Programmheft »Falstaff«

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FALSTAFF Giuseppe Verdi


INHALT Die Handlung

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Synopsis in English

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Über dieses Programmbuch

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Falstaff oder die hohe Kunst des Weglassens → Kurt Schwertsik

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Die Musik im Falstaff → Barbara Meier

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Antworten aus der Musik → Andreas Láng

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Die Eingemeindung eines Außenseiters → Interview mit Marco Arturo Marelli

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Von drei schönen Damen genarrt → Gian Francesco Straparola

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Vom Jäger Herne die Mär ist alt → Georgia Eilert

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Falstaff – historisch und bei Shakespeare → Oliver Láng

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Hört Vater, da Ihr schwach seid → Adrian Mourby

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Falstaff-Opern → Arthur Scherle

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Nur ein Spiel → Andreas Láng

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Der Alte lacht wieder → Oliver Láng

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Es muss leicht scheinen, ganz leicht → Briefwechsel Verdi/Boito

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Komponist und Librettist → Angelika Niederberger

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Die Schlussfuge im Falstaff → Katharina Strommer

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Now, music, sound… → Isolde Schmid-Reiter

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Shakespeare → Egon Friedell

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Persönliches Treffen mit Verdi → Eduard Hanslick

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Der Weg zum beliebten Zugstück → Andreas Láng

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FALSTAFF → Commedia lirica in drei Akten Musik Giuseppe Verdi Text Arrigo Boito

Vorlagen The Merry Wives of Windsor sowie Ausschnitte aus Henry IV von William Shakespeare Orchesterbesetzung 2 Flöten, 1 Piccoloflöte, 2 Oboen, 2 Klarinetten, 1 Bassklarinette, 2 Fagotte, 4 Hörner, 3 Trompeten, 3 Posaunen, 1 Bassposaune, Pauken, Schlagwerk, Harfe, Gitarre, Violine I, Violine II, Viola, Violoncello, Kontrabass Bühnenmusik Horn, Glocke Spieldauer 2 1/2 Stunden (inklusive eine Pause) Autograph Verlagsarchiv Ricordi, Mailand Uraufführung 9. Februar 1893, Mailänder Scala Erstaufführung an der Wiener Hofoper 21. Mai 1893 (Gastspiel der Mailänder Scala) Premiere der ersten eigenen Produktion der Wiener Hofoper 3. Mai 1904


Szenenbild (3. Akt) mit Ambrogio Maestri als Falstaff, 2011



DIE HANDLUNG Der im Gasthaus zum Hosenbande residierende, dicke Ritter Sir John Falstaff hat kein Geld mehr, um seine Zeche zu bezahlen. Von seiner Anziehungskraft auf das weibliche Geschlecht überzeugt, möchte er das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden. Er verfasst zwei Liebesbriefe gleichen Inhalts an Alice Ford und Meg Page, zwei wohlhabende Bürgersgattinnen, und bittet sie um ein Rendezvous. Diese hecken gemeinsam einen Plan aus, Falstaff zum Narren zu halten. Mrs. Quickly wird als Liebesbotin entsandt, um ihn zwischen zwei und drei Uhr in Fords Haus einzuladen, da nämlich sei der eifersüchtige Hausherr nicht daheim. Falstaff nimmt die Einladung an. Kurz darauf macht ihm Ford seine Aufwartung. Er gibt sich als Signor Fontana aus, sei in Alice verliebt, werde von ihr aber nicht erhört. Da er von Falstaffs Verführungskünsten gehört hat, bitte er diesen, gegen Bezahlung amouröse Vorarbeit zu leisten. Prahlerisch gibt ihm Falstaff zu verstehen, dass er noch heute Alice in den Armen halten werde. Ford glaubt sich von Alice betrogen und stürmt zwischen zwei und drei Uhr sein Haus, wo sich Falstaff bereits zum Rendezvous mit Alice eingefunden hat. Den Frauen gelingt es gerade noch, ihn in einem Wäschekorb zu verstecken. Unter Gelächter wird Falstaff in die Themse geleert. Noch einmal lässt sich Falstaff zu einem Rendezvous überreden: Als Schwarzer Ritter soll er sich im nächtlichen Park von Windsor mit einem Geweih am Kopf einfinden. Dort aber fallen die als Elfen und Kobolde verkleideten Bürger über ihn her und setzen ihm gehörig zu. Doch auch Fords Plan, den kauzigen Arzt Dr. Cajus mit seiner Tochter Nannetta zu verheiraten, die den armen Fenton liebt, schlägt fehl. Im allgemeinen Durcheinander findet das richtige Paar zueinander. Wer denn nun der Betrogene sei, fragt Falstaff. Man einigt sich: Alles ist Spaß auf Erden.

Bryn Terfel als Falstaff und Carlos Álvarez als Ford, 2003 →

DIE H A N DLU NG

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SYNOPSIS The corpulent knight Sir John Falstaff is staying at the Garter Inn. He has spent all his money and cannot pay his bill. Convinced of his appeal to the opposite sex, he plans to combine business with pleasure. He writes two love letters with identical content, one to Alice Ford and one to Meg Page, the wives of two prosperous citizens, asking them for a rendezvous. The two of them hatch a plan to make a fool of Falstaff. They send Mistress Quickly to invite Falstaff to Ford’s house between two and three o’clock as that is when the jealous master of the house is not at home. Falstaff accepts the invitation. Shortly thereafter, Ford pays him a visit. He introduces himself as Master Brook, who is in love with Alice, but whose attempts to woo her have failed. Since he has heard tell of Falstaff’s seduction prowess, he asks him to soften her up for him, in return for payment. Falstaff boasts that he will hold Alice in his arms that very day. Ford believes that Alice has betrayed him and storms into his house between two and three o’clock, where Falstaff has already arrived for his rendezvous with Alice. Without a moment to lose, the women manage to hide Falstaff in a laundry basket. To general hilarity, the basket with Falstaff in it is emptied into the Thames. Falstaff allows himself to be talked into attempting a new rendezvous. Disguised as the Black Huntsman, he is to appear at night in Windsor Great Park wearing a pair of antlers on his head. There, however, dressed as elves and goblins the townsfolk fall upon him, thoroughly belabouring him. Ford’s plan to marry his daughter Nannetta, who is in love with poor Fenton, to the eccentric doctor Dr Caius also goes awry. In the general confusion, the lovers are united. Falstaff asks who has been made to look a fool. Everyone agrees: everything in life is just a jest.

Ambrogio Maestri als Falstaff, 2011 ←

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SY NOPSIS


ÜBER DIESES PROGRAMMBUCH

Mit Falstaff versuchte sich Giuseppe Verdi noch einmal am Genre der heiteren Oper, einer Gattung, die er seit seinem rund 50 Jahre zurückliegenden Misserfolg mit Un giorno di regno nicht mehr angerührt hatte. Gemeinsam mit seinem Librettisten Arrigo Boito gelang eine neue Form der musikalischen Komödie, die zwar in vielem – wie den Figurentypen – an die Tradition anknüpfte, doch einen gänzlich anderen Weg nahm: ein konventionsbefreites Werk, ungemein feinsinnig in seiner Struktur und seinen (auch musikalischen) Querverbindungen, fernab vom plumpen Lachtheater. Über die Entstehung dieser letzten Verdi’schen Oper informieren sowohl einige Briefe aus der Entstehungszeit (Seite 66) als auch Oliver Láng auf Seite 60. Das große Feld der Musik des Falstaff, die Besonderheiten der Partitur, beleuchten aus unterschiedlichen Perspektiven der Komponist Kurt Schwertsik (Seite 10), die Musikwissenschaftlerin Barbara Meier (Seite 12) und nicht zuletzt Katharina Strommer, die Oberspielleiterin der Wiener Staatsoper, die die große Schlussfuge einer Analyse unterzieht (Seite 74). Den historischen und literarischen Quellen der Figur des Falstaff, ihrem künstlerischen Weiterleben in den letzten Jahrhunderten sowie weiteren »Shakespeare-Opern« gehen Adrian Mourby (Seite 42), Isolde Schmid-Reiter (Seite 84), Georgia Eilert (Seite 34), Oliver Láng (S. 38) und Arthur Scherle (Seite 48) nach. Die aktuelle Inszenierung von Marco Arturo Marelli ist das Ergebnis seiner langjährigen, intensiven Beschäftigung mit dieser Oper auf verschiedenen internationalen Bühnen. Dieses Ringen mit dem Werk führte von Mal zu Mal zu einer immer konziseren und überzeugenderen Umsetzung, die ihren Höhepunkt in der für Wien erarbeiteten Fassung erfuhr. Ein Porträt des an der Wiener Staatsoper mit zahlreichen Produktionen erfolgreichen Marco Arturo Marelli ist auf Seite 18 zu finden, ein Interview, das Andreas Láng mit ihm über diese Inszenierung führte, auf Seite 22. Ü BER DIE SE S PROGR A M MBUCH

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Harold Bloom

» HAMLET IST DER BOTSCHAFTER DES TODES, WÄHREND FALSTAFF DIE BOTSCHAFT DES LEBENS IST. «


Kurt Schwertsik

FALSTAFF ODER DIE HOHE KUNST DES WEG­ LASSENS Obwohl ich schon ein Semester Harmonielehre bei Josef Marx bewältigt hatte & anfing zu begreifen, was für ein weites Land ich betreten hatte, war ich meine Wagnerverehrung noch nicht ganz los. Ich war aber schon 15 ½ Jahre alt & seit drei Jahren regelmäßiger Gast am Stehplatz auf der 2. Galerie. Verdi hatte ich fast gänzlich ignoriert: einmal war ich in La traviata & fand die Musik sentimental – wahrscheinlich weil sie mich zu Tränen gerührt hatte – & einmal war ich in Aida. Auch da hat mich der Loyalitätskonflikt des Radames eher abgestoßen, jedoch das Schlussduett fand ich sehr eindrucksvoll & die extremen Kontraste zwischen triumphalen Trompeten & einsamen leisen Flöten & Harfen, vor allem beim Auftritt von Radames, hatten mir zu denken gegeben. K U RT SCH W ERTSIK

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Im Fall von Falstaff war ich aber infolge von Mundpropaganda voll Erwartung: ein Stück das nicht in der Gunst des Publikums obenan stand & auch damals nicht häufig auf dem Programm stand (insgesamt 17 Vorstellungen bis 1955), das war schon ein gewichtiges Argument für die Qualität! Komponisten haben fast immer ein zwiespältiges Verhältnis zum Publikum… Die Premiere & viele weitere Vorstellungen dieser Inszenierung haben mich tief beeindruckt & im Laufe der Jahrzehnte stieg meine Bewunderung für den unglaublich leichtfüßigen Erzählton der Musik. Verdi skizziert eine musikalische Situation nach der anderen mit leichtem Aquarellpinsel, nur das Notwendigste kommt zur Sprache, auch das oft nur angedeutet. Es ist die hohe Kunst des Weglassens. Seit jener Premiere fasziniert mich die zarte Verständigung des jungen Paares Nannetta & Fenton »Bocca baciata …«: für mich der schönste musikalische Ausdruck junger Liebe inmitten des turbulenten Treibens kontrapunktischer Ensembles um den beleibten Ritter. Im Grunde ein über die ganze Oper reichendes Liebesduett. Nach wie vor eine Herausforderung des rhythmischen Zusammenhalts der Darsteller ist der Schluss des ersten Aktes, wo Frauen im 6/8-Takt & die Männer im 2/4-Takt zu gleicher Zeit singen. Ganz selten gestattet er Falstaff ein paar selbstgefällig stolze Takte, um sich seiner erotischen Anziehungskraft zu rühmen »Va, vechio John…« & immer wieder die raschen Wechsel zwischen laut & leise, einfach einstimmig & komplex kontrapunktisch, lyrischer Kantilene & parodistischem Figurenwerk, besonders in Falstaffs wunderbarem Monolog »Mondo ladro…« der in dem berühmten spektakulären Triller des gesamten Orchesters mündet, wenn der Glühwein seine Wirkung getan hat! Alles das ist mir schon vor vielen Jahren aufgefallen, denn ich wollte immer von Verdi das Geheimnis der scheinbar absichtslos hingestreuten Ideen lernen, doch als ich jetzt den Klavierauszug wieder durchspielte wurde mir klar, dass das Orchester außer einigen kurzen Fortissimo-Ausbrüchen fast durchwegs piano bis pianissimo zu spielen hat! Selbst der vor Eifersucht wutschnaubende Mr. Ford wird, zwar erregt aber durchaus leise begleitet. Besonders witzig dabei ist die Verarbeitung von Falstaffs angeberischem Motiv »Te lo cornifico…« (»Dir setz ich Hörner auf…«), das Ford offenbar besonders tief getroffen hat. Wieder in diesem zauberhaften Meisterwerk herumzustöbern, war eine geistige Erfrischung & ich habe mir fest vorgenommen, mich dauerhaft in das Studium dieser Partitur zu versenken.

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FA LSTA FF ODER DIE HOHE K U NST DE S W EG­L AS SENS


Barbara Meier

DIE MUSIK IM FALSTAFF

Was Falstaff zum Opernhelden macht, diesen unzeit­gemäßen, herunter­ gekommenen Ritter, der seine besten Jahre längst hinter sich hat, diesen pancione, den Schlemmer und selbstverliebten Parasiten, das zeigt sich in der Konfrontation mit den Bürgern von Windsor, denen er immerfort zusetzt, die er so reizt, dass sie Jagd auf ihn machen, denen er aber zur Selbsterkenntnis verhilft, indem er sie inspiriert zum Spiel, zur Poesie. Am Ende ist er der Überlegene: »Ich bin es, der euch gewitzt macht« – das ist ruhig, leicht, dolce zu singen. Gleich der elektrisierende Fortissimo-Akkord seines ersten Themas, das in Vari­anten die Oper durchzieht und mit dem sie beginnt, wirbelt die Ordnung durcheinander. Er ist in immer neuen Tonarten gegen das Metrum gesetzt, begleitet von federnden Auf- und Abschwüngen. Das zweite Thema dagegen stellt den feinen Spötter in noch immer jugendlicher Grazie dar, die ihren eige­nen Ausdruck im Lied über seine Pagenzeit findet (»Quand’ ero paggio«). Selbst seinen Betrügereien fehlt es nicht an Anmut. Wenn man schon stehlen müsse in dieser ungastlichen Welt, so schärft er seinen Dienern BA R BA R A MEIER

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ein, dann mit Eleganz. Der unge­heure Bauch ist Metapher für seinen Hunger auf das Leben, dessen höchstes Vergnügen, die erotische Lust, in dieser Oper keine moralische oder religiöse Legitimierung braucht. Da das Bewusstsein der Vergänglichkeit, die Angst abzumagern die Lust noch verstärkt, macht er gleich zwei Schönheiten aus Windsor Anträge. Und die Liebe beflügelt seine Fantasie, wenn er Alice auf verschnörkelt altmodische Weise den Hof macht, wenn er mit dem Bild einer zukünftigen Lady Falstaff prahlt, was die hohlen Oktavparallelen der Fagotte karikieren, wenn er eine Theaterszene vorspielt und in komischem Falsett die Begehrte nachahmt. In der Moralpredigt, die Falstaff seinen Dienern am Beispiel der Ehre hält, rechnet er mit den zu Wort­hülsen gewordenen bürgerlichen Moralbegriffen ab, indem er immer wieder sein trockenes »No« gegen ihr falsches Pathos setzt. Die höhnischen Mehrfachtriller der Bläser erinnern an Jagos Credo, Falstaffs Maxime indes ist ein schlichter Marsch: »Va, vecchio John«, ein Ja zum Leben im Einverständnis mit sich selbst; den instrumentalen Vorschlägen ist die Freude am Ge­nießen anzuhören. Selbst als Falstaff, halb tot, durchnässt und gedemütigt, über die immer schlechter werdende Welt klagt, setzt sich seine Maxime wieder durch, wenn auch als Trauermarsch. Mit einem Fluch (»Mondo ladro«) beginnt dieser Mono­log, und auch die dreimal von den tiefen Bläsern intonierte ab­steigende Figur erinnert an die Fluchmotive früherer Opern, aber die große Geste wird ins piano und pianissimo zurückge­nommen. Kleinlaut, deprimiert über das eigene Altern, endet Falstaff. Der Wein ist es dann, der ihn neu belebt. Wie er alles in Schwingung zu setzen vermag, macht das Orchester hörbar, indem zuerst die Flöten, dann immer mehr Instrumente, schließlich sogar die Posaunen zu trillern beginnen in vielfäl­tigen harmonischen Farben, sodass sich in dieser musikali­schen Allegorie auf den schöpferischen Geist die ganze Welt in einen einzigen Triller zu verwandeln scheint. Doch mit dem verhassten »Reverenza«-Getue der Mrs. Quickly folgt sogleich die Ernüchterung. Wie die Bürger Jagd auf Falstaff machen, zuerst in Fords Haus, dann um Mitternacht im Park, wo sie ihn hetzen wie ein Tier und geradezu in eine Pogromstimmung geraten, erhält das Bild liebenswerter Kleinstädter Brüche, lässt sich mit der kollektiven Aggressivität und hämischen Schadenfreude nicht mehr vereinbaren. Nur das junge Liebespaar bildet eine Ausnahme. Die seltenen Augenblicke, in denen Nannetta und Fenton allein sind, wirken wie filmische Einblendungen, her­ausgehoben durch Tonart-, Tempo- und Taktwechsel, ein wei­ches Legato der Streicher und Holzbläser und den lyrischen Ton der Sänger, deren Stimmen, einander ablösend, einen ein­zigen Melodiebogen bilden. Doch diese Augenblicke sind nur eine flüchtige Reminiszenz an: das traditionelle Liebesduett. Und wie es die Liebe selbst ist, die besungen wird, das schöne Spiel, das immer neu beginnt, fügt sich auch das wieder­kehrende Zitat aus Boccaccios Decamerone in den Gesang (»Bocca baciata«) und verstärkt den Eindruck der Zeit­ losigkeit. 13

DIE MUSIK IM FA LSTA FF


Dr. Cajus und Ford, unzufriedene, nervöse, unsichere Figu­ren, klammern sich an ihr »Hab und Gut«, wofür ihnen »Ehre, Haus und Bett« stehen, die es »vor fremdem Appetit« zu retten gilt. In der Maske des großzügigen Fontana aber vermag Ford sich regel­recht zu befreien, er verfällt, als er die eigene Frau besingt, in schmelzendes Pathos, und angesteckt von Falstaffs Verliebt­heit, trällert er mit dem Rivalen gemeinsam »L’amor, l’amor«. Auch die Art, wie Alice den blumigen Schluss von Falstaffs Brief zitiert, dolcissimo und mit schwärmerischen Nonenvor­halten, verrät trotz ihres karikierenden Schlusstrillers und des anschließenden Gelächters eine uneingestandene Sehnsucht. Nach dem Ende der Jagd findet die allgemeine Versöh­nung ihren Ausdruck in einer Schlussfuge, welche die vielen Stimmen unter ihrem Gesetz vereint. Falstaff ist es, der das Thema vorgibt und die anderen noch eine Weile von ihrem Festessen abhält, um das Geschehene zu reflektieren. In der vorletzten Durchführung ist er es wiederum, der die Themenumkehrung »erfindet«, bevor die Fugenstimmen von vielstimmigem Lachen überlagert werden und in einem Septakkord zum Stillstand kommen. Nach der kleinlauten Erkenntnis »Tutti gabbati« (»Wir alle sind Betrogene«) endet die Fuge homophon im allgemeinen Gelächter. Dieser konzertante Schluss, in dem die Sänger aus ihren Rollen treten, betont das Spiel im Spiel, das von den Figuren selbst inszenierte Theater, und er ist eine Hommage an Mozart, dessen Don Giovanni mit einer Fu­genexposition endet. Eine andere Anspielung auf jene Oper ist das Menuett der Maskierten im dritten Akt, und das nächtliche Maskentreiben erinnert an den Schluss von Figaros Hochzeit, die als Ensemble-Oper Vorbild des Falstaff ist. Mit dem durchgehenden Parlando der einander ständig ablösenden Stimmen, das den Nuancen der Sprache folgt, und mit der kammermusikalischen Behandlung des Orchesters löst sich Verdi endgültig von der traditionellen italienischen Oper. Einen überaus leichten Orchestersatz stellte er gegen die Tendenz seiner Zeit zum Monumentalen und zum vergrö­ßerten Orchester, über das er sich gelegentlich sarkastisch ausließ. Die innovative Wirkung der Partitur zeigen Puccinis Gianni Schicchi, Wolf-Ferraris Vier Grobiane, Busonis Brautwahl und der Rosenkavalier von Richard Strauss. Nicht nur der lobte den Falstaff überschwänglich, auch Fer­ ruccio Busoni schrieb, Falstaff habe in ihm »eine derartige Re­volution des Geistes und der Gefühle« bewirkt, dass er »von da an mit vollem Recht eine Epoche« seines »künstlerischen Lebens datieren« könne. Mit Falstaff nimmt Verdi Abschied von der Bühne. Dabei blickt er, oft aus ironischer Distanz, auf eigene Werke zurück: auf den Maskenball, wenn Alice in den Ton Oscars fällt; das »Immenso Falstaff« der Diener ruft das »Immenso Fthà« der Pries­terin aus Aida in Erinnerung, auch noch die fallende Quint des/ges aus dem Priesterchor wird zitiert, selbst auf die Gerichts­szene gibt es eine Anspielung mit der dreimaligen, jeweils einen halben Ton höher gesungenen Aufforderung der als Mönche verkleideten Bürger: »Risponde«, BA R BA R A MEIER

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doch ist die Szene ins Komische gewendet, weil Falstaff zu seinem Glück Bardolfo an dessen roter Nase erkennt. Eine Reminiszenz an den Monolog König Philipps aus dem Don Carlos ist Fords Monolog »È sogno«. Vor allem zu Otello gibt es vielfältige Bezüge, nicht nur mit dem Eifersuchts- und dem Kussmotiv. Der Auftritt des gehörnten Falstaff beim ersten Mitternachtsschlag beginnt ebenso wie der letzte Auftritt Otellos mit einem »schrecklichen Ton«, einer »note imprévue«, zudem ist eine Art Krebsform des Otel­lo-Motivs zu hören. Selbst eines der zentralen Themen Verdis, die Ohnmacht der Väter und das Versagen der Autorität, kehrt in einer komischen Variante wieder. Über diese Reminiszen­zen hinaus wird die traditionelle italienische Oper als Gattung reflektiert und verabschiedet. Das geschieht einmal mit parodistischen Zitaten einzelner Formen und Operntopoi, etwa der »Rachearie« in Falstaffs Monolog, wenn er über die Nichtig­keit des Ehrbegriffs nachdenkt; die »Schwurszene« mit ihren feierlichen Posaunenklängen wird mit dem komischen Eid des Dr. Cajus zitiert, den das Amen der Diener beschließt, ein fal­schen Kanon im Sekundabstand mit höhnischen Dissonanzen auf der betonten Taktzeit. Auch der fromme Frauenchor kommt vor mit dem scheinheiligen »Domine, fallo casto«, das die Melodie des »Hostias« aus dem Requiem aufnimmt, Falstaff parodiert es mit seinem frechen Nachsatz »salvagli l’addomine« (»erhalt ihm den Bauch«). Zum andern aber ist Falstaff auch eine Huldigung an die Oper der Vergangenheit. Mit Fentons »Dal lab­ bro il canto« kehrt noch einmal, wie eine kostbare Erinnerung, die Arie wieder. Aber das zugrunde liegende Sonett ist nicht mehr im Ich-Ton gehalten, es besingt die Liebe an sich als seli­gen Zustand in der Welt, als geheimnisvollen Zweiklang, den Fen­tons Stimme mit der des Englischhorns, am Ende mit der von fern herüberklingenden Stimme Nannettas bildet. So entsteht das Gegenbild zur Darstellung der Liebe in allen anderen Opern Verdis, zur Liebe als Passion, die eine visionäre Erfül­lung erst in Todesnähe fand. Doch der Zustand einer vollkom­menen Harmonie hält mit dem Gipfelton b’’ über Harfenklängen in Des-Dur, die bisher im Falstaff ausgespart blieben, nur einen kurzen Moment an, dann brechen die lautstark heran­drängenden maskierten Bürger den Zwiegesang abrupt ab, eine Desillusionierung, die den Zitatcharakter dieser Arie be­tont. Dass im Hinrichtungsritual des Finales eine Anspielung auf das Schicksal der Oper im öffentlichen Kulturbetrieb zu er­kennen ist, deutet an, auf welche Weise Autobiographisches in diese letzte Oper eingegangen ist.

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DIE MUSIK IM FA LSTA FF


Szenenbild (Schlussfuge im 3. Akt), 2011



Andreas Láng

ANT­WORTEN AUS DER MUSIK

Der Regisseur und Bühnenbildner Marco Arturo Marelli


Die bezwingende Magie, die den Inszenierungen Marco Arturo Marellis innewohnt, scheint unzerstörbar und an Intensität unveränderbar. Ist sie ergründbar? Vollständig wohl kaum. Umso mehr – oder besser – nichts­ destotrotz, darf über einige Parameter seiner Inszenierungen nachgedacht werden. Die Handschrift Marellis ist stets unverkennbar – so sehr sich seine Bühnenbilder und Inszenierungen voneinander auch unterscheiden mögen, da es jeweils die nämlichen festen Säulen sind, auf denen seine szenischen respektive optischen Umsetzungen ruhen. Und die wären: Das stete Bestreben, dem betreffenden Werk bestmöglich zu dienen; ein immenses Wissen um das jeweilige Stück, resultierend aus einer intensiven, dauernd neugierigen, tiefgründigen Beschäftigung mit demselben; das Vermeiden jeglicher Routine und damit verbunden ein Höchstmaß an Authentizität; ein unverwechselbares wohl auch angeborenes Gespür, ja Talent, Atmosphäre und Gehalt einer Vertonung zu erfassen und die so erkannte künstlerische Aussage zu transportieren; und nicht zuletzt Erfahrung, ein sicheres Stilgefühl sowie handwerkliche Versiertheit. Das Fundament von alldem ist bei Marelli jedoch immer die Musik, die Komposition des vorliegenden Stückes. Aus ihr heraus entwickelt er das tragfähige Gerüst seiner Deutungen. Deutungen, die sich einem wissenden und Kunst liebenden Publikum wie von selbst zu erschließen pflegen, ganz gleich, ob es sich nun um Populäres wie Mozarts Zauberflöte oder um Raritäten wie Schönbergs Jakobsleiter handelt. Möglicherweise besitzt Marelli einen Startvorteil, einen konzeptionellen Bonus, der sich aus dem Umstand ableitet, Bühnenbildner und Regisseur in Personalunion zu sein? Auf jeden Fall entspringen dadurch in seinen Inszenierungen das räumliche Empfinden, die ästhetische wie auch emotionale Gestaltung, die darin stattfindende Interaktion der Handelnden sowie die philosophisch-intellektuelle Erzählweise der Geschichten demselben kreativen Impuls und stehen entsprechend in einem sinnvollen Gleichgewicht zueinander. Marco Arturo Marelli legte in seinen Arbeiten von Anfang an großen Wert darauf, sowohl eine intellektuelle wie auch eine emotionale Erzählweise zuzulassen, sie jeweils in eine möglichst durchsichtige Beziehung zueinander zu setzen, auf einen einzigen Fluchtpunkt hin gerichtet miteinander zu verschmelzen. Dass ihm dies nicht nur bei einzelnen Opern gelingt, sondern auch über Stückgrenzen hinweg glückt, wie die optisch-inhaltliche Verklammerung der beiden Einakter Jakobsleiter und Puccinis Gianni Schicchi bewies – die ja hintereinander gezeigt, als zusammengehöriges Ganzes empfunden wurden – zählt zu den Sternstunden eines Theaterbetriebes. Doch wie kommt Marelli dem Versuch nach, die innere Struktur der Musik eines Werkes zu verstehen, dem Geheimnis der Komposition nahe zu kommen, den einzelnen Beweggründen nachzuspüren, die den Komponisten veranlasst haben, etwas genau so und nicht anders niederzuschreiben? Durch 19

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eine genaue und oftmalig wiederholte Lektüre des Textes und der Musik sowie einer genauen Analyse der vom Komponisten vorgenommenen musikalischen Umsetzung des Librettos. Anregungen empfängt Marelli darüber hinaus gerne durch aufmerksames Hören vieler verschiedener Aufnahmen und, wenn möglich, gegensätzlicher Interpretationen. Aus all dem kristallisieren sich erste Gedanken heraus, beginnen verschiedene Bilder in ihm aufzukeimen und sich Vorstellungen für den Raum zu konkretisieren. Nimmt man etwa seine Wiener Zauberflöte als Beispiel, so wird deutlich, dass sich Marelli hier einer oftmaligen, nur auf den ersten Blick auf der Hand liegenden Deutung verweigerte, nach der klar zwischen gut (Sarastro) und böse (Königin der Nacht) unterschieden werden kann. Mozarts im letzten Bild erklingende Idee, wonach die wahre Vollendung erst durch die Vereinigung von Tamino und Pamina zum Paar, also durch die Vereinigung des weiblichen und männlichen Elements, erreicht wird, nahm Marelli ernst. Bei ihm erschien daher nicht nur die dunkle Welt der Königin, sondern auch die ausschließlich verstandesorientierte, sterile Welt von Sarastro und seinem Gefolge als wenig erstrebenswert. Es ist also die Struktur und die Aussage der jeweiligen Musik, aus denen Marco Arturo Marelli Antworten auf Fragen entwickelt. Zu welchen stilistischen Mitteln er etwa greifen sollte, um seine Gedanken und Empfindungen dem Zuschauer nahe zu bringen; ob das zu Erzählende eine realistische Umsetzung benötigt oder ob das Werk einen eher abstrakten Raum verlangt; ob A N DR EAS LÁ NG

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Marco Arturo Marelli ←

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dieser durchgehend statuarisch sein sollte oder Verwandlungen im Bühnenbild erforderlich sind und auf welche Weise solche Verwandlungen im Fluss der Musik unterzubringen sind – in weichen Übergängen oder in harten Schnitten. In diesem Zusammenhang darf auf einen bemerkenswerten Kunstgriff in Marellis Sonnambula-Inszenierung hingewiesen werden: Die in einem typischen Belcanto-Werk musikalisch zentrale Bedeutung des Gesanges, der Stimme schlechthin, bekam bei besagter Produktion eine handlungsbezogene Transformation, insofern als die ehemals seelisch verstörte Titelfigur dem Publikum ihre abschließende Arie im lieto fine als gewandelte, selbstbewusste und gefeierte Gesangs-Künstlerin präsentierte. Die Form der Arie war zum schlüssigen Inhalt geworden. Ein Beispiel für die gefundene optische Form einer aus der Musik entwickelten inneren Dramaturgie bietet Marellis Wiener Falstaff. Die den Bühnenraum dominierende kippende Schräge, die eine rasche Verwandlung der Szenerie gestattet – von der grauen Bürgerwelt zum Raum des heruntergekommenen Außenseiters und zurück – ermöglicht das Darstellen zweier Räume, die sich bedingen wie die beiden Seiten einer Medaille. Diese Umsetzung, mit ihrer extrem schnellen, schlagartigen Verwandlungsmöglichkeit scheint direkt der Partitur abgelauscht, die keinerlei fließende Übergänge aufweist und daher harte Bildschnitte erfordert. Gelegentlich bedarf es mehrerer Arbeitsschritte, bis das optimale Ergebnis vorliegt. So versuchte Marelli bei seinem ersten Falstaff, die Idee des Stückes auf einer Drehbühne zu verwirklichen, ehe er in Wien, zwanzig Jahre später, nach erneuter intensiver Beschäftigung mit der Musik zur genannten Lösung fand. Und auch Strauss’ Capriccio erfuhr im Laufe der Jahre eine konzeptuelle Änderung. Hatte Marelli in Dresden noch einen statuarischen Raum entworfen – wie er vom Komponisten vorgesehen war – so suchte er in Wien nach einer neuen Visualisierung dieses doch eher handlungsarmen Stückes, in der sich verschiedenartige Räume, historisch unterschiedlicher Zeiten und Handlungsebenen, ineinander verschränken und widerspiegeln konnten – passend zur kompositorischen Textur des Werkes, die Stile, Klänge und Formen vieler Epochen zitiert. Zu guter Letzt sei auf eine nicht unwesentliche Facette in Marellis Interpretationen hingewiesen, die all dem bisher gesagten nicht nur nicht widerspricht, sondern geradezu als Ergänzung verstanden werden kann: Marelli ist durch und durch Theaterpraktiker, einer der die Tücken des Opernbetriebes kennt und sie künstlerisch umschifft. Man denke nur an die Bühnenbildgestaltung der Schweigsamen Frau. Dieser, die Szene beherrschende schneckenhausartige Turm, in den sich der alte Sir Morosus zurückzieht, hilft durch seine Bauweise den Sängern, besser über die Orchesterwogen zu kommen und verständlich zu bleiben. Dass es sich darüber hinaus um keine typischgefällige, oft anzutreffende Dekoration, sondern eine stückimmanente und Fantasie anregende Lösung handelt, versteht sich bei Marelli von selbst. A N T ­W ORT EN AUS DER MUSIK


DIE EIN­­GE­ MEINDUNG EINES AUSSENSEITERS Marco Arturo Marelli, der Regisseur der Staatsopernproduktion von Falstaff, im Gespräch mit Andreas Láng

Der erst 1893 uraufgeführte Falstaff steht ziemlich singulär im Schaffen Verdis da. Von dem Frühwerk Un giorno di regno abgesehen, ist es seine einzige komische Oper. Das Werk wird oft als Resümee eines bereits »über allem drüberstehenden« Altmeisters gedeutet.

MARELLI Resümee ist wahrscheinlich nicht das richtige Wort. Falstaff ist sicher kein verklärendes Vermächtnis eines alten, womöglich verbitterten Greises, nein, es ist ein unendlich frisches Aufbruchswerk. Verdi unterzieht mit dieser Komödie sein Werk einer radikalen Verjüngungskur, es ist im Grunde ein Aufbruch ins Morgen. Mit einem gewaltigen Sprung

DIE EIN­G E­M EIN DU NG EIN E S AUS SENSEIT ERS

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überwindet Verdi eine ganze musikalische Epoche – die des Verismo – und schafft eine antiillusionistische Sprache, ein Stück voll von subtiler Ausstrahlungskraft. Keine einzige Note ist in dieser Oper überflüssig!

Und worin liege dieser Aufbruch, wodurch unterscheidet sich nun diese Oper von den anderen Werken Verdis?

In seinen früheren Opern oder auch in den Werken anderer Komponisten war der theatralische Moment erst Voraussetzung für die Musik, die Musik entwickelte sich also aus der dramatischen Situation. Im Falstaff aber ist dieses Theaterspielen der eigentliche Impuls der Musik, das zu verhandelnde Thema der Oper. Das miteinander und aufeinander Agieren und Reagieren wird hier zum eigentlichen Gegenstand, und daran entzündet sich eine Musik, die weit in die Zukunft weist. Es ist ja bekannt, dass Verdi gemeint hat, den Falstaff »zu seinem eigenen Zeitvertreib geschrieben zu haben«. Und da ist ihm eben eine Partitur von rigoroser Modernität gelungen. Er benutzt die ganze Palette seines Schaffens, um daraus etwas Neues zu machen, wenn er also beispielsweise eine Elfenmusik erklingen lässt, so ist das als Zitat zu verstehen und nicht mystisch oder illusionistisch. MARELLI

Was bedeutet das für den Regisseur?

Bei Falstaff handelt es sich ja eigentlich um eine antipsycholo gische Oper. Man fragt nicht, warum macht eine Figur dies oder jenes, woher kommt sie. Es ist nicht das wichtig, was war. Ausschlaggebend ist das Jetzt, der aktuelle Moment. Diese Musik, in der alles zum Klanggestus gesteigert ist, wirkt ja im Grunde von ihrem Wesen her – im Gegensatz zum Beispiel zu den früheren Puccini-Opern – vollkommen sehnsuchtslos. Als Regisseur muss ich nun die Spiellaune und die Exaktheit, die in der Partitur zum Ausdruck kommt, auf die Bühne übertragen, in eine präzise Körpersprache umsetzen. MARELLI

Wenn die Körpersprache, das eigentliche Theaterspielen im Mittelpunkt steht, tritt ja das Bühnenbild als solches in den Hintergrund. Illusionistisch respektive naturalistisch soll dieses ja außerdem nicht sein. Welche Aufgabe weisen Sie als Bühnenbildner und Regisseur in Personalunion der Bühnenraumgestaltung in diesem Stück zu?

Ich beschäftige mich ja schon seit vielen Jahren mit dem Falstaff, habe ihn auch schon einige Male inszeniert. Das Ergebnis dieser Arbeit ist, dass ich bei jeder Produktion immer weniger Dekoration auf der Bühne brauche. Nun will ich mich insgesamt auf das Wesentliche der Szene MARELLI

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A N DR EAS LÁ NG U N D M A RCO A RT U RO M A R ELLI IM GE SPR ÄCH


konzentrieren. Also keine nostalgischen Fachwerkbauten, sondern nur das absolut notwendige: eine Theater-Bretterschräge, die sich kippen lässt – dadurch entsteht ein Oben und Unten, eine Aufsicht und Untersicht. Das Antiillusionistische dieser Partitur hat mich zudem dazu veranlasst, zunächst eine leere Bühne zu zeigen, fast eine Shakespeare-Bühne.

Dieser kahlen Bühne, die das Leben der Bürger symbolisiert, stellen Sie die farbenfrohe Welt von Falstaff entgegen. Wir haben also zwei gegensätzliche Realitäten vor uns. Man könnte fast sagen, dass die Titelfigur im Untergrund ihr von den Machenschaften der übrigen unabhängiges Leben führt.

MARELLI Ja, und diese beiden Welten, die sich bedingen, geraten an ein ander. Falstaff lebt im (und vom) Abfall der Bürgerwelt. Mit Farben hat er die seinige in der Unterbühne angereichert. Mit einer klugen Lebensphilosophie ist er schließlich alt und fett geworden. Die Gesellschaft hingegen hat ihn vergessen, oder besser, verdrängt. Doch die Figur hat ihren Ursprung im erotischen Zeitalter und ist eigentlich ein in die Jahre gekommener Don Giovanni. Falstaff ist nicht vom »Teufel« geholt worden, sondern einfach nur abgerutscht, zum Außenseiter geworden. Und so wie Don Giovanni, obwohl dieser ein »Bösewicht« war, Farbe in das Leben der anderen gebracht hat, so ist es auch Falstaff (der ja eigentlich ebenso ein übler Bursche ist), der der grauen bürgerlichen Alltagswelt, kaum dass er wieder in Kontakt mit ihr tritt, die Langeweile nimmt. Er ist das Salz in der Suppe dieser Dutzendmenschen. Sein dicker Bauch, an dem Cajus ja im wahrsten Sinn des Wortes abprallt, ist letztlich der Zerrspiegel, der den übrigen Menschen eine schonungslose Bestandsaufnahme abnötigt.

Falstaff ist also der Motor, das Zentrum der Handlung. Und die, die auf ihn treffen, lernen sich kennen.

Richtig. Sie erfahren durch Falstaff den existenziellen Unter schied zwischen Sein und Schein. Aus langweiligen Alltagsmenschen werden Individuen. Er lässt die Frauen aufblühen, macht sie von ihren Sehnsüchten träumen und singen und bringt die Männer um ihre Selbstsicherheit. Er ist dann schließlich, im letzten Akt, ihre bittere Selbsterkenntnis. Dennoch besitzt Falstaff außer seiner Arietta keine wirklich eigenständige Musik. Er ist es zwar, der die ganze Energie der übrigen bündelt, doch zeichnet Verdi das Charismatische der Figur durch die Reaktionen und Reflexionen der anderen. Alle Musik und Handlung ist auf Falstaff bezogen, eine Figur, die vollkommen in sich ruht. Das macht gleichzeitig die Bürger um ihn herum so verrückt und quirlig. MARELLI

A N DR EAS LÁ NG U N D M A RCO A RT U RO M A R ELLI IM GE SPR ÄCH

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Ist das der Grund, dass Falstaff eben auch der Namensgeber der Oper ist? Bei Shakespeare heißt das Werk doch noch, wie auch bei der Version von Nicolai, Die lustigen Weiber von Windsor.

MARELLI Interessanterweise schreibt Verdi während des Entstehungs prozesses immer wieder, dass die eigentliche Hauptperson Alice wäre. Sie ist es, die quasi »die Hosen an hat«, also am deutlichsten aktiv ins Geschehen eingreift. Dennoch ist es, wie gesagt, Falstaff, an dem sich das Theater, die Handlung entzündet.

Modell einer RenissanceBühne, Vorbild für Marellis Falstaff-AusstatFalstaff -Ausstattung →

Trotz seiner Raubzüge, seiner Verführungskünste, seines an sich nicht unbedingt vorteilhaften Charakters, wirkt Falstaff auf das Publikum nicht gerade unsympathisch. Warum eigentlich nicht?

MARELLI Er versteht die Welt wie ein Kind: für ihn ist das die Realität, was zum jeweiligen Augenblick gerade aktuell ist. Eben schimpft er über die Welt, im nächsten Moment wird er durch einen »Liebesbrief«

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DIE EIN­G E­M EIN DU NG EIN E S AUS SENSEIT ERS


vollkommen verwandelt. Schlagartig ist er Feuer und Flamme, voller Tatendrang. Es geht noch weiter, er kann sogar eine Fiktion sofort als Realität erleben. Falstaff ist in der Lage, so sehr in seinem Spiel aufzugehen, dass sie für ihn zur Wahrheit wird. Deshalb verzeihen auch wir, die im Zuschauerraum sitzen, seine Machenschaften.

Auch auf der Bühne wird er ja schlussendlich akzeptiert...

MARELLI Das ist ja das Tolle an dieser Komödie. In einer Tragödie ist ja am Ende meist einer, oder eine Gruppe, den anderen in irgendeiner Form überlegen. In einer Komödie sind meist alle Mitwirkenden einer Person, über die sie auch herfallen, überlegen. Hier, im Falstaff hingegen, wird der Außenseiter jedoch eingemeindet. Das wird sehr schön durch die Schlussfuge gezeigt. In dieser Fuge hat jede Figur ihre Stimme. Und jede Stimme ist unentbehrlich, bedingt aber gleichzeitig die anderen. Es ist eine Tonalität, in der keine Stimme der anderen überlegen ist und jedem Protagonisten sein Platz zugewiesen wurde – auch Falstaff. Hier finden alle wie in einem Puzzle zusammen und bilden ein Ganzes. Natürlich ist Falstaff kein gebesserter Mensch, er wird ziemlich so weiterleben wie bis dahin, aber er wurde – und das zeigt dieser Schluss – trotzdem in die Gemeinschaft aufgenommen. Das ist auch jene Gesellschaftsform, die meiner Meinung nach Verdi als Utopie vorgeschwebt ist: eine, in der niemand ausgeschlossen wird und jeder als eigene, einzigartige Persönlichkeit akzeptiert wird.

Bryn Terfel als Falstaff und Krassimira Stoyanova als Alice, 2003 →

DIE EIN­G E­M EIN DU NG EIN E S AUS SENSEIT ERS

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Gian Francesco Straparola

VON DREI SCHÖNEN DAMEN GENARRT

Eine RenaissanceQuelle für den Falstaff


Die Komödie Die lustigen Weiber von Windsor ist zwar eine Erfindung Shakespeares, wurde aber stark von italienischen Renaissance-Komödienstoffen beeinflusst. Eine dieser vielen Erzählungen, die Pate gestanden haben, stammt von Gian Francesco Straparola und erzählt die Geschichte von drei gerissenen Frauen, die einen Liebhaber an der Nase herumführen. In der edlen lombardischen Stadt Bologna, der Mutter der Gelehrsamkeit, lebte ein adliger Student aus Kreta, namens Philenio Sisterna, ein schöner und liebenswerter Jüngling. Eines Tages beging man in Bologna ein glänzendes Fest, zu welchem viele der schönsten Frauen der Stadt geladen waren und woran unter vielen bolognesischen Edelleuten und Studierenden auch Philenio teilnahm. Nach der Gewohnheit junger Leute warf er seine Blicke bald auf diese, bald auf jene Schöne und da sie ihm sämtlich gut gefielen, beschloss er, mit einer von ihnen zu tanzen. Er näherte sich also einer von ihnen, welche Emerentiana hieß und die Gattin Lamberto Bentivoglis war, und forderte sie zum Tanz auf. Sie war höflich und nicht minder keck als schön und schlug den Antrag nicht aus. Philenio, der langsamen Schritts den Reigen tanzte, drückte ihr bisweilen die Hand und flüsterte ihr die Worte zu: »Edle Dame, Eure Schönheit ist so groß, dass sie unfehlbar jede andere überstrahlt, die je mein Auge gesehen. Es gibt keine Frau, zu der ich so heftige Liebe empfände wie zu Eurer Hoheit, und wenn Ihr meine Liebe erwidert, so würde ich mich für den glücklichsten und zufriedensten Menschen von der Welt halten; wenn nicht, so werdet Ihr mich bald des Lebens beraubt sehen und die Schuld an meinem Tode tragen.« Emerentiana, welche die süßen und anmutigen Worte mit Aufmerksamkeit angehört hatte, war klug genug, sich taub zu stellen und antwortete nichts. Als der Tanz beendigt war und Emerentiana ihren Sitz wieder eingenommen hatte, ergriff der junge Philenio die Hand einer anderen Dame und trat den Tanz mit ihr an. Aber kaum hatte er ihn begonnen, so redete er sie mit folgenden Worten an: »Gewiss, anmutigste Dame, habe ich nicht nötig, Euch mit Worten auszudrücken, wie groß und heftig die heiße Liebe ist, die ich zu Euch hege und hegen werde, solange mein Geist diese schwachen Glieder, dieses unselige Gebein beherrscht. Aber glücklich, ja überselig würde ich mich schätzen, wenn ich Euch zu meiner Herrin, zu meiner einzigen Gebieterin erwürbe.« Die junge Frau, welche Panthemia hieß, erwiderte, so gut sie alles verstanden hatte, doch nichts, sondern setzte den Tanz mit viel Anstand fort und nahm, als er zu Ende war, halb lächelnd ihren Platz neben den anderen Damen ein. Es währte nicht lange, so ergriff der verliebte Philenio die Hand der dritten, welche die artigste, anmutigste und schönste Frau war, die man damals in Bologna finden konnte, und begann mit dieser einen Tanz, indem er sich eine Gasse durch diejenigen bahnte, welche sich herandrängten, um sie zu be 29

GI A N FR A NCE SCO ST R A PA ROLA


wundern. Und bevor der Tanz zu Ende war, redete er sie folgendermaßen an: »Verehrungswürdige Dame, vielleicht werdet Ihr mich für nicht wenig anmaßend halten, wenn ich Euch jetzt die stille Liebe entdecke, die mein Herz für Euch empfindet und längst empfunden hat. Aber beschuldigt nicht mich, sondern Eure Schönheit, die Euch über alle andern Frauen erhebt und mich zu Eurem Sklaven macht. Ich schweige jetzt von Euren untadeligen Sitten, ich schweige von Euren hervorragenden, bewundernswerten Tugenden, die so groß und zahlreich sind, dass sie Macht hätten, die höchsten Götter vom Himmel hernieder zu locken.« Die schöne Frau, welche Sinforosia hieß, hatte die schmeichelnden süßen Worte wohl verstanden, die aus dem feurigen Herzen Philenios hervordrangen und konnte einen kleinen Seufzer nicht unterdrücken; jedoch bedachte sie ihre Ehre und dass sie vermählt sei und antwortete ihm nichts, sondern ließ sich nach beendigtem Tanz wieder auf ihrem Platze nieder. Nun saßen die drei fast in einem Kreise nebeneinander und unterhielten sich mit heiteren Gesprächen, als Emerentiana, die Frau Lambertos, nicht in böser Absicht, sondern scherzweise zu ihren beiden Gefährtinnen sprach: »Meine lieben Damen, soll ich Euch nicht etwas Lustiges erzählen, was mir heute begegnet ist?« »Nun, was denn?« fragten die Freundinnen. »Ich habe,« sagte Emerentiana, »während des Reigens einen Liebhaber gefunden und zwar den schönsten, anmutigsten und wohlerzogensten, der zu finden ist. Er sagt, meine Schönheit habe ihn mit solcher Liebesglut erfüllt, dass er Tag und Nacht keine Ruhe finde.« Und so erzählte sie ihnen Wort für Wort, was er zu ihr gesagt hatte. Als dies Panthemia und Sinforosia hörten, sagten sie, ganz dasselbe sei auch ihnen begegnet, und sie verließen das Fest nicht, ohne zuvor herausgebracht zu haben, dass es ein und derselbe gewesen, der allen dreien hintereinander den Hof gemacht hat. Hieraus entnahmen sie die Gewissheit, dass jene Worte des Verliebten nicht aus aufrichtiger Liebe, sondern aus Verstellung und Arglist hervorgegangen seien und maßen ihnen daher denselben Glauben bei, den man den Fieberträumen der Kranken oder den Phrasen in den Romanen zu schenken pflegt. Sie schieden auch nicht eher, als bis sie sich alle drei das Wort gegeben, eine jede von ihnen wolle ihn auf eine Weise zum besten haben, dass der Verliebte sich zeitlebens erinnern solle, dass auch die Frauen zu foppen verstehen. Emerentiana rief eine ihrer Mägde, die sehr hübsch und freundlich war und trug ihr auf, zu gelegener Zeit mit Philenio zu sprechen und ihm die Liebe zu vertrauen, welche ihre Herrin für ihn fühle, die, wenn es ihm recht sei, eine Nacht in ihrem eigenen Hause mit ihm zubringen wolle. Als Philenio dies hörte sagte zu der Magd: »Geh’, kehr’ nach Hause zurück, empfiehl mich deiner Herrin und sage ihr von mir, sie möge mich heute Abend erwarten, da ihr Mann nicht zu Hause übernachtet.« Inzwischen ließ Emerentiana viele Bündel scharfer Dornen zusammenlesen und legte sie unter die Bettstelle, in der sie des Nachts schlief und erwartete so die Ankunft des Liebhabers. Als es Nacht geworden war begab sich Philenio zu Emerentianas GI A N FR A NCE SCO ST R A PA ROLA

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Haus, wo ihm schnell geöffnet wurde. Nachdem sie eine Weile zusammen geplaudert und üppig miteinander gespeist hatten, suchten sie die Kammer auf, um sich ins Bett zu begeben. Aber kaum hatte sich Philenio entkleidet, um das Lager zu besteigen, kam Lamberto, der Gatte. Als die Frau dies hörte, tat sie sehr erschrocken, und da sie nicht wusste, wo den Liebhaber verbergen, befahl sie ihm, unters Bett zu kriechen. Als Philenio die Gefahr für sich und die Frau erkannte, verschwand er, ohne sich etwas anzuziehen, im bloßen Hemd unter dem Bett und zerstach sich so entsetzlich, dass an seinem ganzen Leibe von Kopf bis zu Fuß keine Stelle war, die nicht geblutet hätte. Und je mehr er sich in der Dunkelheit der Dornen erwehren wollte, desto ärger stach er sich und durfte doch nicht schreien, damit Lamberto ihn nicht höre und umbringe. Als der Morgen kam und der Ehemann das Haus verließ, kleidete sich der arme Student, so gut er konnte, wieder an und kehrte nach Hause zurück, wo er sich noch längere Zeit nicht von seiner Todesangst erholen konnte. Auch währte es nicht lange, so verfiel er von neuem in seine verliebten Neigungen und machte den beiden andern, Panthemia und Sinforosia, den Hof und brachte es dahin, dass er eines Abends Gelegenheit fand, Panthemia zu sprechen, der er seinen langen Kummer und seine beständigen Qualen erzählte und sie bat, doch Mitleid mit ihm zu haben. Die schlaue Panthemia stellte sich, als bedauere sie ihn, und entschuldigte sich, dass sie keine Möglichkeit habe, ihn zufriedenzustellen; zuletzt aber, wie von seinen süßen Bitten und heißen Seufzern besiegt, ließ sie ihn ins Haus. Schon war er entkleidet, um mit ihr zu Bette zu gehen, als ihm Panthemia befahl, in die Nebenkammer zu gehen, wo sie ihre Orangenwasser und andere wohlriechende Essenzen hatte, um sich erst gehörig zu parfümieren, bevor er ins Bett komme. Der Student, der die Arglist der boshaften Frau nicht durchschaute, betrat die Kammer, doch kaum hatte er den Fuß auf ein Brett gesetzt, das von dem Balken, der es hielt, losgemacht war, so stürzte er, ohne sich halten zu können, samt dem Brett in ein zu ebener Erde gelegenes Magazin hinab. Obwohl er tief herabgefallen war, hatte er sich doch durch den Sturz keinen Schaden getan. Als sich nun der Student an diesem dunkeln Orte befand, verfluchte er die Stunde und den Augenblick, wo er Panthemia kennengelernt. Als der Morgen dämmerte und der arme Jüngling den Betrug der Frau einsah, brach er ein Loch in die Wand und floh. Sinforosia, die schon von den beiden Streichen gehört hatte, die Philenio gespielt worden waren, besann sich darauf, ihm einen dritten zu spielen, der den ersten nichts nachgäbe. Sie begann daher, sooft sie ihn sah, ihn von der Seite bedeutsam verstohlen anzublicken, als wolle sie ihm zu verstehen geben, wie sehr sie sich um ihn verzehre. Der Student, der die erlittene doppelte Unbill schon vergessen hatte, fing bald an, vor ihrem Hause vorüberzuspazieren und den Verliebten zu spielen. Als Sinforosia sah, dass er bereits blindlings in sie verliebt sei, ließ sie ihn ins Haus kommen und sprach zu ihm nach vielen erheuchelten Seufzern: »Mein Philenio, ich weiß nicht, wer außer dir 31

VON DR EI SCHÖN EN DA MEN GENA R RT


mich zu dem Schritte verleitet hätte, zu dem du mich gebracht hast; denn deine Schönheit, deine Anmut und deine Art zu reden haben ein solches Feuer in meiner Seele entzündet, dass ich mich lichterloh wie trockenes Holz brennen fühle.« Als der Student sie so sprechen hörte, zweifelte er keinen Augenblick, dass sie vor Liebe zu ihm vergehen wolle. So erging sich der arme Schelm eine Weile mit Sinforosia in holden, ergötzlichen Liebesreden, und als es ihm endlich Zeit schien, sich zu Bette zu legen und an ihre Seite zu schmiegen, sprach Sinforosia: »Meine süße Seele, bevor wir zu Bette gehen wollen wir uns ein wenig zu stärken.« Damit führte ihn in ein Seitengemach, wo ein Tisch mit köstlichem Zuckerwerk und trefflichen Weinen bereit stand. Die verschlagene Frau hatte den Wein mit Opium vermischt, um zu bewirken, dass Philenio bis zu einem gewissen Zeitpunkte einschlafe. Er ergriff den Becher, füllte ihn mit diesem Weine und trank ihn, ohne einen Betrug zu ahnen, ganz aus. Nachdem er die Lebensgeister erfrischt und sich mit Orangenwasser eingerieben und parfümiert hatte, begab er sich zu Bett. Es währte aber nicht lange, so tat der Trank seine Wirkung, und der Jüngling verfiel in einen tiefen Schlaf. Sinforosia rief eine junge, kräftige Magd, die mit um die Sache wusste, worauf beide den Studenten bei den Händen und Füßen ergriffen, leise die Haustür öffneten und ihn auf die Straße schleppten, wo sie ihn ungefähr einen Steinwurf vom Hause entfernt liegenließen. Etwa eine Stunde vor Anbruch der Morgenröte, als der Trank seine Kraft verloren hatte, erwachte der Arme und meinte an Sinforosias Seite zu liegen, fand sich aber statt dessen barfuß und im Hemd, halb tot vor Kälte, auf der bloßen Erde liegen. Kaum vermochte sich der Bedauernswerte, an Armen und Beinen Erstarrte, wieder auf die Füße zu heben. Nur mit großer Beschwerde stand er auf, konnte sich aber kaum aufrecht halten und schleppte sich dann so gut es ging und ohne von jemandem bemerkt zu werden, zu seiner Herberge und sorgte dort für seine Gesundheit. Und wäre ihm nicht die Kraft der Jugend zu Hilfe gekommen, so wäre er gewiss nervenlahm geworden.

VON DR EI SCHÖN EN DA MEN GENA R RT

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Arrigo Boito → Falstaff

» Füllt euch die Ehre den Magen? Nein! Kann euch die Ehre ein Bein zurückgeben? Sie kann es nicht!! Oder einen Fuß? Nein! Wenigstens eine Zehe? Nein! Ein Härchen? Nein! Die Ehre ist kein Arzt! Was also ist sie? Ein Wort. Und was ist dieses Wort? Luft, die davonfliegt. Eine schöne Floskel! Kann einer, der tot ist, noch die Ehre fühlen? Nein! Lebt sie also allein bei den Lebendigen? Auch nicht. Denn die Schmeicheleien blähen sie auf, der Stolz korrumpiert sie und die Verleumdungen machen sie krank. Ich für meinen Teil, ich will sie gar nicht haben! Oh nein! « Falstaff, 1. Akt 33


Georgia Eilert

VOM JÄGER HERNE DIE MÄR IST ALT

Hintergründe zu einer alten Sage 34


Was aber hat es nun auf sich mit Jäger Herne, seinem Hirschgeweih und der heiligen Eiche? »Manch Wild springt auf, will man im Finstern jagen«, heißt es bei Shakespeare in den Lustigen Weibern. So findet sich beim Stöbern im mythologischen Unterholz eine Erzählstruktur, die eine zusätzliche, unausgesprochene Bedeutungsebene konstruiert und die eine Fülle von Anspielungen auf keltische Mythen enthält, diese scherzhaft paraphrasierend und zum Spaß verdrehend. Dem Publikum Shakespeares waren Geschichten aus der antiken und der einheimischen Mythologie, aus klassischen Komödien und Novellensammlungen, die Situationen und Typen der Commedia dellʼarte als »Fundus« für Handlungsmuster und Personenbestand ihrer gegenwärtigen Dramatik durchaus geläufig. Aus heutiger Sicht scheinen manche dieser Motive abwegig oder gar esoterisch zu sein, und die gelassene Selbstverständlichkeit, mit der Shakespeare und seine Zuschauer damit umgehen konnten, ist kaum noch nachzuvollziehen. Die mündliche Überlieferung, etwa durch Volkslieder und Märchen, und die schriftliche Tradition humanistischer Bildung ergaben einen bestimmten, begrenzten Bestand an Erzählmodi, die durch die Kunst des Autors frei verwendet und variiert wurden. Dieser freie Umgang mit Mythos und Literatur konnte ganz respektlos sein, es handelte sich eben um Material, das vorgefunden wurde und mit dem man arbeitete, bearbeitend, verwandelnd. Beziehungs- und Anspielungsreichtum, für das Publikum einer bestimmten Zeit verständlich, ist immer nur in Ansätzen zu rekonstruieren, aber gelegentlich ergibt sich daraus eine verblüffende Perspektive für die Interpretation. Die englische Legende erzählt von einem Jäger, der möglicherweise Richard Horne hieß; der von ihm tödlich verwundete Hirsch verletzte den Jäger. Herne-Horne verliert vor Entsetzen über seinen eigenen Jagdfrevel den Verstand. Im Wahnsinn identifiziert er sich mit dem getöteten Hirsch, montiert sich dessen Geweih auf die Stirn. Rasend umherirrend im Wald von Windsor verfängt er sich mit dem Geweih in einer Eiche – derart »gekreuzigt«, stirbt er dort. Sein Geist ist verdammt zur ruhelosen Jagd in Windsor Forest. Diese Mär ist wirklich alt und zeigt strukturelle und thematische Parallelen zu den Legenden von St. Hubertus und St. Eustachius, denen heilige Hirsche begegnen, die sie allerdings verschonen. Auch die Geschichte vom Gott OdinWotan, der sich als Opfer für sich selbst im heiligen Weltenbaum aufhängt, um so Weisheit durch Qualen zu erringen, ist verwandt. Im Volksglauben wird der verfluchte Jäger zum Herrn des Waldes, einem durchaus den Menschen nicht wohlgesonnenen Geist, einem Seelen-Jäger und Teilnehmer der »Wilden Jagd«, jenem Heer der unerlösten Seelen, das besonders die dunklen Winternächte unsicher macht. Um Hernes Eiche herum ist es immer zu Vollmond besonders unheimlich. Der Hirsch ist im Volksglauben ein Vegetationsdämon und Totenführer, Symbol für Potenz und Unsterblichkeit. Sein im 35

VOM JÄGER HER N E DIE M Ä R IST A LT


Harald Jahn, Gehörnter Ehemann ←

ponierendes Brunft-Verhalten, der jahreszeitliche Wechsel seines Geweihes und die »Lichter«-Spitzen am Geweih sind natürliche Anhaltspunkte für diesen Glauben. Geweih und Hörner, strukturell biologisch sehr verschiedene Erscheinungen, im Aberglauben aber oft gleichgesetzt, sind ambivalent in ihrer Bedeutung. Einerseits, getragen von dem Tier, zu dem sie gehören, dem Hirsch, dem Stier, gelten sie als Zeichen größter männlicher Kraft. Losgelöst aber von ihrem natürlichen Platz und auf einer fremden Stirn angebracht, sind Geweih und Gehörn das Spott-Zeichen des betrogenen Ehemannes. Die Hirschjagd war lange Zeit ein Adelsprivileg, das Wildern eines Hirsches ein schweres Verbrechen. Zu den bekannten Shakespeare-Legenden zählt die Geschichte, er habe zu seiner Hochzeit einen Hirsch gewildert. Der Wald ist im psychischen wie poetischen Kontext der Ort der Angst und Ungewissheit, die Metapher des Unbewussten. Im »Wald« verirrt, erfährt man die Abgründe und Wirrnisse der Seele, hat aber gerade durch die Begegnung mit der »Wildheit« die Chance, bewusst in die Kultur zurückzukehren. Bei aller Symbolfunktion, mit der Shakespeare in vielen Komödien spielt, ist der Wald auch und vor allem ein ganz konkreter Raum. Windsors Wald, bestehend aus Litcle Park, Great Park und Forest, erstreckte sich zur Zeit Königin Elizabeth I. im Westen nach Berkshire etwa 15 Meilen, im Südwesten nach Surrey bis Guildford an die 20 Meilen. Der bäuerlichen Bevölkerung waren GEORGI A EILERT

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Beerenlese, Hasenjagd und Holzsammeln gestattet, die Hirsche blieben dem Adel vorbehalten. Ungefähr eine halbe Meile südöstlich des Schlosses von Windsor steht die sogenannte Herne-Eiche. Bis 1796 galt die besonders alte Eiche als der authentische Baum des Spuks. Dann wurde der mehrfach vom Blitz getroffene, zerstörte Baum gefällt und dort eine neue Eiche angepflanzt, die noch heute gedeiht… Die Anti-Masque, nach demselben Modell gebaut wie die eigentliche Masque, oft auch als lustige Nebenhandlung in diese einbezogen, travestiert deren Handlungs- und Personenschema; es treiben Dämonen und andere Geister und komische Übeltäter allerhand grotesken Schabernack, kehren das Unterste zuoberst. Die Harmonisierung der Gegensätze, die die Masque anstrebt, wird in der Anti-Masque tumultarisch dementiert. Ernst und Scherz vermengen sich unentwirrbar. Das höfische Publikum, an Gelagen und Amüsement interessiert, kannte die mythologisch-allegorischen Themen zur Genüge, um die Travestie der »hohen« Motive zu Scherzen aus der Sphäre des Alltags, dieses uralte Verfahren des Komödienwitzes, respektlos genießen zu können. Für die Bevölkerung von Windsor bedeutet das grausame und perfide Strafgericht über Falstaff auch eine Dämonenaustreibung, die in Form einer Mummerei befreit von aufgestauten, verdrängten Ängsten und Trieben. In der und um die Eiche halten sich – nach heidnischem Glauben – stets viele Götter und Geister auf, die »Heilige Eiche« ist geradezu ein Versammlungsort und »Hochsitz« der Naturgeister. Auch als Ritualplatz wird die Eiche bevorzugt: alle »männlichen« Tugenden repräsentierend – Mut, Treue, Ehre, Kraft –, ist die Eiche Stätte für Opferhandlungen, Schwurleistung, Königskrönung und Rechtssprechung. Das Fest des sakralen »Eichenkönigs«, der den Geist der Eiche darstellt, fand statt am 24. Juni, das ist der alte Termin des Sommer-Sonnwendfestes. In der christlichen Besetzung der heidnischen Feiern wird das dann der Tag Johannes des Täufers. Der Herr der Eiche muss allerhand Quälereien erdulden, einen Scheintod durchmachen, dann aber darf er die »Heilige Hochzeit« feiern, um die Fruchtbarkeit der Natur zu erneuern. In der Mittsommernacht vom 23. auf den 24. Juni feiern auch Titania und Oberon ihr Hochzeitsfest. Noch in christlicher Zeit hat die JohannesNacht den Charakter der festlichen Liebesnacht, in der es allerhand Durcheinander gibt. Unter Hernes Eiche wird über Sir John – Johannes – Falstaff Gericht gehalten, er wird bis zur Todesangst gequält; abschließend wird eine Hochzeit gefeiert, wenn es auch nicht die von Falstaff ist: die Qual erleidet er, den Preis bekommen andere. Der listige Plan der Damen erfüllt sich. Von den lustigen Weibern in die Rolle des Jägers Herne gedrängt, auf der Stirne des Hirschen Geweih tragend, kann Falstaff es kaum begreifen, wie genau diese Inszenierung funktioniert als Strafaktion für einen Frevler, der in anderer Herren Gehegen wildern wollte.

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VOM JÄGER HER N E DIE M Ä R IST A LT


Oliver Láng

FALSTAFF – HISTORISCH UND BEI SHAKES­ PEARE »Häng’ du keinen Dieb, wenn du König bist!«, so spricht Falstaff bei seinem ersten Auftritt zu Prinz Hal, seinem späterem König. Und so führt Shakespeare seinen Helden, oder Anti-Helden, im Schauspiel Henry IV., Teil 1 ein. Es liegt im Interesse des Ritters, die Unterwelt nicht zu hart zu strafen; denn dieser Falstaff ist kein moralischer Saubermann, kein ranker und intellektuell verbrämter Zweifler, der am Weltschmerz und dem Verrat der Welt zugrunde geht. Er ist wohlbeleibt und deftig, alles, nur nicht fein, vor allem nicht unbedingt der gesetzestreueste aller Untertanen. Ja, dieser Charakter soll bewusst zweifelhaft sein, um zu zeigen, wie fragwürdig das junge Leben des Prinzen, des späteren Königs Henry, war: Wer solche Saufkumpanen hat, dem ist nie ganz zu trauen. Wer war aber Falstaff wirklich? Hat er gelebt? Ein indirekter Ahnherr der von Shakespeare erfundenen Figur ist der englische Ritter Sir John Oldcastle. Dieser – er hat im Grunde kaum Ähnlichkeit mit der späteren Komödienfigur – lebte Ende des 14., Anfang des 15. Jahrhunderts und war mit König Henry V. befreundet. Als Lollarde gehörte er einer Gruppe von Anhängern von John Wyclif an: Diese forderten kirchliche Reformen, griffen das PapstOLI V ER LÁ NG

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tum und die Institution der Kirche an, verwarfen eine Anzahl an Einrichtungen und Regeln und wünschten eine Abspaltung von Rom. Als Wyclif beim Konzil von Konstanz als Ketzer verurteilt wurde, galten auch seine Anhänger aals Häretiker. Und als solcher wurde auch Oldcastle angeklagt und vor Gericht gestellt. König Henry V. setzte sich für ihn ein und erreichte einen Aufschub für seinen Günstling; währenddessen gelang Oldcastle die Flucht aus dem Tower in London. Später, halbwegs in Sicherheit, versuchte er einen Aufstand anzuzetteln und war als dauernder Zündler – auch gegen das Königtum und -haus – bekannt. Mit entsprechendem Ende: Nach Jahren der Flucht wurde er 1417 gefasst, verurteilt, am Strang hingerichtet und auch noch verbrannt. Bereits im anonymen elisabethanischen Drama The Famous Victories of Henry V von 1588 (das Shakespeare wohl gekannt hat) kommt Sir John Oldcastle als Gefährte Henry V. vor. Auch Shakespeare ließ ihn in seinen Henry-

Edward Shuter als Falstaff in Henry IV, 1776 →

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Dramen vorkommen, musste den Namen allerdings nach dem Einspruch der Nachkommen des Ritters ändern. Also wurde Oldcastle in Falstaff unbenannt. Warum Falstaff? Womöglich, weil der Name an eine andere, bereits verwendete Figur, Sir John Fastolf(e), dort ein Feigling, der tatsächlich gelebt hatte, erinnerte. Als Antwort auf Shakespeares Oldcastle/Falstaff erschien 1599 ein Werk einer Konkurrenztruppe, The First Part of the True and Honourable History of the Life of Sir John Oldcastle, the good Lord Cobham, in der der Ritter als kämpferischer Märtyrer dargestellt wird. Doch zurück zur Theaterfigur Shakespeares in Henry IV.. Diese ist vor allem eines: beeindruckend. In ihrer Leibesfülle, ihrem Zungenschlag, dem rabaukigen Auftreten. Ja, welch ein Kontrast zur political correctness, welch faupaxbehaftetes Auftreten. Und das so nah am König! Dieser »Ritter vom Orden der Nacht«, von Henry das »dicke Vieh« genannt (und auch noch viel

Tod des Sir John Oldcastle, London, 1583 ←

Schlimmeres muss er sich anhören), weiß, dass »der bessere Teil der Tapferkeit Vorsicht« ist. Kein großer Held also, kein großer Kämpfer. Und doch einer, dem die Sympathien des Publikums gehörten. Denn gerade sein wenig einnehmendes Äußeres und Verhalten schienen, so erzählt die Geschichte, dem Adel und Königin Elizabeth I. so attraktiv, dass man sich von Shakespeare nach dem ersten Henry-Drama ein eigenes Falstaff-Stück, genauer ein Play of Sir John Falstaff in Love, wünschte. Zum allgemeinen Gaudium des Hofes, der den Rüpel lieb gewonnen hatte. Nur zwei Wochen hat es angeblich gedauert, bis das Stück – The Merry Wives of Windsor – fertig war, erzählt man, um auch gleich hinzuzufügen, dass dies ein Mitgrund an der vergleichsOLI V ER LÁ NG

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weise etwas schwächeren Machart der Komödie sein könnte. Denn Die lustigen Weiber von Windsor ist mehr Posse als bravouröses Komödientheater, in manchem einfach gestrickt. Ob diese rasante Entstehungsgeschichte mehr Legende oder Wahrheit ist, ist schwer zu beurteilen: Es scheint jedoch, dass Text-Anspielungen durchaus auf eine Erstaufführung am Hof (anlässlich der Feier der neuernannten Ritter vom Hosenbandorden) hindeuten. Einerlei. Es muss um 1597 gewesen sein, als diese Falstaff-Posse erstmals gespielt wurde und sie setzt auf bekanntes Erzählgut auf: Italienische Renaissance-Komödien, allerlei Traditionellem aus der römischen Antike, aber auch auf dem beliebten Ralph Roister Doister von Nicholas Udall aus der Mitte des 16. Jahrhunderts – die erste erhaltene englische Komödie überhaupt. Doch da Falstaff nun in der bürgerlichen Welt angekommen ist – The Merry Wives of Windsor ist eben kein Königsdrama – ist auch Falstaff nicht mehr ganz so ein Kontrapunkt zur ihn umgebenden (adeligen) Welt. Er ist ein bankrotter Hochstapler, ein sich selbst überschätzender Verlierer, vom Publikum oftmals geschätzt, aber kein Stachel im Fleisch. Den Schwung holt sich die Komödie eher aus dem übertölpelten Mannsvolk: In dieser Welt gehört den Frauen der Sieg, den Frauen und der jungen Generation. Noch zweimal zieht ihn Shakespeare heran: in Henry IV., Teil 2 und schließlich in Henry V. Dort allerdings geht es ihm an den Kragen: Er tritt nicht mehr auf, nur von seinem Tod wird berichtet, der banal und unspektakulär ist: Mrs. Quickly darf in einigen lapidaren Sätzen davon berichten. Und wie als trauriger Abgesang erzählt später ein Offizier zwei Akte später von Falstaff: »Er war voller Späße und Pfiffe und Kniffe und Possen; sein Name ist mir vergessen.« Ein tragisches Ende? Ja, wenn es ums Vergessen geht. Doch vielleicht hätte es Falstaff ohnedies nicht sonderlich interessiert, was die Nachwelt über ihn denkt. Denn wichtig war für Falstaff, ohne Zweifel, der gelebte und ausgelebte Moment. Und den hat er bekanntlich hochleben lassen.

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FA LSTA FF – HISTOR ISCH U N D BEI SH A K E S­P EA R E


Adrian Mourby

»HÖRT, VATER, DA IHR SCHWACH SEID, SCHEINT ES AUCH«

»Oh Mylord, ihr seid alt, Natur in euch steht auf der letzten Neige Ihres Bezirks; euch sollt’ ein kluger Sinn, der euern Zustand besser kennt als ihr, zügeln und lenken.« → REGAN, KING LEAR, 2. AKT


William Shakespeare Sir John Falstaff – wie Shakespeare und auch Giuseppe Verdi ihn sich vorstellten – ist eine paradoxe Figur, die verachtenswürdige Schurkerei und echtes Pathos in sich vereint. In Verdis Oper sehen wir, wie die Bürger von Windsor ihn übertölpeln und er dennoch über seine Niederlage schmunzeln kann, doch in den drei Stücken, in denen Shakespeare ihn auftreten lässt (in einem vierten kommt sein Tod abseits der Bühne vor), wird dieses Paradox noch stark gesteigert. Falstaff ist grausam, feig, betrügerisch, gefühllos und selbstsüchtig. Doch gleichzeitig ist Falstaff lustig, liebevoll, Falstaff ist so überaus lebendig. John Falstaff erhellt jeden Raum, in den er seinen massigen Körper wälzt. Er selbst warnt ja Prinz Hal im ersten Teil von Henry IV: „»Den dicken John verbannen, heißt alle Welt verbannen«. Als Publikum möchten wir nicht, dass Falstaff mit seinen Gaunereien Erfolg hat, und doch tut er uns leid, als er scheitert. Es tut uns auch leid zu sehen, wie ein alter Mann, der die Würde des Alters erlangt haben sollte, in einem Wäschekorb in die Themse geworfen wird, und (in Henry IV, 2.Teil), als dieser alte Mann vom jungen Prinzen, der für ihn wie ein Sohn gewesen war, öffentlich verschmäht wird. Die Figur des Old Sir John enthält im gleichen Maße Komödie und Tragödie, beides verstärkt durch die Tatsache, dass er am Ende seines Lebens steht. Der alte Mann als feste Größe der Komödie geht mindestens auf die griechische Komödie der neuen Periode zurück. Menander (ca. 342/341 – ca. 290 v.Chr.) setzte oft den zornigen alten Mann ein, um die Pläne seiner Liebenden zeitweilig zu vereiteln. Diese Figur, die später als Senex Iratus in die römischen Komödien von Plautus und Terenz aufgenommen wurde, konnte zum Beispiel der Vater des Helden sein – entschlossen, dass sein Sohn auf Liebe verzichten und nach seiner Pfeife tanzen solle – oder auch der Rivale des Sohnes um die Hand der Heldin, oder sogar beides gleichzeitig. Im europäischen Mittelalter taucht der komische alte Mann als der Vecchio der Commedia dell’arte wieder auf. Im Venedig des 16. Jahrhunderts kehrt er zurück als der korrupte komische Bösewicht Il Magnifico, und im 17. Jahrhundert in Italien war er als Pantalone weithin bekannt. Vom Aussehen her konnten diese alten Männer als runzelig oder fett oder sogar bucklig dargestellt werden, gebeugt durch das Gewicht des Geldes, das sie mit sich herumtragen. Wegen seiner dünnen Beine wurde Pantalone stets mit langen Hosen anstelle von Kniebundhosen gezeigt (daher stammt das Wort »Pantalons«). Aber es waren ja eben auch die körperlichen Mängel des Alters, vor allem der unbeholfene altersschwache Gang, warum wir über den Senex Iratus in all seinen Inkarnationen lachten. Als Shakespeare seine beiden Stücke über König Henry IV. schrieb (ca. 1596-1597), stützte er sich nur teilweise auf den Senex Iratus für die vielleicht großartigste Verkörperung des komischen alten Mannes, Sir John Falstaff. Die Person des Falstaff bezog sich auch direkt auf die englischen Moralitäten, in denen die korrupte Figur des Lasters (Vice) uns 43

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dazu bringt, mit ihm zu lachen, und uns so alle mitschuldig an seinen Missetaten macht. Tatsächlich könnte man argumentieren, dass der klassische Senex Iratus in Henry IV 1. & 2. Teil König Henry selbst ist, der zornige Vater, der erfolglos versucht, seinen Sohn (Prinz Hal) nach seiner Pfeife tanzen zu lassen, und der wegen seiner Gebrechlichkeit nur mit Hilfe anderer in die Jerusalem Chapel gelangen kann, um dort zu sterben. Shakespeare stellt diesen zornigen alten Mann ernsthaft dar und reserviert die Lacher für den eigentlichen Schurken des Stücks, Falstaff. Trotz aller gegen Falstaff erhobenen Anschuldigungen – Dieb, Lügner, Fresssack, Feigling, Prahlhans und Verderber der Jugend – bleibt er doch eine einnehmende Persönlichkeit, der in seiner lockeren Art höchst amüsant mit so viel davonkommt, aber herzzerreißend traurig, wenn er von dem jungen Mann verschmäht wird, den er liebt: »Ich kenne dich nicht, alter Mann; bereite dich zu deinem Tode,« sagt Prinz Hal, als er nach seiner Krönung zum König stehen bleibt, um Falstaff zu brüskieren. »Wie übel stehen graue Haare einem Dummkopf und Narren an!« »Der König hat ihm das Herz gebrochen«, meint Mistress Quickly, als Falstaff bald darauf im Nachfolgestück, Henry V., hinter den Kulissen stirbt. Es war Shakespeares Geniestreich, seinen komischen Schurken mit einem Mitgefühl zu erfüllen, das ein Vermächtnis des Humanismus der Renaissance ist, oder, einfacher gesagt, den Senex Iratus als Figur neu zu erschaffen, über die wir lachen und die wir trotzdem bedauern konnten. Laut Nicholas Rowe in seinem Werk Life of Shakespeare (1709) war Falstaff eine so populäre Figur, dass Königin Elizabeth »ihm befahl, sie in einem weiteren Stück zu verwenden und ihn als Verliebten zu zeigen.« Shakespeare entwickelte außerdem Aspekte von Falstaff in Sir Toby Belch (Twelfth Night, ca. 1600), Polonius (Hamlet, ca. 1602) und Gloucester (King Lear, ca. 1606). Alle diese Figuren sind zutiefst fehlerhafte Persönlichkeiten. Sir Toby missbraucht die Gastfreundschaft seiner Nichte, Polonius ist ein geschwätziger alter Intrigant, der sich in alles einmischt, und Gloucester ein törichter alter Mann, der nicht versteht, dass ihn einer seiner Söhne in Bezug auf den anderen täuscht, aber in allen Fällen werden sie grausam bestraft. Sir Toby wird von Sebastian arg verprügelt, Polonius wird erstochen, als er Hamlet nachspioniert, und Gloucester wird von König Lears rachsüchtiger Tochter Regan geblendet und in den Sturm hinausgejagt. Shakespeare war nicht der einzige seiner Zeit, der den alten Mann sowohl komisch als auch traurig fand. Die Abenteuer von Cervantes’ wahnhaftem Don Quixote erschienen im Jahr 1605, und die Figur des komischen, korrupten alten Mannes war im Drama des siebzehnten Jahrhunderts populär. In Molières L’école des femmes (1662) ist Arnolphe ein törichter alter Mann (von 42 Jahren), der die 17-jährige, die er heiraten möchte, nicht daran hindern kann, sich in seinen Sohn zu verlieben. Molière verwendete ein ähnliches Szenario in L’avare (1668), in dem Harpagon, ein 60 Jahre alter Geizhals, eine A DR I A N MOU R BY

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junge Frau heiraten möchte, die bereits seinen Sohn liebt, und in Les Fourberies de Scapin (1671), wo die Figur des Géronte seine Kinder nicht daran hindern kann, zu heiraten, wen sie wollen. In der Oper sind diese Falstaff-Figuren häufig Bassbuffos, wie zum Beispiel Rossinis Dr. Bartolo, der von den Liebenden Almaviva und Rosina in Il barbiere di Siviglia (1816) überlistet wird, oder Donizettis Don Pasquale (1843), wo ebenfalls eine ältere Person daran gehindert wird, die von ihm begehrte Frau

Schauspieler / westgriechische Terrakotta um 150 v. Chr. →

zu heiraten und dabei üblicherweise gedemütigt wird. In Komödien sind Liebe und Erfolg letztendlich immer der Jugend vorbehalten. Dieser Tropus setzt sich im zwanzigsten Jahrhundert mit Richard Strauss’ Der Rosenkavalier (1910) fort, in dem Baron Ochs von der jungen Sophie und dem Reichtum ihrer Familie überaus angetan ist, sie aber an den sehr jungen Mann verliert, der ihr seine Rose überbringen soll. Eine Variante dieses Narrativs findet sich in Pergolesis La Serva Padrona (1733), wo der griesgrämige ältere Junggeselle Umberto dazu gebracht wird, sein Dienstmädchen Serpina zu heiraten, anstatt ihre Mitgift zu bezahlen. Und in Rossinis La cenerentola (1816) mit dem törichten korrupten alten Mann Don Magnifico, der seine Chance auf ein angenehmes Leben im Alter darin sieht, eine seiner beiden Töchter mit Prinz 45

»HÖRT, VAT ER, DA IHR SCH WACH SEID, SCHEIN T E S AUCH«


Ramiro zu verheiraten. Als sich der Prinz statt dessen für Magnificos schlecht behandelte Stieftochter entscheidet, muss dieser sich erniedrigen und sie um Vergebung bitten. Zum Glück ist sie nachsichtiger, als er es verdient. Wenn dies Figuren vom Typ Senex Iratus sind, so sind sie durchsetzt mit all dem Pathos, das Shakespeare in uns für Falstaff heraufbeschwört. Wir wollen nicht, dass diese alten Männer Erfolg haben, doch gleichzeitig tun sie uns leid, wenn sie scheitern. Im 20. Jahrhundert nahm sich der Film des Pathos des törichten alten Mannes an. Eines der frühesten Beispiele war Der blaue Engel (1930), basierend auf Henry Manns Roman Professor Unrat, in dem ein angesehener alter Lehrer einer Revuetänzerin (Marlene Dietrich) verfällt und sie so verzweifelt halten möchte, dass er schließlich buchstäblich den Clown in ihrer Varieté-Show spielt. Während das Publikum in der Heimatstadt des Professors über ihn lacht, fühlen wir auch seinen Schmerz. In Hollywood zeigen neuere Filme wie Space Cowboys (2000), About Schmidt (2002), True Grit (2010) und Last Vegas (2013) alte Männer, die jung zu bleiben versuchen, als lächerliche und doch rührende Figuren. Als ein 65 Jahre alter Jack Nicholson (Schmidt) von einer lüsternen und nackten Kathy Bates aus einem Whirlpool gejagt wird, ist das komisch, aber auch sehr traurig, weil der alternde Schmidt vor Frauen seines Alters Angst hat. Warum also ist die Torheit dieser alten Männer am Ende ihres Lebens so amüsant und gleichzeitig doch so traurig? Ob wir ihre Einbildungen lieben (wie in Don Quixote) oder uns an ihrer Selbsttäuschung stoßen (wie bei Ochs in Der Rosenkavalier), so ist doch jede große Kluft zwischen Erwartung und Erfolg immer komisch. Aber gleichzeitig ist es unvermeidlich traurig, wie diese alten Männer sich blamieren oder mit knapper Not davonkommen, weil wir wissen, dass es für sie nur noch schlimmer werden kann. Wenn ein Kleinkind hinfällt und weint, lächeln wir, weil es süß ist, dass das Baby nicht kapiert, dass es jeden Tag weniger oft hinfallen wird, bis es eines Tages die höchste körperliche Sicherheit erreicht hat. Wenn jedoch ein alter Mann hinfällt, wirkt das vielleicht im Augenblick komisch, doch es ist eine Situation, die bloß immer schlimmer wird. Falstaff mag sich schlussendlich aus der Themse retten und es ist komisch, als er wie eine fette triefend nasse Ratte heraussteigt, behängt mit durchweichter Wäsche – aber es ist auch sehr traurig, denn beim nächsten Mal hat er vielleicht nicht mehr die Kraft, sich selbst aus dem Fluss zu hieven. Beim nächsten Mal fällt er vielleicht um wie ein kleines Kind und kann nicht mehr aufstehen. Wie sagt doch der Earl of Gloucester in King Lear, »Wir haben das Beste unsrer Zeit gesehn«. Ab jetzt geht es nur noch bergab. Als Sir John Falstaff in Henry IV, 2. Teil dem Richter Shallow zustimmt, »Wir haben die Glocken um Mitternacht spielen hören, Master Shallow,« dann gesteht er ein, dass sie wohl nie mehr solche Eskapaden erleben werden. Die Tage sind vorüber, als sie mit Jane Nightwork in Saint George’s Field lagen.

»HÖRT, VAT ER, DA IHR SCH WACH SEID, SCHEIN T E S AUCH«

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George Bernard Shaw

» Falstaff empfängt Licht und Wärme nur von der Nachglut der heißen Mittagssonne von Ernani; aber der Gewinn an Schönheit verdeckt den Verlust an Hitze. «

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KOLUMN EN T IT EL


Arthur Scherle

FALSTAFFOPERN

Die meisten Falstaff-Opern basieren nicht auf Shakespeares zweiteiligem Drama Heinrich IV, das in den Jahren 1597 und 1598 entstanden ist, sondern auf der possenhaften Komödie Die lustigen Weiber von Windsor, die der englische Dichter um 1600 geschrieben hat. Shakespeares Lustige Weiber waren die literarische Vorlage zu einer ganzen Reihe von Opern, die mit einem Werk des heute vergessenen französischen Komponisten Popavoine beginnt, das nach 1760 in Paris aufgeführt wurde. 1794 folgten in Mannheim Die Lustigen Weiber von Windsor des Komponisten Peter Ritter und 1796 ein gleichnamiges Singspiel des bekannteren Karl Ditters von Dittersdorf. Antonio Salieris Falstaff ossia le tre burle ist das erste bedeutendere Werk in der Reihe der Falstaff-Opern. Während Ritters Werk nur lokale Bedeutung und Dittersdorfs Singspiel nur wenige Aufführungen erlebt hatte, gehörte Salieris Opera buffa zu den Publikumslieblingen um 1800. Nach der Uraufführung am 3. Jänner 1799 am Wiener Kärntnertortheater wurde das Werk noch im selben Jahr ins Repertoire der Dresdner und der Berliner Hofoper aufgenommen. Auch in deutscher Übersetzung wurde die Oper gespielt. Als Beispiel für die Popularität sei erwähnt, dass Beethoven schon im Januar 1799 Klaviervariationen über die Arie «La stessa, la stessissima« aus Salieris Oper komponierte. Salieris Buffa steht in der Tradition der spätneapolitanischen Oper. Mit seinem Falstaff legitimierte sich der Wiener A RT H U R SCHER LE

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Hofkapellmeister und Zeitgenosse Mozarts als glänzender Beherrscher des Konversationsstils der italienischen Opera buffa. In den Ensembles und in einigen Arien dominiert das für die Buffa charakteristische Parlando, der Sprechgesang. Im Gegensatz zum Ford in Nicolais Lustigen Weibern ist Salieris Mr. Ford ein seriöser Charakter. Ähnlich wie Verdi in seiner »lyrischen Komödie« Falstaff nimmt Salieri den Zorn Fords, der sich über die vermeintliche Treulosigkeit seiner Frau empört, durchaus ernst. So stoßen die Arien dieses interessanten Charakters, der übrigens – im Gegensatz zu den Opern Nicolais und Verdis – von einem Tenor gesungen wird, in den Bereich der Opera seria vor. Falstaff ist demgegenüber als Buffa-Figur und als »miles gloriosus« gezeichnet. Die Oper enthält zahlreiche Ensembles, in denen sich Salieris Kunst des Parlando bewährt. Das Libretto Carlo Prospero Defranceschis konzentriert die Handlung von Shakespeares Lustspiel Die lustigen Weiber auf die wichtigsten Episoden. Im Gegensatz zu Nicolais und Verdis Oper enthält Salieris Werk eine interessante Expositionsszene, die trefflich in die Handlung einführt: Bei einem Fest im Hause Mr. Slenders kommt Falstaff der Gedanke, sich an die Damen Ford und Slender heranzumachen. Ansonsten erinnert die Handlung vor allem an Nicolais Werk, dessen Librettist Mosenthal wohl Defranceschis Libretto gekannt haben mag. Einer der wichtigsten Unterschiede im Vergleich zu Nicolai ist das Fehlen des lyrischen Kontrastpaares. In Salieris Oper fehlen nämlich Fenton und Jungfer Anna Reich. Auch den um die Gunst Annas erfolglos buhlenden Franzosen Dr. Cajus gibt es zwar in Shakespeares Lustspiel und in Nicolais Oper, jedoch nicht bei Salieri. Es ist alte Buffotradition, wenn Falstaff in Salieris Werk an einigen Stellen ein komisch wirkendes Ragout von Italienisch und Deutsch im Gespräch mit Mrs. Ford produziert, die sich als »Deutscher« verkleidet hat. Nicolai übernahm diesen Effekt bei seinem Franzosen Dr. Cajus, der deutsch radebrecht. Ähnlich wie bei Verdi steht dem dicken Ritter ein Diener zur Seite (bei Verdi sogar zwei): Bardolfo. Bei Nicolai fehlen die Dienerrollen. Alle Librettisten haben im Vergleich zu Shakespeare die Zahl der Rollen reduziert. So treten im Lustspiel z. B. noch ein Landrichter, ein Geistlicher und einige Dienerfiguren auf.

Falstaff-Opern der Romantik Mit der Shakespeare-Renaissance in der zweiten Hälfte des 18.Jahrhunderts setzte schlagartig auch das Interesse der Komponisten an Shakespeare-Sujets ein. Noch vor Schlegel und Tieck hatte Christoph Martin Wieland Dramen und Lustspiele des englischen Dramatikers ins Deutsche übertragen. Die lustigen Weiber hatte Wieland jedoch nicht übersetzt. Er rechtfertigte dies damit, die Falstaff-Szenen seien ein »Gemälde untersten Grades von pöbel 49

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hafter Ausgelassenheit des Humors und der Sitten«. Der Humor, der in den Lustigen Weibern dominiere, beruhe größtenteils »in sehr pöbelhaften Schwänken, Zoten und Wortspielen und einer ekelhaften Art von falschem und schmutzigem Witz«. Die literarische Strömung des »Sturm und Drang« sowie die Romantik ließen die Bedenken des Aufklärers Wieland im Hinblick auf Falstaff und Die lustigen Weiber nicht mehr gelten. Die Komponisten entdeckten im Gegenteil die besondere Eignung des Falstaff-Sujets für eine Opernbearbeitung. Die bereits erwähnten Werke von Ritter, Dittersdorf und Salieri entstanden alle in den neunziger Jahren des 18. Jahrhunderts. 1838 folgte ein Falstaff des damals in England sehr beliebten anglo-irischen Komponisten Michael Balfe, der 1838 in London uraufgeführt wurde. Der französische Komponist Adolphe Charles Adam schrieb 1855 als eines seiner

Antonio Salieri, Falstaff,, 1799, Falstaff Titelvignette des Klavierauszugs ←

letzten Werke einen heute vergessenen Einakter Falstaff. Die meisten Opern richten sich nach der Handlung von Shakespeares Lustspiel und münzen dessen possenhafte Situationskomik aus, darunter die Verkleidung Falstaffs als »alte Frau« sowie das Verstecken des Ritters im Wäschekorb, der zum Gaudium der Damen des Schauspiels und der Theaterfreunde mit schmutziger Wäsche und Sir John als Inhalt in die Themse gekippt wird. So auch in Otto Nicolais Die Lustigen Weiber von Windsor, die am 9. März 1849 (zwei Monate vor dem Tode des Komponisten) an der Königlichen Oper in Berlin A RT H U R SCHER LE

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uraufgeführt wurden. Das Libretto zu Nicolais Weibern schrieb der Wiener Literat Salomon Hermann Mosenthal. Im Gegensatz zu Verdis Libretto greift Mosenthal nicht auf die Falstaff-Szenen von Shakespeares historischem Schauspiel Heinrich IV. zurück. Nicolai und sein Librettist betrachten die Charakterprobleme als Nebensache; ihnen genügen im Wesentlichen die Situationskomik der Handlung und die romantische Stimmung, die sich besonders eindrucksvoll im letzten Bild von Nicolais Oper entfaltet, das im Walde bei Windsor spielt. Bezeichnenderweise nannte der Komponist sein Werk eine »komisch-phantastische Oper«. In seiner melodiösen und vorbildlich instrumentierten Partitur verbindet sich das Brio der italienischen Opera buffa mit dem Sentiment der deutschen romantischen Opern. Es ist bezeichnend, dass in Nicolais Oper die Ensembles dominieren, in deren Rahmen sich ein Großteil der turbulenten Handlung abspielt. In ihnen dokumentiert sich der Geist der Opera buffa. Hielt sich doch Nicolai längere Zeit in Italien auf, wo er die italienische Oper studiert und selbst eine Reihe von Werken in italienischer Sprache geschrieben hatte. Im Gegensatz zu Verdis Oper Falstaff hat der dicke Ritter bei Nicolai kaum Gelegenheit zu Reflexionen in Arien oder gesungenen Monologen. An den lyrischen Ruhepunkten kommt vor allem das Liebespaar Fenton-Anna zu Gehör: Fenton mit der berühmten Romanze »Horch, die Lerche singt im Hain«, Anna mit Rezitativ und Arie »Wohl denn, gefasst ist der Entschluss«. Dem Stil der deutschen Spieloper entsprechend, ist Nicolais Werk – im Gegensatz zum durchkomponierten Falstaff Verdis – eine Oper mit Sprechdialogen, in deren Rahmen sich ein Teil der Handlung abspielt. Es ist ein interessantes Phänomen, dass Nicolais Werk – die wohl populärste Falstaff-Oper – Shakespeares Lustige Weiber fast ganz aus dem Repertoire verdrängt hat.

Verdis Falstaff Nur wenige Operntextdichter beziehen den Falstaff von Shakespeares historischem Drama Heinrich IV. in ihre librettistische Konzeption ein. Dazu gehört eine Oper von Donizettis Zeitgenossen Francesco Raffaele Mercadante aus dem Jahr 1834 unter dem Titel Die Jugend Heinrich V. Das Textbuch stammt von dem außerordentlich fruchtbaren und in seiner Zeit sehr geschätzten Librettisten Felice Romani, der vor allem als literarischer Mitarbeiter Bellinis und Donizettis bekanntgeworden ist. Das gewichtigste Werk, das – hinsichtlich der Handlung und vor allem der Personencharakteristik – Anregungen aus Shakespeares Heinrich IV. übernimmt, ist Verdis »lyrische Komödie« Falstaff. Arrigo Boito, Verdis Librettist, war ein vielseitiger und literarisch versierter Künstler. Er komponierte nicht nur Bühnenwerke – wie seine Oper Mefistofele –, er übersetzte auch Wagner-Opern ins Italienische und schrieb Libretti für den eigenen Bedarf sowie für andere Komponisten. Seine be 51

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deutendsten Texte sind zwei Libretti für Giuseppe Verdi: Otello und Falstaff. Boito war ein Kenner der Weltliteratur. Otello und Falstaff basieren auf Schauspielen Shakespeares. Boito lieferte keine literarische Dutzendware. Für ihn stand die Operndichtung – hinsichtlich ihres künstlerischen Ranges – gleichberechtigt neben der dramatischen Dichtung. So sind seine beiden Shakespeares-Libretti in langwieriger Arbeit und in engem Zusammenwirken mit dem Komponisten entstanden. Die beiden Texte Boitos für Verdi bezeugen nicht nur poetische Qualitäten; sie gehen in ihrer dramaturgischen Konzeption in erstaunlicher Weise auf die Stileigentümlichkeiten von Verdis Spätstil ein. Falstaff ist in der Konzeption Boitos und Verdis kein literarischer Typus, wie etwa der »miles gloriosus«. Er ist nicht einseitig als komische Figur charakterisiert: Komik, Tragik, Besinnliches und Reflektierendes mischen sich im Libretto. So ist Falstaff zu einer vielfältig schillernden Persönlichkeit geworden, die vom Ritter abweicht, den Shakespeare in seinen Schauspielen gezeichnet hat. Wirkt Falstaff in Shakespeares »Historical« Heinrich IV. durch seine Feigheit und seinen Egoismus an manchen Stellen sogar unsympathisch und der Falstaff des Lustspiels Die lustigen Weiber vor allem komisch, so ist Verdis Titelheld ein »gemischter Charakter«, der Gutes und Böses, sympathische und unsympathische Charakterzüge in sich vereinigt. Während in Nicolais Oper der Akzent auf den Ensembles liegt, ist bei Verdi ein Gleichgewicht zwischen Solo- und Ensemblenummern erreicht. Die Persönlichkeit Falstaffs offenbart sich in Verdis Oper in zwei gewichtigen Monologen. Die Anregung zu Falstaffs Monolog über die Ehre im 1. Akt der Oper empfing Boito aus Shakespeares Heinrich IV: Wir lernen den Ritter als Realisten kennen, dem die elementaren Bedürfnisse des Lebens wichtiger sind als philosophische Spekulationen. Nach dem unfreiwilligen Bad in der Themse, das Falstaff seiner Liebesleidenschaft zuzuschreiben hat, reflektiert er zu Anfang des 3. Aktes der Oper in einem weiteren Monolog über die »schnöde Welt«. In Verdis Oper erleben wir Falstaff einmal lustig, einmal traurig, einmal als Epikuräer, einmal als Pessimist. Doch immer wieder setzt sich schließlich der Optimismus durch. Boito benutzte für seine Operndichtung im Wesentlichen das Handlungsgerüst von Shakespeares Lustigen Weibern, weicht jedoch in der Charakterzeichnung erheblich von Shakespeares Lustspiel ab. Er übernahm Charakterzüge und Reflexionen aus Heinrich IV. Auch zwei Sonette Shakespeares boten ihm Anregungen zu seinem Operntext. Die Schlussfuge »Tutto nel mondo è burla« (»Alles auf Erden ist Spott«) klingt an Shakespeares Lustspiel Wie es euch gefällt an. Obschon Boito verschiedene Werke Shakespeares als Quelle benutzt hat, merkt man seinem Libretto die philologische Arbeit nicht an. Die psychologische Vertiefung der Charaktere kommt nicht nur dem Titelhelden zugute. Der in Nicolais Oper recht spießbürgerliche, auf seine Frau eifersüchtige Ford tobt in Verdis Oper in einem eindrucksvollen Monolog vor Wut über den vermeintlichen »Ehebruch« seiner Frau. Es sind Töne der Leidenschaft, die wir in dieser A RT H U R SCHER LE

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Intensität weder in Salieris Buffa noch in Nicolais romantischer Oper vernehmen. Die Singstimme wird in den großen Monologen des Falstaff meist im Parlando und nur an einigen Stellen arios geführt. Ähnlich wie in Nicolais Oper sind die lyrischen Passagen vor allem dem jungen Liebespaar Fenton und Nannetta (sie entspricht Nicolais Anna) vorbehalten. Die zarte Lyrik von Nannettas Arioso »Sul fil d’un soffio etesio« (»Auf weichen Zephirs Wellen«) traut man eigentlich einem achtzigjährigen Komponisten gar nicht mehr zu.

Falstaff-Opern im 20. Jahrhundert Als im 18. Jahrhundert zunächst in Großbritannien und dann auf dem europäischen Kontinent eine Shakespeares-Renaissance einsetzte, wurde Falstaff schnell zu einem der volkstümlichsten Charaktere des großen englischen Dichters, für die sich Schauspieler und Literaten interessierten. Es ist nicht verwunderlich, dass englische Komponisten ein besonders enges Verhältnis zu den Schauspielen Shakespeares haben. Sie schrieben Schauspielmusiken zu Lustspielen und Dramen ihres Landsmanns, wobei auch die Gestalt Falstaffs ihre musikalische Phantasie angeregt hat. Der 1902 geborene Komponist William Walton schrieb die Musik zum Film Heinrich V., in der ein Orchestersatz dem Tode Falstaffs gewidmet ist. Das bedeutendste sinfonische Werk, das sich mit dem Charakter des Falstaff beschäftigt, stammt ebenfalls von einem Engländer. Es ist Edward Elgars »Sinfonische Studie« Falstaff. Das Opus wurde 1913 im Rahmen eines Musikfestivals in Leeds uraufgeführt. Elgars Werk steht der Programmusik des 19. Jahrhunderts nahe. So gibt es vor allem stilistische Bezüge zur Tondichtung Don Quixote von Richard Strauss. Edward Elgar hatte sich aus Shakespeares Heinrich IV. Handlungselemente als »Programm« zusammengestellt, das ihm als literarische Vorlage zur Komposition seiner »Symphonie Study« diente. Ähnlich wie Boito in seinem Libretto für Verdi wertet Elgar die Gestalt des Falstaff auf. Der Komponist betont ausdrücklich, dass seine musikalische Konzeption sich nicht nach den Lustigen Weibern richte; Falstaff sei für ihn kein Tölpel, sondern »ein Ritter, Ehrenmann und ein Soldat«. Noch weniger bekannt als Elgars Werk sind auf dem Kontinent zwei Falstaff-Opern britischer Komponisten. Ralph Vaughan Williams schrieb eine vieraktige Oper Sir John in Love (Sir John als Liebhaber), die zwischen 1924 und 1928 entstanden ist. Im Gegensatz zu Verdis Falstaff nimmt der dicke Ritter in Vaughan Williams’ Werk keine dominierende Stellung ein. Dies dokumentiert sich schon im Personenverzeichnis, das zwanzig Akteure aufweist. Das Libretto richtet sich im Wesentlichen nach Shakespeares Lustigen Weibern, wenngleich lyrische Passagen aus anderen Lustspielen Shakespeares und aus Werken von Shakespeares Zeitge 53

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nossen Ben Jonson, Thomas Middleton, John Fletscher und George Peele in den Text eingebaut sind. Auch die elisabethanische Lyrik wurde für ariose Stellen herangezogen. So gibt die Oper Sir John in Love, dank ihrer Fülle an Akteuren, weniger ein Porträt des dicken Ritters als ein farbiges Zeitbild aus dem elisabethanischen England. Gustav Holsts Einakter At the Boar’s Head (Am Haupte des Keilers), die zweite Falstaff-Oper des 20. Jahrhunderts bezieht die Folklore des 16. und 17. Jahrhunderts sowie Originalmelodien englischer Komponisten der damaligen Zeit in einem größeren Umfang als Vaughan Williams‘ Werk in die Partitur ein. Das »Musical Interlude in one Ace« spielt in Falstaffs Kneipe »The Boar’s Head«. Im Gegensatz zu Vaughan Williams’ vieraktiger Oper ist die Handlung des Einakters ganz Shakespeares Schauspiel Heinrich IV. entnommen. Falstaff ist der dominierende Charakter des Werkes. In den Text, der auch das altertümliche Englisch Shakespeares übernimmt, sind zwei Sonette des Dramatikers eingebaut. Auch die Musik ist historisierend. Sie bezieht einen Teil ihrer melodischen Substanz aus Playfords Sammelband English Dancing Master aus dem Jahr 1651 sowie Liedsammlungen der elisabethanischen Zeit. Die musikalische Verarbeitung und die Instrumentation sind allerdings modern.

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Ernst Krenek

» In meiner Jugend habe ich das Vorurteil der im Schatten Wagners aufgewachsenen Generation geteilt, nach welchem Verdi ein geschickter Hersteller von Leierkasten-Melodien war […] Heute höre ich Verdi gern, immer wieder gepackt von seiner dramatischen Schlagkraft, seiner lebendigen und sorgfältigen Charakterzeichnung und seiner klaren, farbenreichen und dabei so wunderbar sparsamen Orchestration, die es dem Hörer stets ermöglicht, den Sänger zu verstehen. Natürlich stehen mir die späteren Opern Verdis besonders nahe, speziell Falstaff, diese seltene Mischung aus Eis und Feuer. «

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KOLUMN EN T IT EL


Andreas Láng

NUR EIN SPIEL

Was haben die (selbsternannten) Musik-Großkopferten nördlich der Alpen Verdi bezüglich seiner Werke doch alles vorgeworfen! Wie oft hat man ihn genüsslich seiner angeblichen Leierkastenmusik wegen gezeiht, ihn bestenfalls nachsichtig belächelt, seine im Laufe der Zeit immer deftigeren und bestimmenderen chromatischen Einsprengsel lediglich dem Einfluss Richard Wagners zugeordnet. Andererseits: Wie populär und beliebt war Verdi beim Publikum südlich und nördlich der Alpen! Der Beifall bezeugte seine dramatische, seine bühnenwirksame Hand, die melodische Erfindungsgabe, die Charakterisierungskunst, mit der er Figuren auf der Bühne plastisch zum Leben erweckte und ihnen Tiefe verlieh. Doch dann kam zum Schluss der Falstaff. Und mit diesem verfressenen, verarmten, geldgierigen, adeligen, aber alles in allem doch sympathischen Möchtegernfrauenhelden schienen die Kritiker ebenso überfordert wie die meisten, die von der sterbenden Violetta oder Gilda oder Leonora oder Aida A N DR EAS LÁ NG

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↑ Tatiana Lisnic als Nannetta, Krassimira Stoyanova als Alice, Jane Henschel als Mrs. Quickly und Elīna Garanča als Meg Page, 2003

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zu Tränen gerührt waren. Folglich galt der Erfolg an jenem überaus festlich zelebrierten Falstaff-Uraufführungstag an der Mailänder Scala (9. Februar 1893) weniger dem Stück als dem bescheidenen, asketisch-schlanken Greis, der seinem Tragödienlebenswerk eine klug-humoristische Krone aufsetzte. Mit diesem fast das komplette Werk durchziehenden Dauerparlando hatte niemand gerechnet. Und wenn da und dort schließlich doch eine Arie aufkeimt oder ein Liebesduett, dann ist das dazugehörige Anführungszeichen, das Verdi wie ein Rufzeichen gebrauchend einsetzte, förmlich spürbar. Schon der Beginn verstörte: Wenn bereits beim Otello ein wirkliches Vorspiel fehlte, so hatte Verdi immerhin noch mit einem handfesten Sturm die Tragödie eingeleitet. Doch der Falstaff? Beginnt mit einer Pause auf Eins, gefolgt von einem akzentuierten Akkord auf die schwache Zwei des Viervierteltaktes, um dann wenig später polternd ins erste Ensemble zu münden, das – von kurzen, unsentimentalen Rufen und tonwiederholenden Parlandoketten geprägt – recht abrupt ins Geschehen einführt. Und der Schluss? Eine Fuge. Eine Fuge in C-Dur, in der die Tonarten gewechselt werden, dass es eine Freude ist. In der zugleich gezählte 66 Mal der Welt ins Stammbuch geschrieben wird, dass alles auf Erden Spott wäre. Wie weit war Verdi da schon von jenem Mann entfernt, der sich als Galeerensklave sah, der Sträuße mit der Zensur ausfocht, der einen Misserfolg überschießend gleich als Fiasko apostrophierte. Altersmild? Altersweise? Dem entlarvenden Falstaff-Humor nach urteilend eher Letzteres. Wenn der junge Fenton im Park von Windsor eine Liebesarie singt, so steht nicht der N U R EIN SPIEL


junge und mittlere Verdi hinter ihm, um der hier vorgebrachten wahren Inbrünstigkeit Nachdruck zu verleihen. Hier schwebt der alte Verdi weit über dem jungen Liebenden – und wenn er Richard Strauss und der Falstaff-Librettist Arrigo Boito Hugo von Hofmannsthal wäre, so sagten die beiden wie im Rosenkavalier wohl: »Sind halt aso, die jungen Leut.« Aber Verdi ist Verdi und Boito ist Boito. Und so wird Fenton zusammen mit seiner geliebten Nannetta durch den mütterlichen Realitätssinn Alices ins Geschehen zurückgeholt. Aber die Erkenntnis ist trotzdem dieselbe: »Sind halt aso, die jungen Leut.« Verdi, der Menschenkenner, weiß um die Emotionen, die uns bewegen, er kennt die hehren und die weniger hehren Gefühle. Er hat so vieles in seinen unzähligen Bühnenfiguren durchlitten, durchhofft, durchlebt. Am Ende wusste er: »Alles ist Spott auf Erden«. Mit diesem Wissen schrieb er den Falstaff und deklinierte für sein Publikum: »Sind halt aso, die jungen Leut, sind halt aso, die eifersüchtigen Ehemänner, sind halt aso, die schlitzohrigen Gauner, sind halt aso, die gewieften Frauen« –, die aber insgeheim selbst von einem Liebesbrief eines Verachteten mehr als geschmeichelt sind, solange nur sie selbst die Adressatinnen sind (die kurz aufblühende Musik im Frauenquartett am Ende des ersten Aktes verrät dies). Aber alles in allem muss man nichts wirklich ernst nehmen. Auch nicht das scheinbar Mystisch-Zauberhafte. Wie vollblutig ließ Verdi in seinem Macbeth Hexen und Visionen durch die Partitur gruseln. Nannetta und ihr Feengefolge schlagen da im Falstaff ganz andere Töne an. Leichtfüßig wird hier die Tür zum Impressionismus aufgestoßen, und so entrückt es mit einem Mal auch klingen mag – von der Titelfigur ausgenommen –, wissen alle auf der Bühne und im Zuschauerraum: Es ist nur Spiel! Und wenn kleine atmosphärische Reminiszenzen, Andeutungen, Anspielungen, aus Verdis früheren Werken in der Falstaff-Partitur aufblitzen, dann sind es nur Zitate, die ebenfalls unterstreichen sollen: Es ist nur Spiel! Verdi hat bekanntlich immer Partei für die Schwachen, die Verlierer und die Geächteten ergriffen. Im Falstaff ergreift er die Partei für das menschliche Leben in seiner kompletten Fülle, ohne jedoch einzelne Aspekte überbetonen zu wollen. Vielleicht handelt es sich bei Verdi gar nicht um Altersweisheit, sondern um Altersliebe, denn sein Blick auf das gesamte Falstaff-Personal bleibt trotz allen humoristischen Schärfen und Kanten ein liebevoller. Puccini wird anderthalb Jahrzehnte später mit dem Gianni Schicchi ein deutlich böseres Menschenvolk auf die Bühne bitten. Der Falstaff ist versöhn­ licher.

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Giuseppe Verdi

» Falstaff ist ein armer Narr, der alle möglichen Schlechtigkeiten begeht, aber auf lustige Art. Er ist ein Typ. Es gibt so vielerlei Typen! Die Oper ist durchaus komisch! Amen! «


Oliver Láng

DER ALTE LACHT WIEDER

Wie Verdi seinen Falstaff schrieb


»Schreib nur tragische Opern, keine Komödien! Du hast die schwere Hand des Dramatikers!« So sprach Gioachino Rossini, damals unbestrittener Operngott und freundschaftlicher Meister, zu seinem deutlich jüngeren Kollegen, zu Giuseppe Verdi. In jener schicksalshaften Nacht, in der Verdis erste musikalische Komödie Un giorno di regno mit ohrenbetäubendem Karacho beim Publikum durchfiel. Noch hallten die Gänge vom Pfeifen des Publikums wider, als Rossini dem am Boden Zerstörten den wohlmeinenden Rat gab. So zumindest berichtet die Legende. Die faktische Operngeschichte berichtet: Dass Verdi danach für lange Jahre nur noch tragische Libretti anfasste. Nur einmal wäre er der tragischen Muse fast untreu geworden, hätte erwogen, in den 1870er-Jahren einen Tartuffe (nach Molière) zu schreiben. Aber nein! Auch das nicht! Lieber die sterbende Aida... Also: kein Lachen! Sondern: tragische Opern! Für fünf Jahrzehnte. In diesen wuchs Verdi zum Nachfolger der großen Drei, also Rossinis, Bellinis und Donizettis heran, übertraf alles ihn Umgebende. Wer von italienischer Oper sprach, der sprach von Verdi. Und wer von Verdi, der von italienischer, tragischer Oper. Und nicht nur er setzte die Tradition der opera buffa, der italienischen heiteren Oper, nicht fort, ganz Italien schien gelähmt. Nach dem Don Pasquale von Gaetano Donizetti gelang kein einziges bedeutendes Werk dieses Genres mehr. Das Lachen war den italienischen Komponisten gründlich vergangen. Ja, mehr noch: Nach seiner Aida, 1871 uraufgeführt, zog sich Verdi als Musiktheaterkomponist mehr und mehr zurück. Zehn Jahre dauerte es, bis er wieder etwas herausbrachte, und auch das war kein neues Werk, sondern nur eine (allerdings: ziemliche) Neufassung des bekannten Simon Boccanegra. Zu dieser hatte ihm der Verleger Giulio Ricordi einen jüngeren Meister vermittelt: Arrigo Boito, selbst Komponist und auch Librettist. Danach folgte drei Jahre später die Überarbeitung des oftmals überarbeiteten Don Carlo. Sonst: Stille. Der Opernkomponist Verdi hatte sich auf sein geliebtes Gut zurückgezogen und betrieb Landwirtschaft. Doch dann… Dann: Verdi ist inzwischen 73 Jahre alt und hat zu Boito einigermaßen Vertrauen gefasst. Die beiden kannten einander zwar schon vor der Boccanegra-Zusammenarbeit, hatten zuvor aber kein richtiges Feuer gefangen. Doch seit Boccanegra ist es anders. Verdi und Boito finden ein neues Sujet, finden einen gemeinsamen Weg, finden zu einer gemeinsamen Sprache: Boito dichtet, Verdi komponiert und heraus kommt Otello, ein Triumph sondergleichen. Verdi verlässt mit dieser Oper die gewohnten Pfade, schreibt neues Musiktheater, eine ungewohnte Musik. Und, ja, ein Dritter ist auch noch im Bunde, es ist Shakespeare, jener Theaterdichter, den Verdi über alles liebt und bewundert, dessen Werke er genau kennt. Seinen Macbeth hat er bereits vertont, nun den Otello, und über den Lear denkt er seit langem nach. 61

OLI V ER LÁ NG


Doch es kommt anders. Inzwischen schreiben wir 1889, Verdi ist nun 76 Jahre alt, und aus der fruchtbaren Boito-Shakespeare-Verdi-Konstellation soll ein zweites neues Werk entstehen. Doch nicht der Lear. Diesmal: keine Tragödie, sondern – eine Komödie! Jenes Genre, das Verdi so lange nicht angerührt hat. Und eine ganz besondere: nämlich eine rund um Falstaff, den ältlichen Lebemann, verfressen, gierig, verlacht, tragisch, komisch. Doch woher kam die Idee? Eine schöne Anekdote erzählt, dass Verdi bereits früher schemenhaft an eine Opernfigur à la Falstaff dachte, nämlich als einst der Impresario Mauro Corticelli, wohlbeleibt, eingebildet und auf stetiger Jagd nach Frauen, bei den Verdis auf dem Gut Sant’Agata lebte. Dieser Corticelli war offenbar ein Quell ewiger Heiterkeit, ob man nun mit oder über ihn lachte. Als Genussmensch erfreute er sich am Essen, Trinken und Leben – und leider auch auch am Dienstmädchen des Hauses. Grund genug, ihn

Aldolfo Hohenstein, Giuseppe Verdi hinter der Bühne der Mailänder Scala, 1893 ←

strikt aus dem Haus zu weisen. Es wurde nun stiller auf Sant’Agata, aber in der Fantasie Verdis lebte die Figur offenbar fort und fand schließlich ihr Abbild im Falstaff, dem zweifelhaften Helden Shakespeares. (Dass er schon früher über einen Falstaff zu einem Libretto von Antonio Ghislanzoni nachdachte, bestritt Verdi stets heftig.) 1889 also: Boito schlägt den Stoff vor, Verdi willigt ein. Der Librettist schickt im Sommer einen ersten Entwurf, den Verdi begeistert – »Ausgezeichnet! Ausgezeichnet! Man könnte es nicht besser machen!« – annimmt. Die Arbeit kommt in Schwung, vorerst aber noch hoch geheim. Niemand ist eingeweiht, nicht einmal der Verleger Ricordi. Erst ein gutes Jahr später, im OLI V ER LÁ NG

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Herbst 1890, geht man an die Öffentlichkeit. »Was soll ich sagen«, schreibt Verdi im Dezember dieses Jahres an den Musikkritiker Gino Marchese Monaldi, »Seit 40 Jahren wünsche ich, eine komische Oper zu schreiben und seit 50 Jahren kenne ich Le allegre comari di Windsor; dennoc … die üblichen Aber, die es allenthalben gibt, widersetzen sich stets der Erfüllung meines Wunsches. Nun hat Boito all diese Aber zerstreut und mir eine lyrische Komödie gemacht, die keiner anderen gleicht. Ich habe Freude daran, die Musik dazu zu machen, ohne irgendwelche Pläne, und ich weiß nicht einmal, ob ich sie beenden werde.« Es dauert zwei Jahre, bis das Werk vollendet ist, und noch bevor die Uraufführungs-Vorbereitungen richtig in Fahrt kommen, stirbt Franco Faccio, der Studienfreund von Boito und Uraufführungsdirigent von Otello – er hätte auch den Falstaff übernehmen sollen. Man spricht über Besetzungen, über das Bühnenbild. Verdi klagt: »Was das Orchester betrifft, ist etwas faul im Staate Dänemark. Man sieht, dass die Impresa, wie anderwärts, auch in die Scala ihre Spießgesellen gesetzt hat, die nichts taugen. Auch in den ersten Geigen ist Leere, weil nicht alle spielen. Von den Zweiten sprechen wir gar nicht erst!! Die Holzbläser taugen nicht viel, außer bei den beiden alten Musikern, die besser sind als die anderen. Das Blech hat keinen Glanz, es hat keine Genauigkeit«, schrieb er an Ricordi. Präzise Vorstellungen hat Verdi in Bezug auf die Sänger: Die Partie der Quickly, so sagt Verdi, »erfordert Gesang und Aktion, viel Unbefangenheit auf der Bühne und den richtigen Akzent in der Diktion«“; diese Rolle sei die Originellste unter den Frauen. Die Alice muss noch lebhafter sein und das Spiel der Frauen leiten: »Sie muss den Teufel im Leib haben.« Nannetta wiederum muss »jung sein, wunderschön singen und die brillanteste Schauspielerin« sein. Und: Der Komponist kennt die Herausforderungen seiner neuen Oper und fordert ausführliche Proben, umreißt auch schriftlich seine Vorstellungen. Nicht wie Don Pasquale oder andere alte Buffo Opern darf es klingen, so die Forderung. Die Uraufführung findet schließlich 1893 an der Scala statt, man feiert den greisen Meister – mehr als das Stück. Und die Welt spielte den Falstaff nach: In Genua und Rom. In Berlin und Paris. In London und Hamburg (unter Gustav Mahler). In Buenos Aires und New York. Und auch in Wien. Falstaff, das letzte Musiktheaterwerk Verdis, wurde zur triumphalen Komödie, zum künstlerischen Testament des »il vecchio«, des Alten, wie man Verdi nannte. Und gilt bis heute als eine einzigartige Oper, in der Verdi nicht nur der Komödie neues Leben einhaucht, sondern auch eine Bilanz seines gesamten künstlerischen Lebens zieht. Was ist das aber für eine musikalische Komödie, die Bewunderung, aber auch Verwunderung auslöste? Es ist ein Werk, das bereits in seinem hochkomplexen Libretto für Erstaunen sorgt: Boito komprimierte nicht nur Shakespeares Die lustigen Weiber von Windsor zu einem Libretto, sondern fügte auch noch Zeilen aus Hein 63

DER A LT E LACH T W IEDER


rich IV. ein. Und er schuf ein sprachlich gefinkeltes Libretto, das etwa den einzelnen Figuren jeweils andere Versmaße zuschreibt. Schon an der Sprache sind also die Figuren charakterisiert und zu erkennen! Und Verdi zog über dieses Sprachgerüst eine ungemein moderne, eine ganz neue Musiksprache, die lachend und rasend, mit uhrwerkhafter Präzision das mehrschichtige Komödienwerkl ablaufen lässt. Was da alles im Orchestergraben, auf der Bühne und zwischen allen Beteiligten passiert! Und sich schließlich zu einer gewaltigen Fuge zusammenballt, die in der Erkenntnis mündet: Alles ist Spott auf Erden: Und wer zuletzt lacht, lacht am besten! Falstaff ist aber auch eine Zusammenfassung vieler traditioneller Theaterschichten: Die Figuren der italienischen Stegreifkomödie, der Commedia dell’arte, und der Antike tauchen wieder auf, vorne voran der »Miles gloriosus«, jener bramarbasierde Schlachtenheld, der über seine angeblichen großen Taten zu berichten weiß, aber von allen verlacht wird. Ein vielschichtiges Spiel im Spiel wird entwickelt: Denn vor den Augen der Zuschauer wird Theater gegeben, jeder kocht sein eigenes Süppchen und versucht, den anderen zu überrumpeln. Bis immer wieder auch die Realität hereinbricht und die Komödienhandlung konterkariert. Und wie in jeder guten Komödie weiß das Publikum die ganze Zeit mehr als die Bühnen­figuren und hat als Einziges den Überblick über all die unterschiedlichen Intrigen. Doch nicht alles ist Lachen in dieser Oper, auch das Tragische wird im Komischen spürbar – »Wie traurig ist doch deine Komödie«, schrieb schon die große Menschendarstellerin Eleonora Duse an den Librettisten Boito… Denn Falstaff, bei aller Unbekümmertheit, ist freilich kein junger Mann mehr, längst sind die Jahre vergangen, in denen er der Page des Herzogs von Norfolk war, schlank und jung. Doch auch die anderen haben – in Wahrheit – nicht immer Grund zum Lachen. Ford ist selbst ein Übertölpelter, dessen Tochter nicht den von ihm gewünschten Mann heiratet; Dr. Cajus bekommt nicht die Frau seiner Träume, und auch ob es die lustigen Frauen von Windsor im Alltag wirklich so lustig haben, sei dahingestellt. Doch es gibt auch die reine, positive Liebe in dieser Oper, jene des jungen Paares, Nannetta und Fenton. Ein Gegengewicht zu den Alten, ein Gegengewicht zu all dem Lug und Trug, zu all den – auch bösen – Streichen. Diese Jugend verspricht Hoffnung, und nichts spricht in der Oper davon, dass auch die Jungen einmal alt werden. Zuletzt aber bleibt das Lachen, das überführte, das entlarvende, das gemeinsame: Nichts ist wirklich so bedeutend auf Erden, nichts ist zu ernst zu nehmen. Auch wenn man der Ausgelachte ist, wenn die Finten nicht gelungen und die Affären sich in Luft aufgelöst haben; Falstaff darf, bei aller Selbstherrlichkeit, auch über sich selbst lachen. Und wissen, dass es ihn immer geben wird und er nicht der Schlechteste von allen ist. Er ist eben – »ein Typ«, wie Verdi feststellt. Und gerade darum kann man mit dem großen Alfred Polgar hinzufügen, hat Falstaff nicht nur die Sympathie der Zuschauer, sondern auch ihre Liebe... DER A LT E LACH T W IEDER

Eduard Grützner, Falstaff, 1910 →

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ES MUSS LEICHT SCHEINEN, GANZ LEICHT

Aus dem Briefwechsel zwischen Verdi und seinem Librettisten Arrigo Boito


Verdi an Boito 6. JULI 1889

Ausgezeichnet! Ausgezeichnet! Bevor ich Euer Exposé las, habe ich Le Allegre Comari [Die lustigen Weiber], die beiden Teile von Enrico IV. und Enrico V., nochmals gelesen. Und ich kann nur wiederholen: ausgezeichnet. Man könnte es nicht besser machen, als Ihr es gemacht habt. Schade, dass sich das Interesse (es ist nicht Eure Schuld) nicht bis zum Schluss steigert. Der Höhepunkt liegt beim Finale des zweiten Aktes; und das Auftauchen von Falstaffs Fratze inmitten der Wäsche etc. ist ein wirklich komischer Einfall. Ich fürchte auch, dass der letzte Akt, trotz des bisschen Mummenschanzes, ein wenig schwach wird, und zwar wegen der vielen kleinen Nummern wie Lieder, Arietten etc. Ihr lasst Bardolfo wieder auftreten – aber warum lasst Ihr nicht auch Pistola wieder auftreten und warum nicht beide? Die beiden Wasser- und Feuerproben reichen aus, um Falstaff gehörig zu bestrafen; dennoch wäre es mir lieb gewesen, ihn auch tüchtig durchgeprügelt zu sehen.

Boito an Verdi

JULI 1889

Der dritte Akt einer Komödie ist zweifellos immer der kälteste, und das ist für die Bühne eigentlich ein Nachteil. Das allgemeine Gesetz des komischen Theaters ist unglücklicherweise aber so. Beim tragischen Theater ist es genau umgekehrt: Das Herannahen einer Katastrophe in der Tragödie steigert die Aufmerksamkeit beträchtlich, weil sich ein schreckliches Ende vorausahnen lässt. Darum sind die letzten Akte einer Tragödie immer die besten. Wenn sich dagegen in der Komödie die Fäden entwirren, schwindet das Interesse erheblich, weil ja mit einem glücklich-heiteren Ende zu rechnen ist. Sie haben doch kürzlich wieder Goldoni gelesen und erinnern sich bestimmt, wie trotz großartiger Dialoge und Charakterzeichnungen die Handlung in den letzten Szenen immer mehr absinkt – und damit auch das Interesse. Sogar Shakespeare hat sich in seinen Lustigen Weibern diesem allgemeinen Gesetz nicht entziehen können. Bei Molière, Beaumarchais und Rossini ist es genauso. Die letzte Szene aus dem Barbier von Sevilla schien mir immer am wenigsten fesselnd. Wenn ich mich irre, sagen Sie es mir bitte. In der Komödie gibt es einen Moment, in dem man sich im Zuschauerraum zuflüstert: »Es geht gut aus«, – auf der Bühne aber geht das Spiel noch weiter. Aber zur Sache: Auch im Falstaff ist der dritte Akt zweifellos der kälteste. Weil dies aber ein allgemeines Gesetz ist, ist das Unglück weniger groß, als man glaubt. Man muss diesen dritten Akt nur etwas wärmer und flüssi 67

BR IEFE


ger gestalten. Vor allem muss an der letzten Szene gearbeitet werden, die vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten in sich birgt. Das phantastisch-märchenhafte Element, das im übrigen Teil der Oper nicht vorkommt, kann uns dabei helfen. Es bringt eine neue, frische Bewegung hinein.

Verdi an Boito

7. JULI 1889

Solange man sich in der Welt der Ideen ergeht, lächelt einem alles zu, aber wenn man einen Fuß auf die Erde setzt, entstehen beim praktischen Handeln die Zweifel, das Versagen. Habt Ihr beim Entwurf des Falstaff je an meine hohen Jahre gedacht? Ich weiß wohl, Ihr werdet mir antworten, indem Ihr meinen guten, hervorragenden, robusten Gesundheitszustand übertreibt… Und so mag er auch sein. Trotzdem werdet Ihr zugeben, dass ich großer Kühnheit beschuldigt werden könnte, wollte ich eine so große Aufgabe übernehmen! – Und wenn ich der Schwäche nicht Herr würde?! – Wenn ich mit der Musik nicht zu Ende käme? – Dann hättet Ihr Zeit und Geld vergeblich verschwendet! Um alles Gold in der Welt möchte ich das nicht haben. Diese Idee ist mir unerträglich. Um so weniger erträglich, wenn Ihr, indem Ihr den Falstaff schreibt, Euren Nerone liegen lassen oder doch vernachlässigen oder den Zeitpunkt der Aufführung verschieben müsstet. Man würde mir die Schuld an dieser Verschiebung geben und die Blitze öffentlicher Bosheit würden meine Schultern treffen. Welche Freude aber, zum Publikum sagen zu können: »Wir sind noch da!! Bahn frei für uns!«

Boito an Verdi

9. JULI 1889

Ich bin entschlossen. Ich denke niemals an Ihr Alter, weder, wenn ich mit Ihnen spreche, noch wenn ich Ihnen schreibe, noch wenn ich für Sie arbeite. Die Schuld liegt bei Ihnen. Ich weiß, dass der Otello etwas mehr als zwei Jahre alt ist und dass man, während ich dies schreibe, versucht, ihn den Landsleuten Shakespeares begreiflich zu machen. Aber es gibt ein stärkeres Überlegungsmoment als das des Alters; man hat nach Otello von Ihnen gesagt: »Es ist unmöglich, etwas Besseres fertigzubringen!« Das ist eine große Wahrheit, die ein hohes und seltenes Lob einschließt und das einzig schwerwiegende Argument. Schwerwiegend für die Zeitgenossen, nicht für die Geschichte, die vor allem den wesentlichen Wert des Menschen beurteilen will. Es ist selten genug, ein künstlerisches Leben mit einem Welterfolg abgeschlossen zu sehen. Der Otello ist einer. Alle anderen Gründe, Alter, Kraft,

BR IEFE

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Ihre Mühe, meine Mühe usw. usw. gelten nicht und sind für gute Arbeit kein Hindernis. Lassen Sie uns zu den anderen Bedenken übergehen. Ich glaube nicht, dass es Sie anstrengt, eine Opera comica zu schreiben. Die Tragödie macht den wirklich leiden, der sie schreibt; das Denken unterliegt einem schmerzlichen Einfluss, von dem die Nerven krankhaft überspannt werden. Aber der Humor und das Lachen der Komödie erheitern Geist und Körper. »Das Lachen bringt eine neue Farbe in das Gewebe des Lebens.« Ich weiß nicht, ob dies ein exaktes Zitat von Ugo Foscolo [ein italienischer Dichter] ist, aber es ist einfach Wahrheit. Sie haben große Lust zu arbeiten. Das ist ohne Zweifel ein Beweis Ihrer Gesundheit und Kraft. Ihre Ave Maria genügen Ihnen nicht, es schreit nach etwas anderem. Sie haben sich Ihr ganzes Leben ein reizvolles Thema für eine Opera comica gewünscht, ein Zeichen dafür, dass die Ader von künstlerisch hohem Humor offensichtlich in Ihrem Kopf lebte. Der Instinkt ist ein guter Ratgeber. Es gibt nur einen Weg, um noch besser als mit Otello zu endigen: der glorreiche Abschluss mit Falstaff. Nachdem wir Schreie und Klagen im menschlichen Herzen geweckt haben, nun mit berstendem Gelächter schließen! Das wird alle umwerfen!

Verdi an Boito

10. JULI 1889

Amen; und so sei es! Machen wir also Falstaff! Denken wir im Augenblick nicht an die Hindernisse, das Alter, die Krankheiten!... Auch ich wünsche, das tiefste Geheimnis zu bewahren; ein Wort, das auch ich dreimal unterstreiche, um Euch zu sagen, dass niemand etwas davon wissen darf!... Aber langsam... Peppina wusste es, glaube ich, vor uns!... Zweifelt nicht: Sie wird das Geheimnis wahren. – Wenn Frauen diese Eigenschaft haben, dann haben sie sie in höherem Grade als wir. Ich halte mich an Euren Satz »trotz der Verpflichtung, die ich mit dem Falstaff übernehmen würde, kann ich meine Arbeit zum versprochenen Termin beenden.«

Boito an Verdi

11. JULI 1889

Hurrahh!!! Das wird bald getan sein. Ich werde Ihnen bis Oktober ganz bestimmt die beiden ersten Akte nach Sant’Agata bringen. Übrigens brauche ich den Juli, um an meiner Arbeit Einzelheiten abzuschließen. In den ersten Augusttagen beginnt dann unsere Arbeit. Signora Giuseppina wusste also eher etwas als wir selbst! Das ist das Wunder der weiblichen Intuition. Nun ist es an Ihnen, lieber Maestro, das andere Wunder zu vollbringen. 69

E S MUS S LEICH T SCHEIN EN, GA NZ LEICH T


E S MUS S LEICH T SCHEIN EN, GA NZ LEICH T

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Verdi an Boito

18. AUGUST 1889

Ich hoffe, Sie arbeiten?! Das Seltsame ist, dass auch ich arbeite! – Ich unterhalte mich damit, Fugen zu komponieren! – Ja, mein Herr, eine Fuge – und zwar eine Buffofuge, die gut in den Falstaff passen könnte. Aber wie, eine Buffofuge? Ich weiß weder Wie noch Warum. Es ist nun einmal eine Buffofuge!

Boito an Verdi

20. AUGUST 1889

Eine Buffofuge ist genau das, was wir hier brauchen; sie wird ihren rechten Platz schon finden. Die Spielchen und Späße in der Kunst sind wie geschaffen für die Burleske. Ich lebe im kolossalen Sir John mit dem Bauch, dem kleinen Nimmersatt, mit Chianti-Kannen, ausgelatschten Pantoffeln, mit Schläuchen voll süßen Weins, mit frischer Butter, zwischen den Fässern der Xeres und den fröhlichen Scherzen jener warmen Küche der Osteria di Giarettiera. Im Oktober werden auch Sie darin leben. In den ersten Tagen war ich verzweifelt. Die Typen mit wenigen Strichen skizzieren, – die Verwicklungen in Gang bringen, – aus der riesigen Shakespeare’schen Orange den vollen Saft herausziehen, ohne dass im kleinen Trinkglas alle unnützen Kerne herumflitzen, – farbig, klar und knapp schreiben, – den musikalischen Plan der Szene umreißen, damit als Ergebnis ein organisches Ganzes entsteht, das einmal ein Stück Musik ist, und doch wieder nicht nur die vergnügliche Komödie von oben bis unten lebendig werden lassen, – eine natürliche und sprechende Fröhlichkeit zum Leben bringen, – das alles ist schwer, schwer, schwer; und dann muss das leicht scheinen, leicht, ganz leicht!!

Bryn Terfel als Falstaff und Jane Henschel als Mrs. Quickly, 2003 ←

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E S MUS S LEICH T SCHEIN EN, GA NZ LEICH T


Angelika Niederberger

KOMPONIST UND LIBRETTIST

Enrico Boito ist am 24. Februar 1842 als Sohn des italienischen Miniaturenmalers Silvestro Boito und der polnischen Gräfin Jósefa Radolinska in Padua geboren. 1851 verlässt der Vater die Familie, und Boito wächst zusammen mit seinem ebenfalls künstlerisch begabten Bruder mit der Mutter auf. Von 1853 bis 1861 studiert er am Mailänder Konservatorium bei Alberto Mazzucato. 1859 stirbt die Mutter. Enricos Studium wird vom Bruder Camillo finanziert, der einen Lehrstuhl an der Akademie in Venedig innehat. Boitos poetischmusikalische Doppelbegabung äußert sich schon in der 1860 komponierten Kantate Il quattro giugno und in dem Mysterium Le sorelle dʼItalia (1861). Beide Texte stammen von Boito, während die Musik zu beiden Werken von ihm und seinem Studienkollegen Franco Faccio gestaltet wird. Boito verwendet erstmals den romantischen Namen »Arrigo«. Während eines Pariser Aufenthaltes entsteht die Ode Inno delle Nazioni, die von Verdi für die Londoner Weltausstellung komponiert wird. A NGELIK A N IEDER BERGER

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Schon während der Studienzeit fühlt sich Boito stark zur deutschen Musik hingezogen. Zu Beethoven kommt später der überwältigende Einfluss Richard Wagners. Zusammen mit seinem Bruder zählt er zur avantgardistischen Künstlerbewegung Scapigliatura, einer verspäteten italienischen Sturm-und-Drang-Bewegung, die gegen stereotyp Bestehendes intellektuell revoltiert. Boito schreibt die Ode Allʼarte italiana, die Verdi tief kränkt, der sich als Zielscheibe der darin enthaltenen respektlosen Anspielungen fühlt. Die Abneigung Verdis gegen Boito wird Jahre anhalten. Mit Emilio Praga gründet er das Wochenblatt Figaro, wo er sich unter dem Pseudonym »Almaviva« der Theaterkritik widmet. Boito publiziert Gedichte, Dichtungen, gründet die Konzertgesellschaft »Società del Quartetto«, frequentiert die Salons von Gräfin Maffei, Eugenia Litta (in die er sich verliebt) und von Vittorio Cima. 1866 schließt er sich gemeinsam mit Faccio einem Freiwilligenkorps unter der Führung Garibaldis an. Am 5. März 1868 findet die Uraufführung der Oper Mefistofole an der Mailänder Scala statt. Die Oper erlebt einen kompletten Misserfolg. Boito nimmt das Pseudonym »Tobia Gorrio« an, unter dem er mehrere Opernlibretti verfasst, darunter auch für Ponchielli zu dessen La Gioconda. Boitos Wagner-Begeisterung – er übersetzte u.a. Wagners Rienzi und Tristan und Isolde ins Italienische – stand einer näheren Beziehung zu Verdi im Wege, die erst 1879 durch Vermittlung des Verlegers Giulio Ricordi im Zusammenhang mit der Revisionsarbeit an Simon Boccanegra und dem OtelloPlan zustande kommt. Die sich anfangs der achtziger Jahre entwickelnde Freundschaft zwischen Verdi und Boito hat mancherlei Prüfungen zu überstehen und droht mehrfach an der Klippe Verdiʼschen Misstrauens zu scheitern. Boito gibt 1880 alle eigenen Opernpläne auf und widmet sich ganz den beiden Spätwerken Verdis. Seine Textbücher zu Otello und Falstaff zeugen von tiefem künstlerischen Einfühlungsvermögen in die Eigenart des alternden Verdi. Mit diesen beiden Texten hat sich Boito jene Unsterblichkeit gesichert, die seinem zweiten Opernwerk Nerone versagt bleibt. Boito stirbt am 10. Juni 1918 in Mailand.

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A R R IGO BOITO


Katharina Strommer

DIE SCHLUSSFUGE IM FALSTAFF Giuseppe Verdi beendet seine letzte Oper mit einer Fuge. Auch wenn dieses Musikstück auf den ersten Blick unteilbar erscheint, birgt es dennoch Trennlinien, mit deren Hilfe die genaue Besprechung übersichtlicher wird. Die Anfänge und Enden der meist gleichlangen Abschnitte gehen allerdings jeweils ineinander über und können wirklich erst beim genauen Betrachten oder Anhören der Fuge entdeckt werden: 1. Teil: Takt 669-687 → 18 Takte 2. Teil: Takt 687-702 → 15 Takte 3. Teil: Takt 702-718 → 16 Takte 4. Teil: Takt 718-728 → 10 Takte 5. Teil: Takt 728-743 → 15 Takte 6. Teil: Takt 744-762 → 12 Takte Der Übersichtlichkeit und Genauigkeit der Analyse wegen habe ich eine Tabelle erstellt (siehe Seite 78/79), in der jeder Takt mit den jeweils daran teilhabenden Personen aufgelistet wird. Anhand dieser Aufstellung lassen sich Aspekte wie die Regelmäßigkeit bei den Einsätzen, die Stimmpaarungen und die Themeneinsätze gut feststellen. K AT H A R INA ST ROM MER

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(1) Ganz zu Beginn stellt Falstaff das Hauptthema »Tutto nel mondo è burla« im Allegro brioso (4/4) vor. Er beginnt a-capella und wird nach zwei Takten von einem leisen Holzbläsersatz unterstützt. Die Konzentration wird auf die ersten 21 Gesangsnoten gelenkt. In Fugentermini gesprochen, handelt es sich um den Dux, der auf der Tonika, C-Dur, mit einem c beginnend, einsetzt. Die Charakteristika des Themas sind: -) Intervallsprünge: Eröffnet wird mit einem Septsprung, der eigentlich die Intervallkette (kleine 2 -> kleine 6) der drei Instrumental-Takte vor Beginn der Fuge fortsetzt. Es folgen zwei Terzen, bevor eine aufsteigende Sext in eine Sekundkette überleitet. -) Triolen: In drei Takten befinden sich fünf Dreierketten. -) Diatonik: Die Melodie ist streng diatonisch. Der einzige nicht in C-Dur leitereigene Ton ist das fis (Takt 671), das Teil des D-Dur7-Akkords ist. Gemäß einem Comes, setzt die zweite Stimme auf der Oberquint ein. Fenton greift im vierten Takt auf unbetonter Zählzeit in das Geschehen ein und bringt das gesamte Thema, während der Protagonist kurz colla parte vom Fagott begleitet wird. Den nächsten Dux bringt Quickly wiederum vier Takte nach Fentons Einsatz. Im selben Schema stößt auch Alice mit ihrem Comes dazu und trägt das gesamte Thema vor (Takt 678). In diesen ersten zwölf Takten stellt Verdi das Hauptthema vier Mal vor und folgt damit der strengen Symmetrie eines Fugenbeginnes. Abgesehen von diesen vier Malen erklingt das gesamte Thema in der Fuge nicht mehr. Das Orchester behält in der ersten Passage überwiegend die anfänglichen staccato Bläser-Akkorde. Zusätzlich wird dreimal ein kurzer Teil der Gesangsfloskeln unterstützt (Takt 673,676,679). Mit dem nächsten Gesangseinsatz steigen die Streicher ins Geschehen ein (vor­läufig ohne Kontrabässe) und markieren den Beginn der weiteren Solistengruppe. Ab hier wird von den Sängern allerdings nicht mehr das gesamte Thema, sondern meist nur der Themenkopf »Tutto nel mondo e burla« vorgestellt. Pistola macht in dieser Gruppe den Anfang, allerdings mit einer bisher unbekannten Melodie. Seine Linie wird für die folgenden sieben Takte von den Celli und den Fagotten verdoppelt. Als nächstes steigen Meg und Bardolfo ein, wobei hier nur Meg den Themenkopf bringt. Auch ihre Einsätze werden durch Instrumente – Meg durch die zweiten Geigen und Bardolfo durch die Bratschen und die Hörner unterstützt. Diese colla parte-Begleitung einzelner Floskeln zieht sich ab hier beinahe durch die gesamte Fuge. Die dritte Solistengruppe wird von Nannetta und den ersten Geigen mit dem Thema begonnen (Takt 682). Nach ihr setzen erst Ford (+ 3. Horn) und dann Cajus (+ 1. Geigen) auf dieselbe Weise ein. Darüber, bzw. darunter liegt ein Teil der bereits eingeführten Stimmen, jede mit einer selbständigen 75

DIE SCHLUS SF UGE IM FA LSTA FF


Linie. In diesen drei Takten (682-684) verdichtet sich auch das Orchester. Mit dem Einsatz des Chores in Takt 685 entsteht für zwei Takte das erste tutti der Fuge (auch in den Instrumenten) und für einen kurzen Moment weicht die strenge Polyphonie einer blocksatzartigen Passage. Da nun jede Stimme in die Fuge eingeführt und der erste Teil abgeschlossen ist, wird die Abfolge der Einsätze noch einmal übersichtlich zusammengefasst: Falstaff → Fenton → Quickly → Alice Pistola → Meg und Bardolfo Nannetta → Ford → Cajus Chorbässe → Chortenöre, -alte und -soprane (2) Mit einer kurzen lyrischen Melodie leitet Alice in den zweiten Abschnitt über. Wie ein dreifaches Echo wiederholen erst Quickly (eine Oktave tiefer), dann Nannetta (auf der Unterquart beginnend) und dann Meg (eine Oktave unter Nannetta) diese Noten schnell hintereinander, während das Orchester sehr reduziert agiert. Diese scheinbare Beruhigung des Geschehens ist nur von kurzer Dauer. Bereits mit dem neuerlichen Einsatz Quicklys und dem von Fenton und Falstaff (mit Themenkopf ) in Takt 689 kehrt wieder Leben in den musi­kalischen Satz. Ab hier wird deutlich, dass sich drei Gruppierungen herausbilden, die sich in den folgenden 18 Takten in diesen Zu­sammenstellungen abwechseln. Es entsteht ein dreichöriges Gebilde: Chor I: Alice, Quickly, Fenton, Falstaff Chor II: Nannetta, Meg, Cajus Chor III: Ford, Bardolfo, Pistola, Chor Den ersten Block (Takt 689-93) bilden die vier unabhängig voneinander geführten Stimmen des Chor I. Im Anschluss daran setzt der Chor II mit dem neuen Text »Tutti gabbati« in einem homophonen Gebilde ein, das durch Holzbläser und Hörner unterstützt wird. Bereits nach einem Takt kommen die beiden anderen Chöre mit unter­ schiedlichem Material hinzu. Im Chor I bringen Quickly und Alice den Themen­kopf, Chor III zeichnet sich durch Liegeakkorde (Ford + Bardolfo) und denselben Ton repetierenden Triolen aus. Zu diesem Zeitpunkt treten die Kontrabässe erst­mals in der Fuge in Aktion, allerdings nur um die Liegeakkorde zu festigen. In Takt 695 pausieren Chor I und III für zwei Schläge, so dass noch einmal das »Tutti gabbati« des Chor II Oberhand gewinnt. Im Anschluss reduziert Verdi das Orchester auf Streicher und Holzbläser (ohne Flöten), die Stimmen auf die vier des Chor I. Innerhalb dieses Quartetts liegt das Hauptaugenmerk auf der Stimme des ProtagoK AT H A R INA ST ROM MER

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nisten, der vor allem mit Sekund­schritten und Triolen (+ Celli) die neue Textzeile »Irride l’un altro ogni mortal« vorstellt und auf dem neuen »tutti gabbati«-Motiv, das die Umkehrung der ersten Töne des »tutto nel mondo è burla« darstellt. (3) Für das textliche ebenfalls neue Material »Ma ride ben chi ride la risata final« führt Verdi die vier Stimmen in einer Gegenbewegung von Frauen und Männern zusammen. Mit diesen Takten wird ein kurzes Calland-Response zwischen Chor I + Chor II eingeleitet. Die beiden Chöre wechseln sich dreimal hintereinander ab (Takt 700-707). Die absteigende Skala von »Ma ride ben chi ride la risata final« erklingt so dreimal hintereinander (Alice/Quickly → Nannetta → Alice). Der Themenkopf kommt in dieser Passage nur einmal vor, und zwar bei Cajus in Takt 702 (+ Celli). Der Chor III, der für die sieben Takte ohne Ford auskommen muss, liegt mit triolisierten »tutti gabbati«-Phrasen unter den anderen Stimmgruppen, wird aber beim Einsatz durch die Unterstützung der Trompeten hervorgehoben. Es ist Falstaff, der aus der Doppelchörigkeit ausbricht (Takt 704f ) und dieses Wechselspiel beendet. Mit dem folgenden Einsatz des Ford, der die »Ma ride ben chi ride la risata final«-Skala gemeinsam mit dem Fagott wiederholt, und dem Wiederaufgreifen des Themas durch Meg (+ 2. Geigen), wird die Zuteilung in die drei Gruppen etwas aufgelockert. Ford erhält eine eigene Linie (Takt 710 ff ), während die Diener mit dem Chor einen Orgelpunkt bilden. Die melodisch bestimmenden Elemente sind die »Ma ride ben chi ride la risata final«-Skala, die neue »tutti gabbati«-Melodie aus Takt 697 (Cajus und Fenton) und eingeschliffene Oktavsprünge (Quickly + Meg). Mit Takt 714 bringt der Chor I eine aufwärtslaufende Es-Dur-Skala, die im b” der Alice gipfelt und im direkten Anschluss von Chor II wiederholt wird. Diese beiden b” gehören im Übrigen zu den wenigen ausgehaltenen Spitzentönen, die Verdi in der gesamten Oper einsetzt. Die Stimme Fords setzt in diesem Fall mit dem Chor II ein, bringt aber erst den Themenkopf, bevor sie sich gemeinsam mit dem Großteil der anderen Stimmen zu einem homophonen Takt zusammen­schließt. In eben diesem Takt (717) muss Meg alleine mit dem Beginn des Themas bestehen. (4) Der Anfang des vierten Teiles wird durch chromatische pianissimoLinien markiert (Alice und Nannetta), die von stark reduziertem Orchester begleitet werden. Darunter mischen sich zwei Themeneinsätze: Cajus in Takt 720 (+ 1. Horn) und Nannetta einen Takt später (+ 1. Oboe und 1. Klarinette). Nach diesen vier ruhigeren Takten führt Verdi mit dem Skalenlauf eine neue Melodiefloskel ein, die das Kennzeichen dieses Abschnittes wird. Wie bereits in den Takten 714-715 handelt es sich um eine in Achteltriolen aufsteigende Tonleiter. Ford ist derjenige, der die Skalenfolge lostritt. Sein Lauf geht als einziger über zwei Oktaven (G-g’). Im Anschluss 77

DIE SCHLUS SF UGE IM FA LSTA FF


Legende: x = Männerstimme o = Frauenstimme Diese Symbole in den Taktkästchen bedeuten, dass die zugehörige Stimme in diesem Takt singt. T = Die Stimme setzt in diesem Takt mit dem Themenkopf ein. Fa = Falstaff Ba = Bardolfo C-B = Chorbass Fe = Fenton Me = Meg C-T = Chortenor Qu = Quickly Na = Nannetta C-A = Choralt Al = Alice Fo = Ford C-S = Chorsopran Pi = Pistola Ca = Cajus



daran bringen alle Stimmen – mit Ausnahme der Chofrauen – eine Skala. Die Reihenfolge ist folgende: Alice und Quickly → Falstaff, Fenton, Bardolfo und Pistola → Nannetta und Meg → Cajus, Ford, Chorsopran, Choralt und Chorbass. Auch in dieser turbulenteren Phase gibt Verdi die Themenköpfe nicht auf. Insgesamt viermal erklingen die ersten sieben Töne des »tutto nel mondo è burla«-Motivs (Takt 724 Falstaff/Pistola, Takt 725 Quickly, Takt 726 Cajus/Chorbass, Takt 727 Fenton/Meg/Choralt). (5) Ein wichtiger Einschnitt geschieht mit Beginn des vorletzten Abschnittes. Zum ersten Mal wird einem Teil des Orchesters, das in allen Instrumenten bisher auf colla parte beschränkt war, eine eigenständige Aufgabe übertragen. Die Streicher spielen ein kurzes Motiv, dessen Chara­ k­teristikum wieder die Triolen sind. Der Holzbläsersatz, unterstützt durch die Hörner, verdoppelt weiterhin die Gesangslinien. Diese Satzart hält Verdi für sechs Takte bei. In diesem Zeitraum findet im Gesang wieder ein Wechselspiel der Stimmgruppen statt. Bezieht man sich auf die vorige Einteilung, so singt hier Chor I abwechselnd mit Chor II + Ford. Der von Chor I vorgestellte Satz (Takt 728-730) wird einen Ton höher, aus­gehend von Chor II wiederholt (Takt 730-732). Das melodische Merkmal stellt die »tutti gabbati«-Floskel aus Takt 710 ff dar, die wiederum als Umkehrung des Hauptthemas erklingt. In der »Antwort« des Chor I (Takt 732-734) dehnt Falstaff dieses tutti gabbati zu einer großen Phrase aus, die in eine erste finale Steigerung überleitet. In den zehn nun folgenden Takten sind zum ersten Mal seit 40 Takten wieder alle Stimmen, sowohl Gesang als auch Orchester, gemeinsam im Einsatz. Einzig Alice und Quickly setzen einen Takt später ein. Diesem Umstand entsprechend, verdichtet sich der musikalische Satz. Verdi bringt bekannte Elemente wie den Themenkopf (allerdings nur mehr die ersten vier bis fünf Noten; Takt 734-737) und die Skalen (Takt 734, 736) gemeinsam mit stimmlichen sforzati. Er schichtet somit auch hier verschiedene Ebenen übereinander. Die Instrumente gehen in dieser Passage wieder mit den Singstimmen. Nach dem tutti-Akkord auf Eins in Takt 738 holt der Komponist zu einem Aufschwung aus. Er baut mit dem sukzessiven Einsatz der drei Chöre und der Orchestergruppen ein großes Crescendo auf, das nach vier sforzato-Akkorden mit einer Generalpause abrupt beendet wird. (6) Der letzte Teil der Fuge beginnt mit zwei a-capella Takten, in denen der Protagonist die »Moral« der Oper noch einmal wiederholt. Dies ist die einzige Stelle der Fuge, in der Verdi das Tempo ändert (»Un po’ più lento«). Interessanterweise wird diese Phrase danach von allen Herren (auch Männerchor) wiederholt, während die Damen noch pausieren. Für den genauen Zuhörer macht Verdi an diesem Punkt klar, wer die Gefoppten dieses Stückes K AT H A R INA ST ROM MER

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sind. Auf die letzten beiden Achtel der Herren beginnen die Streicher mit einer Intervallkette die von der kleinen Sekund bis zur Oktave alle Intervalle durchschreitet. Die Takte 747-748 stellen so die Umkehrung der Einleitung der Fuge (Takt 666-668) dar. Der formale Bogen wäre somit also geschlossen. Eine letzte Skala führt in das allgemeine Gelächter der abschließend zwei homophonen Gesangstakte, die von c’’’ der Alice und Nannetta überstrahlt werden. Das Orchester lässt die Fuge in zehn instrumentalen Takten ausklingen und bringt dabei noch zwei Mal den Themenkopf (Takt 755-756).

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DIE SCHLUS SF UGE IM FA LSTA FF


Szenenbild (erster Akt), 2011



Isolde Schmid-Reiter

NOW, MUSIC, SOUND…

Opern-Variationen über Shakespeare


Von Shakespeares Dramen zum Opernlibretto »Shakespeare als Vorlage für eine Oper zu benutzen, ist eine der wüstesten Unternehmungen, denen man sich aussetzen kann«, bemerkte Claus H. Henneberg, der Librettist von Aribert Reimanns Lear. Dennoch inspirierte der elisabethanische Dramatiker mit seinen die Conditio humana in allen Facetten auslotenden Tragödien, Komödien, Historien, Romanzen und Problemstücken wie kein anderer Autor der Weltliteratur eine Vielzahl an Kompositionen: Von den im Shakespeare Music Catalogue nominierten 21.362 musikalischen Werken lassen sich einige Hundert der Gattung Oper zuordnen. Im Repertoire konnten sich allerdings nur wenige davon behaupten, der weitaus größte Teil der Vertonungen ist allenfalls musikhistorisch relevant. Die Königsdramen dienten am seltensten als Vorlage für eine Oper, The Tempest mit seiner Atmosphäre von Naturgewalt und Magie und Romeo and Juliet als tragische Liebesgeschichte vor dem Hintergrund einer Familienfehde hingegen boten den größten Anreiz für eine musika­lische Umsetzung. Auch wenn Purcells Masque The Fairy Queen (1692) und – ungesichert – das Dramma per musica Timone misantropo (1696) von Kaiser Leopold I. als früheste musikdramatische Kompositionen mit Bezug zu Shakespeare gelten, finden sich von seinen Werken angeregte Opern vermehrt erst im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts in ganz Europa, nachdem die Dramen bereits zuvor international in übersetzter und zumeist sehr frei bearbeiteter Form rezipiert worden waren. Der jeweiligen Opernkonvention gemäß und deren dramaturgischen Erfordernissen entsprechend wurde die – in ihrer Ausformung von der jeweiligen nationalen Shakespeare-Rezeption geprägte – literarische Vorlage adaptiert und umgearbeitet, zunächst mit wenig Verständnis für die dramatische Kunst des elisabethanischen Autors. The Tempest, in den Worten von H. W. Auden selbst »voller Musik aller Art« und insgesamt an die 50 Mal als Opern-Sujet herangezogen, wurde am Ende des 18. Jahrhunderts alleine im deutschsprachigen Raum zwölf Mal als Singspiel unter Werk-Titeln wie Der Sturm oder die bezauberte Insel, Der Schiffbruch und Die Geisterinsel vertont. Die ersten Romeo und Julia-Opern spiegeln die frühen Bühnenbearbeitungen des Dramas und enden, wie beispielsweise 1776 bei Johann Georg Schwanenberger und Georg Benda, Nicolas Dalayrac (1792) und Daniel Steibelts Roméo et Juliette (1793), mit einem konventionellen lieto fine: Friar Lawrence oder sein Pendant – Priester, Doktor, Freund der Familie – erreicht jedesmal rechtzeitig die Gruft, um ein glückliches Ende zu ermöglichen. Bei Nicola Zingarellis Tragedia per musica Giulietta e Romeo (1796), die – wie einige der frühen italienischen Vertonungen – auf Shakespeares eigene Stoff-Vorlagen zurückgreift und sich insbesondere an der 1525 entstandenen Novelle Luigi da Portos orientiert, gibt es hingegen keine Ret 85

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tung mehr in letzter Minute. Der tragische Schluss (inklusive dem obligatorischen Duett der Protagonisten) wurde fortan beibehalten, auch wenn sich die Libretti selbst von den ihnen zugrundeliegenden – zumeist französischen – Bearbeitungen der Shakespeareschen Dramen, die anfangs versuchten, seine »Regellosigkeit« im Sinne einer Aristotelischen Dramaturgie zu zähmen, noch in der inhaltlichen Konzeption unterschieden. Felice Romani, der unter anderem auch für Saverio Mercadantes Amleto (1822) und La gioventù di Enrico V. (1834) die Textbücher verfasste, schrieb für Nicola Vaccais Giulietta e Romeo (1825) ein Libretto, das er für Vincenzo Bellinis Tragedia lirica I Capuleti e I Montecchi (1830) überarbeitete, und holte sich dabei aus unterschiedlichen Quellen, vor allem Matteo Bandellos 1554 veröffentlichter Version der Geschichte zweier Liebender aus vornehmem Hause, Inspiration. Bei Charles Gounods Drame-lyrique Roméo et Juliette (1867) bewiesen hingegen erstmals Jules Barbier und Michel Carré mit ihrem Operntext größere Nähe zu Shakespeares Original, wenngleich um einen religiösen Unterton bereichert. Barbier und Carré zeichneten auch für Ambroise Thomas’ Hamlet-Libretto (1868) verantwortlich, das nicht mit dem Tod der Titelfigur, sondern mit seiner Königskrönung endet. Dem originalen Schluss der Dramenvorlage blieb hingegen der junge Arrigo Boito für Franco Faccios 2014 zu neuem Bühnenleben erweckten Amleto (1865) verpflichtet, der bereits sein unter anderem durch eine enge Verbindung zur deutschen Kunstszene inspiriertes und an Francois-Victor Hugos Neuübersetzung der Shakespeare-Dramen geschultes Verständnis für die Werke des englischen Dramatikers unter Beweis stellt. Die Werke deutschsprachiger Komponisten, denen schon früh die im Vergleich besten Shakespeare-Übersetzungen zur Verfügung standen, erlangten mit Ausnahme von Otto Nicolais komisch-phantastischer Oper Die lustigen Weiber von Windsor (1849), der bereits sechs Falstaff-Vertonungen vorausgegangen waren – darunter Antonio Salieris Dramma giocoso (1799) und William Balfes Buffa (1838) –, im 19. Jahrhundert keine nachhaltige Geltung. Im Bereich der französischen und italienischen Oper waren hingegen die ShakespeareVertonungen zur Blüte gelangt. Rossinis erfolgreicher Otello (1816), dessen Libretto von Berio di Salsa sich noch an den einer normativen Ästhetik unterworfenen französischen Bearbeitungen des Dramas orientierte, hatte den Anfang gemacht, insbesondere mit seiner musikalischen Ausformung des letzten Aktes. Mit Verdis letzten beiden Opern erreichte sie ihren Höhepunkt.

Papà Shakespeare… ein Dichter, den ich besonders liebe… »Das Drama Shakespeares ist das Drama des menschlichen Individuums«, schrieb der politische Theoretiker, Literatur- und Opernkritiker Giuseppe ISOLDE SCHMID -R EIT ER

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Mazzini in seinem 1830 in Florenz erschienenen Essay über das europäische Theater, »die Menschen haben Leben und innere Bewegung«. So empfand das auch Verdi: »Ah, Shakespeare, Shakespeare (…), il gran maestro del cuore umano!« Shakespeare, der »große Kenner des menschlichen Herzens«, war für ihn der Maßstab aller dramatischen Kunst, ein Dichter, der »realistische Charaktere« erfinden konnte: »(…) fragt einfach Papà [Shakespeare]. Möglich, dass er einem Falstaff begegnet ist, aber nur schwerlich hätte er einen so schurkischen Schurken gefunden wie Jago, und nie und nimmer solche Engel wie Cordelia, Imogen, Desdemona etc. etc., dennoch sind sie so wirklich!« Verdi hatte sich seit seiner Jugend mit dem Renaissance-Autor beschäftigt, ihn zunächst vermutlich in der zwischen 1812 und 1822 publizierten italienischen Übertragung Michele Leonis, später in den Übersetzungen Carlo Rusconis und Giulio Carcanos gelesen und sich, wie sein umfangreicher Briefwechsel bezeugt, intensiv mit den Vorlagen seiner drei Opern nach Shakespeare auseinandergesetzt, die auch hinsichtlich der musikalischen Dramaturgie innerhalb des Gesamtwerks eine besondere Stellung einnehmen. Macbeth hielt er für »eine der größten Hervorbringungen des menschlichen Geistes«. Inspiriert von der unmittelbaren Ausdruckskraft des Dramas, fand Verdi im Bestreben nach einer Symbiose von Text, Musik und – als uomo di teatro – szenischer Realisierung in seiner 1847 uraufgeführten und in der revidierten Fassung 1865 erstmals gespielten Oper zu einer neuen Synthese von Wort und Ton. Das Libretto entstand nach den Wünschen des Komponisten, der, unzufrieden mit den die geforderte brevità nicht erfüllenden Versen Francesco Maria Piaves, noch den Dichterfreund Andrea Maffei hinzuzog. Doch erst für seine letzten beiden Bühnenwerke sollte Verdi in Arrigo Boito einen seinem Shakespeare-Verständnis kongenialen Librettisten finden: Der 1887 uraufgeführte Otello, angeregt von Boito und seinem Verleger Giulio Ricordi und in Angriff genommen, als der fast siebzigjährige Verdi eigentlich keine Oper mehr schreiben wollte, wurde zum Meisterwerk der ShakespeareTragödienvertonungen schlechthin: nach operndramaturgischen Erfordernissen adaptiert, gekürzt und um bühnenwirksame Elemente wie den die Oper symbolhaft eröffnenden tobenden Sturm erweitert, dennoch nahe am Drama und Shakespeare gleichsam bewahrend wie musikalisch weiterdenkend. Mit Falstaff (1893) vertonte Verdi ein Libretto, wie es ihm immer für eine Commedia lirica vorgeschwebt war. Boito nimmt mit seiner Komödienhandlung auf Shakespeares Welttheater Bezug, indem er zur Konturierung der Titelfigur über die Merry Wives of Windsor hinaus auch auf Passagen aus King Henry the Fourth zurückgriff und aus anderen Komödien theaterhafte Momente entlehnte. »Tutto nel mondo è burla«, als Verweis auf die Shakespearesche Metapher aus As you like it – »All the world’s a stage / And all the men and women merely players…« – wird nicht nur zur finalen Aussage im Werk, sondern über das Leben selbst: Immer wieder zitierte Verdi in seinen 87

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Briefen während der Arbeit an seiner letzten Oper die Schlussfuge. Die Kunst, das Drama aus der Musik entstehen zu lassen, und das ausgewogene Ineinanderwirken von textlicher und kompositorischer Gestaltung, das sich in den beiden Alterswerken Verdis manifestiert, blieben in der Rezeption Shakespeares ohne Vergleich. Der über Jahrzehnte hinweg gehegte Plan zur Vertonung von Re Lear, »in einer ganz neuen Manier, unförmig, ohne alle Rücksichten auf die Konventionen der Gattung«, ließ sich hingegen nicht verwirklichen. Erst Aribert Reimann sollte es Ende der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts gelingen, seine Interpretation der Tragödie auch auf internationalen Bühnen zu etablieren.

Literaturoper, Adaption und Inspiration Bei den Komponisten des 20. und 21. Jahrhunderts finden sich unterschiedliche Zugriffe auf Shakespeares Dramen, sowohl auf Basis des englischen Originals als auch in Übersetzungen. Mit dem Aufkommen der sogenannten Literaturoper und ihrer unmittelbaren Vertonung des – gekürzten – dichterischen Wortlautes fiel die Entscheidung wiederholt zugunsten der Musikalisierung des originalen Schauspieltextes. Beispielgebend genannt seien Samuel Barbers Antony and Cleopatra, das zur Eröffnung der neuen Metropolitan Opera 1966 in Auftrag gegeben wurde, und vor allem Benjamin Britten, der als erster englischsprachiger Komponist mit seinem 1960 beim Aldeburgh Festival erstmals präsentierten Midsummer Night’s Dream einen nachhaltigen internationalen Erfolg erzielte. Seinem Werk gelang trotz wörtlicher Übernahme der – um die Hälfte gekürzten – Verse Shakespeares auch dank des Raffinements der Partitur die Erfüllung der für eine produktive Transformation in ein anderes Medium unabdingbaren Prämisse: sich als eigenständige neue Schöpfung zu behaupten. Daneben zeigen sich weiterhin ganz bewusste librettistische Adaptionen und Umgestaltungen der Dramentexte. Erinnert sei unter einer Fülle von Werken, die hier zu nominieren wären, beispielsweise an Frank Martins 1956 in der Wiener Staatsoper uraufgeführtes Zauberlustspiel Der Sturm, und, aus der jüngeren Vergangenheit, Manfred Trojahns Version von Was ihr wollt (1998). Vereinzelt greifen Komponisten auch auf Shakespeares eigene Quellen zurück, so etwa Riccardo Zandonai in Giulietta e Romeo (1922) oder Anno Schreier in der bislang letzten Hamlet-Vertonung (2016). Darüber hinaus nehmen immer wieder Musiktheater-Kreationen Anleihen bei Shakespeare, mit direkten und indirekten Referenzen auf seine Werke, ohne sich der Fabel auf diegetische Weise zu bedienen, sondern Handlungs-Splitter, Motive oder einzelne Figuren aus dem komplexen Gefüge lösend oder in Zitaten auf die Dramen verweisend. In Luciano Berios Azione musicale Un re in ascolto (1984) auf ein Libretto von Italo Calvino mutiert ISOLDE SCHMID -R EIT ER

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Prospero zum ohnmächtigen Theaterimpresario. Wolfgang Rihms Hamletmaschine (1987) musikalisiert Heiner Müllers enigmatische Reihung von Sprachbildern. Der Herausforderung, King Lear zu vertonen und nun mit den Möglichkeiten der musikalischen Sprache des ausgehenden 20. Jahrhunderts der Komplexität der Vorlage gerecht zu werden, stellte sich schließlich mit großem Erfolg Aribert Reimann mit seiner für Dietrich Fischer-Dieskau geschriebenen, 1978 uraufgeführten Oper. Auf der Grundlage von Johann Joachim Eschenburgs Übersetzung aus dem 18. Jahrhundert verknappte und verschärfte sein Librettist Claus H. Henneberg die dramatische Konstellation – Lear wird zum Symbol für die Isolation des Menschen in totaler Einsamkeit. Thomas Adès’ Oper The Tempest (2004) ist das bislang jüngste Werk, das sich des oft vertonten Theatertextes angenommen hat. Meredith Oakes komprimierte den dramatischen Vorwurf in ihrer Neudichtung, mit der sie dem britischen Komponisten zugleich eine produktive Distanz zu den Worten seines Nationaldichters bot und Raum schuf für die virtuos alle Epochen der Tonkunst streifende und mit dem eigenen kompositorischen Verfahren amalgamierende musikalische Umsetzung, gleichsam in Analogie zur Wahl des vierhundert Jahre alten Stoffes für ein zeitgenössisches Musiktheater-Werk Vergangenes in und mit den Mitteln der Gegenwart fortschreibend. Nicht zuletzt zeugt die weltweite Rezeption von Adès’ Erfolgswerk auch von der ungebrochenen Strahlkraft des Shakespeareschen Kosmos und widerlegt das Vorurteil, dass er als Textvorlage für neues Musiktheater zu wenig zeitgemäß sei. Shakespeare wird wohl auch weiterhin den zeitgenössischen Komponisten Inspiration und Quelle sein, weil er nicht als Dichter einer bestimmten Epoche betrachtet wird, sondern, mit den Worten Ulrich Suerbaums, als »Shakespeare der Einzige, eine mit niemandem vergleich­bare Gestalt, the Bard«. »Ich finde, dass unsere Oper an maßloser Eintönigkeit leidet, sodass ich mich heute weigern würde, solche Stoffe wie Nabucco, Foscari, etc. etc. zu schreiben… Sie bieten überaus interessante dramatische Momente, aber ohne Abwechslung. (…) Um mich klarer auszudrücken: Tassos Dichtung mag vielleicht besser sein, aber ich ziehe Ariost tausend Mal vor. Aus diesem Grund ziehe ich Shakespeare allen Dramatikern vor, die Griechen nicht ausgeschlossen«, schrieb Verdi an Antonio Somma im April 1853 im Zusammenhang mit dem Plan, Lear zu vertonen. Und dreieinhalb Jahrzehnte später, im Juli 1889, bekräftigt der 76-Jährige seine Vorliebe für Shakespeare nochmals in seiner Korrespondenz mit Arrigo Boito: »Machen wir also den Falstaff! Amen; und so sei es.«“ Ende 1892 schickte er die Partitur an Ricordi: »Tutto e finito! Va, va, vecchio John… Ein vergnüglicher Schelm; in alle Ewigkeit wahrhaftig, in vielerlei Masken, zu jeder Zeit, an jedem Ort! Geh… Geh… Addio!«

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Johann Heinrich Füssli, Falstaff im Wäschekorb, 1792



Egon Friedell

SHAKESPEARE

Shakespeare ist auf uns gekommen in der untrüglichsten und sichersten Form, in der der Genius sein Leben bezeugen kann: durch seine Geisteswerke. Seine Dramen sind der evidenteste Beleg für seine Existenz. So viele haben ihre Meldezettel, Geburtsatteste und Totenscheine und sind nicht gewesen, haben niemals gelebt vor dem Antlitz der Geschichte. Shakespeare ist von keinem Seelsorger, Magistratsbeamten und Bezirksarzt bescheinigt und lebt. Und doch würden wir viel darum geben, noch heute ein wenig in der Seele dieses myriad minded man, wie ihn Coleridge so schön nennt, ein wenig lesen zu dürfen. Aber seine Seele schweigt in seinen Werken: Sie hat sich verflüchtigt in den tausendköpfigen farbensprühenden Zug seiner Gestalten. Viele halten den Macbeth für die stärkste dramatische Blase, die dieser Planet bisher ausgeworfen hat, und doch wissen wir bis zum heutigen Tage noch nicht, was Shakespeare damit beabsichtigt hat: wollte er ein Zugstück schreiben, dessen gedrängten Schreckwirkungen das Publikum willenlos erliegen müsse, oder in einem Helden, der ganz Tat ist, ein Gegenstück zum Hamlet schaffen oder einen der schottischen Stoffe, die durch die Thronbesteigung Jakobs aktuell geworden waren, neu und effektvoll appretieren oder die letzten Weisheiten über Weltlauf und Schicksal verkünden, die sich ihm auf dem Scheitel seiner Erdenbahn enthüllt hatten? Alle diese Fragen sind ebenso viele Philistrositäten. Was bei Shakes­peare zurückbleibt, selbst bei seinen primitivsten Gelegenheitslustspielen, ist immer eine große Irrationalität. Die geheimnisvolle dreifache Erscheinungsform des Genies, von der EGON FR IEDELL

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wir in der Einleitung sprachen, zeigt sich an Shakespeare in besonders suggestiver Weise. Er ist der kompletteste und intensivste Ausdruck seiner Zeit; er hat seine Zeit, obgleich sie die Quelle dieser Kraftwirkungen übersah, aufs Gebieterischste und Nachhaltigste influenziert; aber am stärksten ist doch der Eindruck, dass er selbst hinter allen diesen Wechselbeziehungen als unergründliche einmalige Absurdität thront. Wollte man den Versuch wagen, das Wesen dieses unfassbaren Menschen in einem einzigen Wort auszudrücken, so könnte man vielleicht sagen: er war der vollkommenste Schauspieler, der je gelebt hat. Er war der leidenschaftlichste und objektivste, hingegebenste und souveränste Charakterdarsteller der menschlichen Natur, aller ihrer Höhen und Niederungen, Flachheiten und Abgründe, Zartheiten und Bestialitäten, Träume, Taten und Widersprüche. Er ist der roheste Schlächter und der femininste Gefühlsmensch, der feinste Artist und der geschmackloseste Barbar, der, gleich den Edelleuten seiner Zeit, mit einer Überfülle von Juwelen prunkt, er schreckt vor nichts zurück und bevorzugt nichts: denn alles ist ja nur eine Rolle, die möglichst glaubhaft und möglichst einprägsam vorgetäuscht werden will. Deshalb ist er auch völlig skrupellos in der Verwendung fremden Eigentums, den Begriff Plagiat kennt er nicht, er nimmt die Texte, wo er sie findet, in dem Vertrauen, dass dadurch, dass er sie aufsagt, etwas Besseres herauskommen wird, als diese Texte jemals waren. Er selbst aber erscheint nie, und wenn er eines Tages das ganze Repertoire der Menschheit heruntergespielt haben wird, dann wird er seine glitzernde Puppenbühne schließen, ins Dunkel der Nacht hinaustreten und den Blicken der Zuschauer für immer entschwinden. Dieses Bühnengenie musste seine Phantasiewelt, die alles enthielt, was es gibt, und daneben noch so ziemlich alles, was es nicht gibt, in einer bretternen Matrosenschenke realisieren und, was noch merkwürdiger ist, dieser erotischste aller Dramatiker hatte ein Theater ohne Weiber. Aber das Allersonderbarste ist doch, dass in seinen Dramen, die sich ohne jede Szenerie behelfen mussten, die stumme Außenwelt auf Schritt und Tritt als ein wirksamer Faktor in die Entwicklung eingreift und die Schicksale der Menschen fast wie eine handelnde Person bestimmt. Die Lokalität ist bei Shakespeare stets so stark mitgemalt und so organisch mit den Vorgängen verknüpft wie bei keinem einzigen der modernen Dramatiker, denen alle Mittel der Illusion zu Gebote standen. Devrient nennt in seiner Geschichte der deutschen Schauspielkunst Shakespeares Dramen »die höchste Verherrlichung des mittelalterlichen Dramas«. Und so verhält es sich in der Tat. Dieses mittelalterliche Drama war bei aller Unbeholfenheit der Technik und Dürftigkeit der Individualisierung ein Fund und Treffer, die Entdeckung der wahren, allein lebensvollen und allein lebensberechtigten Form des Dramas. Bilderflucht und Gestaltenflucht, Mystik und Supranaturalismus sind das innerste Wesen aller Theaterkunst. Es ist ja auch der letzte große Theatermagier, den die europäische Kultur hervorgebracht hat, wiederum, wenn auch auf Umwegen, zu dieser ewigen Form zurück 93

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gekehrt; denn wenn sich Ibsen auch bisweilen der klassischen Einheit des Ortes und der Zeit bedenklich zu nähern scheint, so ist das doch nur eine optische Täuschung: dass die Kulisse stehen bleibt, ist eine belanglose Äußerlichkeit, die Handlung selbst aber in ihrer bunten Verwickeltheit und Vielfältigkeit, in ihren tausendfachen Wechselbeziehungen, die auch Vergangenheit und Zukunft fast körperlich mitspielen lassen, ist aus einem romantischen Kunstgefühl geboren, und was den Supranaturalismus anlangt, so vermögen wir heute, aus der Entfernung eines Menschenalters sehr deutlich zu erkennen, dass sich Dichtungen wie die Gespenster oder Rosmersholm nur durch ihren modernen und daher raffinierten Apparat von Zaubermärchen unterscheiden. Shakes­peares Dramen sind wirkliche Spiele: das macht sie so amüsant. In ihnen ist das ganze Dasein als Traum, als Maskerade oder, bitterer ausgedrückt, als Narrenhaus konzipiert. Taten sind Tollheit: dies ist die Kernweisheit aller seiner Dichtungen, nicht bloß des Hamlet. Er hat einen ganzen Kosmos von Tatmenschen, eine komplette Zoologie dieser so varietätenreichen Spezies geschaffen; aber er belächelte und verachtete sie alle. Sein ganzes Leben war dem Drama, der Darstellung von Handlungen gewidmet: Abbilder menschlicher Taten zu malen, war der Sinn seiner Erdenmission; und er selbst fand alles Handeln sinnlos. Darin, dass er sich auf diese Weise über seine eigene Tätigkeit erhob, zeigt sich seine höchste Genialität. Seine ganze Weltanschauung ist in seiner Grabschrift enthalten: »We are such stuff as dreams are made; wir sind aus gleichem Stoff gemacht wie Träume.« Und was war denn dieser Shakespeare selber anderes als ein luftiges Traumgebilde oder flackerndes Lichtspiel, ein zitternder Spuk und Alpdruck, der durch die Welt fuhr, unheimlich und unwirklich, alle bunten Geschehnisse der Wirklichkeit widerspiegelnd und vorüberhuschend wie eine gigantische Sinnestäuschung? Wie ein riesiges Brillantfeuerwerk ging er nieder, den Himmel mit Flammengarben der Leidenschaft und Leuchtkugeln des Witzes färbend und eine unendliche Schleppe von prasselndem Gelächter und glitzernden Tränen hinter sich herziehend.

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Alfred Polgar

» Die wahre Lust an Falstaff kommt nicht aus der Schadenfreude über sein Missgeschick, sondern aus der Freude über die Philosophie, mit der er es trägt, und über den Optimismus, mit dem er stets von neuem in die Falle läuft. « 95

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Eduard Hanslick

PERSÖNLICHES TREFFEN MIT VERDI UND EINE FALSTAFFAUFFÜHRUNG IN ROM

Bald nachdem mir die Klage abgepresst wurde, dass Italien keine komische Oper mehr hervorbringe, überraschte uns die Nachricht, Verdi habe eine solche komponiert: Falstaff. Es fügte sich schön, dass ich der ersten Aufführung dieser Oper in Rom beiwohnen konnte. Nicht um Musik zu hören, sondern um sie abzuschütteln, war ich aus dem konzertbelagerten Wien geflohen. Der Wunsch, meiner Frau Rom und Neapel zu zeigen, wo ich zuletzt im Jahre 1874 mit Billroth geweilt, führte mich jetzt dahin. Gern verschob ich EDUA R D H A NSLICK

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meine Abreise von Rom um zwei Tage; ich wollte es nicht versäumen, den alten Verdi noch einmal zu sehen und seinen Falstaff zu hören. Diese neueste Oper des Achtzigjährigen ist ein Stück Musikgeschichte und ihre Premiere in Rom ein denkwürdiges Ereignis. Verdi hatte Rom seit Jahren vermieden. Ruhebedürftig und ruhmgesättigt, scheute er neue Ovationen und den Empfang bei Hofe. Selbst nach seiner Ernennung zum Senator unterließ er es, sich persönlich beim Könige zu bedanken. Nun endlich hat ihn die erste Aufführung seines Falstaff doch nach Rom gezogen. Welch ein Theaterabend! Ein Fest der Nation, eine Herzensangelegenheit des ganzen Volkes! Von diesem Enthusiasmus beim Erscheinen Verdis auf der Bühne macht man sich in Deutschland kaum eine Vorstellung. Und noch stürmischer erbrauste der Jubel, als Verdi in der Loge des Königs erschien und zur Rechten desselben Platz nahm. Einen hochbejahrten, hochberühmten Künstler also gefeiert zu sehen, hat etwas unendlich Erhebendes und Rührendes, auch für den Fremden. Mit der fortreißenden Gewalt dieser Stimmung verband sich die Begeisterung sämtlicher Künstler. Eine berauschendere Wirkung wird man wohl niemals vom Falstaff erleben als an jenem 15. April 1893 in dem großen prächtigen Teatro Costanzi. Ich nannte früher Verdi und Bellini als die einzigen italienischen Opernkomponisten, welche unzugänglich und unbegabt erscheinen für Komisches. Alle übrigen sind im ernsten und im heiteren Fach mit gleicher Lust und meistens gleichem Erfolge tätig gewesen; von Pergolesi, dessen Serva Padrona die erste Knospe der Opera buffa bedeutet, und Piccini, in dessen Cecchina diese Knospe zur Blüte erwächst, bis auf Rossini und Donizetti, die unaufhörlich zwischen Lustspiel und Tragödie abwechseln. Bellini ist jung gestorben; Verdi bringt als Achtzigjähriger dem überraschten Publikum seine erste komische Oper. Welch unerwartet schöne, bedeutsame Wendung, dass der Greis an der Neige seines Lebens sich der Tragik entwindet und mit der Weisheit eines glücklichen Alters noch den Blick auf der sonnigen, heiteren Seite des Daseins ausruhen lässt! Ich war im Frühjahr 1875 in Paris bei Verdi eingeführt worden und erlaubte mir mit Bezug darauf in Rom die Anfrage, ob ich ihn besuchen dürfe. Er erfreute mich mit der liebenswürdigsten Aufnahme in seinem Absteigequartier, dem neuen prachtvollen Hotel Quirinal. Die schlichte Herzlichkeit, mit welcher Verdi – hier so gut wie unnahbar für jeden Fremden – mich empfing und begrüßte, hat mich, der ich manche Jugendsünde gegen ihn auf dem Gewissen habe, tief bewegt. Es leuchtet etwas unendlich Mildes, Bescheidenes und in der Bescheidenheit Vornehmes aus dem Wesen dieses Mannes, den der Ruhm nicht eitel, die Würde nicht hochfahrend, das Alter nicht launisch gemacht hat. Tief gefurcht ist sein Gesicht, das schwarze Auge tiefliegend, der Bart weiß – dennoch lässt die aufrechte Haltung und die wohltönende Stimme ihn nicht so alt erscheinen. Als ich ihm die allgemeine Verwunderung über das Erscheinen seines Falstaff schilder 97

PERSÖN LICHE S T R EFFEN MIT V ER DI U N D EIN E FA LSTA FF-AU FF Ü HRU NG IN ROM


te, antwortete Verdi, es sei zeitlebens sein Lieblingswunsch gewesen, eine komische Oper zu schreiben. »Und warum haben Sie es nicht getan?« »Weil man nichts davon wissen wollte (parsque l’on n’en voulait pas).« Den Falstaff habe er eigentlich zu seiner eigenen Unterhaltung komponiert. Dass er bereits einen König Lear begonnen habe, stellte er in Abrede. »Ich bin nicht zwanzig Jahre alt,« meinte er mit einem mehr schalkhaften als schmerzlichen Lächeln, »sondern viermal zwanzig« Der Mittagstisch für vier Personen war bereits gedeckt. Es erschienen der Impresario und der Kapellmeister Mascheroni. Mit dem geistreichen Schmunzeln, wie es nur den Italienern eigen ist, wenn sie sich an einem Bonmot ergötzen, stellte mich Verdi als »il Bismarck della critica musicale« vor. Als vollendeter Galantuomo beschenkte er noch meine Frau mit einer Photographie samt Dedikation und wir empfahlen uns mit dem angenehmsten Eindruck. Abends lauschte ich dem Falstaff mit jenem Fieber der Neugierde, das mich neuen Kunstwerken gegenüber stets durchschauert. Gleich bei der ersten Szene musste ich an die Äußerung Verdis denken aus unserem letzten Gespräch. Verdi hatte eine Anspielung auf Wagnerschen Einfluss etwas ausweichend mit den Worten beantwortet: »Der Gesang und die Melodie müssten doch immer die Hauptsache bleiben.« In jenem absoluten Sinne der früheren Verdischen Opern sind sie es im Falstaff nicht mehr. Im Vergleich zu der zweiten Periode Wagners sind sie es noch immer. Nirgends wird im Falstaff die Singstimme vom Orchester unterdrückt oder überflutet, nirgends das Gedächtnis durch Leitmotive gegängelt, die Empfindung von klügelnder Reflexion durchkältet. Hingegen hat die Musik zu Falstaff doch mehr den Charakter einer belebten Konversation und Deklamation als den einer ausgeprägten, durch selbständige Schönheit wirkenden Melodik. Dass Verdi Musik von letzterer Art auch mit fließendem Lustspielton vortrefflich zu verschmelzen wusste, beweist der zweite Akt seines Ballo in maschera. Damit verglichen, kann man – in weiterem Sinn und liberalster Auslegung – von Wagnerschem Einfluss auf Falstaff sprechen. Der Gesamteindruck, den ich von dem Werke empfing, ist der einer sorgfältig ausgearbeiteten, feinen und lebhaften Konversations-Musik, welche nirgends roh oder weichlich wird, weder in possenhafte Trivialität noch in ungehöriges Pathos überschlägt. Die Charakteristik Falstaffs ist von komischer Kraft, die der übrigen Personen nicht hervorstechend. Das Ganze berührt uns wie die fließende Unterhaltung eines geistreichen Weltmannes, der nicht den Anspruch erhebt, neue Wahrheiten oder tiefe Gedanken auszuteilen. Also mehr Kauserie als starke musikalische Schöpfung, mehr Esprit als Genie. Die Musikgeschichte kennt kein Beispiel von einer solchen Bühnenschöpfung eines Achtzigjährigen. Wir haben in Deutschland und Italien einzelne Meister gehabt, die in hohem Alter noch gute Kirchenmusik schuEDUA R D H A NSLICK

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fen; keine Nation darf sich aber eines Komponisten rühmen, der im Alter Verdis noch die dramatische Lebendigkeit, die anmutige Laune, die sichere Führung besessen hätte, welche die Partitur des Falstaff aufweist. Richard Wagner schrieb einmal gelegentlich der Afrikanerin von Meyerbeer: mit dem sechzigsten Jahr müsse man aufhören, Opern zu schreiben – ein Ausspruch, den er freilich selbst widerlegt hatte. Hatte man vor sechs Jahren den Otello Verdis schon als ein erstaunliches Ereignis begrüßt, so ist Falstaff als die noch spätere und gewiss nicht farblosere Blüte eines seit sechzig Jahren unablässig produzierenden Talents ein halbes Wunder.

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PERSÖN LICHE S T R EFFEN MIT V ER DI U N D EIN E FA LSTA FF-AU FF Ü HRU NG IN ROM


Andreas Láng

DER WEG ZUM BELIEBTEN ZUGSTÜCK

So groß die Bedeutung Giuseppe Verdis innerhalb des Repertoires der Wiener Staatsoper von Anfang an war, so mannigfaltig stellt sich die Rezeption seiner einzelnen Werke auf dieser Bühne dar. Manches, wie Il trovatore, stand gewissermaßen gleich nach der Eröffnung des Hauses dauerhaft hoch in Kurs, anderes, wie der beliebte Nabucco, fand erst sehr spät, genauer 2001 in den Spielplan; die Aufführung einzelner Stücke, wie Don Carlo, wurden jahrA N DR EAS LÁ NG

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zehntelang vom Verdi’schen Leib-Verlag Ricordi aus geschäftsstrategischen Gründen verhindert, in glücklicheren Fällen – etwa bei der Aida – konnte die Wiener Opern-Direktion hingegen die Blockade-Haltung des Verlages erfolgreich hintertreiben; einzelne Werke erfreuten sich zunächst größerer Beliebtheit, um dann zur Rarität abzusinken (Ernani), andere wurden erst verhältnismäßig spät, dafür aber dauerhaft, von der Gunst des Publikum bedacht (Macbeth). Die Staatsopern-Aufführungsgeschichte von Verdis letzter Oper Falstaff nimmt eine Sonderstellung ein, die jener auf den internationalen Bühnen ähnelt: Ohne zunächst wirklich populär zu sein, war Falstaff dennoch mit einer gewissen Regelmäßigkeit präsent, der Zuschauerzuspruch hielt sich in Grenzen (erst in den letzten knapp 20 Jahren gab es hier eine Veränderung zum Positiven), aber die Besonderheit des Werkes erkennend, scheuten sich die Direktoren nicht, immer wieder Neuinszenierung oder Wiederaufnahmen anzusetzen. Dass die Erstbegegnung des Wiener Publikums gar nicht über eine hauseigene Produktion erfolgte, sondern lediglich via Gastspiel der Mailänder Scala, passt irgendwie zu diesem anfänglichen ambivalenten FalstaffVerhältnis: Und obwohl in diesen beiden italienischsprachigen Aufführungen im Mai 1893 (nur dreieinhalb Monate nach der Weltpremiere!) mit Victor Maurel in der Titelpartie und Edoardo Mascheroni am Dirigentenpult die gefeierten Uraufführungskünstler aufgeboten wurden, ließ der Erfolg etwas zu wünschen übrig. Zwar erreichte Verdi ein Jubel-Telegramm aus Wien, in dem unter anderem mit »wahrer Befriedigung« von einer »enthusiastischen Aufnahme« berichtet wird, die auch Wiener Zeitungsbesprechungen bestätigen, doch wirklich überzeugt zu sein, schien kaum jemand im Zuschauerraum. Und wenn in der Wiener Abendpost betont wurde, dass »eine Vorführung [des Falstaff] in deutscher Sprache von unseren heimischen Kräften wohl ausgeschlossen sei« beziehungsweise der Rezensent konstatierte, dass »das Werk nicht durchgeschlagen hätte« und auf »herzenskalte Zuhörer gestoßen sei«, so hatte man das Urteil eigentlich schon gefällt: Nichts für Wien! Doch wie so oft, irrten die Kritiker. Einmal mehr war es Gustav Mahler, der als Hofoperndirektor neben anderen Stücken, auch den Falstaff dauerhaft im Spielplan verankerte. Am 3. Mai 1904 leitete Mahler persönlich die – den damaligen Usancen entsprechend – deutschsprachige Premiere (so wie auch sechs weitere Aufführungen des Werkes bis 1907) und errang im Verein mit dem Ausstattungsteam Alfred Roller/Anton Brioschi einen wahren Triumph. Julius Korngold spricht in der Neuen Freien Presse von einer »Meisteraufführung« und betont, auf welch »bewunderungswürdige Weise Direktor Mahler den Geist des Werkes auf der Bühne, im Munde der Sänger, im Orchester lebendig gemacht hat«. Natürlich flaute diese Jubelstimmung nach Mahlers Demission etwas ab, aber die Neueinstudierungen in der Regie von Wilhelm Wymetal (1913), Josef Turnau (1924) und Waldemar Runge (1927) bewiesen, dass man an das Werk 101

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glaubte – zumal wesentliche Dirigenten wie Franz Schalk oder Felix von Weingartner am Pult standen und wichtige Sängerinnen und Sänger des Ensembles in den Hauptpartien zu erleben waren. Und 1929 gab es – im Zuge eines weiteren Gastspiels der Mailänder Scala an der Wiener Staatsoper – auch einen Falstaff mit einem prominenten Hausdebütanten am Pult: Arturo Toscanini. Gemeinsam mit dem legendären Mariano Stabile in der Titelpartie fügte er, zumindest auf musikalischer Ebene, der Wiener Falstaff-Rezeption eine legendäre Seite hinzu. Einen szenischen Markstein bescherten hingegen Lothar Wallerstein und die Choreografin Margarete Wallmann mit der nächsten Neuinszenierung (7. November 1934). Mit Hilfe der damals neuinstallierten Drehbühne gelang es ihm, der Vielfältigkeit der Partitur auch optisch zu entsprechen, oder wie es in der Neuen Freien Presse heißt: »Alles rückt zu zauberhafter Wirkung zusammen: Bild, Kostüme, Licht und Bewegung.« Und bei der Schlussfuge ließ Wallerstein, um »das Einswerden von Szene und Leben« zu unterstreichen, »im Zuschauerraum allmählich das Licht aufdrehen«. Clemens Krauss leitete diese Premiere ebenso, wie jene von 1941 in der Inszenierung von Rudolf Hartmann. Davor hatte es 1939 eine eigene eingeschobene Falstaff-Wiederaufnahme gegeben, um den Namen des von den Nationalsozialisten vertriebenen Regisseurs Lothar Wallerstein durch Erich Wymetal ersetzen zu können. (Mitten im Weltkrieg gab es übrigens anlässlich des 130. Geburtstages von Verdi auch noch ein erneutes Fal­ staff-Gastspiel mit Mariano Stabile in der Titelrolle – diesmal allerdings aus Florenz.) Im Ausweichquartier der zerstörten Staatsoper im Theater an der Wien leitete Clemens Krauss im Jänner 1951 schließlich seine dritte Falstaff-Pre-

Falstaff, Neuinszenierung von Luchino Visconti, 1966 ←

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Leopold Demuth, der Falstaff Gustav Mahlers, 1904 →

miere. Einmal mehr inszenierte der damals vielbeschäftige Oscar Fritz Schuh, und schuf eine für ihn typische Produktion, die als sehr detailfreudige, aber zugleich konventionell beurteilt wurde. Nur zwei Jahre nach der Wiedereröffnung der Wiener Staatsoper gelang dem damaligen Direktor Herbert von Karajan als Dirigent und Regisseur ein wahrer Wurf. Zunächst hatte er mit dieser Produktion schon bei den Salzburger Festspielen triumphiert, um dann den Erfolg im Haus am Ring zu wiederholen (ab dieser Premiere wurde Falstaff übrigens auch hier nur mehr im italienischen Original gegeben). In der Presse hieß es dazu: »Was hier Ereignis wird, ist gleichsam die Geburt der Komödie aus dem Geiste der Musik […] und das Theatralische ohne Adjektiv, Theater in bruchloser, kristallreiner Manifestation entsteht durch Karajans Ingenium im Verein mit dem Ensemble und unseren unvergleichlichen Philharmonikern. Text und Musik, Gesang und Spiel verbinden sich zu einer Einheit von außerordentlicher Faszination.« Karajans Nachfolger, der eher glücklose Egon Hilbert, dem stets vorgeworfen wurde, Karajan »wegintrigiert« zu haben, übertraf allerdings mit der von ihm 1966 angesetzten nächsten Falstaff-Neuproduktion alle Erwartungen – 103

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unter der Leitung des Hausdebütanten Leonard Bernstein, mit Dietrich Fischer-Dieskau und in der Regie Luchino Viscontis. In der gewohnt saloppen Art des langjährigen gefürchteten Kritikers Franz Endler hörte sich das Lob über die Inszenierung wie folgt an: »Dass Visconti den ganzen Abend über nicht Musiktheater, sondern Oper spielen lässt, sichert ihm den Erfolg. Die Typen sind klar und überzeugend gezeichnet, der Spaß kommt zu seinem Recht und das Publikum hat ihn einmal wirklich, die manchmal leicht überspitzte, unwirkliche, opernhafte Situation ist nicht mit viel Schweiß glaubhaft gemacht, sondern einfach als Opernsituation gezeigt […] Visconti ist nicht nur imstande Opern zu erklären, sondern auch an Opern zu glauben.« Umso weniger mundete dem Großteil des Publikums und der Kritiker die Neuproduktion von 1980. Das heißt, der Dirigent Sir György Solti wurde bejubelt, aber die Regie von Filippo Sanjust mit einem Buhorkan bedacht. »Sparsam realistisch, aber nicht stimmungsvoll. Ein bisschen flach. Die Personenführung setzt auf Überzeichnungen«, meinte beispielsweise Karlheinz Roschitz, der Kulturchef der Kronenzeitung, um seine Besprechung mit der bitteren Bemerkung zu beenden: »Bleibt die Frage, ob die berühmten, noch im Depot aufbewahrten Bühnenbilder die Luchino Visconti schuf, dieser Aufführung nicht besser zu Gesicht gestanden hätten. Sparsamer wär’s jedenfalls gewesen. Und hübscher auch!« Ganz anders die Reaktionen bei der von Marco Arturo Marelli inszenierten und von Fabio Luisi dirigierten Neuproduktion von 2003. Im Grunde kann gesagt werden, dass es Marelli mit seinem intelligenten und überzeugenden Bühnenbild sowie der liebevollen Personenführung nicht nur gelang, einen wahren Hit zu landen, sondern das Werk jener Volkstümlichkeit zuzuführen, die ihm in Wien bis dahin über weite Strecken gefehlt hatte. Falstaff war nun nicht mehr lediglich eine Oper der gebildeten Kenner, sondern ein beliebtes Zugstück im Repertoire geworden. Und so versteht es sich von selbst, dass die Produktion – nach dem Zwischenspiel der in einer Jan-Vermeer-Ästhetik gehaltenen Inszenierung David McVicars von 2016 – nach zehn Jahren Pause auf die Bühne der Wiener Staatsoper zurückkehrte.

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Richard Strauss, 15. Jänner 1895

» Hochverehrter Herr! Wenn mir aus eigener Erfahrung auch sehr zur Genüge bekannt ist, wie lästig Widmungen sind, wage ich dennoch die Bitte, Ew. Hochwohlgeboren, unbestrittener Meister der italienischen Oper, wolle als Zeichen meiner Verehrung und Bewunderung gütigst ein Exemplar des Guntram annehmen, meinen ersten Versuch auf diesem Gebiet. Da ich die Worte nicht finde, den großen Eindruck wiederzugeben, den die außerordentliche Schönheit des Falstaff auf mich gemacht hat, und anders meinen Dank für diese geistige Erfrischung nicht bezeigen kann, so bitte ich, wenigstens die beiliegende Partitur entgegennehmen zu wollen… «

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Impressum Giuseppe Verdi FALSTAFF Spielzeit 2021/22 Wiederaufnahme (Premiere der Produktion: 19. Oktober 2003) HERAUSGEBER Wiener Staatsoper GmbH, Opernring 2, 1010 Wien Direktor: Dr. Bogdan Roščić Musikdirektor: Philippe Jordan Kaufmännische Geschäftsführerin: Dr. Petra Bohuslav Redaktion: Sergio Morabito, Andreas Láng, Oliver Láng basierend auf dem Programmheft der Premiere 2003 Gestaltung & Konzept: Fons Hickmann M23, Berlin Layout & Satz: Irene Neubert Bildkonzept Cover: Martin Conrads, Berlin Druck: Print Alliance HAV Produktions GmbH, Bad Vöslau TEXTNACHWEISE Die Handlung (bearbeitete Übernahme aus dem FalstaffProgrammheft der Wiener Staatsoper, 2003), englische Übersetzung von Andrew Smith – Kurt Schwertsik, Falstaff (Übernahme aus dem Falstaff-Programmheft der Wiener Staatsoper, 2016) – Barbara Meier, Die Musik im Falstaff, in: Giuseppe Verdi, Rowohlt Taschenbuch Verlag, 2. Auflage – Andreas Láng, Antworten aus der Musik, in: Ich höre den Raum, Henschel-Verlag, 2010 Leipzig – Andreas Láng/Marco Arturo Marelli Die Eingemeindung eines Außenseiters (Übernahme des Interviews aus dem Falstaff-Programmheft der Wiener Staatsoper, 2003) – Georgia Eilert, Vom Jäger Herne die Mär ist alt, gekürzter Aufsatz, erschienen München 1983 – Oliver Láng, Falstaff – historisch und bei Shakespeare (Übernahme aus dem Falstaff-Programmheft der Wiener Staatsoper, 2016) – Adrian Mourby, »Hört, Vater, da Ihr schwach seid« (Übernahme aus dem Falstaff-Programmheft der Wiener Staatsoper, 2016) – Arthur Scherle, Falstaff-Vertonungen, in: Opernwelt 1/1987 – Andreas Láng, Nur ein Spiel (überarbeitete Übernahme aus dem Falstaff-Programmheft der Wiener Staatsoper, 2016) – Oliver Láng, Der Alte lacht wieder (Übernahme aus dem Falstaff-Programmheft der Wiener Staatsoper, 2016) – Angelika Niederberger Komponist und Librettist (Übernahme aus dem Falstaff-Programmheft der Wiener Staatsoper, 2003) – Katharina Strommer, Die Schlussfuge im Falstaff, in: Falstaff – Die Synthese eines Lebenswerks?, Diplomarbeit Universität Wien, 2005 – Isolde Schmid-Reiter, Opern-Variationen über Shakespeare (Übernahme aus dem Falstaff-Programmheft der Wiener Staatsoper, 2016) – Andreas Láng, Der Weg zum beliebten Zugstück

Die Produktion von Falstaff wird gefördert von

BILDNACHWEISE Coverbild: Les Trois GarÇons, London, Getty Images Szenenbilder Seite 5, 20, 27, 57, 71: Axel Zeininger / Wiener Staatsoper GmbH Szenenbilder Seite 2, 3, 6, 16, 17, 82, 83: Michael Pöhn / Wiener Staatsoper GmbH Seite 103: Theatermuseum Wien Seite 102: Archiv der Wiener Staatsoper Seite 37, 39, 40, 45, 50, 65, 90, 91: AKG-Images Nachdruck nur mit Genehmigung der Wiener Staatsoper GmbH / Dramaturgie Kürzungen werden nicht gekennzeichnet. Rechteinhaber, die nicht erreicht werden konnten, werden zwecks nachträglicher Rechtsabgeltung um Nachricht gebeten.


Generalsponsoren der Wiener Staatsoper


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