WIEN MUSEUM
HANS SCHEUGL DIE FOTOGRAFIEN DES FILMEMACHERS 4
Hans Scheugl. Die FotograďŹ en des Filmemachers
Herausgegeben von Werner Michael Schwarz, Wien Museum Folio Verlag
Inhalt
6 Vorwort Wolfgang Kos 9 Standfotos gar nicht imaginierter Filme Hans Scheugl 13 Der intensive Blick eines 19-Jährigen. Zu Hans Scheugls frühen Fotografien Monika Faber 17 Laufende Ereignisse. Gegen den Stillstand: Hans Scheugls vorfilmische Fotoarbeiten Stefan Grissemann 23 Poetik der Fülle. Wegmarken zu Hans Scheugl und seinem Film Miliz in der Früh (1966) Elisabeth Büttner 29 Mögliche Antworten auf die Enttäuschung. Zwei Fotografien von Hans Scheugl aus den 1970er-Jahren Werner Michael Schwarz 33 Fotografien 112 Filmografie, Bibliografie, Biografie 114 Autorinnen und Autoren 115 Impressum
Vorwort Wolfgang Kos
in der Architektur ebenso wie in der bildenden Kunst und im Film. Relativ konventionell, wohl weil näher an der kommerziellen Verwertbarkeit, war in Österreich in jenen Jahren die Fotoszene. Den österreichischen Avantgardefilm hingegen, so Scheugl, „zeichnete ein strenges Umgehen mit der Struktur und den Grundparametern von Film aus“. In diese Richtung deuten auch die frühen Fotografien des späteren Filmemachers.
Als Filmemacher ist Hans Scheugl (geb. 1940 in Wien) seit den 1960er-Jahren international bekannt. Seine Arbeiten umfassen Avantgarde- und Dokumentarfilme sowie Aktionen des Expanded Cinema. Auch als Theoretiker und Autor trat er hervor. Gemeinsam mit Ernst Schmidt jr. leistete er mit dem Lexikon des Avantgarde-, Experimental- und Undergroundfilms Eine Subgeschichte des Films (1974) Pionierarbeit. Kaum bekannt ist hingegen die Bedeutung der Fotografie in seinem Werk. Erstmals ist nun in einem Museum und in einer Publikation eine Auswahl von Scheugls Fotografien zu sehen.
Scheugl gehörte – mit Ernst Schmidt jr., Peter Weibel oder VALIE EXPORT – zur zweiten Generation der Nachkriegsavantgarde, ein Jahrzehnt nachdem Peter Kubelka, Ferry Radax, Kurt Kren oder Marc Adrian mit radikalen Filmen, die das Medium extrem ausloteten, hervorgetreten waren. In den späten Sechzigern kam der Begriff „Underground“ in Umlauf. Damit war, so erinnert sich Scheugl, immer öfter ein Mix aus Offensivgeist, zunehmender Politisierung und Sex gemeint. Um 1970 erlangten die Filmextremisten aus Wien Weltgeltung.
Es handelt sich um Zeugnisse des Enthusiasmus: „Da war ein immenser Nachholbedarf, der eine einmalige Spannung erzeugte.“ So kennzeichnete Scheugl in einem Gespräch mit Robert Fleck die späten 1950er- und frühen 1960er-Jahre. In allen Kunstsparten waren die Türen zum provokant Neuen weit offen, häufig kam es zu interdisziplinären Überschreitungen, und in fast allen Bereichen formierten sich Cluster von „Dissidenten“, die sich gegen den konservativ-biederen Mainstream stellten – in der Literatur ebenso wie in der Neuen Musik,
Die Ausstellung konzentriert sich auf die frühen Fotografien, die vor 1966 und somit vor den ersten Filmarbeiten entstanden sind. Hier lässt sich
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Ferry Radax, Hans Scheugl, Peter Weibel, Kurt Kren, Peter Kubelka, Ernst Schmidt jr. im Filmstudio Praml, 1966
bereits erkennen, dass sich Scheugls Ansätze in beiden Medien überschneiden. Licht und Schatten setzt er in den ersten Porträts zeichenhaft ins Bild. Das Szenische der nächtlichen Wien-Bilder geht über in das Situative der zeitlich daran anschließenden Reiseaufnahmen. Monika Faber, Elisabeth Büttner und Stefan Grissemann setzten sich in ihren Beiträgen mit verschiedenen Aspekten – und mit einzelnen Aufnahmen – der vorfilmischen Jahre von Hans Scheugl auseinander. In den Fotografien wie dann ab 1966 im konzeptuellen Film war Scheugl bestrebt, „den Wirklichkeitsraum zu erweitern“. Im Kontext der Fotografien sind auch Scheugls früheste Filme, der kaum bekannte Erstling Miliz in der Früh (1966) und der Avantgarde-Klassiker Wien 17, Schumanngasse (1967), in der Ausstellung zu sehen. Die in Realzeit gefilmte, knapp dreiminütige Fahrt vom Anfang bis zum Ende der Gasse in Hernals war bereits einmal ein zentrales „Objekt“ in einer Ausstellung des Wien Museums, nämlich bei Wiener Linien – Kunst und Stadtbeobachtung seit 1960 im Jahr 2004. „raum wurde zu zeit, raum als bewegung“, so Peter Weibel 1970 im Bildkompendium Wien.
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Einen Eindruck von Scheugl als genauem Beobachter Wiener Milieus geben drei Serien aus den 1970er-Jahren: Sie entstanden im Überschwemmungsgebiet an der Donau und in Wiener Kommunen. Diese Fotografien wurden 2011 vom Wien Museum erworben und gaben den Impuls zu dieser Ausstellung. Mein besonderer Dank gilt Werner Michael Schwarz, der nicht nur Kurator am Wien Museum ist, sondern sich wiederholt mit den ästhetischen Gegebenheiten von Film und Fotografie befasst hat. Gemeinsam mit Hans Scheugl komponierte er jenen Hauptteil der Schau, der die Fotos der Jahre von 1957 bis 1963 zeigt. Er übernahm auch die Funktion des Herausgebers dieses Katalogbuches. Wichtige Vorarbeiten leistete Lisa Wögenstein. Dank auch an Olaf Osten für die räumliche Gestaltung und das Grafikdesign von Ausstellung und Katalog, an Isabelle Exinger-Lang für die Produktionsleitung und Kerstin Krenn für das Lektorat. Für die filmischen Leihgaben ist dem Österreichischen Filmmuseum und dem Filmverleih Sixpackfilm zu danken.
Standfotos gar nicht imaginierter Filme Hans Scheugl
Hans Scheugl, 1968
abdrückte. Ich gewöhnte mir an, den Wert eines im Sucher wahrgenommenen und durch den Druck auf den Auslöser „gekauften“ Teils der Wirklichkeit genau abzuwägen und damit die Sache auf den Punkt zu bringen.
Als Kind hatte ich eine große Leidenschaft für die vierblättrigen Kinoprogramme der 1930erJahre, die es in Wien in bestimmten Geschäften zu kaufen gab. Auf ihnen breiteten sich durch zahlreiche, ineinander montierte Fotos imaginäre Geschichten aus, die sich in den abgebildeten Gestalten und Schauplätzen verdichteten, ohne jedoch eine Handlung zu ergeben. Ich sah ungleich mehr zeitlich entrückte, geheimnisvolle Fotos, als ich damals Filme sehen konnte, schon allein dadurch, dass das wiederholte Betrachten dieser Bilder nicht so bald ein Ende nahm. Die Künstlichkeit der Filmfotos, deutscher und amerikanischer Filme vor allem, schuf eine imaginäre, wenn auch nicht verständliche Welt mit schimmerndem Licht auf fremden und bald vertrauten Gesichtern in ebenso fremdartiger Umgebung einer vergangenen Zeit. Als ich später einige dieser im Grunde bedeutungslosen Filme zu sehen bekam, war die Enttäuschung groß, denn die starke Wirkung der Fotos ging in dem realen Geschehen auf der Leinwand vollkommen verloren.
Gleichzeitig – und dieser Gedanke wurde mir bald bewusst – war ich bestrebt, das eine Wirklichkeitspartikel, dessen ich habhaft werden wollte, sich in anderen Elementen seiner Umgebung spiegeln zu lassen, um den Wirklichkeitsraum, den ich ja nicht wie im Film durch Schwenks und Zwischenschnitte anreichern konnte, zu erweitern oder richtiger: zu verdichten. Dieses gleichsam verinnerlichte Verfahren habe ich später auch in konzeptuellen Filmen wie Hernals (1967) oder Der Ort der Zeit (1985) angewandt, wo die Gleichzeitigkeit von Wirklichkeiten durch das Zeitelement und den Ton zutage treten konnte. Heute denke ich, dass mein kindliches Studium der Filmbilder dazu beigetragen hat, das „Szenische“ mancher meiner Fotos entstehen zu lassen und sie zu Standfotos gar nicht imaginierter Filme zu machen. Vielleicht sollten auch leere, oft nächtliche Orte sich als „Szenerie“ für ein nicht notwendigerweise vorstellbares Geschehen öffnen (Cottage, 1960).
Als ich mit sechzehn Jahren meinen ersten Fotoapparat kaufen konnte, war die Ästhetik der Filmfotos schon längst bedeutungslos geworden. Ich hatte inzwischen die klassische Vorkriegs- und die neue Magnum-Fotografie kennengelernt, die ersten Fotos von Diane Arbus gesehen und mich von den Pariser Fotos von Ed van der Elsken schwer beeindrucken lassen. Und vor allem begann sich mir die Ikonografie großer Filme einzuprägen. Der Wirklichkeit, die ich, durch die Linse gesehen, vorfand, begegnete ich vorsichtig, d. h. sehr selektiv. Der Grund dafür war, dass Fotografieren teuer war und ich bei einem Motiv fast nie mehr als einmal
Die Ungeduld, den Radius der Fotografie ins Filmische erweitern und ihre als Statik empfundene Geschlossenheit aufheben zu können, führte gerade in den Anfängen, also in den späten 1950er-Jahren, zu einem gewissen experimentellen Umgang mit ihr. Der Anstoß dazu ergab sich vermutlich daraus, dass die Motive vorwiegend aus Menschen meiner Umgebung bestanden und das Vertraute mich ermutigte,
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als Ganzes nicht greifbar wird. Diese gleichsam experimentelle Situation löste sich im „Festhalten“ im Bild nicht wirklich auf. Die eingehende Betrachtung der Fotos im Nachhinein führte zu Momenten des Verstehens, doch die räumliche Distanz und die Komplexität der anderen Wirklichkeiten (wie die zeitliche der Bilder der Kinoprogramme) blieb bestehen. Ich hatte mir ein Bild von anderen Verhältnissen gemacht und darin natürlich auch Spuren meiner eigenen Verhältnisse entdeckt. Aber den Anspruch, mir einen „Überblick“ verschaffen zu können, konnte ich nicht erheben, auch dann nicht, wenn ich in bestimmten Situationen versuchte, in Serien / Bildfolgen zeitliche Abläufe, also die Veränderung und die möglichen Formen ihres Erscheinens, wie in einem Film sichtbar zu machen (Lausanne, 1962 und Cádiz, 1963). Anders als in den Bildern der Kinoprogramme, denen der Film, aus dem sie stammen, zu einem realen Ganzen verhilft, blieb bei den Reisefotos das Realitätspartikel autonom und unangetastet, umso mehr, als es sich aus seiner realen Herkunft durch die Zeit immer weiter entfernte. Fotografie war damals noch etwas Singuläres und nicht eine Flut wie heute. Deshalb bestand auch keine „Vernetzung“ zu einem von allen Seiten bereits determinierten „Weltbild“, durften die Bilder das Geheimnis, das sie noch wie etwas Unfertiges in sich trugen, behalten.
formal darüber hinauszugehen. So setzte ich etwa in dem Doppelporträt Alfred und Ich von 1957 zwei Fotos (und Personen, nämlich mich und einen Freund) zueinander in Beziehung, in der Absicht, durch die spontane Gestik eine psychologische Vertiefung (und Unterscheidung) zu erreichen. Die Unschärfe durch zu lange Belichtungszeit, ursprünglich ein Fehler, setzte ich gezielt ein, um auf bestimmten Fotos Bewegung zu erzeugen (Elisabeth Schindler, 1958). Auch die unbeabsichtigte Doppelbelichtung, entstanden durch das vergessene Weiterrollen der Filmspule, akzeptierte ich als brauchbar (Werner Prückler, 1960). In dieser frühen Phase, noch vor der Zeit in der Filmschule, begann ich mich mit dem Medium der Fotografie, also dem Licht, auseinanderzusetzen: so bei dem Selbstporträt Ich mit Lampe (1958) und bei dem Porträt Ingrid mit Schatten (1959), zwei Fotos, auf denen die Erzeugung von Licht und Schatten selbst thematisiert wird. Um die gleiche Zeit konzipierte ich eine Foto Novela, ein Genre, das ich aus Italien kannte, kam damit aber nicht weit, weil die junge Hauptdarstellerin durch elterliches Verbot gleich wieder abhanden kam. Mein wachsendes filmhistorisches Wissen begann sich als Zitat niederzuschlagen (Golem,1958). Ein Foto von Henri Cartier-Bresson, das ich kannte, zeigt einen Mann, der von einer Leiter, die über einer Wasserlacke liegt, ins Trockene springt. Ich modernisierte das Bild, indem ich – gleichsam abstrahierend – den Springenden wegließ, und versetzte die Leiter (1960) von Paris nach Wien und in die Gegenwart.
Als ich 1966 mit den Filmen begann, brachte das für das Fotografieren eine Zäsur. Fotos wurden zwar als künstlerisches Mittel eingesetzt, dabei aber inhaltlich und nicht formal bestimmt. Ich fotografierte nur mehr sporadisch, in Wien (Überschwemmungsgebiet, 1973; zwei Kommunen, 1973–1974) und immer wieder auf Reisen, aber erst in den 1980er-Jahren, diesmal vor dem Comeback des Filmemachens nach einer langen Pause, gab es wieder eine Phase des intensiven Fotografierens. Es entstanden mehrere Serien von Porträts und Landschaftsaufnahmen, bei denen ich die Unschärfe einsetzte. Diese Fotos sind aber nicht mehr Teil dieser Ausstellung.
In den drei Jahren, in denen ich die Filmschule besuchte, unternahm ich im Sommer im Anschluss an das Geldverdienen in Schweden ausgedehnte Reisen bis nach Nordafrika. Die existenzielle Erfahrung des Reisens und die aus den Situationen sich ergebende Unmittelbarkeit glichen dem Eintritt in einen Kunstraum, der aus einer Fülle von Variablen besteht, aber
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Ingrid mit Schatten, 1959
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Der intensive Blick eines 19-Jährigen. Zu Hans Scheugls frühen Fotografien Monika Faber
Hans Scheugl als wesentlicher Protagonist des Avantgardefilms, einer dessen Heroen: Name und Werk waren mir bewusst, schon als ich mich um 1975 als Kunstgeschichtestudentin erstmals mit der Geschichte der Medien auseinanderzusetzen begann und dementsprechend auch das Filmmuseum frequentierte. Dass Scheugl auch – und sogar noch vor dem Filmen – fotografierte, wusste ich nicht, bis er vor etwa zwei Jahren mit einem Set Bilder vor mir in der Albertina stand, wo ich damals Kuratorin der Fotosammlung war. Scheugl und ich trafen einander also im selben Gebäude, in dem sich das Filmmuseum befindet, jene legendäre Institution der Filmpioniere Peter Kubelka und Peter Konlechner. Zu einer Ausstellung in der Albertina kam es nicht. Dass Scheugls Fotografien nun im Wien Museum gezeigt werden, hat aber etwas Einleuchtendes, vielleicht Logischeres, denn viele davon drehen sich um die Stadt, die den Hintergrund für die Entwicklung des jungen Hans Scheugl zum Querdenker des Films bildete. An der Größe Wiens oder an der Verschwiegenheit der ansässigen Protagonisten im Film-, Foto- oder Kunstbereich kann es aber nicht liegen, dass bis vor Kurzem keine Kunde vom fotografischen Schaffen Scheugls an die Öffentlichkeit drang. Wahrscheinlich hatte er selbst die frühen Bilder aus den Augen verloren, bevor er vor einiger Zeit wieder begann, Fotografien zu machen. Als Filmer, der sich mit der Theorie und Geschichte des eigenen Mediums ausführlich auseinandergesetzt hatte, muss ihm wohl geradezu automatisch die Erinnerung an die eigene frühe Produktion gekommen sein. Er begann sie zu sichten, zu ordnen, sich mit ihr auseinanderzusetzen und suchte die Öffentlich-
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Vivien Leigh, Abfahrt Hotel Sacher, 1957
keit. Und es stellte sich heraus, dass ein guter Teil der frühen Bilder eben da auch entstanden ist, in der Öffentlichkeit, oder besser noch: an öffentlichen Orten, die etwas mit Kunst zu tun hatten. Das ist kein Wunder, der junge Scheugl hatte offene Augen für alles Neue, war gierig danach, neu-gierig sollte man wohl sagen. Dass die Berühmtheiten von Film, Theater und Musik eine unwiderstehliche Anziehung ausüben, galt und gilt für Heranwachsende ganz allgemein. Scheugls Fähigkeit, nicht nur nahe an die Stars heranzukommen, sondern auch ungewöhnlich sprechende Situationen mit seiner Kamera festzuhalten, lässt sich keineswegs in das Schema der üblichen Adabeifotos von Stars pressen. Schon als 17-Jähriger verwendete er einen jener Fotoapparate, die an einer Lederschlaufe um den Hals hängen und einen Blick aus Nabelhöhe suggerieren, so wie das bei dem Blick in das Auto deutlich nachvollziehbar ist, in dem Vivien Leigh und Anthony Quayle sitzen. Sollen wir es als Zufall ansehen, dass Scheugl 1957 die Protagonisten einer international hochgelobten Shakespeare-Produktion fotografierte? Im nächsten Jahr wird er Ella Fitzgerald auf dieselbe Weise „einfangen“.
sondern experimentierte auch aktiv mit ihnen. Scheugl selbst und seine Freundinnen und Freunde dienten als Akteurinnen und Akteure dieser Inszenierungen vor der Kamera. Scheugl trat schon als 17-Jähriger selbst als Regisseur auf. Das lässt sich am Doppelporträt Alfred und Ich (1957) ablesen, in denen durch raffinierte Beleuchtung das Modell einen zweifachen Schatten wirft. Noch spannender allerdings sind die dramatischen Szenen einer Foto Novela (1958), die nicht nur originelle Settings erproben, sondern auch virtuos mit unterschiedlichen Graden der Unschärfe operieren. Vor allem aber zeigen sie eine Ausschnittwahl, die schon an Film-Stills und Filmschnitt erinnert: Jedes Bild verweist nicht nur auf das, was sich eben abspielt, sondern evoziert eine ganze Handlung, vor und nach dem aktuellen Kader.
Deborah Kerr und Yul Brynner, 1958
Auch die Szene um Yul Brynner spricht von einem außerordentlichen Sinn für den „entscheidenden Moment“, der in Wien damals in dem von Franz Hubmann herausgegebenen Magazin magnum gefeiert wurde.
Es gibt ein Bild, das man wunderbar als Beispiel für eine sofort umgesetzte Inspiration heranziehen kann, als eine Art Verbindung zwischen Beobachten und Aktiv-Werden: Hatte der junge Mann schon einen Schulabschluss, als er im April 1959 ins Theater am Fleischmarkt ging? Das spielt natürlich keine Rolle für die Kreativität, mit der sein Blick damals schon ausgestattet war. 1959 hatte er nun bereits eine kleine Kamera, vielleicht eine Leica, die viel mehr den authentischen Weg des menschlichen Blickes simulierte als der vorherige Apparat. Und ums gezielte Sehen – nicht ums Inszenieren wie bei den ganz frühen Doppelporträts oder der Foto Novela – ging es nun hier im Theater. Am Programm stand eine Kunstaktion: Der damals für seine Radikalität berühmte Franzose Georges Mathieu malte vor Publikum. Er hatte den Malakt zum eigentlichen Kunstwerk erklärt, der die auf der Leinwand zurückbleibenden Bilder zum Relikt stempelte. Dass er diese dann doch teuer verkaufte, hat die Faszination von Mathieus Performances nicht verringert. In Wien war die zu bemalende Fläche übrigens 250 × 600 cm groß, die Aktion begann um 22 Uhr 30 und dauerte etwa eine Stunde. Der Ablauf der rasanten Darbietung lässt sich ziemlich genau rekonstruieren, wurde er doch wenige Tage später im Wiener Kurier als Bilderserie publiziert.
Dieser „entscheidende Moment“ – der eigentlich ein Übersetzungsfehler ist, denn Henri CartierBresson, dem der Begriff zugeschrieben wird, nannte ihn im Französischen einen „flüchtigen“ oder „geheimnisvollen“ Moment – ist der zentrale Punkt, um den sich zu dieser Zeit die Diskussion der potenziellen Autonomie der Fotografie als kreativem Medium drehte: Nur das direkte Bild, vom Fotografen der Situation abgelauscht und blitzartig festgehalten, galt als immanent fotografisch. Ob Kriegsschauplatz oder Landpartie, Tanzlokal oder städtische Umgebung, jegliche Manipulation, etwa Eingriffe in die Szene oder auch nur das Beschneiden des Negativs beim Kopieren in der Dunkelkammer, war nicht zulässig. Ob Scheugl von diesen theoretischen Überlegungen nun direkt oder auch nur indirekt informiert war, ist weniger wichtig als die Tatsache, dass er selbst ganz spielerisch mit seinen Bildern den Problempunkt der These berührt: Mit einem sichtlich ausgeprägten Gefühl für das rasche Erkennen der so erwünschten „sprechenden“ Konstellationen im Bild, suchte er solche nicht nur bewusst, 14
Georges Mathieu, 1959
ebenfalls angeregt von der Aktion, nun mit einem kleinen Apparat hantiert. Interessanterweise scheint er nicht auf Mathieu zu blicken, seine ganze Konzentration gilt der Kamera, möglicherweise um seinerseits nicht den Scheugl’schen Fehler der Unschärfe zu begehen.
Dann setzte sich der erschöpfte Künstler direkt vor sein Bild. Rauschte Applaus? Buhten die Wiener? Das lässt sich aus dem Foto Scheugls nicht herauslesen. Doch wir spüren geradezu leiblich, wie es den jungen Begeisterten nicht mehr im Publikum hielt. Er musste den Abstand zum bewunderten Maler überwinden, kniete neben ihm nieder, um sein Foto zu schießen … Ja, schießen ist das richtige Wort, es ging wohl um das Festhalten der Situation, der aufwühlenden Darbietung. Und so erscheint der junge Scheugl kurz in der Rolle eines aktionistischen Fotografen, dessen Kamera der Geschwindigkeit und Intensität des Blickes gar nicht folgen kann: Ein unscharfes Bild ist die Folge. Doch vermittelt gerade die Verwischtheit der Fläche einen viel stärkeren Eindruck vom wahren Vorgang damals, als es wohl die Bilder vermochten, deren Spuren heute wohl nicht zufällig verloren sind. Im Hintergrund steht ein hohes Stativ für einen professionellen Lichtbildner, der aber, anscheinend
Des jungen Fotografen Möglichkeit, den persönlichen Enthusiasmus mit Hilfe des Bildes zu konkretisieren, ist bemerkenswert – aber warum gibt es nur dieses eine Bild und keine ganze Serie? Und nicht weniger spannend: Warum zeigt Scheugl uns nichts davon, was er ja auch fotografiert haben müsste, danach, als Markus Prachensky seinen Auftritt hatte und hunderte Liter roter Farbe flossen? Möglicherweise trat dann hier schon ein Mechanismus zutage, der Scheugls filmisches Werk auszeichnete? Dass er sich schließlich doch mehr fürs Konzept und die rationale Analyse als für die spontane Tat interessierte? 15
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