In gutem Glauben erworben

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Christian Mertens

Gerhard Milchram

Michael Wladika

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25 Jahre Restitutionsforschung der Stadt Wien

Herausgegeben von Christian Mertens, Gerhard Milchram und Michael Wladika im Auftrag der Museen der Stadt Wien und der Wienbibliothek im Rathaus

Wienbibliothek im Rathaus
Inhaltsverzeichnis 7 Vorwort Michael Ludwig 8 Vorwort Veronica Kaup-Hasler 9 Vorwort Matti Bunzl und Anita Eichinger 11 ‚Arisierte‘ Kunst und ‚Arische‘ Kunst. Erwerbungen der Städtischen Sammlungen 1938–1945 Gerhard Milchram 17 „Berliner und Dresdner Firmen boten Wiener Handschriften in reichem Maße an“. Die Stadtbibliothek in der NS-Zeit Christian Mertens 24 Unwillige Restitutionen von 1945 bis 1950 Michael Wladika 30 Der Weg zum Wiener Restitutionsbeschluss Walter Hellmich 36 „I would like to have this crown returned to God“. Provenienzforschung im Jüdischen Museum Wien Gabriele Kohlbauer-Fritz 41 Provenienzforschung als nationales und internationales Projekt Pia Schölnberger / Leonhard Weidinger Restitutionsfälle 48 Bernhard Altmann GA 54 Stefan Auspitz-Artenegg MW 58 Richard Beer-Hofmann MW 61 Elsa Bienenfeld CM 65 Sammlung Blauhorn MW 67 Sammlung Bloch-Bauer LW 72 Victor Blum MW 76 Oscar Bondy MW 80 Laura und Karoline Broch MW 84 Chic Parisien Bachwitz AG CM 86 Deutscher Orden MW 88 Josef Drach CM 92 Adele Duschnitz GM 96 Familie Egger CK 100 Alois Fantl CM 104 Gertrud Felsöványi MW 107 Friedrich und Hanns Fischl SK 112 Isidor Fleischner GM 116 Ludwig Friedrich CM 120 Siegfried Fuchs GM 126 Elsa Gall MW 130 Sigmund Glesinger MW 133 David Goldmann GM 137 Adele Graf MW 140 Alexander Grosz GM 144 Moriz (Ritter von) Grünebaum PS 150 Herbert M. Gutmann MW 154 Leo und Helene Hecht GM 158 Otto Herschel GM 164 Alfred Hofmann GM 168 Michael Holzmann CM 172 Hugo Theodor Horwitz CM 175 Josef und Hermine Hupka GM 178 Jüdische Institutionen aus Wien CM
182 Ein Buch des Vereins Beth Israel CM 186 Israelitisches Blindeninstitut GM 190 Bruno Jellinek MW 194 Sammlung Karpeles-Schenker MW 197 Familie Klein MW 199 Familie Klinkhoff GK und CK 202 Wilhelm Viktor Krausz MW 205 Ernst Moriz Kronfeld JU 209 Adele Kulka MW 212 Wilhelm Kux GM 216 Sammlung Lederer MW 220 Jenny Mautner GM 226 Alfred Menzel JE 230 Georg Petschek CM 233 Ignatz Pick GM 238 Stefan Poglayen-Neuwall GM 240 Emil Politzer KF 242 Ernst und Gisela Pollack LF 245 Albert Pollak GM 248 Franz und Melanie Popper MW 252 Adolf Redlich GM 255 Oskar Reichel JE 260 Sammlung Richter CM 266 Heinrich Rieger SL 274 Heinrich Rothberger MW 278 Rothschild-Sammlungen ML 283 Franz Ruhmann GM 286 Ignaz und Clothilde Schachter GM 290 Paul und Leopoldine Schwarzstein GM 294 Sammlungen Strauss-Simon und Strauss-Meyszner CM 300 Josef Thenen MW 302 Josef und Gertrud Ungar GM 304 Katharina und Charles Weinberger GM 309 Maximilian Weinberger CM 312 Leopold Weinstein MW 316 Paul und Fritz Weiss GM 318 Marianne Wengraf MW 322 Wiener Cottage Verein MW 324 Oscar Wollheim CM 326 Ella Zirner-Zwieback AZ 330 Dorotheum. „They got away with it“ Gabriele Anderl 336 „Übernahme aus beschlagnahmtem jüdischem Besitz“. Objekte mit ungeklärter Provenienz Christian Mertens und Michael Wladika 344 Autorinnen und Autoren 345 Literaturverzeichnis 352 Bildnachweis 352 Impressum Kürzel der Autorinnen und Autoren GA Gabriele Anderl JE Julia Eßl KF Konstantin Ferihumer LF Lisa Frank GK und CK Gertrude und Craig Klinkhoff CK Christian Klösch SK Stefan Kurz SL Sabine Loitfellner ML Monika Löscher CM Christian Mertens GM Gerhard Milchram PS Pia Schölnberger JU Julia Unterweger LW Leonhard Weidinger MW Michael Wladika AZ August Zirner
‚Arisierte‘ Kunst und ‚Arische‘ Kunst

Erwerbungen der Städtischen

Sammlungen 1938–1945

Am 22. Oktober 1943 feierte das Kulturamt der Stadt Wien sein fünfjähriges Bestehen. Hanns Blaschke, Leiter des Amtes, Vizebürgermeister und SS-Oberführer, resümierte in diesem Rahmen die Leistungen seiner Behörde. Dabei ließ er keinen Zweifel daran, dass es die oberste Aufgabe des Kulturamtes sei, das Kunstleben der Stadt „im Sinne unserer Weltanschauung zu fördern und zu lenken“1. Tatsächlich war die gesamte Wiener Stadtverwaltung nach dem ‚Anschluss‘ einer tiefgehenden Neustrukturierung unterzogen worden, die mit der Gründung des Kulturamtes auch die schon seit den 1880er Jahren bestehenden Städtischen Sammlungen betraf.2 Diese umfassten das Historische Museum der Stadt Wien (heute Wien Museum) und die Bibliothek (heute Wienbibliothek im Rathaus). 1939 wurden die beiden Institutionen getrennt. Die Bezeichnung Städtische Sammlungen wurde allerdings weiterverwendet, wenn das Museum in seiner Gesamtheit mit den angeschlossenen Kreismuseen und Gedenkstätten verstanden werden wollte.3 Es handelte sich dabei um insgesamt 14 Dienststellen: Historisches Museum, Römisches Museum, Schubert-Museum, Uhrenmuseum, Haydn-Museum, Ortsmuseum und Weinmuseum in Klosterneuburg, die Heimatmuseen in Meidling, Ottakring, Hernals, Floridsdorf und Mödling sowie die Mozart- und Beethoven-Gedenkstätte.4 Das Kulturamt bündelte alle mit Kulturangelegenheiten befassten Dienststellen der Stadt. Für die Allgemeinen Rechts- und Verwaltungseinheiten wurde eigens eine neue Magistratsabteilung (MA 50) gegründet.5 Bereits fünf Tage nach dem ‚Anschluss‘ mussten die Bediensteten einen Diensteid auf Adolf Hitler ablegen, jüdische oder politisch missliebige Personen wurden entfernt.6 Direktor Oskar Katann galt aufgrund seiner katholischen Welt- und Lebensauffassung als unzuverlässig und wurde im November 1938

durch den mit „Partei und Staat im Einklang“ befindlichen Vizedirektor Karl Wagner ersetzt.7

Raubkunst

Zu Wagner bemerkte Blaschke in seiner Rede, dass dieser durch besondere „Rührigkeit und Umsicht“ in der Zeit nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten „die dadurch bedingt lebhafte Bewegung auf dem Kunstmarkt ausgenützt“ habe, um „der Stadt kostbarsten Kunstbesitz zu erhalten“.8 Für die Stadtbibliothek rühmte Blaschke insbesondere den Ausbau der Musikabteilung und hier den Erwerb des Nachlasses aus dem Besitz der Familie von Johann Strauss.9 Nicht erwähnt wurde, dass dieser Nachlass der jüdischen Erbin in einer besonders perfiden Aktion konzertierter öffentlicher Hetze geraubt wurde.10

Auch die „Umsicht“ von Karl Wagner beruhte vor allem darauf, dass er über die MA 50 immer bestens über das Kulturgut von jüdischen Sammlern informiert war. Wurde bekannt, dass ein Sammler oder eine Sammlerin aus Österreich flüchten wollte, erging ein Antrag an die Zentralstelle für Denkmalschutz, die Sammlung vor der Verbringung ins Ausland zu sichern und zumeist in einem Museum zu verwahren. Die dazugehörigen Bescheide stellte in Wien die MA 50 aus.11 Deren Rolle wurde ganz offen im Verwaltungsbericht des Reichsgaues Wien angesprochen: „Die MA 50 hatte seit Errichtung auch die Sicherstellung künstlerisch, geschichtlich oder kulturell wertvoller Gegenstände im Sinne des Denkmalschutzes und des Ausfuhrverbotsgesetzes übertragen erhalten. Diese Aufgabe gewann bei der Liquidierung jüdischen Vermögen [sic] besondere Bedeutung. Für die Städtischen Sammlungen ergab sich hiebei wiederholt Gelegenheit zu bedeutungsvollen Erwerbungen.“12 Die Städtischen Sammlungen richteten, wie auch

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andere Museen, ‚Wunschlisten‘ an die Zentralstelle für Denkmalschutz, um bei der Verteilung der Beute berücksichtigt zu werden. Zwar bedeutete die Sicherstellung für die betroffenen Personen noch keinen Eigentumsverlust. Jedoch zwang alleine die Tatsache der massiven Verfügungsbeschränkung als Vorstufe zur Beraubung und die Aussicht, ihre Kunstgegenstände nicht mehr auf die Flucht mitnehmen zu können, die Besitzerinnen und Besitzer, Gegenstände zu ,widmen‘, zu verschenken oder weit unter Wert zu verkaufen.13

Auch dies fand im Verwaltungsbericht der Stadt Wien seinen Niederschlag, in dem es zu den Erwerbungen hieß: „Nicht vergessen werden darf auch auf die im Verein mit der Zentralstelle für Denkmalschutz und der Gestapo sichergestellten Gegenstände.“14

Erwerbungen konnten auch über Auktionshäuser und den Kunsthandel getätigt werden, die ab 1938 mit ehemals jüdischem Besitz aus Notverkäufen zur Bezahlung von diskriminierenden Abgaben und Steuern überflutet waren. Als großer Erfolg wurde hier zum Beispiel der Ankauf des Biedermeier-Mobiliars aus der ‚arisierten‘ Villa Mautner gepriesen.15 So konnte die Stadt stolz verkünden, dass im Jahr 1938 das Museum „um 956 Inventarnummern vermehrt“16 worden war.

Die Städtischen Sammlungen hatten noch eine weitere Bezugsquelle in der Person von Julius Fargel, der seit 1939 als Gemälderestaurator im Haus angestellt und auch für die Vugesta (Verwaltungsstelle für jüdisches Umzugsgut der Gestapo) als Schätzmeister tätig war.17 In dieser Funktion setzte er für Objekte sehr niedrige Preise an, um sie anschließend für das Museum zu erwerben oder dem Museum zu schenken. Direktor Wagner rühmte ihn deshalb als „Mehrer des Museums“. Fargel bereicherte sich dabei auch selbst, wie die Bergungslisten der Städtischen Sammlungen zeigen. Aus diesen geht hervor, dass 1943, gemeinsam mit den

kriegsbedingten Bergungen, insgesamt 24 Kunstobjekte aus seinem Besitz an sichere Orte in Niederösterreich verlagert wurden. Diese folgte man ihm nach 1945 ohne weitere Rückfragen anstandslos wieder aus.18

Das Museum profitierte nicht nur von der Beraubung der jüdischen Bevölkerung, sondern zeigte sich auch in anderen Belangen kooperativ. Als die Zentralstelle für Denkmalschutz im Mai 1938 eine Liste über Kunstgegenstände von nationaler Bedeutung im Privatbesitz anforderte, wurde diese bis Oktober 1938 erstellt. Sie enthielt die Namen von 63 Wiener Kunstsammlerinnen und Kunstsammlern, deren Adressen und benannte Hauptwerke.19 Darunter Richard BeerHofmann, Otto Herschel und Alice Strauss-Meyszner, an deren Kunstbesitz man sich danach auch selbst bereicherte.

Völkische Kunst

Die Vermehrung der Kunst in den Sammlungen war nicht nur auf geraubtes oder abgepresstes Kunst- und Kulturgut aus jüdischem Besitz zurückzuführen, sondern wurde auch entsprechend der Leitlinien nationalsozialistischer Kulturpolitik durchgeführt. Im April 1938 prangerte der Völkische Beobachter die „entartete Kunst“ in Wien an.20 Den Nationalsozialisten galt alle Kunst, die nicht mit ihrem auf rassentheoretischen Begründungen aufgebauten Schönheitsideal einer deutschen Kunst entsprach, als ‚entartet‘. Somit waren alle jüdischen Künstlerinnen oder Künstler und Stilrichtungen der Moderne wie Expressionismus, Surrealismus, Kubismus, Neue Sachlichkeit und viele andere betroffen. Bei diesem Angriff auf alles mit der Bezeichnung ‚entartet‘ wurden auch Beispiele aus den Beständen der Städtischen Sammlungen aufgegriffen. Darunter befand sich das Gemälde Liebespaar von Georg Merkel (1881–1976). Dieses und

‚Arisierte‘ Kunst und ‚Arische‘ Kunst 12

einige andere Werke waren aus einem Kredit der sozialdemokratischen Stadtregierung zur Förderung von Gegenwartskunst 1931 angekauft worden. In dem Auswahlgremium saß auch der Kunstkritiker und Förderer von Gegenwartskunst Hans Tietze. Dieser wurde nun vom Völkischen Beobachter als Hauptverantwortlicher für den Ankauf ‚entarteter‘ Kunst in den Städtischen Sammlungen ausgemacht und es folgte die Ankündigung, dass „derlei Ankäufe nicht mehr geschehen werden“ und „der gesunde Geschmack der bodenständigen deutschen Wiener vor dem zersetzenden Einfluß jüdischer Snobkritik geschützt sein soll und damit dem bodenständigen volksverwurzelt schaffenden Künstler ein neuer Markt für sein Werk geöffnet“21 werde. Um diese neue Linie sichtbar zu machen, verliehen die Städtischen Sammlungen dann Merkels Liebespaar und drei weitere Werke 22 aus Ankäufen des Roten Wien zur Förderung von Gegenwartskunst an die antisemitische Hetzausstellung Der ewige Jude Diese öffnete am 2. August 1938 in Wien ihre Pforten. Hier und davor schon in der Ausstellung Entartete Kunst wurden Kunst, Kunstförderung und Rassenpolitik aufeinander bezogen. Jeweils verbunden mit der klaren Botschaft, dass weder moderne Kunst noch deren Fördererinnen und Förderer und Produzentinnen und Produzenten im NS-Staat einen Platz haben sollten. Der bei den Nationalsozialisten verhasste Tietze hatte bereits 1932 klar vorausgesehen, was jetzt auch in den Städtischen Sammlungen Wirklichkeit werden sollte. „Ihnen [den Nationalsozialisten] kann nur ein Museum genehm sein, das allem, was ohne Zusammenhang mit geistigen Forderungen der Gegenwart, was unnütz und abgebraucht ist, eine Zufluchtsstätte bietet, ein Kolonialkübel des kulturellen Lebens.“23

Die Kunst hatte der Politik zu folgen und somit die NS-Ideologie künstlerisch umzusetzen. Um

dies zu erreichen, wurde 1933 in NS-Deutschland mit der Reichskulturkammer ein Kontrollregime geschaffen, das bereits bei der Aufnahme über die rassische, politische und künstlerische Kompatibilität zum Regime wachte. Die Künstlerinnen und Künstler standen damit unter dem ständigen Legitimationsdruck zu zeigen, dass sie entlang der Leitlinien der NS-Kunstvorstellungen arbeiteten.24 Auch die Museen hatten in ihren Sammlungsstrategien diesen Leitlinien zu folgen. Bei den Städtischen Sammlungen initiierte und kontrollierte das Kulturamt der Stadt Wien in Absprache mit dem Direktor diese Politik.

Immer wieder wurden bei vom Kulturamt organisierten oder initiierten Ausstellungen Objekte angekauft, um auf diese Art und Weise Kunst, die den Vorstellungen der NS-Ideologie entsprach, in die Städtischen Sammlungen zu bringen. So wurden aus der Ausstellung Berge und Menschen der Ostmark , einer Propagandaschau zum ‚Anschluss‘ Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland, 28 Kunstwerke erworben. Menschen der „Ostmark“ und ihre Landschaften, „Ahne und Erbe“ sowie „Dichter und Kämpfer“ waren dabei die keineswegs harmlosen Themen.25

Ein Porträt zweier Pinzgauer Bauern etwa wurde zu einer Art Ikone, die den ‚arischen‘ Menschen auf deutschem Boden darstellte und so ganz der ‚Blut-und-Boden-Ideologie‘ des Regimes entsprach. Der Künstler Alfred Cossmann war Mitglied im 1937 gegründeten und nur ‚Ariern‘ vorbehaltenen Sammelbecken nationalsozialistischer Künstlerinnen und Künstler Bund deutscher Maler Österreichs 26 Als keinesfalls harmlos erwies sich auch das Porträt Eduard Pichl, ein deutscher Bergsteiger von Anton Hans Karlinsky. Eduard Pichl war der Autor einer sechsbändigen Georg-Schönerer-Biografie und ein gefeierter Bergsteiger, dem zahlreiche Erstbesteigungen und Neutouren gelangen.

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Er galt aber auch als fanatischer Antisemit, der lange vor der NS-Machtergreifung 1921 – erst in der Sektion Austria und in der Folge im gesamten Deutschen und Österreichischen Alpenverein – den ,Arierparagrafen‘ einführte. Die Sektion Austria war die größte und bedeutendste Alpenvereinssektion und hatte zahlreiche jüdische Mitglieder, die damit ihre organisatorische Basis verloren. Die Städtischen Sammlungen hatten nun aus dieser Ausstellung das Porträt jenes Mannes erworben, der die heimischen Alpen ‚arisierte‘. Damit können und müssen auch die gleichzeitig erworbenen Landschaftsbilder als Abbilder einer nunmehr ‚judenfreien‘ Berglandschaft gelesen werden.

Auch das Bild der Stadt konnte in die NSIdeologie eingepasst werden. Zur Eröffnung der Ausstellung Das Wiener Stadtbild äußerte Reichsleiter Baldur von Schirach den Wunsch: „Möge auch die Ausstellung […] verherrlichen Großdeutschlands ewige Stadt!“ Im Vorwort zum dazugehörigen Katalog verwies dann Direktor Wagner im Sinne der ‚NS-Kultur- und Rassepolitik‘ darauf, dass die Künstler der ausgestellten Werke „bodenständig“ seien und der [NS-]„Gegenwart“ angehören.27 Aber auch hier stellten die angekauften Werke eher ländliche Stadtidyllen als großstädtisches Leben dar, wie zum Beispiel die drei Bilder des Referenten für Malerei der Reichskammer der bildenden Künste in Wien, des NSDAP-Mitgliedes Igo Pötsch: Wien im Winter. Blick auf das Kahlenbergdorf, Wien im Frühjahr, Blick vom Nussberg und Wien im Sommer. Alte Donau .

Die Ausstellung Bild und Buch nahm für sich in Anspruch, einen vollständigen Überblick über das heimische Kunstschaffen zu bieten28 und bot damit eine gute Gelegenheit, die Sammlung um 65 Werke zeitgenössischer Kunst zu erweitern. Darunter befanden sich zwei Farblithografien von Karl Friedrich Bell,

der sich in der Illustrierten Kronen Zeitung mit antisemitischen Gedichten, Karikaturen und Huldigungen Adolf Hitlers hervortat.29

Die Ausstellung Künstlerisches Frauenschaffen im Juni/Juli 1940 bescherte dem Museum 64 Werke von im Nationalsozialismus hochgeschätzten Künstlerinnen – unter anderen von Hertha Strzygowski, Mitarbeiterin im SS-Ahnenerbe und Frau des völkischen Kunsthistorikers Josef Strzygowski. Von ihr stammen Porträts in traditionellen Bauerntrachten des „deutschen Karpatenlandes“; Bilder, die man nach Plakolm-Forsthuber als eine künstlerische Legitimation der Besetzung Polens sehen muss.30 So findet sich auch ganz ohne Wien-Bezug, eigentlich das definierte Sammlungsgebiet, eine Jungbäuerin in Tracht aus Münnichwies in der Slowakei in der Sammlung. Auch Werke von Ilse Pompe-Niederführ, die als Exponentin der jungen Plastik in der ‚Ostmark‘ galt und der das Kulturamt noch 1944 eine Werkschau ausrichtete,31 und von Grete Kmentt-Montandon wurden erworben. Kmentt-Montandon war eine der Leiterinnen des 1942 gegründeten Vereins der Reichsgemeinschaft Deutscher Künstlerinnen und Kunstfreundinnen und ab 1944 Präsidentin der Vereinigung bildender Künstlerinnen und damit eine der wesentlichen Akteurinnen der NSKunstpolitik in Wien.32

Propagandakunst

Im Vorwort zum Katalog Das schöne Wiener Frauenbild verunglimpfte der für das Gaupresseamt Niederdonau arbeitende Schriftsteller Alexander Moißl erst die Porträtkunst der Zwischenkriegszeit, um danach die „Wiedererweckung“ der „Bildniskunst“ durch diese Ausstellung eingeleitet zu sehen.33 Tatsächlich ging es aber nicht um Kunst, sondern um Kriegspropaganda. Denn dem Soldaten im Felde sollte „im

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Bilde der Gattin, der Mutter, der Geliebten“ Kraft für „den Kampf um die Heimat“ gegeben werden.34 Elf der ausgestellten Werke wurden für die Sammlungen angekauft.

Keinen Katalog, aber Leihgaben aus den Städtischen Sammlungen und einigen anderen Institutionen gab es für die Ausstellung Wiener Bildnisse aus Kreisen der Kunst und Wissenschaft 1900–1943, die das Künstlerhaus von November 1943 bis Ende Februar 1944 präsentierte. Die Porträts, die für diese Ausstellung angefertigt wurden, zeigten vor allem Größen der Wiener NS-Szene, die sich zum Teil auch gegenseitig darstellten. So malte zum Beispiel der Sachberater des Kulturamtes für Malerei Rudolf Böttger sowohl den Sachberater für Schriftgestaltung Johannes Czech als auch Robert Oerley, der in der Wiener Sektion der Reichskammer der bildenden Künste Fachreferent für Architektur war. Aufträge für Porträts dieser Art wurden unter anderem anlässlich runder Künstlergeburtstage vergeben und nach Fertigstellung den Städtischen Sammlungen übergeben. So sollte Schritt für Schritt eine „Ehrengalerie der Stadt Wien“ entstehen.35

Hier und auch bei anderen Ankäufen zeigte sich der starke Wille der NS-Machthaber zur Selbsthistorisierung und Einschreibung in die Geschichte der Stadt. Neben den obligatorischen Bürgermeisterporträts wurden auch andere NS-Größen oder Menschen, die man als Vorläufer oder Ideengeber des Nationalsozialismus sah, im Porträt festgehalten und in die Sammlung integriert. In vielen Fällen fertigte diese wiederum Rudolf Böttger an, der sich damit wohl auch ein Zusatzeinkommen verschaffte. 1939 porträtierte er Karl Hermann Wolf, einen deutschnationalen Politiker und Mitglied der Alldeutschen Vereinigung von Georg Schönerer. Hitler schätzte Wolf als Redner und Baldur von Schirach würdigte ihn

bei dessen Begräbnis als „Bannerträger des Deutschtums“ 36. 1940 kauften die Städtischen Sammlungen Wolfs Porträt direkt von Böttger an. 1941 malte Böttger Otto Wächter, den personalpolitischen Referenten Josef Bürckels, des Reichskommissars für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich. Otto Wächter war als Gouverneur des Distrikts Krakau und dann des Distrikts Galizien gemeinsam mit seinem Vorgesetzten Hans Frank maßgeblich an der sogenannten ‚Endlösung der Judenfrage‘ beteiligt und nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes einer der meistgesuchten Kriegsverbrecher. Mithilfe des österreichischen Kurienbischofs Alois Karl Hudal gelang es ihm, sich seiner Verantwortung zu entziehen. 1949 verstarb er in Rom. Auch Wächters Porträt wurde direkt von Böttger für die Sammlung angekauft. Selbstverständlich durfte auch der Deutschnationale und Antisemit Georg Schönerer in dieser Galerie ‚verdienter‘ Männer nicht fehlen. Sein Porträt wurde beim vom Regime geschätzten Maler Heinrich Kraus 1939 beauftragt und in die Sammlung aufgenommen.

Im März 1940 erwarben die Städtischen Sammlungen Porträts von den sogenannten ‚Juliputschisten‘. Bei dem gescheiterten nationalsozialistischen Putschversuch im Juli 1934 wurden Bundeskanzler Dollfuß getötet und in Folge 15 der Putschisten hingerichtet. Diese 15 Männer galten den Nationalsozialisten als ‚Märtyrer‘ der Bewegung. Im November wurde dann noch ein zusätzliches Porträt eines der Hauptverantwortlichen des Putsches, Franz Holzweber, beauftragt. In dem Auftragsschreiben an den Maler Franz Molt heißt es, dass „die Arbeit im Einvernehmen mit dem Sachberater für Malerei, Prof. Rudolf Böttger und der Direktion der Städtischen Sammlungen auszuführen“ sei.37 Offenbar agierten die beiden Institutionen in enger Abstimmung miteinander.38 Als

‚Arisierte‘ Kunst und ‚Arische‘ Kunst 15

„Bei Alexander Grosz Uhren geholt“

Nächtliche Raubzüge fürs Museum

Porträt Alexander Grosz, Allgemeine Uhrmacherzeitung , 15. Oktober 1905

Am 28. Oktober 1938 schrieb der Leiter des Uhrenmuseums Rudolf Kaftan1 folgende Notiz in seine Chronik: „Bei Alexander Grosz von 7 ¼ abends bis 11 Uhr nacht, Uhren geholt.“2 Damit kam das Uhrenmuseum in den Besitz von 70 wertvollen Uhren aus der Sammlung des in Uhrmacherkreisen weithin bekannten Uhrmachermeisters Alexander Grosz. Dieser war Verfasser zahlreicher Fachartikel, Berater von Marie EbnerEschenbach und Mitglied des Freundesvereines des Uhrenmuseums.3

Alexander Grosz kam 1869 in Novi Sad zur Welt, besuchte die Uhrmacherschule in Karlstein und vollendete seine Ausbildung bei seinen Onkeln Max und Gezá Klumak, die zu den österreichischen Präzisionsuhr-Pionieren zählten und Schiffschronometer für die Kriegsmarine herstellten. In den Jahren 1893 bis 1902 war Grosz für die renommiertesten Uhrmacherbetriebe in Frankfurt am Main, Rom, Kairo und Paris tätig, um die internationalen Entwicklungen in seinem Fach zu studieren. 1902 machte er sich dann in Wien mit einem eigenen Uhrmachergeschäft selbstständig und betrieb zusätzlich einen Uhrenantiquitätenhandel. Mit seinen 69 Jahren hätte Alexander Grosz mit Stolz auf seine Erfolge zurückblicken und die Anerkennung seiner Kollegenschaft genießen können. 1938 brach aber auch über ihn die Katastrophe herein. Ein kommissarischer Verwalter namens Josef Berger übernahm sein Geschäft, verkaufte seine Uhren, veruntreute anschließend das damit eingenommene Geld und flüchtete mit dem Geld aus der Kassa.4 Alexander Grosz blieb ohne Vermögen zurück und hatte zusätzlich noch Schwierigkeiten mit dem Finanzamt, das nicht glauben wollte, dass zur Deckung der ‚Judenvermögensabgabe‘ keine Mittel mehr vorhanden seien. Dennoch gelang Alexander Grosz zusammen mit seiner Frau Clara die Flucht. Am 9. November 1939 erreichten sie New York, wo Alexander Grosz kurz darauf verstarb.

1 Zu Uhrenmuseum und Kaftan vgl. Milchram, So sonderbar ist dieses Reich.

2 Uhrenmuseum, Chronik, 1.1.1930–31.12.1939.

3 Vgl. Milchram, Rude, Helping to save the works.

4 Vgl. 4. Restitutionsbericht, S. 47–52; 7. Restitutionsbericht, S. 152–158.

5 Milchram, Uhrenmuseum (LÖPF).

6 Vgl. 18. Restitutionsbericht, S. 132.

Von den 70 Uhren im Uhrenmuseum gingen 30 Uhren durch Plünderungen an den Bergeorten verloren.5 Ab 1943 waren Museumsobjekte auf 16 Orte in Niederösterreich verteilt worden, um sie vor Fliegerangriffen zu schützen. Die noch vorhandenen 40 Uhren konnten dann nach langer und schwieriger Suche 2017 an die Rechtsnachfolger restituiert werden.6 GM

140
70 Objekte
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Taschenuhren aus der Sammlung Grosz, 19. Jahrhundert
Taschenuhren aus der Sammlung Grosz, 19. Jahrhundert 142

In der Wipplingerstraße 22 befanden sich Geschäft und Wohnung von Alexander Grosz, Fotografie um 1940

Alexander Grosz Werbepostkarte von Alexander Grosz, 1909
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Porträt des Transportunternehmers

Eine Radierung von Ferdinand Schmutzer aus der Sammlung

Karpeles-Schenker

Als der Seniorchef der Speditionsfirma Schenker & Co., Emil KarpelesSchenker, am 28. November 1931 in seiner Villa in der Kreindlgasse 6 im 19. Bezirk starb, hinterließ er seine Ehefrau Helene und die beiden Söhne Stephan und Georg.1

Emil Karpeles-Schenker hatte im Laufe der Zeit eine veritable Kunstsammlung aufgebaut, zu deren Hauptobjekten Bilder und Skulpturen sakralen Charakters ab dem 15. Jahrhundert zählten. Er schrieb im Mai 1931 in seinem Testament: „Die Einrichtung ist ohnedies schon ihr [Anm.: Helenes] ausschließliches Eigentum wie insbes. Mobiliar, Kunstgegenstände, Bilder, Plastiken, Silber.“2

Laut einer Zeugenaussage nach 1945 wurde die Villa in der Kreindlgasse unmittelbar nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten von einem SA-Rollkommando geplündert. Die Hausbesorgerin gab als Zeugin an, dass Stephan Karpeles-Schenker noch im März 1938 nach England flüchten konnte.3

Im Zuge ihrer Fluchtvorbereitungen suchte Helene KarpelesSchenker am 29. März 1938 bei der Zentralstelle für Denkmalschutz um Ausfuhr von 19 Positionen Möbelstücken und als „modern“ bezeichneter Kunstgegenstände an. Als Bestimmungsort wurde London angegeben. In der von Otto Demus erstellten Liste scheint unter Position 2 „1 Radierung (Ferd. Schmutzer) modern“ auf.4 Laut den Aussagen der erwähnten Hausbesorgerin hätte Helene Karpeles-Schenker bei ihrer Flucht am 9. bzw. 10. Mai 1938 die Villa mit ihrem gesamten Gepäck verlassen, aber die Kunstsammlung und sämtliche Antiquitäten zurückgelassen.5

Nachdem Georg Karpeles-Schenker auf sein Vermögen zugunsten des Deutschen Reiches verzichtet hatte, wurde er aus der Schutzhaft entlassen, in die er unmittelbar nach dem ,Anschluss‘ genommen worden war, und konnte im August 1938 ebenfalls nach London flüchten.6 Bereits im Juni 1938 war das gesamte im Inland befindliche Vermögen von Helene, Stephan und Georg Karpeles-Schenker von der Gestapo wegen „volks- und staatsfeindlicher Betätigung“ beschlagnahmt worden.7

Neben der Villa und einem Jagdgut fiel auch die Kunstsammlung unter die Beschlagnahme. Laut einem Bericht des kommissarischen Leiters des Kunsthistorischen Museums, Fritz Dworschak, wurden am 21. Juli 1938 nach einer Besichtigung 17 Objekte in Verwahrung

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Porträt Georg Karpeles-Schenker, Fotografie, 1934
1 Objekt
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Ferdinand Schmutzer: Emil Karpeles-Schenker, Chef der Speditionsfirma Schenker & Co., in seinem Heim, Radierung, 1926

1 Handelsgericht Wien, GZ A 354/31, Helene Karpeles-Schenker, Anzeige von einem Todesfall und Ersuchen mit den erforderlichen Angaben für die Todfalls anzeige, 9.12.1931.

2 Handelsgericht Wien, GZ A 354/31, Emil Karpeles-Schenker, Mein letzter Wille, 21.5.1931.

3 Vgl. Anderl, „Am Wiener Platz“, S. 193 und FN 125.

4 BDA, Ausfuhrmaterialien, Ausfuhrformular Zl. 387/38, Helene Karpeles-Schenker.

5 Vgl. Anderl, „Am Wiener Platz“, S. 193; ÖStA, AdR, BMF, VVSt., VA, Zl. 30.518, Georg Karpeles-Schenker, Verzeichnis, S. 1.

6 ÖStA, AdR, BMF, VVSt., VA, Zl. 30.518, Georg Karpeles-Schenker, Verzeichnis, S. 1.

7 DÖW, Zl. 19.400/170, Verzeichnis der in der Ostmark eingezogenen bzw. beschlagnahmten Vermögenswerte, S. 16.

8 BDA, Rest. Mat., PM Karpeles-Schenker Kt. 39, Bericht des kommissarischen Leiters des KHM, Fritz Dworschak, Zl. 2419/38, 22.7.1938, fol. 141f.

9 Vgl. Anderl, „Am Wiener Platz“, S. 193.

10 Zur Biografie Schimanas siehe Graf, Österreichische SS-Generäle, S. 256–264.

11 Anderl, „Am Wiener Platz“, S. 194.

12 ÖStA, AdR, BMF, VVSt., VUGESTAJournalbuch, Bd. 4, Lfd. Nr. 2277, Georg Kargeles [sic!].

13 Unterlagen der Provenienzforschung der Museen der Stadt Wien zu Emil Karpeles-Schenker, Telefonische Gesprächsnotiz Dr. Fritsch, Archiv der Firma Schenker, 16.5.2001.

14 Vgl. Helene Karpeles-Schenker (Stiassni) (Genealogy).

15 Testament und Kodizille von Helene Karpeles-Schenker, 8.6.1953.

16 Testament von Stephan KarpelesSchenker, 25.4.1989.

17 Person Page – 17597 (The Peerage).

genommen. Die übrigen noch vorhandenen Objekte, die nach Dworschaks Dafürhalten „keinerlei musealen Wert“ besaßen, beließ man in der Villa.8 Sodann versiegelte die Gestapo die Räume.9

Ab August 1938 bewohnte der österreichische SS-General der Gendarmerie und spätere Höhere SS- und Polizeiführer Walter Schimana10 die Villa. Er übernahm sie mit dem gesamten noch vorhandenen Inventar und den Antiquitäten, wofür er eine verhältnismäßig geringe Summe an eine staatliche Stelle bezahlte. Der Antiquitätenhändler und Schätzmeister des Wiener Dorotheums, Eugen Primavesi, transportierte sodann einen Großteil der Sammlung ab. Nach der Versetzung Schimanas 1941 nach Weichsel bei Teschen (Cieszyn, Polen) seien in der Villa laut Aussage der erwähnten Hausbesorgerin „keine Antiquitäten mehr vorhanden“ gewesen.11

Das Übersiedlungsgut von Georg Karpeles-Schenker wurde 1941 über die Vugesta veräußert.12 Am 26. August 1941 erwarben die Städtischen Sammlungen den neunten Druck der Radierung von Ferdinand Schmutzer, Emil Karpeles, Chef der Speditionsfirma Schenker & Co., in seinem Heim . Im Inventarbuch wurde dazu festgehalten: „Ankauf von der Gestapo aus beschlagnahmten Sachwerten (Vugesta).“ Laut Aussage des damaligen Archivleiters der Firma Schenker aus dem Jahr 2001 konnte die im Wien Museum befindliche Radierung „nur aus dem Besitz von Georg Karpeles-Schenker stammen und über die Gestapo bzw. Vugesta ins Museum gelangt sein“.13

Es sollte bis 1964 dauern, ehe Georg Karpeles-Schenker –längst nicht alle – Kunstgegenstände aus der ehemaligen Sammlung vom Bundesdenkmalamt und den Witwen von Walter Schimana und Eugen Primavesi zurückerhielt und die Freigabe nach England erwirkte.

Helene Karpeles-Schenker starb 95-jährig am 4. Dezember 1974 in Kensington, London.14 In ihrem Testament vom 8. Juni 1953 hatte sie verfügt, dass ihr Vermögen in einen Familientrust eingebracht werde.15 Auch das Vermögen des 1991 verstorbenen Stephan KarpelesSchenker wurde aufgrund einer testamentarischen Verfügung in einen Trust eingebracht. Stephan Karpeles-Schenker erwähnte darin auch seinen „step grandson“, der sein Leben lang Zuwendungen aus dem Trust erhalten sollte.16 Georg(e) Karpeles-Schenker war bereits am 20. Juli 1980 gestorben.17

Nachdem der „step grandson“ glaubhaft versichert hatte, dass die beiden Trusts nicht mehr existieren, empfahl die Restitutionskommission im Dezember 2023, die Radierung an ihn auszufolgen, was im Jahr 2024 durchgeführt werden wird. MW

Sammlung Karpeles-Schenker 196

Zwangsversteigert Aus der Kunstsammlung der Familie Klein

1 ÖStA, AdR, BMF, FLD Reg. Nr. 15.934, Otto und Felix Klein, RA Friedrich Wedl an den OFP Wien-Niederdonau, 6.1.1943.

2 Erbfolgedokumentation Univ. Prof. DDr. Walter Barfuß, 24.9.2007.

3 ÖStA, AdR, BMF, VVSt., VA Zl. 20040, Otto Klein.

4 Vgl. 15./16. Restitutionsbericht, S. 118.

5 ÖStA, AdR, BMF, FLD Reg. Nr. 15.934, Otto und Felix Klein, RA Friedrich Wedl an den OFP Wien-Niederdonau, 6.1.1943.

6 ÖStA, AdR, BMF, FLD Reg. Nr. 15.934, OFP Berlin-Brandenburg an den OFP Wien-Niederdonau, 7.3.1945.

7 ÖStA, AdR, BMF, FLD Reg. Nr. 15.934, Karteikarte OFP Wien-Niederdonau.

8 ÖStA, AdR, BMF, VVSt., VA Zl. 20041, Julie Klein.

9 Vgl. 15./16. Restitutionsbericht, S. 122f.

Zur Zeit des ‚Anschlusses‘ fungierte der 1886 in Ober Kosteletz (Horní Kostelec, Tschechien) geborene tschechoslowakische Staatsbürger Otto Klein als Leitender Verwaltungsrat und Großaktionär des Weingroßhandels Klein & Brandl AG im 13. Bezirk, Pfadenhauergasse 4.1 Klein war mit der 1893 zur Welt gekommenen Julie verheiratet. Das Ehepaar hatte zwei Kinder: die 1916 geborene Anna, später verehelichte Pershing, und den 1918 geborenen Franz Josef.2

Die Familie wohnte in einer Villa im 13. Bezirk, Hietzinger Hauptstraße 20. Außerdem besaß Otto Klein ein Wohnhaus in der Breitenseerstraße 80 im 14. Bezirk sowie einen Baugrund in Kierling bei Wien.3 Die Liegenschaften wurden bald darauf ‚arisiert‘ bzw. verfielen an das Deutsche Reich. Der Familie gelang im Mai 1938 die Flucht.4

Da Otto und sein Bruder Felix Klein, mit dem er den Weingroßhandel betrieb, flüchtig waren, wurde ein ‚Abwickler‘ für das Unternehmen bestellt. Weil sich beide vor dem März 1938 laufend höhere Darlehen von ihrer eigenen Firma gewähren hatten lassen, wirkte sich dies bei der Abwicklung äußerst negativ für sie aus. So verpflichtete etwa ein Urteil des Landgerichtes Wien vom 5. August 1942 Otto Klein zur Zahlung von 200.000 Reichsmark.5 Bis zum März 1945 wurden Exekutionen gegen das im Inland befindliche und greifbare Vermögen der beiden Brüder geführt.6

Laut Reichsanzeiger vom 13. Dezember 1943 verfiel das Vermögen von Otto Klein schließlich aufgrund der Verordnung über den Verlust der Protektoratsangehörigkeit dem Deutschen Reich.7

Julie Klein gab in ihrer Vermögensanmeldung vom 14. Juli 1938 an, eine in der Villa befindliche Kunstsammlung zu besitzen, die sie mit „circa RM 150.000,--“ bewertete.8 Von 17. bis 19. April 1939 fand im Dorotheum eine Zwangsversteigerung einer Villeneinrichtung im Auftrag des Exekutionsgerichtes Wien statt. Recherchen ergaben, dass es sich dabei um Vermögenswerte von Otto und Julie Klein gehandelt hat. Auf dieser Auktion erwarben die Städtischen Sammlungen das 1840 entstandene Aquarell von Johann Christian Schoeller, Die Local-Posse.9 Nach einer Empfehlung der Wiener Restitutionskommission wurde das Bild am 26. September 2017 an die in Australien lebende Witwe des 2003 verstorbenen Franz Josef Klein zurückgestellt und gleichzeitig nach der Restitution vom Wien Museum angekauft. MW

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„Ein

Konvolut von Tagebüchern und Korrespondenz ...“

Die Sammlung Richter

Elise und Helene Richter waren die Töchter des Chefarztes der SüdbahnGesellschaft von Wien nach Triest, Maximilian Richter, und dessen Ehefrau Emilie, geborene Lackenbacher. Sie wuchsen in einem großbürgerlichen Ambiente auf, in dem Kultur und Bildung einen bedeutenden Stellenwert hatten. Da der Gymnasialbesuch erst ab 1892 für Mädchen möglich war, erhielten sie zunächst Privatunterricht. Die beiden unverheirateten Schwestern waren zeitlebens eng miteinander verbunden und verfügten nach dem frühen Tod der Eltern über eine umfangreiche Hinterlassenschaft, die es ihnen ermöglichte, ihre privaten Studien zu vertiefen. Ab 1895 wohnten sie in einem Haus im 19. Bezirk, Ecke Lannerstraße/Weimarer Straße, das über viele Jahre hinweg ein Treffpunkt für Persönlichkeiten aus Kunst, Wissenschaft und Politik war. Nach dem Verlust fast ihres ganzen Vermögens im Zuge der Inflation nach dem Ersten Weltkrieg mussten sie 1923 das Haus verkaufen, konnten sich aber eine Leibrente und ein lebenslanges Wohnrecht sichern.1

Elise Richter, geboren am 2. März 1865, besuchte ab 1891 als Gasthörerin Lehrveranstaltungen an der Universität Wien und konnte 1897 die Externistenmatura am Akademischen Gymnasium im 1. Bezirk ablegen. Als eine der ersten Studentinnen in Wien inskribierte sie Romanistik, Sprachwissenschaft, Klassische Philologie und Germanistik. 1901 zum ‚ersten weiblichen Doktor‘ im Bereich der Wiener Romanistik promoviert, habilitierte sie sich 1907 als erste Frau Österreichs und wurde 1921 die erste (außerordentliche) Universitätsprofessorin. Sie beschäftigte sich wissenschaftlich vor allem mit Semantik und Phonetik, wobei sie in ihren Arbeiten auch psychologische und gesellschaftliche Aspekte berücksichtigte. Auch am Phonogrammarchiv der Österreichischen Akademie der Wissenschaften war Elise Richter forschend tätig. Sie veröffentlichte etwa 250 Fachpublikationen und stand im regen Austausch mit der Fachwelt. Darüber hinaus engagierte sie sich in bildungspolitischen Fragen – insbesondere 1919 als Proponentin der liberalen Bürgerlich-demokratischen Partei – und gehörte zu den Mitbegründerinnen des Verbandes der akademischen Frauen Österreichs, dessen Vorsitzende sie von 1922 bis 1930 war.2

Ihre Schwester Helene Richter, geboren am 4. August 1861 in Wien, bildete sich durch autodidaktische Studien sowie Vorlesungen an der Universität Wien als Gasthörerin weiter. Nach anfänglichen

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Porträt Helene und Elise Richter, Fotografie, undatiert
Objekte
1.866
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Promotionsanzeige von Elise Richter, 1901
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Elise Richters Meldungsbuch der Universität Wien mit einem Überblick der von ihr besuchten Lehrveranstaltungen im Sommersemester 1898
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dichterischen Versuchen wandte sie sich hauptsächlich der wissenschaftlichen Publizistik zu, vor allem auf dem Gebiet der englischen Literatur. Ihren Ruf als Anglistin begründete sie mit einer Biografie über Percy Bysshe Shelley (1898) und einer zweibändigen Geschichte der englischen Romantik (1911). Darüber hinaus wurde sie mit ihren Forschungen zu William Shakespeare und durch Monografien zu bedeutenden englischen Schriftstellerinnen und Schriftstellern bekannt. Auch auf dem Gebiet der Theaterwissenschaft setzte sie wichtige publizistische Akzente, darunter Unser Burgtheater (1918), eine Festschrift für Josef Lewinsky (1926) oder eine Biografie über Josef Kainz (1931). Aufgrund ihrer wissenschaftlichen Leistungen wurde sie 1931 mit Ehrendoktoraten der Universitäten Heidelberg und Erlangen ausgezeichnet.3

1938 endete die akademische Laufbahn Elise Richters jäh. Aufgrund der ‚Nürnberger Rassegesetze‘ wurde ihr die Lehrbefugnis entzogen. In weiterer Folge erhielt sie Bibliotheksverbot, was ihre weitere wissenschaftliche Arbeit stark behinderte. Die Möglichkeiten der beiden Frauen, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, sanken von Jahr zu Jahr. Elise Richter wurde seitens der Universität Wien eine Alterspension verweigert, die Möglichkeit des freien Publizierens blieb auf das Ausland beschränkt. Die drückende finanzielle Situation zwang die Schwestern, zunächst Möbel zu verkaufen, bald stand auch ein Verkauf von Teilen der umfangreichen Bibliothek im Raum.

Seit 1939 ständig von der Delogierung aus ihrem Haus bedroht, mussten sie im März 1942 in das jüdische Altersheim Seegasse im 9. Bezirk umziehen, wobei sowohl ihre umfangreiche Bibliothek als auch die Autografensammlung zurückblieben. Der größte Teil der Romanistica, Anglistica, Korrespondenzen, Autografen und Theatermappen wurde im April 1942 ‚sichergestellt‘, in die Nationalbibliothek in Wien verbracht und von dort weiter verteilt.4

Zu einer wichtigen Stütze der Richter-Schwestern avancierte in diesen Jahren eine ehemalige Studentin Elises, Christine Rohr (Baronin von Denta, 1892–1961). Diese war nach der Promotion zum Dr. phil. (1918) im November 1919 als erste Frau in den akademischen Bibliotheksdienst der Österreichischen Nationalbibliothek aufgenommen worden. Sie versorgte ihre frühere Universitätslehrerin „mit Literatur, Zitaten und Zuwendung“5 und rettete einen Teil der Autografen und Briefe, die sie in ihrem Haus in Rodaun in Verwahrung nahm. Im März 1941 schrieb sie an Elise Richter: „Es tut mir jetzt leid, daß ich damals, als wir von Ihren biogr. Aufzeichnungen sprachen, nicht weiter darauf eingegangen bin, wie gerne ich Ihnen die Sachen in Verwahrung nehmen würde. [...] ich kann Sie versichern, daß ich Ihnen das Paket mit den biogr. Schriften mit dem größten Vergnügen aufhebe und daß ich froh bin, wenn ich Ihnen in diesen schweren Zeiten wenigstens damit behilflich sein kann! [...] Ich kann also ohne weiteres diese Schriften die ja doch ganz unpolitisch sind, in Verwahrung nehmen, es können da für mich keinerlei Unannehmlichkeiten erwachsen.“6 Rohr übernahm zunächst nur einige wenige Manuskripte; erst die Androhung der Beschlagnahmung der Theatersammlung dürfte Richter dazu bewogen haben, einen größeren

Sammlung Richter
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Porträt Elise Richter, Fotografie aus ihrem Mitgliedsausweis der philosophischen Fakultät der Universität Wien, undatiert

Teil an ihre ehemalige Studentin abzugeben, bei der sie Deportation und Kriegsende überdauerten.7

Am 9. Oktober 1942 wurden die Schwestern in das Getto Theresienstadt deportiert. Helene Richter starb bereits im folgenden Monat, die jüngere Elise im Juni 1943. Erst im Dezember 1972 (!) wurden die beiden Wissenschaftlerinnen auch offiziell für tot erklärt. Anlass für die Einleitung des Verfahrens war die Löschung des noch immer auf das Haus Weimarer Straße 83 für die beiden eingetragenen Wohnrechts.8

1947 überantwortete Christine Rohr den von ihr verwahrten Bestand den Städtischen Sammlungen (heute: Museen der Stadt Wien). Die Tatsache, dass sie sich nicht an ihre eigene Institution – die Nationalbibliothek – wandte, sondern an die Stadt Wien, lässt Raum für verschiedenste Interpretationen offen. Da es sich ausschließlich um handschriftliches Material handelte – „ein Konvolut von Tagebüchern und Korrespondenz aus dem Nachlaß von Dr. Elise Richter, Univ.-Prof. Wien geb. 1865, und Helene Richter, Schriftstellerin Wien geb. 1861“ 9, so das aus zwei Sätzen bestehende einzige Dokument zur Erwerbung –, wurde es im Mai 1947 der Handschriftensammlung der Wiener Stadtbibliothek abgetreten. Offenbar hatte die im Krieg gegenüber ihrer einstigen Lehrerin höchst loyale und hilfsbereite Bibliothekarin noch einige Zeit nach Kriegsende ein Lebenszeichen von Elise und Helene Richter abgewartet, bevor sie sich entschloss, den Bestand einer öffentlichen Institution zu übergeben. Die Inventarisierung der knapp 1.900 Objekte wurde im Laufe der 1950er Jahre begonnen und zog sich bis um die Jahrtausendwende hin.

1 Vgl. Wien Geschichte Wiki, Elise Richter.

2 Vgl. ebd.; Gedenkbuch, Elise Richter; Mertens, Konvolut, S. 24; Kanduth, Richter, S. 123f.

3 Vgl. Wien Geschichte Wiki, Helene Richter; Mertens, Konvolut, S. 24; Lebensaft, Prantl, Richter, S. 127.

4 Vgl. dazu ausführlich Elsen, Tanzmeister, In Sachen Elise und Helene Richter.

5 Stumpf-Fischer, Rohr (BiografiA).

6 Christine Rohr, Brief an Elise Richter, 7.3.1941 (WBR, HS, H.I.N. 232611).

7 Vgl. Mertens, Konvolut, S. 26.

8 Vgl. 6. Restitutionsbericht, S. 40.

9 Ebd., S. 41.

10 Vgl. Hoffrath, Bibliothek.

11 Vgl. USB Köln, Virtuelle Bibliothek Elise und Helene Richter. Der Zweifel an der Rechtmäßigkeit wird insbesondere von der seit Jahren nach den Rechtsnachfolgerinnen und -folgern suchenden IKG Wien getragen.

12 Auch Helene Richter erhielt 2008 eine nach ihr benannte Gasse im 21. Bezirk; außerdem werden seit 2007 mit dem Helene-Richter-Preis herausragende literaturwissenschaftliche Arbeiten prämiert. Vgl. Gedenkbuch, Elise Richter; Wien Geschichte Wiki, Elise Richter und Helene Richter.

Der gesamte Nachlass von Elise und Helene Richter wurde auf verschiedene Standorte verstreut: Der Bestand in der Wiener Stadt- und Landesbibliothek umfasst knapp 1.900 Inventarnummern, bestehend aus der persönlichen Korrespondenz der Schwestern, Notizkalendern und Tagebüchern sowie Lebensdokumenten. Die Sammlung wurde als grundsätzlich restitutionsfähig eingestuft; zweifelsfreie Rechtsnachfolger konnten bisher nicht eruiert werden. Dies gilt auch für die in der Österreichischen Nationalbibliothek und am Theatermuseum verwahrten Teile der Sammlung. Der Großteil der privaten Bibliothek war in der NSZeit an die Universitäts- und Stadtbibliothek Köln gegangen.10 Die dort 2014 zustande gekommene gütliche Einigung mit einer im Vereinigten Königreich lebenden potenziellen Erb:innengemeinschaft wird in Wien als rechtmäßig angezweifelt.11

Beginnend in den 1990er Jahren wurden die fast vergessenen Schwestern Richter neu entdeckt. Ein Forschungsprojekt am Institut für Romanistik untersuchte erstmals Leben und Werk von Elise und Helene Richter, 1999 wurde ein Förderpreis für herausragende romanistische Dissertationen und Habilitationen nach Elise Richter benannt. Seit 2003 erinnert ein Hörsaal im Universitäts-Hauptgebäude sowie seit 2008 der Elise-Richter-Weg im 21. Bezirk an die Romanistin, der auch ein Tor auf dem Campus Altes AKH sowie eine Gedenktafel am Institut für Romanistik gewidmet ist.12 CM

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