Wien Museum Ausstellungskatalog „Werkbundsiedlung Wien 1932 - Ein Manifest des neuen Wohnens“

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WIEN MUSEUM

Die Gesamtleitung lag bei Josef Frank. Zu sehen waren 70 Musterhäuser von 31 Architekten und einer Architektin aus Österreich, Frankreich, Deutschland, Holland und den USA – unter ihnen Richard Neutra, Gerrit Rietveld und Margarete Schütte-Lihotzky. Die vollständig eingerichteten Häuser sollten Modelle für den Bau großer Siedlungen im Grünen sein und antworteten damit auf das Wohnbauprogramm des Roten Wien. Mit Individualität und Flexibilität reagierte die Werkbundsiedlung auf die internationale Überbetonung von Maschinenästhetik und Funktionalismus im Wohnen. 80 Jahre nach ihrer Eröffnung wird die Geschichte der Werkbundsiedlung Wien 1932 umfassend analysiert und mit zahlreichen unveröffentlichten Fotografien, Entwürfen und Einrichtungsgegenständen dokumentiert.

Jacques Groag, Schlafzimmer in Haus 45, Foto: Julius Scherb

ISBN 978-3-99014-071-0

WERKBUNDSIEDLUNG WIEN 1932

Im Sommer 1932 war am westlichen Stadtrand Wiens die größte Bauausstellung Europas zu sehen: Die Wiener Werkbundsiedlung entstand als soziale und ästhetische Utopie von einem besseren Leben aus dem Geist der Moderne – mitten in einer wirtschaftlichen Krise, als sich die politische und kulturelle Verengung der folgenden Jahre bereits abzeichnete.

„Die Wiener Ausstellung zeigte besonders gut jene lockere und leichte Komposition, die zugleich Erbteil einer alten Kultur und Frucht einer unzerstörbaren Freude am Leben ist. In der Wiener Siedlung findet man wenig Grundrisse, die den Bewohner übermäßig festlegen, wenig Wohnungseinrichtungen, die ihm die Hinzuwahl von neuen Stücken erschweren würden.“ Gustav Adolf Platz, 1933

EIN MANIFEST DES NEUEN WOHNENS

WERKBUNDSIEDLUNG WIEN 1932 WIEN MUSEUM



WERKBUNDSIEDLUNG WIEN 1932 Ein Manifest des Neuen Wohnens Herausgegeben von Andreas Nierhaus und Eva-Maria Orosz Mit Texten von Anita Aigner, Susanne Breuss, Otto KapďŹ nger, Markus Kristan, Siegfried Mattl, Norbert Mayr, Iris Meder, Walter Moser, Andreas Nierhaus, Eva-Maria Orosz, Wilfried Posch, Martin Praschl, Sabrina Rahman, Barbara Sauer und Maria Welzig

WIEN MUSEUM


Abb. 3: Die Werkbundsiedlung im Sommer 1932. Foto: Julius Scherb

Vorige Seite: Abb. 2 Reihenhäuser von André Lurçat. Foto: Martin Gerlach, 1932


Inhaltsverzeichnis

10 Vorwort Wolfgang Kos 13 Die Wiener Werkbundsiedlung 1932/2012 Zur Einführung Andreas Nierhaus, Eva-Maria Orosz

108 70 eingerichtete Häuser Dokumentation einer Ausstellung Otto Kapfinger, Markus Kristan, Norbert Mayr, Iris Meder, Andreas Nierhaus, Eva-Maria Orosz, Maria Welzig

18 Köln – Paris – Wien Der Österreichische Werkbund und seine Ausstellungen Wilfried Posch 28 „Bauten, die eine bessere Welt abbilden“ Architekturausstellungen um 1930 zwischen Modell und Wirklichkeit Andreas Nierhaus 36 Anspruch und Ausgang Zur Projekt- und Baugeschichte der Internationalen Werkbundsiedlung Wien 1932 Otto Kapfinger 64 Typenmöbel mit persönlicher Note Mustereinrichtungen in der Werkbundsiedlung Eva-Maria Orosz 82 Mit allen Finessen und Apparaten

244 Am Rande ihrer Zeit Die Werkbundsiedlung im Spannungsfeld von Massenkultur und politischer Krise Siegfried Mattl 252 Die Mustersiedlung am Bierhäuselberg Eine konservative Antwort auf die Werkbundsiedlung Norbert Mayr 260 Licht, Luft, Sonne im modern eingerichteten Eigenheim Die ersten Bewohnerinnen und Bewohner der Werkbundsiedlung Barbara Sauer 266 Die Denkmalwerdung der Werkbundsiedlung und ihre Effekte

Küchen und Hauswirtschaft in der

Wertproduktion, Widersprüche und Konflikte

Werkbundsiedlung

Anita Aigner

Susanne Breuss 90 „Glückliches Wohnen“ und

276 Die Sanierung der Werkbundsiedlung seit 2011 Martin Praschl

„Lebendiges Schaffen“ Otto Neurath, Josef Frank und die Werkbundsiedlung als Lebensmodell Sabrina Rahman 96 „Natur und Architektur werden hier ineinandergeschoben“ Haus und Garten in der Werkbundsiedlung Iris Meder 102 Ausstellungsbilder Die fotografische Inszenierung der Werkbundsiedlung Walter Moser

280 Kurzbiografien 285 Ausführende Firmen der Werkbundsiedlung Wien 1932 287 Literaturverzeichnis 293 Verzeichnis der ausgestellten Objekte 300 Autorinnen und Autoren 302 Abbildungsnachweis


Abb. 4: Haus 25–28 von André Lurçat (Veitingergasse 87, 89, 91, 93). Foto: David Schreyer, Juni 2012

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Abb. 5 Haus 57, 58 von Max Fellerer (Woinovichgasse 6, 8) und 61, 62 von Margarete Sch端tte-Lihotzky (Woinovichgasse 2, 4). Foto: David Schreyer, Juni 2012

Abb. 6 Haus 49 von Adolf Loos (Woinovichgasse 13). Foto: David Schreyer, Juni 2012

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Abb. 7 Haus 40 von Oswald Haerdtl (Veitingergasse 117). Foto: David Schreyer, Juni 2012

Abb. 8 Haus 47 von Richard Neutra (Woinovichgasse 9). Foto: David Schreyer, Juni 2012

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Abb. 9: Haus 8 von Josef Hoffmann (Veitingergasse 79), Gartenseite. Foto: David Schreyer, Juni 2012

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Vorwort Wolfgang Kos

Zentrales Exponat der Ausstellung, der ersten über die

Wien. Diese Zwischenposition, politisch geprägt vom

Werkbundsiedlung, ist ein großes Modell, das im Auftrag

bürgerlich-liberalen Humanismus und von sozialdemo-

des Wien Museums von der Klasse für Modellbau an der

kratischen Idealen, gilt heute als Wiener Spezifikum in

TU Wien erarbeitet und gestaltet wurde. Es erlaubt einen

der Rezeption der Moderne. Auch das macht die Werk-

Überblick –vielleicht sogar eine neue Wahrnehmung des

bundsiedlung zu einem einzigartigen Dokument.

weltweit wichtigsten Architektur-Ereignisses im Jahr

Was ein Kraftakt des Aufbruchs ins Neue werden

1932. Denn es ist nicht leicht, von der heute in idyllisches

sollte, blieb jedoch – obwohl mehr als 100.000 Besuche-

Grün eingebetteten Siedlung, die dörflich anmutet, aber

rinnen und Besucher nach Lainz pilgerten – so gut wie

mit urbaner Intellektualität geplant wurde, auf ihre au-

wirkungslos. Als „Produkt einer realen Utopie“ bezeich-

ßergewöhnliche Bedeutung für die Geschichte der öster-

nete Friedrich Achleitner 1985 die Werkbundsiedlung,

reichischen Moderne zu schließen. Anders als 1932, als

aber auch „als Artikulation einer Hoffnung, der am Be-

die 70 Musterhäuser (alle mit Flachdach!) auf ein baum-

ginn der dreißiger Jahre bereits die Fundamente zerstört

loses Gelände gestellt wurden, ist heute kein Gesamt-

wurden“. 1932 waren sozialutopische Ideen in der Defen-

blick auf die damals „größte Bauausstellung Europas“

sive, der Kampf zwischen weltoffener Großstadtkultur

möglich, die in Zeitungen als „Würfelsiedlung“ und

und antiurbanem Ressentiment war de facto entschie-

„spinnertes Dorf“ bezeichnet wurde, aber auch als „mo-

den. Auch das von Frank kritisierte Bauprogramm des

dernste Gartenstadt der Welt“.

Roten Wien war wegen Finanznot am Auslaufen. Noch

In der Totale erst wird deutlich, dass es sich bei dem

hatten die Sozialdemokraten in Wien die absolute Mehr-

von Josef Frank konzipierten Ensemble um mehr han-

heit, aber die politische und ökonomische Wetterlage war

delt als um die Summe von zum Teil meisterhaften Ein-

1932 bereits verdüstert: latenter Bürgerkrieg zwischen

zelhäusern. Denn diese ergeben, wie das nur bei einer

den politischen Lagern, Wahlerfolge der Nationalsozia-

Ausstellung mit handverlesenen Teilnehmern möglich

listen, extrem hohe Arbeitslosigkeit, antisemitische Agi-

ist, eine Art Enzyklopädie von avancierten Raum- und

tation, Erstarken des politischen Katholizismus auf dem

Wohnkonzepten jener Jahre, geplant von Top-Leuten

Weg zur Ständestaat-Diktatur. 1932 war die konservative

der internationalen und österreichischen Szene. Es

Kehrtwendung bereits absehbar. Als „mehrfach gebro-

waren starke Jahre in der Wiener Architektur, gekenn-

chenen Schlussakkord“ und „fast elegischen Epilog“ be-

zeichnet von einem Generationenwechsel. Im Starter-

zeichnet Otto Kapfinger in seinem Aufsatz für dieses

feld findet sich mit Adolf Loos ein Veteran der Moderne,

Buch die mit Verspätung realisierte Werkbundsiedlung.

vor allem aber brilliert die mittlere Generation um Josef

Es ist erfreulich, dass die Stadt Wien die in ihrem Besitz

Frank und Oskar Strnad. Auffällig ist, wie viele „emer-

befindlichen Häuser 80 Jahre nach der Errichtung nun

ging architects“ wie Plischke, Haerdtl oder Fellerer ein-

einer substanziellen Sanierung unterzieht.

geladen wurden. Allerdings war nur eine Frau dabei, Margarete Schütte-Lihotzky.

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Der Impuls zur Ausstellung kam von Andreas Nierhaus, im Wien Museum für Architektur zuständig, und

Ein Ganzes ist die Werkbundsiedlung aber vor allem

Eva-Maria Orosz, Kuratorin für angewandte Kunst und

deshalb, weil sie von kohärenten Ideen getragen war: ei-

Möbel. Beiden danke ich für ihre präzise, emphatische

nerseits glückliches Wohnen als Ideal („Glück“ und „neu“

und in die Tiefe schürfende Herangehensweise, war

waren omnipräsente Versatzstücke fortschrittlicher Pa-

doch im Vorfeld wertvolles neues Quellenmaterial zu re-

rolen), andererseits Kritik an einer strengen Auslegung

cherchieren und ein Überblick über sämtliche verfügba-

des Funktionalismusbegriffs. Striktes Normierungs-

ren Pläne und Fotos zu gewinnen.

denken war Frank ebenso ein Gräuel wie die „kleinbür-

Beharrlich wurde das Ziel verfolgt, unscharfe Vorstel-

gerliche“ Ästhetik der „Volkswohnpaläste“ des Roten

lungen mit Fakten zu konfrontieren, erlangte die Werk-


Abb. 10 Modell der Werkbundsiedlung, Maßstab 1:100, gebaut von Studierenden der TU Wien, 2011/2012

bundsiedlung nach 1945 doch den Status eines Mythos.

Instituts für Kunst und Gestaltung (ebenfalls TU Wien,

Vor allem sollte klar werden, dass die Häuser primär ide-

Leitung: Walter Fritz).

altypische Modelle im Rahmen einer – gewissermaßen

Für ihre Bereitschaft, außergewöhnliches und zum

von Josef Frank kuratierten – zweimonatigen Bauaus-

Teil noch nie gezeigtes Material als Leihgabe zur Verfü-

stellung waren und erst im Nachhinein reale Wohn-

gung zu stellen, danke ich zahlreichen Institutionen –

räume wurden. Das spiegelt unser interner Arbeitstitel

unter anderem der Mährischen Galerie in Brünn, dem

„Wohnen im Modell“. Im Subtitel der Ausstellung („Ein Manifest des

Architekturarchiv der Cité de l’architecture in Paris, dem MAK und dem Österreichischen Staatsarchiv – sowie

Neuen Wohnens“) steckt Programmatisches: einerseits

vielen privaten Leihgeberinnen und Leihgebern. Ihnen

der Anspruch auf eine die Gesellschaft transzendie-

ist zu verdanken, dass etliche Möbel gezeigt werden kön-

rende Bedeutung von Planen, andererseits die oft über-

nen, die vor 80 Jahren in der Werkbundsiedlung ausge-

sehene Tatsache, dass 1932 nicht Baufragen im Vorder-

stellt waren.

grund standen, sondern die optimale und ästhetisch

Eine Architekturausstellung raumgestaltend zu be-

hochwertige Organisation von Wohnen auf kleinem

treuen ist eine herausfordernde Sache: Siegfried Loos

Raum. Für viele überraschend mag auch sein, dass die

und Margot Fürtsch-Loos vom Büro polar÷ haben sich

Inneneinrichtungen keineswegs jene waren, in denen

mit Elan und intellektueller Freude darauf eingelassen.

ab 1932 gelebt wurde, sondern die Häuser als kommer-

Mein besonderer Dank gilt Stefan Fuhrer und seinem

zielle Schauräume dienten für Serienprodukte (und

Büro für die visuelle Gestaltung und die wunderbare Zu-

manche Prototypen) des damals so qualitätsvollen Wie-

sammenarbeit. Das Team des Wien Museums sorgte ein-

ner Designs.

mal mehr für eine professionelle Projektumsetzung,

Ich freue mich, dass mit Otto Kapfinger der wohl beste Kenner der Werkbundsiedlung als jederzeit hilfs-

stellvertretend für alle danke ich Isabelle Exinger-Lang als Produktionsleiterin.

bereiter Konsulent mitwirkte. Sein Katalogbeitrag, von

Auch diese Ausstellung ist nach wenigen Monaten

nun an der maßgebliche Text zur Planungs- und Bauge-

vorbei. Umso größer ist die Hoffnung, dass sie Spuren

schichte, resümiert eine mehr als 30-jährige Beschäfti-

hinterlässt und ihre Neuansätze fruchtbar werden. Des-

gung mit dem Thema und interpretiert neues Quellen-

halb wäre es ein wunderbares Ergebnis nachhaltiger

material. Im Auftrag des Wien Museums erforschte Bar-

Museumsarbeit, würde das Katalogbuch, das dramatur-

bara Sauer in Wiener Archiven die Geschichte der Be-

gisch bewusst anders aufgebaut ist als die Museums-

wohnerinnen und Bewohner zwischen 1932 und 1945.

schau, für längere Zeit als Standardwerk und Wissens-

Wichtige Impulse brachten auch eine Lehrveranstal-

speicher dienen. Die Chance besteht, enthält es neben

tung an der TU Wien im Jahr 2010 (Leitung: Anita Aig-

raren Bildern doch Beiträge von profilierten Expert-

ner, Andreas Nierhaus), in der die Bauausstellung von

innen und Experten.

1932 mit heutigen Fertighaus-Mustersiedlungen wie der „Blauen Lagune“ verglichen wurde, und die minutiöse Recherche zum eingangs erwähnten Modell der Sied-

Wolfgang Kos

lung durch Studierende in der Modellbauwerkstatt des

Direktor Wien Museum

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Abb. 11 Ausstellungsplakat zur Werkbundsiedlung, Entwurf: Gesellschafts- und Wirtschaftsmuseum, 1932

12


Die Wiener Werkbundsiedlung 1932/2012 Zur Einführung Andreas Nierhaus und Eva-Maria Orosz

Unser Buch ist – um Friedrich Achleitner zu paraphrasieren – der Katalog zur Ausstellung einer Ausstellung.

elle Design für den Einzelnen dem industriellen Mas-

1

senprodukt für die breite Bevölkerung gegenüberge-

Die Wiener Werkbundsiedlung, nach langjähriger Vor-

stellt. Der Vereinigung gehörten Künstlerinnen und

planung mitten in einer Weltwirtschaftskrise beispiel-

Künstler sowie Intellektuelle unterschiedlichster ideo-

losen Ausmaßes am 4. Juni 1932 eröffnet, war zunächst

logischer Richtungen an. Nach Auseinandersetzungen

eine Ausstellung und wurde erst danach zur Siedlung.

über die Ziele der Vereinigung, die Anfang der 1920er-

Als Ausstellung bestand die Werkbundsiedlung nur

Jahre zur Abspaltung des Wiener Werkbunds und zu

für die kurze Dauer von acht Wochen, in denen 70 voll-

einem Nachlassen der Aktivitäten geführt hatten, ge-

ständig eingerichtete Häuser mehr als 100.000 Besu-

lang 1928 die Wiedervereinigung und die Aufnahme der

cherinnen und Besucher an den westlichen Stadtrand

gemeinsamen Arbeit unter den Vizepräsidenten Josef

Wiens lockten. Anschließend zogen Käufer und Mieter

Hoffmann und Josef Frank, Präsident wurde der Chef

in die neuen Häuser am Fuß des Roten Berges ein. Von

der Gemeinwirtschaftlichen Siedlungs- und Baustoff-

dieser Bauausstellung sind nach Zerstörungen im Zwei-

anstalt GESIBA, Hermann Neubacher. Auf der Tagung

ten Weltkrieg noch 64 Häuser erhalten und werden

des Deutschen Werkbundes in Breslau 1929 lud Öster-

nach wie vor bewohnt.

reich die deutschen Kollegen zur nächsten Jahresta-

Der Zustand der Werkbundsiedlung im Sommer

gung nach Wien ein und beschloss, aus diesem Anlass

1932 ist heute in mehr als 300 Fotografien überliefert,

eine Werkbundsiedlung zu errichten. Aufgrund erheb-

die von Anfang an die Rezeption der Ausstellung be-

licher Schwierigkeiten bei der Planung konnte die Wie-

stimmten und noch heute oftmals den falschen Ein-

ner Werkbundsiedlung schließlich erst 1932 eröffnet

druck erwecken, dass die Häuser und Innenräume in

werden. Es war die mit Abstand größte Leistung des

genau dieser fiktiven Form bewohnt worden seien.

Österreichischen Werkbundes überhaupt.

Ausstellung und Katalog konzentrieren sich bewusst

In den 1920er-Jahren hatten sich Bauausstellungen,

auf die Bauausstellung, wie sie sich im Sommer 1932

die Modelle im Maßstab 1:1 zeigten, zu den wichtigsten

dem Publikum präsentierte und wie sie durch Pläne,

Foren für die Vermittlung des Neuen Bauens und Woh-

Fotografien und schriftliche Quellen dokumentiert ist.

nens entwickelt. Die vom Deutschen Werkbund unter

Nur im Rückblick auf ihre erste und eigentliche Auf-

der Leitung von Mies van der Rohe 1927 errichtete Wei-

gabe, als internationale Bauausstellung unterschiedli-

ßenhofsiedlung in Stuttgart war die erste und bedeu-

che Typen für Siedlungshäuser zu zeigen, wird die be-

tendste derartige Schau und Vorbild und Referenz für

sondere städtebauliche und architektonische Gestal-

ähnliche Ausstellungen in mehreren Ländern Europas.

tung der Werkbundsiedlung verständlich und umfas-

Als einziger österreichischer Architekt war Josef Frank

send lesbar.

mit einem Doppelhaus in der Weißenhofsiedlung ver-

Die internationale Bauausstellung

die Wiener Werkbundsiedlung, die auch als Antwort auf

treten. 1929 übernahm er die künstlerische Leitung für Initiator und Namensgeber der Bau- und Wohnausstellung war der Österreichische Werkbund, der vor

Stuttgart zu verstehen ist. Dass die Ausstellung 1932 überhaupt eröffnet werden

genau 100 Jahren gegründet wurde. In der Ersten Repu-

konnte, grenzte an ein Wunder. Österreich befand sich

blik war er eine wichtige kulturpolitische Kraft, die für

in einer tiefen wirtschaftlichen Krise und konnte nur

die moderne Gesellschaft qualitätsvolle Gestaltungen

durch eine Völkerbundanleihe in letzter Minute vor dem

erarbeitete. Architektur, Kunst und Kunsthandwerk

Staatsbankrott gerettet werden. Die politischen Ereig-

wirkten zusammen, das Miteinander von Kunst, Indus-

nisse der kommenden Jahre warfen ihre Schatten vo-

trie und Handwerk wurde neu diskutiert, das individu-

raus: Wenige Hundert Meter von der Werkbundsiedlung

13


entfernt verübten Nazis am 30. Juni 1932 einen antisemi-

Die Werkbundsiedlung war ein Manifest des Neuen

tischen Anschlag auf den Golf-Club im Lainzer Tiergar-

Wohnens, wie es in Wien verstanden wurde: in enger Be-

ten, es gab mehrere Verletzte. Von dieser offensichtlichen Bedrohung blieb die

ziehung zur Natur, die Einrichtung flexibel, nicht abgeschlossen, sondern anpassungsfähig, entsprechend den

heile Welt der Ausstellung im Sommer 1932 scheinbar

sich verändernden Lebensumständen der Bewohnerin-

unberührt.

nen und Bewohner.

„Modern ist das Haus, das alles in unserer Zeit Lebendige aufnehmen kann und dabei doch ein organisch gewachsenes Gebilde bleibt. Die moderne deutsche Architektur mag sachlich sein, praktisch, prinzipiell richtig, oft sogar reizvoll, aber sie bleibt leblos.“2

Wie die Ausstattung, so sollte auch das Wohnhaus durch Erweiterung und Umbau jederzeit neuen Anforderungen angepasst werden können. Die Interieurs der Werkbundsiedlung waren die umfassendste Präsentation des Neuen Wohnens in Wien. Und wieder ist daran zu erinnern, dass sie nur für die

Gegenüber dem rigorosen Funktionalismus und der

kurze Dauer von acht Wochen existierten und anschlie-

Technikgläubigkeit mancher Vertreter des Neuen Bau-

ßend komplett demontiert wurden. Nie hat jemand in

ens nahmen die Wiener, allen voran Josef Frank, eine

diesen Interieurs, vielfältig und persönlich bis ins Detail

zugleich distanzierte und entspannte Haltung ein. Hier,

von rund 50 Gestalterinnen und Gestaltern konzipiert,

wo um 1900 Otto Wagner, Josef Hoffmann und Adolf

tatsächlich gelebt. Kaum ein Element der Ausstattung

Loos Grundlagen der modernen Architektur erarbeitet

von 1932 ist in den Häusern geblieben, der eine oder an-

hatten, wurde bereits mit Selbstverständlichkeit mo-

dere Einbauschrank mag zurückgelassen worden sein.

dern gebaut. Nicht reine Zweckmäßigkeit und das Dik-

Erst bei genauerer Betrachtung entlarven die histori-

tat der Maschine, sondern das individuelle Bedürfnis

schen Fotografien die Räume als Inszenierung, zeigen

der und des Einzelnen standen im Mittelpunkt. Otto

die Ausstellungssituation. Auch die wirtschaftlichen

Neurath, neben Frank einer der maßgeblichen Köpfe

Ambitionen des ganzen Unternehmens werden spürbar:

hinter der Werkbundsiedlung, sprach vom „Glücksma-

Das Inventar trug Etiketten und Firmenschilder, mehr

ximum“ und von der „wirklichen Wohnung“, um die

als 200 vorwiegend Wiener Firmen waren der Einladung

sich die Architekten zu kümmern hätten. Die Woh-

des Werkbundes gefolgt, an der Mustereinrichtung mit-

nungsfrage, so Neurath, sei kein technisches, sondern

zuwirken. Oft selbst Werkbundmitglieder, stellten die

ein politisches Problem.

Firmen ihre Ware leihweise und kostenlos zur Verfügung. Die Ausstellung war eine große Werbeplattform, Firmen hofften auf neue Aufträge. Danach wanderte das Inventar in die Musterräume der Firmen zurück, wurde von Architekten weiterverwendet oder verkauft. Schlussendlich war die Werkbundsiedlung der einzige größere, leider viel zu späte Versuch, Typen für das Kleinwohnhaus im Siedlungsverband vorzustellen, ein Maximum an Wohnkomfort auf minimal verbauter Fläche. Mit ihrem Plädoyer für den Siedlungsbau gab sie eine Antwort auf die Wohnbaupolitik des Roten Wien. Das große städtische Bauprogramm war jedoch bereits Geschichte, die von der Bauausstellung in der Hagenau ausgehenden Impulse für den Siedlungsbau wurden im autoritären Klima der folgenden Jahre nicht mehr aufgegriffen.

Abb. 12 Katalog der Möbelfabrik Herrgesell, 1930er-Jahre

14

Die Werkbundsiedlung nach 1932 Ab dem Spätsommer 1932 begann die zweite, bis heute währende Phase in der Geschichte der Werkbundsiedlung: Die Ausstellung wurde zur Wohnsiedlung.


Schon im Vorfeld hatte sich Johannes Ilg in der „Wiener

mals einer „sanften“ Restaurierung unterzogen. Seit 2011

Allgemeinen Zeitung“ Gedanken über die Zukunft ge-

wird durch das Architekturbüro P.Good mit großem

macht: „Menschen werden draußen wohnen und be-

finanziellen Aufwand vonseiten der Stadt Wien an einer

sucht werden, die kleinen Freundschaften und die gro-

umfassenden, denkmalpflegerischen Kriterien entspre-

ßen Feindschaften werden froh machen und wehtun.

chenden Sanierung der Werkbundsiedlung gearbeitet,

Die Ausstellung wird zur Siedlung werden, wenn und bis

die ersten fertiggestellten Häuser wurden im Juni 2012

dort die Verbindung von Haus und Glück, von Wohnung

der Öffentlichkeit präsentiert.

und Erlebnis sich begibt. Bis nicht nur die mit neuen

Bis heute wird in der Werkbundsiedlung gelebt, und

Käufern importierten Kinder, sondern die neugebore-

der Umstand, dass die Häuser als Architekturdenkmale

nen dort schreien, bis die Toten fortgeschafft werden.

staatlich geschützt sind, macht das Leben dort sicher

Bis man draußen leben wird.“3

nicht einfacher. Interessen von Bewohnerinnen und Be-

Wie die meisten Bauausstellungen war die Werkbundsiedlung ein finanzieller Misserfolg: Aufgrund der

Abb. 13 Bruno Buzek, Vogelschau der Werkbundsiedlung, 1931

wohnern müssen gegen jene des Denkmalschutzes abgewogen werden.

hohen Preise und der schwierigen wirtschaftlichen Lage konnten nur 14 Häuser verkauft werden, der große Rest

Zum Katalog

wurde von der GESIBA vermietet. Im August 1932 zogen

In seinem Aufbau soll der Katalog einmal mehr den

die ersten Bewohnerinnen und Bewohner ein: Beamte,

Ausstellungscharakter der Werkbundsiedlung unter-

Lehrer, Ingenieure, Architekten, Künstler und Schrift-

streichen: In den Aufsatzteil sind die Beschreibungen

steller – vor allem „geistige Arbeiter“. Nach dem „An-

der Häuser eingebunden – in der Reihenfolge der histo-

schluss“ 1938 wurde der ehemalige Werkbund- und

rischen Nummerierung werden die einzelnen Haus-

GESIBA-Präsident Neubacher erster NS-Bürgermeis-

typen vorgestellt. Grundrisse, Ansichten und Schnitte,

ter Wiens, die Werkbundsiedlung ging in das Eigentum

Angaben zur Wohnfläche werden mit dem erstmaligen

der Gemeinde Wien über. In der Folge wurden mehrere

Reprint des nur in wenigen Exemplaren erhaltenen his-

Bewohnerinnen und Bewohner Opfer der rassistischen

torischen Verkaufskatalogs der GESIBA geliefert. His-

Verfolgung durch die Nationalsozialisten. Auch viele

torische Fotografien von Martin Gerlach, Julius Scherb

Architektinnen und Architekten, Gestalterinnen und

und Franz Mayer zeigen Ausstellungssituation und Ein-

Gestalter der Ausstellung von 1932 mussten emigrieren,

richtung der Häuser im Sommer 1932. Ihnen werden Fo-

einige kamen ums Leben. Der modernen Architektur in

tografien von Margherita Spiluttini (1985) und David

Österreich wurden in jeder Hinsicht die Grundlagen

Schreyer (2012) gegenübergestellt, die ein aktualisiertes

entzogen; die Werkbundsiedlung erinnert an die Über-

– wenn auch ebenso selektives – Bild der Wiener Werk-

zeugung, ein besseres Leben aus dem Geist der Moderne

bundsiedlung vermitteln.

gestalten zu können. Nach 1945 entdeckte eine junge Architektengeneration in der Werkbundsiedlung die abgerissenen Fäden der Moderne. In den späten 1970er-Jahren unter Denkmalschutz gestellt, wurde die Werkbundsiedlung 1983– 1985 durch Adolf Krischanitz und Otto Kapfinger erst-

1 2 3

Achleitner 1985a, S. 7. Frank 1931, S. 135. Johannes Ilg: Die Werkbund-Siedlung, in: Wiener Allgemeine Zeitung, 29.7.1932, S. 6.

15


Abb. 14 Bau der Häuser von Oskar Wlach und Julius Jirasek. Foto: Ing. Franz Mayer, 1931

Abb. 15 Bau der Häuser von André Lurçat. Foto: Ing. Franz Mayer, 1931

16


Abb. 16: Die Werkbundsiedlung kurz vor der Fertigstellung. Foto: Ing. Franz Mayer, 1932

17


Köln – Paris –Wien Der Österreichische Werkbund und seine Ausstellungen Wilfried Posch

Die „Werkbundsiedlung Internationale Ausstellung

ensleute für Bezirke und Mitglieder. So sollten „Eifer-

Wien 1932“ ist die bedeutendste Leistung in der Ge-

süchteleien und Kirchturminteressen“ zwischen Orts-

schichte des Österreichischen Werkbundes gewesen.

gruppen ebenso vermieden werden wie auch gegen-

Grund genug, sich mit Herkunft, Wesen und Zielen

über der Zentrale.3 Vertrauensmann für den Bundesbe-

dieser Vereinigung auseinanderzusetzen. Es gilt zu zei-

zirk Österreich war Josef Hoffmann. Ihm kam eine

gen, wie der Werkbund mit und an seinen Ausstellun-

große Bedeutung zu, er besaß das Vorschlagsrecht bei

gen gewachsen, aber mehrfach daran auch fast zerbro-

der Mitgliederaufnahme; so hatte er die Möglichkeit,

chen wäre.

1

den Werkbund in Österreich zu formen. Im Mitglieder-

Die Geschichte des Österreichischen Werkbundes be-

verzeichnis des Jahres 1908 finden sich viele, die Hoff-

ginnt eigentlich mit der Gründung des Deutschen

mann schon in den Tagen der Wiener Secession nahe-

Werkbundes im Oktober 1907 in München, an der fünf

gestanden waren: Kollegen aus dem Kreis der Kunstge-

Österreicher maßgeblich beteiligt waren: Der Kunst-

werbeschule, die Wiener Werkstätte und ihre Mitarbei-

theoretiker, Lehrer und Schriftsteller Joseph August

ter, Kunstkritiker sowie Firmen, zu denen Hoffmann

Lux an der Vorbereitung der Ziele, die Architekten

in Beziehung stand.4 Adolf Loos freilich, der viele Ge-

Josef Hoffmann, Joseph Maria Olbrich, Otto Prut-

danken über zeitgemäße Formgebung, Ornamentlo-

scher und der Maler und Grafiker Koloman Moser,

sigkeit, Kunstgewerbe, Industrie und Handwerk schon

aber auch die Wiener Werkstätte.

Jahre vor ähnlichen Äußerungen nun führender Per-

Zahlreiche Streitgespräche vor, während und nach

sönlichkeiten des Werkbundes ausgesprochen hatte,

der ersten Jahresversammlung in München 1908 zei-

fehlte. Dies ist angesichts des bis in die Secessionszeit

gen, wie schwer es am Beginn gewesen ist, einen ge-

zurückreichenden Zerwürfnisses zwischen Hoffmann

meinsamen Nenner für die Arbeit zu finden. Die

und Loos nicht verwunderlich.5

schließlich einstimmig angenommene Satzung spiegelt das deutliche Bemühen wider, allen Kräften und

Österreich und die Werkbundausstellung 1914

Auffassungen gerecht zu werden: „Der Zweck des Bun-

Seit 1909 plante der Werkbund, sich über eine große

des ist die Veredelung der gewerblichen Arbeit im

Ausstellung der Weltöffentlichkeit bekannt zu machen.

Zusammenwirken von Kunst, Industrie und Hand-

Im Sommer 1911 schien die finanzielle und organisato-

werk durch Erziehung, Propaganda und geschlossene

rische Möglichkeit gesichert, dieses Vorhaben in Köln

Stellungnahme zu einschlägigen Fragen.“

2

1914 zu verwirklichen, nachdem Pläne für Frankfurt/ Main und Berlin gescheitert waren. Der Werkbund

Josef Hoffmann formt den Werkbund in Österreich

18

entwickelte sich immer mehr von einer „propagandistischen Gesinnungsgemeinschaft“ zu einem „Verband

Der Deutsche Werkbund beschränkte sich zunächst

mit scharf umrissenen Zielen der wirtschaftspoliti-

nicht auf das Gebiet des Deutschen Reiches allein, son-

schen Praxis“, wie dies der langjährige Werkbundmit-

dern arbeitete innerhalb des gesamten deutschen

arbeiter Theodor Heuss ausdrückte. Der Werkbund

Sprachraums. Er gliederte sich in 25 Bezirke, die nicht

war in wenigen Jahren zur Institution geworden. Die

nur Österreich und die Schweiz, ab 1910 darüber hinaus

Arbeit, die Peter Behrens seit 1907 für die AEG als Ge-

auch Holland erfassten. Ein Schaffen selbstständiger

stalter von Hallen, Erzeugnissen, Schriftstücken für

Bünde in diesen Ländern war zunächst nicht geplant.

Werbung und Verkauf, Ausstellungen und vielem an-

Der Werkbund und sein Vorstand waren dezentrali-

deren leistete, wurde zu einem Leitbild der Werkbund-

siert-unitaristisch ausgerichtet. Man setzte bewusst

idee. Den deutschen Beitrag zur Weltausstellung in

keine Instanz über einzelne Orte, es gab nur Vertrau-

Brüssel 1911 konnte der Werkbund, vom Staat beauf-


tragt, entscheidend mitgestalten. Bis 1912 wurden

Deutsche Werkbund seine fünfte Jahresversammlung

unter Mitwirkung österreichischer Mitglieder rund 50

in Wien ab. Im Auftrag des k. k. Ministeriums für öf-

Wanderausstellungen des Deutschen Werkbundes in

fentliche Arbeiten zeigten das Museum und die Kunst-

verschiedenen Städten gezeigt, davon sechs in Öster-

gewerbeschule in einer großen Ausstellung „den

reich, eine in Holland und sieben in den Vereinigten

reichsdeutschen Vorkämpfern der Qualitätsproduk-

Staaten.6

tion die Leistungsfähigkeit Österreichs“.7 Die erste

Der Werkbund wollte in Zukunft auch Gewerbeord-

Wanderausstellung des Österreichischen Werkbundes

nungen, Handelsverträge, ja die Handelspolitik beein-

ging im Juli 1913 vom nordböhmischen Gewerbemu-

flussen. Aus diesem Grund und auch in Hinblick auf

seum in Reichenberg aus. Die verkäuflichen Objekte

die österreichische Beteiligung an der Ausstellung in

standen im Eigentum des Museums für Kunst und In-

Köln 1914 musste das offizielle Österreich bemüht sein,

dustrie in Wien.8

Schritt zu halten. Solche Aufgaben konnten durch die

Die Kölner Werkbundausstellung 1914 zeigte die

unterschiedlichen rechtlichen Gegebenheiten im

ganze Problematik der Werkbundarbeit auf. Zwischen

Deutschen Reich und in Österreich-Ungarn nur durch

Hermann Muthesius und Henry van de Velde kam es

einen eigenen Österreichischen Werkbund gelöst wer-

zum legendären Streit über die Frage der Typenbil-

den. Dies betraf vor allem die finanzielle Förderung

dung, der beinahe das Ende der Bewegung bedeutet

eines Österreich-Hauses für die Ausstellung in Köln.

hätte. An der Ausstellung selbst wurden das uneinheit-

Der Österreichische Werkbund trat am 10. Juni 1912 im

liche Bild und das teilweise niedrige Niveau des deut-

Österreichischen Museum für Kunst und Industrie ins

schen Kunstgewerbes kritisiert. Die Architektur

Leben, wobei die Satzung des Deutschen Werkbundes

spielte eine eher untergeordnete Rolle, nur das Theater

fast unverändert übernommen wurde. Von da an ge-

von van de Velde, das Fabrikgebäude von Walter Gro-

hörten in Österreich viele Personen und Firmen bei-

pius und das Glashaus von Bruno Taut wurden als weg-

den Vereinigungen an. In den Tagen davor hielt der

weisende Arbeiten angesehen.9

Abb. 17 Werkbundausstellung Köln 1914, Österreichisches Haus, Entwurf: Josef Hoffmann

19


Die österreichische Leistung – Josef Hoffmann und

Museum „die gesamten Interessen der heimischen

Oskar Strnad errichteten ein eigenes Haus mit einem

Kunstindustrie zu fördern und dieselben nach jeder

Innenhof, ausgestattet mit österreichischem, insbe-

Richtung hin zu vertreten“.12 Der Kunstgewerbeverein

sondere böhmischem Kunsthandwerk – führte zu

hatte seit 1912 eine eigene Verkaufsstelle im Palais Pal-

einem beispiellosen Erfolg, obwohl der Kritiker Walter

lavicini, die Wiener Werkstätte eine am Graben und

Curt Behrendt mit fast an Loos gemahnender Schärfe

zudem Verkaufsstellen in Breslau und Marienbad, ab

feststellte, dass dies „Luxuskunst für die oberen Zehn-

1917 auch in Zürich und ab 1929 in Berlin. Die Wiener

tausend der modernen Großstadt, etwas für die mon-

Werkstätte hatte von ihrer Gründung 1903 bis zu ihrem

dänen Launen von Snobs und für die Bedürfnisse de-

Ende 1932 stets mit wirtschaftlichen Misserfolgen zu

kadenter Ästheten, aber im Grunde doch nicht recht zu

kämpfen. Sobald der Werkbund begonnen hatte, eine

10

gebrauchen“ sei. (Abb. 17) Wenngleich es also berech-

eigene Politik zu betreiben und nicht mehr nur Hilfs-

tigte Kritik im Hinblick auf die Aufgaben gegenüber

organisation der genannten Einrichtungen sein wollte,

der Massengesellschaft des Industriezeitalters gab, gab

mussten die Schwierigkeiten ihren Anfang nehmen.

es auch viel Lob in der offiziellen Besprechung der Ausstellung im Jahrbuch 1915 des Deutschen Werkbundes

Die Zersplitterung der Kräfte 1920–1928

mit der Feststellung, dass alle Hoffnungen und Wün-

Anders als im Deutschen Reich, wo der Werkbund

sche des Werkbunds sich nirgends der Erfüllung mehr

in der Weimarer Republik rasch großen kulturpoliti-

genähert hätten als im Österreichischen Haus. Der

schen Einfluss erlangte, geriet der Werkbund in Öster-

Wiener Kunsthistoriker Max Eisler formulierte 1916

reich im Jahr 1920 aus fachlichen und wirtschaftlichen

treffend: „Das österreichische Kunstgewerbe hat auf

Gründen in eine schwere Krise, die beinahe zur Auflö-

der Kölner Ausstellung neuerdings bewiesen, dass sein

sung führte. Die Kunstschau 1920 wurde, trotz großer

besonderer Nerv das Handwerk ist, die Industrie sein

Not, von zwei Staatsämtern und der Stadt Wien finan-

Nebengebiet, also etwa das gerade umgekehrte Ver-

ziell gefördert. Josef Hoffmann stand dem Ausstel-

hältnis wie im Bezirke des reichsdeutschen Schaffens.

lungskomitee vor und war zu dieser Zeit auch Werk-

Wirtschaftlich mag dies ein Schaden sein, künstlerisch

bundpräsident. Für die Schau bevorzugte man beson-

ist es gewiss ein Vorteil [...] damit haben wir unsere be-

ders exzentrisches Kunstgewerbe, womit sie im Ge-

sondere Rolle im Rahmen deutscher Gemeinarbeit

gensatz zu den Zielen des Werkbundes stand. Hoff-

klargelegt, uns und den anderen.“11

mann und seine Kollegen gerieten in die Kritik. Die Vorgeschichte: Hoffmann hatte im Jänner 1920 im

20

Der Kampf der vielen Mitbewerber gegeneinander

Werkbund überraschend den Antrag gestellt, die Ver-

In Österreich vollzog sich der Rückgang des Hand-

kaufsstelle aufzulösen, weil dort zu viel Kunstgewerbe

werks langsamer als in Deutschland. Nach der Be-

ohne Qualität verkauft werde. Die Kunstschau, die Ver-

triebszählung im Jahr 1902 gab es in Österreich rund

flechtungen des Österreichischen Museums mit der

600.000 Klein- und Mittelbetriebe, in denen 1.300.000

Kunstgewerbeschule und der Wiener Werkstätte, die

Gewerbetreibende beschäftigt waren. Die Förderung

Vermischung von öffentlichen Einrichtungen und pri-

all dieser war auch eine Aufgabe des Werkbundes, wes-

vaten Geschäften führten im Sommer 1920 aller Orten

halb er im Dezember 1915 eine Verkaufsstelle einrich-

zu Empörung. Nach wochenlangen Streitigkeiten kam

tete. Dazu wurde im Grand Hotel an der Ringstraße ein

es zum Austritt Josef Hoffmanns und fast des gesam-

Lokal angemietet, in den Statuten war nun neben den

ten Vorstands und später zur Abspaltung eines „Werk-

Ausstellungen auch der „nutzenfreie Verkauf“ von

bundes Wien“ durch diese Gruppe. Der Österrei-

Werken der Kunst, der Industrie und des Gewerbes ver-

chische Werkbund blieb weiter bestehen und festigte

ankert.

sich unter neuer Leitung um die Jahreswende 1920/21.

Josef Hoffmann und seine Wiener Werkstätte hat-

Die Verkaufsstelle bauten Präsident Robert Örley und

ten eine starke Stellung im Werkbund. Dazu kamen der

Wilhelm Haas intern zu einer Ausstellungs-, Messe-

mächtige Einfluss des Museums für Kunst und Indus-

und Exportabteilung aus, 1926 wurde sie zu einer reg.

trie, der Kunstgewerbeschule und die Konkurrenz des

Genossenschaft m.b.H. und unabhängig vom Werk-

1884 gegründeten Wiener Kunstgewerbevereins, des-

bund. Durch kaufmännisches Unvermögen entstan-

sen Ziel es war, in Zusammenarbeit mit dem genannten

den dem Österreichischen Werkbund Ende 1923 bei


Abb. 18 Exposition internationale des arts décoratifs et industriels modernes, Paris 1925, Großer Saal, Entwurf: Josef Hoffmann. Foto: Bruno Reiffenstein

Abwicklung seiner deutschen Messegeschäfte (z. B.

teiligung Österreichs größter Wert gelegt werde),

Leipzig, Stuttgart, Frankfurt/Main) aufgrund der

Österreich sich aber angesichts der Inflation in großer

Markentwertung so große Verluste, dass man an Liqui-

Not befand, setzte sich im Februar 1924 Bundespräsi-

dation oder Konkurs des Bundes dachte. In den Kassen

dent Michael Hainisch persönlich ein, um das nötige

lagen Billionen wertloser Mark, den Mitgliedern

Geld für eine würdige Vertretung zu beschaffen. Hai-

konnte das Geld für die verkauften Waren aber nicht

nisch war ein Werkbundmitglied der ersten Stunde.Er

ausbezahlt werden. Robert Örley gewährte dem Werk-

lud die zuständigen Politiker zu sich in die Präsident-

bund aus eigener Tasche Darlehen, geriet dann aber

schaftskanzlei. Es gelang ihm, den Bund, die Ge-

selbst in Not. Der Werkbund war nur noch einge-

meinde Wien, die Handelskammer Wien und den Ban-

schränkt handlungsfähig. Die Umstellung der österrei-

kenverband zur Bereitstellung von insgesamt zehn

chischen Währung von der Krone auf den Schilling im

Milliarden Kronen zu bewegen.14

Dezember 1924 brachte – zusätzlich zu den drückenden

Michael Hainischs Überzeugungsarbeit bewegte

wirtschaftlichen Verhältnissen – weitere finanzielle

sich gleichsam im rechtsfreien Raum. Der Bundesprä-

Schwierigkeiten.13

sident hatte in Österreich bis zur Verfassungsreform von 1929 fast keine Befugnisse zu operativem Wirken.

Paris 1925

Er bemühte sich, die Ausstellung in Paris zu einer Eini-

Für das Jahr 1925 plante Frankreich in Paris die Ver-

gung aller Kräfte und für einen neuen Aufschwung der

anstaltung der ursprünglich für 1916 vorgesehenen

Werkbundbewegung auch im volkswirtschaftlichen

„Exposition internationale des Arts décoratifs et in-

Sinne zu nützen und übernahm als Bundespräsident

dustriels modernes“. Anders als es die mangelhafte

den Ehrenschutz. Der Bundesminister für Handel und

deutsche Übersetzung vermuten ließ, handelte es sich

Verkehr Hans Schürff (GVP) und der Bürgermeister

keineswegs nur um eine internationale Kunstgewerbe-

von Wien Karl Seitz (SDP) waren Ehrenpräsidenten.

ausstellung, sondern vielmehr um eine Ausstellung der

Da eine Beteiligung des Deutschen Reiches aufgrund

modernen Raumausstattungs- und industriellen

von beiderseitigen Vorurteilen, die damals noch nicht

Künste. Sie war als französische Antwort auf die Kölner

überwunden waren, nicht zustande kam, konnte Öster-

Werkbundausstellung 1914 gedacht. Als die Regierung

reich das ganze Interesse Frankreichs an sich ziehen.

in Paris über die Gesandtschaft in Wien auch die Repu-

So vertrat die kleine Republik gewissermaßen das

blik Österreich zur Teilnahme an der Ausstellung ein-

große Reich. Theodor Heuss blickte mit Befriedigung

lud (mit dem ausdrücklichen Hinweis, dass auf die Be-

auf das „starke und elegante österreichische Haus als

21


Josef Frank kamen dabei seine Stellung im Wiener Kunstgeschehen und nicht zuletzt seine Ausstellungserfahrung zugute. Er hatte 1927 als einziger Österreicher ein Doppelhaus für die Werkbundausstellung „Die Wohnung“ auf dem Gelände des Weißenhofs in Stuttgart geplant, außerdem gestaltete er den österreichischen Beitrag für die „Internationale Presse-Ausstellung“ in Köln 1928 sowie für die Ausstellung „Heim und Technik“ in München. Die Wahl Josef Hoffmanns zum Vizepräsidenten lag auf der Hand, sollte denn der

Abb. 19 Exposition internationale des arts décoratifs et industriels modernes, Paris 1925, Orgelturm von Oskar Strnad. Foto: Bruno Reiffenstein

Ausgleich gelingen. Hermann Neubacher war Generaldirektor der „GESIBA Gemeinwirtschaftliche Siedlungs- und Baustoffanstalt“, die er zu einer der erfolgreichsten Einrichtungen der sozialdemokratischen Wiener Gemeinwirtschaft und der Siedlerbewegung entwickelte. Unter seiner Führung kamen auch Viktor Fadrus, Direktor des Pädagogischen Instituts der Stadt Wien, Otto Neurath, Direktor des Gesellschafts- und Wirtschaftsmuseums, sowie die Architekten Max FelGlanzpunkt“ der Pariser Ausstellung. (Abb. 18) Die

lerer, Oswald Haerdtl, Walter Sobotka und Oskar

französische Presse würdigte Österreichs Leistung ge-

Strnad in den Vorstand oder Ausschuss des Werkbun-

radezu überschwänglich, und Josef Hoffmann wurde

des. Die Arbeit erreichte schon wenige Wochen nach

mit dem Kommandeurkreuz der französischen „Le-

der Wahl eine große Breitenwirkung.16

gion d’honneur“ ausgezeichnet. Für Bundespräsident Michael Hainisch war die Teilnahme Österreichs an

Der Gedanke zur Werkbundsiedlung entsteht

dieser internationalen Ausstellung ein persönlicher

Zusammen mit Haerdtl, Kalmár und Sobotka fuh-

Erfolg und zeigte eindrucksvoll seine Arbeitsmethode.

ren Frank und Neubacher 1929 zur Tagung des Deut-

Er hatte damit eine Entwicklung eingeleitet, die kultur-

schen Werkbundes nach Breslau und zur Besichtigung

politisch über seine Amtszeit hinaus wirken sollte. Die

der Ausstellung „Wohnung und Werkraum“. Dort

Einigung der Werkbundbewegung kam in Gang und

luden sie den Deutschen Werkbund ein, in Erinnerung

führte letztlich zur Werkbundsiedlung 1932.

15

an die Tagung von 1912 seine Jahrestagung 1930 in Wien abzuhalten. Im Rahmen einer großen Werk-

Arbeit und Erfolge 1929–1932

22

bundausstellung sollte auch eine Werkbundsiedlung

Die Krise im Werkbund wie auch in der Wiener

errichtet werden. Neubacher, die GESIBA und die

Werkstätte ließ im Frühjahr 1926 zahlreiche Persönlich-

„Heimbauhilfe“ der Gemeinde Wien sollten die Finan-

keiten des kulturellen und wirtschaftlichen Lebens

zierung und Organisation sicherstellen, Josef Frank die

nach einem Ausweg suchen. Der naheliegende Ge-

künstlerische Leitung und den Entwurf der Gesamtan-

danke war, die Zersplitterung der Kräfte zu überwinden

lage übernehmen.

und den Österreichischen Werkbund auf eine neue,

Die damalige Aufbruchsstimmung und die nun ver-

umfassende Grundlage zu stellen. Ende Mai 1926 er-

stärkte Zusammenarbeit zwischen dem Deutschen

klärte sich der „Werkbund Wien“, also die Gruppe um

und dem Österreichischen Werkbund sind nicht zu-

Josef Hoffmann, bereit, wieder in den Österrei-

letzt vor dem Hintergrund der Mitteleuropa-Politik um

chischen Werkbund einzutreten. Die Verhandlungen

1930 zu sehen, in deren Zentrum die Schaffung einer

waren aus wirtschaftlichen Gründen schwierig. Erst

Zollunion zwischen dem Deutschen Reich und Öster-

Ende November 1928 erfolgte – nach sieben Jahren

reich stand. Der Plan scheiterte im September 1931 an

Trennung – die Wiedervereinigung der beiden Bünde.

den Großmächten. Im Jahr 1932 verfasste Hermann

Zum Präsidenten wurde Hermann Neubacher gewählt,

Neubacher die von der Österreichisch-Deutschen Ar-

Josef Frank und Josef Hoffmann zu Vizepräsidenten.

beitsgemeinschaft herausgegebene Denkschrift Kampf


um Mitteleuropa, die für eine enge wirtschaftliche Zu-

dass die Geschichte der Kunst – formal genommen –

sammenarbeit der beiden Staaten unter Einhaltung

eine Geschichte des Sehens ist. Das ist der Grund für

der internationalen Verträge eintrat.

17

die erstaunliche Tatsache, daß die scheinbar rein mechanische Fotografie sich dem Kunstwollen der Zeit

Die Ausstellung „Neues Bauen“ Im April 1929 wurde die vom Deutschen Werkbund zusammengestellte und vom Österreichischen Werk-

und Persönlichkeit anpasst. Sie ist unter den Händen künstlerisch veranlagter Menschen zu einem Ausdrucksmittel von hohem Range geworden.“20

bund ergänzte Wanderausstellung „Neues Bauen“ in der Wiener Hofburg gezeigt. Die Ausstellung wurde auch in der Presse als Aufbruch gewertet. Nach Jahren

Die Werkbundausstellung Wien 1930 Während der Bau der Werkbundsiedlung zunächst

der Behinderung in der programmatischen, ideellen

verschoben werden musste, konnte im Sommer 1930,

Wirksamkeit bekenne man sich nun zu einer zeitgemä-

anlässlich der Jahrestagung des Deutschen Werkbun-

ßen Linie, die „im Wesentlichen in der Ablehnung vom

des in Wien, wie geplant eine große Ausstellung im

Kunstgewerbe im alten Geiste, also in der Abkehr vom

Museum für Kunst und Industrie veranstaltet werden.

handwerklichen Individualismus und romantischen

(Abb. 20) Die Eingangsarchitektur von Oswald Haerdtl

Abb. 20 Plakat „Werkbund Ausstellung Wien 1930“, Entwurf: Mathilde Flögl

Ästhetizismus besteht. Die gegenwärtige Architekturausstellung ist die erste Etappe auf dem unternehmungsmutig betretenen Weg.“18 Die Schau zeigte in wandtafelgroßen Lichtbildern und Modellen ausgeführte sowie geplante Bauten in Belgien, Deutschland, Frankreich, Holland, Italien, Österreich, der Schweiz, der Tschechoslowakei und den Vereinigten Staaten.19

Die internationale Ausstellung „Film und Foto“ Von Februar bis März 1930 präsentierte der Österreichische Werkbund im Österreichischen Museum für Kunst und Industrie die Wanderausstellung zum Thema Film und Foto, die 1929 ihren Ausgang in Stuttgart genommen hatte und einen Querschnitt durch die aktuellen Strömungen in Deutschland, Frankreich, Holland, Österreich, der Schweiz, der Sowjetunion und den USA bot. Die Ausstellung in Wien war mit 761 Bildern etwas kleiner, enthielt aber auch im Bereich der Fotografie 81 Beiträge aus Österreich, darunter Bilder des Afrikaforschers Hugo Adolf Bernatzik, der Porträtfotografin Trude Fleischmann und von Vertretern des „Neuen Sehens“ wie Willy Riethof und Richard Träger. Auch auf dem Gebiet der Fotografie hatte Österreich Nachholbedarf. Vor 1914 hatte sie eine Blüte erlebt, nach dem Krieg war es jedoch zu einem Stillstand gekommen. Die alten Vereine und Zeitschriften zerfielen, der internationale Austausch wurde unterbrochen, die letzte größere Ausstellung hatte in Wien im Jahr 1905 stattgefunden. Foto und Film hatten in diesen Jahren in Politik, Wirtschaft, Werbung sowie im Lebensgefühl eine Bedeutung wie nie zuvor. Dazu schrieb Wolfgang Born, Kunstkritiker und Schüler von Josef Strzygowski, im Wiener Katalog: „Wir wissen längst,

23


Abb. 21 Werkbundausstellung 1930, Blick in den Garten des Museums für Kunst und Industrie. Foto: Julius Scherb

machte das historische Ausstellungsgebäude an der

ten gekommen sind“. Eine ähnliche Formulierung fand

Weiskirchnerstraße vergessen. (Abb. 22) Max Ermers

sich im Katalog der Ausstellung.22

beschrieb das überraschende Vestibül als „sauber in

Der Schau lag die Absicht zugrunde, aus dem Leben

seiner Präzision und stark in der Farbe“, die Gestaltung

gegriffene vorbildlich gestaltete Gaststätten-, Ver-

erinnere an einen Ozeandampfer: „Schiff, Auto, Flug-

kaufs- und Werberäume sowie – auf dem Freigelände –

zeug sind ja bekanntlich die Gestaltungsdirektiven die-

entsprechende Einzelbauten zu zeigen. Der Gesamt-

ser Zeit.“

21

Räume des Museums hinaus auf den Gartenbereich.

müht, einen Ausgleich zwischen den freien Künsten,

(Abb. 21) Die Gaststätten waren nicht nur zur Ansicht

dem Kunstgewerbe und den Industrieprodukten her-

gestellt, sondern, wie im Katalog formuliert, für die

beizuführen. Diese Absicht betonte man auch im Sub-

Besucher „in lebendigen Betrieb genommen“ und

ventionsansuchen gegenüber dem Bundesministe-

konnten so auf Tauglichkeit und Atmosphäre geprüft

rium für Unterricht. Dennoch wurde in einem werben-

werden. (Abb. 23) Die Ausstellung im Museum sollte

den Einladungsschreiben an einen Kreis möglicher

durch die Werkbundsiedlung ergänzt werden, um so

Aussteller, denen man Höchstleistungen zutraute, klar

vom öffentlichen bis zum privaten Raum die Gestal-

festgehalten: „Die geänderte, den Wirkungskreis des

tung der neuen Lebensform zu zeigen. Sie konnte

Handwerks einschränkende Zeit und die damit ver-

jedoch erst zwei Jahre später, 1932, eröffnet werden.23

bundene Industrialisierung der Produktion hat es be-

24

plan von Josef Hoffmann erstreckte sich somit über die

Im Vorfeld der Ausstellung war der Werkbund be-

Die Kritiker lobten einmütig die „werkbundgerechte“

wirkt, dass wir dieser Entwicklung größte Aufmerk-

Weite und Klarheit des Gebotenen: „Der Österrei-

samkeit widmen müssen und auch in unserer Ausstel-

chische Werkbund müsste sich immer wieder ohne zu

lung dem Industrieprodukt weitesten Raum geben

lange Ruhepausen Größeres aufgeben. Seine Möglich-

wollen.“ Es sollte „das pädagogische Streben des Werk-

keiten sind der Reihe seiner Begabungen und Aufgaben

bundes zum Ausdruck kommen: die Veredelung unse-

gemäß enorm.“24 Die erstmals in großer Zahl gezeigten

res Kulturniveaus durch Erziehung zum Qualitätsden-

Industrieprodukte fanden besondere Anerkennung, so

ken“. Man wolle „aufweisen, welche österreichischen

die Metallwaren der österreichischen Krupp-Werke in

Warenproduzenten – Industrielle, Kunsthandwerker,

Berndorf. Wolfgang Born sah „ein Ergebnis, das be-

Gewerbetreibende – unserem Streben nach Bestleis-

grüßenswert ist und hoffentlich den Beginn einer noch

tungen im Hinblick auf Material und Form am nächs-

weitaus breiteren Entfaltung bedeutet“.25


Abb. 22 Werkbundausstellung 1930, Haupteingang, Entwurf: Oswald Haerdtl. Foto: Bruno Reiffenstein

Abb. 23 Werkbundausstellung 1930, Einblick in das Espresso, Entwurf: Karl Hofmann und Felix Augenfeld. Foto: Bruno Reiffenstein

25


Viktor Fadrus, Walter Sobotka und Hans Tietze, die das Thema knapp, aber umso treffender von allen Seiten beleuchteten: technisch, volkswirtschaftlich, gestalterisch und pädagogisch. Fadrus: „Die Ausstellung wird allen Schulen bei klassenweisem Besuch in anschaulicher Weise den Wandel zeigen.“ Anton Weber kam als einziger Politiker zu Wort, er war Wiener Stadtrat für Sozialpolitik und Wohnungswesen. Den Ehrenschutz hatte Bundespräsident Wilhelm Miklas übernommen.26

Der Österreichische Werkbund zwischen Ohnmacht und Macht Hugo von Hofmannsthal, Werkbundmitglied seit den Anfängen, hielt in der ersten Vollversammlung des Österreichischen Werkbundes der jungen Republik im November 1918 eine bedeutsame kulturpolitische Rede. Beflügelt von den Erfolgen der Werkbundbewegung, entwickelte er ein breites Reformprogramm für Österreich und zeigte eine Geisteshaltung, ähnlich jener der Bauhaus-Väter. Er beendete seine Rede mit der Auffor-

Abb. 24 Ausstellungskatalog Der gute billige Gegenstand, 1931

derung: „Dies alles, was Sie vom Staate zu fordern haben, müssen Sie fordern wie eine Macht von einer Macht. Seien Sie eine Macht; denn Sie sind eine Macht.“27 Seine großen Hoffnungen sollten sich erst

Die Ausstellung „Der gute billige Gegenstand“

26

nach seinem Tod im Jahr 1929 mit der Einigung erfüllen.

Als der Werkbund um die Jahreswende 1931/32 im

Der Wiederaufstieg des Werkbundes von der Ohnmacht

Österreichischen Museum die Ausstellung „Der gute

zur Macht in nur wenigen Monaten war eine beachtli-

billige Gegenstand“ veranstaltete, beauftragte Josef

che Leistung, die nicht zuletzt über die genannten Aus-

Frank nur die fortschrittlichen Kräfte mit der Gestal-

stellungen erzielt wurde.

tung. (Abb. 24) Im Katalog schrieb Frank den sehr kla-

Ein Schweizer Beobachter schrieb über die Tagung

ren Beitrag „Zum Formproblem“, der keine Fragen

von 1930, man könne den Werkbund um sein öffentli-

offen ließ: „Es besteht kein Zweifel, dass die individu-

ches Ansehen nur beneiden: „Unsere politischen

ellen Gebrauchsgegenstände immer mehr verschwin-

‚Handshakers‘ erster Garnitur sind durch Kochkunst-

den werden und alles in der nächsten Zeit durch Indus-

Ausstellungen, Schützenfeste und Autosalons derma-

trieerzeugnisse ersetzt werden wird, die serienmäßig

ßen in Anspruch genommen, dass sie den Werkbund

in großer Anzahl von Varianten hergestellt werden.“

bisher kaum vom Hörensagen kennen; in Wien dagegen

Hermann Neubacher, erzieherisch im Sinne der Grün-

hat der österreichische Bundespräsident an drei ver-

dungsidee: „Werkbundausstellungen aber wollen be-

schiedenen Werkbundanlässen teilgenommen und ge-

weisen, daß die neue Formgesinnung etwas ganz ande-

sprochen, der Handelsminister war da, der Bürgermeis-

res ist, als der Versuch, aus der Not eine Tugend zu ma-

ter von Wien hat einen großen Abendempfang veran-

chen; daß die Überwindung des dekorativen Wustes

staltet, das Deutsche Auswärtige Amt hatte einen Ver-

geistige Befreiung bedeutet; daß nicht prunkhafter

treter eigens zur Tagung delegiert, und die deutschen

Reichtum sondern das Gleichgewicht zwischen Auf-

Gäste waren beim Gesandten eingeladen.“28

wand und Zweck der Idee des schönen bei der Gestal-

Im Juni 1930 entstand tatsächlich der Eindruck, der

tung der Gegenstände unseres Bedarfes dienlich ist.“

Werkbund sei eine ernst zu nehmende kultur- und wirt-

Der Katalog enthielt neben dem Ausstellerverzeichnis

schaftspolitische Macht. Nie wieder ist es gelungen,

zwölf Abhandlungen namhafter Autoren, darunter

eine so große Zahl von Politikern über Wochen mit


Fragen der Gestaltkultur zu beschäftigen. Der Reigen

worden. […] Unter äußerst schwierigen wirtschaftli-

der Feste begann am 1. Juni mit der Eröffnung der gro-

chen Verhältnissen während der Jahre um 1930 waren

ßen Werkbundausstellung, bei der Bundespräsident

die Aufgaben und Möglichkeiten im Vergleich zu heute

Wilhelm Miklas und sein Vorgänger Michael Hainisch –

unvorstellbar eng begrenzt – trotzdem konnte eine

nach seiner zweiten Amtszeit damals noch Bundesmi-

Reihe ausgeprägter Persönlichkeiten die Spuren einer

nister für Handel und Verkehr – anwesend waren und

Architekturauffassung hinterlassen […] trotzdem haben

Reden hielten. Weiter der Präsident der Kammer für

die wenigen Einfamilienhäuser, Läden, Ausstellungen

Handel, Gewerbe und Industrie, Friedrich Tilgner, wie

und so weiter damals das Vormarschgebiet moderner

Hainisch altes Werkbundmitglied. Am 25. Juni folgte die

Gedanken gebildet […] die heute von der jungen Ge-

Eröffnung der Tagung des Deutschen Werkbundes in

neration mehr und mehr verstanden und beachtet

der Hofburg unter großer Beteiligung der Politik, aber

werden.“30

auch mit dem wegweisenden Vortrag von Josef Frank über die Frage: „Was ist modern?“ Ein Ereignis besonderer Art war die Enthüllung des Otto-Wagner-Denkmals am Rand des Heldenplatzes, vor dem Bundeskanzleramt und der Präsidentschaftskanzlei: ein hoher, schlanker, vierkantiger Obelisk aus Granit, entworfen von Josef Hoffmann, im unteren Teil mit einem Widmungsstein versehen: „Dem großen Baukünstler Otto Wagner –

1

Der Österreichische Werkbund“. Auch hier waren wieder alle Spitzen des Staates und der Stadt Wien anwesend, eine beachtliche Zahl von Architekten, viele Zuschauer und Tagungsteilnehmer aus nah und fern. Höhepunkt war sicher der Empfang für die deutschen

2 3 4

und österreichischen Werkbundgäste im Festsaal des Wiener Rathauses. Das gesamte Programm wurde von Presse und Rundfunk wohlwollend wie auch ausführlich aufgenommen. Dies sollte sich nur einmal wiederholen: bei der Eröffnung der Werkbundausstellung 1932. Doch schon wenige Monate später zeichnete sich im Werkbund wie in der allgemeinen Politik der Keim des kommenden Unheils ab.29 Roland Rainer hat als Jugendlicher die von vielfältigen Begabungen geprägte Wiener Kultur dieser Jahre besonders intensiv aufgenommen. Sie hat ihn mehr geformt als sein Studium an der Technischen Hochschule Wien. Es ist auch kein Zufall, dass er 1950 sein erstes Wohn- und Atelierhaus an der Stelle errichtet hat, wo das von Hugo Häring entworfene und durch

5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22

Bomben zerstörte Gebäude in der Werkbundsiedlung gestanden war. In seinen Schriften und Gesprächen finden sich immer wieder Hinweise auf diesen Zeitabschnitt der Pioniere und auf die Verpflichtung, die Tradition des „zeitgemäßen Bauens“ weiterzuführen. Rainer 1965: „Im Österreichischen Werkbund der Zeit nach dem ersten Weltkriege sind – trotz des von Loos so

23 24 25 26 27 28 29

betonten Antagonismus zu Hoffmann – die Einflüsse und Anregungen beider verarbeitet und fühlbar ge-

30

Die Werkbundbewegung und ihr kultur- und geistesgeschichtlicher Hintergrund sind im Großen gesehen von den politischen Brüchen des 20. Jahrhunderts verschüttet worden. Erst in den letzten Jahren begann eine zusammenhängende historisch-kritische Auseinandersetzung mit dem Thema: Kerbs/Reulecke 1998; Buchholz/Latopcha/Peckmann 2001; Nerdinger 2007a; Hubrich 1980, S. 9. Posch 1986, S. 281–282, 286; Deutscher Werkbund 1908, S. 2. Dohrn 1982, S. 144. Gustav Klimt, Kolo Moser, Alfred Roller, Otto Wagner, Franz Cizek, Rudolf von Larsich, Berthold Löffler, Michael Powolny, Adele von Stark, die Wiener Werkstätte und ihre Mitarbeiter, Peter Altenberg, Ludwig Hevesi, Berta Zuckerkandl, weiters Firmen wie die Baufirma Eduard Ast, das Textilhaus Hans Backhausen, die Glaserzeugung E. Bakalowitz und die Glasfabrik Lötz in Böhmen. Posch 1986, S. 285–286; Nebehay 1975, S. 27. Posch 1986, S. 288; Heuss 1912; Buddensieg 1978. Ausst.-Kat. Wien 1912, S. 2. Zit. n. Posch 1986, S. 280; Österreichischer Werkbund 1913a, S. 25; Österreichischer Werkbund 1913b, S. 2. Posener 1964, S. 204–205; Campbell 1981, S. 88–97. Behrendt 1914, S. 620. Behrendt 1914, S. 620; Jessen 1915, S. 8; Eisler 1916, S. 54. Zit. n. Posch 1986, S. 294–295; Statuten 1890, § 2. Posch 1986, S. 302–304, 308, 311. Posch 1986, S. 292, 306. Heuss 1963, S. 304; Hellwag 1925, S. 382–385; zit. n. Sekler, S. 182–190, 403– 404. Österreichischer Werkbund 1930, S. 15, 17–25. Neubacher 1932. Wiener Neueste Nachrichten, 11.4.1929, S. 7; Wiener Zeitung, 7.4.1929, S. 6. Ermers 1929, S. 4. Born 1930b, S. 3. Ermers 1930, S. 6. Österreichischer Werkbund 1930; Österreichischer Werkbund: Ansuchen an das Bundesministerium für Unterricht, Wien 1., Wien 11. Februar 1930, Z 5051, 13. Februar 1930, Österreichisches Staatsarchiv/Archiv der Republik; Ausst.-Kat. Wien 1930a, S. 7–8. Ausst.-Kat. Wien 1930a, S. 8. Morgenstern 1930, S. 330. Born 1930a, S. 20. Ausst.-Kat. Wien 1931; Welzig 1995, S. 204–211. Hofmannsthal 1919, S. 1–3. Das Werk (1930) H. 8, S. 249. Wiener Neueste Nachrichten, 1.6.1930, S. 7; Wiener Neueste Nachrichten, 25.6.1930, S. 4; Neue Freie Presse, 25.6.1930, S. 9; Neue Freie Presse, 26.6. 1930, S. 11; Ermers 1930, S. 3; zit. n. Posch 2010, S. 240–247; Wiener Neueste Nachrichten, 28.6.1930, S. 7. Rainer 1990, S. 32–33; Kamm 1965, S. 118–119; Posch 2012, S. 188–205.

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