Philipp Blom 路 Wolfgang Kos [HG.]
ANgelo soliman Ein Afrikaner in Wien
Wien Museum
Her ausgegeben von
Philipp Blom • Wolfgang Kos
Angelo Soliman Ein Afrikaner in Wien
Scherenschnitt Angelo Soliman 4.4.16
W i e n MUs e um Chr i st i a n B r a n d stät t e r V e r l ag
Her ausgegeben von
Philipp Blom • Wolfgang Kos
Angelo Soliman Ein Afrikaner in Wien
Scherenschnitt Angelo Soliman 4.4.16
W i e n MUs e um Chr i st i a n B r a n d stät t e r V e r l ag
Inhalt
Angelo Soliman Ein Afrikaner in Wien 376. Sonderausstellung des Wien Museums Wien Museum Karlsplatz 29. September 2011 bis 29. Jänner 2012
AUSSTELLUNG I d ee un d K o n z e p t
AUSSTELLUNG
K ATA L O G
A usstellungsP r o d ukti o n
He r ausgebe r
Philipp Blom
Isabelle Exinger-Lang
Philipp Blom Wolfgang Kos
K u r at o r I s c h es T ea m
Regist r a r
Philipp Blom Eva-Maria Orosz Wolfgang Kos W issens c h a f tli c h e Mita r beit
Werner Michael Schwarz Walter Sauer Veronica Buckley D r a m atu r gis c h e B e r atung
Werner Hanak A usstellungsgestaltung
Luigi Blau mit Fartak Khatibi A usstellungsg r a f ik
Haller & Haller Me d ien G estaltung
Zone Media GmbH I nstallati o n
Hanno Frangenberg Nikolaus Fuchs
Andrea Glatz Laura Tomicek Nadine Vorwahlner
Walter Öhlinger Eva-Maria Orosz G r a f is c h e G estaltung
Regula Künzli Karin Maierhofer Alexandra Moser
B il d r e d akti o n
cat-x exhibitions baurain_communications A u f bau
Möbelbau Sulzer Artex Art Services Werkstätten Wien Museum B egleit p r o g r a m m
Christine Koblitz Wolfgang Kos Isabel Termini Walter Sauer
Peter Kainz
Gardapat Chiara Druck
Veronica Buckley Tim Juckes
Grasl Druck & Neue Medien GmbH Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. 1. Auflage Copyright © 2011 by Wien Museum und Christian Brandstätter Verlag, Wien
Eine Ausstellung in Kooperation mit dem Kunsthistorischen Museum Wien
Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Abdrucks oder der Reproduktion einer Abbildung, sind vorbehalten. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ohne Zustimmung des Verlages ist unzulässig. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. ISBN Katalog 978-3-85033-610-9 ISBN Hardcover 978-3-85033-594-2
Hauptsponsor des Wien Museums
Zwischen High Society und Vorstadtmilieu Angelo Soliman im Wien des 18. Jahrhunderts Rüdiger Wolf
97
Philipp Blom Ü be r set z ung
Von Mmadi Make zu Angelo Sollima – eine Spurensuche Walter Sauer
81
Charlemagne, Corporate A, Corporate S Pa p ie r
I nte r views
Afrikaner an den Höfen Europas: BiograFien und Bilder Philipp Blom
67
Rainer Wieland, Berlin Schrift
Sklaven in der mediterranen Welt Von der Ersten Türkenbelagerung bis zum Wiener Kongress (1529–1815) Veronica Buckley
49
Natalie Lettner Marysia Miller-Aichholz L ekt o r at
Sklaverei, Sklavenhandel und politische Ordnung in Westafrika im 18. Jahrhundert Salvatore Bono
35
F o t o s W ien Museu m
Ü be r set z ung
Solimans Körper, Angelos Geist Anmerkungen zur Erschließung eines Einzelschicksals Andreas Eckert
25
Haller & Haller Isabelle Exinger-Lang
Zur Ausstellung Philipp Blom
13
Re d akti o n
Restau r ie r ung
A u d i o visuelle Me d ien
Wolfgang Kos 7
Fürsten und Freimaurer – Angelo Soliman als Diener dreier Herren Philipp Blom
107
StrauSSenfedern, Muscheln und Glasperlen Soliman und andere menschliche Präparate in Museen, zwischen Wissenschaft und Ideologie Kwame Anthony Appiah
121
Den Toten die Ehre erweisen Walter Sauer
133
Von der Erinnerung zum Mythos Angelo Soliman und die Projektionen der Nachwelt Ilija Trojanow
144
1799: Selbstgespräch des Mohren als ausgestelltes Tier
147
Die Ausstellung
252
Angelo Soliman – Lebensdaten
253
Autoren, Dank, Leihgeber
Inhalt
Angelo Soliman Ein Afrikaner in Wien 376. Sonderausstellung des Wien Museums Wien Museum Karlsplatz 29. September 2011 bis 29. Jänner 2012
AUSSTELLUNG I d ee un d K o n z e p t
AUSSTELLUNG
K ATA L O G
A usstellungsP r o d ukti o n
He r ausgebe r
Philipp Blom
Isabelle Exinger-Lang
Philipp Blom Wolfgang Kos
K u r at o r I s c h es T ea m
Regist r a r
Philipp Blom Eva-Maria Orosz Wolfgang Kos W issens c h a f tli c h e Mita r beit
Werner Michael Schwarz Walter Sauer Veronica Buckley D r a m atu r gis c h e B e r atung
Werner Hanak A usstellungsgestaltung
Luigi Blau mit Fartak Khatibi A usstellungsg r a f ik
Haller & Haller Me d ien G estaltung
Zone Media GmbH I nstallati o n
Hanno Frangenberg Nikolaus Fuchs
Andrea Glatz Laura Tomicek Nadine Vorwahlner
Walter Öhlinger Eva-Maria Orosz G r a f is c h e G estaltung
Regula Künzli Karin Maierhofer Alexandra Moser
B il d r e d akti o n
cat-x exhibitions baurain_communications A u f bau
Möbelbau Sulzer Artex Art Services Werkstätten Wien Museum B egleit p r o g r a m m
Christine Koblitz Wolfgang Kos Isabel Termini Walter Sauer
Peter Kainz
Gardapat Chiara Druck
Veronica Buckley Tim Juckes
Grasl Druck & Neue Medien GmbH Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. 1. Auflage Copyright © 2011 by Wien Museum und Christian Brandstätter Verlag, Wien
Eine Ausstellung in Kooperation mit dem Kunsthistorischen Museum Wien
Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Abdrucks oder der Reproduktion einer Abbildung, sind vorbehalten. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ohne Zustimmung des Verlages ist unzulässig. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. ISBN Katalog 978-3-85033-610-9 ISBN Hardcover 978-3-85033-594-2
Hauptsponsor des Wien Museums
Zwischen High Society und Vorstadtmilieu Angelo Soliman im Wien des 18. Jahrhunderts Rüdiger Wolf
97
Philipp Blom Ü be r set z ung
Von Mmadi Make zu Angelo Sollima – eine Spurensuche Walter Sauer
81
Charlemagne, Corporate A, Corporate S Pa p ie r
I nte r views
Afrikaner an den Höfen Europas: BiograFien und Bilder Philipp Blom
67
Rainer Wieland, Berlin Schrift
Sklaven in der mediterranen Welt Von der Ersten Türkenbelagerung bis zum Wiener Kongress (1529–1815) Veronica Buckley
49
Natalie Lettner Marysia Miller-Aichholz L ekt o r at
Sklaverei, Sklavenhandel und politische Ordnung in Westafrika im 18. Jahrhundert Salvatore Bono
35
F o t o s W ien Museu m
Ü be r set z ung
Solimans Körper, Angelos Geist Anmerkungen zur Erschließung eines Einzelschicksals Andreas Eckert
25
Haller & Haller Isabelle Exinger-Lang
Zur Ausstellung Philipp Blom
13
Re d akti o n
Restau r ie r ung
A u d i o visuelle Me d ien
Wolfgang Kos 7
Fürsten und Freimaurer – Angelo Soliman als Diener dreier Herren Philipp Blom
107
StrauSSenfedern, Muscheln und Glasperlen Soliman und andere menschliche Präparate in Museen, zwischen Wissenschaft und Ideologie Kwame Anthony Appiah
121
Den Toten die Ehre erweisen Walter Sauer
133
Von der Erinnerung zum Mythos Angelo Soliman und die Projektionen der Nachwelt Ilija Trojanow
144
1799: Selbstgespräch des Mohren als ausgestelltes Tier
147
Die Ausstellung
252
Angelo Soliman – Lebensdaten
253
Autoren, Dank, Leihgeber
ZUR AUSSTELLUNG
Wolfgang Kos
Briefmarke aus Freimaurer-Serie, 2006 Wien Museum
Im Schatten der Erinnerung
Eine Briefmarke mit Angelo Soliman mit der Aufschrift Österreich – quasi eine posthume Einbürgerung eines Sklaven aus Afrika, den das Schicksal ins ferne Wien verschlagen hat, wo er in der High Society ebenso verkehrte wie in der ärmlichen Vorstadt. Geehrt wird ein Mann, dessen Körper einst mit hochamtlichem Bescheid geschändet wurde. Die Marke kam 2006 heraus, in einer Serie zum Thema Freimaurer. Als Stars traten dabei Mozart und Soliman auf. Anlass war das Mozartjahr, das auch für das 18. Jahrhundert außergewöhnliche Nebenfiguren ins Scheinwerferlicht rückte. Und damit auch diesen eleganten, orientalisch kostümierten Wiener aus Afrika, dem nach seinem Verkauf nach Europa der christliche Name Angelo übergestülpt worden war. Eine auf Briefmarken übliche Berufsbezeichnung wie „Mathematiker“ oder „Komponist“ fehlt. Doch was hätte man hinschreiben sollen? „Hofmohr“? „Kammerdiener“? „Assistent“ hoher Herren? „Bekannter von Mozart“? Oder gar: „nach seinem Tod ausgestopft“? Groß ist die Diskrepanz zwischen dem stolzen, edlen Konterfei und den makabren Assoziationen, die der Name Soliman auslöst. Fragt man in Wien herum, ist man überrascht, wie präsent dieser ist und wie viele Zipfel Halbwissen umhergeistern, zumeist versetzt mit einem Anflug von Gruseln. Denn Angelo Soliman verdankt seine Aufnahme in die hall of fame der Wiener Stadtmythologie (Unterabteilung: Schattenreich) vor allem jenen grässlichen, makabren Geschehnissen, die sein faszinierendes Leben posthum überschattet haben – der Schändung seines Leichnams, der dann als Stopfpräparat nach Art eines Tieres im kaiserlichen Naturalienkabinett zur Schau gestellt wurde.
Fremdbestimmung und Emanzipation
Ein zwangseuropäisierter Afrikaner mit außergewöhnlicher Karriere im aufgeklärten Wien wurde also wieder zum halbnackten „Wilden“ degradiert: Auf dem Weg aus Afrika ins Habsburgerreich war Soliman Objekt und Handelsware, dann Rollenspieler und Subjekt, so weit das einem schwarzen Dienstboten hoher Aristokraten möglich war, und schließlich ein geachteter Privatier mit Haus, Familie und Rente. Nach dem Tod als „Museumsmumie“ dann wieder entwürdigtes Objekt. Und in den 200 Jahren seither Objekt von abstrusen und verklärenden Imaginationen. Manchmal respektvoll, oft aber voyeuristisch. Doch die Zeit ist vorbei, in der Angelo Soliman vor allem als Kuriosum gesehen wurde. Endlich setzte solide wissenschaftliche Forschung ein, um die erstaunliche Lebensgeschichte eines Zwangseuropäers neu zu befragen, die ohne konsequente Anpassung nicht möglich gewesen wäre. Solimans Biografie kann als die eines geglückten Migrantenlebens bewertet werden, aber nur, wenn Sklaverei und Unterdrückung mitgedacht werden. Denn Exotismus und höfische Kultur, vormoderner Rassismus 7
Zur Ausstellung
ZUR AUSSTELLUNG
Wolfgang Kos
Briefmarke aus Freimaurer-Serie, 2006 Wien Museum
Im Schatten der Erinnerung
Eine Briefmarke mit Angelo Soliman mit der Aufschrift Österreich – quasi eine posthume Einbürgerung eines Sklaven aus Afrika, den das Schicksal ins ferne Wien verschlagen hat, wo er in der High Society ebenso verkehrte wie in der ärmlichen Vorstadt. Geehrt wird ein Mann, dessen Körper einst mit hochamtlichem Bescheid geschändet wurde. Die Marke kam 2006 heraus, in einer Serie zum Thema Freimaurer. Als Stars traten dabei Mozart und Soliman auf. Anlass war das Mozartjahr, das auch für das 18. Jahrhundert außergewöhnliche Nebenfiguren ins Scheinwerferlicht rückte. Und damit auch diesen eleganten, orientalisch kostümierten Wiener aus Afrika, dem nach seinem Verkauf nach Europa der christliche Name Angelo übergestülpt worden war. Eine auf Briefmarken übliche Berufsbezeichnung wie „Mathematiker“ oder „Komponist“ fehlt. Doch was hätte man hinschreiben sollen? „Hofmohr“? „Kammerdiener“? „Assistent“ hoher Herren? „Bekannter von Mozart“? Oder gar: „nach seinem Tod ausgestopft“? Groß ist die Diskrepanz zwischen dem stolzen, edlen Konterfei und den makabren Assoziationen, die der Name Soliman auslöst. Fragt man in Wien herum, ist man überrascht, wie präsent dieser ist und wie viele Zipfel Halbwissen umhergeistern, zumeist versetzt mit einem Anflug von Gruseln. Denn Angelo Soliman verdankt seine Aufnahme in die hall of fame der Wiener Stadtmythologie (Unterabteilung: Schattenreich) vor allem jenen grässlichen, makabren Geschehnissen, die sein faszinierendes Leben posthum überschattet haben – der Schändung seines Leichnams, der dann als Stopfpräparat nach Art eines Tieres im kaiserlichen Naturalienkabinett zur Schau gestellt wurde.
Fremdbestimmung und Emanzipation
Ein zwangseuropäisierter Afrikaner mit außergewöhnlicher Karriere im aufgeklärten Wien wurde also wieder zum halbnackten „Wilden“ degradiert: Auf dem Weg aus Afrika ins Habsburgerreich war Soliman Objekt und Handelsware, dann Rollenspieler und Subjekt, so weit das einem schwarzen Dienstboten hoher Aristokraten möglich war, und schließlich ein geachteter Privatier mit Haus, Familie und Rente. Nach dem Tod als „Museumsmumie“ dann wieder entwürdigtes Objekt. Und in den 200 Jahren seither Objekt von abstrusen und verklärenden Imaginationen. Manchmal respektvoll, oft aber voyeuristisch. Doch die Zeit ist vorbei, in der Angelo Soliman vor allem als Kuriosum gesehen wurde. Endlich setzte solide wissenschaftliche Forschung ein, um die erstaunliche Lebensgeschichte eines Zwangseuropäers neu zu befragen, die ohne konsequente Anpassung nicht möglich gewesen wäre. Solimans Biografie kann als die eines geglückten Migrantenlebens bewertet werden, aber nur, wenn Sklaverei und Unterdrückung mitgedacht werden. Denn Exotismus und höfische Kultur, vormoderner Rassismus 7
Zur Ausstellung
und Emanzipation sind miteinander verwoben. Wobei es egal ist, ob er wirklich mit Kaiser Josef II. tarockiert hat. Auch wenn er mehr Glück hatte als die anderen schwarzen Kinder auf den Sklavenschiffen: Ein Fremdbestimmter blieb er, ein Mensch, dessen Identität früh verstümmelt wurde. Bürgerlicher Aufsteiger und role model, wertgeschätzt und dennoch ein Fremder, ewiger Sklave und Märtyrer: Eindeutigkeit ist nicht möglich, Widersprüche und Leerstellen sind inhärent. Wir hoffen, diesen Herausforderungen gerecht zu werden und dennoch eine gute Story zu erzählen. Für die Videocollage am Ende der Ausstellung stellte Philipp Blom Fragen an heute in Wien lebende Menschen aus Afrika. Eine lautete: Was würden Sie Angelo Soliman gerne fragen? „Ich würde wissen wollen, ob er glücklich war“, so die Anwältin Sheila Rusike: „Und ob er je daran gedacht hat, wie es wäre, zu seinem Geburtsort zurückzukehren, um seine Familie zu sehen.“ Fragezeichen
Nicht nur ein Wiener Thema
Angelo Soliman – Ein Afrikaner in Wien
Noch einmal zur Briefmarke. Der Stich mit Solimans Antlitz lässt sogar in diesem trivialen Medium Nobilität spüren. Er ist zu einer Art Logo des Soliman-Mythos geworden. Wann immer es um Soliman geht, ist es im Einsatz, natürlich auch als Eyecatcher dieser Ausstellung. Eigentlich ist es gar kein persönliches Porträt, sondern eine Rollenmaske, eine gestylte Inszenierung von Besitzerstolz. Als diese Grafik verbreitet wurde, war Angelo Soliman exotisches „Prunkstück“ am Hof des mächtigen Fürsten Wenzel von Liechtenstein. Nicht irgendein verschleppter Sklave wird hier präsentiert, so die blumige Bildlegende, sondern ein Königssohn aus einem fernen Reich. Es geht also um Nobilitierung, die nur indirekt Diener Angelo zugute kam. Soweit ein kleines Beispiel für die Fallen und falschen Fährten, mit denen Soliman-Rechercheure immer rechnen müssen. Soliman ist der erste nichteuropäische Zuwanderer in Wien, dessen Leben ausreichend dokumentiert ist, um ihn als Person zumindest in Umrissen zu erschließen. Doch die Grenzen zwischen belegbaren Fakten und anekdotischer Überlieferung sind fließend. Früher wäre es für ein seriöses Museum ein Statusproblem gewesen, seine Autorität durch das Offenlegen von Wissenslücken und zweifelhaften Zuschreibungen in Frage zu stellen.
uns, Solimans Weg nicht nur als eng geführtes Einzelschicksal zu vermitteln, sondern im Spiegel der sozialen und kulturellen Verhältnisse. Also wird mehrmals aufgeblendet, über Soliman hinaus. Solche Diskurse gelten dem Sklavenhandel ebenso wie den vorgeprägten Rollenmustern – Diener, Soldat, Stadtläufer etc. –, aber auch den zirka 200 anderen Menschen aus Afrika, die in der multikulturellen Weltstadt Wien lebten. Thema ist natürlich auch die wechselvolle Geschichte der Rezeption und der künstlerischen Transformierung des Soliman-Stoffes in den 200 Jahren seither und auch eine Collage aus Images, die die hartnäckige Kontinuität von Afrika-Stereotypen belegen, die erst in jüngster Zeit kritisch kontrastiert werden. Dem weltoffenen Elan Philipp Bloms ist es zu verdanken, dass Solimans Schicksal auch im Katalogbuch in eine übergreifende Perspektive gestellt wird. Dafür stehen namhafte Autoren wie der Philosoph Kwame Athony Appiah (The Ethics of Identity), zwei Spezialisten für das damalige Afrika und den völlig verdrängten Sklavenhandel über das Mittelmeer (Andreas Eckert, Berlin; Salvatore Bono, Perugia) sowie die Historikerin Veronica Buckley, Expertin für das höfische Leben in der frühen Neuzeit. Komplementär zu diesen Beiträgen finden sich Texte mit Nahblick auf Soliman und die Wiener Verhältnisse: Der Wiener Sozialhistoriker Walter Sauer, Spezialist für die afrikanische Diaspora in Österreich und ausgewiesener Soliman-Experte, setzt Soliman mit den sozialen Milieus der Stadt, in der er so lange lebte, in Bezug. Ferner analysiert er die widersprüchlichen Stränge der posthumen Auseinandersetzungen mit einem Mann, der Vorbild ebenso war wie Opfer. Zu danken ist ferner Rüdiger Wolf, Direktor des Freimaurer-Museums, bei dem man Details über das aktive Involvement Solimans bei den Freimaurern erfährt.
Der Impuls zu dieser Ausstellung kam vom Historiker, Buchautor und Journalisten Philipp Blom. Er lebt zwar seit einigen Jahren in Wien, aber nie bestand die Versuchung, die Soliman-Geschichte als lokales „Wiener Gschichterl“ zu konzipieren. Bloms Publikationen führten schon mehrmals in die Kultur- und Wissenschaftsgeschichte des 18. Jahrhunderts. Schon bei den ersten inspirierenden Gesprächen war klar, dass wir einen Gastkurator mit weitem Blickfeld gewonnen hatten. Wichtig war
Ausstellungskataloge sind zugleich wissenschaftliche Bühne für Erstbegehungen und Forschungszwischensumme, Sachbuch und Dokumentation der wichtigsten Sach- und Bildquellen. Das vorhandene Wissen wird synthetisiert und einem breiten Publikum zugänglich gemacht. Bei Soliman ist die Chance auf Nachhaltigkeit groß, steht doch dem zunehmenden Publikumsinteresse eine fast völlige Absenz im Buchhandel gegenüber. Die meisten Beiträge zu Soliman aus den letzten Jahren sind an entlegener Stelle zu finden oder vergriffen. Das gilt für das 1996 erschienene Pionierbuch Das afrikanische Wien (hg. von Walter Sauer) ebenso wie für viele Aufsätze der deutschen Afrikanistin Monika Firla, die 2003 die bisher einzige Soliman-Ausstellung im Badener Rollettmuseum konzipiert hat. Hinweisen möchte ich auch auf einen Katalog unseres Hauses, jenen zur 1996 von Peter Eppel und Rainer Hubert konzipierten Ausstellung Wir. Zur Geschichte und Gegenwart der Zuwanderung nach Wien.
8
9
Endlich eine Soliman-Publikation
Zur Ausstellung
und Emanzipation sind miteinander verwoben. Wobei es egal ist, ob er wirklich mit Kaiser Josef II. tarockiert hat. Auch wenn er mehr Glück hatte als die anderen schwarzen Kinder auf den Sklavenschiffen: Ein Fremdbestimmter blieb er, ein Mensch, dessen Identität früh verstümmelt wurde. Bürgerlicher Aufsteiger und role model, wertgeschätzt und dennoch ein Fremder, ewiger Sklave und Märtyrer: Eindeutigkeit ist nicht möglich, Widersprüche und Leerstellen sind inhärent. Wir hoffen, diesen Herausforderungen gerecht zu werden und dennoch eine gute Story zu erzählen. Für die Videocollage am Ende der Ausstellung stellte Philipp Blom Fragen an heute in Wien lebende Menschen aus Afrika. Eine lautete: Was würden Sie Angelo Soliman gerne fragen? „Ich würde wissen wollen, ob er glücklich war“, so die Anwältin Sheila Rusike: „Und ob er je daran gedacht hat, wie es wäre, zu seinem Geburtsort zurückzukehren, um seine Familie zu sehen.“ Fragezeichen
Nicht nur ein Wiener Thema
Angelo Soliman – Ein Afrikaner in Wien
Noch einmal zur Briefmarke. Der Stich mit Solimans Antlitz lässt sogar in diesem trivialen Medium Nobilität spüren. Er ist zu einer Art Logo des Soliman-Mythos geworden. Wann immer es um Soliman geht, ist es im Einsatz, natürlich auch als Eyecatcher dieser Ausstellung. Eigentlich ist es gar kein persönliches Porträt, sondern eine Rollenmaske, eine gestylte Inszenierung von Besitzerstolz. Als diese Grafik verbreitet wurde, war Angelo Soliman exotisches „Prunkstück“ am Hof des mächtigen Fürsten Wenzel von Liechtenstein. Nicht irgendein verschleppter Sklave wird hier präsentiert, so die blumige Bildlegende, sondern ein Königssohn aus einem fernen Reich. Es geht also um Nobilitierung, die nur indirekt Diener Angelo zugute kam. Soweit ein kleines Beispiel für die Fallen und falschen Fährten, mit denen Soliman-Rechercheure immer rechnen müssen. Soliman ist der erste nichteuropäische Zuwanderer in Wien, dessen Leben ausreichend dokumentiert ist, um ihn als Person zumindest in Umrissen zu erschließen. Doch die Grenzen zwischen belegbaren Fakten und anekdotischer Überlieferung sind fließend. Früher wäre es für ein seriöses Museum ein Statusproblem gewesen, seine Autorität durch das Offenlegen von Wissenslücken und zweifelhaften Zuschreibungen in Frage zu stellen.
uns, Solimans Weg nicht nur als eng geführtes Einzelschicksal zu vermitteln, sondern im Spiegel der sozialen und kulturellen Verhältnisse. Also wird mehrmals aufgeblendet, über Soliman hinaus. Solche Diskurse gelten dem Sklavenhandel ebenso wie den vorgeprägten Rollenmustern – Diener, Soldat, Stadtläufer etc. –, aber auch den zirka 200 anderen Menschen aus Afrika, die in der multikulturellen Weltstadt Wien lebten. Thema ist natürlich auch die wechselvolle Geschichte der Rezeption und der künstlerischen Transformierung des Soliman-Stoffes in den 200 Jahren seither und auch eine Collage aus Images, die die hartnäckige Kontinuität von Afrika-Stereotypen belegen, die erst in jüngster Zeit kritisch kontrastiert werden. Dem weltoffenen Elan Philipp Bloms ist es zu verdanken, dass Solimans Schicksal auch im Katalogbuch in eine übergreifende Perspektive gestellt wird. Dafür stehen namhafte Autoren wie der Philosoph Kwame Athony Appiah (The Ethics of Identity), zwei Spezialisten für das damalige Afrika und den völlig verdrängten Sklavenhandel über das Mittelmeer (Andreas Eckert, Berlin; Salvatore Bono, Perugia) sowie die Historikerin Veronica Buckley, Expertin für das höfische Leben in der frühen Neuzeit. Komplementär zu diesen Beiträgen finden sich Texte mit Nahblick auf Soliman und die Wiener Verhältnisse: Der Wiener Sozialhistoriker Walter Sauer, Spezialist für die afrikanische Diaspora in Österreich und ausgewiesener Soliman-Experte, setzt Soliman mit den sozialen Milieus der Stadt, in der er so lange lebte, in Bezug. Ferner analysiert er die widersprüchlichen Stränge der posthumen Auseinandersetzungen mit einem Mann, der Vorbild ebenso war wie Opfer. Zu danken ist ferner Rüdiger Wolf, Direktor des Freimaurer-Museums, bei dem man Details über das aktive Involvement Solimans bei den Freimaurern erfährt.
Der Impuls zu dieser Ausstellung kam vom Historiker, Buchautor und Journalisten Philipp Blom. Er lebt zwar seit einigen Jahren in Wien, aber nie bestand die Versuchung, die Soliman-Geschichte als lokales „Wiener Gschichterl“ zu konzipieren. Bloms Publikationen führten schon mehrmals in die Kultur- und Wissenschaftsgeschichte des 18. Jahrhunderts. Schon bei den ersten inspirierenden Gesprächen war klar, dass wir einen Gastkurator mit weitem Blickfeld gewonnen hatten. Wichtig war
Ausstellungskataloge sind zugleich wissenschaftliche Bühne für Erstbegehungen und Forschungszwischensumme, Sachbuch und Dokumentation der wichtigsten Sach- und Bildquellen. Das vorhandene Wissen wird synthetisiert und einem breiten Publikum zugänglich gemacht. Bei Soliman ist die Chance auf Nachhaltigkeit groß, steht doch dem zunehmenden Publikumsinteresse eine fast völlige Absenz im Buchhandel gegenüber. Die meisten Beiträge zu Soliman aus den letzten Jahren sind an entlegener Stelle zu finden oder vergriffen. Das gilt für das 1996 erschienene Pionierbuch Das afrikanische Wien (hg. von Walter Sauer) ebenso wie für viele Aufsätze der deutschen Afrikanistin Monika Firla, die 2003 die bisher einzige Soliman-Ausstellung im Badener Rollettmuseum konzipiert hat. Hinweisen möchte ich auch auf einen Katalog unseres Hauses, jenen zur 1996 von Peter Eppel und Rainer Hubert konzipierten Ausstellung Wir. Zur Geschichte und Gegenwart der Zuwanderung nach Wien.
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Endlich eine Soliman-Publikation
Zur Ausstellung
Entfremdete Körper
Ist Soliman immer Soliman?
In allerjüngster Zeit erschienen Texte, in denen der Soliman-Stoff neu befragt wird und/oder im internationalen Vergleich behandelt wird. Das Interesse gilt etwa der in der Museumswelt drängenden Frage, wie man mit in den Sammlungen verbliebenen menschlichen Überresten verfahren sollte. Rassismus als Leichenschändung lautet der Untertitel des von Wulf D. Hund 2009 herausgegebenen Sammelbands Entfremdete Körper, der auch einen Aufsatz zu Soliman und dem „Rassismus der Aufklärung“ (Iris Wigger / Katrin Klein) enthält. In Hunds Buch wird die Ausstopfung Solimans mit anderen berüchtigten Fällen in Bezug gesetzt, nämlich mit den posthumen Schändungsgeschichten von Sarah Baartman, El Negro und der tasmanischen Aborigine Truganini. Im von „schnittpunkt“ initiierten Wiener Sammelband Das Unbehagen im Museum – Postkoloniale Museologien (hg. von Belinda Kazeem, Charlotte MartinzTurek und Nora Sternfeld, 2009) findet sich ein Beitrag von Araba Evelyn JohnstonArthur, in dem sie ausgehend von Soliman den „Strategien der Entherzigung, Dekolonisation und Dekonstruktion österreichischer Neutralitäten“ nachgeht: Zumeist werde Soliman retrospektiv „als Toleranzpokal ausgestellt“, überzogen „mit einem süßen Zuckerguß“. Wir sind stolz, das Gros der bekannten Soliman-Darstellungen zeigen zu können, mit wenigen Ausnahmen im Original. Einige wie das kürzlich vom Wien Museum erworbene Gemälde eines Jagdbanketts mit Fürst Medici, Feldherr Lobkowitz und dessen Diener Soliman waren bislang unbekannt. Höchstwahrscheinlich handelt es sich um die früheste authentische Darstellung unseres Titelhelden. Ein Bild höchster Qualität ist Canalettos Ansicht des Liechtenstein’schen Gartenpalais mit dem Fürsten und einem schwarzen Buben im Vordergrund. Liechtenstein beschäftigte nur einen „Hofmohren“, also ein Hinweis auf Soliman? Warum aber wurde der damals erwachsene Mann als Knabe dargestellt? Galten Afrikaner als „ewige Kinder“? Oder hat Canaletto nur eine austauschbare Staffagefigur à la Venezia ins Bild gesetzt? Und schon sind wir wieder im Ringelspiel der Vermutungen. Das erstaunliche Potential der Sammlung des Wien Museums wird einmal mehr sichtbar. Viele Schlüsselexponate stammen aus dieser, Delsenbachs repräsentative Wien-Ansicht ebenso wie das Hauszeichen der „Mohrenapotheke“, die berühmte Innenansicht einer Freimaurerloge von 1795 ebenso wie Bildsouvenirs der „Völkerschauen“ des späten 19. Jahrhunderts.
Wertvolle Leihgaben
Zu danken ist den großzügigen Leihgebern, nur einige kann ich hier nennen. Aus der Sammlung Liechtenstein dürfen wir das bedeutende Gemälde von Canaletto zeigen, nebst wichtigen Dokumenten (andere stellten uns Staatsarchiv, Wiener Stadt- und Landesarchiv und Archiv von St. Stephan zur Verfügung). Auch die Nachfolger von Fürst Lobkowitz unterstützten die Ausstellung. Essentiell war die Kooperation mit dem Museum für Völkerkunde, der wir das Ensemble von Alltagsobjekten aus dem alten Afrika verdanken. Für seltene Kunstblätter und rare Bücher danke ich Albertina, Wienbibliothek, Österreichischer Nationalbibliothek und dem Benediktinerstift Göttweig, für erstaunliche Figuren von Afrikanern dem Stift St. Florian. Großer Dank gilt dem Rollettmuseum für die Abgüsse aus der Gall’schen Schädelsammlung. Ich weiß es zu schätzen, dass Hans Schmid der Verleihung der „Schaustellung“ von Otto Rudolf Schatz zustimmte, einem österreichischen Hauptwerk der Zwischenkriegszeit. Für zwei Gemälde, die das Genre „afrikanische Kinder als Diener“ vertreten, geht mein Dank an die National Portrait Gallery in London und an die Hessische Landesstiftung. Und aus der Universität Messina durften zwei Stadtansichten nach Wien reisen.
Dank ans Team
Der Prozess, in dem aus dem starken Konzept von Philipp Blom eine vielschichtige Ausstellung wurde, war von inspirierenden Diskussionen begleitet. Dafür mein herzlicher Dank an das federführende kuratorische Duo Philipp Blom und Eva-Maria Orosz vom Wien Museum, wertvolle Mithilfe kam von Werner Schwarz und Walter Sauer als wissenschaftlichem Berater, Walter Öhlinger redigierte den Katalog. Walter Sauer danke ich auch für seine Ideen für das Begleitprogramm, das von Christine Koblitz mit großem Elan koordiniert wurde. Im Katalog wird dieses, das auch mit Partnern aus der afrikanischen Community entwickelt wurde und vor allem die aktuelle Situation von Menschen aus Afrika behandelt, leider nicht sichtbar. Elegant und feingliedrig sollte die Ausstellungsarchitektur sein. Wir hätten dafür keinen besseren Architekten als Luigi Blau finden können. Ebenso groß ist mein Dank an die Grafik-Feinwerkstatt Haller & Haller, vor allem auch für die Gestaltung des Katalogs. Großer Dank auch den Mediendesignern von Zone Media. Dass das Wien Museum derart komplexe Ausstellungen umsetzen kann, ist einmal mehr unserem Produktionsteam zu verdanken. Isabelle Exinger-Lang war souveräne Produktionsleiterin. Wolfgang Kos, Direktor Wien Museum
Angelo Soliman – Ein Afrikaner in Wien
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Zur Ausstellung
Entfremdete Körper
Ist Soliman immer Soliman?
In allerjüngster Zeit erschienen Texte, in denen der Soliman-Stoff neu befragt wird und/oder im internationalen Vergleich behandelt wird. Das Interesse gilt etwa der in der Museumswelt drängenden Frage, wie man mit in den Sammlungen verbliebenen menschlichen Überresten verfahren sollte. Rassismus als Leichenschändung lautet der Untertitel des von Wulf D. Hund 2009 herausgegebenen Sammelbands Entfremdete Körper, der auch einen Aufsatz zu Soliman und dem „Rassismus der Aufklärung“ (Iris Wigger / Katrin Klein) enthält. In Hunds Buch wird die Ausstopfung Solimans mit anderen berüchtigten Fällen in Bezug gesetzt, nämlich mit den posthumen Schändungsgeschichten von Sarah Baartman, El Negro und der tasmanischen Aborigine Truganini. Im von „schnittpunkt“ initiierten Wiener Sammelband Das Unbehagen im Museum – Postkoloniale Museologien (hg. von Belinda Kazeem, Charlotte MartinzTurek und Nora Sternfeld, 2009) findet sich ein Beitrag von Araba Evelyn JohnstonArthur, in dem sie ausgehend von Soliman den „Strategien der Entherzigung, Dekolonisation und Dekonstruktion österreichischer Neutralitäten“ nachgeht: Zumeist werde Soliman retrospektiv „als Toleranzpokal ausgestellt“, überzogen „mit einem süßen Zuckerguß“. Wir sind stolz, das Gros der bekannten Soliman-Darstellungen zeigen zu können, mit wenigen Ausnahmen im Original. Einige wie das kürzlich vom Wien Museum erworbene Gemälde eines Jagdbanketts mit Fürst Medici, Feldherr Lobkowitz und dessen Diener Soliman waren bislang unbekannt. Höchstwahrscheinlich handelt es sich um die früheste authentische Darstellung unseres Titelhelden. Ein Bild höchster Qualität ist Canalettos Ansicht des Liechtenstein’schen Gartenpalais mit dem Fürsten und einem schwarzen Buben im Vordergrund. Liechtenstein beschäftigte nur einen „Hofmohren“, also ein Hinweis auf Soliman? Warum aber wurde der damals erwachsene Mann als Knabe dargestellt? Galten Afrikaner als „ewige Kinder“? Oder hat Canaletto nur eine austauschbare Staffagefigur à la Venezia ins Bild gesetzt? Und schon sind wir wieder im Ringelspiel der Vermutungen. Das erstaunliche Potential der Sammlung des Wien Museums wird einmal mehr sichtbar. Viele Schlüsselexponate stammen aus dieser, Delsenbachs repräsentative Wien-Ansicht ebenso wie das Hauszeichen der „Mohrenapotheke“, die berühmte Innenansicht einer Freimaurerloge von 1795 ebenso wie Bildsouvenirs der „Völkerschauen“ des späten 19. Jahrhunderts.
Wertvolle Leihgaben
Zu danken ist den großzügigen Leihgebern, nur einige kann ich hier nennen. Aus der Sammlung Liechtenstein dürfen wir das bedeutende Gemälde von Canaletto zeigen, nebst wichtigen Dokumenten (andere stellten uns Staatsarchiv, Wiener Stadt- und Landesarchiv und Archiv von St. Stephan zur Verfügung). Auch die Nachfolger von Fürst Lobkowitz unterstützten die Ausstellung. Essentiell war die Kooperation mit dem Museum für Völkerkunde, der wir das Ensemble von Alltagsobjekten aus dem alten Afrika verdanken. Für seltene Kunstblätter und rare Bücher danke ich Albertina, Wienbibliothek, Österreichischer Nationalbibliothek und dem Benediktinerstift Göttweig, für erstaunliche Figuren von Afrikanern dem Stift St. Florian. Großer Dank gilt dem Rollettmuseum für die Abgüsse aus der Gall’schen Schädelsammlung. Ich weiß es zu schätzen, dass Hans Schmid der Verleihung der „Schaustellung“ von Otto Rudolf Schatz zustimmte, einem österreichischen Hauptwerk der Zwischenkriegszeit. Für zwei Gemälde, die das Genre „afrikanische Kinder als Diener“ vertreten, geht mein Dank an die National Portrait Gallery in London und an die Hessische Landesstiftung. Und aus der Universität Messina durften zwei Stadtansichten nach Wien reisen.
Dank ans Team
Der Prozess, in dem aus dem starken Konzept von Philipp Blom eine vielschichtige Ausstellung wurde, war von inspirierenden Diskussionen begleitet. Dafür mein herzlicher Dank an das federführende kuratorische Duo Philipp Blom und Eva-Maria Orosz vom Wien Museum, wertvolle Mithilfe kam von Werner Schwarz und Walter Sauer als wissenschaftlichem Berater, Walter Öhlinger redigierte den Katalog. Walter Sauer danke ich auch für seine Ideen für das Begleitprogramm, das von Christine Koblitz mit großem Elan koordiniert wurde. Im Katalog wird dieses, das auch mit Partnern aus der afrikanischen Community entwickelt wurde und vor allem die aktuelle Situation von Menschen aus Afrika behandelt, leider nicht sichtbar. Elegant und feingliedrig sollte die Ausstellungsarchitektur sein. Wir hätten dafür keinen besseren Architekten als Luigi Blau finden können. Ebenso groß ist mein Dank an die Grafik-Feinwerkstatt Haller & Haller, vor allem auch für die Gestaltung des Katalogs. Großer Dank auch den Mediendesignern von Zone Media. Dass das Wien Museum derart komplexe Ausstellungen umsetzen kann, ist einmal mehr unserem Produktionsteam zu verdanken. Isabelle Exinger-Lang war souveräne Produktionsleiterin. Wolfgang Kos, Direktor Wien Museum
Angelo Soliman – Ein Afrikaner in Wien
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Zur Ausstellung
Solimans Körper, Angelos Geist Philipp Blom
4.5.3 Kopfabguss Angelo Solimans, 1796 Franz Thaller zugeschrieben Städtisches Rollettmuseum Baden, Sammlung Gall
Angelo Soliman – Ein Afrikaner in Wien
12
Anmerkungen zur Erschließung eines Einzelschicksals
Ich sehe ihm direkt ins Gesicht. Erschöpft sieht er aus und leicht erstaunt. Die Lider sind schwer, halb geschlossen. Der Mund ist etwas geöffnet, die Wangen eingefallen. Obwohl er nicht so alt wirkt, ist er fünfundsiebzig. Als junger Mann muss er sehr gutaussehend gewesen sein, und noch jetzt fordert er mir instinktiv Respekt ab. Angelo Soliman stiert vor sich hin, seit zweihundert Jahren schon, als Gipsabguss, der 1796 wenige Stunden nach seinem Tod angefertigt wurde. Er ist umgeben von anderen Köpfen, in einem Glaskasten des Rollettmuseums in Baden bei Wien. Normalerweise hat man als Historiker der Zeit vor dem 19. Jahrhundert nicht die Gelegenheit, dem Gegenstand seiner Recherchen direkt ins Gesicht zu sehen, oder wenn, dann nur vermittelt durch einen Bildhauer oder Maler, deren Persönlichkeit und Talent und die künstlerischen Konventionen der Zeit. Die Begegnungen sind immer mittelbar und am lebendigsten als Text oder Musikstück, das wieder zum Leben erweckt werden kann. Porträts schaffen Distanz und haben ihre eigene Semantik. 1999, bei meinem ersten Besuch in Baden, sah ich Angelo Soliman, dessen Geschichte mich schon lange faszinierte, zum ersten Mal direkt ins Gesicht. Der Kopfabguss war nach dem Tod vom liegenden Leichnam abgenommen worden – daher auch die hohlen Wangen und das zurückgefallene Kinn. Er ist da, im Moment eines erstaunten und ermüdeten Sterbens, ganz ohne Pose, ohne Stil, ohne Attribute. Dies ist das Gesicht eines alten Mannes, so unmittelbar, als würde man ihm auf der Straße begegnen. In einem Aspekt unterscheidet sich dieses Gesicht vom Original: Es ist weiß – eine ironische Umkehrung in Solimans Geschichte, die lebenslang davon bestimmt war, dass er dunkle Haut hatte. Als Objekt in der Sammlung eines Wissenschaftlers aus dem frühen 19. Jahrhundert ist Solimans Haut zum letzten Mal verblichen. Soliman der „ausgestopfte Mohr“ geistert noch immer durch die Wiener Kulturgeschichte. In Theaterstücken, Büchern und Installationen taucht er hier und da wieder auf, zuletzt 2011 im Museum für Völkerkunde, morus ex machina, um danach wieder für Jahre oder Jahrzehnte zu verschwinden. Das Interesse an ihm hat seine Zeiten und Gezeiten: seit den Zwanziger Jahren verschmolz die Erinnerung an Soliman mit der 1924 vom Wiener Grafiker Rudolf Binder geschaffenen Figur des Meinl Mohren, der (ohne direkt auf Soliman Bezug zu nehmen) in seiner ständigen Präsenz den geduldig unterwürfigen „Kaffeemohren“ mit türkischem Fez auf dem gesenkten Kopf im modernen Österreich verankerte. In den 1990er Jahren wurde das Interesse an der Geschichte Solimans wieder entfacht und seither, in einer von Migration und Postkolonialismus geprägten Kulturlandschaft, hält es stetig an. 13
solimans Körper, Angelos Geist
Solimans Körper, Angelos Geist Philipp Blom
4.5.3 Kopfabguss Angelo Solimans, 1796 Franz Thaller zugeschrieben Städtisches Rollettmuseum Baden, Sammlung Gall
Angelo Soliman – Ein Afrikaner in Wien
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Anmerkungen zur Erschließung eines Einzelschicksals
Ich sehe ihm direkt ins Gesicht. Erschöpft sieht er aus und leicht erstaunt. Die Lider sind schwer, halb geschlossen. Der Mund ist etwas geöffnet, die Wangen eingefallen. Obwohl er nicht so alt wirkt, ist er fünfundsiebzig. Als junger Mann muss er sehr gutaussehend gewesen sein, und noch jetzt fordert er mir instinktiv Respekt ab. Angelo Soliman stiert vor sich hin, seit zweihundert Jahren schon, als Gipsabguss, der 1796 wenige Stunden nach seinem Tod angefertigt wurde. Er ist umgeben von anderen Köpfen, in einem Glaskasten des Rollettmuseums in Baden bei Wien. Normalerweise hat man als Historiker der Zeit vor dem 19. Jahrhundert nicht die Gelegenheit, dem Gegenstand seiner Recherchen direkt ins Gesicht zu sehen, oder wenn, dann nur vermittelt durch einen Bildhauer oder Maler, deren Persönlichkeit und Talent und die künstlerischen Konventionen der Zeit. Die Begegnungen sind immer mittelbar und am lebendigsten als Text oder Musikstück, das wieder zum Leben erweckt werden kann. Porträts schaffen Distanz und haben ihre eigene Semantik. 1999, bei meinem ersten Besuch in Baden, sah ich Angelo Soliman, dessen Geschichte mich schon lange faszinierte, zum ersten Mal direkt ins Gesicht. Der Kopfabguss war nach dem Tod vom liegenden Leichnam abgenommen worden – daher auch die hohlen Wangen und das zurückgefallene Kinn. Er ist da, im Moment eines erstaunten und ermüdeten Sterbens, ganz ohne Pose, ohne Stil, ohne Attribute. Dies ist das Gesicht eines alten Mannes, so unmittelbar, als würde man ihm auf der Straße begegnen. In einem Aspekt unterscheidet sich dieses Gesicht vom Original: Es ist weiß – eine ironische Umkehrung in Solimans Geschichte, die lebenslang davon bestimmt war, dass er dunkle Haut hatte. Als Objekt in der Sammlung eines Wissenschaftlers aus dem frühen 19. Jahrhundert ist Solimans Haut zum letzten Mal verblichen. Soliman der „ausgestopfte Mohr“ geistert noch immer durch die Wiener Kulturgeschichte. In Theaterstücken, Büchern und Installationen taucht er hier und da wieder auf, zuletzt 2011 im Museum für Völkerkunde, morus ex machina, um danach wieder für Jahre oder Jahrzehnte zu verschwinden. Das Interesse an ihm hat seine Zeiten und Gezeiten: seit den Zwanziger Jahren verschmolz die Erinnerung an Soliman mit der 1924 vom Wiener Grafiker Rudolf Binder geschaffenen Figur des Meinl Mohren, der (ohne direkt auf Soliman Bezug zu nehmen) in seiner ständigen Präsenz den geduldig unterwürfigen „Kaffeemohren“ mit türkischem Fez auf dem gesenkten Kopf im modernen Österreich verankerte. In den 1990er Jahren wurde das Interesse an der Geschichte Solimans wieder entfacht und seither, in einer von Migration und Postkolonialismus geprägten Kulturlandschaft, hält es stetig an. 13
solimans Körper, Angelos Geist
Der Sklave, der Mohr, der Exot, das Ausstellungsstück – Facetten eines Lebens, die sich ideal als Projektionsflächen eignen. So wie er sich zu Lebzeiten die von ihm erwarteten, ihm offenstehenden Rollen aneignete und sie verkörperte, so ist auch sein Nachleben davon gekennzeichnet, dass sich scheinbar alles auf ihn projizieren lässt: Er war der perfekte zivilisierte „Wilde“ bei der Biedermeier-Dichterin Caroline Pichler und ein tugendhafter Bürger beim Abbé Gregoire. Soliman lieferte ein charmantes „exotisches Kapitel Alt-Wien“ in Bauers kluger, aber von imperialer Nostalgie gezeichneten Biografie (1922), er war ein lüsterner und seltsam starrsinniger Statist in Musils Mann ohne Eigenschaften, bei dem Theaterautor Ludwig Fels (1992) war er Opfer einer rassistischen Mördergesellschaft, bei der Historikerin Monika Firla schenkte er seine eigene Haut der Wissenschaft und wird so vom Opfer selbst zum Akteur seiner Ausstopfung, im Projekt Remapping Mozart (2006) war er Fokus postkolonialistischer Kritik – er ist Vorbild und Märtyrer, Kuriosum und erfolgreicher Migrant, ewiger Sklave und bürgerlicher Aufsteiger, je nach Perspektive des Betrachters. Alle haben, scheint es, ihren eigenen Angelo Soliman.
4.4.3 Detail aus: Kaiser Joseph II. als Kind mit Mohr, um 1750 Münster, LWL-Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Porträtarchiv Diepenbroick
Einer historischen Spurensuche wird besonders eines zum Problem: Solimans Körper war taxonomisch fixiert und ausgestellt worden, sein Kopf steht da und starrt vor sich hin, seine Innenwelt aber entzieht sich jeder Annäherung. Ständig ist er präsent, aber doch ist es fast unmöglich, den Menschen Angelo Soliman zu erschließen. Die Beweisstücke seiner Existenz betreffen Solimans tägliches Leben während der vierzig Jahre, die er in Wien verbrachte. Es sind oft Rechnungen und legale Dokumente, die Details exakt fixieren, ohne der Person nahezukommen. Gleichzeitig begannen die Festschreibungen und Vereinnahmungen seiner Identität schon zu Lebzeiten. Seine Herkunft ist ein Beispiel. Vielleicht wusste er selbst nicht mehr, wo genau er geboren war, vielleicht traf er nach seiner Versklavung nie wieder einen Menschen, der seine Muttersprache sprach. Das Afrika, aus dem er stammte – in den Augen seiner europäischen Zeitgenossen eine mythische Welt –, bleibt völlig blass in seiner Biografie. Gleichzeitig beginnt das historische Vexierspiel: Auf seinem einzig gesicherten Porträt wird behauptet, er sei ein Adeliger aus Numidien, was sicher nicht der Fall ist, es dem Fürsten Liechtenstein aber erlaubte, seine eigene Macht zu inszenieren und seinen neuen Diener durch illustre Vorfahren aufzuwerten. Soliman selbst scheint wenig über seine Herkunft gesprochen zu haben, seine Biografin meinte, er käme aus „Pangutsilang“, einem Land, das es nie gegeben hat. Sein Afrika bleibt ein Ort europäischer Legenden und Vermutungen. Etwa vierunddreißig Jahre Angelo Soliman – Ein Afrikaner in Wien
14
war er alt, als er 1754 zum ersten Mal als „hochfürstlicher Mohr“ in den Rechnungen des Fürsten Liechtenstein auftauchte, davor verschwindet alles im Nebel der Behauptungen und Vermutungen. Angelo Soliman kam als jugendlicher Sklave ins Habsburgerreich und wurde Chef der Dienerschaft des Fürsten Liechtenstein, eines Herrschers über eine Million Untertanen, und später Erzieher des Erbprinzen des Hauses; verantwortliche Posten für einen Mann, der aus dem Nichts kam und bis an sein Lebensende nur mit Schwierigkeiten Deutsch sprach und es vorzog, sich auf Französisch zu unterhalten. Für diese Periode seines Lebens sind die historischen Dokumente dicht und reich: Wir haben detaillierte Rechnungen über Summen, die der Fürst in seine Ausstaffierung investierte; wir können zeigen, wo er wohnte, wen er heiratete, wer seine Freunde waren; wir haben den Totenschein und die exakte Liste seiner Habseligkeiten (er starb arm), wir wissen, wo sein Grab war und was mit seiner Haut geschah. Wir wissen sogar von der Verzweiflung seiner Tochter. Die Dokumente belegen das Leben eines Höflings und eines Mannes, dessen Herkunft seiner Karriere augenscheinlich nicht im Wege stand. Gleichzeitig lassen die Quellen aber auch erkennen, dass sich Soliman in der europäischen Welt nur behaupten konnte, weil er sich ihr anpasste. Auch nachdem er längst kein Sklave mehr war, war er noch kein freier Mann. Seine Karriere bestand darin, dass er eine Serie von Rollen spielte, die für Menschen seiner Hautfarbe vorgesehen waren. Als er mit etwa dreizehn Jahren sein Kaffeemohren-Kostüm ablegte, konnte er gleich in die Uniform eines Soldaten schlüpfen. Später, als Erwachsener, trug er die exotische Livree eines Hofmohren. Er trug sie auch nach seiner Pensionierung, wie eine zweite Haut. Nach seinem Tod wurde seine eigene Haut als Trophäe zur Schau gestellt, und Soliman wurde zu dem, was er zu Lebzeiten nie hatte sein wollen und doch in den Augen der Europäer immer auch gewesen war: der „Vertreter des Menschengeschlechts“, der edle Wilde. Nur wenige, recht kurze und unpersönliche Briefe gibt es von ihm und kein Tagebuch, keine Konversationshefte, Bücher, Aufsätze, Gedichte oder anderes, was uns über sein Innenleben Aufschluss geben könnte. Wir wissen nur, dass er Freimaurer war, sich aber aus dem Bund später zurückzog. Berichte über ihn schildern einen kultivierten, sehr beherrschten und imposanten Menschen, sind aber auch von den kulturellen Erwartungen und Vorurteilen ihrer Zeit imprägniert. Zeitgenössische Darstellungen und Details fordern Fragen heraus, anstatt sie zu beantworten. Ein vor kurzem vom Wien Museum erworbenes kleines Bild 15
solimans Körper, Angelos Geist
Der Sklave, der Mohr, der Exot, das Ausstellungsstück – Facetten eines Lebens, die sich ideal als Projektionsflächen eignen. So wie er sich zu Lebzeiten die von ihm erwarteten, ihm offenstehenden Rollen aneignete und sie verkörperte, so ist auch sein Nachleben davon gekennzeichnet, dass sich scheinbar alles auf ihn projizieren lässt: Er war der perfekte zivilisierte „Wilde“ bei der Biedermeier-Dichterin Caroline Pichler und ein tugendhafter Bürger beim Abbé Gregoire. Soliman lieferte ein charmantes „exotisches Kapitel Alt-Wien“ in Bauers kluger, aber von imperialer Nostalgie gezeichneten Biografie (1922), er war ein lüsterner und seltsam starrsinniger Statist in Musils Mann ohne Eigenschaften, bei dem Theaterautor Ludwig Fels (1992) war er Opfer einer rassistischen Mördergesellschaft, bei der Historikerin Monika Firla schenkte er seine eigene Haut der Wissenschaft und wird so vom Opfer selbst zum Akteur seiner Ausstopfung, im Projekt Remapping Mozart (2006) war er Fokus postkolonialistischer Kritik – er ist Vorbild und Märtyrer, Kuriosum und erfolgreicher Migrant, ewiger Sklave und bürgerlicher Aufsteiger, je nach Perspektive des Betrachters. Alle haben, scheint es, ihren eigenen Angelo Soliman.
4.4.3 Detail aus: Kaiser Joseph II. als Kind mit Mohr, um 1750 Münster, LWL-Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Porträtarchiv Diepenbroick
Einer historischen Spurensuche wird besonders eines zum Problem: Solimans Körper war taxonomisch fixiert und ausgestellt worden, sein Kopf steht da und starrt vor sich hin, seine Innenwelt aber entzieht sich jeder Annäherung. Ständig ist er präsent, aber doch ist es fast unmöglich, den Menschen Angelo Soliman zu erschließen. Die Beweisstücke seiner Existenz betreffen Solimans tägliches Leben während der vierzig Jahre, die er in Wien verbrachte. Es sind oft Rechnungen und legale Dokumente, die Details exakt fixieren, ohne der Person nahezukommen. Gleichzeitig begannen die Festschreibungen und Vereinnahmungen seiner Identität schon zu Lebzeiten. Seine Herkunft ist ein Beispiel. Vielleicht wusste er selbst nicht mehr, wo genau er geboren war, vielleicht traf er nach seiner Versklavung nie wieder einen Menschen, der seine Muttersprache sprach. Das Afrika, aus dem er stammte – in den Augen seiner europäischen Zeitgenossen eine mythische Welt –, bleibt völlig blass in seiner Biografie. Gleichzeitig beginnt das historische Vexierspiel: Auf seinem einzig gesicherten Porträt wird behauptet, er sei ein Adeliger aus Numidien, was sicher nicht der Fall ist, es dem Fürsten Liechtenstein aber erlaubte, seine eigene Macht zu inszenieren und seinen neuen Diener durch illustre Vorfahren aufzuwerten. Soliman selbst scheint wenig über seine Herkunft gesprochen zu haben, seine Biografin meinte, er käme aus „Pangutsilang“, einem Land, das es nie gegeben hat. Sein Afrika bleibt ein Ort europäischer Legenden und Vermutungen. Etwa vierunddreißig Jahre Angelo Soliman – Ein Afrikaner in Wien
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war er alt, als er 1754 zum ersten Mal als „hochfürstlicher Mohr“ in den Rechnungen des Fürsten Liechtenstein auftauchte, davor verschwindet alles im Nebel der Behauptungen und Vermutungen. Angelo Soliman kam als jugendlicher Sklave ins Habsburgerreich und wurde Chef der Dienerschaft des Fürsten Liechtenstein, eines Herrschers über eine Million Untertanen, und später Erzieher des Erbprinzen des Hauses; verantwortliche Posten für einen Mann, der aus dem Nichts kam und bis an sein Lebensende nur mit Schwierigkeiten Deutsch sprach und es vorzog, sich auf Französisch zu unterhalten. Für diese Periode seines Lebens sind die historischen Dokumente dicht und reich: Wir haben detaillierte Rechnungen über Summen, die der Fürst in seine Ausstaffierung investierte; wir können zeigen, wo er wohnte, wen er heiratete, wer seine Freunde waren; wir haben den Totenschein und die exakte Liste seiner Habseligkeiten (er starb arm), wir wissen, wo sein Grab war und was mit seiner Haut geschah. Wir wissen sogar von der Verzweiflung seiner Tochter. Die Dokumente belegen das Leben eines Höflings und eines Mannes, dessen Herkunft seiner Karriere augenscheinlich nicht im Wege stand. Gleichzeitig lassen die Quellen aber auch erkennen, dass sich Soliman in der europäischen Welt nur behaupten konnte, weil er sich ihr anpasste. Auch nachdem er längst kein Sklave mehr war, war er noch kein freier Mann. Seine Karriere bestand darin, dass er eine Serie von Rollen spielte, die für Menschen seiner Hautfarbe vorgesehen waren. Als er mit etwa dreizehn Jahren sein Kaffeemohren-Kostüm ablegte, konnte er gleich in die Uniform eines Soldaten schlüpfen. Später, als Erwachsener, trug er die exotische Livree eines Hofmohren. Er trug sie auch nach seiner Pensionierung, wie eine zweite Haut. Nach seinem Tod wurde seine eigene Haut als Trophäe zur Schau gestellt, und Soliman wurde zu dem, was er zu Lebzeiten nie hatte sein wollen und doch in den Augen der Europäer immer auch gewesen war: der „Vertreter des Menschengeschlechts“, der edle Wilde. Nur wenige, recht kurze und unpersönliche Briefe gibt es von ihm und kein Tagebuch, keine Konversationshefte, Bücher, Aufsätze, Gedichte oder anderes, was uns über sein Innenleben Aufschluss geben könnte. Wir wissen nur, dass er Freimaurer war, sich aber aus dem Bund später zurückzog. Berichte über ihn schildern einen kultivierten, sehr beherrschten und imposanten Menschen, sind aber auch von den kulturellen Erwartungen und Vorurteilen ihrer Zeit imprägniert. Zeitgenössische Darstellungen und Details fordern Fragen heraus, anstatt sie zu beantworten. Ein vor kurzem vom Wien Museum erworbenes kleines Bild 15
solimans Körper, Angelos Geist
3.3.1 Fürst Lobkowitz (?) und Soliman (?), Detail aus: Ein Jagdbankett des Großherzogs Gian Gastone de’ Medici (links unten), 1730er Jahre Peter Jakob Horemans Umkreis Wien Museum
auf Kupfer aus dem Umfeld von Peter Jakob Horemans, sehr wahrscheinlich eine frühe und bisher unbekannte Darstellung von Soliman, zeigt eine Jagdgesellschaft des letzten Herzogs von Medici um das Jahr 1735. Um den Gastgeber herum, der sich zum Betrachter umwendet und einen imposanten roten Mantel über die Schulter geworfen trägt, findet eine ausgelassene Mahlzeit statt, eine lebendige Szene mit den Herren und ihren Dienern, den Jagdhunden und einem wärmenden Kaminfeuer. Neun Männer sitzen am Tisch – die meisten von ihnen Honoratioren, die längst vergessen sind. Einige von ihnen haben sich die Perücken abgenommen und tragen Hauskappen oder turbanartig gewickelte Tücher, wie es damals modern war. Um sie herum ist das Personal beschäftigt mit Auftragen und Abräumen. Ein Mitglied der Tischgesellschaft poliert die Stiefel des neben ihm sitzenden Herzogs, ein anderer gibt seinem Hund zu fressen. In der Bildmitte hinter dem Tisch sitzt ein Mann mittleren Alters mit Doppelkinn und in einem unscheinbaren grauen Gehrock, mit großer Wahrscheinlichkeit Georg Christian Fürst Lobkowitz, der damalige Statthalter der Lombardei und Ehrengast von Medici. Hinter seinem Sessel steht ein junger, hochaufgeschossener Schwarzer in einer prächtigen Livree. Er ist das Gravitationszentrum der gesamten Bildkomposition. Sein Kopf überragt alle anderen, er trägt als einziger Rot und Blau, die beiden dominanten Farben, die Sicht ist freigegeben auf ihn und seinen Herren. Die Hand des schwarzen Dieners liegt auf der Rückenlehne des Fürsten, eine familiäre Geste, die sich kein gewöhnlicher Diener herausnehmen, kein Hofmaler darstellen würde. Dieser junge Mann, der still dasteht, während das übrige Personal geschäftig herumläuft, hat eine besondere Beziehung zu seinem Herren, eher Angelo Soliman – Ein Afrikaner in Wien
16
3.3.5 Afrikanischer Diener, traditionell als Angelo Soliman identifiziert, Detail aus: Aufsteigender Reiter mit afrikanischem Diener, Oberitalienisch, um 1690 Lobkowicz Sammlung, Schloss Meˇlnik, Tschechische Republik
wie ein Familienmitglied oder ein intimer Freund. Solimans erste Biografin Caroline Pichler, die noch auf Aussagen von Freunden des zehn Jahre zuvor Verstorbenen zurückgreifen konnte, beschrieb, dass Lobkowitz „eine innige Neigung gegen den liebenswürdigen Knaben“ empfand. Wie war es also um ihre Beziehung beschaffen? Warum wurde der zum Zeitpunkt der Entstehung des Bildes etwa fünfzehnjährige junge Mann, der noch bis vor kurzem ein Sklave gewesen war, in Gegenwart zweier Hochadeliger so sehr zum Mittelpunkt? Immer wieder gibt es Details in Solimans Leben, die reich an interpretativen Möglichkeiten sind. Wie Scherben mit seltsamen Mustern, aus denen Archäologen Rituale und ganze Weltbilder extrapolieren, fordern diese Fragmente eines Lebens dazu heraus, Geschichten an sie zu knüpfen, hinter den Rechnungsbüchern und der offiziellen Hoflivree ein Individuum zu erkennen. Für eine vollständige Biografie aber fehlen zu viele Elemente. Wann wurde Soliman geboren, und wo? Wie alt war er, als er versklavt wurde, und wie erlebte er seine Verschleppung? Wurde er durch die Sahara oder über den Atlantik nach Europa gebracht, über Spanien oder über Algerien? Wann kam er nach Sizilien und wer war seine Eigentümerin in Messina? War es wirklich eine Gräfin Sollima, die ihm auch ihren Nachnamen gab? Was genau verband ihn mit Fürst Lobkowitz, und warum gibt es keine Belege über seine zwanzig Jahre in dessen Dienst? War er verbittert über seine Versklavung und sein späteres Geschick, war er wirklich ein so hervorragender Mensch, wie seine Zeitgenossen beschreiben, oder schwingt bei ihren Komplimenten die Implikation mit, dass er es für einen „Wilden“ weit gebracht habe? Schrieb er anonym an historischen Büchern mit? Wer beschloss die anatomische Präparation und Zurschaustellung seiner Haut, der Museumsdirektor, oder Kaiser Franz II. persönlich? Soliman ist entweder ganz nah oder ganz weit weg. Was bleibt, ist kaum mehr als die Silhouette des ausgestopften Mohren. Solimans Status und die Art, wie er von seinen Zeitgenossen wahrgenommen wurde, lassen sich in Ansätzen rekonstruieren. Im 18. Jahrhundert lebten nur wenige Afrikaner in Wien – etwa vierzig sind dokumentiert –, und viele von ihnen starben jung. Ein Afrikaner war ein seltener Anblick. Wer „Mohren“ kannte, kannte sie aus Legenden und von Weihnachtskrippen (der dritte König), als Ornamente an Hausfassaden oder Randfiguren auf Altarbildern. In Wien erinnerte man sich zweifellos auch an die dunkelhäutigen Soldaten, die 1683, bei der letzten Türkenbelagerung, mit dem osmanischen Heer vor der Stadt aufgezogen waren und die ihre Spuren im kollektiven Gedächtnis hinterlassen hatten. Wien war damals eine Grenzstadt, ein Bollwerk des christlichen Europa gegen die Herrschaft der Sultane und gegen den Islam. 17
solimans Körper, Angelos Geist
3.3.1 Fürst Lobkowitz (?) und Soliman (?), Detail aus: Ein Jagdbankett des Großherzogs Gian Gastone de’ Medici (links unten), 1730er Jahre Peter Jakob Horemans Umkreis Wien Museum
auf Kupfer aus dem Umfeld von Peter Jakob Horemans, sehr wahrscheinlich eine frühe und bisher unbekannte Darstellung von Soliman, zeigt eine Jagdgesellschaft des letzten Herzogs von Medici um das Jahr 1735. Um den Gastgeber herum, der sich zum Betrachter umwendet und einen imposanten roten Mantel über die Schulter geworfen trägt, findet eine ausgelassene Mahlzeit statt, eine lebendige Szene mit den Herren und ihren Dienern, den Jagdhunden und einem wärmenden Kaminfeuer. Neun Männer sitzen am Tisch – die meisten von ihnen Honoratioren, die längst vergessen sind. Einige von ihnen haben sich die Perücken abgenommen und tragen Hauskappen oder turbanartig gewickelte Tücher, wie es damals modern war. Um sie herum ist das Personal beschäftigt mit Auftragen und Abräumen. Ein Mitglied der Tischgesellschaft poliert die Stiefel des neben ihm sitzenden Herzogs, ein anderer gibt seinem Hund zu fressen. In der Bildmitte hinter dem Tisch sitzt ein Mann mittleren Alters mit Doppelkinn und in einem unscheinbaren grauen Gehrock, mit großer Wahrscheinlichkeit Georg Christian Fürst Lobkowitz, der damalige Statthalter der Lombardei und Ehrengast von Medici. Hinter seinem Sessel steht ein junger, hochaufgeschossener Schwarzer in einer prächtigen Livree. Er ist das Gravitationszentrum der gesamten Bildkomposition. Sein Kopf überragt alle anderen, er trägt als einziger Rot und Blau, die beiden dominanten Farben, die Sicht ist freigegeben auf ihn und seinen Herren. Die Hand des schwarzen Dieners liegt auf der Rückenlehne des Fürsten, eine familiäre Geste, die sich kein gewöhnlicher Diener herausnehmen, kein Hofmaler darstellen würde. Dieser junge Mann, der still dasteht, während das übrige Personal geschäftig herumläuft, hat eine besondere Beziehung zu seinem Herren, eher Angelo Soliman – Ein Afrikaner in Wien
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3.3.5 Afrikanischer Diener, traditionell als Angelo Soliman identifiziert, Detail aus: Aufsteigender Reiter mit afrikanischem Diener, Oberitalienisch, um 1690 Lobkowicz Sammlung, Schloss Meˇlnik, Tschechische Republik
wie ein Familienmitglied oder ein intimer Freund. Solimans erste Biografin Caroline Pichler, die noch auf Aussagen von Freunden des zehn Jahre zuvor Verstorbenen zurückgreifen konnte, beschrieb, dass Lobkowitz „eine innige Neigung gegen den liebenswürdigen Knaben“ empfand. Wie war es also um ihre Beziehung beschaffen? Warum wurde der zum Zeitpunkt der Entstehung des Bildes etwa fünfzehnjährige junge Mann, der noch bis vor kurzem ein Sklave gewesen war, in Gegenwart zweier Hochadeliger so sehr zum Mittelpunkt? Immer wieder gibt es Details in Solimans Leben, die reich an interpretativen Möglichkeiten sind. Wie Scherben mit seltsamen Mustern, aus denen Archäologen Rituale und ganze Weltbilder extrapolieren, fordern diese Fragmente eines Lebens dazu heraus, Geschichten an sie zu knüpfen, hinter den Rechnungsbüchern und der offiziellen Hoflivree ein Individuum zu erkennen. Für eine vollständige Biografie aber fehlen zu viele Elemente. Wann wurde Soliman geboren, und wo? Wie alt war er, als er versklavt wurde, und wie erlebte er seine Verschleppung? Wurde er durch die Sahara oder über den Atlantik nach Europa gebracht, über Spanien oder über Algerien? Wann kam er nach Sizilien und wer war seine Eigentümerin in Messina? War es wirklich eine Gräfin Sollima, die ihm auch ihren Nachnamen gab? Was genau verband ihn mit Fürst Lobkowitz, und warum gibt es keine Belege über seine zwanzig Jahre in dessen Dienst? War er verbittert über seine Versklavung und sein späteres Geschick, war er wirklich ein so hervorragender Mensch, wie seine Zeitgenossen beschreiben, oder schwingt bei ihren Komplimenten die Implikation mit, dass er es für einen „Wilden“ weit gebracht habe? Schrieb er anonym an historischen Büchern mit? Wer beschloss die anatomische Präparation und Zurschaustellung seiner Haut, der Museumsdirektor, oder Kaiser Franz II. persönlich? Soliman ist entweder ganz nah oder ganz weit weg. Was bleibt, ist kaum mehr als die Silhouette des ausgestopften Mohren. Solimans Status und die Art, wie er von seinen Zeitgenossen wahrgenommen wurde, lassen sich in Ansätzen rekonstruieren. Im 18. Jahrhundert lebten nur wenige Afrikaner in Wien – etwa vierzig sind dokumentiert –, und viele von ihnen starben jung. Ein Afrikaner war ein seltener Anblick. Wer „Mohren“ kannte, kannte sie aus Legenden und von Weihnachtskrippen (der dritte König), als Ornamente an Hausfassaden oder Randfiguren auf Altarbildern. In Wien erinnerte man sich zweifellos auch an die dunkelhäutigen Soldaten, die 1683, bei der letzten Türkenbelagerung, mit dem osmanischen Heer vor der Stadt aufgezogen waren und die ihre Spuren im kollektiven Gedächtnis hinterlassen hatten. Wien war damals eine Grenzstadt, ein Bollwerk des christlichen Europa gegen die Herrschaft der Sultane und gegen den Islam. 17
solimans Körper, Angelos Geist
Bildnis eines Mohren, um 1750 im 20. Jahrhundert erhielt das Gemälde den Untertitel „Angelo Soliman, Diener des Fürsten Lobkowitz“ Unbekannter deutscher Maler Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Inv.Nr. 4141
Angelo Soliman – Ein Afrikaner in Wien
Die Schwarzen, die Wiener zu Gesicht bekamen, waren manchmal Diener, aber es waren auch Soldaten oder Mitglieder der Entourage in einer der prächtigen Großbotschaften, die von Konstantinopel in die Kaiserstadt geschickt wurden. Es überrascht daher nicht, dass „Hofmohren“ wie Angelo Soliman oft eine türkisch inspirierte Dienstuniform mit weißem Turban trugen – Türken und Mohren wurden miteinander identifiziert. Ein Hofmohr war nicht nur ein exotisches Ornament an einem europäischen Fürstenhof, er war gerade für Militärführer wie Lobkowitz und Liechtenstein auch sozusagen ein lebender Beweis für den Sieg über die osmanische Bedrohung. Soliman der Kammerdiener stand nicht nur für den im strahlenden Lichte der christlichen Offenbarung zivilisierten „Wilden“, sondern auch für den unterworfenen und jetzt dienenden Feind. Natürlich gab es auch damals direkte Formen der rassistischen Diskriminierung. In Dokumenten des Zeitgeistes wie den Mozart-Opern Die Entführung aus dem Serail und Die Zauberflöte spiegeln sich Klischees, die schon im 18. Jahrhundert über Afrikaner bestanden – der gierige Eunuch Selim, der augenrollend wollüstige Monostatos. Während Schwarze in London oder Bordeaux oder Lissabon und Rom aber von vornherein als Sklaven wahrgenommen wurden, gab es in Wien auch ganz andere, ebenso klischeehafte Assoziationen, die Soliman nutzen konnten. Er war Soldat gewesen. Schwarze Krieger waren gefürchtet, sie galten als stolz, furchtlos und edelmütig, wenn auch, wie Othello, zu leidenschaftlich. Als Fürst Liechtenstein seinen stattlichen neuen Kammerdiener Angelo Soliman in dessen Porträt mit apokryphen Adelstiteln bedachte, wollte er damit vermitteln, der Diener selbst sei ein Edelmann, eine Respektsperson. Wurde all dies mitgelesen in der Erscheinung Solimans? Weckte das Auftreten des allen Zeugen zufolge eindrucksvollen Schwarzen in seinem weißen Turban und seiner silbernen Hofuniform Assoziationen mit Monostatos, mit Suleiman dem Prächtigen, mit edlen Wilden und dem verführerischen Harem aus der „Entführung“? Soliman war der erste nichteuropäische Migrant, über dessen Leben und Nachleben in Wien detaillierte Informationen überliefert sind, der erste Einwanderer der Moderne, dessen Geschichte Teil der urbanen Legenden Wiens wurde und noch immer ist. In einem Europa, das heute immer stärker von Migrationsgeschichten geprägt ist, macht dies sein Leben emblematisch und fordert zum historischen Vergleich heraus. Soliman in Wien 2011? Heute ist wenig geblieben von der im 18. Jahrhundert noch lebendigen Wiener Tradition, Schwarze auch wegen ihrer Hautfarbe als Respektspersonen zu
behandeln. Die negativen Klischees sind erstaunlich stabil geblieben, aber die positive Wahrnehmung von Afrikanern ist durch das intellektuelle Erbe von Kolonialismus und Rassismus fast völlig zerstört. Etwa 22.000 Afrikaner leben momentan in Österreich, ein großer Teil davon in Wien. Viele von ihnen sind in den letzten Jahren als Asylsuchende ins Land gekommen; alle haben sie Erfahrungen mit rassistischer Diskriminierung auf der Straße, im Amt, von der Polizei und immer wieder, mehr oder weniger codiert, im politischen Diskurs. Ob Asylanten oder nicht, alle haben etwas zu erzählen über die Fremdenpolizei und darüber, wie es sich anfühlt, angepöbelt oder ignoriert zu werden. „Wenn ich hier die Straße entlanggehe, fühle ich mich wie unsichtbar“, sagt eine junge Frau. Wer sich hier vor Abschluss eines oft jahrelang dauernden Asylverfahrens ein Leben aufbaut, läuft Gefahr, wieder ausgewiesen zu werden und alles zu verlieren. Es braucht viel Mut und ungeheure Reserven von Optimismus und Energie, um trotz dieser Hindernisse zu studieren, sich weiterzubilden, in dieses Leben hier zu investieren, aber jeden Tag tun das Tausende Afrikanerinnen und Afrikaner in dieser Stadt. Wer von diesen Menschen hat die Chance, als Flüchtling oder als Asylsuchender, also von einer ähnlich machtlosen Situation aus wie der kleine Angelo Soliman nach seiner Versklavung, zu einer Position aufzusteigen, die ihm erlaubt, mit der Elite der Gesellschaft umzugehen und in einem verantwortungsvollen Beruf Meister über Hunderte von Angestellten zu sein? Könnte ein fünfzehnjähriger oder ein zweiunddreißigjähriger Angelo Soliman, wenn er heute auf ungewissen Wegen aus dem Niger, dem Tschad oder aus Nigeria gekommen wäre, noch immer hoffen, in Wien so eine Karriere zu machen, wenn er hart arbeitet? Solimans Geschichte war nicht nur eine Tragödie, sondern auch ein menschlicher Triumph über das Schicksal. Er hatte es geschafft, in der Gesellschaft, in der er durch seine Versklavung lebte, sich persönlich und professionell zu integrieren und Erfolg zu haben. Am Anfang seines Lebens war er Opfer, aber er hatte es geschafft, sich Respekt zu verschaffen und sich ein Leben zu erobern. Er starb als angesehener Mann. Er hatte eine Wienerin aus guter Familie geheiratet und mit ihr eine Tochter, hatte ein Haus besessen, eine verantwortliche Stellung bekleidet und hatte mit mächtigen Menschen verkehrt, die seine Meinung suchten – mehr, als die meisten seiner europäischen Zeitgenossen träumen durften. Seine Karriere vom Sklaven bis zum Freund des Kaisers war die Geschichte eines geglückten Migrantenlebens. War es so? Man kann aus denselben Fakten auch das entgegengesetzte Szenario entwerfen: Soliman der Verschleppte und Missbrauchte, der in Armut in
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4.2.1 Fürst Liechtenstein und sein „Hofmohr“, Detail aus: Das Gartenpalais Liechtenstein in Wien vom Belvedere, 1759/60 Bernardo Bellotto genannt Canaletto Vaduz–Wien, Sammlungen des Fürsten von und zu Liechtenstein
solimans Körper, Angelos Geist
Bildnis eines Mohren, um 1750 im 20. Jahrhundert erhielt das Gemälde den Untertitel „Angelo Soliman, Diener des Fürsten Lobkowitz“ Unbekannter deutscher Maler Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Inv.Nr. 4141
Angelo Soliman – Ein Afrikaner in Wien
Die Schwarzen, die Wiener zu Gesicht bekamen, waren manchmal Diener, aber es waren auch Soldaten oder Mitglieder der Entourage in einer der prächtigen Großbotschaften, die von Konstantinopel in die Kaiserstadt geschickt wurden. Es überrascht daher nicht, dass „Hofmohren“ wie Angelo Soliman oft eine türkisch inspirierte Dienstuniform mit weißem Turban trugen – Türken und Mohren wurden miteinander identifiziert. Ein Hofmohr war nicht nur ein exotisches Ornament an einem europäischen Fürstenhof, er war gerade für Militärführer wie Lobkowitz und Liechtenstein auch sozusagen ein lebender Beweis für den Sieg über die osmanische Bedrohung. Soliman der Kammerdiener stand nicht nur für den im strahlenden Lichte der christlichen Offenbarung zivilisierten „Wilden“, sondern auch für den unterworfenen und jetzt dienenden Feind. Natürlich gab es auch damals direkte Formen der rassistischen Diskriminierung. In Dokumenten des Zeitgeistes wie den Mozart-Opern Die Entführung aus dem Serail und Die Zauberflöte spiegeln sich Klischees, die schon im 18. Jahrhundert über Afrikaner bestanden – der gierige Eunuch Selim, der augenrollend wollüstige Monostatos. Während Schwarze in London oder Bordeaux oder Lissabon und Rom aber von vornherein als Sklaven wahrgenommen wurden, gab es in Wien auch ganz andere, ebenso klischeehafte Assoziationen, die Soliman nutzen konnten. Er war Soldat gewesen. Schwarze Krieger waren gefürchtet, sie galten als stolz, furchtlos und edelmütig, wenn auch, wie Othello, zu leidenschaftlich. Als Fürst Liechtenstein seinen stattlichen neuen Kammerdiener Angelo Soliman in dessen Porträt mit apokryphen Adelstiteln bedachte, wollte er damit vermitteln, der Diener selbst sei ein Edelmann, eine Respektsperson. Wurde all dies mitgelesen in der Erscheinung Solimans? Weckte das Auftreten des allen Zeugen zufolge eindrucksvollen Schwarzen in seinem weißen Turban und seiner silbernen Hofuniform Assoziationen mit Monostatos, mit Suleiman dem Prächtigen, mit edlen Wilden und dem verführerischen Harem aus der „Entführung“? Soliman war der erste nichteuropäische Migrant, über dessen Leben und Nachleben in Wien detaillierte Informationen überliefert sind, der erste Einwanderer der Moderne, dessen Geschichte Teil der urbanen Legenden Wiens wurde und noch immer ist. In einem Europa, das heute immer stärker von Migrationsgeschichten geprägt ist, macht dies sein Leben emblematisch und fordert zum historischen Vergleich heraus. Soliman in Wien 2011? Heute ist wenig geblieben von der im 18. Jahrhundert noch lebendigen Wiener Tradition, Schwarze auch wegen ihrer Hautfarbe als Respektspersonen zu
behandeln. Die negativen Klischees sind erstaunlich stabil geblieben, aber die positive Wahrnehmung von Afrikanern ist durch das intellektuelle Erbe von Kolonialismus und Rassismus fast völlig zerstört. Etwa 22.000 Afrikaner leben momentan in Österreich, ein großer Teil davon in Wien. Viele von ihnen sind in den letzten Jahren als Asylsuchende ins Land gekommen; alle haben sie Erfahrungen mit rassistischer Diskriminierung auf der Straße, im Amt, von der Polizei und immer wieder, mehr oder weniger codiert, im politischen Diskurs. Ob Asylanten oder nicht, alle haben etwas zu erzählen über die Fremdenpolizei und darüber, wie es sich anfühlt, angepöbelt oder ignoriert zu werden. „Wenn ich hier die Straße entlanggehe, fühle ich mich wie unsichtbar“, sagt eine junge Frau. Wer sich hier vor Abschluss eines oft jahrelang dauernden Asylverfahrens ein Leben aufbaut, läuft Gefahr, wieder ausgewiesen zu werden und alles zu verlieren. Es braucht viel Mut und ungeheure Reserven von Optimismus und Energie, um trotz dieser Hindernisse zu studieren, sich weiterzubilden, in dieses Leben hier zu investieren, aber jeden Tag tun das Tausende Afrikanerinnen und Afrikaner in dieser Stadt. Wer von diesen Menschen hat die Chance, als Flüchtling oder als Asylsuchender, also von einer ähnlich machtlosen Situation aus wie der kleine Angelo Soliman nach seiner Versklavung, zu einer Position aufzusteigen, die ihm erlaubt, mit der Elite der Gesellschaft umzugehen und in einem verantwortungsvollen Beruf Meister über Hunderte von Angestellten zu sein? Könnte ein fünfzehnjähriger oder ein zweiunddreißigjähriger Angelo Soliman, wenn er heute auf ungewissen Wegen aus dem Niger, dem Tschad oder aus Nigeria gekommen wäre, noch immer hoffen, in Wien so eine Karriere zu machen, wenn er hart arbeitet? Solimans Geschichte war nicht nur eine Tragödie, sondern auch ein menschlicher Triumph über das Schicksal. Er hatte es geschafft, in der Gesellschaft, in der er durch seine Versklavung lebte, sich persönlich und professionell zu integrieren und Erfolg zu haben. Am Anfang seines Lebens war er Opfer, aber er hatte es geschafft, sich Respekt zu verschaffen und sich ein Leben zu erobern. Er starb als angesehener Mann. Er hatte eine Wienerin aus guter Familie geheiratet und mit ihr eine Tochter, hatte ein Haus besessen, eine verantwortliche Stellung bekleidet und hatte mit mächtigen Menschen verkehrt, die seine Meinung suchten – mehr, als die meisten seiner europäischen Zeitgenossen träumen durften. Seine Karriere vom Sklaven bis zum Freund des Kaisers war die Geschichte eines geglückten Migrantenlebens. War es so? Man kann aus denselben Fakten auch das entgegengesetzte Szenario entwerfen: Soliman der Verschleppte und Missbrauchte, der in Armut in
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4.2.1 Fürst Liechtenstein und sein „Hofmohr“, Detail aus: Das Gartenpalais Liechtenstein in Wien vom Belvedere, 1759/60 Bernardo Bellotto genannt Canaletto Vaduz–Wien, Sammlungen des Fürsten von und zu Liechtenstein
solimans Körper, Angelos Geist
4.2.8 Angelo Soliman zu Pferd, Detail aus: Der Einzug des Fürsten Joseph Wenzel I. von Liechtenstein in Parma am 3. September 1760, nach 1761 Unbekannter Maler Vaduz–Wien, Sammlungen des Fürsten von und zu Liechtenstein
der Fremde stirbt, der Mann, der auch nach seiner Pensionierung das entwürdigende Kostüm des Hofmohren trägt, weil er seine eigene Assimilation schon zu tief verinnerlicht hat, der Mann, der vielleicht aus einer Toleranzgeste der Freimaurer zum Logenbruder wird, sich aber nie wirklich wohlfühlt und enttäuscht wieder aufgibt, der Mann, der seiner Tochter nichts vererben kann als ein Vermächtnis von Kummer und Zorn, der Mann, der schließlich physisch zu dem gemacht wird, als das er sein ganzes Leben lang gesehen wurde: ein gezähmter Wilder im kaiserlichen Kuriositätenkabinett. Historisches Verstehen kann niemals kategorisch sein. Soliman war wohl nie wirklich frei, brachte es aber weiter als jeder europäische Leibeigene, als jeder Bauernsohn. Er war fähig, arbeitete hart und war ehrgeizig. Er wusste, dass in seiner Erscheinung seine Chance und gleichzeitig auch seine Begrenzung lag. Er war ein Opfer der Geschichte, das seinem Leben Würde und Individualität abrang und schon deshalb bemerkenswert ist. Jede Sichtweise muss eigene Akzente setzen, wird den Menschen und seinen Weg anders bewerten und erzählen. Wer war Angelo Soliman? Ich sehe dem gipsernen Abguss seines Kopfes direkt in die Augen, registriere jede Falte um sie herum. Aber der Blick dringt nicht durch die harte Oberfläche. Der Mensch Soliman hat sich zurückgezogen vor den Begehrlichkeiten Anderer, vielleicht hat er das schon früh gelernt. Abseits des historischen, fixierten Körpers bleibt sein Geist ungreifbar.
Eine Ausstellung über Angelo Soliman muss sich zwei Herausforderungen stellen: zum einen ist nur die Wiener Periode seines Lebens dokumentiert, zum anderen ist die Zurschaustellung seiner Haut nicht nur der bekannteste Aspekt seiner Geschichte, sie stellt die Ausstellungsmacher vor das Problem, dass sie einerseits nicht ignoriert werden kann, andererseits aber mit größter Sensibilität gehandhabt werden muss. Gleichzeitig kam es darauf an, Soliman als Individuum darzustellen und die Möglichkeiten seiner persönlichen Autonomie auszuloten und zu vermitteln. Es war mir wichtig, Solimans Geschichte in Afrika beginnen zu lassen, um sie aus dem oft evozierten Status als Wiener Histörchen zu lösen. Die einzige Quelle für seine Biografie vor seinem Dienstantritt bei Joseph Wenzel I. von und zu Liechtenstein ist die faszinierende, aber oft inakkurate und beschönigende biografische
Skizze der Wiener Dichterin Caroline Pichler, die rein anekdotisch einige mögliche Aspekte seiner Herkunft referiert. Der erste Raum der Ausstellung thematisiert daher aus zwei unterschiedlichen Perspektiven Solimans afrikanische Herkunft. Einerseits stellt er anhand von Kunstwerken und Zitaten dar, wie Afrikaner und Afrika seit dem 17. Jahrhundert von Europäern wahrgenommen wurden – als ein Reich der Legende, in der sich kindhafte Menschen und sagenhafte Tiere tummelten –, andererseits kontrastiert er diese Wahrnehmung mit modernen Vermutungen über Solimans geographische Herkunft und rekonstruiert beispielhaft anhand von ethnographischen Objekten die Ästhetik des Kanem-Bornu-Reiches, aus dem Soliman mit einiger Wahrscheinlichkeit stammte. Auch Solimans Versklavung und sein Leben in Sizilien werden nur von Pichler referiert. Hier war es wichtig, wieder aus einer allgemeinen Perspektive, den mediterranen Sklavenhandel darzustellen und Solimans Rolle als „Mohrendiener“ in Messina und als Gesellschafter des Militärkommandeurs Fürst Georg Christian Lobkowitz in einem kulturhistorischen Kontext zu zeigen, indem die möglichen Rollenbilder von Afrikanern besonders in der höfischen Kultur Europas aufgefächert und untersucht wurden. Erst in Wien wird Angelo Solimans Lebensspur konkret. Anhand von Dokumenten, Porträts und anderen direkten Spuren lässt sich ein Leben rekonstruieren, das einerseits mit dem Wiener Hochadel verbunden ist, andererseits aber auch ein kontinuierliches Streben nach bürgerlicher Autonomie und persönlicher Anerkennung zeigt. Dieser von Soliman versuchte Wandel vom exotischen Objekt zum bürgerlichen Subjekt, seine Heirat, der Hauskauf, die Investition in einem Bergwerk und die Mitgliedschaft bei den Freimaurern, werden dargestellt und untersucht. Hatte er es geschafft, eine selbständige Existenz zu gründen und zu behaupten? Die berühmteste Episode seiner Geschichte ist gleichzeitig die problematischste. Solimans über Holz aufgespannte Haut wurde nach seinem Tod zum „Wilden Mann“ stilisiert, mit Straußenfedern, Muscheln und Glasperlen ausstaffiert und öffentlich zur Schau gestellt. Eine Ausstellung, die ebenfalls einer musealen, darstellenden Dynamik folgt, kann sich dieser für heutige Augen widerlichen Tatsache nicht entziehen und muss sie dramaturgisch aufgreifen und lösen. Wir haben uns entschlossen, die Fakten der öffentlichen Leichenschändung nicht nur abstrakt zu referieren, sondern durch eine reflektierte Rekonstruktion plastisch werden zu lassen, in der besonders die Abwesenheit des Menschen Soliman dramatisiert wird.
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* Zur Konzeption der Ausstellung
Angelo Soliman – Ein Afrikaner in Wien
4.2.9 Ein „Hofmohr“, Detail aus: Trauungszeremonie Josephs II. und Isabellas von Parma in der Wiener Augustinerkirche, 1760 Martin van Meytens (Werkstatt), um 1760/65 Wien, Bundesmobilienverwaltung, MD 040079
solimans Körper, Angelos Geist
4.2.8 Angelo Soliman zu Pferd, Detail aus: Der Einzug des Fürsten Joseph Wenzel I. von Liechtenstein in Parma am 3. September 1760, nach 1761 Unbekannter Maler Vaduz–Wien, Sammlungen des Fürsten von und zu Liechtenstein
der Fremde stirbt, der Mann, der auch nach seiner Pensionierung das entwürdigende Kostüm des Hofmohren trägt, weil er seine eigene Assimilation schon zu tief verinnerlicht hat, der Mann, der vielleicht aus einer Toleranzgeste der Freimaurer zum Logenbruder wird, sich aber nie wirklich wohlfühlt und enttäuscht wieder aufgibt, der Mann, der seiner Tochter nichts vererben kann als ein Vermächtnis von Kummer und Zorn, der Mann, der schließlich physisch zu dem gemacht wird, als das er sein ganzes Leben lang gesehen wurde: ein gezähmter Wilder im kaiserlichen Kuriositätenkabinett. Historisches Verstehen kann niemals kategorisch sein. Soliman war wohl nie wirklich frei, brachte es aber weiter als jeder europäische Leibeigene, als jeder Bauernsohn. Er war fähig, arbeitete hart und war ehrgeizig. Er wusste, dass in seiner Erscheinung seine Chance und gleichzeitig auch seine Begrenzung lag. Er war ein Opfer der Geschichte, das seinem Leben Würde und Individualität abrang und schon deshalb bemerkenswert ist. Jede Sichtweise muss eigene Akzente setzen, wird den Menschen und seinen Weg anders bewerten und erzählen. Wer war Angelo Soliman? Ich sehe dem gipsernen Abguss seines Kopfes direkt in die Augen, registriere jede Falte um sie herum. Aber der Blick dringt nicht durch die harte Oberfläche. Der Mensch Soliman hat sich zurückgezogen vor den Begehrlichkeiten Anderer, vielleicht hat er das schon früh gelernt. Abseits des historischen, fixierten Körpers bleibt sein Geist ungreifbar.
Eine Ausstellung über Angelo Soliman muss sich zwei Herausforderungen stellen: zum einen ist nur die Wiener Periode seines Lebens dokumentiert, zum anderen ist die Zurschaustellung seiner Haut nicht nur der bekannteste Aspekt seiner Geschichte, sie stellt die Ausstellungsmacher vor das Problem, dass sie einerseits nicht ignoriert werden kann, andererseits aber mit größter Sensibilität gehandhabt werden muss. Gleichzeitig kam es darauf an, Soliman als Individuum darzustellen und die Möglichkeiten seiner persönlichen Autonomie auszuloten und zu vermitteln. Es war mir wichtig, Solimans Geschichte in Afrika beginnen zu lassen, um sie aus dem oft evozierten Status als Wiener Histörchen zu lösen. Die einzige Quelle für seine Biografie vor seinem Dienstantritt bei Joseph Wenzel I. von und zu Liechtenstein ist die faszinierende, aber oft inakkurate und beschönigende biografische
Skizze der Wiener Dichterin Caroline Pichler, die rein anekdotisch einige mögliche Aspekte seiner Herkunft referiert. Der erste Raum der Ausstellung thematisiert daher aus zwei unterschiedlichen Perspektiven Solimans afrikanische Herkunft. Einerseits stellt er anhand von Kunstwerken und Zitaten dar, wie Afrikaner und Afrika seit dem 17. Jahrhundert von Europäern wahrgenommen wurden – als ein Reich der Legende, in der sich kindhafte Menschen und sagenhafte Tiere tummelten –, andererseits kontrastiert er diese Wahrnehmung mit modernen Vermutungen über Solimans geographische Herkunft und rekonstruiert beispielhaft anhand von ethnographischen Objekten die Ästhetik des Kanem-Bornu-Reiches, aus dem Soliman mit einiger Wahrscheinlichkeit stammte. Auch Solimans Versklavung und sein Leben in Sizilien werden nur von Pichler referiert. Hier war es wichtig, wieder aus einer allgemeinen Perspektive, den mediterranen Sklavenhandel darzustellen und Solimans Rolle als „Mohrendiener“ in Messina und als Gesellschafter des Militärkommandeurs Fürst Georg Christian Lobkowitz in einem kulturhistorischen Kontext zu zeigen, indem die möglichen Rollenbilder von Afrikanern besonders in der höfischen Kultur Europas aufgefächert und untersucht wurden. Erst in Wien wird Angelo Solimans Lebensspur konkret. Anhand von Dokumenten, Porträts und anderen direkten Spuren lässt sich ein Leben rekonstruieren, das einerseits mit dem Wiener Hochadel verbunden ist, andererseits aber auch ein kontinuierliches Streben nach bürgerlicher Autonomie und persönlicher Anerkennung zeigt. Dieser von Soliman versuchte Wandel vom exotischen Objekt zum bürgerlichen Subjekt, seine Heirat, der Hauskauf, die Investition in einem Bergwerk und die Mitgliedschaft bei den Freimaurern, werden dargestellt und untersucht. Hatte er es geschafft, eine selbständige Existenz zu gründen und zu behaupten? Die berühmteste Episode seiner Geschichte ist gleichzeitig die problematischste. Solimans über Holz aufgespannte Haut wurde nach seinem Tod zum „Wilden Mann“ stilisiert, mit Straußenfedern, Muscheln und Glasperlen ausstaffiert und öffentlich zur Schau gestellt. Eine Ausstellung, die ebenfalls einer musealen, darstellenden Dynamik folgt, kann sich dieser für heutige Augen widerlichen Tatsache nicht entziehen und muss sie dramaturgisch aufgreifen und lösen. Wir haben uns entschlossen, die Fakten der öffentlichen Leichenschändung nicht nur abstrakt zu referieren, sondern durch eine reflektierte Rekonstruktion plastisch werden zu lassen, in der besonders die Abwesenheit des Menschen Soliman dramatisiert wird.
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* Zur Konzeption der Ausstellung
Angelo Soliman – Ein Afrikaner in Wien
4.2.9 Ein „Hofmohr“, Detail aus: Trauungszeremonie Josephs II. und Isabellas von Parma in der Wiener Augustinerkirche, 1760 Martin van Meytens (Werkstatt), um 1760/65 Wien, Bundesmobilienverwaltung, MD 040079
solimans Körper, Angelos Geist
4.2.9 Soliman neben der Kutsche von Fürst Liechtenstein, Detail aus: Einzug der Prinzessin Isabella von Parma als Braut Josephs II. in Wien, 1760 Martin van Meytens (Werkstatt), Wien, Bundesmobilienverwaltung, MD 040078
Angelo Soliman – Ein Afrikaner in Wien
Der Raum, der sich mit der Schaustellung beschäftigt, bricht mit der klaren und kühlen Ästhetik der bisherigen Exponate und stellt einen Kasten wie den, in dem sich Solimans präparierte Haut befand, vor einem gemalten Landschaftspanorama dar. Besucherinnen und Besucher treten plötzlich in einen Museumsraum um 1797. Schon der ästhetische Bruch soll deutlich machen, dass hier etwas Außergewöhnliches und Groteskes geschehen ist. Das Ensemble ist der historischen Beschreibung des Museumsraumes so eng wie möglich nachempfunden. Der Schrank selbst ist eine imaginative Rekonstruktion des Umgangs mit einem Menschen, der posthum zum bloßen Träger von exotischen und entwürdigenden Accessoires herabgewürdigt wurde. Um diese brutale Transformation deutlich zu machen, ist innerhalb des Kastens die Ausstaffierung des „wilden Mannes“ – Federkrone, Federrock, Kette, Arm- und Beinschmuck – in den leeren Raum montiert. Das Individuum Angelo Soliman ist verschwunden und durch eine exotische Fantasie ersetzt worden, die dem Menschen jede Persönlichkeit nimmt. Ein wichtiger weiterer Aspekt in diesem Kapitel beschäftigt sich mit dem erfolglosen Kampf von Solimans Tochter Josephine, die Haut ihres Vaters zurückzubekommen und begraben zu können. „Soliman nach Soliman“ heißt das folgende Kapitel, das den kulturellen Spuren des ehemaligen „Hofmohren“ in Wien nachgeht, von der erbaulichen Anekdote in Pichlers Darstellung bis zur zeitgenössischen Rassismus-Kritik. Die Perspektive wird im Folgenden erweitert, um allgemeiner auf Afrika-Klischees in der Wiener Alltagskultur von 1800 bis heute einzugehen. Eine Videoinstallation mit dem Titel „Wien, 2011“ lässt Afrikanerinnen und Afrikaner, die heute in Wien leben, vor dem Hintergrund aktueller Erfahrungen über Solimans Geschichte und die Lebensmöglichkeiten in einem immer stärker kosmopolitisch werdenden Wien reflektieren – auch um deutlich zu machen, dass eine Geschichte wie die Angelo Solimans in einer von Migrationsdebatten und gesellschaftlichem Wandel geprägten Zeit nicht als eine rein historische angesehen werden kann. Wenn Solimans Leben und Nachleben in der heutigen Zeit eine Bedeutung haben, dann muss es auch eine soziale und politische sein. Für einen Historiker, der seine Arbeit normalerweise allein und im sprichwörtlichen stillen Kämmerlein tut, ist es eine außerordentlich bereichernde Erfahrung, gemeinsam mit einem ganzen Team zu arbeiten und ein Buch gewissermaßen in 3D zu schreiben. Mein Dank geht an Wolfgang Kos, der aus einem KaffeehausGespräch heraus spontan die Gelegenheit ergriff, mich als Gastkurator einzuladen. Er begleitete das Projekt mit enormer Energie, Erfahrung, freundschaftlicher Unterstützung und Begeisterung. 2 2
4.1.7 Ein „Läufer“, Detail aus: Die Hofkriegskanzlei und Garnisonskirche Am Hof, 1780 Carl Schütz Wien Museum
Mit Eva-Maria Orosz als Co-Kuratorin konkretisierten sich die Inhalte, im kuratorischen Austausch mit dem Team des Wien Museums wurden sie in ausstellbare Realität übersetzt. Nennen möchte ich auch Werner Schwarz und Walter Öhlinger, der den Katalog koordinierte. Isabelle Exinger in der Produktion und ein Team von Registraren machten es möglich, den Träumen von Objekten auch Taten folgen zu lassen. Viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Hauses halfen durch kollegiale Hilfe und persönlichen Einsatz, dieses Projekt zu realisieren. Luigi Blau und Fartak Khatibi machten aus abstrakten Plänen begehbare architektonische Wirklichkeit, Hannelore und Andreas Haller machten aus dem Katalog ein Kunstwerk. Auch Ansprechpartner in anderen Museen und Sammlungen, Katalogautoren, großzügige Freunde und kluge Gesprächspartner halfen, Soliman in Wien eine neue und vielschichtige Präsenz zu geben. Ihnen wird am Ende des Katalogs eine kleine Hommage erwiesen. Besonders hervorheben will ich Walter Sauer, Barbara CoudenhoveKalergi, Werner Hanak, Franz Koessler und Chibo Onyeji. Meinen besonders tiefen Dank verdient Veronica Buckley, meine Frau, ohne deren historisches Wissen, konzeptuelle Einsichten, dauernde Ermutigung, Liebe und Geduld ich dieses Projekt nicht bewältigt hätte. Philipp Blom, Wien am 26. August 2011
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solimans Körper, Angelos Geist
4.2.9 Soliman neben der Kutsche von Fürst Liechtenstein, Detail aus: Einzug der Prinzessin Isabella von Parma als Braut Josephs II. in Wien, 1760 Martin van Meytens (Werkstatt), Wien, Bundesmobilienverwaltung, MD 040078
Angelo Soliman – Ein Afrikaner in Wien
Der Raum, der sich mit der Schaustellung beschäftigt, bricht mit der klaren und kühlen Ästhetik der bisherigen Exponate und stellt einen Kasten wie den, in dem sich Solimans präparierte Haut befand, vor einem gemalten Landschaftspanorama dar. Besucherinnen und Besucher treten plötzlich in einen Museumsraum um 1797. Schon der ästhetische Bruch soll deutlich machen, dass hier etwas Außergewöhnliches und Groteskes geschehen ist. Das Ensemble ist der historischen Beschreibung des Museumsraumes so eng wie möglich nachempfunden. Der Schrank selbst ist eine imaginative Rekonstruktion des Umgangs mit einem Menschen, der posthum zum bloßen Träger von exotischen und entwürdigenden Accessoires herabgewürdigt wurde. Um diese brutale Transformation deutlich zu machen, ist innerhalb des Kastens die Ausstaffierung des „wilden Mannes“ – Federkrone, Federrock, Kette, Arm- und Beinschmuck – in den leeren Raum montiert. Das Individuum Angelo Soliman ist verschwunden und durch eine exotische Fantasie ersetzt worden, die dem Menschen jede Persönlichkeit nimmt. Ein wichtiger weiterer Aspekt in diesem Kapitel beschäftigt sich mit dem erfolglosen Kampf von Solimans Tochter Josephine, die Haut ihres Vaters zurückzubekommen und begraben zu können. „Soliman nach Soliman“ heißt das folgende Kapitel, das den kulturellen Spuren des ehemaligen „Hofmohren“ in Wien nachgeht, von der erbaulichen Anekdote in Pichlers Darstellung bis zur zeitgenössischen Rassismus-Kritik. Die Perspektive wird im Folgenden erweitert, um allgemeiner auf Afrika-Klischees in der Wiener Alltagskultur von 1800 bis heute einzugehen. Eine Videoinstallation mit dem Titel „Wien, 2011“ lässt Afrikanerinnen und Afrikaner, die heute in Wien leben, vor dem Hintergrund aktueller Erfahrungen über Solimans Geschichte und die Lebensmöglichkeiten in einem immer stärker kosmopolitisch werdenden Wien reflektieren – auch um deutlich zu machen, dass eine Geschichte wie die Angelo Solimans in einer von Migrationsdebatten und gesellschaftlichem Wandel geprägten Zeit nicht als eine rein historische angesehen werden kann. Wenn Solimans Leben und Nachleben in der heutigen Zeit eine Bedeutung haben, dann muss es auch eine soziale und politische sein. Für einen Historiker, der seine Arbeit normalerweise allein und im sprichwörtlichen stillen Kämmerlein tut, ist es eine außerordentlich bereichernde Erfahrung, gemeinsam mit einem ganzen Team zu arbeiten und ein Buch gewissermaßen in 3D zu schreiben. Mein Dank geht an Wolfgang Kos, der aus einem KaffeehausGespräch heraus spontan die Gelegenheit ergriff, mich als Gastkurator einzuladen. Er begleitete das Projekt mit enormer Energie, Erfahrung, freundschaftlicher Unterstützung und Begeisterung. 2 2
4.1.7 Ein „Läufer“, Detail aus: Die Hofkriegskanzlei und Garnisonskirche Am Hof, 1780 Carl Schütz Wien Museum
Mit Eva-Maria Orosz als Co-Kuratorin konkretisierten sich die Inhalte, im kuratorischen Austausch mit dem Team des Wien Museums wurden sie in ausstellbare Realität übersetzt. Nennen möchte ich auch Werner Schwarz und Walter Öhlinger, der den Katalog koordinierte. Isabelle Exinger in der Produktion und ein Team von Registraren machten es möglich, den Träumen von Objekten auch Taten folgen zu lassen. Viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Hauses halfen durch kollegiale Hilfe und persönlichen Einsatz, dieses Projekt zu realisieren. Luigi Blau und Fartak Khatibi machten aus abstrakten Plänen begehbare architektonische Wirklichkeit, Hannelore und Andreas Haller machten aus dem Katalog ein Kunstwerk. Auch Ansprechpartner in anderen Museen und Sammlungen, Katalogautoren, großzügige Freunde und kluge Gesprächspartner halfen, Soliman in Wien eine neue und vielschichtige Präsenz zu geben. Ihnen wird am Ende des Katalogs eine kleine Hommage erwiesen. Besonders hervorheben will ich Walter Sauer, Barbara CoudenhoveKalergi, Werner Hanak, Franz Koessler und Chibo Onyeji. Meinen besonders tiefen Dank verdient Veronica Buckley, meine Frau, ohne deren historisches Wissen, konzeptuelle Einsichten, dauernde Ermutigung, Liebe und Geduld ich dieses Projekt nicht bewältigt hätte. Philipp Blom, Wien am 26. August 2011
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solimans Körper, Angelos Geist
Sklaverei, Sklavenhandel und politische Ordnung in Westafrika im 18.Jahrhundert Andreas Eckert
1.1.4 „Africae nova descriptio“, um 1630 Verleger: Guiljelmo Blaeuw (Guilielmus Blaeu), Amsterdam Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Kartensammlung und Globenmuseum
1 Eine gute Einführung bietet weiterhin Paul E. Lovejoy: Transformations in Slavery. A History of Slavery in Africa, 2. Aufl., Cambridge 2000. 2 Vgl. als Überblick Andreas Eckert: Das Jahrhundert des Sklavenhandels. Afrika, in: Bernd Hausberger, Jean-Paul Lehners (Hg.): Die Welt im 18. Jahrhundert, Wien 2011, S. 70-95. Die wichtigste Datensammlung zum transatlantischen Sklavenhandel findet sich auf www.slavevoyages.com. Neueste Interpretationen zur quantitativen Dimension in David Eltis, David Richardson (Hg.): Extending the Frontiers. Essays on the New Transatlantic Slave Trade Database, New Haven 2008. 3 Georg Elwert: Wirtschaft und Gesellschaft von „Daxomé“ (Dahomey) im 18. Jahrhundert, München 1973. Zu Dahomey vgl. ferner Patrick Manning: Slavery, Colonialism and Economic Growth in Dahomey, 1640–1960, Cambridge 1982; zum Ashantireich Thomas C. McCaskie: State and Society in Pre-Colonial Asante, Cambridge 1995. 4 Zit. n. John Iliffe: Geschichte Afrikas, München 1997, S. 179.
Die Bedeutung des Sklavenhandels für die Geschichte Afrikas ist bis heute eine intensiv und kontrovers debattierte Thematik. Waren für den Sklavenhandel hauptsächlich Europäer verantwortlich, oder spielten auch afrikanische Händler und Herrscher eine wesentliche Rolle? Hat der Sklavenhandel zumindest in Teilen Afrikas Verwerfungen ausgelöst, von denen sich der Kontinent bis heute nicht erholt hat? Hat der Sklavenhandel die Sklaverei erst nach Afrika gebracht oder zumindest lokale Formen der Sklaverei verschärft und brutalisiert? Wie stark hat der Islam Sklaverei und Sklavenhandel südlich der Sahara geprägt? Diese Fragen haben eine inzwischen kaum noch zu überblickende Menge an Literatur mit zum Teil sehr unterschiedlichen Deutungen hervorgebracht.1 Im 18. Jahrhundert prägten Sklavenhandel und Sklaverei die afrikanischen Gesellschaften nicht überall und immer gleich intensiv und stachen auch keineswegs als einziges Kennzeichen dieser Dekaden der Geschichte Afrikas hervor. Gleichwohl erreichte der transatlantische Sklavenhandel in diesem Jahrhundert seinen Höhepunkt, zudem etablierte sich Sklaverei weitaus stärker als in den Jahrhunderten davor als wesentliches Merkmal in vielen Regionen des Kontinents. Auch in den Außenbeziehungen Afrikas wurde Sklaverei ein zentrales Moment.2 Der Sklavenhandel wurde im Verlauf des 18. Jahrhunderts etwa in vielen Teilen Westafrikas zu einer wichtigen Stütze politischer Herrschaft, zur Grundlage weitverzweigter Handelssysteme, zur Quelle von Reichtum, Einfluss und Macht. Die wirtschaftliche Basis großer Reiche in Westafrika wie Dahomey, im heutigen Staat Benin, und Asante, im heutigen Ghana, bestand zu einem Gutteil aus Fremdleistungen. Das Königreich Dahomey etwa entwickelte sich zu einer regelrechten Sklavenproduktionsmaschinerie und wurde ein Staat, dessen jährlich wiederkehrende, in der Trockenzeit unternommene Kriegszüge zuvorderst der Beschaffung neuer Sklaven dienten. Diese Sklaven mussten dann im königlichen Haushalt und auf den Feldern arbeiten. Ein Teil der Versklavten wurde an europäische Sklavenhändler verkauft. Sklaverei prägte die Wirtschaft und Gesellschaft Dahomeys vor allem im 18. Jahrhundert so stark, dass ein Ethnologe für dieses Königreich gar von einer „Produktionsweise Sklavenraub“ sprach.3 Mit zunehmender Nachfrage nach Sklaven änderte sich in vielen Gesellschaften überdies die interne Bestrafungspraxis. Der Sklavenhändler Francis Moore berichtete in den 1730er Jahren aus Gambia: „Seit dem Aufkommen des Sklavenhandels werden alle Strafen in Versklavung umgewandelt; da derartige Verurteilungen Vorteile mit sich bringen, bemühen sich die Richter, die Delinquenten schwerwiegender Verbrechen zu beschuldigen, damit sie den Verbrecher verkaufen dürfen“.4 Mit der rasch wachsenden Kommerzialisierung der Sklaverei verstärkten sich die 25
S k l a v e r e i , S k l a v e n h a n d e l u n d p o l i t i s c h e O r d n u n g i n W e s t a f r i k a i m 1 8 . J a h r h u n d e r t
Sklaverei, Sklavenhandel und politische Ordnung in Westafrika im 18.Jahrhundert Andreas Eckert
1.1.4 „Africae nova descriptio“, um 1630 Verleger: Guiljelmo Blaeuw (Guilielmus Blaeu), Amsterdam Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Kartensammlung und Globenmuseum
1 Eine gute Einführung bietet weiterhin Paul E. Lovejoy: Transformations in Slavery. A History of Slavery in Africa, 2. Aufl., Cambridge 2000. 2 Vgl. als Überblick Andreas Eckert: Das Jahrhundert des Sklavenhandels. Afrika, in: Bernd Hausberger, Jean-Paul Lehners (Hg.): Die Welt im 18. Jahrhundert, Wien 2011, S. 70-95. Die wichtigste Datensammlung zum transatlantischen Sklavenhandel findet sich auf www.slavevoyages.com. Neueste Interpretationen zur quantitativen Dimension in David Eltis, David Richardson (Hg.): Extending the Frontiers. Essays on the New Transatlantic Slave Trade Database, New Haven 2008. 3 Georg Elwert: Wirtschaft und Gesellschaft von „Daxomé“ (Dahomey) im 18. Jahrhundert, München 1973. Zu Dahomey vgl. ferner Patrick Manning: Slavery, Colonialism and Economic Growth in Dahomey, 1640–1960, Cambridge 1982; zum Ashantireich Thomas C. McCaskie: State and Society in Pre-Colonial Asante, Cambridge 1995. 4 Zit. n. John Iliffe: Geschichte Afrikas, München 1997, S. 179.
Die Bedeutung des Sklavenhandels für die Geschichte Afrikas ist bis heute eine intensiv und kontrovers debattierte Thematik. Waren für den Sklavenhandel hauptsächlich Europäer verantwortlich, oder spielten auch afrikanische Händler und Herrscher eine wesentliche Rolle? Hat der Sklavenhandel zumindest in Teilen Afrikas Verwerfungen ausgelöst, von denen sich der Kontinent bis heute nicht erholt hat? Hat der Sklavenhandel die Sklaverei erst nach Afrika gebracht oder zumindest lokale Formen der Sklaverei verschärft und brutalisiert? Wie stark hat der Islam Sklaverei und Sklavenhandel südlich der Sahara geprägt? Diese Fragen haben eine inzwischen kaum noch zu überblickende Menge an Literatur mit zum Teil sehr unterschiedlichen Deutungen hervorgebracht.1 Im 18. Jahrhundert prägten Sklavenhandel und Sklaverei die afrikanischen Gesellschaften nicht überall und immer gleich intensiv und stachen auch keineswegs als einziges Kennzeichen dieser Dekaden der Geschichte Afrikas hervor. Gleichwohl erreichte der transatlantische Sklavenhandel in diesem Jahrhundert seinen Höhepunkt, zudem etablierte sich Sklaverei weitaus stärker als in den Jahrhunderten davor als wesentliches Merkmal in vielen Regionen des Kontinents. Auch in den Außenbeziehungen Afrikas wurde Sklaverei ein zentrales Moment.2 Der Sklavenhandel wurde im Verlauf des 18. Jahrhunderts etwa in vielen Teilen Westafrikas zu einer wichtigen Stütze politischer Herrschaft, zur Grundlage weitverzweigter Handelssysteme, zur Quelle von Reichtum, Einfluss und Macht. Die wirtschaftliche Basis großer Reiche in Westafrika wie Dahomey, im heutigen Staat Benin, und Asante, im heutigen Ghana, bestand zu einem Gutteil aus Fremdleistungen. Das Königreich Dahomey etwa entwickelte sich zu einer regelrechten Sklavenproduktionsmaschinerie und wurde ein Staat, dessen jährlich wiederkehrende, in der Trockenzeit unternommene Kriegszüge zuvorderst der Beschaffung neuer Sklaven dienten. Diese Sklaven mussten dann im königlichen Haushalt und auf den Feldern arbeiten. Ein Teil der Versklavten wurde an europäische Sklavenhändler verkauft. Sklaverei prägte die Wirtschaft und Gesellschaft Dahomeys vor allem im 18. Jahrhundert so stark, dass ein Ethnologe für dieses Königreich gar von einer „Produktionsweise Sklavenraub“ sprach.3 Mit zunehmender Nachfrage nach Sklaven änderte sich in vielen Gesellschaften überdies die interne Bestrafungspraxis. Der Sklavenhändler Francis Moore berichtete in den 1730er Jahren aus Gambia: „Seit dem Aufkommen des Sklavenhandels werden alle Strafen in Versklavung umgewandelt; da derartige Verurteilungen Vorteile mit sich bringen, bemühen sich die Richter, die Delinquenten schwerwiegender Verbrechen zu beschuldigen, damit sie den Verbrecher verkaufen dürfen“.4 Mit der rasch wachsenden Kommerzialisierung der Sklaverei verstärkten sich die 25
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