehr tun, als nur die Handlung zu beschreiben. Sie muss das Herz der Emotionen treffen.
CW
Wie sind Sie auf Joby Talbot gestoßen? Joby Talbot und ich haben 2009 sehr erfolgreich an einem abstrakten Einakter für meine damalige Compagnie Morphoses zusammengearbeitet. In seinem Komponieren war so viel Magie, dass sich in der abstrakten Welt, die ich schuf, ein ganzes Drama entfaltete. Damals wurde mir klar, dass er der perfekte Partner ist, um die verrückte Fantasie und Schönheit in Alice’s Adventures in Wonderland einzufangen. So begann unsere äußerst fruchtbare Zusammenarbeit. Joby weiß genau, wie man situations-, emotions- und charakterbezogene Musik schreibt. Er hat eine Reihe von Filmmusiken, aber auch sehr erfolgreiche Konzert- und wunderschöne Chorwerke komponiert. Er bringt ein unglaubliches Wissen über Weltmusik mit und liebt es, seltene und exotische Instrumente in seine Orchestrierungen einzubeziehen.
CW
Wie muss man sich Ihre Zusammenarbeit vorstellen? Sagen Sie Joby Talbot, was Sie brauchen? Oder komponiert er zunächst sein Werk, das Ihnen dann die Basis für Ihre Choreographie wird?
KEINE ANGST VOR KOMPLEXEN GESCHICHTEN
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Zunächst setzen wir uns zusammen und entwerfen ein Exposé. Bei The Winter’s Tale hat uns Sir Nicholas Hytner geholfen, indem er uns eine Version der Geschichte vorschlug, mit der sich einige Probleme des Stücks durch Tanz lösen ließen. Wenn wir uns auf die finale Version der Geschichte geeinigt haben, erstellen wir eine Chronologie der Ereignisse, legen Schlüsselmomente der Handlung und der Emotionen fest und definieren, wo ein Solo, wo ein Pas de deux oder eine Corps de ballet-Szene stattfinden soll. Danach beginnt Joby, die Klangwelten zu malen, zu der ich dann mein Ballett kreiere. So entsteht eine neue Partitur. Wir kennen uns inzwischen so gut, dass wir beim gemeinsamen Arbeiten eine Art Kurzschrift verwenden.
CW
Das Schauspiel Ein Wintermärchen zählt zu Shakespeares Spätwerk. Es ist nicht Drama, nicht Komödie, sondern gehört in die Gattung der Romanze. Wie wirkt sich das auf Ihr Ballett aus? Es ist Drama, Komödie und Romanze. Das gab uns viel Variationsspielraum und die Möglichkeit, zwei gegensätzliche Welten zu schaffen. Wir haben sechs Hauptrollen und auch das Corps de ballet hat eine wichtige Präsenz.
CW
In Ihrem Szenario haben Sie das Shakespeare-Personal reduziert, manche Details der Handlung wie die Befragung des Orakels von Delphi weggelassen. Anderes, das im Text nur berichtet, aber nicht auf der Bühne gezeigt wird, spielt in Ihrer Choreographie dagegen eine wichtige Rolle. Was war Ihnen aus Shakespeares Drama für Ihr Storytelling essentiell, was hat Sie weniger interessiert? Interessanterweise spielen sich in Shakespeares Stück die Schlüsselmomente im Off ab und werden von Leuten am Hof nur berichtet. Das konnten wir für das Ballett nicht übernehmen, denn der Tanz kann kein Geschehen hinter der Bühne kommentieren, er muss es zeigen, damit wir es verstehen. So kamen wir zu einigen sehr dramatischen Szenen und scheuen uns nicht, den Tod von Mamillius, Leontes’ Misshandlung von Hermione und deren vermeintlichen Tod zu zeigen. Einige der komplexen Sachverhalte der Handlung haben wir aber auch vereinfacht und einige Nebenfiguren weggelassen, wurde uns während der Arbeit am Szenario doch schnell klar, dass wir uns auf die Hauptakteure konzentrieren müssen, damit das Stück als Ballett funktioniert.
CW
Wie muss man sich Ihre Umsetzung von Shakespeares Stück vorstellen? Haben Sie den Text in Tanz übertragen oder arbeiten Sie mit einer Minutage, in der die grundsätzliche Atmosphäre und die wichtigen Säulen einer Szene skizziert sind? CW
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Beides! Natürlich hat Shakespeare großartige Handlungsstränge kreiert, aber man kann auch sehr viel aus seiner Poesie herausholen. Im
KEINE ANGST VOR KOMPLEXEN GESCHICHTEN
Text des Stückes gibt es zahlreiche fantastische und sehr körperliche Bilder und ganz direkte Hinweise auf Bewegung. Die Herausforderung, Shakespeare tänzerisch zu inszenieren, besteht darin, ihn nicht nur auf die Handlung zu reduzieren, sondern auch den Reichtum seiner Sprache in der Bewegungserzählung einzufangen. Ihre Figuren sind sehr genaue Charakterstudien. Wie würden Sie Ihre Bewegungssprache beschreiben? Ich kann meine Sprache nicht anders beschreiben als als klassisches Ballett, das aber von anderen Tanzästhetiken inspiriert ist. Ich neige dazu, nach der Form, nach dem Schritt zu suchen, in dem sich ein bestimmter Moment oder eine Emotion vermittelt. Außerdem versuche ich, Motive zu finden, die leitmotivisch als Charakterzüge erkennbar sind. So hat Leontes zum Beispiel eine spinnenartige Hand, mit der ich seine Infektion durch die unerklärliche Eifersucht in seinem Geist und Körper symbolisiere.
CW
Ungewöhnlich für ein Tanzstück ist, dass die Hauptprotagonistin – Hermione – im 1. Akt ein Kind in sich trägt. Wie choreographiert man für eine Figur mit dem Bauch einer Schwangeren? Nun, mich fasziniert, wie viele Tänzerinnen auch noch spät in der Schwangerschaft an Trainings und Proben teilnehmen, immer noch springen und in der Class auf Spitze gehen. Also dachte ich mir, dass es in Ordnung ist, die Figur der Hermione im 1. Akt auf sehr körperliche Weise als eine Frau in einer weit fortgeschrittenen Schwangerschaft zu zeichnen. Wir haben von Beginn an mit einer Bauch attrappe geprobt, um die richtigen Formen und Gewichtsverlagerungen für die Bewegung zu finden.
CW
Der 2. Akt ist mit dem Frühlingsfest der Hirten ein großes Tanzfest, wie die Divertissements im romantischen Ballett ... CW
... und das Corps de ballet der eigentliche Star. Es ist ein großes Spektakel und eine der aufregendsten Nummern, die ein Ensemble tanzen kann. Die Musik Joby Talbots arbeitet hier mit Anklängen an Volksmusik, die aber – so, wie das fiktive Böhmen Shakespeares – keine geographisch bzw. kulturell konkret verortbare, sondern eine Art fiktive Weltmusik ist. Wie reagieren Ihre Tänze darauf?
Ich habe auf vergleichbare Weise eine Sprache mit volkstümlichen Bezügen erforscht, die uns aber nicht in einer bestimmten Region verortet. Unser Böhmen ist ein imaginärer Ort mit Reminiszenzen an das ländliche England, Osteuropa und Amerika.
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KEINE ANGST VOR KOMPLEXEN GESCHICHTEN
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Die Zeichnung der Charaktere war bei der Londoner Uraufführung von starken Interpreten des Royal Ballet – allen voran Edward Watson als Leontes – bestimmt. Worauf legen Sie bei der Auswahl der Besetzung und der Einstudierung besonders Wert? Ich suche natürlich nach Tänzer*innen, von denen ich glaube, dass sie das Wesen der Figuren einfangen und sie auf ihre eigene Weise verkörpern können. Mit jeder Neueinstudierung erwacht eine Produktion zu neuem Leben. The Winter’s Tale ist ein extrem schwer zu tanzendes Ballett, bietet den Tänzer*innen aber auch anspruchsvolle Charaktere, die sich im Laufe des Abends entwickeln.
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Besonders ist das sehr aufwändige Design. Was muss eine Bühne für ein Ballett von Christopher Wheeldon können? Viel Raum zum Tanzen lassen und das Publikum mit auf eine magische Reise nehmen. Niemand kann das so gut wie der brillante Bob Crowley. Bob fängt die Essenz eines Stückes ein, die menschlichen und magischen Qualitäten und bringt sie dann in die heutige Zeit, ohne die klassischen Elemente zu eliminieren. Er aktualisiert nicht, sondern stellt etwas neu dar. Plötzlich denkt man: »Natürlich sieht das Wunderland, Böhmen oder Nordmexiko so aus«, aber eben auf die Art von Bob Crowley. Wir beginnen den Designprozess immer gemeinsam an einem leeren schwarzen Modell, in das wir die Welten mit einfachen, klaren, aber poetischen Ideen hineinbauen. Er sagt immer zu mir: »Ich lasse den Raum offen und frei für dich, du erzählst die Geschichte« – und schlussendlich macht er eine wunderbare Arbeit und erzählt die Geschichte um mich herum. Wir gehen Hand in Hand.
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Was sind Ihre nächsten Projekte? Wird es bald ein weiteres Handlungsballett geben? Ich habe gerade in Australien ein neues Ballett über Oscar Wilde herausgebracht. Es folgt nicht direkt ein neues Story-Ballett, aber es ist ein großes neues Werk für das Royal Ballet in Planung. Das Thema steht schon fest. Es ist sehr aufregend!
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KEINE ANGST VOR KOMPLEXEN GESCHICHTEN
rätsel des menschlichen lebens
FRANK GÜNTHER
In Kommentaren zum Wintermärchen bestimmt ersichtlich die Erwartung, die einem Shakespeare-Stück entgegengebracht wird, das Urteil: Man erwartet sich wie üblich eine veristisch-realistische Bühnenwelt und einen weiteren Macbeth und bekommt stattdessen eine Art elisabethanischen Manga. Ganz eindeutig gibt es hier einen Bruch im Shakespeareschen Schreiben. Eindeutig ein Irrtum wäre es nun aber auch zu glauben, es sei Shakespeare nur um eine krude Sammlung von Überraschungsmomenten gegangen. Exemplarische Lebenssituationen des Individuums in heilloser Welt hatte Shakespeare in seinen Tragödien erforscht, indem er seine Figuren unters Mikroskop legte, bis sie wie ins Übermenschliche vergrößert erschienen; er war dabei bis an die Grenzen des Darstellbaren gegangen. Er war darüber schließlich in so abgründige Bereiche geraten, dass keinerlei Hoffnung und keinerlei »Sinn« in seinen beschriebenen Welten mehr aufleuchtete: Die »gute« Cordelia erliegt dem gleichgültigen Schicksal ebenso wie ihre »bösen« Schwestern – keine höhere Gerechtigkeit herrscht mehr, keine sinnstiftende Gnade oder Erlösung, deren Walten die graue Verzweiflung in der Ödnis jener lichtlosen
RÄTSEL DES MENSCHLICHEN LEBENS
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Lear-Welt lindern könnte. Zerstörung ist alles, das Ende der Menschheit schien erreicht. »Was Fliegen bösen Buben sind, sind wir den Göttern; sie töten uns zum Spaß« ist eines der nihilistischen Resümees des König-Lear-Stückes. Der Glaube an die Kraft der Humanitas war geschwunden, im Timon von Athen zum Hass auf die ganze Menschheit verkommen. Extremeres war wohl nicht mehr zu denken und zu sagen – und nicht mehr zu schreiben. »Rien ne va plus.« Shakespeare hat trotzdem weitergeschrieben – nur anders. Er hat sich mit seinen letzten vier Stücken – Perikles, Cymbeline, dem Wintermärchen und dem Sturm – auf einen stilistisch wie inhaltlich neuen Weg begeben, um auf andere Art die Rätsel und Merkwürdigkeiten des verletzlichen menschlichen Lebens in seiner gefährdeten Existenz in mörderischer Welt auszuloten. Es ging nun nicht mehr um die tiefgehende Erforschung eines einzelnen, existentiellen Lebensabschnitts einer Figur als »realistische« Repräsentation einer komplexen Welt; das war erfüllt, das war geleistet wie noch niemals zuvor und war wohl nicht noch einmal zu wiederholen. Shakespeares forschendes Nachdenken darüber, was es mit den Menschen und der Welt so auf sich hat, wollte nun wohl einen neuen Zugang erproben: Es sollte ein Versuch werden, das Ganze solch eines menschlichen Lebens zu erfassen – ein ganzes Leben in seinen verschlungenen Lebenslinien »from cradle to grave«. Ein Leben im Fluss der Zeit. Nach den düsteren Welt- und Menschheitsabgründen, in die ihn die Tragödien geführt hatten, erscheinen seine späten Dramen wie ein Versuch zur Rekapitulation, Neubesinnung und Neubefragung: Ist jenes grauenhaft Lichtlose nun eigentlich die ganze Wahrheit der Welt? In welchen großen, überindividuellen Zyklen und Bewegungen gestaltet sich eigentlich so eine Existenz in der ihr von der Natur zugestandenen Lebenszeit? Welche Mächte und Wirkkräfte größerer Art werden im Ganzen eines Lebens sichtbar, welche Prinzipien lassen sich darin erkennen? Welches Scheitern wie auch Gelingen lässt sich konstatieren, welches Versagen, welches Sich-Versündigen und welches Sich-Bewähren wird man verbuchen müssen im großen Mechanismus des Daseins? Wie ist in ihm das Wichtige vom Unwichtigen zu unterscheiden, was bleibt als Wesentliches und als Substantielles aus dem wirren Auf und Ab eines menschlichen Lebens – welches doch unabänderlich der Zeit als Zerstörerin und dem Tod als Vernichter unterworfen ist? Und in solches (Selbst-) Befragen unabweisbar verflochten ist jener ethische Punkt: Wie, nach welchen Begriffen lässt sich ein so zur Endlichkeit verurteiltes Leben denn wohl in Anstand führen? Es sind Fragen nach dem »Leben an sich« und dem »Menschen an sich«, wie sie sich jemand – rückblickend erinnernd – stellt, dessen Lebensreise in die letzte Phase eingetreten ist: Rekapitulation und Bestandsaufnahme stehen auf dem Programm. Gesucht wird nach dem »Sinn«, den das Ganze vielleicht haben mag – oder auch nicht haben mag. Es sind wohl Fragen, wie sie in Alterswerken gestellt werden. Dem Wesen der Sache nach sind die persönlichen Antworten, die in solche Werke verwoben sind, oftmals diffus und kryptisch, sind metaphorisch, allegorisch oder symbolisch verschlüsselt: Sie erzählen poetisch, nicht mehr realistisch. Mit einem linearen Nachvollzug der wirren Geschichte kommt man bei Shakespeares Spätwerken nicht sehr weit; notwendig ist vielmehr ein ausdeutendes, betrachtendes Lesen aus bewusster Distanz; gefragt ist etwa eine Haltung wie die, mit der man Bilder »liest« und ausdeutet – insbesondere »Sinn-Bilder«. 23
RÄTSEL DES MENSCHLICHEN LEBENS
WILLIAM SHAKESPEARE
Leontes: Ist Flüstern nichts? Wange an Wange legen? Nasenspiele? Mit feuchten Lippen küssen? Sich mit Seufzen Im Lachgalopp hart zügeln? – (ursprüngliches Zeichen Wankender Treue!) Sich wie Fohlen rempeln? In Winkeln schmolln? flehn, dass die Uhren schneller gehen? Stunden Minuten werden? (Mittag Mitternacht) Blind Vom Graustar aller Augen, nur nicht ihre, ihre nicht, Dann ist die Welt und alles in ihr nichts, Das Himmelszelt nichts, Böhmen nichts, nichts, meine Frau Nichts, und kein Nichts an all den Nichtsen, Wenn all das nichts sein soll.
DAS WINTERMÄRCHEN, 1. AKT, 2. SZENE
Brendan Saye (Leontes)
Masayu Kimoto (Polixenes), Ensemble
Hyo-Jung Kang (Hermione), Brendan Saye (Leontes)
Hyo-Jung Kang (Hermione), Ellis Campbell, Alex Martelli, Massimiliano Santagostino, Andrei Aranghelovici (Garde)
Hyo-Jung Kang (Hermione), Ensemble
Brendan Saye (Leontes)
Ketevan Papava (Paulina)
neue musik für die ballettbühne
ANNE DO PAÇO
Oft sind es eher zufällige Begegnungen, aus denen eine langjährige künstlerische Partnerschaft entsteht – so geschehen bei Joby Talbot und Christopher Wheeldon. Der Choreograph Wayne McGregor hatte sich 2006 für sein Ballett Chroma u.a. von Musik des britischen Komponisten, der sich längst als ein schillernder Grenzgänger zwischen Filmmusik, Orchester- und Kammermusik sowie großen Chorwerken etabliert hatte, inspirieren lassen. Die Uraufführung fand innerhalb eines Triple Bill des Royal Ballet London statt, zu dem auch Christoper Wheeldon einen Beitrag leistete. Die Musik, die seinen Kollegen inspirierte, hörend, begann Christopher Wheeldon sich für Joby Talbot zu interessieren, der ihm sodann seine Filmmusik zu The Dying Swan – ein Auftrag des British Film Institut von 2002 als neue Musik für den gleichnamigen Stummfilm des russischen Regisseurs Jewgeni Bauer aus dem Jahr 1917 – vorstellte. The Dying Swan war nicht der erste Film, für den Joby Talbot einen Soundtrack nachkomponierte. Bereits 1999 hatte er sich mit Alfred Hitchcocks frühem Klassiker von 1927 The Lodger
NEUE MUSIK FÜR DIE BALLETTBÜHNE
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JOBY TALBOT
»Bei Shakespeare sind die Worte fast alles. Ein Ballett nach einem seiner Stücke zu kreieren heißt, einen ganzen Abend lang mit Tanz und Musik eine Geschichte zu vermitteln, ohne auf Worte zurückgreifen zu können. Für mich als Komponist ist das die größte Heraus forderung, die ich mir vorstellen kann.«
Joby Talbot 2024 in der Wiener Staatsoper
auseinandergesetzt. Mit der Geschichte der stummen Tänzerin Gizella, die mit ihrer sensationellen Interpretation des »Sterbenden Schwans« in Bauers Film nicht nur zu Ruhm gelangte, sondern – im Konflikt zwischen zwei rivalisierenden Liebhabern – schließlich ermordet wurde, hatte Joby Talbot sich in eine Welt des Balletts hineinkomponiert, die Christopher Wheeldon faszinierte. »Chris sah den Film und fragte mich, ob er etwas von dieser Musik für ein einaktiges Ballett für seine Compagnie Morphoses adaptieren könnte.« Die Komposition wurde Christopher Wheeldon dann zur Basis seines Stücks Fool’s Paradise, das 2015/16 auch mit dem Wiener Staatsballett zu sehen war – und mehr: Die Uraufführung 2007 legte das Fundament einer seit damals anhaltenden, äußerst kreativen Zusammenarbeit, aus der inzwischen mit Alice’s Adventures in Wonderland, The Winter’s Tale, Like Water for Chocolate und Oscar© vier abendfüllende Produktionen hervorgegangen sind und ein weiteres großes Projekt für das Londoner Royal Ballet in Planung ist. Das Komponieren für den Film, insbesondere für den Stummfilm, bei dem – wie beim Tanz – die Sprache fehlt, beschreibt Joby Talbot als ein »hervorragendes Training« für das Ballett: »Man lernt so viel über das Erzählen von Geschichten. In einem Stummfilm besteht die Rolle der Musik darin, die Führung zu übernehmen, quasi vor der Handlung zu stehen. Auch im Ballett ist es für den Komponisten die große Herausforderung, dem Choreographen und den Tänzer*innen die Grundlage zu geben, auf der sie eine Geschichte, ein ganzes Drama und die Architektur eines abendfüllenden Stückes aufbauen können. Die Musik gibt den Rahmen vor, zugleich muss ich als Komponist aber auch aufpassen, dass ich die Choreographie nicht erdrücke oder ihr in die Quere komme.« Aus der intensiven Lektüre von William Shakespeares Schauspiel Das Wintermärchen haben Christopher Wheeldon und Joby Talbot gemeinsam ein Szenario herausgeschält, das sich an den großen emotionalen Punkten aufhängt und an dramatischen Schlüsselstellen das Timing für den Tanz aus der realen Zeit von Bewegung findet. So berichtet Joby Talbot: »Als wir nach der Musik für das Aufkeimen von Leontes’ Eifersucht suchten, stand Chris auf, drehte sich im Raum, setzte sich wieder hin und fragte mich: ›Wie lange hat das gedauert?‹ ›45 Sekunden‹, sagte ich. ›OK, 45 Sekunden!‹ – so einfach ist das manchmal.« In der Schaffung musikalischer Räume für all das, was ein Ballett auszeichnet – Soli, Pas de deux und Ensembleszenen –, aber auch im Malen atmosphärischer Stimmungsbilder wie die Sturmmusik am Ende des 1. Aktes oder die Verfolgungsjagd per Schiff am Ende des 2. Aktes, zeigt sich Joby Talbot ebenso als kluger Dramaturg wie in der Verwendung von Leitmotiven, die über die genaue musikalische Zeichnung der Charaktere hinaus auch eine Funktion übernehmen, wie wir sie aus den Musikdramen Richard Wagners kennen: »So verwebt sich das Thema der Hermione zum Beispiel manchmal mit dem von ihrer Tochter Perdita, die Hermione ja erst am Ende der Geschichte kennen lernt. Es gibt also etwas über sie, das niemand auf der Bühne wissen soll – aber die Musik weiß es«, erläutert Joby Talbot. Der in Shakespeares Stück konstitutive Kontrast zwischen zwei Welten – das ganz und gar nicht sonnenverwöhnte, sondern kalt und düster gezeichnete Sizilien sowie das idyllisch-naturhafte Böhmen – spiegelt sich in Talbots Partitur in einem raffinierten Spiel 35
NEUE MUSIK FÜR DIE BALLETTBÜHNE
mit instrumentalen Farben zwischen einem in den Bläsern und Streichern klassisch besetzten, aber durch ein reiches Schlagwerk, Klavier, Celesta und Harfe angereichertes Orchester im Graben sowie einer Banda auf der Bühne. Diese repräsentiert sowohl eine Musikkapelle des böhmischen Hofes als auch die bäuerliche Band, die im 2. Akt zum Frühlingsfest aufspielt, und verleiht der musikalischen Atmosphäre ein ganz eigenes Kolorit. So, wie Shakespeares Böhmen kein realer, sondern ein fiktiver, an einem Meer gelegener Ort ist, ging es Talbot bei der Musik der Banda nicht um reale Volksmusikanklänge, sondern die musikalische Evokation eines imaginären, geographisch nicht konkret lokalisierbaren Reiches, für das er entsprechend ein Instrumentarium aus verschiedenen Regionen der Welt wählte: »die indische Bambusflöte Bansuri, die eine sehr besondere, vokale Qualität hat, ein chromatisches Dulcimer – eine Form des Hackbretts –, Akkordeon sowie verschiedene afrikanische und südamerikanische Schlaginstrumente.« Wenn diese Musik im 1. Akt zum Tanz aufspielt, »weht ein frischer Wind«, so Joby Talbot, durch den sizilianischen Königspalast. »Es ist eine sehr sinnliche Musik aus einer anderen Welt, zu der Leontes seine Frau Hermione tanzen sieht – und der Beginn des Problems, das sich dann entwickelt.« Mit dem Einsatz der Banda nutzt Joby Talbot ein aus der Filmmusik bekanntes Mittel für die The Winter’s Tale-Partitur: Die Unterscheidung zwischen diegetischer und nichtdiegetischer Musik. »Als diegetisch wird jene Musik bezeichnet, die die Personen in einem Film selbst hören, wenn sie beispielsweise in einen Club gehen und dort tanzen. Als nicht-diegetisch bezeichnet man die Musik, die der Untermalung des Geschehens dient, die von den Figuren im Film nicht wahrgenommen wird. Sie wissen schon: Eine Person geht ins Meer schwimmen und wir hören ›do-om ... do-om‹ ... Die Musik der Banda ist diegetische Musik, zu der Chris entsprechend Tänze tanzen lässt, die Musik aus dem Orchestergraben könnte man mit einem Soundtrack vergleichen, der das Geschehen untermalt. Die richtige Balance zwischen beiden zu finden, war eine sehr schöne, aber auch große Herausforderung«, bekennt Joby Talbot. Seiner Partitur verleiht er durch die Verschränkung dieser beiden Ebenen nicht nur interessante klangliche Schichten, sondern auch eine besondere Dynamik und schenkt mit dem weltumspannenden In strumentarium dem Frühlingsfest des 2. Aktes – laut Christopher Wheeldon nicht nur ein Tanzfest, sondern auch ein »Fest der Liebe« – zugleich einen jenseits einer SchwarzWeiß-Zeichnung angesiedelten utopischen Klang für eine Grenzen überschreitende Vision von Gemeinschaft in der Vielfalt. Mit seinen Partituren für Christopher Wheeldon ist Joby Talbot eine Wiederbelebung des Komponierens von abendfüllenden Ballettpartituren gelungen, das im Lauf des 20. Jahrhunderts immer weiter in den Hintergrund getreten ist. Es ist Musik für die Ballettbühne, für das Theater, die er schreibt, Musik, die aus einer intensiven Kollaboration auf Augenhöhe zwischen Choreograph und Komponist entsteht.
NEUE MUSIK FÜR DIE BALLETTBÜHNE
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H. D. (HILDA DOOLITTLE)
»Als sie hinausging, fühlte sie sich merkwürdig und konnte nicht sehen. Sie konnte nichts sehen. Sie hatte die verschleierten Augen einer Statue, Augen höhlen anstelle von Augen. Ihre Augen waren von einer weißen Oberfläche überzogene Löcher; sie war eine Statue mit den Augen einer Statue, die nichts sah. Die alten Griechen malten ihren Statuen Augen ...; zuvor hatten die Ägypter dunkles Holz bemalt, schön geschnitzt und mit Edelsteinen als Augen verziert. Ein wunderschöner, funkelnder Edelstein ... und die vergrößerte Darstellung der zwei achatschwarzen, dunklen Augen mit dem hellen, sehr weißen Weiß darum. Ihre Augen saßen in ihrem Kopf wie diese Augen. Ich kann nichts sehen. Ich weine ...« HERMIONE
»du musst tanzen, lieber romeo«
NASTASJA FISCHER
William Shakespeares Werke sind voller Tanz und Bewegung: Oberon und Titania versöhnen sich im Tanz, Romeo und Julia begegnen sich während eines Balls zum ersten Mal, Satyrn tanzen im Wintermärchen, Nymphen und Schnitter im Sturm. Alan Brissenden, Autor der 1981 erschienenen Monographie Shakespeare and the Dance, bemerkt, dass der englische Barde den Tanz sowohl als visuelles Bild als auch dramaturgisches Mittel einsetzt, um die Verbindung von Harmonie, Tugend und Rache, Ordnung und Unordnung in der Welt hervorzuheben: »Der Tanz ist ein wichtiges Element in Shakespeares Stücken, und seine Bedeutung ist vor allem auf seinen Wert als Symbol der Harmonie zurückzuführen. Der Tanz wird als Teil der Shakespeare-Bühne in vielfältiger Weise und weitaus häufiger eingesetzt als das ›Stück im Stück‹ [...]. Wenn er im Tanz Material für Bilder findet, dann fast immer in voller Anerkennung seines symbolischen Wertes, sodass er zum Thema eines bestimmten Stücks oder einer Gruppe von Stücken oder zur Darstellung der Figur, mit der er verbunden ist, beiträgt. [...] Er konnte den Tanz als visuelles Bild für die Harmonie und Ordnung in der Welt verwenden, und es ist eine Bewegung hin zu dieser Harmonie, diese Auflösung der Unordnung, die die wesentliche Grundlage seiner Stücke ist.« So schmücken nicht nur tatsächliche Tanzszenen oder -aufführungen
»DU MUSST TANZEN, LIEBER ROMEO«
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Shakespeares Werke, sondern es werden auch verbale und metaphorische Verweise auf den Tanz Teil der dramatischen Struktur. Erwähnt sei an dieser Stelle Prinz Florizel aus Das Wintermärchen, der die vielleicht schönste tänzerische Beschreibung für seine Geliebte Perdita findet: »Wenn du tanzt, wollt ich, du wärst im Meer die Welle, dass du ewig nichts als das tust, tanzt, stets tanzt, und darin völlig aufgingst«. Oder Herzog Senior, der im Epilog von Wie es euch gefällt den Geliebten »Ihr Bräutigam’ und Bräute, schwingt euch zum Tanz im Überschwang der Freude« mit auf den Weg gibt. Kaum verwunderlich ist es daher, dass sich im Umkehrschluss Tanzkünstler*innen und Choreograph*innen seit dem 18. Jahrhundert und vor allem mit dem Aufkommen des neuen Genres – dem Ballet d’action – mit Shakespeare beschäftigen und unzählige Ballette basierend auf seinem Œuvre bis heute entstehen: »Als sich das Ballett im 18. Jahrhundert zu einer eigenständigen Kunstform entwickelte, gehörten Shakespeares Werke zu den ersten literarischen Quellen, die von den Choreographen (damals Ballettmeister genannt) in den Tanz übertragen wurden. Seitdem haben Shakespeares Stücke mehr Handlungsballette inspiriert als die Werke irgendeines anderen Autors. Neben den Balletten, die direkt auf Shakespeares Stücken basieren, gab es in der Geschichte des Balletts auch eine Reihe von Balletten, die sich auf Adaptionen seiner Werke stützten, wie z. B. Neufassungen seiner Stücke, Opern und Musicals«, schreibt die Literatur- und Tanzwissenschaftlerin Iris Julia Bührle. Zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert entwickelte sich die Ballettkunst von einer höfischen Adelskultur zu einer öffentlichen Kunst, die, unter königlicher Schirmherrschaft, in Theatern für ein zahlendes Publikum aufgeführt wurde. Die Geschichten, die nun auf der Bühne stattfanden, wenn auch noch von einer aristokratischen Aura umwoben, feierten immer weniger die Autorität und den Adel und mehr und mehr ein Menschsein, das sich stets im Widerspruch mit den Regeln und Konventionen, die jene Autorität aufstellt, befindet. Wie bei Shakespeare zeigte die Ballettkunst seit dem späten 18. Jahrhundert Welten auf der Bühne, in denen diverse Charaktere und Figuren Platz hatten – neben Königen und Prinzessinnen auftraten oder diese sogar ersetzten: »Die Entstehung des Balletts für ein öffentliches Publikum mit seinen auf ein solches Publikum ausgerichteten Erzählungen und Figuren markierte den Beginn eines komplizierten Austauschs zwischen der Welt des Balletts und der Welt des Shakespeare-Dramas. Erzählende Ballette brauchen Geschichten, die sie erzählen können, und suchen diese zumeist in der Literatur, auch wenn gelegentlich Geschichten speziell für sie geschaffen werden. Als sich das Ballett vom Hof zum öffentlichen Theater bewegte und sich seine Thematik dem neuen Publikum anpasste, dauerte es nicht lange, bis die Ballettwelt, in der Tanz und Musik Geschichten aus dem Herzen und durch die Emotionen erzählen, die sich aus herausfordernden und herausgeforderten Beziehungen ergeben, auf das aufmerksam wurde, was Shakespeare ihnen bieten konnte«, erläutert die Historikerin und Literaturwissenschaftlerin Nancy Isenberg. Die Ballettmeister Jean-Georges Noverre, der von Zeitgenossen als »Shakespeare of the Dance« bezeichnet wurde, und Gasparo Angiolini könnten zu jener Zeit die ersten Tanzkünstler gewesen sein, die sich mit Shakespeare auseinandergesetzt haben, beide haben nämlich Ballette über die Figur der Cleopatra choreographiert. Während Noverres 39
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Cleopatra 1765 in Ludwigsburg am Hof des Herzogs von Württemberg aufgeführt wurde, fand die Premiere von Angiolinis La Morte di Cleopatra fünfzehn Jahre später an der Scala in Mailand statt. In beiden Fällen ist die Inspiration durch Shakespeares Antonius und Cleopatra allerdings nicht vollends nachgewiesen und auch inhaltlich unterschieden sich beide von Shakespeares Stück. Die ersten, die bewiesenermaßen ShakespeareBallette kreierten, waren 1785 der Noverre-Schüler Charles Le Picq, dessen Macbeth, angekündigt als »new heroic ballet founded on Shakespeare’s historical play«, in London zur Musik von Matthew Locke aufgeführt wurde, und Eusebio Luzzi, der Romeo und Julia zur Musik von Luigi Marescalchi in Venedig zur Premiere brachte. In den folgenden Jahren häuften sich die Shakespeare-Titel unter den europäischen Ballettaufführungen: 1788 führte Francesco Clerico Hamlet ebenfalls in Venedig auf, Louis Henry kreierte 1812 ein Hamlet-Ballett in Neapel und führte es vier Jahre später in Paris als vermutlich erstes Shakespeare-Ballett in Frankreich auf. 1834 fand die Premiere von Jean Corallis Der Sturm statt – allerdings mit einer Handlung, die inspiriert war von Shakespeares Ein Sommernachtstraum. Gerade die tragischen Stoffe hatten es beim Publikum und der Kritik schwer, Le Picqs Macbeth erhielt demnach nur mäßige Kritiken in London. Nicht nur war man es in England nicht gewöhnt, ernste und tragische Inhalte verarbeitet in einem Ballett zu sehen, auch den Versuch, Shakespeares Tragödien in eine wortlose Kunst zu übersetzen, sahen viele nicht als geglückt an: »Aber welche Handlung kann die erhabenen Ideen von Shakespeares Sprache vermitteln! Der Versuch ist Profanierung!«, urteilte zum Beispiel der Morning Herald über jene Macbeth-Aufführung. Bis heute bleibt die komplizierte Beziehung von Text und Choreographie, Wort und Bewegung bestehen und die Frage, ob und wie der Tanz als sprachloses Medium dem Publikum die verbale Komplexität von Shakespeares Versen vermitteln kann, beschäftigt seither Choreograph*innen und Tanzwissenschaftler*innen gleichermaßen. Die Schwierigkeit, die verflochtenen Handlungen und Texte Shakespeares in Bewegung zu übersetzen, veranlasste viele Ballettschaffende im 19. Jahrhundert dazu, Stoffe zu suchen, die leichter in Tanz zu übertragen sind. Bührle stellt hierzu fest: »Shake speare-Ballette wurden nach den ersten beiden Jahrzehnten des Jahrhunderts seltener, und ihre Schöpfer nahmen sich große Freiheiten bei der Bearbeitung der Stücke. Sie passten sie oft an die Ballettkonventionen ihrer Zeit an, was es dem Publikum erleichterte, die Handlung zu verstehen. Außerdem neigten die Choreographen dazu, weibliche Charaktere und weibliche Ensembleszenen hinzuzufügen, was den Anforderungen des Genres und der vorherrschenden Mode des romantischen Balletts entsprach. Die Choreographen mischten oft Shakespeare’sche und nicht Shakespeare’sche Quellen und erfanden den Rest der Handlung selbst. Italien blieb das Land mit der größten Anzahl von Shakespeare-Balletten, von denen wir noch Spuren haben, und es gab auch eine Reihe von Ballettadaptionen von Shakespeare-Stücken in Kopenhagen, an der Pariser Oper und in Sankt Petersburg, wo Marius Petipa 1876 das erste bekannte Ballett nach Ein Sommernachtstraum choreographierte.« Die Ära des romantischen Balletts ließ sich im 19. Jahrhundert also bewusst oder unbewusst von Shakespeares Werken inspirieren. Seine Stücke wurden nun auch in einem immer größer werdenden geographischen Raum in Europa übersetzt, was Schrift-
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steller, Librettisten und Choreographen als Anregung diente, Shakespeares Inhalte an die eigenen künstlerischen Bedürfnisse anzupassen. Themen, Handlungselemente, Figurenbeschreibungen und Charakterzüge aus der Welt Shakespeares fanden direkt oder indirekt Eingang auf die Ballettbühne. In La Sylphide erkennen wir Charakterzüge Romeos in James, der sich allzu schnell von seiner Verlobten abwendet, um mit der Sylphe zu sein, so wie Romeos Leidenschaft von Rosalinde zu Julia wechselt. Für beide Figuren endet die Geschichte nicht glücklich. Die romantischen Luftgeister, seien es die Sylphen in La Sylphide oder die Wilis in Giselle teilen Gemeinsamkeiten mit den Hexen in Macbeth, die Begehrlichkeiten wecken – sei es sexueller oder politischer Art –, dabei in die Irre führen und außerhalb eines sozialen Raumes in Wäldern leben. Giselle trägt Züge von Hamlets Ophelia, deren beider Herzschmerz zum Wahnsinn führt, aber auch Eigenschaften einer Julia kann man in ihr entdecken. Das verwundert kaum, haben doch Heinrich Heine und Victor Hugo – beide waren eine große Quelle der Inspiration für Théophile Gautier, den Librettisten von Giselle, – Studien zu Shakespeare veröffentlicht: Shakespeares Mädchen und Frauen (Heine) und William Shakespeare (Hugo). Im 20. Jahrhundert erlebte Shakespeare auf der Ballettbühne erneut große Popularität. Der englische Schriftsteller fand seinen Platz u.a. in einaktigen Balletten wie Bronislawa Nijinskas Hamlet (1934 getanzt von den Ballets Russes) oder Frederick Ashtons The Dream (das 1964 uraufgeführt vom Royal Ballet London bis heute neben George Balanchines und John Neumeiers Versionen zu den erfolgreichsten Adaptionen von Ein Sommernachtstraum zählt), aber auch in Choreographien, die eher einen abstrakteren Zugang wählen und keiner linearen Handlung folgen wie Kenneth MacMillans Hamletinspiriertes Sea of Troubles (1988 Dance Advance). Doch war es vor allem die Geschichte der tragischen Liebenden Romeo und Julia, die seit Mitte des 20. Jahrhunderts Ballettkünstler*innen inspiriert und die immer noch einen festen Platz im Ballettrepertoire weltweit hat. 1940 fand die Premiere von Romeo und Julia zur Musik von Sergej Prokofjew in einer Choreographie von Leonid Lawrowski in Leningrad statt. Der immense Erfolg des Werkes liegt auch in der Musik Prokofjews begründet, die den roten Faden für die Kreation neuer Versionen vorgibt. Durch den Einsatz von Leitmotiven und des erzählerischen Stils, der den Charakter einer Szene und Figur sofort deutlich macht, wird die Geschichte erfahr- und fühlbar und Stimmungen sowie Handlung werden gleichermaßen transportiert. Ursprünglich für das Kirow-Ballett kreiert, erregte allerdings erst eine internationale Tournee des Bolschoi-Balletts mit Lawrowskis Choreographie eine große Aufmerksamkeit. Andere Choreograph*innen folgten mit eigenen Versionen: Birgit Cullberg kreierte 1944 eine einaktige Fassung zu Prokofjews Suiten, Tatiana Gsovsky präsentierte ein Romeo und Julia-Ballett zur Musik Prokofjews 1948 in Ost-Berlin, Frederick Ashton folgte 1955 für das Königlich Dänische Ballett, 1977 choreographierte Rudolf Nurejew das Werk für das London Festival Ballet. Die Liste lässt sich beliebig fortsetzen, doch waren es die Choreographien von John Cranko und MacMillan, die sich bis heute in unser kulturelles Gedächtnis eingeschrieben haben. Während Cranko den Fokus ganz auf die individuelle Tragödie der Liebenden legt und sein Ballett mit dem Selbstmord der beiden endet, ohne die abschließende Versöhnung der Familien oder den Kommentar der Gesellschaft, ist bei MacMillan, in vielem inspiriert von Crankos 41
»DU MUSST TANZEN, LIEBER ROMEO«
Fassung, Julia der »Main Character«, der die Entscheidungen trifft, während Romeo »von der Liebe mitgerissen« wird. MacMillans Romeo und Julia ist dabei vielleicht »das archetypische Shakespeare-Ballett« (Lynsey McCullouch) und ein Signaturwerk des Royal Ballet London, mit dem es 1965 seine Premiere feierte. »In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstand ein neuer Balletttypus, den ich […] ›Literaturballett‹ getauft habe. Indem sie das klassische Ballett mit Elementen des zeitgenössischen Tanzes und der ›natürlichen‹ Körpersprache verbanden, gelang es den Choreographen, eine ausdrucksstarke Bewegungssprache zu schaffen, die Figuren und Situationen und deren Entwicklung charakterisierte. Damit konnten sie verwirklichen, was Noverre und seine Zeitgenossen beabsichtigt hatten: komplexe Erzählungen aus der Literatur in Bewegungen umzusetzen«, erläutert Bührle eine essentielle Zeit der Ballettgeschichte des letzten Jahrhunderts, die auch den Umgang mit Shakespeare im Ballett prägte. Choreographen im deutschsprachigen Raum, die Meister des Literaturballetts waren und ikonische Werke geschaffen haben, waren der Südafrikaner John Cranko, der nicht nur mit seiner 1962 für das Stuttgarter Ballett entstandenen Fassung von Romeo und Julia großen Erfolg hatte, sondern auch im Komödiantischen mit seiner Widerspenstigen Zähmung brillierte, sowie John Neumeier, der immer nach der Essenz des Dramas suchend unzählige Werke nach Shakespeare wie Ein Sommernachtstraum, Hamlet und Romeo und Julia, aber auch eher ungewöhnliche Stoffe für den Tanz wie Wie es euch gefällt und Was ihr wollt choreographierte. »Adaptionen, Neuschöpfungen, Replikationen und Reduktionen bereichern nicht nur unser Verständnis aktueller und vergangener Tanzpraktiken, sondern auch ihrer Aufführungsstrategien und materiellen Bedingungen. Die choreographische Beschäftigung mit Shakespeares Texten seit der Mitte des 20. Jahrhunderts führt zu einem ganzheitlichen Zuhören, das sich mit dem Text durch eine Vielzahl von Idiomen, Ausstattungs- und Produktionstechniken, singulären Antworten, choreographischen Untersuchungen und Befragungen auseinandersetzt«, erläutert McCullouch und verweist auf Grundlegendes in der Auseinandersetzung von Ballettkünstler*innen im Umgang mit Shakespeare. Das Verhältnis von Tanz und Literatur wird stets aufs Neue untersucht und die Frage nach dem Umgang mit dem Text steht im Mittelpunkt. Ob dieser Wort für Wort analysiert und in Bewegung übersetzt wird oder sich der Körper ihm entgegenstellt, ob der Tanz die Geschichte mit der Sprache der Bewegung nacherzählt oder die Möglichkeit hat, Subtext und Inneres nach außen zu kehren, unzählige Versionen und Interpretationen von Shakespeares Werken im Ballett entstanden und entstehen. Gerade durch die diversen Welten, Emotionen, das Menschliche und Fantastische sind sie immer noch Inspiration. Dabei werden nicht nur die Klassiker und Kassenschlager wie Romeo und Julia und Ein Sommernachtstraum immer wieder aufs Neue kreiert, sondern Choreograph*innen widmen sich auch experimentelleren Werken des Autors wie Alexei Ratmansky, der 2013 The Tempest für das American Ballet Theatre choreographierte, oder Christopher Wheeldon, der mit The Winter’s Tale auch nicht den Einsatz von Technik scheut, um komplizierte Inhalte bzw. Regieanweisungen umzusetzen: »Exit, pursued by a bear«.
»DU MUSST TANZEN, LIEBER ROMEO«
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DAVID FULLER
»Shakespeare ohne Worte. Shakespeare im Tanz beinhaltet dieses Paradoxon: Shakespeare ohne das, was ihn am meisten ausmacht – die Poesie. Das mag noch problematischer erscheinen als Hamlet ohne den Prinzen. Aber ohne Worte sehen wir vielleicht mehr von dem, was ein Shakespeare-Stück, das als Text gedacht ist – Shakespeare hat sein Werk selten als Buch gesehen –, verschleiern kann: das Stück als narrative Struktur, verkörperte Bewegung, Abfolge von Tönen und Tableaus sowie emblematisches Szenenbild. […] Shakespeare-Ballette sind in erster Linie schöpferische Auswüchse der Werke, auf denen sie basieren, und haben ihre eigene Bedeutung. Sie können auch eine Form der kritischen Auseinandersetzung sein, eine Form des Nachdenkens über die Bedeutung des poetischen Dramas. […] Die Art und Weise, wie ein Ballett Ideen über das Stück, auf dem es basiert, hervorruft, kann ganz einfach sein: Der Tanz zeigt einen Aspekt des Dramas mit besonderer Lebendigkeit. Sogar Adaptionen, die rein auf der inneren Dynamik des Tanzes basieren, können zu neuen Erkenntnissen führen – wie bei Balletten, die versuchen, die grundlegenden Emotionen der Vorlage ohne deren spezifische erzählerische Auslöser zu evozieren. Das Ballett ist eine Form, in der Shakespeare eine reiche schöpferische Wirkung entfaltet hat, zum Teil deshalb, weil einige der Stücke ein inhärentes Potenzial für den Tanz haben – in grundlegenden Emotionen, die durch Bewegung kraftvoll vermittelt werden können; in ihrer Modulation, ihrem Nebeneinander und ihren Tonkontrasten; in ihren narrativen und dramatischen Strukturen.«
Ioanna Avraam (Perdita), Davide Dato (Florizel), Eno Peci (Schäfer Vater), Duccio Tariello (Clown), Sinthia Liz (Eine junge Schäferin), Ensemble
Davide Dato (Florizel) Ioanna Avraam (Perdita)
Ioanna Avraam (Perdita) →
← Ioanna Avraam (Perdita), Davide Dato (Florizel)
Sinthia Liz (Eine junge Schäferin)
Eno Peci (Schäfer Vater), Ioanna Avraam (Perdita), Davide Dato (Florizel), Duccio Tariello (Clown)
Davide Dato (Florizel), Ioanna Avraam (Perdita), Masayu Kimoto (Polixenes), Brendan Saye (Leontes), Ensemble
Brendan Saye (Leontes), Ketevan Papava (Paulina)
pandosto – der triumph der zeit ROBERT GREENE (1558–1592)
Eine erfreuliche Geschichte, in der aufgedeckt wird, dass die Wahrheit von der bösen Fortuna zwar verborgen werden kann, jedoch, Fortuna zum Trotz, von der Zeit ganz offenkundig enthüllt wird. Für das Alter ist es eine vergnügliche Geschichte, mit der schläfrige Gedanken vertrieben werden können, für die Jugend ist sie nützlich, weil sie sie von anderen leichtsinnigen Belustigungen fernhält. Auf diese Weise gereicht sie beiden zu der erwünsch ten Zufriedenheit. Temporis filia veritas. Von Robert Greene, Magister der freien Künste in Cambridge. Omne tulit punctum qui miscuit utile dulci. Die 1588 publizierte Prosa-Romanze Pandosto. Der Triumph der Zeit von Robert Greene gilt als Hauptquelle für Shakespeares Das Wintermärchen. 55
PANDOSTO – DER TRIUMPH DER ZEIT
Unter all den Leidenschaften, von denen der menschliche Geist verwirrt wird, gibt es keine, die so der mit ruheloser Tücke quält wie die ansteckende Entzündung der Eifersucht; denn alle anderen Schmerzen werden entweder durch vernünftige Überredung beruhigt, durch nützlichen Rat geheilt, bei Bedarf gelindert, oder sie lassen im Lauf der Zeit nach, ausgenommen die Eifersucht, die so mit argwöhnischen Zweifeln und zwickendem Misstrauen gewürzt ist, dass derjenige, der versucht, diese höllische Leidenschaft durch einen wohlgemeinten Rat auszumerzen, fortan verdächtigt wird, er gebe seinen Rat nur, um eigene Schuld zu verbergen. Ja, wer auch immer von dieser ruhelosen Marter gequält wird, zieht alles in Zweifel, misstraut sich selbst, ist immer steif gefroren vor Furcht und aufgeheizt durch Verdacht, wobei das, worin seine Freude besteht, zum Urheber seines Elends wird. Ja, die Eifersucht ist solch ein harter Feind für den heiligen Stand der Ehe, indem sie tödliche Samen des heimlichen Hasses unter Eheleuten sät, dass, wenn die Liebe erst einmal durch gehässiges Misstrauen ausgemerzt ist, oft blutige Rache folgt, wie die folgende Geschichte offenkundig beweist, in der Pandosto, wutentbrannt durch grundlose Eifersucht, den Tod seiner liebenden und treuen Gemahlin sowie sein eigenes endloses Leid und Elend hervorbringt. Im Lande Böhmen regierte ein König mit Namen Pandosto, dessen glücklicher Erfolg in Kriegen gegen seine Feinde und großzügige Höflichkeit gegenüber seinen Freunden in Friedenszeiten ihn sehr gefürchtet und geliebt bei allen Menschen machte. Dieser Pandosto hatte eine Frau Bellaria, die königlich von Geburt, gebildet aufgrund ihrer Erziehung, schön von Natur aus und berühmt wegen ihrer Tugenden war, so dass man schwer entscheiden konnte, ob ihre Schönheit, ihr Glück oder ihre Tugend das höchste Lob verdiente. Diese zwei, verbunden in inniger Liebe, verbrachten ihr Leben in so glücklicher Zufriedenheit, dass sich ihre Untertanen an ihrem ruhigen Wesen erfreuten. Sie waren nicht lange verheiratet, als die Schicksalsgöttin Fortuna, um ihr Glück zu vergrößern, ihnen einen Sohn schenkte, der so reich mit den Gaben der Natur ausgestattet war, dass die Vollkommenheit des Kindes die Liebe der Eltern und die Freude des gemeinen Volkes in hohem Maße vermehrte, so sehr, dass die Böhmen Freudenfeuer und Triumphzüge im ganzen Königreich veranstalteten sowie Tjoste und Turniere zu Ehren des jungen Prinzen ins Leben riefen, wohin nicht nur die Edelleute des eigenen Reiches, sondern auch mehrere benachbarte Könige und Fürsten eilten, um die Freundschaft, die sie Pandosto schuldeten, zu zeigen und Ruhm und Glanz durch ihre Vergangenheit und Tapferkeit zu gewinnen. Pandosto, dessen Gesinnung voll von fürstlicher Großzügigkeit war, wartete den Königen, Fürsten und Adligen mit solch ergebener Höflichkeit und solch großartiger Freigebigkeit auf, dass sie alle sahen, wie sehr er darum bemüht war, ihren guten Willen zu belohnen, und er gab ein allgemeines Fest für seine Untertanen, das zwanzig Tage dauerte. Als dieses feierliche Triumphfest einmal beendet war, nahmen die versammelten Menschen von Pandosto und Bellaria Abschied, und der junge Sohn, Garinter genannt, wurde im Hause zur großen Freude und Zufriedenheit der Eltern aufgezogen. Die Schicksalsgöttin Fortuna, die auf solch glücklichen Erfolg neidisch war und ein Zeichen ihrer Unbeständigkeit geben wollte, drehte ihr Rad und verdunkelte ihre helle Sonne des Glücks durch graue Wolken des Unglücks und Elends. Denn es geschah,
PANDOSTO – DER TRIUMPH DER ZEIT
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dass Egistus, der König von Sizilien, der in seiner Jugend zusammen mit Pandosto aufgewachsen war, beweisen wollte, dass weder zeitliche noch räumliche Entfernung ihre frühere Freundschaft vermindern könne, und so eine Schiffsflotte ausrüstete und nach Böhmen segelte, um seinen alten Freund und Gefährten zu besuchen; als dieser von der Ankunft hörte, machte er sich persönlich auf den Weg, zusammen mit seiner Gattin Bellaria und begleitet von einem großen Gefolge von Edelmännern und Edelfrauen, um Egistus zu empfangen; und als er ihn erblickte, stieg er von seinem Pferd, umarmte ihn voller Liebe, beteuerte, dass nichts Angenehmeres auf der Welt hätte passieren können als sein Kommen, und bat seine Frau, seinen alten Freund und Bekannten zu begrüßen; diese empfing ihn, um zu zeigen, wie sehr sie den mochte, den ihr Gatte liebte, mit solch ungezwungener Höflichkeit, dass Egistus sich als sehr willkommen wähnte. Nachdem sie sich so begrüßt und einander umarmt hatten, stiegen sie wieder auf die Pferde und ritten zur Stadt, wobei sie ausmalten und erzählten, wie sie als Kinder ihre Zeit in freundschaftlichem Zeitvertreib verbracht hatten. In der Stadt angekommen wurde Egistus von den Bürgern mit Triumphzügen und Darbietungen von solcher Art begrüßt, dass er sich wunderte, wie sie solche Vorbereitungen bei einer so kurzen Vorankündigung des Besuchs hatten treffen können. Sie durchquerten die Straßen und ritten zum Palast, wo Pandosto Egistus und seinen Sizilianern mit Banketten und üppigen Speisen und Getränken aufwartete, so königlich, dass sie alle Grund hatten, seine fürstliche Großzügigkeit zu loben; ja, sogar der niedrigste Sklave aus Sizilien wurde mit solcher Höflichkeit behandelt, dass Egistus leicht erkennen konnte, wie sehr er und die Seinen um seines Freundes willen geehrt wurden. Bellaria, die in ihrer Zeit die Blume der Höflichkeit war, wollte zeigen, wie aufrichtig sie ihren Gatten liebte, indem sie seinen Freund unterhielt, ihn so freundschaftlich behandelte, dass ihr Gesichtsausdruck verriet, wie ihr Herz sich zu ihm hingezogen fühlte; oft kam sie selbst in dessen Schlafgemach, um zu sehen, dass es nichts gab, was ihm missfallen könnte. Diese ehrliche Herzlichkeit zwischen ihnen wuchs von Tag zu Tag; denn da Bellaria in Egistus eine fürstliche und großzügige Gesinnung entdeckte, geschmückt mit verschiedenen hervorragenden Eigenschaften, und Egistus in ihr ein tugendhaftes und liebenswürdiges Wesen fand, so wuchs eine heimliche Bindung ihrer Zuneigung, dass der eine nicht gut ohne die Gesellschaft des anderen sein konnte: so sehr war dies der Fall, dass Bellaria, wenn Pandosto mit dringenden Geschäften zu tun hatte, so dass er nicht mit seinem Freund Egistus zusammen sein konnte, mit diesem in den Garten zu gehen pflegte, wo die beiden in persönlichen und angenehmen Gedanken die Zeit zu ihrer beider Zufriedenheit verbrachten. Da sie diese Gewohnheit weiter pflegten, drang eine gewisse düstere Leidenschaft in Pandostos Herz ein und trieb ihn zu verschiedenen zweifelnden Gedanken. Zuerst erinnerte er sich an die Schönheit seiner Gattin Bellaria, die Stattlichkeit und Tapferkeit seines Freundes Egistus, er dachte daran, dass die Liebe über allen Gesetzen steht und sich deshalb auch durch kein Gesetz aufhalten lässt, dass es kaum möglich war, Feuer und Flachs zusammen zu tun, ohne dass ein Brand entstand, dass ihre offenen Vergnügungen sein heimliches Missvergnügen verursachen könnten. Er bedachte bei sich, dass Egistus ein Mann war und notwendigerweise lieben musste 57
PANDOSTO – DER TRIUMPH DER ZEIT
und dass seine Gattin eine Frau war und deshalb der Liebe unterworfen und dass dort, wo Zuneigung Zwang ausübt, Freundschaft keine Macht mehr hat. Diese und ähnliche zweifelnde Gedanken entfachten schließlich, nachdem sie eine lange Zeit in seinem Magen geschwelt hatten, in seinem Herzen ein heimliches Misstrauen, das am Ende, geschürt durch Verdacht, zu flammender Eifersucht anwuchs, die ihn so quälte, dass er keine Ruhe fand. Er fing an, all ihre Handlungen zu beurteilen und ihre allzu private Vertraulichkeit zu missdeuten und glaubte, nicht ehrliche Zuneigung, sondern unkontrollierte Verliebtheit sei die Ursache, so dass er sie genauer zu beobachten begann, um zu sehen, ob er irgendeinen wahren und sicheren Beweis finden könne, der seinen zweifelhaften Verdacht bestätigte. Während er so ihre Blicke und Gesten registrierte und Schlüsse über ihre Gedanken und Absichten zog, suchten die beiden arglosen Seelen, die nichts von seiner verräterischen Absicht ahnten, täglich einer des anderen Gesellschaft, was Pandosto zu solch rasender Leidenschaft trieb, dass er einen heimlichen Hass auf Egistus und einen finster drohenden Blick gegenüber Bellaria entwickelte; diese wunderte sich über solch ungewohnte böse Blicke, stellte wilde Vermutungen und tausend verschiedene Überlegungen darüber an, wie sie wohl ihren Ehemann beleidigt haben könnte: doch da sie vor ihrem Gewissen schuldlos war, hörte sie auf nachzudenken, bis sie eine passende Gelegenheit fände, um nach der Ursache für seine trübe Stimmung zu fragen. Währenddessen war Pandostos Geist so mit Eifersucht beladen, dass er nicht länger zweifelte, sondern sicher war – wie er dachte –, dass sein Freund ein falsches Spiel mit ihm gespielt hatte, worauf er, um eine so große Beleidigung zu rächen, es für das Beste hielt, den Zorn hinter einem schönen, freundlichen Gesichtsausdruck zu verbergen, um ihm so in der Gestalt des Freundes die List des Feindes zu zeigen. Er überlegte lange, wie er am besten Egistus beseitigen könne, ohne dass ein Verdacht auf verräterischen Mord entstünde, und beschloss schließlich, ihn zu vergiften. Da diese Meinung seiner Gemütsverfassung gefiel, wurde er fest in seiner Entschlossenheit, und um die Angelegenheit besser durchzuführen, rief er seinen Mundschenk, dem er die Sache im Geheimen anvertraute und für die Ausführung des Planes jährliche Einkünfte von eintausend Kronen versprach. Entweder hatte sein Mundschenk ein gutes Gewissen oder er wollte solch ein blutiges Ansinnen zurückweisen, weil man derartiges einfach nicht tut, jedenfalls begann er, Pandosto unter Angabe schwerwiegender Gründe von seiner beschlossenen Untat abzuhalten, indem er ihm klarmachte, welch ein Vergehen der Mord für die Götter sei, dass solch widernatürliche Taten dem Himmel mehr missfielen als den Menschen und dass grundlose Grausamkeit selten oder nie ohne Rache davongekommen sei; er hielt ihm vor, dass Egistus sein Freund sei, ein König und zudem jemand, der in sein Königreich gekommen sei, um ein Bündnis der ewigwährenden Freundschaft zwischen ihnen zu besiegeln; dass er ihm gegenüber in der Vergangenheit und auch jetzt stets eine höchst freundliche Haltung gezeigt habe, dass Egistus nicht nur pflichtgemäß von seinen eigenen Leuten geehrt werde, sondern auch wegen seiner höflichen Umgangsformen von den Böhmen, und dass, wenn er ihn nun ohne gerechtfertigten oder offenkundigen Grund vergiften würde, dies nicht nur eine große Ehrlosigkeit seiner Majestät gegenüber darstelle sowie den Beginn ewiger Feindschaft zwischen Sizilianern und
PANDOSTO – DER TRIUMPH DER ZEIT
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Böhmen, sondern dass auch seine eigenen Untertanen angesichts solch verräterischer Grausamkeit murren würden. Diese und ähnliche Argumente von Franion – denn so hieß der Mundschenk – konnten Pandosto jedoch nicht im geringsten von seinem teuflischen Unternehmen abbringen, er begann vielmehr, da er fest entschlossen blieb – seine Wut war durch sein Toben so entfacht, dass sie mit Vernunft nicht beschwichtigt werden konnte –, mit bitteren Schmähungen seinen Mann herauszufordern und zwei »Köder« vor ihm auszulegen: Beförderung oder Tod; und er sagte, wenn er Egistus vergiftete, würde er ihn zu hohen Würden befördern, wenn er sich aus seiner störrischen Haltung heraus weigere, werde keine Marter zu groß sein, um seinen Ungehorsam zu vergelten. Da Franion sah, dass Pandosto weiter zu überreden, gegen den Strom schwimmen hieße, stimmte er zu, Egistus zu beseitigen, sobald sich die Gelegenheit dazu böte: damit war Pandosto zunächst zufrieden gestellt, und er hoffte, dass er für die Vertrauensbrüche nun voll gerächt würde, und er beabsichtigte auch, sobald Egistus tot war, seiner Frau einen eingetunkten Brocken von der gleichen Soße zu geben, und sich so derer zu entledigen, die die Ursache für sein ruheloses Leid waren ...
»Oh elender Pandosto! Welch wahrhaftigen Zeugen gibt es als das Gewissen! Welche bittere Gedanken als Verdächtigungen! Welch schlimmere Pest als die Eifersucht! Widernatürliche Taten sind nicht so sehr Vergehen gegen Menschen wie gegen die Götter, und unbegründete Grausamkeit kommt niemals ungerächt davon. Ich habe solch eine blutige Tat begangen, dass ich sie nur bereuen, aber nicht ungeschehen machen kann. Ah, Eifersucht! Sie ist dem Geist eine Hölle und dem Gewissen ein Greuel, sie unterdrückt den Verstand und treibt die Raserei an, ist eine schlimmere Leidenschaft als der Wahnsinn, eine größere Pest als Verrücktheit.«
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PANDOSTO – DER TRIUMPH DER ZEIT
WILLIAM SHAKESPEARE
Die Zeit: Ich, die ich heil und richte, Gute, Böse Erschreck und freu, Irrtümer schaff und löse, Ich nunmehr breite unterm Namen »Zeit« Die Schwingen aus. Seht’s nicht als Dreistigkeit Von Mir, wenn ich schnellflüglig sechzehn Jahre Nun springe und nichts weiter offenbare Von jenem »Zeiten-Raum«, denn ich hab Macht, Gesetze umzustoßen, Regeln über Nacht Zu setzen wie zu stürzen. Nehmt mich an, So wie ich bin, seit Ordnung einst begann, Vom Uranfang bis heut. Ordnungen sah Ich viele kommen; auch die neue da, Die frische, herrschende, und dern Gefunkel Mach ich so stumpf, wie euch mein Märchen dunkel Heut neben ihr erscheint. Erlaubt ihr’s, dann
PANDOSTO DER TRIUMPH DER ZEIT
Dreh ich mein Stundenglas, bring’s Stück voran, Als wärt ihr eingedöst; verlassen wir Leontes, der, zerquält von Reue, hier Sich selber einsperrt. Denkt also drum, Dass ich nunmehr, verehrtes Publikum, In Böhmen bin; erinnert euch noch schnell, Dass ich vom Königssohn sprach, Florizel, So ist sein Name, und gleich rede ich Von Perdita, die derart anmutig Nun ist, dass alles staunt. Was aus ihr wird, Verrat ich jetzt noch nicht, denn das entwirrt Beizeit die Zeit. Als Schäferstochter lebt Sie ganz und gar, und was daraus sich webt, Zeigt euch im Spiel die Zeit. Seht’s mit Bedacht, Wenn ihr Zeit schon mal schlechter habt verbracht; Habt ihr’s noch nie, wünscht Zeit euch unbedingt, Dass ihr sie niemals schlechter je verbringt. DAS WINTERMÄRCHEN, 4. AKT, 2. SZENE
hochzeit & pandostos ende ROBERT GREENE
... »Du elende Sklavin, du bösartige Schwindlerin, durch die Parzen zu niedrigem Schicksal bestimmt und trotzdem mit einem hochmütigen Geist nach Ehre schielend, wie kannst du dich erdreisten, dich mit einem Prinzen verbinden zu wollen? Durch deinen verführerischen Anblick den Sohn eines Königs zu verhexen, dass er seinem eigenen Land flieht, um deine unbeherrschte Lust zu erfüllen? Oh tückischer Geist! Ein stolzes Herz in einem Bettler ist wie ein großes Feuer in einer Hütte, das nicht das Haus wärmt, sondern es verbrennt. Sei sicher, du wirst sterben. Und du, alter seniler Narr, dessen Dummheit es zugelassen hat, dass die Tochter sich über ihr Schicksal erheben wollte, suche keinen anderen Lohn. Aber Capnio, der du den König betrogen und der ungesetzlichen Lust deines Herrn zugestimmt hast, ich weiß nicht, wie ich dich angemessen quälen kann: der Tod ist eine zu leichte Strafe für deine Falschheit. Ich bestimme daher, dass dir die Augen ausgestochen werden und du, solange bis du stirbst, in einer Mühle wie ein gefühlloses Tier Korn mahlen sollst.« Die Angst vor dem Tod ließ Fawnia und Capnio traurig schweigen, doch Porrus, der keine Hoffnung auf Leben sah, platzte mit diesen Worten heraus: »Pandosto und Ihr edlen Botschafter Siziliens, da ich sehe, dass ich grundlos verurteilt bin zu sterben, muss ich mein Gewissen vor meinem Tod erleichtern. Ich werde Euch soviel ich weiß erzählen und trotzdem nicht mehr als wahr ist. Während ich angeklagt bin, eine Stütze von Fawnias Stolz zu sein, und sie als übler Bettler verachtet wird, ist es so, dass ich weder ihr Vater bin, noch sie meine Tochter. Denn als ich ein armer Schafhirte in Sizilien war, der davon lebte, die Herden anderer Leute zu hüten, geschah es, dass eines meiner Schafe bis ans Meer streunte. Als ich es suchen ging, sah ich ein kleines Boot, das an Land getrieben war, und fand darin einen sechs Tage alten Säugling, eingehüllt in einen scharlachroten Mantel und mit dieser Kette um den Hals. Da ich das Kind bedauerte
HOCHZEIT & PANDOSTOS ENDE
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und den Schatz begehrte, nahm ich es mit nach Hause zu meiner Frau, die es mit großer Sorgfalt aufzog und dazu bestimmte, Schafe zu hüten. Hier sind die Kette und die Edelsteine, und diese Fawnia ist das Kind, das ich in dem Boot gefunden habe. Was sie ist und von welcher Herkunft, weiß ich nicht, aber ich bin sicher, dass sie kein Kind von mir ist.« Pandosto ließ ihn kaum seine Geschichte zu Ende erzählen, sondern fragte nach der Jahreszeit, der Art des Bootes und anderen Umständen. Als er fand, dass sie mit seiner Berechnung übereinstimmten, sprang er plötzlich von seinem Thron, küsste Fawnia, benetzte ihre sanften Wangen mit Tränen und rief: »Meine Tochter Fawnia! Oh, süße Fawnia! Ich bin dein Vater, Fawnia!« Dieser plötzliche Ausbruch des Königs versetzte sie alle in Erstaunen, besonders Fawnia und Dorastus. Aber als der König sich eine Weile an dieser neuen Freude gelabt hatte, erzählte er den Botschaftern die ganze Angelegenheit, wie er seine Frau Bellaria aus Eifersucht behandelt hatte und dass dies das Kind war, das er auf dem Meer hatte aussetzen lassen. Fawnia war nicht weniger erfreut, solch einen Vater gefunden zu haben, als Dorastus glücklich war, solch eine Frau zu bekommen. Die Botschafter jubelten, dass ihr junger Prinz eine solche Wahl getroffen hatte und dass die Königreiche, die durch Feindschaft lange Zeit getrennt waren, nun durch dauernde Freundschaft vereint und versöhnt sein sollten. Als die Bürger und Untertanen Böhmens hörten, dass der König seine Tochter wiedergefunden hatte, die angeblich tot war, machten sie aus Freude darüber, dass es einen gesetzlichen Thronfolger für sein Königreich gab, Freudenfeuer und Umzüge in der ganzen Stadt. Die Höflinge und Ritter veranstalteten Tjoste und Turniere, um des Königs Glücksfall zu feiern. Nach achtzehn Tagen dieser fürstlichen Vergnügungen machte Pandosto den alten Porrus zur Entschädigung vom Schafhirten zum Ritter. Danach stellte er eine Flotte auf und segelte begleitet von Dorastus, Fawnia und den sizilianischen Botschaftern nach Sizilien, wo er von Egistus fürstlich empfangen wurde. Als Egistus von diesem höchst sonderbaren Geschehen hörte, freute er sich sehr über das Glück seines Sohnes und feierte, zur ewigen Freude der beiden jungen Liebenden, ohne Aufschub die Hochzeit. Kaum war diese beendet, als Pandosto sich in Erinnerung rief, wie er zunächst seinen Freund Egistus betrogen hatte, dass seine Eifersucht der Grund für Bellarias Tod war und dass er gegen das Gesetz der Natur seine eigene Tochter begehrt hatte. Bewegt von diesen verzweifelten Gedanken, fiel er in Melancholie und, um die Komödie mit einem tragischen Kunstgriff zu schließen, tötete sich selbst. Sein Tod wurde viele Tage von Fawnia, Dorastus und seinem lieben Freund Egistus beklagt. Dorastus nahm Abschied von seinem Vater und ging mit seiner Frau und dem Leichnam Pandostos nach Böhmen. Nach der prächtigen Bestattung beendete Dorastus dort seine Tage in zufriedener Ruhe.
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HOCHZEIT & PANDOSTOS ENDE
WILLIAM SHAKESPEARE
Florizel zu Perdita: Was du auch tust, Es übertrifft, was du schon tatest. Wenn du sprichst, Wollt ich, du tätst es immer; wenn du singst, Wollt ich, du würdst Almosen singend geben, singend, Verkaufen, kaufen, singend beten, selbst Die Hausarbeit noch singen. Wenn du tanzt Wollt ich, du wärst im Meer die Welle, dass Du ewig nichts als das tust: tanzt, stets tanzt, Und darin völlig aufgingst. Was du tust, In jeder Einzelheit so einzigartig, Krönt im je neuen Tun, was du schon tatst, Und so wird jede Tat zur Königin.
DAS WINTERMÄRCHEN, 4. AKT, 4. SZENE
KOLUMNENTITEL
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ensemble & biographien
tänzerinnen & tänzer
Ioanna Avraam Erste Solotänzerin
Elena Bottaro Erste Solotänzerin
Davide Dato Erster Solotänzer
Olga Esina Erste Solotänzerin
Kiyoka Hashimoto Erste Solotänzerin
Hyo-Jung Kang Erste Solotänzerin
Masayu Kimoto Erster Solotänzer
Liudmila Konovalova Erste Solotänzerin
Marcos Menha Erster Solotänzer
Ketevan Papava Erste Solotänzerin
ENSEMBLE
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Alexey Popov Erster Solotänzer
Brendan Saye Erster Solotänzer
Claudine Schoch Erste Solotänzerin
Yuko Kato Senior Artist
Timoor Afshar Solotänzer
Sonia Dvořák Solotänzerin
Alice Firenze Solotänzerin
Rebecca Horner Solotänzerin
Aleksandra Liashenko Solotänzerin
Eno Peci Solotänzer
Arne Vandervelde Solotänzer
Géraud Wielick Solotänzer
Rashaen Arts Halbsolist
Natalya Butchko Halbsolistin
Jackson Carroll Halbsolist
Iliana Chivarova Halbsolistin
Calogero Failla Halbsolist
Giorgio Fourés Halbsolist
Gaia Fredianelli Halbsolistin
Sveva Gargiulo Halbsolistin
67
ENSEMBLE
Alexandra Inculet Halbsolistin
Gala Jovanovic Halbsolistin
Helen Clare Kinney Halbsolistin
Václav Lamparter Halbsolist
François-Eloi Lavignac Halbsolist
Eszter Ledán Halbsolistin
Sinthia Liz Halbsolistin
Anita Manolova Halbsolistin
Tomoaki Nakanome Halbsolist
Alaia Rogers-Maman Halbsolistin
Duccio Tariello Halbsolist
Zsolt Török Halbsolist
Benjamin Alexander Corps de ballet Staatsoper
Alisha Brach Corps de ballet Staatsoper
Marie Breuilles Corps de ballet Staatsoper
Victor Cagnin Corps de ballet Staatsoper
Laura Cislaghi Corps de ballet Staatsoper
Vanessza Csonka Corps de ballet Staatsoper
Giovanni Cusin Corps de ballet Staatsoper
Rose Dalton Corps de ballet Staatsoper
ENSEMBLE
68
Christian Falcier Corps de ballet Staatsoper
Andrés Garcia Torres Corps de ballet Staatsoper
Javier González Cabrera Corps de ballet Staatsoper
Adi Hanan Corps de ballet Staatsoper
Trevor Hayden Corps de ballet Staatsoper
Isabella Knights Corps de ballet Staatsoper
Zsófia Laczkó Corps de ballet Staatsoper
Phoebe Liggins Corps de ballet Staatsoper
Gaspare Li Mandri Corps de ballet Staatsoper
Meghan Lynch Corps de ballet Staatsoper
Tatiana Mazniak Corps de ballet Staatsoper
Godwin Merano Corps de ballet Staatsoper
Katharina Miffek Corps de ballet Staatsoper
Igor Milos Corps de ballet Staatsoper
Kirill Monereo de la Sota Corps de ballet Staatsoper
Junnosuke Nakamura Corps de ballet Staatsoper
Laura Nistor Corps de ballet Staatsoper
Hanno Opperman Corps de ballet Staatsoper
Ella Persson Corps de ballet Staatsoper
Catarina Pires Corps de ballet Staatsoper
69
ENSEMBLE
Kristián Pokorný Corps de ballet Staatsoper
Nicola Rizzo Corps de ballet Staatsoper
Jieun Shim Corps de ballet Staatsoper
Iulia Tcaciuc Corps de ballet Staatsoper
Helena Thordal-Christensen Corps de ballet Staatsoper
Chiara Uderzo Corps de ballet Staatsoper
Céline Janou Weder Corps de ballet Staatsoper
Gabriele Aime Corps de ballet Volksoper
Dominika Ambrus Corps de ballet Volksoper
László Benedek Corps de ballet Volksoper
Vivian de Britto-Schiller Corps de ballet Volksoper
Nina Cagnin Corps de ballet Volksoper
Roman Chistyakov Corps de ballet Volksoper
Kristina Ermolenok Corps de ballet Volksoper
Tainá Ferreira Luiz Corps de ballet Volksoper
Adrien Fougères* Corps de ballet Volksoper
Riccardo Franchi Corps de ballet Volksoper
Kevin Hena Corps de ballet Volksoper
Julia Köhler* Corps de ballet Volksoper
Tessa Magda Corps de ballet Volksoper
ENSEMBLE
70
Dragos Musat Corps de ballet Volksoper
Keisuke Nejime Corps de ballet Volksoper
Aleksandar Orlić Corps de ballet Volksoper
Matilda Poláková* Corps de ballet Volksoper
Olivia Poropat Corps de ballet Volksoper
Marie Ryba Corps de ballet Volksoper
Natalie Salazar Corps de ballet Volksoper
Francesco Scandroglio Corps de ballet Volksoper
Marta Schiumarini Corps de ballet Volksoper
Mila Schmidt Corps de ballet Volksoper
Gleb Shilov Corps de ballet Volksoper
Felipe Vieira Corps de ballet Volksoper
Martin Winter Corps de ballet Volksoper
Una Zubović Corps de ballet Volksoper
*Karenzvertretung
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ENSEMBLE
Foto © Florian Moshammer
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CHRISTOPH KONCZ – Musikalische Leitung Christoph Koncz zählt zu den herausragenden Musikern seiner Generation und steht regelmäßig am Pult renommierter Klangkörper wie London Symphony, Orchestre de Paris, Sächsische Staatskapelle Dresden, Mahler Chamber Orchestra, Swedish Radio Symphony, Philharmonia Orchestra London, Orchestre de la Suisse Romande, hr‑Sinfonieorchester Frankfurt, Deutsches Symphonie‑Orchester Berlin, City of Birmingham Symphony, Orquestra Sinfônica do Estado de São Paulo oder Hong Kong Philharmonic. In der aktuellen Saison folgen seine Debüts bei den Wiener Symphonikern, dem Israel Philharmonic Orchestra, Orchestra Sinfonica di Milano sowie Utah Symphony Orchestra. Außerdem kehrt er zum London Symphony Orchestra, Hong Kong Philharmonic und Orchestre Métropolitain de Montréal zurück und leitet am Nationaltheater Prag Don Giovanni, an der Opera North Leeds Die Zauberflöte sowie an der Opéra national du Rhin Strasbourg eine Neuproduktion von La Traviata. Im September 2023 wurde Christoph Koncz zum Musikdirektor des Orchestre symphonique de Mulhouse ernannt. Seit 2019 ist er Chefdirigent der Deutschen Kammerakademie Neuss sowie Erster Gastdirigent von Les Musiciens du Louvre. Eine enge Zusammenarbeit verbindet ihn weiters mit dem Verbier Festival Chamber Orchestra. Auf sein Dirigierdebüt bei der Mozartwoche Salzburg 2013 folgten Auftritte in den Philharmonien von Berlin, Köln, Hamburg und München, dem Wiener Musikverein und Konzerthaus, KKL Luzern, Concertgebouw Amsterdam sowie bei den Salzburger Festspielen. 1987 als jüngster Sohn einer österreichisch-ungarischen Musikerfamilie in Konstanz geboren, erhielt Christoph Koncz im Alter von vier Jahren seinen ersten Violinunterricht und wurde bereits zwei Jahre später an die Wiener Musikuniversität aufgenommen, wo er 2005 zusätzlich ein Dirigierstudium bei Mark Stringer begann. Meisterkurse bei Daniel Barenboim, Daniel Harding und David Zinman ergänzen seine Ausbildung. International bekannt wurde er als Neunjähriger in der Rolle des Wunderkinds Kaspar Weiss im Kinofilm The Red Violin. 2008 wurde er im Alter von nur zwanzig Jahren Stimmführer der 2. Violinen der Wiener Philharmoniker – eine Position, die er bis 2023 bekleidete. Seine Einspielung von Mozarts sämtlichen Violinkonzerten als Solist und Dirigent mit Les Musiciens du Louvre erschien 2020 bei Sony Classical und sorgte als erste Aufnahme dieser Werke auf der originalen Barockgeige des Komponisten für internationales Aufsehen. Mit Arvo Pärts Tabula Rasa im Wiener Staatsballett-Programm Goldberg-Variationen gab Christoph Koncz 2023 sein Debüt als Dirigent in der Wiener Staatsoper.
BIOGRAPHIEN
JOHANNES WITT – Musikalische Leitung Johannes Witt studierte Dirigieren bei Michael Luig an der Hochschule für Musik und Tanz Köln sowie bei Leonid Korchmar am Rimski-KorsakowKonservatorium St. Petersburg und ist außerdem ausgebildeter Schlagzeuger, spezialisiert auf Marimba. Seine berufliche Laufbahn begann er als Korrepetitor am Staatstheater Darmstadt. Von 2012 bis 2021 war er als Kapellmeister und Korrepetitor sowie Assistent von Stefan Soltész am Aalto Theater Essen tätig. Seit 2021/22 ist er 1. Kapellmeister an den Wuppertaler Bühnen. Sein Repertoire umfasst ein breites Spektrum an Opern und Operetten, darunter Cain, overo il primo omicidio, Orfeo ed Euridice, Die Zauberflöte, Così fan tutte, Don Giovanni, Il barbiere di Siviglia, Norma, Die lustigen Weiber von Windsor, Werther, La Traviata, Il Trovatore, Rigoletto, Madama Butterfly, Hänsel und Gretel, Die verkaufte Braut, Die Fledermaus, Die Csárdásfürstin, Das Land des Lächelns, Erwartung, Heart Sutra (Christian Jost), The Raven (Toshio Hosokawa) oder Il canto s’attrista, perché? (Salvatore Sciarrino). Darüber hinaus widmet sich Johannes Witt mit großer Leidenschaft dem Tanz. Zu seinen Balletterfahrungen gehören Produktionen von Giselle, Schwanensee, Der Nussknacker, Dornröschen, Don Quixote, Romeo und Julia oder Carmen/Bolero. Nach der Premiere von Onegin beim Aalto Ballett Essen dirigierte er die Cranko-Produktion 2021 auch beim Stuttgarter Ballett, die Premiere des Norwegischen Nationalballetts sowie Vorstellungen an der Wiener Staatsoper. Beim Stuttgarter Ballett und Aalto Ballett Essen stand er außerdem bei Crankos Der Widerspenstigen Zähmung am Pult, in der Wiener Staatsoper dirigierte er La Fille mal gardée. Weitere Gastspiele führten Johannes Witt an die Finnische Nationaloper, Oper Bonn, das Nationaltheater Mannheim, Staatstheater Kassel, Pfalztheater Kaiserslautern und Teatro de la Maestranza Sevilla. Zu den Highlights 2023 zählte die Niederländische Premiere von Du Yuns Oper Angel’s Bone im Amsterdamer Muziekgebouw. Das Konzertrepertoire von Johannes Witt umfasst Werke vom Barock bis in die Gegenwart. Er arbeitete mit Orchestern wie der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen, dem Württembergischen Kammerorchester Heilbronn, den Duisburger Philharmonikern, Essener und Bremer Philharmonikern, der Philharmonie Südwestfalen, dem Sinfonieorchester Wuppertal, Folkwang Kammerorchester Essen oder dem Vanemuine Symphony Orchestra. In dieser Saison folgt sein Debüt beim Funkhausorchester des WDR Köln. Als künstlerischer Leiter des Landesjugendorchesters Hamburg, dem er seit 2020 vorsteht, teilt er seine Liebe zur Arbeit mit hochbegabten jungen Musiker*innen.
BIOGRAPHIEN
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CHRISTOPHER WHEELDON – Choreographie & Szenario Christopher Wheeldon gehört zu den weltweit gefragtesten Choreographen und Regisseuren. Er erhielt seine Ausbildung an der Royal Ballet School und wurde 1991 ins Royal Ballet London engagiert. Ab 1993 war er Mitglied des New York City Ballet, ab 1998 als Solist. 2001 folgte seine Ernennung zum ersten Resident Choreographer der Compagnie. Seither choreographiert und inszeniert er für viele wichtige Ballettcompagnien weltweit. Er ist Artistic Associate des Royal Ballet, für das er neben zahlreichen weiteren Werken Alice’s Adventures in Wonderland und The Winter’s Tale – beide in Koproduktion mit dem National Ballet of Canada – schuf. 2012 kam sein Ballett Cinderella bei Het Nationale Ballet zur Uraufführung. Außerdem choreographierte er für die Metropolitan Opera, schuf Ballettsequenzen für den Kinofilm Center Stage (2000) und Sweet Smell of Success am Broadway (2002), kreierte einen Beitrag für die Abschlusszeremonie der Olympischen Spiele 2012 in London und war künstlerischer Leiter der Ausstellung Fashion Forward im Pariser Musée des Arts décoratifs (2016). Zu den weiteren Höhepunkten seiner Karriere zählen The Nutcracker in einer Neuinszenierung für das Joffrey Ballet, Corybantic Games für das Royal Ballet, eine neue Version von Cinderella für das English National Ballet sowie Like Water for Chocolate für das Royal Ballet in Kooperation mit dem American Ballet Theatre. Mit Oscar© kam 2024 ein weiteres abendfüllendes Werk mit dem Australian Ballet zur Uraufführung. Im Jahr 2014 zeichnete Christopher Wheeldon für die Regie und Choreographie der Musicalversion von An American in Paris am Broadway verantwortlich, die auch in Paris, New York und London aufgeführt wurde. Zuletzt inszenierte und choreographierte er MJ The Musical (2022). Beide Produktionen wurden mit vier Tony Awards ausgezeichnet, zwei davon in der Kategorie »Beste Choreographie«. MJ ist derzeit am Broadway, auf Amerika-Tournee sowie am Londoner West End zu sehen und wird in dieser Saison auch in Hamburg und Sydney seine Premiere feiern. Zu Christopher Wheeldons zahlreichen weiteren Auszeichnungen gehören zwei Tony-Nominierungen für »Beste Regie«, ein Outer Critics Award für »Beste Choreographie« und »Regie«, der Martin E. Segal Award des Lincoln Center, der American Choreography Award, der Dance Magazine Award, mehrere London Critics’ Circle Awards, der Léonide Massine Prize, der Prix Benois de la Danse sowie Olivier Awards für seine Ballette Aeternum und Polyphonia. Christopher Wheeldon ist Officer of the Order of the British Empire (OBE) und Honorary Fellow der American Academy of Arts and Sciences. Er besitzt die doppelte Staatsbürgerschaft der Vereinigten Staaten und des United Kingdom und lebt in New York City. 75
BIOGRAPHIEN
JOBY TALBOT – Musik & Szenario Joby Talbot wurde in London geboren und studierte Komposition bei Brian Elias sowie am Royal Holloway and Bedford New College, bevor er seinen Master of Music an der Guildhall School of Music and Drama bei Simon Bainbridge absolvierte. Sein vielfältiges Œuvre umfasst abendfüllende Ballette und zeitgenössische Tanzwerke, kleine und große Chorund Vokalwerke, Orchesterstücke, Konzerte und Filmmusik. Chroma (2006) für Wayne McGregor und das Royal Ballet war Talbots erste wichtige Zusammenarbeit mit einem Choreographen, auf die mit Genus (Ballet de l’Opéra de Paris, 2007) und Entity (Random Dance, 2008) weitere Kollaborationen folgten. Alice’s Adventures in Wonderland für Christopher Wheeldon war die erste abendfüllende Partitur, die das Royal Ballet seit zwanzig Jahren in Auftrag gab und ist inzwischen ein Klassiker. Neben The Winter’s Tale, 2015 mit dem Prix Benois de la Danse in der Kategorie »Komposition« ausgezeichnet, arbeitete Talbot mit Wheeldon auch für Tide Harmonic (2009), einer Partitur, die ursprünglich für die Choreographin Carolyn Carlson entstand, und Fool’s Paradise (2007), das auf Talbots Stummfilmmusik The Dying Swan basiert, zusammen. 2022 folgte die Musik zu Wheeldons Like Water for Chocolate für das Royal Ballet in Kooperation mit dem American Ballet Theatre, 2024 feierte mit Oscar© ein weiteres abendfüllendes Werk des Duos mit dem Australian Ballet Premiere. Nach dem großen Erfolg der Oper Everest brachte die Dallas Opera mit The Diving Bell and The Butterfly 2023 auch Talbots zweite Oper zur Uraufführung. Von seinen Chorwerken ist The Choral Path of Miracles (2005) besonders hervorzuheben – eine 60-minütige A-cappella-Reise entlang des Jakobswegs. Zu den zahlreichen renommierten Ensembles und Festivals, die Talbots Werke aufführen, zählen das Philharmonia Orchestra London, BBC Symphony Orchestra, BBC National Orchestra of Wales, Calder Quartet, The King’s Singers, die Britten Sinfonia und Britten Voices, Royal Liverpool Philharmonic, die Independent Opera sowie die BBC Proms, das Norfolk und das Norwich Festival oder Barbican’s Weekend of New Music. Talbots umfangreiche Erfahrung im Komponieren für die Leinwand zeigt sich in Projekten wie seinen Scores für die BBC-Comedyserie The League of Gentlemen, die Spielfilme Per Anhalter durch die Galaxis (Garth Jennings, 2005) und Closed Circuit (John Crowley, 2013) sowie Neuvertonungen von Stummfilmen wie Alfred Hitchcocks The Lodger, Jewgeni Bauers The Dying Swan und Carl Theodor Dreyers Vampyr. An der Wiener Staatsoper war 2015 im Rahmen der Ballettpremiere Thoss/Wheeldon/Robbins Talbots Musik zu Wheeldons Choreographie Fool’s Paradise zu erleben.
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BOB CROWLEY – Bühne & Kostüme Der irische Bühnen- und Kostümbildner Bob Crowley absolvierte nach einem Studium der bildenden Kunst an der Crawford Art School eine Ausbildung in Theaterdesign an der Bristol Old Vic Theatre School. Mit der Inszenierung von The Duchess of Malfi am Royal Exchange Theatre Manchester feierte er einen ersten Erfolg, der zahlreiche Aufträge für die Shakespeare Company und das National Theatre London, aber auch Arbeiten für den Broadway und das West End wie z.B. die mit einem Tony Award ausgezeichnete Mary Poppins-Produktion nach sich zog. 1987 gab Crowley sein Debüt am Londoner Royal Opera House, für das er u.a. das Design für The King Goes Forth to France, La Traviata und The Knot Garden entwarf. An der New Yorker Metropolitan Opera gestaltete er die Ausstattung für Don Carlos, am Pariser Théâtre du Châtelet für Das schlaue Füchslein. Nach einem neuen Design für die Wiederaufnahme von Kenneth MacMillans Anastasia 1996 für das Royal Ballet entwickelte sich eine intensive Zusammenarbeit mit Christopher Wheeldon für Pavane pour une infante défunte und Strapless, Alice’s Adventures in Wonderland, The Winter’s Tale und Like Water for Chocolate sowie die am Broadway, in Paris und London gezeigte Musical-Version von An American in Paris. Weitere Arbeiten für Kino und Fernsehen umfassen Othello, Tales from Hollywood und Suddenly Last Summer. Bob Crowley erhielt sieben Tony Awards und zahlreiche Olivier Awards, den Royal Designer for Industry Award und den Robert L.B. Tobin Award for Lifetime Achievement in der Kategorie »Theatrical Design«. NATASHA KATZ – Licht Natasha Katz ist Lightdesignerin für Musical, Oper, Tanz und Schauspiel. Geboren in New York City erhielt sie ihre Ausbildung am Oberlin College und bei dem renommierten Designer Roger Morgan. Ihre über 65 Lightdesigns für den Broadway umfassen Aida, The Glass Mena gerie, The Coast of Utopia, Once, An American in Paris und Long Day’s Journey Into Night. Sie kreierte das Licht für Opern- und Tanzproduktionen der Metropolitan und New York City Opera, des New York City Ballet, American Ballet Theatre, San Francisco Ballet, National Ballet of Canada, Royal Opera Ballet oder Het Nationale Ballet Amsterdam sowie am Off-Broadway. Außerdem entstanden Lightdesigns für Konzerte von Shirley MacLaine, Ann-Margret und Tommy Tune sowie Installationen für Niketown in New York und London sowie den Big Bang im American Museum of Natural History in New York. Eine enge künstlerische Partnerschaft verbindet Natasha Katz mit Christopher Wheeldon bei dessen Choreographien The Winter’s Tale, Alice’s Adventures in Wonderland, 77
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Tryst, Cinderella, The Nutcracker, Swan Lake, Continuum, Carnival of the Animals und An American in Paris. Neben fünfzehn Tony-Nominierungen konnte sie 2022 ihren siebten Tony Award für das Licht zu Wheeldons MJ The Musical entgegennehmen. 2018 wurde sie in die New Yorker Theatre Hall of Fame aufgenommen. Sie ist Mentorin am Theatre Development Fund Wendy Wasserstein Project und stellvertretende Vorsitzende des American Theatre Wing. DANIEL BRODIE – Projection Design Daniel Brodie wurde in Las Vegas geboren und studierte Theater- und Mediendesign am Herberger Institute for Design and the Arts der Arizona State University. Heute lebt er in New York und ist als Video- und Projection-Designer sowie Content Creator tätig. Zu seinen Arbeiten zählen Broadway-, West End- sowie internationale Produktionen von Musicals wie Motown, The Wiz, Jekyll and Hyde oder Disneys Aladdin. Für Christopher Wheeldon entstanden seine Projection Designs für The Winter’s Tale und Cinderella. Darüber hinaus verbindet ihn eine enge Zusammenarbeit mit dem Puppenspieler Basil Twist, aus der die Off-Broadway-Produktion mit Drag Queen Joey Arias Arias with a Twist, das »Ballett ohne Tänzer*innen« Rite of Spring im New Yorker Lincoln Center und die Oper Titon et l’Aurore an der Pariser Opéra Comique besonders hervorzuheben sind. Größere Arbeiten entstanden auch für das Bonnaroo Music and Arts Festival sowie für Musiker*innen wie Mariah Carey oder James Murphy. BASIL TWIST – Silk Effects Design Der in San Francisco geborene und an der École Supérieure Nationale des Arts de la Marionnette im französischen Charleville-Mézières ausgebildete Basil Twist gehört in dritter Generation einer Puppenspielerfamilie an. Große Aufmerksamkeit erzielte er beim New Yorker Jim Henson International Festival of Puppetry mit The Araneidae Show sowie der mehrfach preisgekrönten Symphonie Fantastique. Er befasst sich aber auch intensiv mit dem Repertoire aus Oper und Ballett. Zu den Höhepunkten seiner Arbeiten zählen Petruschka im Auftrag des Lincoln Center und Dogugaeshi für The Japan Society, Behind the Lid für die Silver Whale Gallery und Arias with a Twist – eine Produktion, die wie Symphonie Fantastique auch auf Welttournee zu sehen war. An der Opéra Comique führte er in einer Produktion von Les Arts Florissants unter der Leitung von William Christie Regie bei der Oper Titon et l’Aurore, mit Phelim McDermott arbeitete er bei einer Inszenierung von Aida für die English National Opera, das Grand Théâtre de Genève und die Houston Grand Opera zusammen. 2019 gab er im Team mit Adrian Noble sein Debüt an der Wiener Staatsoper bei
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der Premiere Otello. Im Tanzbereich kreierte er 2017 das Bühnenbild und die Puppenspielerszenen für die Uraufführung von Edwaard Liangs Dorothy and the Prince of Oz für das Tulsa Ballet. Mit Christopher Wheeldon arbeitete er bei Cinderella für Het Nationale Ballet Amsterdam und San Francisco Ballet, The Nutcracker für das Joffrey Ballet sowie The Winter’s Tale für das Royal Ballet zusammen. Am Broadway zeichnete er für die Puppenspielszenen in Charlie and The Chocolate Factory, Oh, Hello! und The Addams Family verantwortlich. Unter den Preisen, mit denen Twist ausgezeichnet wurde sind Drama Desk Awards, UNIMA Awards, Bessie Awards, ein Obie und ein Henry Hewes Design Award, der Guggenheim und USA Fellowship Award, Doris Duke Performing Artist Award sowie Stipendien der Jim Henson Foundation. Er unterrichtet an mehreren Universitäten und leitet das Dream Music Puppetry Program des New Yorker Arts Center HERE. JASON FOWLER – Einstudierung Jason Fowler erhielt seine Ballettausbildung am Dallas Ballet Center, der Dallas Ballet Academy und der School of American Ballet. Ab 1996 war er Mitglied des New York City Ballet und wurde 2006 zum Solisten befördert. Er tanzte neben einem umfangreichen Corps de ballet-Repertoire zahlreiche solistische Rollen u.a. in George Balanchines Divertimento No. 15, Scotch Symphony, Agon, Symphony in C, The Four Temperaments, La Valse und Chaconne, Mauro Bigonzettis Vespro, In Vento und Oltremare sowie Christopher Wheeldons Polyphonia, Mercurial Manoeuvres und After the Rain. Seit seiner Tätigkeit als Ballettmeister für Morphoses – The Wheeldon Company im Jahr 2010 studiert er die Werke Wheeldons für Ensembles wie das Royal Ballet London, New York City Ballet, Ballet de l’Opéra de Paris, Boston Ballet, Pacific Northwest Ballet, Pennsylvania Ballet, Miami City Ballet, Ballet Arizona, Australian Ballet, Royal Swedish und Royal Danish Ballet, Balletto dell’Opera di Roma, Hong Kong Ballet, Staatsballett Karlsruhe, The National Ballet of Japan, Joffrey Ballet, Bolschoi-Ballett, Bayerisches Staatsballett, National Ballet of Canada, Les Ballets de Monte-Carlo, English National Ballet und Mariinski-Ballett ein. Beim Wiener Staatballett war er erstmals 2015 für die Einstudierung von Wheeldons Fool’s Paradise zu Gast.
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GREGORY MISLIN – Einstudierung Der französische Benesh-Choreologe und ehemalige Tänzer Gregory Mislin wurde an der Ballettschule der l’Opéra de Paris ausgebildet und anschließend an das Ballett der Pariser Oper engagiert. Später kam er als Solist zum Bayerischen Staatsballett und tanzte u.a. Werke von Marius Petipa, Serge Lifar, Bronislava Nijinska, Léonide Massine, Michel Fokine, John Cranko, George Balanchine, Jerome Robbins, Kenneth MacMillan, Frederick Ashton, Rudolf Nurejew, Patrice Bart, Ray Barra, Peter Wright, John Neumeier, Merce Cunningham, Lucinda Childs, Mats Ek, William Forsythe, Nacho Duato, Martin Schläpfer, Jiří Kylián, Hans van Manen und Jacopo Godani. 2012 schloss er sein Studium am Benesh Institute London als Choreologe ab und erwarb das französische Staatsdiplom als Tanzpädagoge. Seit 2014 ist Gregory Mislin als Benesh-Choreologe beim Royal Ballet London engagiert, wo er nicht nur am aktuellen Repertoire arbeitet, sondern mit Hilfe der Benesh-Notation auch die für das Ensemble entstandenen Neu-Kreationen der Choreograph*innen Christopher Wheeldon, Wayne McGregor, Liam Scarlett, Hofesh Shechter und Crystal Pite niedergeschrieben hat. Darüber hinaus war er für die Einstudierungen von Wheeldons Like Water for Chocolate beim American Ballet Theatre, Ivan Liškas Le Corsaire beim Finnischen Nationalballett und Boston Ballet und Liam Scarletts Frankenstein beim San Francisco Ballet verantwortlich und als Assistent am Bayerischen Staatsballett u.a. bei Ray Barras Schwanensee tätig. JILLIAN VANSTONE – Einstudierung Jillian Vanstone ist Einstudiererin, Probenleiterin und Coach für Christopher Wheeldons Ballette sowie freiberufliche Produzentin. Als ehemalige Erste Solotänzerin des National Ballet of Canada wurde sie während ihrer 22-jährigen Karriere für ihre einzigartige Fähigkeit, Geschichten zu erzählen, und ihre außergewöhnliche Technik gefeiert. Ihr Repertoire umfasste die Klassiker des 19. Jahrhunderts, die Meisterwerke des 20. Jahrhunderts und neue Ballette der führenden Choreograph*innen der Gegenwart. Am bekanntesten ist sie für ihre Interpretation der Alice in Wheeldons Alice’s Adventures in Wonderland. Im März 2022 gab sie mit Wheeldons After the Rain ihren Bühnenabschied. Seither arbeitet sie mit Compagnien wie dem Hamburg Ballett, Royal Ballet London, Los Angeles Ballet, National Ballet of Canada, Queensland Ballet und Torontos führendem internationalen Tanzfestival Fall for Dance North.
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EDWARD WATSON – Einstudierung Edward Watson zählte zu den herausragendsten britischen Tänzern seiner Generation. Geboren in Bromley, Südlondon, erhielt er seine Ausbildung an der Royal Ballet School, wurde nach seinem Abschluss 1994 Mitglied des Royal Ballet und 2005 zum Principal Dancer befördert. Zu seinem Repertoire zählen die Hauptrollen in Werken Frederick Ashtons und Kenneth MacMillans ebenso wie zahlreiche ihm auf den Leib geschriebene Kreationen von Choreographen wie Wayne McGregor, Christopher Wheeldon, Alexei Ratmansky oder Arthur Pita, darunter Rollen in Symbiont(s), Qualia, Chroma, Infra, Limen, Carbon Life, Raven Girl, Tetractys, Woolf Works, Obsidian Tear, Multiverse und The Dante Project von McGregor sowie Lewis Carroll/The White Rabbit in Alice’s Adventures in Wonderland, Leontes in The Winter’s Tale und John Singer Sargent in Strapless von Wheeldon. Weitere Choreograph*innen, mit denen Watson zusammenarbeitete, waren Siobhan Davies, David Dawson, Javier De Frutos, Alastair Marriott, Cathy Marston und Ashley Page. Im Oktober 2021 verabschiedete sich Edward Watson mit McGregors The Dante Project als Tänzer des Royal Ballet und ist seither als Répétiteur und Coach für das Ensemble tätig. Edward Watson modelt für zahlreiche Fashionlabels, renommierte Magazine und auf dem Laufsteg und arbeitet mit hochkarätigen Fotografen wie Nick Knight, Nadav Kandar, Anthony Crickmay und Rick Guest zusammen. 2023 erschien im Prestel-Verlag der Bildband Ed Watson: A Different Dance. Unter den zahlreichen Preisen, mit denen Edward Watsons Künstlertum gewürdigt wurde, sind der Olivier Award 2012 für »herausragende Leistungen im Tanz« für seine Interpretation des Gregor Samsa in Pitas Metamorphosis, der Prix Benois de la Danse 2015 für die Rolle des Leontes in Wheeldons The Winter’s Tale sowie die Critics’ Circle Awards 2001 und 2008. Darüber hinaus wurde er 2015 mit dem Member of the Order of the British Empire (MBE) ausgezeichnet.
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Kultur bewegt uns alle. Die OMV und die Wiener Staatsoper verbindet eine jahrelange Partnerschaft. Unser Engagement geht dabei weit über die Bühne hinaus. Wir setzen uns aktiv für Jugend und Nachwuchsprojekte ein und ermöglichen den Zugang zu Kunst und Kultur für junge Menschen. Gemeinsam gestalten wir eine inspirierende Zukunft. Alle Partnerschaften finden Sie auf: omv.com/sponsoring
Mit freundlicher Unterstützung des Belvedere, Leopold Museum und creativecommons.org
Ö1 Club. In guter Gesellschaft. Mit Kunst, Kultur und Wissenschaft. Mit Menschen, die sich dafür interessieren. Mit Ermäßigungen für zwei bei 600 Kulturpartnern, dem monatlichen Ö1 Magazin gehört, Freikarten und exklusiven Veranstaltungen. Alle Vorteile für Ö1 Club-Mitglieder auf oe1.ORF.at/club
EMBARK ON AN IMMERSIVE JOURNEY
© JAKOB TROST
EXPERIENCE VIENNESE CHARM TODAY
Sinfonia Eroïca
SIDI LARBI CHERKAOUI . BALLET DU GRAND THÉÂTRE DE GENÈVE
26 APRIL 2025 © Diana Markosian
24 JAN 2025
JAN MARTENS VOICE NOISE
© Klaartje Lambrechts
MICHÈLE ANNE DE MEY . AYRTON DESIMPELAERE
© Julien Lambert
29 MÄRZ 2025
Eine Produktion des Ballet Preljocaj in Koproduktion mit: La Villette – Paris, Chaillot Théâtre National de la danse, Festival Montpellier Danse 2024, Grand Théâtre de Provence, Vichy Culture-Opéra de Vichy
Ange ngelilin n Pre Preljocaj Req Re quiem(s)
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Festspiel -Mäzenin ALINE FORIEL-DESTEZET www.osterfestspiele.at Donnerstag, 17. April 2024, 19:00, Felsenreitschule Tickets ab EUR 30, Tickets für U27 EUR 15
FOTO © DIDIER PHILISPART DESIGN: OFF OFFICE
Choreographie ANGELIN PRELJOCAJ Musik GYÖRGY LIGETI, WOLFGANG AMADEUS MOZART, SYSTEM OF A DOWN, JOHANN SEBASTIAN BACH, OLIVIER MESSIAEN, GEORG FRIEDRICH HAAS, 79D & MITTELALTERLICHE GESÄNGE Tänzerinnen und Tänzer BALLET PRELJOCAJ Licht ÉRIC SOYER Kostüme ELEONORA PERONETTI Video NICOLAS CLAUSS Bühne ADRIEN CHALGARD
impressum The Winter’s Tale Christopher Wheeldon Spielzeit 2024/25 HERAUSGEBER Wiener Staatsoper GmbH, Opernring 2, 1010 Wien Direktor: Dr. Bogdan Roščić Kaufmännische Geschäftsführerin: Dr. Petra Bohuslav Direktor & Chefchoreograph Wiener Staatsballett: Martin Schläpfer Kaufmännische Leiterin Wiener Staatsballett: Mag. Simone Wohinz Redaktion: Mag. Anne do Paco, Nastasja Fischer MA, Mag. Iris Frey Gestaltung & Konzept: Fons Hickmann M23, Berlin Bildkonzept Cover: Martin Conrads Layout & Satz: Irene Neubert Hersteller: Print Alliance HAV Produktions GmbH, Bad Vöslau AUFFÜHRUNGSRECHTE Für die Choreographie © Christopher Wheeldon Für die Musik von Joby Talbot © Bosworth Music Group Berlin für Chester Music Ltd. TEXTNACHWEISE Über die heutige Vorstellung, die Texte von Anne do Paço und Nastasja Fischer, das Interview mit Christopher Wheeldon (Deutsch von Anne do Paço) sowie die Zitate von Christopher Wheeldon und Joby Talbot sind Originalbeiträge für dieses Programmheft. Nachdruck nur mit Genehmigung des Wiener Staatsballetts/Dramaturgie. Umschlagklappe: Ingeborg Bachmann: Böhmen liegt am Meer. In: Dies.: Werke, Band 1: Gedichte Hrsg. v. Christine Koschel, Inge von Weidenbaum & Clemens Münster. © Piper Verlag GmbH München 1978 / S. 5, 15, 25, 60 & 61, 65: William Shakespeare: Das Wintermärchen. Zweisprachige Ausgabe. Deutsch von Frank Günther. München 2006 / S. 6 f.: Die Handlung ist ein revidierter Wiederabdruck aus dem Programmbuch: Christopher Wheeldon: The Winter’s Tale. Royal Ballet London, Spielzeit 2017/18 / S. 22 f.: Frank Günther: Aus der Übersetzerwerkstatt. In: William Shakespeare: Das Wintermärchen, a.a.O. / S. 37: H.D. (Helga Doolittle): HERmione. Deutsch von Anja Lazarowicz. München, Wien 1981 / S. 55: Robert Greene: Pandosto. Der Triumph der Zeit (Ausschnitt). Deutsch von Regina Dombrowa, Heinz-Wilhelm Fabry & Peter Hasenberg für das Programmbuch Nr. 46: William Shakespeare: Das Wintermärchen. Schauspielhaus Bochum, Spielzeit 1982/83 / S. 43: David Fuller: Shakespeare and Dance. In: Paul Edmondson & Peter Holbrook (Hrsg.): Shakespeare’s Creative Legacies: Artists, Writers, Performers, Readers. London 2011.
BILDNACHWEISE Cover: Eckart Hahn: TOUCH (2014) © Bildrecht Wien 2024 Die Szenenbilder fotografierte Ashley Taylor sowie Sofia Vargaiová (S. 27, 28, 44/45, 50/51 & 52/53) bei der Klavierhauptprobe am 9. November 2024 in der Wiener Staatsoper. S. 9: © Ashley Taylor / S. 34: © Sofia Vargaiová / S. 66–71: © Andreas Jakwerth / S. 73: © Andreas Hechenberger / S. 74: © Sarah Wijzenbeek / S. 75: © Ashley Taylor / S. 76: © Anna McCarthy / S. 77 oben: z.V.g. / S. 77 unten: © Jacqueline Harriet / S. 78 oben: © Bjorn Bolinder / S. 78 unten: © Billy Erb / S. 79: © Richard Dickie / S. 80: © Royal Opera House/Andrej Uspenski / S. 81: © Rick Guest Rechteinhaber, die nicht erreicht werden konnten, werden zwecks nachträglicher Rechtsabgeltung um Nachricht gebeten.
wiener-staatsballett.at