WIR 2/2021
Titel
Den Opfern eine Stimme geben I
m April 2021 sind vier Menschen mit Behinderung im Potsdamer Oberlinhaus ermordet worden. Umgebracht von einer Mitarbeiterin aus ihrem nahen Umfeld, getötet in ihren eigenen vier Wänden. Es folgten große Anteilnahme und Entsetzen, mediale Aufmerksamkeit, Debatten vieler Akteurinnen und Akteure, die in der stationären Unterbringung von Menschen mit Behinderung seit Jahren die Gefahren von Abhängigkeit, Missbrauch und Gewalt sehen. Auch die WIR-Redaktion ist von den Morden tief erschüttert: Aus unserem Alltag wissen wir, dass es in der Betreuung und Pflege von Menschen mit Behinderung
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Abhängigkeitsstrukturen gibt, die Übergriffe begünstigen und zu Machtmissbrauch sowie zu psychischen wie physischen Gewaltvorkommnissen führen können. Es reicht nicht, hier den Blick ausschließlich auf die Morde in Potsdam zu richten. Vielmehr sind alle Einrichtungen dazu aufgerufen, sich mit den eigenen Strukturen auseinanderzusetzen. Dazu gehört auch, sich von alten Glaubenssätzen und romantischen Vorstellungen zu verabschieden. „Dass es keine sexuelle Belästigung in Einrichtungen der Behindertenhilfe gibt, ist ein gesellschaftlicher Mythos“, schätzt Sascha Omidi, Fachberater für Gewaltschutzkonzepte für Werkstätten, die Lage ein. Sich für Gewaltprozesse zu sensibilisieren und