Wien Museum Kurzführer „Vindobona - Das römische Wien“

Page 1

KURZFÜHRER

WIEN MUSEUM

RÖMERMUSEUM

VINDOBONA DAS RÖMISCHE WIEN Herausgeberin Michaela Kronberger



WIEN MUSEUM

RÖMERMUSEUM

Herausgeberin Michaela Kronberger

VINDOBONA DAS RÖMISCHE WIEN




4

Vindobona Das römische Wien Dauerausstellung im Römermuseum Direktion Wien Museum: Wolfgang Kos, Christian Kircher Kuratorinnen: Michaela Kronberger, Kristina Adler-Wölfl Ausstellungsarchitektur: querkraft architekten Ausstellungsgrafik: Larissa Cerny Wandillustrationen: Bernhard Münzenmayer-Stipanits Animationsfilme: 7reasons Interaktive Objekte: Walter Pehn PC-Stationen: Lisa Liebert Kuratorische Assistenz: Sandro Fasching, Constanze Sarbiak Katalog Herausgeberin: Michaela Kronberger Autorinnen: Kristina Adler-Wölfl, Michaela Binder, Sigrid Czeika, Michaela Kronberger, Ursula Thanheiser Grafische Gestaltung: Larissa Cerny Lektorat: Michaela Binder, Kristina Adler-Wölfl Bildnachweise: Alle Objekte wurden von den genannten Institutionen zur Verfügung gestellt. Fotografien der Objekte des Wien Museums: Stiegler/Massard, Wien, Birgit & Peter Kainz, Wien Außenaufnahmen, Raumfotos: Birgit & Peter Kainz, Wien Coverabbildung: Michael Klein/7reasons, Alfred Havlicek 2. Auflage Verlag: Eigenverlag Wien Museum Copyright: 2012 by Wien Museum Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Abdrucks oder der Reproduktion einer Abbildung sind vorbehalten. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ohne Zustimmung des Verlages ist unzulässig. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. ISBN 978-3-902312-18-1 (3-902312-18-1)

Römermuseum 1010 Wien, Hoher Markt 3 Tel.: (+43-1)5058747/85180 E-Mail: service@wienmuseum.at

www.wienmuseum.at

HAUPTSPONSOR DES WIEN MUSEUMS

Mit Unterstützung von:


Inhalt

Vorwort Wolfgang Kos

8

Zum Konzept der Ausstellung Michaela Kronberger

10

Orientierungsplan

12

Eingangsbereich Erdgeschoß Kapitel 1 Wien zur Römerzeit

14

Ausstellungsrundgang Erdgeschoß

18

Kapitel 2 Besiedlung vor den Römern

Kapitel 6 Soldatenalltag

20 22 24 26 38

Ausstellungsrundgang erster Stock

48

Kapitel 7 Ein buntes Völkergemisch

Kapitel 10 Alltag im zivilen Vindobona

50 53 56 70

Ausgrabungsstätte Untergeschoß

86

Kapitel 11 Die Tribunenhäuser Vindobonas Kapitel 13 Schichten von Schutt

88 92 94

Abbildungsnachweis Literatur

95 95

Kapitel 3 Die ersten Römer Kapitel 4 Das römische Wien Kapitel 5 Das Legionslager als städtisches Zentrum

Kapitel 8 Religion Kapitel 9 Städtische Zentren – Lagervorstadt und Zivilstadt

Kapitel 12 Das späte Vindobona




8

Vorwort Wolfgang Kos

Die zahlreichen Standorte des Wien Museums, zu denen auch das Römermuseum zählt, bieten eine einmalige Chance: Man kann an verschiedenen Orten unterschiedlichste Aspekte der Stadtkultur einem breiten Publikum näher bringen. Zugleich sind unsere „Außenstellen“ stets auch eine Herausforderung – das reicht von deren Sichtbarkeit in der Stadt (Stichwort: Leitsystem) über infrastrukturelle Bedingungen vor Ort bis hin zu den permanenten Aus­ stellungen, die dort gezeigt werden und regelmäßig auf Basis der jüngsten wissenschaft­lichen Erkenntnisse neu adaptiert oder konzipiert werden müssen. Im Fall des neuen Römer­ museums ist genau dies geschehen. Gerade die „Römischen Ruinen Hoher Markt“ waren bis 2007 in mancher Hinsicht ein Sorgen­­kind: Von außen her nur schwer als Sehenswürdigkeit erkennbar (da im Kellergeschoß des Hauses befindlich), blieben sie von vielen Passanten unentdeckt. Immerhin fanden doch rund 15.000 Besucherinnen und Besucher pro Jahr zu den wichtigsten römischen Ausgra­ bungen, die es in Wien gibt. Für viele Schulklassen gehörte es zum Pflichtprogramm, die 1948 bei Kanalbauten entdeckten Reste römischer Tribunenhäuser zu besuchen. Die deutlichen infra­strukturellen Mängel störten dennoch erheblich, nicht einmal Toiletteanlagen gab es für die Gäste, geschweige denn andere Annehmlichkeiten einer zeitgemäßen Kulturstätte. Als im Jahr 2007 bekannt wurde, dass der gastronomische Betrieb im Erdgeschoss des Hauses schließt, setzte sich die Leitung des Wien Museums sofort mit dem Eigentümer der Liegenschaft in Verbindung, um die freiwerdende Fläche sowie ein weiteres Stockwerk hinzuzu­mieten: Ausgrabungen unter Straßenniveau konnten so endlich um eine Darstellung des Lebens im römischen Wien ergänzt werden! Innerhalb weniger Monate wurde aus einer eher unscheinbaren „Nebenstelle“ ein hoch­ attraktives, modernes Kleinmuseum, das nicht nur medial enorme Aufmerksamkeit erregen

Kamen alle Römer aus Italien? Kapitel 7


9

konnte. Mit der baulichen Neugestaltung durch das Architekturbüro querkraft können wir dem Publikum endlich ein Haus bieten, das der Bedeutung Wiens zur Römerzeit gerecht wird. Schon die Fassade nimmt den Dialog mit den Passanten auf und verweist auf das spannende „Innere“, das trotz beschränkten Raumes von jener Großzügigkeit ist, die man sich als BesucherIn erhofft. Die Erweiterung der Fläche bedeutete natürlich auch einen viel größeren inhaltlichen Horizont: Die neue Dauerausstellung erzählt viel mehr als „nur“ die Geschichte der Ausgrabungen, hier geht es um das römische Wien im allgemeinen. Dem Publikum wird mit Leitfragen der Einstieg erleichtert: Wie lebten die Römer in Vindobona? Waren alle ­Legionäre Römer? Antworten auf solche Fragen liefern rund 300 faszinierende ­archäologische Funde, die durch informative Texte, Computer-Visualisierungen, G ­ rafiken und Wandmalereien erläutert werden. Lange Zeit konzentrierte sich die Darstellung Vindobonas auf das Legionslager, das zwischen Donaukanal und Graben lag. Die neuesten Forschungen ergeben aber ein komplexeres Bild, mit einer großen Lagervorstadt und einer Zivilstadt im heutigen 3. Bezirk. Auch das vermittelt die neue permanente Präsentation in eindrucksvoller Weise. Repliken zum Angreifen und eine Spielstation für Kinder ergänzen das Angebot, ein Videoguide, der auch Informationen in Gebärdensprache bietet, ist erstmals in einem unserer Standorte im Einsatz. Die Hoffnung, dass ein solches neuartiges Kulturangebot auch angenommen wird, hat sich ­bislang mehr als erfüllt. Das Römermuseum konnte im ersten Jahr nach seiner Eröffnung im Mai 2008 mehr als 30.000 Besucherinnen und Besucher anlocken, unter ihnen viele F ­ amilien und Schulklassen, aber auch Touristen. Dem Römermuseum fehlte bislang allerdings nur noch eines – eine Begleitpublikation zur neuen Dauerausstellung. Dass diese nun auch ­ ttraktiv wie das Museum geworden ist, dafür danke ich allen Beteiligten, allen voran so a ­Michaela Kronberger und Michaela Binder sowie Larissa Cerny für die souver­äne Grafik.

Wer war vor den Römern hier? Kapitel 2


10

Zum Konzept der Ausstellung Michaela Kronberger

1945 wurde das erste Römermuseum Wiens – das am 27. Mai 1903 eröffnete Museum Vindobonense – durch einen Bombentreffer zerstört. Mit der Neugestaltung des Römermuseums über den best erhaltenen baulichen Resten Vindobonas, ergab sich nun die einzigartige Chance die römische Geschichte Wiens umfassend darzustellen. Durch die intensive Forschung zum römischen Vindobona der letzten Jahre hat sich das Wissen um den Legionsstandort und sein Umfeld wesentlich erweitert. Je tiefer man jedoch in diese ferne Zeit dringt, desto mehr Fragen werden wieder aufgeworfen. Gerade sie sind es aber, die der Motor für noch intensivere Forschungen sind um die Umwelt und die Lebens­ bedingungen jener Menschen fassen zu können, die hier in Wien so lange vor uns gelebt haben. Die gezielte Auswahl der Fragen und ihre Beantwortung liefern das Gerüst für die ­Ausstellung. Auf Grund des beschränkten Raumes konzentriert sie sich auf die Blütezeit Vindobonas im 2. und 3. Jahrhundert n. Chr. Neben der Verortung der Siedlungszentren steht das Alltagsleben ihrer BewohnerInnen im Vordergrund. Hier sind die bewusst und sorgsam ausgewählten Ausstellungsobjekte – abseits der spärlichen literarischen Zeugnisse – die wichtigste Quelle zum Leben der Menschen, in deren Besitz sie einst waren. Besonders ­spannend war die Auseinandersetzung mit dem schwierig zu gestaltenden Ausstellungsraum.

Warum liegt das heutige Wien 3 Meter höher als Vindobona? Kapitel 13


11

Er forderte das Architektenteam geradezu heraus kreative Ideen zu entwickeln. So entstand ein baulicher Rahmen, der die Grundvoraussetzung für ein Ausstellungskonzept lieferte, das archäologische Objekte, Grafik und Textgestaltung zu einer Einheit werden ließ. Grafik wurde bewusst eingesetzt um die einzelnen Siedlungsbereiche Vindobonas ausgehend von einer zentralen großen Karte zu vernetzen, Großobjekte durch Schatten zu monumentalisieren, Texte zu illustrieren um eine leichtere Verständlichkeit zu gewährleisten, und auch archäo­ logische Gegenstände, die nur bruchstückhaft erhalten sind, zu ergänzen. Illustrationsmaler­ eien und Computeranimationen sollten das Vorstellungsvermögen anregen und ermöglichen ein besseres Verständnis der Ausstellungsinhalte. Gerade in Museen überkommt kleine und manchmal auch große BesucherInnen bisweilen die Lust in einem unbeobachteten Moment etwas zu berühren, Inhalte sozusagen zu „begreifen“. Dem wurde durch die Integration von Repliken und interaktiven Objekten Rechnung getragen. Besonderes Augenmerk sollten hier Kinder erfahren, denen bewusst Platz mitten im Geschehen eingeräumt wird. Zum Weiterforschen ermuntern drei PC-Stationen, die im Römermuseum verteilt sind. Zusätzlich bietet ein kleiner Ausstellungsbereich verschiedenen Institutionen die Möglichkeit die neuesten Forschungen zum römischen Wien vorzustellen.

Was machten die Legionäre in Friedenszeiten? Kapitel 6

Durften Römer Einheimische heiraten? Kapitel 7

Durften Frauen wählen? Kapitel 10


12

Orientierungsplan Eingangsbereich Erdgeschoß 1 Wien zur Römerzeit

Ausstellungsrundgang Erdgeschoß 2 Besiedlung vor den Römern 3 Die ersten Römer 4 Das römische Wien 5 Das Legionslager als städtisches Zentrum

5.1 Verteidigung / 5.2 Lagertore / 5.3 Lagerstraßen / 5.4 Kommandogebäude / 5.5 Legatenpalast /

5.6 Militärspital / 5.7 Soldatenunterkunft / 5.8 Werkstätten / 5.9 Thermen / 5.10 Tribunenhäuser

6

Soldatenalltag

6.1 Aufgaben für die Soldaten / 6.2 Markomannenkriege / 6.3 Bewaffnung und Ausstattung der

Soldaten / 6.4 Schriftlichkeit / 6.5 Ernährung / 6.6 Kanalisation, Latrine und Abfall / 6.7 Wasser

Ausstellungsrundgang erster Stock 7 Ein buntes Völkergemisch 8 Religion 8.1 Opfer / 8.2 Kyknosrelief 9 Städtische Zentren – Lagervorstadt und Zivilstadt 9.1 Tempel / 9.2 Theater/Amphitheater / 9.3 Forum / 9.4 Verwaltung / 9.5 Thermen /

9.6 Industrie / 9.7 Stadtmauer / 9.8 Handwerk / 9.9 Straßen und Wege

10 Alltag im zivilen Vindobona

10.1 Arbeit / 10.2 Mensch und Tier / 10.3 Ernährung / 10.4 Handel / 10.5 Freizeit /

10.6 Schmuck und Mode / 10.7 Hygiene / 10.8 Familie / 10.9 Wohnen /

10.10 Tod und Bestattung / 10.11 Gesundheit und Krankheit

Ausgrabungsstätte Untergeschoß 11 Die Tribunenhäuser Vindobonas 11.1 Wer hier wohnte / 11.2 Hypokaustheizung 12 Das späte Vindobona 13 Schichten von Schutt Legionslager Städtische Zentren Alltag


13

Erdgeschoß

6.5

4 5.4–5.10

3

5 5.3

5.2

6.7

6.6 6

2

5.1

12

6.1

6.3

6.4

1

Erster Stock

7 10.1–10.9

9.5–9.8

9

10 10.10–10.11

Untergeschoß

11.1

11.2 11

12 13

8.2

9.1–9.3 9.9

9.4

8 8.1


KAPITEL 1

[EG]

14


15

Wien zur Römerzeit Wer das Römermuseum besucht, befindet sich in jenem Bereich der Innenstadt, in dem sich vor fast 2000 Jahren das Legionslager Vindobona befand. Im Untergeschoß des Museums sind Reste von zwei Offiziershäusern zu sehen, die wichtigste römische Ausgrabung in Wien. Im Erdgeschoß und im ersten Stock werden die Militärstadt, die große Lagervorstadt und die Zivilstadt vorgestellt. Wie hat das römische Wien ausgesehen? Wie hat man damals gelebt? Die Römer waren rund 350 Jahre lang im Wiener Raum. 97 n. Chr. entstand hier eines von 30 Legionslagern des Imperium Romanum. Dieses erstreckte sich von Britannien bis Syrien. Vindobona diente der Sicherung der nördlichen Grenze, jenseits der Donau war germanisches Gebiet. Seine wirtschaftliche und kulturelle Blütezeit erlebte Vindobona vom 2. bis zur Mitte des 3. Jahrhunderts. Die Ausstellung konzentriert sich auf diese entscheidende Epoche, als über 30.000 Menschen hier wohnten. Rund um das Legionslager gab es florierende zivile Siedlungen, in denen ein buntes Völker­ gemisch lebte: Römer, romani­sierte Kelten und ­Zuwanderer aus allen Ecken des Reiches. Seit dem späten 19. Jahrhundert kommen bei Bauarbeiten Reste der römischen Vergangen­ heit Wiens zu Tage. Durch wissenschaftliche Auswertung von Mauerzügen, Erdschichten und Gegenständen des täglichen Gebrauchs erhält man nicht nur Hinweise auf Bauwerke, sondern auch auf den Alltag jener Menschen, die einst hier gelebt haben. Die gezeigten Exponate stammen fast zur Gänze aus der Sammlung des Wien Museums.


KAPITEL 1

[EG]

Zeitleiste 6 Feldzug des Tiberius gegen den Germanenkönig Marbod. Erstmals ­römische Legionen im Wiener Becken. 9 Grenzziehung der Provinz Pannonia. 17– 41 Zeitweise Anwesenheit der legio XV Apollinaris in Vindobona. 54 – 69 Erste nachweisbare römische Siedlungstätigkeit. 89 – 92 Bau des Kastells für eine britannische Reitereinheit, vermutlich im Bereich des Schottenklosters. 97 Vindobona wird einer von 30 Legionsstandorten des Römischen Reiches. 97 –101 Stationierung der legio XIII Gemina. 101 –114 Stationierung der legio XIIII Gemina Martia Victrix. 106 Teilung der Provinz Pannonia. Die Legionsstandorte Carnuntum ­(Provinzhauptstadt), Vindobona und Brigetio zählen ab sofort zur Pannonia Superior. 114 Die legio X Gemina wird in Vindobona stationiert und bleibt bis zum Ende der Römerherrschaft. Um 150 Vindobona wird in der Geographie des Claudius Ptolemaios mit Längen- und Breitengraden angegeben. 166 –180 Vindobona und Carnuntum sind während der Markomannenkriege Ausgangspunkte der römischen Feldzüge. 193 Provinzstatthalter Septimius Severus wird von den Truppen in ­Carnuntum zum Kaiser ausgerufen. 193 –235 Wirtschaftliche Blütezeit und größte Ausdehnung der Siedlungs­ gebiete unter den severischen Kaisern. Eine Verordnung Caracallas (Constitutio Antoniniana) gewährt allen freien Reichsbewohnern römisches Bürgerrecht.

16


17

235 –285 Grenzkonflikte und Abspaltungen von Reichsteilen führen in eine Krise. Rasch wechselnde Soldatenkaiser fördern die Truppen auf Kosten der Zivilbevölkerung. 250 –300 Allmähliche Auflassung der Lagervorstadt und der Zivilstadt von Vindobona. Ein Hangrutsch zerstört weite Teile des Legionslagers und der Lagervorstadt. 284 –313 Kaiser Diokletian verteilt die kaiserliche Herrschaft auf vier ­Personen (Tetrarchie) und erlässt umfangreiche Reformen. Vindobona zählt nun zur Provinz Pannonia Prima. 306 –337 Unter Kaiser Constantinus I. wandelt sich das Legionslager zu einer Festungsstadt. Die Zivilbevölkerung zieht sich zur Gänze hinter die Mauern zurück. 313 Anerkennung und Förderung des Christentums durch das Edikt von Mailand. Um 350 Erdbebenkatastrophe in Carnuntum und wahrscheinlich auch in Vindobona. 364 –375 Massive Verstärkung der Befestigungsanlagen unter Kaiser ­Valen­tinian I. am norisch-pannonischen Limes, so auch in Vindobona. 350 –400 Vindobona wird in der Notitia dignitatum – einem spätrömischen Ämterverzeichnis – als Legions- und Flottenstützpunkt angeführt. 378 Kaisers Valens verliert die Schlacht von Adrianopel gegen die Goten. Danach verstärkte Ansiedlung hunnischer und ostgermanischer Verbündeter (Föderaten) in Pannonien, wahrscheinlich auch im Wiener Raum. 395 Einfall von Markomannen und Quaden. Weitere Ansiedlung verbündeter Germanen im römischen Gebiet. Ca. 395 – ca. 430 Die militärisch strukturierte Verwaltung von Vindobona löst sich allmählich auf. Eine weitere Besiedlung ist belegt. Nach 430 Im römischen Siedlungsgebiet von Vindobona ist archäologisch bis etwa ins 9./10. Jahrhundert keine Besiedlung mehr nachzuweisen.


Ausstellungsrundgang ErdgeschoĂ&#x;



KAPITEL 2

[EG]

Besiedlung vor den Römern

20

Thaya March

Oberleiserberg Donau Leopoldsberg bei Wien

BOIER

Devin Bratislava

Braunsberg BOIER

Die wichtigsten keltischen Siedlungszentren im Wiener Raum, um 80/70 v. Chr.

Sopron Schwarzenbach

Der keltische Stamm der Boier siedelte sich im 1. Jahrhundert v. Chr. im Wiener Becken an. Um 70 v. Chr. entstand auf dem Burgberg von Bratislava ein bedeutendes keltisches Zentrum, ein sogenanntes Oppidum. 30 Jahre später führte die Ausdehnung ihres Einflussbereiches nach Osten zu kriegerischen Auseinandersetzungen mit den Dakern und Skordiskern, die für die Boier katastrophal endeten. Eine vernichtende Niederlage und die Zerstörung der Siedlung auf dem Burgberg von Bratislava bedeuteten das Ende ihrer Vormachtstellung. Weite ­Bereiche wurden zu Ödland, das von Plinius in seiner naturalis historia als „deserta Boiorum“ – die Boische Wüste – bezeichnet wurde. Diese Gebiete dürften daraufhin in den Einflussbereich des keltischen Königreichs N ­ orikum gelangt sein, das seinerseits um 15 v. Chr. von den Römern annektiert wurde. Was mit der einfachen Bevölkerung in dieser Zeit geschah, ist schwer n ­ achzuweisen. Als die Römer im Zuge der Eroberungskriege des Kaisers Augustus auch in den Wiener Raum vordrangen, war das Gebiet noch von den Boiern bewohnt. Diese gehörten politisch zum kelti­schen regnum Noricum. Man nimmt an, dass es auf dem Leopoldsberg eine größere Siedlung gab. Siedlungsnachweise der spätkeltischen Zeit fanden sich im Bereich des heutigen 3. Bezirks, wo sich ab dem 1. Jahrhundert die Zivilstadt von Vindobona entwickelte. Neben Kelten siedelten ab 50 n. Chr. auch mit den Römern verbündete Germanen in ­unserem Gebiet. Ihr Stammgebiet lag ursprünglich nördlich der Donau, also außerhalb des Römischen Reichs. Ihnen wurden nach innenpolitischen Schwierigkeiten südlich der Donau Asyl gewährt. Keltische und auch germanische Namen und Dekorformen wirkten bis weit ins 2. Jahr­­ hundert nach, als der ­Wiener Raum längst zum römischen Reich gehörte. Im Laufe der Zeit vermischte sich die einheimische Bevölkerung mit den Römern.


21

Beigaben aus dem Grab eines ger­ manischen Adeligen, um 50 n. Chr.

Eimer, Kasserolle, Kandelaber, Schöpfgefäß (Simpulum), Trink­ hornbeschlag, Reitersporen Silber, Bronze Bei den Germanen war importiertes Bronze- und Silbergeschirr nicht nur Ausdruck von großem Luxus, man konnte so auch Kenntnis römi­ scher Lebensart demonstrieren. Da sich das Grab auf römischem

Boden befand, wird es sich bei dem Bestatteten wohl um den Angehörigen einer hier angesiedel­ten germanischen Adelsfamilie gehandelt haben. Nach germanischem Brauch – davon zeugen Trinkhorn und Sporen – ließ er sich mit sei­nem wertvollsten Besitz auf dem Scheiter­ haufen verbrennen. Der Großteil der Beigaben weist deshalb Brandspuren und Deformationen auf. Ein großer Eimer diente wahrscheinlich als Urne.

Spätkeltische Keramikfragmente, Ende 1. Jh. v. Chr.

Im 3. Wiener Gemeindebezirk häufen sich Einzelfunde der späten Kelten­zeit. Durch den Fund von zwei Töpferöfen in der Engelsberg­gasse/ Riesgasse konnten 1926 erst­mals auch Siedlungsspuren nachgewiesen werden. Diese dehnen sich über eine Fläche von ca. 78 ha aus, wie neuere Funde und Forschungen belegen. Bislang konnte keine gleich­­zeitige An­siedlung von Kelten und Römern in dieser frühen Zeit nachgewiesen werden.


KAPITEL 3

[EG]

22

Die ersten Römer Elbe

Teutoburger Wald (Varus-Schlacht) Rhein

Saale

MARCOMANNI Mogontiacum (Mainz)

Main

QUADI Donau

Geplanter Feldzug der Römer

Vindobona Carnuntum

Im Jahr 5 n. Chr. hatte das römische Imperium weite Teile des Germanengebietes zwischen Rhein, Elbe/Saale und Main unter seinen Einfluss gebracht. Man begann dauerhafte Militär­ stützpunkte und Städte zu errichten. Nördlich der Donau aber entwickelte sich das Reich des Markomannenkönigs Marbod zu einem immer stärker werdenden Machtfaktor, den die Römer nicht dulden wollten. Für den Feldzug gegen die Markomannen bot Rom alle zwölf Legionen auf, die in Germanien, Rätien und Illyricum stationiert waren. Die in Germanien stationierten Truppen marschierten von Mainz aus zur Elbe, während Tiberius von Carnuntum nach Böhmen vorstoßen sollte. Der Feldzug wurde jedoch abgebrochen, da in Pannonien ein Aufstand ausbrach, der das Eingreifen des Tiberius erforderte. Zuvor gelang es ihm, einen Friedensvertrag mit dem Markomannenkönig Marbod auszuhandeln. Kurz nach der endgültigen Niederschlagung des Pannonischen Aufstandes mussten die Römer eine ihrer größten Nieder­lagen hinnehmen: Im Jahr 9 n. Chr. vernichteten die Cherusker im Teutoburger Wald drei römische Legionen unter dem Oberbefehl des Varus samt Hilfstruppen und Tross. In der Folge zogen sich die ­Römer auf eine Grenzlinie entlang von Rhein und Donau zurück, deren Verteidigung sie ­weitere 400 Jahre beschäftigte. Deshalb kam es auch zur Errichtung von Legionslagern ­entlang der Donau – wie jenem in Vindobona.


23

Grabstele für C. Atius, 6 – 41 n. Chr.

Gipsabguss Lange vor Errichtung des Legions­ lagers Vin­do­bona Ende des 1. Jahr­hunderts n. Chr. war bereits römisches Militär im Wiener Raum präsent. Der Grabstein des Caius Atius ist das älteste Z ­ eug­­nis dafür. Seine Datierung fällt in die Zeit zwischen 6 n. Chr., der Perio­de der Okkupationskriege des Augustus, und der Regierungszeit des Tiberius, die 41 n. Chr. endete. Caius Atius war Legionär und verstarb als aktiver Soldat der 15. Legion im Alter von 28 Jahren in Vindobona. Damals hatte er bereits 10 Jahre in der Legion gedient. Durch die Angabe seines Steuer­bezirks kann man auf eine Herkunft aus Oberitalien oder Südgallien schließen. Der Grabstein ist der einzige Hinweis, dass die 15. Legion noch vor ihrer Stationierung in Carnuntum in Wien anwesend war. Bauliche Reste konnten bislang nicht gefunden werden.

Foto der Verfüllung eines Spitz­grabens im Schottenkloster

Vermutlich gehörte dieser Spitz­ graben zum Auxiliarkastell der ala I Britannica.

Grabstele des T. Flavius Draccus, 93 –96 n. Chr.

Kalksandstein, bemalter Stuck Gefunden: 1, Habsburgergasse 9, 1901 Inschrift für C. Atius: C(aius) Atius Q(uinti) f(ilius) Anie(n) s(i) miles leg(ionis) XV Apol(l)inaris an(n)oru(m) XXIIX stipendioru(m) X h(ic) s(itus) e(st) C. Atius, Sohn des Quintus, aus dem Steuerbezirk (Tribus) Aniensis, Soldat der 15. Legion, 28 Jahre, 10 Dienstjahre, ist hier begraben.

Die ala I Britannica Bereits 1559 entdeckte man beim Bau der Stall­ burg zwei Grabstelen von Soldaten einer Reiter­ truppe, der ala I Britannica. Eine weitere, die im Wien Museum Karlplatz ausgestellte Stele des T. Flavius Draccus, kam 1901 zu Tage. Die Inschriften bezeugen, dass diese 1.000 Mann

Der Soldat stammte aus der heutigen Westschweiz und starb im Alter von 45 Jahren nach 22 Dienstjahren.

starke Einheit in der Regierungszeit des Kaisers Domitian (81– 96 n. Chr.) in Vindobona noch vor einer Legion stationiert war. Die wahrschein­­ lichste Position ihres an die 4 ha großen Reiter­ kastells befindet sich im Bereich der Freyung, wo sich heute das Schottenkloster erhebt.


KAPITEL 4

[EG]

Das römische Wien Die politische und wirtschaftliche Entwicklung des Donaugebietes wurde ­entscheidend durch das römische Militär geprägt. Spätestens unter Kaiser Trajan (98 – 117 n. Chr.) standen in Pannonien vier Legionen zur Sicherung der Flussgrenze bereit (Vindobona/Wien, Carnuntum, Brigetio/SzönyKomáron und Aquincum/Budapest). Auf dem Gebiet der Wiener Stadtterrasse fanden die Römer einen günstigen Platz für die Anlage eines 20 ha großen Legionslagers vor. Sie positionierten das Kastell so, dass die Nordseite vom Steilabhang zur Donau hin geschützt war und der Ottakringer Bach im Westen eine natürliche Barriere darstellte. Der Fluss mit seinem Hafen war für den Transport von Nahrungsmitteln und Wirtschaftsgütern zur Versorgung des Legionsstandortes bedeutend. Dies gewährleistete auch die Anbindung an Überlandstraßen, die außerdem für schnelle Truppenverschiebungen notwendig waren. Rund um die Befestigungs­anlagen des Militär­stützpunktes entwickelte sich rasch eine Vorstadt, die in enger Beziehung zur militärischen Verwaltung stand und die Raum für Läden, Handwerksbetriebe, Gastwirtschaften und Vergnügungs­ einrichtungen bot. Weiter draußen lagen die Zivilstadt, vor­nehme Landhäuser und ländliche Siedlungen. Die Blütezeit Vindobonas fällt in den Zeit­raum von der Mitte des 2. bis zur Mitte des 3. Jahrhunderts. Inschriften und materielle Nachweise wie Keramik oder Trachtbestandteile belegen, dass in Vindobona Menschen aus allen Teilen des Römischen R ­ eiches neben der einheimischen Bevölkerung lebten. Kriegsereignisse, ein Hochwasser, dem große Teile des zen­tralen Siedlungsraumes zum Opfer fielen, sowie Verwaltungs- und Militärreformen am Ende des 3. und zu Beginn des 4. Jahrhunderts veranlassten die Bevölkerung zum Rückzug in die Festung. Zu Beginn des 5. Jahrhunderts versank das Siedlungs­gebiet allmählich in die Bedeutungslosigkeit.

24


25


KAPITEL 5

[EG]

26

Das Legionslager als städtisches Zentrum

4

3

6

7

1 2 3 4 5 6 7

Principia Praetorium Valetudinarium Kaserne Fabrica Thermen Tribunenhaus

2

4

1

5

Schematischer Grundriß des Legionslagers Vindobona

Römische Heerlager wie Vindobona waren weitgehend standardisiert: Sie wurden für jeweils eine Legion angelegt, also für maximal 6.000 Soldaten. Ihre Kommandanten (legatus legionis) standen in der Hierarchie des Imperiums sehr hoch und waren nur dem Kaiser und dem jeweiligen Statthalter der Provinz unterstellt. Ein Legionslager diente keineswegs nur militärischen Zwecken, sondern war auch ein Zentrum der Verwaltung. Durch ihre monumentalen Gebäude aus Stein glichen die Lager städtischen Siedlungen. Die Zentralbauten zählten in den Provinzen zu den größten Bauwerken ihrer Zeit und wirkten auf die einheimische Bevölkerung sicher imposant. Die am äußersten Rand des Reichs stationier­ten Soldaten mussten nicht auf ihre gewohnten Lebensweisen verzichten: Es gab riesige Thermen, Frischwasserversorgung und spezielle Lebensmittel, wie etwa Olivenöl. Ein Legionslager war ein bedeutender Wirtschaftsfaktor für die gesamte Region. Römische Kulturtechniken und Werthaltungen wurden von der örtliche Bevölkerung aufgenommen, die ihrerseits auch die Römer beeinflusste. So entstand eine neue provinzialrömische Kultur.


27

Umrisse des Legionslagers im Wiener Stadtbild

Wien Museum Rรถmermuseum

Wien Museum Ausgrabungen Michaelerplatz


KAPITEL 5

[EG]

28

Das Legionslager

GRENZEN

Westen: Tiefer Graben Süden: Naglergasse / Graben Osten: Rotenturmstraße / Stephansplatz Norden: Gonzagagasse / Schwedenplatz GRÖSSE

22,5 ha (ca. 400 x 500 m) BESATZUNG

97–101: legio XIII Gemina 101–114: legio XIIII Gemina Martia Victrix ab 114: legio X Gemina EINWOHNER

ca. 8.000 –12.000, davon 4.000 – 6.000 Soldaten Zivilisten: Angehörige der Offiziere, Sklaven, Pferdeknechte, Pferde BESIEDLUNG

Ende 1. Jh. bis Anfang 5. Jh. Alle Legionslager wurden nach einem ähnlichen Muster ­errichtet. Daher kann man auch heute in der dicht ­verbauten Stadt kleine Mauerreste speziellen Gebäuden zuordnen. Die Kommandantur, die Thermen, das Krankenhaus und die prächtigen Wohnhäuser der Offiziere verliehen dem Heer­lager ein städtisches Aussehen. Fast alle Hauptgebäude waren aus Stein, etliche davon zweistöckig. An den Hauptstraßen befanden sich Gasthäuser und Werkstätten ebenso wie Magazine, Stallungen und Latrinen. Die größte Fläche nahmen die Quartiere der einfachen Soldaten ein.

5

Fabrica Am Hof


29

2

1

Schulhof

Tuchlauben

Praetorium

Principia

4

3

6

7

Judenplatz

Salvatorgasse

Marc AurelStraĂ&#x;e

Hoher Markt

Kaserne

Valetudinarium Speicher (vermutet) Salzgries

Thermen

Tribunenhaus


DIESER KATALOG INTERESSIERT SIE? KLICKEN SIE HIER, UM ONLINE ODER TELEFONISCH ZU BESTELLEN.


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.