politik, kun s und alltag t
um 193
0
kampf um die stadt
gegen krise und not für arbeit und brot
kompromisse gibt es nicht, nur einen kampf bis aufs messer.
1
7
die politik trägt berg- und almluft herein, holzigen scheunenhauch. das ist der geist von schladming, unterhollersbach und st. kathrein.2
wir haben erst das vorgelände erobert, die rote festung steht noch.8
die neue stadt
gegen den wiener wasserkopf erhebt sich ein tiroler kropf. 9
3
moderne welt 11
sinnlose stadt
mia weana brauchen kane shimmy
4
bitte um arbeit! von beruf maschineningenieur
10
volkswohnungen – nicht luxusvillen! 12
5
kein wiener kind darf auf zeitungspapier geboren werden6
Wahlplakat der Sozialdemokraten, 1930 Anton Kuh, 1923 3 Titel eines Buches von Josef Luitpold Stern und Otto Rudolf Schatz, 1927 4 Titel eines Romans von Guido Zernatto, 1934 5 Schild eines Arbeitlosen, 1930 6 Zeitschrift Der Kuckuck, Heft 13, 1932
Heimwehrführer Walter Pfriemer, 1929 Heimwehrführer Richard Steidle in Stockerau, 1929 9 Kurt Tucholsky, 1930 10 Wienerlied, 1928 11 Titel einer illustrierten Revue für Kunst, Literatur und Mode, 20er-Jahre 12 Wahlplakat der Sozialdemokraten, 1930
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gegen krise und not für arbeit und brot
kompromisse gibt es nicht, nur einen kampf bis aufs messer.
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die politik trägt berg- und almluft herein, holzigen scheunenhauch. das ist der geist von schladming, unterhollersbach und st. kathrein.2
wir haben erst das vorgelände erobert, die rote festung steht noch.8
die neue stadt
gegen den wiener wasserkopf erhebt sich ein tiroler kropf. 9
3
moderne welt 11
sinnlose stadt
mia weana brauchen kane shimmy
4
bitte um arbeit! von beruf maschineningenieur
10
volkswohnungen – nicht luxusvillen! 12
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kein wiener kind darf auf zeitungspapier geboren werden6
Wahlplakat der Sozialdemokraten, 1930 Anton Kuh, 1923 3 Titel eines Buches von Josef Luitpold Stern und Otto Rudolf Schatz, 1927 4 Titel eines Romans von Guido Zernatto, 1934 5 Schild eines Arbeitlosen, 1930 6 Zeitschrift Der Kuckuck, Heft 13, 1932
Heimwehrführer Walter Pfriemer, 1929 Heimwehrführer Richard Steidle in Stockerau, 1929 9 Kurt Tucholsky, 1930 10 Wienerlied, 1928 11 Titel einer illustrierten Revue für Kunst, Literatur und Mode, 20er-Jahre 12 Wahlplakat der Sozialdemokraten, 1930
1
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8
dieses parlament wird und darf nie wiederkommen.
bubi pyjama modern
14
sie brauchen reklame! 20
13
kauft nicht bei juden!
kampf gegen den faschismus immer und überall!
15
ja, wir sind „reaktionär“ – wir wollen nicht das neue, das da am volkskörper schwärt und wuchert, 21 diese pestbeulen und eiterherde einer kranken afterkunst.
16
jugend heraus! …mit uns zieht die neue zeit!
die österreichische mutter sieht ziel und zweck ihres daseins in der erziehung der ihr anvertrauten kinder.17
die frau ist es müde geworden, das ideal des mannes zu sein.
18
Namen von Keramikfiguren, um 1928 Bundeskanzler Engelbert Dollfuß, 1933 15 Wandaufkleber der NSDAP, 1932 16 Adelheid Popp in Broschüre zum Frauentag 1933 17 Mina Wolfring, Leiterin des Mutterschutzwerks der Vaterländischen Front, 1936 18 Robert Musil, 1929
helft mit im kampf! 19 wählt heimatblock!
22
hoffnung und sehnsucht lässt uns vorwärtsstürmen, sehnsucht nach der welt, der freiheit. 23
13
14
Wahlkampfslogan, 1930 Werbung der Gesellschaft für Graphische Industrie, 1925 21 Friedrich Funder, Reichspost, 1929 22 Wahlplakat der Sozialdemokraten, 1930 23 Elsa Hoffmann in einem Katalog des Vereins Wiener Frauenkunst, 1930 24 Schlagertext von Fritz Grünbaum, 1927 19
20
nimm dir nur ja keine frau vom mississippi 24
dieses parlament wird und darf nie wiederkommen.
bubi pyjama modern
14
sie brauchen reklame! 20
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kauft nicht bei juden!
kampf gegen den faschismus immer und überall!
15
ja, wir sind „reaktionär“ – wir wollen nicht das neue, das da am volkskörper schwärt und wuchert, 21 diese pestbeulen und eiterherde einer kranken afterkunst.
16
jugend heraus! …mit uns zieht die neue zeit!
die österreichische mutter sieht ziel und zweck ihres daseins in der erziehung der ihr anvertrauten kinder.17
die frau ist es müde geworden, das ideal des mannes zu sein.
18
Namen von Keramikfiguren, um 1928 Bundeskanzler Engelbert Dollfuß, 1933 15 Wandaufkleber der NSDAP, 1932 16 Adelheid Popp in Broschüre zum Frauentag 1933 17 Mina Wolfring, Leiterin des Mutterschutzwerks der Vaterländischen Front, 1936 18 Robert Musil, 1929
helft mit im kampf! 19 wählt heimatblock!
22
hoffnung und sehnsucht lässt uns vorwärtsstürmen, sehnsucht nach der welt, der freiheit. 23
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14
Wahlkampfslogan, 1930 Werbung der Gesellschaft für Graphische Industrie, 1925 21 Friedrich Funder, Reichspost, 1929 22 Wahlplakat der Sozialdemokraten, 1930 23 Elsa Hoffmann in einem Katalog des Vereins Wiener Frauenkunst, 1930 24 Schlagertext von Fritz Grünbaum, 1927 19
20
nimm dir nur ja keine frau vom mississippi 24
Ausstellung
Ausstellungsgestaltung
Ausstellungsproduktion
Katalog
Konzept, Kurator Wolfgang Kos
Ausstellungsarchitektur BWM Architekten und Partner Johann Moser Sanja Utech Christoph Panzer
Produktionsleitung Isabelle Exinger
Herausgeber Wolfgang Kos
Assistenz, Objektverwaltung Sandro Fasching Marion Krammer Philip Rohrbach
Redaktion Sándor Békési Martina Nußbaumer Walter Öhlinger
Fotoverwaltung Frauke Kreutler
Gestaltung bauer – konzept & gestaltung Erwin K. Bauer Patrycja Doma´nska Marie-Pascale Gafinen Stephan Göschl Wolfgang Lehrner Manuel Radde Hans Renzler Tobias Werkner
Co-Kurator Niko Wahl Konzeptteam Kurt Bauer Susanne Breuss Peter Eppel Andreas Nierhaus Walter Öhlinger Béla Rásky Ursula Storch Niko Wahl Wissenschaftliche Mitarbeit, Recherchen Kurt Bauer Sándor Békési Susanne Breuss Peter Eppel Sandro Fasching Barbara Feller Ralph Gleis Bernhard Hachleitner Alexandra Hönigmann-Tempelmayr Regina Karner Christian Klösch Marion Krammer Christian Maryška Andreas Nierhaus Herbert Nikitsch Martina Nußbaumer Walter Öhlinger Eva Maria Orosz Christian Rapp Béla Rásky Georg Rigele Philipp Rohrbach Werner Schwarz Gabriele Stöger-Spevak Johannes Stoll Ursula Storch Margarethe Szeless Elke Wikidal Redaktion Ausstellungstexte Martina Nußbaumer Walter Öhlinger Ralph Gleis (Rubrik Neu!)
Grafische Ausstellungsgestaltung bauer – konzept & gestaltung Erwin K. Bauer Žaneta Drgová Patrycja Doma´nska Marie-Pascale Gafinen Birgit Groismaier Wolfgang Lehrner Manuel Radde Monika Rosenkranz Ausstellungsschrift: Reklame Erwin K. Bauer Žaneta Drgová Audiovisuelle Medien ZONE, Wien Holger Reichert Eva Pfaffeneder Federico Campana Peter Gstach Michael Lang Claudia Nussbaumer Jakob Schindegger Cornelia Schöpf Laura Skocek Klaus Taschler c:a:t x conceptual art technologies Günther Schiebeck Andreas Platzer Thomas Beinhofer Hannes Köcher Andreas Unterpertinger Florian Prix
Fotografie, Reproduktionen Faksimile digital Birgit und Peter Kainz Registrar Christiane Rainer Katrin Sippel Restaurierung Karin Maierhofer Christine Maringer Gertrud Wieser Elisabeth Woelfl-Graff Regula Künzli Sascha Höchtl Jill Hewson Monika Freylinger Günter Fröhlich Andrea Hanzal Marguerite Ifsits Viktoria Wagesreiter Ausstellungsaufbau Artex Kunstausstellungsservice Team Wien Museum Koordination Rahmenprogramm Andrea Glatz Christine Strahner
Modelle Roland Stadlbauer Archi-Modell Heinrich Vetter
Lektorat, Übersetzungen scriptophil. die textagentur Miha Tavcˇar Paul Aston AutorInnen Objektteil KB Kurt Bauer SaB Sándor Békési SBr Susanne Breuss PE Peter Eppel BF Barbara Feller RG Ralph Gleis BH Bernhard Hachleitner MH Mirko Herzog RK Regina Karner CK Christian Klösch WK Wolfgang Kos
MK Marion Krammer CM Christian Maryška AN Andreas Nierhaus MN Martina Nußbaumer WÖ Walter Öhlinger EMO Eva Maria Orosz BR Béla Rásky CR Christian Rapp GR Georg Rigele WS Werner Schwarz GST Gabriele Stöger-Spevak JS Johannes Stoll
US Ursula Storch MS Margarethe Szeless NW Niko Wahl Einleitungstexte Wolfgang Kos mit Unterstützung von Kurt Bauer Susanne Breuss Peter Eppel Marion Krammer Christian Maryška
361. Sonderausstellung des Wien Museums Wien Museum im Künstlerhaus 19. November 2009 – 28. März 2010
Fotoredaktion Frauke Kreutler Kazuo Kandutsch Elke Wikidal Produktionsleitung Czernin-Verlag Burghard List Druck Grasl Druck & Neue Medien © 2010 Czernin Verlags GmbH und Wien Museum ISBN: Hardcover 978-3-7076-0316-3 ISBN: Broschur 978-3-7076-0317-0
Cover vorne: Plakat „Österreichische Arbeitsschlacht“, um 1939, DÖW – Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes Cover hinten: Franz Lerch, Mädchen mit Hut, 1928, © Belvedere Herbert Ploberger, „Vor dem Schaufenster“, 1928, Privatbesitz Fotografie von Absperrungen am 1. Mai 1933, © Wien Museum
Andreas Nierhaus Martina Nußbaumer Walter Öhlinger Eva Maria Orosz Béla Rásky Ursula Storch Peter Stuiber
politik, kunst und alltag
um 1930
Lektorat scriptophil. die textagentur Andrea Schaller
Die Quellen aller Abbildungen wurden sorgfältig recherchiert. Sollte uns ein Nachweis entgangen sein, bitten wir Sie, mit dem Wien Museum Kontakt aufzunehmen.
Künstlerischer Beitrag Gustav Deutsch
kampf um die stadt
wolfgang kos
aufsätze 10
Zur Ausstellung
politk & gewalt
peter eigner
20
Absturzgefahr und Sanierungsversuche Zur wirtschaftlich ambivalenten Situation um 1930
deborah holmes lisa silverman
28
Zwischenraum, Zwischenzeit Wien nach 1918
kurt bauer
35
Die kalkulierte Eskalation Nationalsozialismus und Gewalt in Wien um 1930
barry mcloughlin
46
Heimwehr und Schutzbund Ein unentschiedener Kampf der Parteiarmeen?
siegfried mattl
diskussion
64
War Dollfuß ein Faschist? Aus zwei „Standard“-Diskussionen zum Thema Engelbert Dollfuß und Austrofaschismus.
barbara feller
72
Kampf um die Seele Sozialdemokratie und Kirche in der Zwischenkriegszeit
martina nußbaumer
béla rásky
5 4 Die Marke „Rotes Wien“
Politik aus dem Geist der Reklame
79 Sozialistisch, christlich oder „neutral“?
Vom Kampf um die richtige Bildung
87 Choreografie der Massen
Politische Großinszenierungen als neue Bühne für Propaganda und Festkultur
Ausstellung
Ausstellungsgestaltung
Ausstellungsproduktion
Katalog
Konzept, Kurator Wolfgang Kos
Ausstellungsarchitektur BWM Architekten und Partner Johann Moser Sanja Utech Christoph Panzer
Produktionsleitung Isabelle Exinger
Herausgeber Wolfgang Kos
Assistenz, Objektverwaltung Sandro Fasching Marion Krammer Philip Rohrbach
Redaktion Sándor Békési Martina Nußbaumer Walter Öhlinger
Fotoverwaltung Frauke Kreutler
Gestaltung bauer – konzept & gestaltung Erwin K. Bauer Patrycja Doma´nska Marie-Pascale Gafinen Stephan Göschl Wolfgang Lehrner Manuel Radde Hans Renzler Tobias Werkner
Co-Kurator Niko Wahl Konzeptteam Kurt Bauer Susanne Breuss Peter Eppel Andreas Nierhaus Walter Öhlinger Béla Rásky Ursula Storch Niko Wahl Wissenschaftliche Mitarbeit, Recherchen Kurt Bauer Sándor Békési Susanne Breuss Peter Eppel Sandro Fasching Barbara Feller Ralph Gleis Bernhard Hachleitner Alexandra Hönigmann-Tempelmayr Regina Karner Christian Klösch Marion Krammer Christian Maryška Andreas Nierhaus Herbert Nikitsch Martina Nußbaumer Walter Öhlinger Eva Maria Orosz Christian Rapp Béla Rásky Georg Rigele Philipp Rohrbach Werner Schwarz Gabriele Stöger-Spevak Johannes Stoll Ursula Storch Margarethe Szeless Elke Wikidal Redaktion Ausstellungstexte Martina Nußbaumer Walter Öhlinger Ralph Gleis (Rubrik Neu!)
Grafische Ausstellungsgestaltung bauer – konzept & gestaltung Erwin K. Bauer Žaneta Drgová Patrycja Doma´nska Marie-Pascale Gafinen Birgit Groismaier Wolfgang Lehrner Manuel Radde Monika Rosenkranz Ausstellungsschrift: Reklame Erwin K. Bauer Žaneta Drgová Audiovisuelle Medien ZONE, Wien Holger Reichert Eva Pfaffeneder Federico Campana Peter Gstach Michael Lang Claudia Nussbaumer Jakob Schindegger Cornelia Schöpf Laura Skocek Klaus Taschler c:a:t x conceptual art technologies Günther Schiebeck Andreas Platzer Thomas Beinhofer Hannes Köcher Andreas Unterpertinger Florian Prix
Fotografie, Reproduktionen Faksimile digital Birgit und Peter Kainz Registrar Christiane Rainer Katrin Sippel Restaurierung Karin Maierhofer Christine Maringer Gertrud Wieser Elisabeth Woelfl-Graff Regula Künzli Sascha Höchtl Jill Hewson Monika Freylinger Günter Fröhlich Andrea Hanzal Marguerite Ifsits Viktoria Wagesreiter Ausstellungsaufbau Artex Kunstausstellungsservice Team Wien Museum Koordination Rahmenprogramm Andrea Glatz Christine Strahner
Modelle Roland Stadlbauer Archi-Modell Heinrich Vetter
Lektorat, Übersetzungen scriptophil. die textagentur Miha Tavcˇar Paul Aston AutorInnen Objektteil KB Kurt Bauer SaB Sándor Békési SBr Susanne Breuss PE Peter Eppel BF Barbara Feller RG Ralph Gleis BH Bernhard Hachleitner MH Mirko Herzog RK Regina Karner CK Christian Klösch WK Wolfgang Kos
MK Marion Krammer CM Christian Maryška AN Andreas Nierhaus MN Martina Nußbaumer WÖ Walter Öhlinger EMO Eva Maria Orosz BR Béla Rásky CR Christian Rapp GR Georg Rigele WS Werner Schwarz GST Gabriele Stöger-Spevak JS Johannes Stoll
US Ursula Storch MS Margarethe Szeless NW Niko Wahl Einleitungstexte Wolfgang Kos mit Unterstützung von Kurt Bauer Susanne Breuss Peter Eppel Marion Krammer Christian Maryška
361. Sonderausstellung des Wien Museums Wien Museum im Künstlerhaus 19. November 2009 – 28. März 2010
Fotoredaktion Frauke Kreutler Kazuo Kandutsch Elke Wikidal Produktionsleitung Czernin-Verlag Burghard List Druck Grasl Druck & Neue Medien © 2010 Czernin Verlags GmbH und Wien Museum ISBN: Hardcover 978-3-7076-0316-3 ISBN: Broschur 978-3-7076-0317-0
Cover vorne: Plakat „Österreichische Arbeitsschlacht“, um 1939, DÖW – Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes Cover hinten: Franz Lerch, Mädchen mit Hut, 1928, © Belvedere Herbert Ploberger, „Vor dem Schaufenster“, 1928, Privatbesitz Fotografie von Absperrungen am 1. Mai 1933, © Wien Museum
Andreas Nierhaus Martina Nußbaumer Walter Öhlinger Eva Maria Orosz Béla Rásky Ursula Storch Peter Stuiber
politik, kunst und alltag
um 1930
Lektorat scriptophil. die textagentur Andrea Schaller
Die Quellen aller Abbildungen wurden sorgfältig recherchiert. Sollte uns ein Nachweis entgangen sein, bitten wir Sie, mit dem Wien Museum Kontakt aufzunehmen.
Künstlerischer Beitrag Gustav Deutsch
kampf um die stadt
wolfgang kos
aufsätze 10
Zur Ausstellung
politk & gewalt
peter eigner
20
Absturzgefahr und Sanierungsversuche Zur wirtschaftlich ambivalenten Situation um 1930
deborah holmes lisa silverman
28
Zwischenraum, Zwischenzeit Wien nach 1918
kurt bauer
35
Die kalkulierte Eskalation Nationalsozialismus und Gewalt in Wien um 1930
barry mcloughlin
46
Heimwehr und Schutzbund Ein unentschiedener Kampf der Parteiarmeen?
siegfried mattl
diskussion
64
War Dollfuß ein Faschist? Aus zwei „Standard“-Diskussionen zum Thema Engelbert Dollfuß und Austrofaschismus.
barbara feller
72
Kampf um die Seele Sozialdemokratie und Kirche in der Zwischenkriegszeit
martina nußbaumer
béla rásky
5 4 Die Marke „Rotes Wien“
Politik aus dem Geist der Reklame
79 Sozialistisch, christlich oder „neutral“?
Vom Kampf um die richtige Bildung
87 Choreografie der Massen
Politische Großinszenierungen als neue Bühne für Propaganda und Festkultur
stadt/land
sándor békési
98
peter payer 1 46 Die Eroberung der Nacht
susanne breuss
Fotomontage als neues Medium und ihre Bedeutung für Propaganda, Werbung und Kunst
christian klösch 198 Unterhaltung im Übermaß
Grafikdesign und Werbewirtschaft um 1930
marion krammer 192 Neuordnung der Wirklichkeit
Otto Neurath und die Wiener Methode der visuellen Kommunikation
christian maryška 184 Internationales Niveau
Mode, Konsum und Geschlecht um 1930
niko wahl 17 7 Information als Allgemeingut
Neue Frauen, „alte“ Männer
168 Inszenierungen des modernen Körpers
Der Film „Café Elektric“
ernst hanisch 158 Die neue Sachlichkeit der Liebe
Urbane Lichtinszenierungen
elisabeth büttner 15 4 Im Halblicht der Großstadt
Von Trachtlern, Tänzern und Proletariern
moderne zeiten
Rudolf Koppitz und die österreichische Heimatfotografie
herbert nikitsch 137 Heimat in der Stadt
Schnappschüsse der Moderne aus Österreichs Bergen
monika faber 130 Berge statt Kathedralen
Provinzliteratur in der Zwischenkriegszeit
christian rapp 122 Schnelle neue Alpen
Anton Kuh und die Provinzialisierung der Metropole
thomas miessgang 11 4 Schollenduftler im Heimatmuseum
Shrinking City? Stadtbilder und Stadtentwicklung im Wien der Zwischenkriegszeit
walter schübler 108 Weandorf
Die große Zeit der Revue
roman horak 206 Skandalfall Josephine Baker
Das Wiener Gastspiel der „Urwaldamazone“
Die Selbstmordepidemie Zur Zunahme von Suizidfällen in der Zwischenkriegszeit
hannes leidinger 21 4
kunst & kultur
ausstellung Objektverzeichnis
272 Ausstellungsrundgang
raum 1 284 großstadt kontra raum 2 308 provinz
Wien um 1930 Eine fast moderne Großstadt
raum 3 31 4 Projekt Rotes Wien
raum 4 334
raum 5 348 Aus grauer Städte Mauern
raum 6a 358
raum 7 390 zwischen demokratie raum 8 408 und diktatur raum 9 42 4
Wohnbau und Sozialreform
Scholle und Pulverschnee Die Alpen zwischen Pathos und Mode
Neue Medien Ein Arsenal der Waffen
414
raum 11 466 tendenzen in der kunst raum 12 488
raum 13
510
raum 14 530 moderne raum 15 5 48 zeiten
Jahre der Destabilisierung
434
Tendenzen in der Kunst Österreich wird künstlerische Peripherie
Formen der Zeit Eine andere Moderne
Männer, Frauen, Beziehungen Erweiterung der Spielräume
Reklame und Konsum Schöner Schein
raum 17
578
Jonny & Josephine Gegen „Vernegerung“ und „Sittenverfall“
586
Biografien der AutorInnen
andreas nierhaus 2 4 4 Eine kritische Moderne
Rudolf Brunngrabers Roman „Karl und das 20. Jahrhundert“
andrea amort 259 An der Wende
Bauen und Wohnen in Wien um 1930
jon hughes 252 Der kleine Mann und das Zeit-Schicksal
Neoklassizistisches Pathos und gemäßigte Moderne
Zur Situation des künstlerischen Tanzes in Wien um 1930
hermann schlösser 264 Grinzing am Potsdamer Platz
Berlins Anziehungskraft für Wiener Künstler und Intellektuelle
Detektor
Gummiknüppel
Konfliktfelder Kampf der Weltbilder
Fließband
Museum der Stimmen Stilwandel der öffentlichen Rede
gabriele stöger - spevak 235 Skulptur und Politik
Seilbahn Ski mit Stahlkante
375
397
Prekäre Zeiten Instabilität als Dauerzustand
raum 16 564 Jazz, Girls, Kino
Das Barock und die österreichische Identitätskonstruktion in der Zwischenkriegszeit
368
Österreichs Folklorisierung
eva michel 230 Große Vergangenheit
Coloniakübel
Jugendbewegung und Natursehnsucht
wolfgang drechsler 222 Als es modern war, unmodern zu sein antonia hoerschelmann Zur Situation der Bildenden Kunst um 1930
333
Wochenend und Sonnenschein Freizeit am Rande der Stadt
raum 10 426 Kampfplatz Politik
Tankstelle Leuchtschrift
raum 6b 380 Die Heimatmacher
305
Café Elektric Im Halblicht der Stadt
300
Massenvergnügungen
588
Dank
590
Leihgeber
591
Bildnachweis
494
Kaktus
521
Stahlrohrmöbel
541
Dauerwelle Rasierer
543 557 563
Staubsauger Banane
569
Saxophon
stadt/land
sándor békési
98
peter payer 1 46 Die Eroberung der Nacht
susanne breuss
Fotomontage als neues Medium und ihre Bedeutung für Propaganda, Werbung und Kunst
christian klösch 198 Unterhaltung im Übermaß
Grafikdesign und Werbewirtschaft um 1930
marion krammer 192 Neuordnung der Wirklichkeit
Otto Neurath und die Wiener Methode der visuellen Kommunikation
christian maryška 184 Internationales Niveau
Mode, Konsum und Geschlecht um 1930
niko wahl 17 7 Information als Allgemeingut
Neue Frauen, „alte“ Männer
168 Inszenierungen des modernen Körpers
Der Film „Café Elektric“
ernst hanisch 158 Die neue Sachlichkeit der Liebe
Urbane Lichtinszenierungen
elisabeth büttner 15 4 Im Halblicht der Großstadt
Von Trachtlern, Tänzern und Proletariern
moderne zeiten
Rudolf Koppitz und die österreichische Heimatfotografie
herbert nikitsch 137 Heimat in der Stadt
Schnappschüsse der Moderne aus Österreichs Bergen
monika faber 130 Berge statt Kathedralen
Provinzliteratur in der Zwischenkriegszeit
christian rapp 122 Schnelle neue Alpen
Anton Kuh und die Provinzialisierung der Metropole
thomas miessgang 11 4 Schollenduftler im Heimatmuseum
Shrinking City? Stadtbilder und Stadtentwicklung im Wien der Zwischenkriegszeit
walter schübler 108 Weandorf
Die große Zeit der Revue
roman horak 206 Skandalfall Josephine Baker
Das Wiener Gastspiel der „Urwaldamazone“
Die Selbstmordepidemie Zur Zunahme von Suizidfällen in der Zwischenkriegszeit
hannes leidinger 21 4
kunst & kultur
ausstellung Objektverzeichnis
272 Ausstellungsrundgang
raum 1 284 großstadt kontra raum 2 308 provinz
Wien um 1930 Eine fast moderne Großstadt
raum 3 31 4 Projekt Rotes Wien
raum 4 334
raum 5 348 Aus grauer Städte Mauern
raum 6a 358
raum 7 390 zwischen demokratie raum 8 408 und diktatur raum 9 42 4
Wohnbau und Sozialreform
Scholle und Pulverschnee Die Alpen zwischen Pathos und Mode
Neue Medien Ein Arsenal der Waffen
414
raum 11 466 tendenzen in der kunst raum 12 488
raum 13
510
raum 14 530 moderne raum 15 5 48 zeiten
Jahre der Destabilisierung
434
Tendenzen in der Kunst Österreich wird künstlerische Peripherie
Formen der Zeit Eine andere Moderne
Männer, Frauen, Beziehungen Erweiterung der Spielräume
Reklame und Konsum Schöner Schein
raum 17
578
Jonny & Josephine Gegen „Vernegerung“ und „Sittenverfall“
586
Biografien der AutorInnen
andreas nierhaus 2 4 4 Eine kritische Moderne
Rudolf Brunngrabers Roman „Karl und das 20. Jahrhundert“
andrea amort 259 An der Wende
Bauen und Wohnen in Wien um 1930
jon hughes 252 Der kleine Mann und das Zeit-Schicksal
Neoklassizistisches Pathos und gemäßigte Moderne
Zur Situation des künstlerischen Tanzes in Wien um 1930
hermann schlösser 264 Grinzing am Potsdamer Platz
Berlins Anziehungskraft für Wiener Künstler und Intellektuelle
Detektor
Gummiknüppel
Konfliktfelder Kampf der Weltbilder
Fließband
Museum der Stimmen Stilwandel der öffentlichen Rede
gabriele stöger - spevak 235 Skulptur und Politik
Seilbahn Ski mit Stahlkante
375
397
Prekäre Zeiten Instabilität als Dauerzustand
raum 16 564 Jazz, Girls, Kino
Das Barock und die österreichische Identitätskonstruktion in der Zwischenkriegszeit
368
Österreichs Folklorisierung
eva michel 230 Große Vergangenheit
Coloniakübel
Jugendbewegung und Natursehnsucht
wolfgang drechsler 222 Als es modern war, unmodern zu sein antonia hoerschelmann Zur Situation der Bildenden Kunst um 1930
333
Wochenend und Sonnenschein Freizeit am Rande der Stadt
raum 10 426 Kampfplatz Politik
Tankstelle Leuchtschrift
raum 6b 380 Die Heimatmacher
305
Café Elektric Im Halblicht der Stadt
300
Massenvergnügungen
588
Dank
590
Leihgeber
591
Bildnachweis
494
Kaktus
521
Stahlrohrmöbel
541
Dauerwelle Rasierer
543 557 563
Staubsauger Banane
569
Saxophon
zur ausstellung
Die unabhängig vom ritualisierten Erinne-
Arbeiten Themen aus der Zwischenkriegszeit
rungskalender erarbeitete Ausstellung Kampf
behandelt – ohne diese Pionierleistungen wäre ein
um die Stadt versteht sich als breit gefächertes
kombinatorischer Überblick nicht möglich. Beim
Zeitgeschichte- und Kulturpanorama Österreichs
kulturell interessierten Publikum hielten sich In-
zwischen den mittleren 1920er- und den mittleren
teresse und Wissen bisher jedoch in Grenzen. Der
1930er-Jahren mit Fokus auf Wien. Sie führt mit-
goldene Glanz der Marke „Wien um 1900“ hatte
ten hinein in eine von Krisen und unvereinbaren
offenbar eine partielle Blindheit für andere Schlüs-
Visionen bestimmte Transformationsphase im
selphasen der neueren österreichischen Geschichte
kurzen Leben der Ersten Republik, deren Zu-
zur Folge. Den Scheinwerfer verstärkt auf die Zeit
kunft damals auf der Kippe stand. Es waren prekäre
um 1930 zu richten, ist speziell für historische und
Konfliktjahre zwischen Demokratie und Diktatur,
kulturgeschichtliche Museen eine unumgängliche
zwischen Aufbruch und Resignation, zwischen Be-
Herausforderung. Im Vorfeld der Neukonzeption
geisterung für das Neue und dumpfer Provinzialität.
des Wien Museums hat die Ausstellung somit
Vorwärts- und Rückwärtsgang blockierten einander.
auch Laborcharakter – inhaltlich, methodisch und
Ähnlich wie in Deutschland und vielen
gestalterisch.
Ländern Zentraleuropas war auch in Österreich der Ausgang des politischen und ideologischen Kampfes um 1930 noch nicht entschieden. Wirt-
lassen sich auf weltanschauliche Konstanten und
endlich wieder aufwärts zu gehen. Doch der anti-
Tiefenströme zurückführen, die sich im 19. Jahr-
demokratische und antipluralistische Gegenwind
hundert eingefräst haben und den Populisten
wurde spürbar schärfer. Bald sollten sich die Fenster
und Ideologen fortan als Arsenal dienten. Eine
wieder schließen, die noch in den 20er-Jahren
Bedeutungsebene des Ausstellungstitels Kampf
Ausblicke auf neue Freiheiten gewährt hatten.
um die Stadt verweist auf eine zentrale Frontstel-
Gesellschaftspolitisch und kulturell lässt sich um
lung, nämlich auf den Antagonismus zwischen
1930 eine konservative, antimoderne Trendwende
Großstadtkultur und antiurbanen Ressentiments:
registrieren.
Fortschrittskonzepte gegen traditionsgebundenen Weltoffenheit gegen Bodenständigkeit und Heimat-
besonderes Augenmerk galt den schleifenden
kult, liberale Intellektualität gegen mythisches
Veränderungen, den durchgängigen Konstanten
Raunen, emanzipatorisches Freiheitsstreben gegen
und den strukturellen Rahmenbedingungen. Dem
autoritäre Kontrolle, Egalität gegen Hierarchie,
entspricht das Ziel, in einem aus vielen Facetten
Bubikopf gegen Gretelzopf. Der Kampf um die Stadt war nach 1918 ein Kampf
politischen Zeitgeschichte mit Entwicklungslinien
gegen Wien. Nach dem Ende der multinationalen
in Alltag und Lebensstil ebenso zu verknüpfen wie
Monarchie wurde Wien, eine Weltstadt mit starkem
mit Kunst, Architektur, Design, Werbegrafik oder
jüdisch-liberalen Bürgertum und hohem Arbeiteran-
Massenkultur. Es sind vor allem bildgeschichtliche
teil, zur ermatteten Hauptstadt eines ethnisch relativ
Zeugnisse, also Objekte mit ästhetischer Dimensi-
homogenen Kleinstaates, der fast ausschließlich aus
jahre. Neben den Fünfer- und Achterjahren sind im Gedenkritual der
on, denen im Medium Ausstellung entscheidende
ländlich-katholischen Gebieten bestand. Der Gegen
Republik Österreich vor allem 1927 und 1934 zu eingeschliffenen Merk-
Aussagekraft zukommt. Ganz besonders gilt dies
satz Provinz–Großstadt verschärfte sich: Einerseits
daten geworden, zu kanonisierten Chiffren für die „failed democracy“
für eine Schau, in der die Tiefendimension des
wurde gegen die „verjudete“ und „bolschewistische“
der ansonsten in diffuses Grau gehüllten Zwischenkriegszeit. Erinne-
Politischen und die kollektiven Sehnsüchte und
Metropole gehetzt, andererseits befürchtete man eine
rungsjahre bieten Anlässe für Ausstellungen, Bücher oder Tagungen,
Ängste gegensätzlicher soziokultureller Milieus
„Verdorfung“ Wiens. „Die Gesinnungen sind kern
für mahnende Festreden und berechenbare kritische Anmerkungen.
herausgearbeitet werden sollen: Ideologie und „Zeit-
hafter und kleinhorizontiger geworden“, so Anton
Gleichzeitig überlagert jedoch die Zuspitzung auf „besondere“ Jahre
geist“ im Spiegel visueller Codes und Stereotypen.
Kuh 1923: „Die Politik trägt Berg- und Almluft her-
In den vergangenen Jahren haben zahlreiche
ein, holzigen Scheunengeruch […] das ist der Geist
manches und schiebt es ins Off; zudem wird suggeriert, es würde klare Trennlinien zwischen Vorher und Nachher geben.
10
Verwurzelungsmythos, Asphalt gegen Scholle,
bewusst unscharf und offen gehalten. Denn
montierten Epochenpanorama die Hard Facts der
Das historische Erinnern konzentriert sich auf einige wenige Super-
Fast alle Konfliktlinien der Zwischenkriegszeit
schaftlich schien es in den späten 20er-Jahren
Die Periodisierungsangabe „um 1930“ ist
„Um 1930“
Asphalt gegen Scholle
wichtige Ausstellungen und wissenschaftliche
von Schladming, Unterhollersbach und St. Kathrein.“
wolfgang kos • Zur Ausstellung
11
zur ausstellung
Die unabhängig vom ritualisierten Erinne-
Arbeiten Themen aus der Zwischenkriegszeit
rungskalender erarbeitete Ausstellung Kampf
behandelt – ohne diese Pionierleistungen wäre ein
um die Stadt versteht sich als breit gefächertes
kombinatorischer Überblick nicht möglich. Beim
Zeitgeschichte- und Kulturpanorama Österreichs
kulturell interessierten Publikum hielten sich In-
zwischen den mittleren 1920er- und den mittleren
teresse und Wissen bisher jedoch in Grenzen. Der
1930er-Jahren mit Fokus auf Wien. Sie führt mit-
goldene Glanz der Marke „Wien um 1900“ hatte
ten hinein in eine von Krisen und unvereinbaren
offenbar eine partielle Blindheit für andere Schlüs-
Visionen bestimmte Transformationsphase im
selphasen der neueren österreichischen Geschichte
kurzen Leben der Ersten Republik, deren Zu-
zur Folge. Den Scheinwerfer verstärkt auf die Zeit
kunft damals auf der Kippe stand. Es waren prekäre
um 1930 zu richten, ist speziell für historische und
Konfliktjahre zwischen Demokratie und Diktatur,
kulturgeschichtliche Museen eine unumgängliche
zwischen Aufbruch und Resignation, zwischen Be-
Herausforderung. Im Vorfeld der Neukonzeption
geisterung für das Neue und dumpfer Provinzialität.
des Wien Museums hat die Ausstellung somit
Vorwärts- und Rückwärtsgang blockierten einander.
auch Laborcharakter – inhaltlich, methodisch und
Ähnlich wie in Deutschland und vielen
gestalterisch.
Ländern Zentraleuropas war auch in Österreich der Ausgang des politischen und ideologischen Kampfes um 1930 noch nicht entschieden. Wirt-
lassen sich auf weltanschauliche Konstanten und
endlich wieder aufwärts zu gehen. Doch der anti-
Tiefenströme zurückführen, die sich im 19. Jahr-
demokratische und antipluralistische Gegenwind
hundert eingefräst haben und den Populisten
wurde spürbar schärfer. Bald sollten sich die Fenster
und Ideologen fortan als Arsenal dienten. Eine
wieder schließen, die noch in den 20er-Jahren
Bedeutungsebene des Ausstellungstitels Kampf
Ausblicke auf neue Freiheiten gewährt hatten.
um die Stadt verweist auf eine zentrale Frontstel-
Gesellschaftspolitisch und kulturell lässt sich um
lung, nämlich auf den Antagonismus zwischen
1930 eine konservative, antimoderne Trendwende
Großstadtkultur und antiurbanen Ressentiments:
registrieren.
Fortschrittskonzepte gegen traditionsgebundenen Weltoffenheit gegen Bodenständigkeit und Heimat-
besonderes Augenmerk galt den schleifenden
kult, liberale Intellektualität gegen mythisches
Veränderungen, den durchgängigen Konstanten
Raunen, emanzipatorisches Freiheitsstreben gegen
und den strukturellen Rahmenbedingungen. Dem
autoritäre Kontrolle, Egalität gegen Hierarchie,
entspricht das Ziel, in einem aus vielen Facetten
Bubikopf gegen Gretelzopf. Der Kampf um die Stadt war nach 1918 ein Kampf
politischen Zeitgeschichte mit Entwicklungslinien
gegen Wien. Nach dem Ende der multinationalen
in Alltag und Lebensstil ebenso zu verknüpfen wie
Monarchie wurde Wien, eine Weltstadt mit starkem
mit Kunst, Architektur, Design, Werbegrafik oder
jüdisch-liberalen Bürgertum und hohem Arbeiteran-
Massenkultur. Es sind vor allem bildgeschichtliche
teil, zur ermatteten Hauptstadt eines ethnisch relativ
Zeugnisse, also Objekte mit ästhetischer Dimensi-
homogenen Kleinstaates, der fast ausschließlich aus
jahre. Neben den Fünfer- und Achterjahren sind im Gedenkritual der
on, denen im Medium Ausstellung entscheidende
ländlich-katholischen Gebieten bestand. Der Gegen
Republik Österreich vor allem 1927 und 1934 zu eingeschliffenen Merk-
Aussagekraft zukommt. Ganz besonders gilt dies
satz Provinz–Großstadt verschärfte sich: Einerseits
daten geworden, zu kanonisierten Chiffren für die „failed democracy“
für eine Schau, in der die Tiefendimension des
wurde gegen die „verjudete“ und „bolschewistische“
der ansonsten in diffuses Grau gehüllten Zwischenkriegszeit. Erinne-
Politischen und die kollektiven Sehnsüchte und
Metropole gehetzt, andererseits befürchtete man eine
rungsjahre bieten Anlässe für Ausstellungen, Bücher oder Tagungen,
Ängste gegensätzlicher soziokultureller Milieus
„Verdorfung“ Wiens. „Die Gesinnungen sind kern
für mahnende Festreden und berechenbare kritische Anmerkungen.
herausgearbeitet werden sollen: Ideologie und „Zeit-
hafter und kleinhorizontiger geworden“, so Anton
Gleichzeitig überlagert jedoch die Zuspitzung auf „besondere“ Jahre
geist“ im Spiegel visueller Codes und Stereotypen.
Kuh 1923: „Die Politik trägt Berg- und Almluft her-
In den vergangenen Jahren haben zahlreiche
ein, holzigen Scheunengeruch […] das ist der Geist
manches und schiebt es ins Off; zudem wird suggeriert, es würde klare Trennlinien zwischen Vorher und Nachher geben.
10
Verwurzelungsmythos, Asphalt gegen Scholle,
bewusst unscharf und offen gehalten. Denn
montierten Epochenpanorama die Hard Facts der
Das historische Erinnern konzentriert sich auf einige wenige Super-
Fast alle Konfliktlinien der Zwischenkriegszeit
schaftlich schien es in den späten 20er-Jahren
Die Periodisierungsangabe „um 1930“ ist
„Um 1930“
Asphalt gegen Scholle
wichtige Ausstellungen und wissenschaftliche
von Schladming, Unterhollersbach und St. Kathrein.“
wolfgang kos • Zur Ausstellung
11
Mit dem Ziel, „neue Menschen“ in einer „neuen
zeichnet von Brutalisierung und Militarisierung
Stadt“ zu schaffen, wurde in Wien ein international
der politischen Kultur – eine „Periode latenten
beachtetes sozialpolitisches Reformprojekt realisiert.
Bürgerkriegs“ (Gerhard Botz), die schließlich in
Es existierten in Österreich bis zum Verbot der
die austrofaschistische Diktatur mündete. Gewalt-
Sozialdemokratie 1934 de facto zwei sich gegen
bereitschaft, von Hass bestimmte Agitation und
läufig entwickelnde „Teilstaaten“: Rotes Wien
blutige Scharmützel zwischen Rot, Schwarz und
gegen christlich-konservatives Alpenösterreich –
Braun bestimmten das Klima. Nicht erst 1938 kam
das war das große Duell der Jahre um 1930.
es zu antisemitischen Exzessen.
Kampffeld Straße
Moderne Zeiten
Der Titel Kampf um die Stadt bezieht sich auch
Im urbanen wie im privaten Alltag vollzog sich
auf die Auseinandersetzungen im und um den
in den 20er-Jahren ein erstaunlicher Moderni-
öffentlichen Raum: die Straße als Kampfzone,
sierungsschub. Das Leben wurde dynamischer,
das Ringen um Diskurshegemonie auch als Frage
schneller und greller. Worte wie „Weekend“, „Jazz“
territorialer Besetzungen. „Kein Fleckerl, das
oder „Girl“ fanden Eingang in die Alltagssprache,
nicht agitierte“, so eine Zeitung über das Parolen-
elektrische Beleuchtung löste das Gaslicht ab.
geschrei. Martialische Aufmärsche gehörten zum
Lichtreklame veränderte das Stadtbild, Rationali-
Alltagsbild der Stadt. Ähnlich wie massenwirksam
sierung die Arbeitswelt, neue Medien wie Radio die
inszenierte Großveranstaltungen sollten sie nach
Kommunikation, neue Bedürfnisse und Produkte
innen bestärkend und nach außen bedrohlich
die Konsumgewohnheiten, die Faszination für
wirken.
alles „Amerikanische“ das Vergnügungsangebot.
Österreich war um 1930 ein ideologisches
Vorübergehend schien eine Neuordnung der Ge-
Minenfeld: Divergierende Weltbilder, Werthal-
schlechterbeziehungen zur Disposition zu stehen,
tungen und Zukunftskonzepte standen einan-
Populärkultur und Mode gaben sich erstaunlich
der gegenüber, starre Feindbilder ließen kaum
frivol. All das stand im Kontrast zur mühsamen
Spielraum für Bemühungen um Ausgleich. Zudem
Alltagsbewältigung breiter Bevölkerungsschichten.
fehlte ein Konsens über die nationale Identität. Die
Zahlreiche dieser epochalen Neuerungen, die
Ausstellung versucht, eine Topografie der ideo-
bis heute wirksam sind, rückt die Ausstellung in
logischen und gesellschaftspolitischen Konflikt-
den Blick: Quer durch die Themenlandschaft ver-
linien und Risse zu zeichnen, die durch nahezu
weist die Rubrik „Neu!“ punktuell auf folgenreiche
alle – auch scheinbar politikferne – Lebensbereiche
Innovationen und ihre Auswirkungen auf die All-
gingen. Die wirtschaftlichen und sozialen Ver-
tagspraxis. Auf der Liste findet sich der Staubsauger
hältnisse waren instabil, Elend und Not standen
ebenso wie das Fließband.
im scharfen Kontrast zum Glamour der Unterhal-
Großes Augenmerk gilt jenen Medien, die in der
tungskultur und zur demonstrativen Mondänität
Zwischenkriegszeit Kommunikation und Wahr-
einer schmalen Oberschicht. Wirtschaftskrisen
nehmung entscheidend verändert haben. Heute
und konstant hohe Arbeitslosenzahlen hatten
vermögen sie die ästhetische Physiognomie jener
soziale Deklassierung und Verunsicherung breiter
Jahre am unmittelbarsten zu vermitteln: Pressefo-
Bevölkerungsschichten zur Folge. Faschistische
tografie, Plakatgrafik und Film. Passagen aus Spiel-
Tendenzen bekamen Rückenwind, ein zunehmend
filmen sind in den Ausstellungsparcours ebenso
offensiver Antisemitismus war fest im politischen
eingebaut wie Werbefilme oder dokumentarisches
Mainstream verankert und stellte eine Konstante
und propagandistisches Material. Manches davon
des öffentlichen Lebens dar.
war noch nie zu sehen – so hat der Filmkünstler
Spätestens mit dem Fanal des brennenden Justiz palastes im Jahr 1927, als die Sicherheitswache
Gustav Deutsch etwa kürzlich gefundene Privatfilme montiert.
wahllos in die Menge schoss, begann – gekenn-
12
wolfgang kos • Zur Ausstellung
13
Technische Museum. Die Ausstellung bot zudem
Eine besondere Herausforderung war der K atalog:
die Gelegenheit, hunderte von selten oder nie ge-
Beharrlich haben wir am Ziel festgehalten, einen
zeigten Objekten aus den reichen und vielfältigen
„echten“ Ausstellungskatalog zu produzieren, in
Beständen des Wien Museums zu präsentieren.
dem alle Exponate minuziös dokumentiert, aber
Darunter finden sich wichtige Werke der österrei-
auch alle Raum- und Bereichstexte nachzulesen
chischen Kunst ebenso wie einzigartige Zeugnisse
sind – um einen möglichst umfassenden Transfer
der Wiener Alltagsgeschichte. Enorm waren spezi-
der Ausstellung ins Medium Buch zu gewährleis-
ell die Anforderungen an die Restauratorinnen.
ten. Mein Dank gilt den AutorInnen der Aufsätze
Als essenziell erwies sich der intensive D ialog
ebenso wie Sándor Békesi, Martina Nußbaumer
mit den Gestaltungsbüros bwm architekten
und Walter Öhlinger für die redaktionelle Feinar-
(Johann Moser und Team) und bauer konzept &
beit, Frauke Kreutler für die Fotokoordination und
gestaltung (Erwin Bauer und Team). Beide ste-
Andrea Schaller für das Lektorat. Und natürlich
hen – ebenso wie die Mediengestalter von Zone
dem Czernin-Verlag.
Wien – paradigmatisch für das außerordentliche
Last but not least danke ich den nicht unmittel-
Niveau des Ausstellungmachens in Wien. Mit
bar an der Ausstellung beteiligten KollegInnen, die
ihnen zusammenzuarbeiten war einmal mehr eine
mit der außergewöhnlichen Situation umzugehen
bereichernde Erfahrung. Dank der differenzier-
hatten, dass ein Museumsdirektor über Monate
ten räumlichen Inszenierung und der Stringenz
hinweg als Kurator in ein fast alle Energie bean-
des grafischen Kommunikationsdesigns hat die
spruchendes Ausstellungsprojekt „abtauchte“.
Ausstellung Kohärenz und strukturelle Klarheit
Ein spezieller Dank auch an meine Familie.
bekommen. Sogar eine eigene, leitmotivisch eingesetzte Schrift wurde entwickelt, die auch als
wolfgang kos
Hommage an den typografischen Ideenreichtum
Kurator Kampf um die Stadt
der Zwischenkriegszeit zu lesen ist.
Direktor Wien Museum
16
Projektskizzen von Wolfgang Kos
wolfgang kos • Zur Ausstellung
17
Die Ausstellung präsentiert rund 200 Kunstwerke, die auf verschiedene Weise befragt wer-
Dank Wenn man sich auf ein tendenziell uferloses
den. Es gibt Themenensembles, in die Gemälde
Projekt einlässt, unterschätzt man anfangs die
und Grafiken unterschiedlicher Qualität als
Komplexität des Vorhabens. Auf dem langen Weg
bildgeschichtliche Zeitdokumente und Bedeu-
zur Realisierung dieser Ausstellung gab es unend-
tungsspeicher integriert sind – beispielsweise
lich viele Weggabelungen, Richtungsentschei-
um Zeittypisches und symbolisch-ideologische
de und Feinjustierungen. Angesichts der Fülle
Einschreibungen herauszuarbeiten. Um einen
an Material ging es darum, die übergeordneten
Überblick über das künstlerische Schaffen der
Intentionen und Kernfragen nicht aus dem Auge
Zwischenkriegszeit anzubieten, sind aber auch
zu verlieren. Ein Blick auf die Seite mit den Namen
exklusive Präsentationen von – thematisch und
der Mitwirkenden zeigt, wie viele Personen an die-
monografisch gruppierten – bedeutenden Wer-
sem Prozess beteiligt waren. Ihnen allen habe ich
ken in die Ausstellung eingehängt. Die Risse, die
für ihr unermüdliches Engagement zu danken, mit
durch die Gesellschaft gingen – auch der Konflikt
dem sie ihre Erfahrung, Kompetenz und Kreativi-
Großstadt–Provinz –, sind nicht zuletzt in der
tät einbrachten.
Kunstproduktion spürbar. Das Reaktionäre ließ dem Neuen wenig Spielraum.
Eine Ausstellung mit einem derart generalistischen, ja tollkühnen Ansatz kann nur gelingen, wenn man das Glück hat, im wissenschaftlichen
Dramaturgie der Kontraste Das Narrativ der Ausstellung entwickelt sich
und weit darüber hinaus – zu haben, die sich auch
entlang von Leitfragen und Thesen, die Struktur
auf unkonventionelle Fragestellungen einlassen.
ist modular. Ausgewählte Aspekte kommen
Konzept und „Drehbuch“ wurden permanent in
schlaglichtartig ins Blickfeld, um auf assoziative
Frage gestellt und präzisiert. Meinem Ko-Kurator
Weise ein Ganzes zu ergeben, allerdings ohne
Niko Wahl habe ich dafür zu danken, dass er mich
Verpflichtung zum Enzyklopädischen und mit
bei der Verknüpfung der vielen Fäden unterstützte.
Mut zur Lücke.
Die Ausstellung wäre aber auch nie ans Ziel
Die einzelnen Kapitel haben möglichst klar
gekommen, würde es im Wien Museum nicht ein
gefasste Themenbögen, mit Subthemen, über-
so exzellentes Produktionsteam geben. Stellver-
raschenden Kontrapunkten und Zooms auf
tretend für alle, die mit Präzision, Pragmatik und
Spezielles. Immer wieder – manchmal drastisch
Improvisationstalent das Projekt bis zum Herz-
– wechseln bei Themenführung und Präsentation
schlagfinale auf Kurs hielten, bedanke ich mich
Erscheinungsbild und „Raumklima“. So wird etwa
bei Isabelle Exinger. Dank auch dem Auf bauteam
im „Museum der Stimmen“ der Gestus der Zeit
und dem Künstlerhaus, dessen wunderbare Aus-
ausschließlich durch Tondokumente vermittelt.
stellungsräume das Wien Museum einmal mehr
Primär ist die Ausstellung als flanierende Erkun-
anmietete.
dung einer wenig bekannten Epoche konzipiert,
Im Anhang des Katalogs findet sich eine
immer wieder werden jedoch Angebote zur Vertie-
imposante Liste von Leihgebern. Die Kooperati-
fung gemacht. Möglichst oft soll das Publikum den
onsbereitschaft der österreichischen Museen und
Eindruck haben, dass es auf dem langen Weg durch
Archive sowie vieler privater Sammlungen war
die 17 Räume Schlusspunkte und Neuanfänge gibt.
beeindruckend. Danke für das Vertrauen! Ange-
De facto besteht die Ausstellung aus vier mitei-
14
Team so viele ExpertInnen – aus dem Museum
sichts des Spektrums der gezeigten Kunstwerke
nander kommunizierenden, aber unterschiedlich
kann man geradezu von einem „Gipfeltreffen“
fokussierten Teilausstellungen: „Großstadt gegen
sprechen. Hervorheben möchte ich auf Grund der
Provinz“ (Räume 1 bis 6), „Demokratie gegen Dik-
großen Zahl ihrer Leihgaben die Österreichische
tatur“ (7 bis 11), „Tendenzen in der Kunst“ (12) und
Nationalbibliothek, die Plakatsammlung der
„Moderne Zeiten“ (13 bis 17).
Wienbibliothek im Rathaus, das Belvedere und das
wolfgang kos • Zur Ausstellung 15
Die Ausstellung präsentiert rund 200 Kunstwerke, die auf verschiedene Weise befragt wer-
Dank Wenn man sich auf ein tendenziell uferloses
den. Es gibt Themenensembles, in die Gemälde
Projekt einlässt, unterschätzt man anfangs die
und Grafiken unterschiedlicher Qualität als
Komplexität des Vorhabens. Auf dem langen Weg
bildgeschichtliche Zeitdokumente und Bedeu-
zur Realisierung dieser Ausstellung gab es unend-
tungsspeicher integriert sind – beispielsweise
lich viele Weggabelungen, Richtungsentschei-
um Zeittypisches und symbolisch-ideologische
de und Feinjustierungen. Angesichts der Fülle
Einschreibungen herauszuarbeiten. Um einen
an Material ging es darum, die übergeordneten
Überblick über das künstlerische Schaffen der
Intentionen und Kernfragen nicht aus dem Auge
Zwischenkriegszeit anzubieten, sind aber auch
zu verlieren. Ein Blick auf die Seite mit den Namen
exklusive Präsentationen von – thematisch und
der Mitwirkenden zeigt, wie viele Personen an die-
monografisch gruppierten – bedeutenden Wer-
sem Prozess beteiligt waren. Ihnen allen habe ich
ken in die Ausstellung eingehängt. Die Risse, die
für ihr unermüdliches Engagement zu danken, mit
durch die Gesellschaft gingen – auch der Konflikt
dem sie ihre Erfahrung, Kompetenz und Kreativi-
Großstadt–Provinz –, sind nicht zuletzt in der
tät einbrachten.
Kunstproduktion spürbar. Das Reaktionäre ließ dem Neuen wenig Spielraum.
Eine Ausstellung mit einem derart generalistischen, ja tollkühnen Ansatz kann nur gelingen, wenn man das Glück hat, im wissenschaftlichen
Dramaturgie der Kontraste Das Narrativ der Ausstellung entwickelt sich
und weit darüber hinaus – zu haben, die sich auch
entlang von Leitfragen und Thesen, die Struktur
auf unkonventionelle Fragestellungen einlassen.
ist modular. Ausgewählte Aspekte kommen
Konzept und „Drehbuch“ wurden permanent in
schlaglichtartig ins Blickfeld, um auf assoziative
Frage gestellt und präzisiert. Meinem Ko-Kurator
Weise ein Ganzes zu ergeben, allerdings ohne
Niko Wahl habe ich dafür zu danken, dass er mich
Verpflichtung zum Enzyklopädischen und mit
bei der Verknüpfung der vielen Fäden unterstützte.
Mut zur Lücke.
Die Ausstellung wäre aber auch nie ans Ziel
Die einzelnen Kapitel haben möglichst klar
gekommen, würde es im Wien Museum nicht ein
gefasste Themenbögen, mit Subthemen, über-
so exzellentes Produktionsteam geben. Stellver-
raschenden Kontrapunkten und Zooms auf
tretend für alle, die mit Präzision, Pragmatik und
Spezielles. Immer wieder – manchmal drastisch
Improvisationstalent das Projekt bis zum Herz-
– wechseln bei Themenführung und Präsentation
schlagfinale auf Kurs hielten, bedanke ich mich
Erscheinungsbild und „Raumklima“. So wird etwa
bei Isabelle Exinger. Dank auch dem Auf bauteam
im „Museum der Stimmen“ der Gestus der Zeit
und dem Künstlerhaus, dessen wunderbare Aus-
ausschließlich durch Tondokumente vermittelt.
stellungsräume das Wien Museum einmal mehr
Primär ist die Ausstellung als flanierende Erkun-
anmietete.
dung einer wenig bekannten Epoche konzipiert,
Im Anhang des Katalogs findet sich eine
immer wieder werden jedoch Angebote zur Vertie-
imposante Liste von Leihgebern. Die Kooperati-
fung gemacht. Möglichst oft soll das Publikum den
onsbereitschaft der österreichischen Museen und
Eindruck haben, dass es auf dem langen Weg durch
Archive sowie vieler privater Sammlungen war
die 17 Räume Schlusspunkte und Neuanfänge gibt.
beeindruckend. Danke für das Vertrauen! Ange-
De facto besteht die Ausstellung aus vier mitei-
14
Team so viele ExpertInnen – aus dem Museum
sichts des Spektrums der gezeigten Kunstwerke
nander kommunizierenden, aber unterschiedlich
kann man geradezu von einem „Gipfeltreffen“
fokussierten Teilausstellungen: „Großstadt gegen
sprechen. Hervorheben möchte ich auf Grund der
Provinz“ (Räume 1 bis 6), „Demokratie gegen Dik-
großen Zahl ihrer Leihgaben die Österreichische
tatur“ (7 bis 11), „Tendenzen in der Kunst“ (12) und
Nationalbibliothek, die Plakatsammlung der
„Moderne Zeiten“ (13 bis 17).
Wienbibliothek im Rathaus, das Belvedere und das
wolfgang kos • Zur Ausstellung 15
Mit dem Ziel, „neue Menschen“ in einer „neuen
zeichnet von Brutalisierung und Militarisierung
Stadt“ zu schaffen, wurde in Wien ein international
der politischen Kultur – eine „Periode latenten
beachtetes sozialpolitisches Reformprojekt realisiert.
Bürgerkriegs“ (Gerhard Botz), die schließlich in
Es existierten in Österreich bis zum Verbot der
die austrofaschistische Diktatur mündete. Gewalt-
Sozialdemokratie 1934 de facto zwei sich gegen
bereitschaft, von Hass bestimmte Agitation und
läufig entwickelnde „Teilstaaten“: Rotes Wien
blutige Scharmützel zwischen Rot, Schwarz und
gegen christlich-konservatives Alpenösterreich –
Braun bestimmten das Klima. Nicht erst 1938 kam
das war das große Duell der Jahre um 1930.
es zu antisemitischen Exzessen.
Kampffeld Straße
Moderne Zeiten
Der Titel Kampf um die Stadt bezieht sich auch
Im urbanen wie im privaten Alltag vollzog sich
auf die Auseinandersetzungen im und um den
in den 20er-Jahren ein erstaunlicher Moderni-
öffentlichen Raum: die Straße als Kampfzone,
sierungsschub. Das Leben wurde dynamischer,
das Ringen um Diskurshegemonie auch als Frage
schneller und greller. Worte wie „Weekend“, „Jazz“
territorialer Besetzungen. „Kein Fleckerl, das
oder „Girl“ fanden Eingang in die Alltagssprache,
nicht agitierte“, so eine Zeitung über das Parolen-
elektrische Beleuchtung löste das Gaslicht ab.
geschrei. Martialische Aufmärsche gehörten zum
Lichtreklame veränderte das Stadtbild, Rationali-
Alltagsbild der Stadt. Ähnlich wie massenwirksam
sierung die Arbeitswelt, neue Medien wie Radio die
inszenierte Großveranstaltungen sollten sie nach
Kommunikation, neue Bedürfnisse und Produkte
innen bestärkend und nach außen bedrohlich
die Konsumgewohnheiten, die Faszination für
wirken.
alles „Amerikanische“ das Vergnügungsangebot.
Österreich war um 1930 ein ideologisches
Vorübergehend schien eine Neuordnung der Ge-
Minenfeld: Divergierende Weltbilder, Werthal-
schlechterbeziehungen zur Disposition zu stehen,
tungen und Zukunftskonzepte standen einan-
Populärkultur und Mode gaben sich erstaunlich
der gegenüber, starre Feindbilder ließen kaum
frivol. All das stand im Kontrast zur mühsamen
Spielraum für Bemühungen um Ausgleich. Zudem
Alltagsbewältigung breiter Bevölkerungsschichten.
fehlte ein Konsens über die nationale Identität. Die
Zahlreiche dieser epochalen Neuerungen, die
Ausstellung versucht, eine Topografie der ideo-
bis heute wirksam sind, rückt die Ausstellung in
logischen und gesellschaftspolitischen Konflikt-
den Blick: Quer durch die Themenlandschaft ver-
linien und Risse zu zeichnen, die durch nahezu
weist die Rubrik „Neu!“ punktuell auf folgenreiche
alle – auch scheinbar politikferne – Lebensbereiche
Innovationen und ihre Auswirkungen auf die All-
gingen. Die wirtschaftlichen und sozialen Ver-
tagspraxis. Auf der Liste findet sich der Staubsauger
hältnisse waren instabil, Elend und Not standen
ebenso wie das Fließband.
im scharfen Kontrast zum Glamour der Unterhal-
Großes Augenmerk gilt jenen Medien, die in der
tungskultur und zur demonstrativen Mondänität
Zwischenkriegszeit Kommunikation und Wahr-
einer schmalen Oberschicht. Wirtschaftskrisen
nehmung entscheidend verändert haben. Heute
und konstant hohe Arbeitslosenzahlen hatten
vermögen sie die ästhetische Physiognomie jener
soziale Deklassierung und Verunsicherung breiter
Jahre am unmittelbarsten zu vermitteln: Pressefo-
Bevölkerungsschichten zur Folge. Faschistische
tografie, Plakatgrafik und Film. Passagen aus Spiel-
Tendenzen bekamen Rückenwind, ein zunehmend
filmen sind in den Ausstellungsparcours ebenso
offensiver Antisemitismus war fest im politischen
eingebaut wie Werbefilme oder dokumentarisches
Mainstream verankert und stellte eine Konstante
und propagandistisches Material. Manches davon
des öffentlichen Lebens dar.
war noch nie zu sehen – so hat der Filmkünstler
Spätestens mit dem Fanal des brennenden Justiz palastes im Jahr 1927, als die Sicherheitswache
Gustav Deutsch etwa kürzlich gefundene Privatfilme montiert.
wahllos in die Menge schoss, begann – gekenn-
12
wolfgang kos • Zur Ausstellung
13
Technische Museum. Die Ausstellung bot zudem
Eine besondere Herausforderung war der K atalog:
die Gelegenheit, hunderte von selten oder nie ge-
Beharrlich haben wir am Ziel festgehalten, einen
zeigten Objekten aus den reichen und vielfältigen
„echten“ Ausstellungskatalog zu produzieren, in
Beständen des Wien Museums zu präsentieren.
dem alle Exponate minuziös dokumentiert, aber
Darunter finden sich wichtige Werke der österrei-
auch alle Raum- und Bereichstexte nachzulesen
chischen Kunst ebenso wie einzigartige Zeugnisse
sind – um einen möglichst umfassenden Transfer
der Wiener Alltagsgeschichte. Enorm waren spezi-
der Ausstellung ins Medium Buch zu gewährleis-
ell die Anforderungen an die Restauratorinnen.
ten. Mein Dank gilt den AutorInnen der Aufsätze
Als essenziell erwies sich der intensive D ialog
ebenso wie Sándor Békesi, Martina Nußbaumer
mit den Gestaltungsbüros bwm architekten
und Walter Öhlinger für die redaktionelle Feinar-
(Johann Moser und Team) und bauer konzept &
beit, Frauke Kreutler für die Fotokoordination und
gestaltung (Erwin Bauer und Team). Beide ste-
Andrea Schaller für das Lektorat. Und natürlich
hen – ebenso wie die Mediengestalter von Zone
dem Czernin-Verlag.
Wien – paradigmatisch für das außerordentliche
Last but not least danke ich den nicht unmittel-
Niveau des Ausstellungmachens in Wien. Mit
bar an der Ausstellung beteiligten KollegInnen, die
ihnen zusammenzuarbeiten war einmal mehr eine
mit der außergewöhnlichen Situation umzugehen
bereichernde Erfahrung. Dank der differenzier-
hatten, dass ein Museumsdirektor über Monate
ten räumlichen Inszenierung und der Stringenz
hinweg als Kurator in ein fast alle Energie bean-
des grafischen Kommunikationsdesigns hat die
spruchendes Ausstellungsprojekt „abtauchte“.
Ausstellung Kohärenz und strukturelle Klarheit
Ein spezieller Dank auch an meine Familie.
bekommen. Sogar eine eigene, leitmotivisch eingesetzte Schrift wurde entwickelt, die auch als
wolfgang kos
Hommage an den typografischen Ideenreichtum
Kurator Kampf um die Stadt
der Zwischenkriegszeit zu lesen ist.
Direktor Wien Museum
16
Projektskizzen von Wolfgang Kos
wolfgang kos • Zur Ausstellung
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politik & gewalt peter eigner deborah holmes, lisa silverman kurt bauer barry mcloughlin siegfried mattl diskussion austrofaschismus barbara feller martina nussbaumer bĂŠla rĂĄsky
politik & gewalt peter eigner deborah holmes, lisa silverman kurt bauer barry mcloughlin siegfried mattl diskussion austrofaschismus barbara feller martina nussbaumer bĂŠla rĂĄsky
peter eigner
absturz- gefahr und sanierungs- versuche Zur wirtschaftlich ambivalenten Situation um 1930
Regime klingt das heute wie eine Prophezeiung: In vaterländischer Rhetorik entwarf Wildgans ein Modell, das drei Jahre später in Engelbert Dollfuß’ Rede zur Proklamation des Ständestaates als Legitimation für die Abschaffung der Demokratie herhalten musste.
4
Neben spektakulären Ereignissen und privaten Erlebnissen vermag vor allem die individuelle materielle Situation die Erinnerung zu prägen. Selbst in den von wirtschaftlicher Stagnation geprägten Zwischenkriegsjahren gab es bessere und schlechtere Zeiten. Gerade 1930 stellt sich aus wirtschaftlicher Perspektive als ein Wendejahr dar. Ob es damals bereits als solches erlebt wurde, bleibt offen. Die Jahre davor waren – von der unmittelbaren Nachkriegszeit abgesehen – die wirtschaftlich erfolgreichsten der jungen Republik gewesen. Leiser Optimismus hatte sich breitgemacht, und er wurde Anfang 1930 noch durch die Nachricht verstärkt, dass Österreich mit der Schlussakte der Zweiten Haager Konferenz alle Reparationspflichten, die Forderungen der Nachfolgestaaten und das sogenannte Generalpfandrecht erlassen wurden. Gleichzeitig begannen sich die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise von 1929 in Form von gesteigerten Arbeitslosenzahlen deutlich bemerkbar zu machen.
ine Annäherung an das Jahr 1930 in Wien ist auf vielfache Weise möglich. Es lässt sich an politi-
1.11
„Arbeiter Jahrbuch“, 1929 (Entwurf: Otto Rudolf Schatz)
schen, kulturellen, sportlichen oder sonstigen 1
spektakulären Ereignissen festmachen. So gewann Rapid
zeitlich zwischen dem Brand des Justizpalastes im
pacup, Karl Schäfer errang seinen ersten von sechs Welt-
Juli 1927 und dem Februar 1934 gelegen. Der 15. Juli
meistertiteln im Eiskunstlauf. Radio zu hören erfreute sich
1927 sticht aus der ereignisreichen Geschichte der
zunehmender Beliebtheit, bekam mit den ersten Tonfilmen
Ersten Republik als Wendepunkt hervor. Letztlich
unterstützt wurden. Dies zeigte sich etwa 1928, als
10.10
aber große Konkurrenz; so entstand im Jahr 1930 die erste
zerbrach mit diesem Tag der Mythos von der Macht
eine Großkundgebung der Heimwehr in Wiener
Filmversion der Lehár-Operette Das Land des Lächelns mit
der Arbeiterklasse in Österreich und im Roten
Neustadt von der Staatsgewalt geschützt wurde. Im
Richard Tauber, der mit Dein ist mein ganzes Herz die Massen
Wien. Die Sozialdemokratische Arbeiterpartei
August 1929 hatte die Heimwehr bei einem Zusam-
(SDAP) erlitt eine schwere Niederlage. Infolge der
menstoß im steirischen St. Lorenzen drei Tote zu
Wahlplakat der Christlichsozialen Partei und der Heimatwehr, 1927 (Entwurf: Rudolf Ledl)
2
Der Beginn der 1930er-Jahre bot aber auch Anlass für ein
5
6
gewaltsamen Auseinandersetzungen kam es zu
verantworten, ein heißer Herbst sollte bevorstehen.
erstes Resümee des neuen Österreich und der Identitätskrise,
einer deutlichen Verschärfung der innenpolitischen
Neben der Rolle der Heimwehr stand der Kampf
die die Schaffung des Kleinstaates herauf beschworen hatte.
Lage und einer zunehmenden politischen Polari-
um eine neue autoritäre Verfassung im Mittelpunkt
In seiner am 1. Jänner 1930 von der RAVAG übertragenen
sierung, zwischen 1929 und 1933 de facto zu einem
eines monatelangen innenpolitischen Streits
7
Rede über Österreich beschwor Anton Wildgans den Mythos
„latenten Bürgerkrieg“. Die eigentlichen Sieger
zwischen Christlichsozialen und Sozialdemokra-
vom „österreichischen Menschen“, der „seine eigene sittliche
des 15. Juli waren die Heimwehrverbände, die von
ten, der Ende 1929 in einen Kompromiss mündete:
Höhe“ erst erreicht, „wenn seine leiderfahrene Philosophie
Österreichs Banken und Großindustrie finanziert
Die Befugnisse des Bundespräsidenten wurden
in Kraft tritt: im Dulden“. Angesichts der wirtschaftlichen
und nicht nur von Ungarn und Italien, sondern
beträchtlich erweitert, ein gemischt präsidial-par-
Misere der Dreißigerjahre und der bevorstehenden unheil-
auch von den aufeinander folgenden bürgerlichen
lamentarisches Regierungssystem wurde etab-
vollen Abfolge autoritärer beziehungsweise diktatorischer
Regierungen in Österreich mehr oder weniger
liert. Die verstärkten Aktivitäten der Heimwehr
3
politik
Politisch war 1930 hingegen ein „Zwischenjahr“,
1930 als erster österreichischer Fußballverein den Mitro-
verzückte.
20
Radikalisierung und das drohende Ende des Wiener Modells
peter eigner • Absturzgefahr und Sanierungsversuche 21
peter eigner
absturz- gefahr und sanierungs- versuche Zur wirtschaftlich ambivalenten Situation um 1930
Regime klingt das heute wie eine Prophezeiung: In vaterländischer Rhetorik entwarf Wildgans ein Modell, das drei Jahre später in Engelbert Dollfuß’ Rede zur Proklamation des Ständestaates als Legitimation für die Abschaffung der Demokratie herhalten musste.
4
Neben spektakulären Ereignissen und privaten Erlebnissen vermag vor allem die individuelle materielle Situation die Erinnerung zu prägen. Selbst in den von wirtschaftlicher Stagnation geprägten Zwischenkriegsjahren gab es bessere und schlechtere Zeiten. Gerade 1930 stellt sich aus wirtschaftlicher Perspektive als ein Wendejahr dar. Ob es damals bereits als solches erlebt wurde, bleibt offen. Die Jahre davor waren – von der unmittelbaren Nachkriegszeit abgesehen – die wirtschaftlich erfolgreichsten der jungen Republik gewesen. Leiser Optimismus hatte sich breitgemacht, und er wurde Anfang 1930 noch durch die Nachricht verstärkt, dass Österreich mit der Schlussakte der Zweiten Haager Konferenz alle Reparationspflichten, die Forderungen der Nachfolgestaaten und das sogenannte Generalpfandrecht erlassen wurden. Gleichzeitig begannen sich die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise von 1929 in Form von gesteigerten Arbeitslosenzahlen deutlich bemerkbar zu machen.
ine Annäherung an das Jahr 1930 in Wien ist auf vielfache Weise möglich. Es lässt sich an politi-
1.11
„Arbeiter Jahrbuch“, 1929 (Entwurf: Otto Rudolf Schatz)
schen, kulturellen, sportlichen oder sonstigen 1
spektakulären Ereignissen festmachen. So gewann Rapid
zeitlich zwischen dem Brand des Justizpalastes im
pacup, Karl Schäfer errang seinen ersten von sechs Welt-
Juli 1927 und dem Februar 1934 gelegen. Der 15. Juli
meistertiteln im Eiskunstlauf. Radio zu hören erfreute sich
1927 sticht aus der ereignisreichen Geschichte der
zunehmender Beliebtheit, bekam mit den ersten Tonfilmen
Ersten Republik als Wendepunkt hervor. Letztlich
unterstützt wurden. Dies zeigte sich etwa 1928, als
10.10
aber große Konkurrenz; so entstand im Jahr 1930 die erste
zerbrach mit diesem Tag der Mythos von der Macht
eine Großkundgebung der Heimwehr in Wiener
Filmversion der Lehár-Operette Das Land des Lächelns mit
der Arbeiterklasse in Österreich und im Roten
Neustadt von der Staatsgewalt geschützt wurde. Im
Richard Tauber, der mit Dein ist mein ganzes Herz die Massen
Wien. Die Sozialdemokratische Arbeiterpartei
August 1929 hatte die Heimwehr bei einem Zusam-
(SDAP) erlitt eine schwere Niederlage. Infolge der
menstoß im steirischen St. Lorenzen drei Tote zu
Wahlplakat der Christlichsozialen Partei und der Heimatwehr, 1927 (Entwurf: Rudolf Ledl)
2
Der Beginn der 1930er-Jahre bot aber auch Anlass für ein
5
6
gewaltsamen Auseinandersetzungen kam es zu
verantworten, ein heißer Herbst sollte bevorstehen.
erstes Resümee des neuen Österreich und der Identitätskrise,
einer deutlichen Verschärfung der innenpolitischen
Neben der Rolle der Heimwehr stand der Kampf
die die Schaffung des Kleinstaates herauf beschworen hatte.
Lage und einer zunehmenden politischen Polari-
um eine neue autoritäre Verfassung im Mittelpunkt
In seiner am 1. Jänner 1930 von der RAVAG übertragenen
sierung, zwischen 1929 und 1933 de facto zu einem
eines monatelangen innenpolitischen Streits
7
Rede über Österreich beschwor Anton Wildgans den Mythos
„latenten Bürgerkrieg“. Die eigentlichen Sieger
zwischen Christlichsozialen und Sozialdemokra-
vom „österreichischen Menschen“, der „seine eigene sittliche
des 15. Juli waren die Heimwehrverbände, die von
ten, der Ende 1929 in einen Kompromiss mündete:
Höhe“ erst erreicht, „wenn seine leiderfahrene Philosophie
Österreichs Banken und Großindustrie finanziert
Die Befugnisse des Bundespräsidenten wurden
in Kraft tritt: im Dulden“. Angesichts der wirtschaftlichen
und nicht nur von Ungarn und Italien, sondern
beträchtlich erweitert, ein gemischt präsidial-par-
Misere der Dreißigerjahre und der bevorstehenden unheil-
auch von den aufeinander folgenden bürgerlichen
lamentarisches Regierungssystem wurde etab-
vollen Abfolge autoritärer beziehungsweise diktatorischer
Regierungen in Österreich mehr oder weniger
liert. Die verstärkten Aktivitäten der Heimwehr
3
politik
Politisch war 1930 hingegen ein „Zwischenjahr“,
1930 als erster österreichischer Fußballverein den Mitro-
verzückte.
20
Radikalisierung und das drohende Ende des Wiener Modells
peter eigner • Absturzgefahr und Sanierungsversuche 21
erweckten im In- und Ausland den Eindruck, dass
Gewicht. Nach dem Rücktritt des Kabinetts Scho-
in Österreich ein Bürgerkrieg vor der Tür stehe,
ber folgte im September 1930 die Regierung Vaugo-
8
dischen, autoritären „Maiverfassung“. Die späten 1920er- und beginnenden 1930er-
Putschgerüchte wurden laut. Das Ausland be-
in, in der Ernst Rüdiger Starhemberg, der neue
Jahre waren auch eine Zeit der zunehmenden
gann Gelder abzuziehen, und in der Bevölkerung
Bundesführer der Heimwehr, als Innenminister
kulturellen Polarisierung. Während 1930 in der
machte sich eine ziemliche Unruhe breit, die zu ei-
und der Salzburger Heimwehrführer und Schwager
Staatsoper Grete Wiesenthals Ballet Der Tauge-
nem Ansturm auf Banken und Sparkassen führte.
Hermann Görings Franz Hueber als Justizminister
nichts in Wien ebenso seine Uraufführung erfuhr
Die bedeutsamste Auswirkung dieser Unruhe war
Schlüsselpositionen der Innenpolitik einnahmen.
wie Alban Bergs Oper Wozzeck ihre Erstaufführung, wurde gleichzeitig Franz Lehárs 60. Ge-
schließlich der Zusammenbruch der altehrwür-
Wirtschaftliche Stagnation und geschwächte Demokratie
digen Bodencreditanstalt (BCA) im Herbst 1929; sie wurde in einer Notaktion von der Creditanstalt 9
(CA) übernommen. Es erscheint paradox, dass
Bereits der Zerfall der Habsburgermonarchie
gerade die BCA unter ihrem Präsidenten Rudolf
und die Inflation hatten zur Verelendung weiter
Sieghart, der den Christlichsozialen nahe stand und noch dazu als Finanzier der Heimwehren galt,
1931 bis 1932 von 80 auf 43 Millionen Schilling ge-
Opfer der durch die Heimwehrdrohungen ausge-
sunken waren, substanzielle Einbrüche. Die „ma-
lösten Panik auf den Geldmärkten wurde. Was sich
terielle, kulturelle und letztlich soziale Basis eines
an der BCA beispielhaft zeigte, waren die unheil-
faszinierenden kommunalpolitischen Experiments
vollen Folgen einer jahrelangen „Verquickung von
[…]“ wurde so entscheidend ausgehöhlt.
10
Politik und Wirtschaft“. Dieser Verquickung
20
14
Die Verabschiedung des Antiterrorgesetzes
Wohnhausanlage am Friedrich-EngelsPlatz, 1929–33 (Foto: Rudolf Perco)
burtstag zelebriert und Ralph Benatzkys nostalgische Operette Im weißen Rössl mit Riesenerfolg 21
auf die Bühne gebracht. Im Jänner 1931 kam es zu Demonstrationen gegen den pazifistischen Film
Teile der Altwiener gehobenen Mittelschichten
Im Westen nichts Neues, der schließlich mit einem
geführt und sie zu Gegnern der neuen Republik
Aufführungsverbot belegt wurde. Im Kulturkampf
und demokratischer Verhältnisse gemacht. Die
setzte sich in Film, Operette, bildender Kunst
aufkommende Wirtschaftskrise schürte derartige
und Literatur ein traditionelles Kunstverständnis
Ressentiments weiter und stärkte den Glauben an
durch, dessen Heroen Willi Forst, Willy Fritsch,
autoritäre Lösungen. Die Krisenlösungsstrategie
die Brüder Marischka sowie die Schriftsteller Karl
des bürgerlichen Regierungslagers stützte sich
Heinrich Waggerl, Max Mell oder eben Anton
begegnen wir in der Zwischenkriegszeit oft und
1930, das unter anderem ein verklausuliertes
auf die Entmachtung der Arbeiterbewegung, die
Wildgans waren.
auf mehreren Ebenen.
Streikverbot enthielt, stellte für viele Arbeiter eine
Gleichschaltung der Gewerkschaften und den weit-
Mit einer neuen Bundesverfassung hofften die
noch größere Demütigung dar als die Verfassungs-
gehenden Abbau von sozialen Rechten. Der hohe
gnation Europas in der Zwischenkriegszeit am
Christlichsozialen zudem die Stellung des sozial-
reform. In Euphorie und Auf bruchstimmung, die
Gewaltpegel war „Ausdruck einer tiefgreifenden
stärksten betroffen und verzeichnete zwischen
demokratisch regierten Wien zu schwächen. Zwar
das Rote Wien teils noch immer zu entfachen ver-
Militarisierung der Gesellschaft“ und „zum ande-
1913 und 1938 ein Minuswachstum. Anpassungs-
konnte die drohende Auflösung Wiens als eigenes
mochte – im Oktober 1930 wurde mit dem Karl-
ren der wohl deutlichste Ausdruck der Krise des po-
schwierigkeiten infolge der nach 1918 geänderten
Bundesland verhindert werden, die neuen Bestim-
Marx-Hof eine der größten und architektonisch
litischen Systems“. Außenpolitisch scheiterte 1931
territorialen, ökonomischen und politischen Rah-
10.100
mungen führten aber ab 1929 zu einer deutlichen
eindrucksvollsten Gemeindebauanlagen Wiens er-
das Projekt einer österreichisch-deutschen Zoll-
menbedingungen konnten nicht behoben werden.
Plakat „Gegen Krise und Not. Wählt sozialdemokratisch!“, 1930
15
16
19
Österreich war von der wirtschaftlichen Sta-
Reduktion der Geldmittel der Gemeinde. Noch
öffnet –, mischte sich zunehmend Unzufrieden-
union am Einspruch der Siegermächte. Österreich
Vor allem Industrie und Baugewerbe stagnierten,
einschneidender wirkte sich die Abgabenteilungs-
heit; die Mitgliederzahlen der freien Gewerkschaf-
rückte näher an das faschistische Italien. Zugleich
was bereits lange vor der Wirtschaftskrise zu kon-
novelle 1931 aus, durch die der Ertragsanteil Wiens
ten und erstmals auch der SDAP sanken deutlich.
befanden sich die Nationalsozialisten auf dem
stant hoher Arbeitslosigkeit
um rund ein Viertel gegenüber dem Vorjahr sank,
Zwar gingen die Sozialdemokraten aus den letzten
Vormarsch; bei den Wiener Gemeinderatswahlen
führte. Einzig die Energie-
unter Einbeziehung der stark rückläufigen Erträge
freien Nationalratswahlen im November 1930 als
1932 erreichten sie mit 17,4 Prozent eine Verdop-
wirtschaft, der von 1918 an
bei den gemeinschaftlichen Bundesabgaben gar um
stärkste Partei hervor. Das politische Stimmungs-
pelung ihres Stimmenanteils binnen zwei Jahren.
forcierte Fremdenverkehr
37 Prozent. 12 Beim Streit um die Ertragsanteile ging
barometer stand jedoch tendenziell gegen sie.
1933 und 1934 brachten dann das definitive Ende
und die Holzindustrie konn-
11
es nicht nur um fiskalische Interessen, sondern
Wohin die Reise gehen sollte, erwies sich sehr
der Demokratie und die Etablierung des autoritären
ten als Wachstumsbranchen
auch um einen machtpolitischen Kampf zwischen
bald. Im Korneuburger Eid vom 18. Mai 1930 wur-
„Ständestaates“. Nach der „Selbstausschaltung“
bezeichnet werden. Dass der
Rotem Wien und bürgerlicher Regierungsmehr-
den alle Heimwehrverbände auf einen antipar-
des Parlaments im März 1933 wurde das Kriegs-
gemeinsame Wirtschafts-
heit. Konnte 1929 noch ein Einnahmenhöchststand
lamentarischen Kurs festgelegt. So hieß es unter
wirtschaftliche Ermächtigungsgesetz aus dem Jahr
raum nach 1918 auseinander-
von fast 490 Millionen Schilling erreicht werden,
anderem: „Wir wollen Österreich an Wurzel und
1917 angewendet, um unter permanentem Verfas-
brach und sich die Nachfol-
so sank dieser Betrag bis 1933 auf ungefähr 370
Stamm erneuern. […] Wir verwerfen den westli-
sungsbruch rund 300 Verordnungen zu erlassen;
gestaaten durch zahlreiche
Millionen Schilling, davon allein die Ertragsan-
chen demokratischen Parlamentarismus und den
der Verfassungsgerichtshof wurde ausgeschaltet,
Maßnahmen abriegelten,
teile von 137,6 Millionen Schilling im Jahr 1930
Parteienstaat.“ Aus Italien und Ungarn kamen
im November die Todesstrafe vor Standgerichten
ließ den Warenexport stark
auf knapp 50 Millionen 1933. Seit 1930 waren die
neben Geld und Waffen auch Ratschläge, „endlich
wiedereingeführt, nicht zuletzt gegen das Rote
absinken. Hinzu kamen
Investitionen um drei Viertel ihres ursprünglichen
den Putsch gegen die Sozialdemokraten, endlich
Wien ein finanzieller Vernichtungsfeldzug geführt.
ein chronisches Handels-
13
17
18
Volumens reduziert worden. Hatten Wohlfahrts-
den ‚Marsch auf Wien‘ zu wagen“. Auch ein
Nach dem Bürgerkrieg im Februar 1934 kam es
und Leistungsbilanzdefizit
wesen und soziale Verwaltung geringe Budgetkür-
großer Teil des konservativen bürgerlichen Lagers
zur Auflösung der SDAP, Wien verlor offiziell den
sowie eine hartnäckige
zungen hinnehmen müssen, so verzeichnete der
war deutlich nach rechts gerückt und verschaffte
Status eines selbstständigen Bundeslandes und im
Investitionsunlust. Nach-
Wiener Wohnbau, bei dem die Investitionen von
der Heimwehrbewegung stärkeres politisches
Mai 1934 erfolgte die Proklamation der berufsstän-
dem die Arbeiterschaft eine
22
politik
peter eigner • Absturzgefahr und Sanierungsversuche 23
erweckten im In- und Ausland den Eindruck, dass
Gewicht. Nach dem Rücktritt des Kabinetts Scho-
in Österreich ein Bürgerkrieg vor der Tür stehe,
ber folgte im September 1930 die Regierung Vaugo-
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dischen, autoritären „Maiverfassung“. Die späten 1920er- und beginnenden 1930er-
Putschgerüchte wurden laut. Das Ausland be-
in, in der Ernst Rüdiger Starhemberg, der neue
Jahre waren auch eine Zeit der zunehmenden
gann Gelder abzuziehen, und in der Bevölkerung
Bundesführer der Heimwehr, als Innenminister
kulturellen Polarisierung. Während 1930 in der
machte sich eine ziemliche Unruhe breit, die zu ei-
und der Salzburger Heimwehrführer und Schwager
Staatsoper Grete Wiesenthals Ballet Der Tauge-
nem Ansturm auf Banken und Sparkassen führte.
Hermann Görings Franz Hueber als Justizminister
nichts in Wien ebenso seine Uraufführung erfuhr
Die bedeutsamste Auswirkung dieser Unruhe war
Schlüsselpositionen der Innenpolitik einnahmen.
wie Alban Bergs Oper Wozzeck ihre Erstaufführung, wurde gleichzeitig Franz Lehárs 60. Ge-
schließlich der Zusammenbruch der altehrwür-
Wirtschaftliche Stagnation und geschwächte Demokratie
digen Bodencreditanstalt (BCA) im Herbst 1929; sie wurde in einer Notaktion von der Creditanstalt 9
(CA) übernommen. Es erscheint paradox, dass
Bereits der Zerfall der Habsburgermonarchie
gerade die BCA unter ihrem Präsidenten Rudolf
und die Inflation hatten zur Verelendung weiter
Sieghart, der den Christlichsozialen nahe stand und noch dazu als Finanzier der Heimwehren galt,
1931 bis 1932 von 80 auf 43 Millionen Schilling ge-
Opfer der durch die Heimwehrdrohungen ausge-
sunken waren, substanzielle Einbrüche. Die „ma-
lösten Panik auf den Geldmärkten wurde. Was sich
terielle, kulturelle und letztlich soziale Basis eines
an der BCA beispielhaft zeigte, waren die unheil-
faszinierenden kommunalpolitischen Experiments
vollen Folgen einer jahrelangen „Verquickung von
[…]“ wurde so entscheidend ausgehöhlt.
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Politik und Wirtschaft“. Dieser Verquickung
20
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Die Verabschiedung des Antiterrorgesetzes
Wohnhausanlage am Friedrich-EngelsPlatz, 1929–33 (Foto: Rudolf Perco)
burtstag zelebriert und Ralph Benatzkys nostalgische Operette Im weißen Rössl mit Riesenerfolg 21
auf die Bühne gebracht. Im Jänner 1931 kam es zu Demonstrationen gegen den pazifistischen Film
Teile der Altwiener gehobenen Mittelschichten
Im Westen nichts Neues, der schließlich mit einem
geführt und sie zu Gegnern der neuen Republik
Aufführungsverbot belegt wurde. Im Kulturkampf
und demokratischer Verhältnisse gemacht. Die
setzte sich in Film, Operette, bildender Kunst
aufkommende Wirtschaftskrise schürte derartige
und Literatur ein traditionelles Kunstverständnis
Ressentiments weiter und stärkte den Glauben an
durch, dessen Heroen Willi Forst, Willy Fritsch,
autoritäre Lösungen. Die Krisenlösungsstrategie
die Brüder Marischka sowie die Schriftsteller Karl
des bürgerlichen Regierungslagers stützte sich
Heinrich Waggerl, Max Mell oder eben Anton
begegnen wir in der Zwischenkriegszeit oft und
1930, das unter anderem ein verklausuliertes
auf die Entmachtung der Arbeiterbewegung, die
Wildgans waren.
auf mehreren Ebenen.
Streikverbot enthielt, stellte für viele Arbeiter eine
Gleichschaltung der Gewerkschaften und den weit-
Mit einer neuen Bundesverfassung hofften die
noch größere Demütigung dar als die Verfassungs-
gehenden Abbau von sozialen Rechten. Der hohe
gnation Europas in der Zwischenkriegszeit am
Christlichsozialen zudem die Stellung des sozial-
reform. In Euphorie und Auf bruchstimmung, die
Gewaltpegel war „Ausdruck einer tiefgreifenden
stärksten betroffen und verzeichnete zwischen
demokratisch regierten Wien zu schwächen. Zwar
das Rote Wien teils noch immer zu entfachen ver-
Militarisierung der Gesellschaft“ und „zum ande-
1913 und 1938 ein Minuswachstum. Anpassungs-
konnte die drohende Auflösung Wiens als eigenes
mochte – im Oktober 1930 wurde mit dem Karl-
ren der wohl deutlichste Ausdruck der Krise des po-
schwierigkeiten infolge der nach 1918 geänderten
Bundesland verhindert werden, die neuen Bestim-
Marx-Hof eine der größten und architektonisch
litischen Systems“. Außenpolitisch scheiterte 1931
territorialen, ökonomischen und politischen Rah-
10.100
mungen führten aber ab 1929 zu einer deutlichen
eindrucksvollsten Gemeindebauanlagen Wiens er-
das Projekt einer österreichisch-deutschen Zoll-
menbedingungen konnten nicht behoben werden.
Plakat „Gegen Krise und Not. Wählt sozialdemokratisch!“, 1930
15
16
19
Österreich war von der wirtschaftlichen Sta-
Reduktion der Geldmittel der Gemeinde. Noch
öffnet –, mischte sich zunehmend Unzufrieden-
union am Einspruch der Siegermächte. Österreich
Vor allem Industrie und Baugewerbe stagnierten,
einschneidender wirkte sich die Abgabenteilungs-
heit; die Mitgliederzahlen der freien Gewerkschaf-
rückte näher an das faschistische Italien. Zugleich
was bereits lange vor der Wirtschaftskrise zu kon-
novelle 1931 aus, durch die der Ertragsanteil Wiens
ten und erstmals auch der SDAP sanken deutlich.
befanden sich die Nationalsozialisten auf dem
stant hoher Arbeitslosigkeit
um rund ein Viertel gegenüber dem Vorjahr sank,
Zwar gingen die Sozialdemokraten aus den letzten
Vormarsch; bei den Wiener Gemeinderatswahlen
führte. Einzig die Energie-
unter Einbeziehung der stark rückläufigen Erträge
freien Nationalratswahlen im November 1930 als
1932 erreichten sie mit 17,4 Prozent eine Verdop-
wirtschaft, der von 1918 an
bei den gemeinschaftlichen Bundesabgaben gar um
stärkste Partei hervor. Das politische Stimmungs-
pelung ihres Stimmenanteils binnen zwei Jahren.
forcierte Fremdenverkehr
37 Prozent. 12 Beim Streit um die Ertragsanteile ging
barometer stand jedoch tendenziell gegen sie.
1933 und 1934 brachten dann das definitive Ende
und die Holzindustrie konn-
11
es nicht nur um fiskalische Interessen, sondern
Wohin die Reise gehen sollte, erwies sich sehr
der Demokratie und die Etablierung des autoritären
ten als Wachstumsbranchen
auch um einen machtpolitischen Kampf zwischen
bald. Im Korneuburger Eid vom 18. Mai 1930 wur-
„Ständestaates“. Nach der „Selbstausschaltung“
bezeichnet werden. Dass der
Rotem Wien und bürgerlicher Regierungsmehr-
den alle Heimwehrverbände auf einen antipar-
des Parlaments im März 1933 wurde das Kriegs-
gemeinsame Wirtschafts-
heit. Konnte 1929 noch ein Einnahmenhöchststand
lamentarischen Kurs festgelegt. So hieß es unter
wirtschaftliche Ermächtigungsgesetz aus dem Jahr
raum nach 1918 auseinander-
von fast 490 Millionen Schilling erreicht werden,
anderem: „Wir wollen Österreich an Wurzel und
1917 angewendet, um unter permanentem Verfas-
brach und sich die Nachfol-
so sank dieser Betrag bis 1933 auf ungefähr 370
Stamm erneuern. […] Wir verwerfen den westli-
sungsbruch rund 300 Verordnungen zu erlassen;
gestaaten durch zahlreiche
Millionen Schilling, davon allein die Ertragsan-
chen demokratischen Parlamentarismus und den
der Verfassungsgerichtshof wurde ausgeschaltet,
Maßnahmen abriegelten,
teile von 137,6 Millionen Schilling im Jahr 1930
Parteienstaat.“ Aus Italien und Ungarn kamen
im November die Todesstrafe vor Standgerichten
ließ den Warenexport stark
auf knapp 50 Millionen 1933. Seit 1930 waren die
neben Geld und Waffen auch Ratschläge, „endlich
wiedereingeführt, nicht zuletzt gegen das Rote
absinken. Hinzu kamen
Investitionen um drei Viertel ihres ursprünglichen
den Putsch gegen die Sozialdemokraten, endlich
Wien ein finanzieller Vernichtungsfeldzug geführt.
ein chronisches Handels-
13
17
18
Volumens reduziert worden. Hatten Wohlfahrts-
den ‚Marsch auf Wien‘ zu wagen“. Auch ein
Nach dem Bürgerkrieg im Februar 1934 kam es
und Leistungsbilanzdefizit
wesen und soziale Verwaltung geringe Budgetkür-
großer Teil des konservativen bürgerlichen Lagers
zur Auflösung der SDAP, Wien verlor offiziell den
sowie eine hartnäckige
zungen hinnehmen müssen, so verzeichnete der
war deutlich nach rechts gerückt und verschaffte
Status eines selbstständigen Bundeslandes und im
Investitionsunlust. Nach-
Wiener Wohnbau, bei dem die Investitionen von
der Heimwehrbewegung stärkeres politisches
Mai 1934 erfolgte die Proklamation der berufsstän-
dem die Arbeiterschaft eine
22
politik
peter eigner • Absturzgefahr und Sanierungsversuche 23
ökonomische und machtpolitische Besserstellung
Schrumpfung verzeichnen müssen.
gemacht hatten. Der Zusammenbruch der Banken
bis 1933 sank der Export auf 57 Prozent seines
erreicht hatte, klagten seit der politischen Wende
Die wirtschaftliche Loslösung der
erschütterte die österreichische Wirtschaft und
Volumens im Jahr 1920. Mit den Zolltarifnovellen
zu Beginn der 1920er die Unternehmer über soziale
neuen Nationalstaaten war mit einer
war zugleich auslösendes Moment für die weltweite
vom Juli 1930 beziehungsweise von 1931 schwenk-
Lasten – Ignaz Seipel sprach von der notwendigen
schmerzhaften Einengung ihres
Finanz-, Kredit- und Währungskrise.
te Österreich letztlich auf eine Schutzzollpolitik
22
Beseitigung des „revolutionären Schutts“ und
früheren Aktionsradius verbunden,
meinte damit die sozialen Errungenschaften nach
die viele Industriebanken nicht zur
ihr unverhältnismäßiges Expansionsstreben
man 1930 nur 78 Prozent der Vorjahresmenge, die
1918 – und zu hohe Löhne. Tatsächlich aber bestand
Kenntnis nehmen wollten. Das
und ein überdimensioniertes Industriegeschäft
Eisenerzproduktion fiel von 1,9 Millionen Tonnen
das Problem der österreichischen Industrie weniger
große Bankensterben hatte 1924 mit
vorgeworfen werden, in beiden Banken war es zu
im Jahr 1929 auf 1,2 Millionen Tonnen 1930. Von
in hohen Lohnkosten als in Strukturschwächen, im
dem Fall der Allgemeinen Deposi-
personellen Fehlentscheidungen und Missma-
1929 bis 1933 verringerte sich das Bruttoinlands-
geringen Rationalisierungsgrad der Betriebe und
tenbank begonnen und setzte sich
nagement gekommen. Spätere Untersuchungen
produkt um ein Drittel; die stärksten Einbrüche
um. Beim Verbrauch an Heizmaterial erreichte
Creditanstalt wie Bodencreditanstalt muss
24
30
belegten frisierte Bilanzen, zahlreiche Fälle von
waren 1931 und 1932 zu verzeichnen, und erst ab
Und doch standen die späten
fahrlässiger und unverhältnismäßig hoher Kredit-
1934 begann das Bruttoinlandsprodukt wieder
ten Krise. Die Aufteilung der Habsburgermonar-
1920er-Jahre für eine wirtschaftli-
gewährung sowie eine unverantwortliche Ausga-
gemächlich anzusteigen. Löhne und Gehälter
chie in die neuen Nationalstaaten hatte Österreichs
che Besserung. Von 1925 an machte
benwirtschaft, was die Gehälter des Managements
beliefen sich 1934 nur mehr auf 70 Prozent des Ni-
Wirtschaft mit vollkommen neuen Rahmenbe-
sich eine gedämpfte konjunkturelle
anbelangte. Und: „Die Aufdeckung der Ban-
veaus von 1929, die Industrieproduktion fiel vom
dingungen konfrontiert, etliche Industriebranchen
Erholung bemerkbar, ab 1927 geriet Österreich
kenskandale enthüllte eine politische Korruption
Einsetzen der Depression bis zum Tiefpunkt um
waren unter-, andere überrepräsentiert, einige
stärker in den Sog der internationalen Hochkon-
ohnegleichen, die das Vertrauen weiter Bevölke-
beinahe 40 Prozent.
fast zur Gänze verloren gegangen, arbeitsteilige
junktur. Die öffentlichen Investitionen durch das
Prozesse wie etwa in der Textilindustrie waren
Elektrifizierungsprogramm der Bahn und die Aus-
zerrissen worden, es mangelte an Rohstoffen und
gaben der Stadt Wien für den sozialen Wohnbau
Ende des Schrumpfungs- und Konzentrationspro-
Energie. Die Vernichtung des Sparkapitals und
verstärkten diesen Trend. Die Jahre 1928, 1929 und
zesses sollte 1934 mit der Österreichischen Cre-
duktion begann sich nach 1929 sogleich auf die
der Verlust industrieller Betriebskapitalien in der
auch 1930 zählten zu den ökonomisch besten der
ditanstalt – Wiener Bankverein nur eine einzige
Beschäftigung niederzuschlagen, wobei die Welt-
Phase der Hyperinflation hatten die Probleme der
Republik. Es waren die einzigen Jahre, in denen
Großbank übrig bleiben.
wirtschaftskrise der 1930er-Jahre den Konsum-
Industrie nachhaltig verschärft, die Kreditzinsen
das österreichische Bruttonationalprodukt das
hielten sich nach der Stabilisierung der Kronen-
Niveau von 1913 überschritt.
in einer verfehlten Kreditpolitik der Banken. Die Industrie steckte somit in einer nahezu permanen23
weiter fort.
eine stärkere Investitionstätigkeit. Politisch übten
Plakat „Völkerbundanleihe“, 1923 (Entwurf: Julius Klinger)
rungskreise in die damals noch junge parlamenta25
rische Demokratie […] schwer erschütterte.“ Am
Die Sanierung der CA erfolgte unter Beteiligung
Politische Korruption, Banken-Crash und Wirtschaftskrise
Krisenfolgen Der dramatische Rückgang der Industriepro-
güterindustrien weniger zusetzte als den Produktionsgüterindustrien. Ähnlich wie heute traf sie
des Staates – somit des Steuerzahlers – und der 26
währung und der Einführung des Schilling 1925 auf exorbitant hohem Niveau und verhinderten
7.44
Nationalbank. Die Folgen des CA-Crashs für den
die auf Export orientierten Zweige – vor allem die
Währungssektor, den Kreditmarkt, die Produkti-
Investitionsgüterindustrie – und einen weiteren
onssphäre und die Staatsfinanzen waren fatal. Der
wirtschaftlichen Leitsektor, die Eisenindustrie, am stärksten. Die Arbeitslosigkeit in der traditionsrei-
eine Agrar-Lobby, die industriellen Zielsetzungen
Um den Terminus Zwischenjahr aufzugreifen:
wirtschaftspolitisch eingeschlagene Deflations-
nicht gerade freundlich gegenüberstand, sowie der
1930 war ein Jahr zwischen zwei großen Bankenzu-
kurs verschärfte die Krise. Durch die Lausanner
chen und für den Export wichtigen Wiener Metall-
starkes politisches Gewicht besitzende gewerbliche
sammenbrüchen. Gerade als sich ein gewisser Wirt-
Anleihe 1932 geriet Österreich neuerlich unter die
industrie sollte auf über 50 Prozent ansteigen.
Mittelstand wachsenden Einfluss auf die bürgerli-
schaftsoptimismus zu verbreiten begann, löste im
Vormundschaft der internationalen Hochfinanz.
Die Wiener Arbeitsämter registrierten mehr
chen Regierungen aus. Unter den Industrienationen
Herbst 1929 die Nachricht vom bislang schwerwie-
„Ordnung“ lautete das Schlagwort – Ordnung im
als 100.000 Arbeitslose, ein Drittel davon F rauen;
war Österreich das einzige Land mit schrumpfen-
gendsten Bankenzusammenbruch und der erzwun-
Staatshaushalt und in der Währung. Mit dem
das bedeutete einen Zuwachs um 2 4 Prozent
dem industriellen Output.
27
28
genen Übernahme der Bodencreditanstalt durch die
Zurücknehmen der Geldmenge, dem Sinken von
gegenüber 1929. 1930 wurde ein Jahr der Rekord
Infolge der Auflagen durch die Genfer Völker-
Creditanstalt (CA) neuerliche Sorgen aus. 1931 kam
Löhnen und Preisen, der Verhinderung des Ab-
arbeitslosigkeit, es sollte nicht das letzte bleiben.
bundanleihe von 1922 lautete das Dogma der öster-
es zum noch spektakuläreren Crash der Creditan-
flusses von Gold und Devisen und einer geregelten
Die österreichische Arbeitslosenrate stieg von
reichischen Wirtschaftspolitik Priorität des Bud-
stalt, die im Mai 1931 einen Verlust von (zunächst)
Zahlungsbilanz wollte man Ordnung in der Wäh-
8,8 Prozent im Jahr 1929 auf 21,7 Prozent 1932 an
getgleichgewichts, was so viel hieß wie: restriktive
140 Millionen Schilling für das Jahr 1930 bekannt
rung erreichen, mit der Kürzung der Staatsausga-
und erreichte 1933 – im Jahr des Erscheinens der
Budgetpolitik und eindeutig deflationistische
gab. Österreichs Wirtschaft war aber nicht nur mit
ben, Steuererhöhungen und einem ausgeglichenen
Studie Die Arbeitslosen von Marienthal – mit 25,9
Fiskalpolitik, Stabilität der Währung und Scheu
einer großen hausgemachten Bankenpleite kon-
Budget Ordnung im Staatshaushalt.
Prozent ihren Höchststand. Von 1932 bis 1938
vor einer aktiven Konjunkturpolitik. Das Trauma
frontiert; am 29. Oktober 1929 gab der New Yorker
der Inflation wirkte nachhaltig und schränkte
Börsenkrach den Auftakt zur Weltwirtschaftskrise,
Wirtschaftskrise erst ein. Sie traf die österrei-
Personen, in Österreich zwischen 400.000 und
den Handlungsspielraum der Wirtschaftspolitik
die sich bald auch in Österreich mit voller Wucht
chische Volkswirtschaft zu einem ungünstigen
560.000 (ab 1933 mit leicht sinkender Tendenz)
ebenso ein wie die internationale Finanzkontrolle
bemerkbar machte. Beides schien vielen überra-
Zeitpunkt: in einer heiklen Phase der Umstruktu-
arbeitslos, wobei die offiziellen Zahlen nicht die
durch den Völkerbund. Eine der auffälligsten Kri-
schend, obwohl sich Warnsignale gehäuft und von
rierung. Alle wirtschaftlichen Kennziffern entwi-
Gruppe der sogenannten Ausgesteuerten enthiel-
senzonen entfaltete sich im Bankwesen. Seit Jahren
Sommer 1929 an gewisse Ermüdungserscheinungen
ckelten sich in der Folge negativ. Es kam zu einem
ten, die weder Arbeitslosen- noch Notstands-
hatten Österreichs Banken eine unaufhaltsame
in der US-Wirtschaft und an den Börsen bemerkbar
deutlichen Rückgang der Exporte und Importe,
24
politik
waren in Wien zwischen 150.000 und 200.000
Als Wendejahr leitete 1930 die eigentliche
29
unterstützung bekamen. Betrug der Anteil der
peter eigner • Absturzgefahr und Sanierungsversuche 25
ökonomische und machtpolitische Besserstellung
Schrumpfung verzeichnen müssen.
gemacht hatten. Der Zusammenbruch der Banken
bis 1933 sank der Export auf 57 Prozent seines
erreicht hatte, klagten seit der politischen Wende
Die wirtschaftliche Loslösung der
erschütterte die österreichische Wirtschaft und
Volumens im Jahr 1920. Mit den Zolltarifnovellen
zu Beginn der 1920er die Unternehmer über soziale
neuen Nationalstaaten war mit einer
war zugleich auslösendes Moment für die weltweite
vom Juli 1930 beziehungsweise von 1931 schwenk-
Lasten – Ignaz Seipel sprach von der notwendigen
schmerzhaften Einengung ihres
Finanz-, Kredit- und Währungskrise.
te Österreich letztlich auf eine Schutzzollpolitik
22
Beseitigung des „revolutionären Schutts“ und
früheren Aktionsradius verbunden,
meinte damit die sozialen Errungenschaften nach
die viele Industriebanken nicht zur
ihr unverhältnismäßiges Expansionsstreben
man 1930 nur 78 Prozent der Vorjahresmenge, die
1918 – und zu hohe Löhne. Tatsächlich aber bestand
Kenntnis nehmen wollten. Das
und ein überdimensioniertes Industriegeschäft
Eisenerzproduktion fiel von 1,9 Millionen Tonnen
das Problem der österreichischen Industrie weniger
große Bankensterben hatte 1924 mit
vorgeworfen werden, in beiden Banken war es zu
im Jahr 1929 auf 1,2 Millionen Tonnen 1930. Von
in hohen Lohnkosten als in Strukturschwächen, im
dem Fall der Allgemeinen Deposi-
personellen Fehlentscheidungen und Missma-
1929 bis 1933 verringerte sich das Bruttoinlands-
geringen Rationalisierungsgrad der Betriebe und
tenbank begonnen und setzte sich
nagement gekommen. Spätere Untersuchungen
produkt um ein Drittel; die stärksten Einbrüche
um. Beim Verbrauch an Heizmaterial erreichte
Creditanstalt wie Bodencreditanstalt muss
24
30
belegten frisierte Bilanzen, zahlreiche Fälle von
waren 1931 und 1932 zu verzeichnen, und erst ab
Und doch standen die späten
fahrlässiger und unverhältnismäßig hoher Kredit-
1934 begann das Bruttoinlandsprodukt wieder
ten Krise. Die Aufteilung der Habsburgermonar-
1920er-Jahre für eine wirtschaftli-
gewährung sowie eine unverantwortliche Ausga-
gemächlich anzusteigen. Löhne und Gehälter
chie in die neuen Nationalstaaten hatte Österreichs
che Besserung. Von 1925 an machte
benwirtschaft, was die Gehälter des Managements
beliefen sich 1934 nur mehr auf 70 Prozent des Ni-
Wirtschaft mit vollkommen neuen Rahmenbe-
sich eine gedämpfte konjunkturelle
anbelangte. Und: „Die Aufdeckung der Ban-
veaus von 1929, die Industrieproduktion fiel vom
dingungen konfrontiert, etliche Industriebranchen
Erholung bemerkbar, ab 1927 geriet Österreich
kenskandale enthüllte eine politische Korruption
Einsetzen der Depression bis zum Tiefpunkt um
waren unter-, andere überrepräsentiert, einige
stärker in den Sog der internationalen Hochkon-
ohnegleichen, die das Vertrauen weiter Bevölke-
beinahe 40 Prozent.
fast zur Gänze verloren gegangen, arbeitsteilige
junktur. Die öffentlichen Investitionen durch das
Prozesse wie etwa in der Textilindustrie waren
Elektrifizierungsprogramm der Bahn und die Aus-
zerrissen worden, es mangelte an Rohstoffen und
gaben der Stadt Wien für den sozialen Wohnbau
Ende des Schrumpfungs- und Konzentrationspro-
Energie. Die Vernichtung des Sparkapitals und
verstärkten diesen Trend. Die Jahre 1928, 1929 und
zesses sollte 1934 mit der Österreichischen Cre-
duktion begann sich nach 1929 sogleich auf die
der Verlust industrieller Betriebskapitalien in der
auch 1930 zählten zu den ökonomisch besten der
ditanstalt – Wiener Bankverein nur eine einzige
Beschäftigung niederzuschlagen, wobei die Welt-
Phase der Hyperinflation hatten die Probleme der
Republik. Es waren die einzigen Jahre, in denen
Großbank übrig bleiben.
wirtschaftskrise der 1930er-Jahre den Konsum-
Industrie nachhaltig verschärft, die Kreditzinsen
das österreichische Bruttonationalprodukt das
hielten sich nach der Stabilisierung der Kronen-
Niveau von 1913 überschritt.
in einer verfehlten Kreditpolitik der Banken. Die Industrie steckte somit in einer nahezu permanen23
weiter fort.
eine stärkere Investitionstätigkeit. Politisch übten
Plakat „Völkerbundanleihe“, 1923 (Entwurf: Julius Klinger)
rungskreise in die damals noch junge parlamenta25
rische Demokratie […] schwer erschütterte.“ Am
Die Sanierung der CA erfolgte unter Beteiligung
Politische Korruption, Banken-Crash und Wirtschaftskrise
Krisenfolgen Der dramatische Rückgang der Industriepro-
güterindustrien weniger zusetzte als den Produktionsgüterindustrien. Ähnlich wie heute traf sie
des Staates – somit des Steuerzahlers – und der 26
währung und der Einführung des Schilling 1925 auf exorbitant hohem Niveau und verhinderten
7.44
Nationalbank. Die Folgen des CA-Crashs für den
die auf Export orientierten Zweige – vor allem die
Währungssektor, den Kreditmarkt, die Produkti-
Investitionsgüterindustrie – und einen weiteren
onssphäre und die Staatsfinanzen waren fatal. Der
wirtschaftlichen Leitsektor, die Eisenindustrie, am stärksten. Die Arbeitslosigkeit in der traditionsrei-
eine Agrar-Lobby, die industriellen Zielsetzungen
Um den Terminus Zwischenjahr aufzugreifen:
wirtschaftspolitisch eingeschlagene Deflations-
nicht gerade freundlich gegenüberstand, sowie der
1930 war ein Jahr zwischen zwei großen Bankenzu-
kurs verschärfte die Krise. Durch die Lausanner
chen und für den Export wichtigen Wiener Metall-
starkes politisches Gewicht besitzende gewerbliche
sammenbrüchen. Gerade als sich ein gewisser Wirt-
Anleihe 1932 geriet Österreich neuerlich unter die
industrie sollte auf über 50 Prozent ansteigen.
Mittelstand wachsenden Einfluss auf die bürgerli-
schaftsoptimismus zu verbreiten begann, löste im
Vormundschaft der internationalen Hochfinanz.
Die Wiener Arbeitsämter registrierten mehr
chen Regierungen aus. Unter den Industrienationen
Herbst 1929 die Nachricht vom bislang schwerwie-
„Ordnung“ lautete das Schlagwort – Ordnung im
als 100.000 Arbeitslose, ein Drittel davon F rauen;
war Österreich das einzige Land mit schrumpfen-
gendsten Bankenzusammenbruch und der erzwun-
Staatshaushalt und in der Währung. Mit dem
das bedeutete einen Zuwachs um 2 4 Prozent
dem industriellen Output.
27
28
genen Übernahme der Bodencreditanstalt durch die
Zurücknehmen der Geldmenge, dem Sinken von
gegenüber 1929. 1930 wurde ein Jahr der Rekord
Infolge der Auflagen durch die Genfer Völker-
Creditanstalt (CA) neuerliche Sorgen aus. 1931 kam
Löhnen und Preisen, der Verhinderung des Ab-
arbeitslosigkeit, es sollte nicht das letzte bleiben.
bundanleihe von 1922 lautete das Dogma der öster-
es zum noch spektakuläreren Crash der Creditan-
flusses von Gold und Devisen und einer geregelten
Die österreichische Arbeitslosenrate stieg von
reichischen Wirtschaftspolitik Priorität des Bud-
stalt, die im Mai 1931 einen Verlust von (zunächst)
Zahlungsbilanz wollte man Ordnung in der Wäh-
8,8 Prozent im Jahr 1929 auf 21,7 Prozent 1932 an
getgleichgewichts, was so viel hieß wie: restriktive
140 Millionen Schilling für das Jahr 1930 bekannt
rung erreichen, mit der Kürzung der Staatsausga-
und erreichte 1933 – im Jahr des Erscheinens der
Budgetpolitik und eindeutig deflationistische
gab. Österreichs Wirtschaft war aber nicht nur mit
ben, Steuererhöhungen und einem ausgeglichenen
Studie Die Arbeitslosen von Marienthal – mit 25,9
Fiskalpolitik, Stabilität der Währung und Scheu
einer großen hausgemachten Bankenpleite kon-
Budget Ordnung im Staatshaushalt.
Prozent ihren Höchststand. Von 1932 bis 1938
vor einer aktiven Konjunkturpolitik. Das Trauma
frontiert; am 29. Oktober 1929 gab der New Yorker
der Inflation wirkte nachhaltig und schränkte
Börsenkrach den Auftakt zur Weltwirtschaftskrise,
Wirtschaftskrise erst ein. Sie traf die österrei-
Personen, in Österreich zwischen 400.000 und
den Handlungsspielraum der Wirtschaftspolitik
die sich bald auch in Österreich mit voller Wucht
chische Volkswirtschaft zu einem ungünstigen
560.000 (ab 1933 mit leicht sinkender Tendenz)
ebenso ein wie die internationale Finanzkontrolle
bemerkbar machte. Beides schien vielen überra-
Zeitpunkt: in einer heiklen Phase der Umstruktu-
arbeitslos, wobei die offiziellen Zahlen nicht die
durch den Völkerbund. Eine der auffälligsten Kri-
schend, obwohl sich Warnsignale gehäuft und von
rierung. Alle wirtschaftlichen Kennziffern entwi-
Gruppe der sogenannten Ausgesteuerten enthiel-
senzonen entfaltete sich im Bankwesen. Seit Jahren
Sommer 1929 an gewisse Ermüdungserscheinungen
ckelten sich in der Folge negativ. Es kam zu einem
ten, die weder Arbeitslosen- noch Notstands-
hatten Österreichs Banken eine unaufhaltsame
in der US-Wirtschaft und an den Börsen bemerkbar
deutlichen Rückgang der Exporte und Importe,
24
politik
waren in Wien zwischen 150.000 und 200.000
Als Wendejahr leitete 1930 die eigentliche
29
unterstützung bekamen. Betrug der Anteil der
peter eigner • Absturzgefahr und Sanierungsversuche 25
8.50
Arbeitslose in Steyr, 1932 (Foto: Lothar Rübelt)
dann vor allem auch die bis 1938 nahezu unverändert hohe Arbeitslosigkeit, deren Beseitigung der „Ständestaat“ versprochen hatte, die viele Österreicherinnen und Österreicher den „Anschluss“ freudig begrüßen ließ.
Unterstützten an der Gesamtzahl der Arbeitslosen
ben 1932 auf mehr als das Doppelte gegenüber 1929
1930 noch 86 Prozent, war 1934 bereits rund die
steigen. Einen der wohl aussagekräftigsten Indi-
31
Hälfte der Arbeitslosen „ausgesteuert“. Die
katoren für die sozialen Wirkungen einer Krise
monatliche Lohn- und Gehaltssumme sank in
dieser Dimension stellt die Anzahl der Lebendge-
Wien zwischen 1929 und 1934 von 158 Millionen
burten dar, die von 18.410 im Jahr 1929 auf 11.022
auf 89 Millionen Schilling, die Zahl der Beschäf-
im Jahr 1934 sanken.
32
tigten von 636.000 auf 439.000. Wien bildete
Die ökonomische Stagnation, dann die Krise
ein Zentrum der Arbeitslosigkeit, obwohl die
übten, wie Ernst Hanisch es formulierte, „einen
Arbeitsmarktentwicklung günstiger war als in den
Dauerdruck auf das demokratische politische Sys-
Bundesländern – zumindest solange noch stimu-
tem aus“ – einen Druck, dem dieses letztlich nicht
lierende Wirtschaftsmaßnahmen im Rahmen des
gewachsen war. Dem steht die These gegenüber,
kommunalen Wohnbaus erfolgten. Die Arbeitslo-
dass gerade die wesentlich beschleunigte techni-
sigkeit war nach Geschlecht, Alter, Qualifikation,
sche Entwicklung in Form von Rationalisierung
Region oder Branche höchst ungleich verteilt,
und Reorganisation des Produktionsapparates
wobei Arbeiter ohne Berufsausbildung, Jugend-
zum Zerfall des liberal-demokratischen Systems,
liche, die gar keinen Zugang zum Arbeitsmarkt
zu sozialen Ängsten und Ressentiments beige-
beziehungsweise zu einer Lehre fanden, sowie vor
tragen habe. Wirtschaftliche, gesellschaftliche
allem die Altersgruppe der 20- bis 40-Jährigen
und politische Entwicklungen standen also in der
besonders betroffen waren.
Zwischenkriegszeit in einer engen Wechselbe-
34
35
Mit der Massenarbeitslosigkeit und den Real-
ziehung. Die mangelnde Identifikation mit dem
lohnverlusten ging ein dramatischer Rückgang der
neuen Kleinstaat, dem man lange die wirtschaft-
Konsumnachfrage und damit der Lebensqualität
liche Lebensfähigkeit absprach, die zunehmende
33
einher. So sanken in Wien zwischen 1929 und
innenpolitische Polarisierung, die im Konflikt
1934 der durchschnittliche monatliche Brennstoff-
zwischen Rotem Wien und „schwarzer Provinz“
verbrauch von 202.000 auf 158.000 Tonnen, der
besonders augenscheinlich wurde, die wirtschaftli-
Zuckerverbrauch von 18.000 auf 14.300 Tonnen,
che Instabilität und die gesellschaftlichen Auswir-
die Zahl der von den Wiener Straßenbahnen
kungen der Inflation mit ihrer „Umwertung aller
beförderten Fahrgäste von 52,3 auf 37,6 Millio-
Werte“ ergaben im Zusammenspiel eine unheil-
nen, die Stromerzeugung von 48 auf 38 Millionen
volle Mischung, die in Zweifeln an der Demokratie
Kilowattstunden. Der drastische Einbruch in der
zum Ausdruck kam. Am deutlichsten zeigte sich
Konsumnachfrage ließ die Zahl der Ausgleiche
die Krise der 1930er-Jahre in ihren gravierenden
und Konkurse von Handels- und Gewerbebetrie-
Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt. Und es war
26
politik
1 Peter Eigner: Im Wechselbad der Gefühle. Politik und Alltag in Wien 1930 bis 1945 – eine Collage, in: Roland Domenig, Sepp Linhart (Hg.), Wien und Tokyo 1930–1945. Alltag, Kultur, Konsum (=Beiträge zur Japanologie Bd. 39), Wien 2007, S. 55-78; ders., Andreas Resch: Die wirtschaftliche Entwicklung Wiens im 20. Jahrhundert, in: Franz Eder, ders., Andreas Resch u.a.: Wien im 20. Jahrhundert. Wirtschaft, Bevölkerung, Konsum (=Querschnitte Bd.12), Wien 2003. 2 Siehe StadtChronik Wien. 2000 Jahre in Daten, Dokumenten und Bildern, Wien 1986, S. 419-423. 3 Ebd., S. 420. 4 Hans Veigl, Sabine Derman: Die wilden 20er Jahre. Alltagsleben zwischen zwei Kriegen. Wien 1999, S. 203. 5 Die folgenden Ausführungen stützen sich auf Otto Leichter: Glanz und Elend der Ersten Republik. Wie es zum österreichischen Bürgerkrieg kam, Wien 1964; Felix Kreissler: Von der Revolution zur Annexion. Österreich 1918 bis 1938, Wien 1970. 6 Im Detail dazu unter dem dramatischen Titel „Der Tag des Feuers“ Wolfgang Maderthaner: Von der Zeit um 1860 bis zum Jahr 1945, in: Peter Csendes, Ferdinand Opll (Hg.): Wien. Geschichte einer Stadt. Band 3: Von 1790 bis zur Gegenwart, Wien/ Köln/Weimar 2006, S. 404-423. 7 Ernst Hanisch, Der lange Schatten des Staates. Österreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert, Wien 1994, S. 287. 8 Siehe dazu die Beiträge von Kurt Bauer und Finnbar McLoughlin in diesem Katalog. 9 Vgl. dazu im Detail Peter Eigner, Peter Melichar: Das Ende der BodenCredit-Anstalt und die Rolle Rudolf Siegharts, in: Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften (ÖZG) 3 (2008), S. 56-114. 10 Der Oesterreichische Volkswirt (= ÖVW) 22 (1929) 2, S. 33. Siehe dazu insbesondere Walther Federn: Das Ende der Boden-Credit-Anstalt, in: ebd., S. 41-44; und Walther Federn: Lehren aus dem Fall der BodenCredit-Anstalt, in: ÖVW 22 (1929) 3, S. 70-72; bzw. Karl Ausch: Als die Banken fielen. Zur Soziologie der
politischen Korruption, Wien 1968, S. 307-334. 11 Die Einnahmen Wiens bestanden aus den Ertragsanteilen an bestimmten Bundessteuern, aus Zuschlägen zu einigen Bundesgebühren und schließlich aus jenen Steuern, die die Gemeinde Wien aufgrund ihrer Finanzhoheit als Bundesland einheben konnte. Unter Letzteren waren die Fürsorgeabgabe (1930 mit 75,8 Mio. S am ertragreichsten, im Schnitt entfielen auf sie 37 Prozent der Einnahmen im Abgabenbereich) und die Wohnbausteuer (1930 36 Mio. S, durchschnittlich 20 Prozent der Gesamteinnahmen aus Landes- und Gemeindeabgaben) bei Weitem am wichtigsten. Siehe mehr bei Gerhard Melinz, Gerhard Ungar: Wohlfahrt und Krise. Wiener Kommunalpolitik 1929–1938, Wien 1996, S. 38f. 12 Dazu und im Folgenden Maderthaner, Von der Zeit um 1860 bis zum Jahr 1945, S. 446f. 13 Melinz/Ungar, Wohlfahrt und Krise, S. 40. 14 Maderthaner, Von der Zeit um 1860 bis zum Jahr 1945, S. 447. Eine kritische Einschätzung der Leistungen des Roten Wien findet sich in Helmut Gruber: Red Vienna. Experiment in Working Class Culture 1919–1934, Oxford 1991. Einen guten Überblick bietet: Mit uns zieht die neue Zeit. Arbeiterkultur in Österreich 1918–1934 (Ausstellungskatalog Straßenbahn-Remise), Wien 1981. 15 Leichter, Glanz und Ende, S. 100. Es waren viele kleine Stiche, die der Sozialdemokratie versetzt wurden. So hatte eine Gesetzesänderung 1929 eine Durchlöcherung wesentlicher, dem Mieterschutz zugrunde liegender Prinzipien und die teilweise Wiederherstellung der Hausherrenrente gebracht. Vgl. Maren Seliger: Sozialdemokratie und Kommunalpolitik in Wien. Zu einigen Aspekten sozialdemokratischer Politik in der Vor- und Zwischenkriegszeit, Wien 1980, S. 94. 16 Zitat aus der Festrede Otto Glöckels: „Früher wurden Schlösser und Burgen gebaut für die Unterdrücker des Volkes … heute entstehen Burgen des Volkes …“, StadtChronik Wien, S. 420; Susanne Reppé: Der
Karl-Marx-Hof. Geschichte eines Gemeindebaus und seiner Bewohner, Wien 1993. 17 Zitiert nach Charles A. Gulick: Österreich von Habsburg zu Hitler. Bd. III, Wien 1948, S. 162; Kreissler, Von der Revolution zur Annexion, S. 165. 18 Hanisch, Der lange Schatten des Staates, S. 290. 19 Ebd., S. 288. 20 Es gärte schon länger: Auf die Uraufführung von Ernst Kreneks Oper Jonny spielt auf in der Staatsoper Ende 1927 reagierten Nationalsozialisten im Jänner 1928 mit Protesten. Anlässlich eines Gastspiels von Josephine Baker 1928 wurden Sondergottesdienste abgehalten, als „Buße für schwere Verstöße gegen die Moral“. Die Tagespolitik hielt Einzug in die Kulturproduktion. Mit seiner Figur des Herrn Seicherl schuf der Karikaturist Ladislaus Kmoch ab Herbst 1930 in der Zeitung Das Kleine Blatt
gewissermaßen die Verkörperung des reaktionären Kleinbürgers, dem er den „roten“ Hund Struppi zur Seite stellte. Seicherl, zumeist Pechvogel, der zur Heimwehrbewegung, später zu den „Hakenkreuzlern“ neigte, wurde rasch zur populärsten Witzfigur des Landes. Vgl. Bernhard Denscher: Humor vor dem Untergang. Tobias Seicherl – Comics zur Zeitgeschichte 1930 bis 1933, Wien 1983. 21 Daten nach StadtChronik Wien, S. 418-421. 22 Gulick, Von Habsburg zu Hitler, S. 169. 23 Dazu und im Folgenden Mader thaner, Von der Zeit um 1860 bis zum Jahr 1945, S. 432; Johannes Jetschgo, Ferdinand Lacina, Michael Pammer u. a.: Österreichische Industriegeschichte 1848 bis 1955. Die verpasste Chance, Wien 2004, S. 123f. 24 Im Detail dazu Ausch, Als die Banken fielen, insb. S. 155ff. 25 Ebd., VII. 26 Vgl. dazu im Detail Dieter Stiefel: Finanzdiplomatie und Weltwirtschaftskrise. Die Krise der Credit-Anstalt für Handel und Gewerbe, Frankfurt a. M. 1989. 27 Nach Siegfried Mattl leitete die Entdeckung einer antizyklischen Nachfragepolitik in den 30erJahren eine fundamentale Wende im gesellschaftlichen System ein. Die Hartwährungspolitik beruhte auf einer Politik des ausgeglichenen
Budgets und einer disziplinierten Kreditpolitik. Eine Schlüsselstellung hatte dabei die Nationalbank inne. Mit dem Begriff „Finanzdiktatur“ bringt Mattl zum Ausdruck, dass sich die Regierungspolitik an den Stabilitätsinteressen der Banken orientierte und dafür bereit war, Exportchancen und konjunkturelle Belebungen von industriellen Kernsektoren zu reduzieren. Siegfried Mattl: Die Finanzdiktatur. Wirtschaftspolitik in Österreich 1933–1938, in: Emmerich Tálos, Wolfgang Neugebauer (Hg.): „Austrofaschismus“. Beiträge über Politik, Ökonomie und Kultur 1934–1938, Wien 1988 (4. Aufl.), S. 133-159; Siegfried Mattl, Modernisierung und Anti-Modernismus im österreichischen „Ständestaat“, in: Auf in die Moderne! Österreich vom Faschismus bis zum EUBeitritt, Wien 1996, S. 77-86, hier S. 80. 28 Herbert Matis, Dieter Stiefel, Die Weltwirtschaft. Struktur und Entwicklung im 20. Jahrhundert, Wien 1991, S. 131. Eine detaillierte wirtschaftshistorische Analyse der 1930er-Jahre bietet Dieter Stiefel: Die große Krise in einem kleinen Land. Österreichische Finanz- und Wirtschaftspolitik 1929–1938, Wien/Köln/Graz 1988. 29 Kurt W. Rothschild: Austria’s Economic Development between the Two Wars, London 1947, S. 53. 30 Wirtschaftsdaten nach Gulick, Von Habsburg zu Hitler, S. 198; im Folgenden: Maderthaner, Von der Zeit um 1860 bis zum Jahr 1945, S. 430. 31 Dazu und im Folgenden Melinz/Ungar, Wohlfahrt und Krise, S. 24. 32 Maderthaner, Von der Zeit um 1860 bis zum Jahr 1945, S. 430f. 33 Dazu und im Folgenden ebd., S. 431. 34 Hanisch, Der lange Schatten des Staates, S. 284. 35 Kurt Bauer, Elementar-Ereignis. Die österreichischen Nationalsozialisten und der Juliputsch 1936, Wien 2003, 53ff. Der Autor beruft sich dabei auf den Soziologen Karl Mannheim. Von einer wesentlich beschleunigten technischen Entwicklung kann im Österreich der Zwischenkriegszeit aber nur bedingt die Rede sein.
peter eigner • Absturzgefahr und Sanierungsversuche 27
8.50
Arbeitslose in Steyr, 1932 (Foto: Lothar Rübelt)
dann vor allem auch die bis 1938 nahezu unverändert hohe Arbeitslosigkeit, deren Beseitigung der „Ständestaat“ versprochen hatte, die viele Österreicherinnen und Österreicher den „Anschluss“ freudig begrüßen ließ.
Unterstützten an der Gesamtzahl der Arbeitslosen
ben 1932 auf mehr als das Doppelte gegenüber 1929
1930 noch 86 Prozent, war 1934 bereits rund die
steigen. Einen der wohl aussagekräftigsten Indi-
31
Hälfte der Arbeitslosen „ausgesteuert“. Die
katoren für die sozialen Wirkungen einer Krise
monatliche Lohn- und Gehaltssumme sank in
dieser Dimension stellt die Anzahl der Lebendge-
Wien zwischen 1929 und 1934 von 158 Millionen
burten dar, die von 18.410 im Jahr 1929 auf 11.022
auf 89 Millionen Schilling, die Zahl der Beschäf-
im Jahr 1934 sanken.
32
tigten von 636.000 auf 439.000. Wien bildete
Die ökonomische Stagnation, dann die Krise
ein Zentrum der Arbeitslosigkeit, obwohl die
übten, wie Ernst Hanisch es formulierte, „einen
Arbeitsmarktentwicklung günstiger war als in den
Dauerdruck auf das demokratische politische Sys-
Bundesländern – zumindest solange noch stimu-
tem aus“ – einen Druck, dem dieses letztlich nicht
lierende Wirtschaftsmaßnahmen im Rahmen des
gewachsen war. Dem steht die These gegenüber,
kommunalen Wohnbaus erfolgten. Die Arbeitslo-
dass gerade die wesentlich beschleunigte techni-
sigkeit war nach Geschlecht, Alter, Qualifikation,
sche Entwicklung in Form von Rationalisierung
Region oder Branche höchst ungleich verteilt,
und Reorganisation des Produktionsapparates
wobei Arbeiter ohne Berufsausbildung, Jugend-
zum Zerfall des liberal-demokratischen Systems,
liche, die gar keinen Zugang zum Arbeitsmarkt
zu sozialen Ängsten und Ressentiments beige-
beziehungsweise zu einer Lehre fanden, sowie vor
tragen habe. Wirtschaftliche, gesellschaftliche
allem die Altersgruppe der 20- bis 40-Jährigen
und politische Entwicklungen standen also in der
besonders betroffen waren.
Zwischenkriegszeit in einer engen Wechselbe-
34
35
Mit der Massenarbeitslosigkeit und den Real-
ziehung. Die mangelnde Identifikation mit dem
lohnverlusten ging ein dramatischer Rückgang der
neuen Kleinstaat, dem man lange die wirtschaft-
Konsumnachfrage und damit der Lebensqualität
liche Lebensfähigkeit absprach, die zunehmende
33
einher. So sanken in Wien zwischen 1929 und
innenpolitische Polarisierung, die im Konflikt
1934 der durchschnittliche monatliche Brennstoff-
zwischen Rotem Wien und „schwarzer Provinz“
verbrauch von 202.000 auf 158.000 Tonnen, der
besonders augenscheinlich wurde, die wirtschaftli-
Zuckerverbrauch von 18.000 auf 14.300 Tonnen,
che Instabilität und die gesellschaftlichen Auswir-
die Zahl der von den Wiener Straßenbahnen
kungen der Inflation mit ihrer „Umwertung aller
beförderten Fahrgäste von 52,3 auf 37,6 Millio-
Werte“ ergaben im Zusammenspiel eine unheil-
nen, die Stromerzeugung von 48 auf 38 Millionen
volle Mischung, die in Zweifeln an der Demokratie
Kilowattstunden. Der drastische Einbruch in der
zum Ausdruck kam. Am deutlichsten zeigte sich
Konsumnachfrage ließ die Zahl der Ausgleiche
die Krise der 1930er-Jahre in ihren gravierenden
und Konkurse von Handels- und Gewerbebetrie-
Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt. Und es war
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politik
1 Peter Eigner: Im Wechselbad der Gefühle. Politik und Alltag in Wien 1930 bis 1945 – eine Collage, in: Roland Domenig, Sepp Linhart (Hg.), Wien und Tokyo 1930–1945. Alltag, Kultur, Konsum (=Beiträge zur Japanologie Bd. 39), Wien 2007, S. 55-78; ders., Andreas Resch: Die wirtschaftliche Entwicklung Wiens im 20. Jahrhundert, in: Franz Eder, ders., Andreas Resch u.a.: Wien im 20. Jahrhundert. Wirtschaft, Bevölkerung, Konsum (=Querschnitte Bd.12), Wien 2003. 2 Siehe StadtChronik Wien. 2000 Jahre in Daten, Dokumenten und Bildern, Wien 1986, S. 419-423. 3 Ebd., S. 420. 4 Hans Veigl, Sabine Derman: Die wilden 20er Jahre. Alltagsleben zwischen zwei Kriegen. Wien 1999, S. 203. 5 Die folgenden Ausführungen stützen sich auf Otto Leichter: Glanz und Elend der Ersten Republik. Wie es zum österreichischen Bürgerkrieg kam, Wien 1964; Felix Kreissler: Von der Revolution zur Annexion. Österreich 1918 bis 1938, Wien 1970. 6 Im Detail dazu unter dem dramatischen Titel „Der Tag des Feuers“ Wolfgang Maderthaner: Von der Zeit um 1860 bis zum Jahr 1945, in: Peter Csendes, Ferdinand Opll (Hg.): Wien. Geschichte einer Stadt. Band 3: Von 1790 bis zur Gegenwart, Wien/ Köln/Weimar 2006, S. 404-423. 7 Ernst Hanisch, Der lange Schatten des Staates. Österreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert, Wien 1994, S. 287. 8 Siehe dazu die Beiträge von Kurt Bauer und Finnbar McLoughlin in diesem Katalog. 9 Vgl. dazu im Detail Peter Eigner, Peter Melichar: Das Ende der BodenCredit-Anstalt und die Rolle Rudolf Siegharts, in: Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften (ÖZG) 3 (2008), S. 56-114. 10 Der Oesterreichische Volkswirt (= ÖVW) 22 (1929) 2, S. 33. Siehe dazu insbesondere Walther Federn: Das Ende der Boden-Credit-Anstalt, in: ebd., S. 41-44; und Walther Federn: Lehren aus dem Fall der BodenCredit-Anstalt, in: ÖVW 22 (1929) 3, S. 70-72; bzw. Karl Ausch: Als die Banken fielen. Zur Soziologie der
politischen Korruption, Wien 1968, S. 307-334. 11 Die Einnahmen Wiens bestanden aus den Ertragsanteilen an bestimmten Bundessteuern, aus Zuschlägen zu einigen Bundesgebühren und schließlich aus jenen Steuern, die die Gemeinde Wien aufgrund ihrer Finanzhoheit als Bundesland einheben konnte. Unter Letzteren waren die Fürsorgeabgabe (1930 mit 75,8 Mio. S am ertragreichsten, im Schnitt entfielen auf sie 37 Prozent der Einnahmen im Abgabenbereich) und die Wohnbausteuer (1930 36 Mio. S, durchschnittlich 20 Prozent der Gesamteinnahmen aus Landes- und Gemeindeabgaben) bei Weitem am wichtigsten. Siehe mehr bei Gerhard Melinz, Gerhard Ungar: Wohlfahrt und Krise. Wiener Kommunalpolitik 1929–1938, Wien 1996, S. 38f. 12 Dazu und im Folgenden Maderthaner, Von der Zeit um 1860 bis zum Jahr 1945, S. 446f. 13 Melinz/Ungar, Wohlfahrt und Krise, S. 40. 14 Maderthaner, Von der Zeit um 1860 bis zum Jahr 1945, S. 447. Eine kritische Einschätzung der Leistungen des Roten Wien findet sich in Helmut Gruber: Red Vienna. Experiment in Working Class Culture 1919–1934, Oxford 1991. Einen guten Überblick bietet: Mit uns zieht die neue Zeit. Arbeiterkultur in Österreich 1918–1934 (Ausstellungskatalog Straßenbahn-Remise), Wien 1981. 15 Leichter, Glanz und Ende, S. 100. Es waren viele kleine Stiche, die der Sozialdemokratie versetzt wurden. So hatte eine Gesetzesänderung 1929 eine Durchlöcherung wesentlicher, dem Mieterschutz zugrunde liegender Prinzipien und die teilweise Wiederherstellung der Hausherrenrente gebracht. Vgl. Maren Seliger: Sozialdemokratie und Kommunalpolitik in Wien. Zu einigen Aspekten sozialdemokratischer Politik in der Vor- und Zwischenkriegszeit, Wien 1980, S. 94. 16 Zitat aus der Festrede Otto Glöckels: „Früher wurden Schlösser und Burgen gebaut für die Unterdrücker des Volkes … heute entstehen Burgen des Volkes …“, StadtChronik Wien, S. 420; Susanne Reppé: Der
Karl-Marx-Hof. Geschichte eines Gemeindebaus und seiner Bewohner, Wien 1993. 17 Zitiert nach Charles A. Gulick: Österreich von Habsburg zu Hitler. Bd. III, Wien 1948, S. 162; Kreissler, Von der Revolution zur Annexion, S. 165. 18 Hanisch, Der lange Schatten des Staates, S. 290. 19 Ebd., S. 288. 20 Es gärte schon länger: Auf die Uraufführung von Ernst Kreneks Oper Jonny spielt auf in der Staatsoper Ende 1927 reagierten Nationalsozialisten im Jänner 1928 mit Protesten. Anlässlich eines Gastspiels von Josephine Baker 1928 wurden Sondergottesdienste abgehalten, als „Buße für schwere Verstöße gegen die Moral“. Die Tagespolitik hielt Einzug in die Kulturproduktion. Mit seiner Figur des Herrn Seicherl schuf der Karikaturist Ladislaus Kmoch ab Herbst 1930 in der Zeitung Das Kleine Blatt
gewissermaßen die Verkörperung des reaktionären Kleinbürgers, dem er den „roten“ Hund Struppi zur Seite stellte. Seicherl, zumeist Pechvogel, der zur Heimwehrbewegung, später zu den „Hakenkreuzlern“ neigte, wurde rasch zur populärsten Witzfigur des Landes. Vgl. Bernhard Denscher: Humor vor dem Untergang. Tobias Seicherl – Comics zur Zeitgeschichte 1930 bis 1933, Wien 1983. 21 Daten nach StadtChronik Wien, S. 418-421. 22 Gulick, Von Habsburg zu Hitler, S. 169. 23 Dazu und im Folgenden Mader thaner, Von der Zeit um 1860 bis zum Jahr 1945, S. 432; Johannes Jetschgo, Ferdinand Lacina, Michael Pammer u. a.: Österreichische Industriegeschichte 1848 bis 1955. Die verpasste Chance, Wien 2004, S. 123f. 24 Im Detail dazu Ausch, Als die Banken fielen, insb. S. 155ff. 25 Ebd., VII. 26 Vgl. dazu im Detail Dieter Stiefel: Finanzdiplomatie und Weltwirtschaftskrise. Die Krise der Credit-Anstalt für Handel und Gewerbe, Frankfurt a. M. 1989. 27 Nach Siegfried Mattl leitete die Entdeckung einer antizyklischen Nachfragepolitik in den 30erJahren eine fundamentale Wende im gesellschaftlichen System ein. Die Hartwährungspolitik beruhte auf einer Politik des ausgeglichenen
Budgets und einer disziplinierten Kreditpolitik. Eine Schlüsselstellung hatte dabei die Nationalbank inne. Mit dem Begriff „Finanzdiktatur“ bringt Mattl zum Ausdruck, dass sich die Regierungspolitik an den Stabilitätsinteressen der Banken orientierte und dafür bereit war, Exportchancen und konjunkturelle Belebungen von industriellen Kernsektoren zu reduzieren. Siegfried Mattl: Die Finanzdiktatur. Wirtschaftspolitik in Österreich 1933–1938, in: Emmerich Tálos, Wolfgang Neugebauer (Hg.): „Austrofaschismus“. Beiträge über Politik, Ökonomie und Kultur 1934–1938, Wien 1988 (4. Aufl.), S. 133-159; Siegfried Mattl, Modernisierung und Anti-Modernismus im österreichischen „Ständestaat“, in: Auf in die Moderne! Österreich vom Faschismus bis zum EUBeitritt, Wien 1996, S. 77-86, hier S. 80. 28 Herbert Matis, Dieter Stiefel, Die Weltwirtschaft. Struktur und Entwicklung im 20. Jahrhundert, Wien 1991, S. 131. Eine detaillierte wirtschaftshistorische Analyse der 1930er-Jahre bietet Dieter Stiefel: Die große Krise in einem kleinen Land. Österreichische Finanz- und Wirtschaftspolitik 1929–1938, Wien/Köln/Graz 1988. 29 Kurt W. Rothschild: Austria’s Economic Development between the Two Wars, London 1947, S. 53. 30 Wirtschaftsdaten nach Gulick, Von Habsburg zu Hitler, S. 198; im Folgenden: Maderthaner, Von der Zeit um 1860 bis zum Jahr 1945, S. 430. 31 Dazu und im Folgenden Melinz/Ungar, Wohlfahrt und Krise, S. 24. 32 Maderthaner, Von der Zeit um 1860 bis zum Jahr 1945, S. 430f. 33 Dazu und im Folgenden ebd., S. 431. 34 Hanisch, Der lange Schatten des Staates, S. 284. 35 Kurt Bauer, Elementar-Ereignis. Die österreichischen Nationalsozialisten und der Juliputsch 1936, Wien 2003, 53ff. Der Autor beruft sich dabei auf den Soziologen Karl Mannheim. Von einer wesentlich beschleunigten technischen Entwicklung kann im Österreich der Zwischenkriegszeit aber nur bedingt die Rede sein.
peter eigner • Absturzgefahr und Sanierungsversuche 27
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