Wien Museum „Mixed“

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DIVERSE GESCHICHTEN

Vorwort

Mix der Herausgeber:innen

Intro

WÖRTER

Politik und Herrschaft

Sprachenvielfalt

Wiener Alltag

Vielfalt der Sprache –sprachliche Vielfalt

Agnes Kim

ORTE

Orte der Verhandlung

Räume schaffen

Wiener Küchen

Archäologien verdrängter

Geschichten: Ein dringender Erinnerungsspaziergang in Wien

Araba Evelyn Johnston-Arthur

KÖRPER

Einteilung und Zuschreibung

Selbst- und Fremdbezeichnung

Körper und ihre Veränderung

Diverse Körper von Gewicht

Fahim Amir

MODEN

Verkleidungen

Textile Diskurse

Gebrauch und Genuss

Männer, die Witze machen (oder sind): Von practical jokes und Rollenspielen

Amira Ben Saoud

Autor:innen

Bildnachweis, Dank, Impressum

Medizinisches Behältnis mit Aufschrift „Rein“, Josephinum – Ethik, Sammlungen und Geschichte der Medizin

Die Unterscheidung zwischen Reinem und Unreinem ist ein fester Bestandteil gesellschaftlicher Diskussion. ‚Rein‘ steht dabei für die Ordnung, für das Ursprüngliche und Unverfälschte, ‚unrein‘ für den Schmutz, die Unordnung und das Fremde. Dieser Diskurs ist spätestens seit dem 19. Jahrhundert auch politisch aufgeladen. Demagog:innen

versprechen reine Städte und Länder, reine Völker und Rassen. Sie gaukeln eine Vergangenheit vor, die für sie auch Zukunft sein soll. Doch die Idee einer ‚reinen‘ Gesellschaft ist oft gefährlich: Sie trennt, verurteilt und vernichtet. Auch für Wien wird Reinheit reklamiert. Wien soll früher einmal „noch Wien gewesen sein“, wie manche behaupten. Mixed zeigt, wie sie irren.

Medizinisches Behältnis mit Aufschrift „Unrein“, Josephinum – Ethik, Sammlungen und Geschichte der Medizin

Stadt ist heterogen.

Metropolen ziehen Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen an. Durch ihre Anwesenheit und Aktivitäten lassen sie in der Stadt Orte der Verhandlung kultureller Identitäten entstehen.

Hier werden Klischees auf ungewöhnliche Weise hinterfragt, hier wird demonstriert und gelärmt, gesungen und gespielt und die Stadt zu einer steten Auseinandersetzung mit sich selbst herausgefordert.

Manchen Communities gelingt es, in der Stadt eigene Räume zu schaffen. Sie sind in Form und Funktion völlig unterschiedlich. Aber ob klein oder groß, provisorisch oder dauerhaft sind sie Anknüpfungspunkte für Dialog und Diskussion und damit manchmal auch für Missverständnisse und Vorurteile.

Scheinbar völlig konfliktlos verläuft dagegen die gastronomische Globalisierung Wiens. Die dabei neu entstehenden Wiener Küchen sind längst nicht mehr nur von regionalen Einflüssen geprägt. Spätestens mit dem 20. Jahrhundert sind sie internationale Orte, an denen Traditionen und Zutaten immer neu gemischt werden.

Bühnenklischees

Auf ihren zahlreichen Bühnen verhandelt die Stadt Identitäten. In den 1930er Jahren tritt die afroamerikanische Opernsängerin Marian Anderson in Wien mit Liedern von Schubert, Brahms und Händel, aber auch AfricanAmerican Spirituals auf. Sie stellt dabei die oft fiktiven Grenzziehungen zwischen Musikstilen, Hautfarben und Sprachen infrage. Das Wiener Publikum ist teils hingerissen, teils empört, und auch in den Zeitungen wird über die revolutionäre Sängerin berichtet. 1955 tritt sie als erste afroamerikanische Solistin an der Metropolitan Opera in New York auf.

Programmheft eines Auftritts im Wiener Konzerthaus, 1937, Archiv der Wiener Konzerthausgesellschaft

Marian Anderson bei einem Auftritt in Wien, Fotografie von Robert Haas, um 1935

Orte der Verhandlung

Laute Demokratie

Titelseite Das Interessante Blatt, 1900, Österreichische Nationalbibliothek

Instrumente, um 1900, Martin Breinschmid, Musiker

Im Parlament wird es oft laut. Zwischen- und Ordnungsrufe sind Teil des parlamentarischen Alltags. Im Zuge des böhmischen Sprachkonflikts um 1900 bringen tschechische Abgeordnete sogar Musikinstrumente in den Plenarsaal, um mit viel Lärm auf ihre Situation aufmerksam zu machen. Sie verwenden dazu unter anderem: Tschinellen, Fahrradglocken, Pfeifen, Feuerwehr trompeten, Automobilhupen, Regenmaschinen, Schnarren und zumindest eine Ziehharmonika.

Panafrikanische Universität

An der Universität werden stets neue gesellschaftliche Perspektiven verhandelt. In den 1960er Jahren gründen Studierende aus verschiedenen afrikanischen Ländern die Pan-African Students Union of Austria –kurz PASUA. Neben Fragen afrikanischer Politik beschäftigt sie auch der Rassismus in Wien. Sie fordern ein Wahlrecht für ausländische Studierende bei der Österreichischen Hochschülerschaft und kritisieren Rassismus am Wohnungsmarkt. Einige Mitglieder werden im Rahmen von Protesten festgenommen und abgeschoben. Der Verein muss schließlich auf Druck der Behörden aufgelöst werden.

Demonstration vor dem S ozialministerium, 1964, Foto grafie von Fred Riedmann

Aktivist:innen Abayomi D. Babajide und Unokanma Okonjo, 1964, Fotografie von Fred Riedmann

Urbane Spielräume

Fußball, Basketball, Abschießen, Fangen spielen oder nur Leute beobachten. Die Wiener Ballkäfige sind ein Auffangbecken für Sporthungrige und jene, die einen konsumfreien Treffpunkt suchen. Angesiedelt in zahlreichen Bezirken, manchmal angrenzend an Parkanlagen, manchmal mitten zwischen mehrspurigen Straßen, hat der Ballkäfig seine eigenen Regeln. Einige werden von der Stadt Wien vorgegeben, andere werden von den Benutzer:innen selbst geschaffen. Jedenfalls mischen sich hier viele verschiedene Sprachen und Lebenssituationen und erschaffen etwas Eigenes. Voneinander lernen ist ein Teil der Kultur des Käfigs.

Fotoalbum des Vereins JUVIVO, um 2000, JUVIVO 15

Wir von JUVIVO machen offene Kinder- und Jugendarbeit. Wir haben Jugendtreffs, die Kinder und Jugendliche besuchen und dort ihre Freizeit verbringen können. Wir sind aber nicht nur indoor, sondern auch viel im öffentlichen Raum anzutreffen. In den Sommermonaten setzen wir mit der Wiener Parkbetreuung viele Angebote im Park. Ein zentraler Ort im Park ist oft der Ballkäfig. Der sogenannte Käfig ist ein wichtiger Ort für viele Kinder und Jugendliche und wird oft vielfältig genutzt – für Fußballspiele, Volleyballturniere, zum Abhängen und sogar für Konzerte. Im Käfig findet Begegnung statt, es wird gemeinsam gespielt, Freundschaften werden geschlossen und ein gutes Miteinander erprobt. Wir sind dabei und unterstützen, wo es notwendig ist.

Donauminarett

Über fast sieben Jahrzehnte scheitern alle Versuche, in Wien eine Moschee mit Minaretten zu errichten. Unter Lueger wird ein Bau beim Türkenschanzpark in Erwägung gezogen. Weitere Pläne werden 1915 sogar dem Kaiser vorgelegt, aber nie verwirklicht. In den späten 1940er Jahren stellt die ägyptische Regierung die Teilfinanzierung einer großen Moschee in Aussicht, aber erst ein von Saudi-Arabien finanziertes Projekt wird 1975 wirklich gebaut. Der damals unbekannte Baumeister des Gebäudes, Richard Lugner, nutzt den ungewöhnlichen Auftrag erfolgreich zu Marketingzwecken. Das Architekturmodell einer frühen Planungsphase steht bis zu seinem Tod im Eingang seines Büros.

Architekturmodell des Islamischen Zentrums am Bruckhaufen, um 1970, Lugner City GmbH

Besetzt und bewohnt

Türkis

1982 wird ein zum Abriss vorgesehenes Haus an der Linken Wienzeile von Aktivist:innen der Lesben- und Schwulen-Bewegung besetzt. Sie vereinbaren mit der Stadt eine selbstorganisierte Generalsanierung des Gebäudes und gründen einen Verein, ein Beratungszentrum und ein Café. Die Rosa Lila Villa, wie sie nun genannt wird, wird in den folgenden Jahrzehnten zum dauerhaft sichtbaren Zentrum einer oft auch politisch angefeindeten Community. Der stete Wandel derselben wird auch durch die Integration einer weiteren Farbe sichtbar gemacht. Seit einigen Jahren heißt das Gebäude Türkis Rosa Lila Villa und ist ein offener Ort für Lesben, Schwule und trans Personen.

Modell der
Rosa Lila Villa von Ari Ban und Carli Biller, 2022, Queer Museum Vienna

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