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Aufbruch für Deutschland – Wachstum für Europa
Rückkehr an die Spitze: Masterplan Deutschland Dr. Angela Merkel, Vorsitzende der CDU Deutschlands und der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag
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ie Christlich-Demokratische Union und die CSU gingen gemeinsam als europaweit stärkste Partei aus den Europawahlen hervor. Dies sagt etwas über die Kraft von CDU und CSU aus. Gleichzeitig geht der Weg zu Reformen niemals völlig ohne Diskussionen. Es war richtig, dass die Union in einigen Fragen Zeichen gesetzt hat. Der Bundespräsident Horst Köhler hat uns richtigerweise aufgerufen, als Deutsche nicht immer diese Angst vor dem Scheitern zu haben, sondern einfach mutig und optimistisch den Weg zu gehen, der die Antworten auf unsere Zeit gibt.
III. Quartal 2004
Kennzeichen unserer Zeit ist die Globalisierung. Ein Kennzeichen im Übrigen, das für viele Menschen nicht einfach nach zu vollziehen ist. Ich wünsche mir von der Wirtschaft die Einsicht, dass die Globalisierung gerade in Deutschland von den Menschen oft als Bedrohung wahrgenommen wird. Gerade die Deutschen haben durch die Erfolgsgeschichte der Sozialen Marktwirtschaft über Jahrzehnte eine beruhigende Grunderfahrung gemacht. Diese Grunderfahrung war: Wenn es der deutschen Wirtschaft gut geht, geht es auch den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Deutschland gut. ... trend 7
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„Qualitative Veränderungen müssen klug und vernünftig begleitet werden“
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Auch heute gilt, wenn es der deutschen Wirtschaft schlecht geht, geht es den Menschen in Deutschland schlecht. Umgekehrt gilt aber nicht mehr automatisch, dass es in einem gut aufgestellten globalisierten Betrieb auch dem Arbeitnehmer in Deutschland gut geht. Dies bedeutet eine Erschütterung der positiven Grunderfahrung der Sozialen Marktwirtschaft. Dieses Problem haben nicht nur die Politiker zu bewältigen, sondern durch die Tarifautonomie auch die Unternehmer. Qualitative Sprünge Ursache für diese Entwicklung ist der Übergang von der Industriegesellschaft in die wissensbasierte Gesellschaft. Dieser Übergang ist nicht nur evolutionär und quantitativ. Er enthält qualitative Sprünge und ist mit dem Übergang von der Agrar- zur Industriegesellschaft des 19. Jahrhunderts zu vergleichen. Immer ist ein solcher Übergang getrieben durch technologische Innovationen. Die Erfindung der Dampfmaschine führte dazu, dass sich der Anteil der Beschäftigten von 70 Prozent im Agrarbereich in 70 Prozent im industriellen Bereich wandelte. In der Landwirtschaft war nur noch ein kleiner Teil der Arbeitsplätze. Ähnliche Folgen hatte die Währungsunion durch die deutsche
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Einheit. In der früheren DDR arbeiteten 13 Prozent der Beschäftigten in der Landwirtschaft. Durch die vergemeinschaftete Agrarpolitik in der Europäischen Union sind von 13 Prozent Beschäftigten im Agrarsektor nur noch 1,5 Prozent übrig geblieben. Die daraus resultierende strukturelle Arbeitslosigkeit von bis zu 30 Prozent ist nicht einfach zu beheben: Man kann nicht jeden Rinderzüchter zum Software-Programmierer umschulen. Qualitative Veränderungen in Beschäftigungssektoren müssen also klug und vernünftig begleitet werden. Wir müssen uns heute fragen, unter welchen politischen Rahmenbedingungen sich die neuen Technologien in der Wissensgesellschaft entwickeln können. Uns soll es nicht ergehen, wie den deutschen Kleinstaaten im 19. Jahrhundert, in denen die Dampfmaschine durch ihre ungünstige Infrastruktur erst 20 Jahre später als in Frankreich und England ihren Siegeszug antrat. Der für den Transport erforderliche Bau von Eisenbahnlinien war sehr erschwert, da die Landesfürsten kein Interesse hatten, auf ihre Landeszölle zu verzichten. Es bedurfte erst des Entstehens einer vollkommen neuen Industrieklasse, die diesen Durchbruch geschafft hat. ... III. Quartal 2004
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... Europa muss Wirtschaftspolitik besser koordinieren Wenn Europa weltweit Werte prägen will, wenn wir nicht nur moralisieren wollen, dann müssen wir die Lissabon-Strategie umsetzen. Europa soll der wachstumsstärkste und dynamischste Kontinent werden. Davon sind wir weit entfernt. Deutschland in der Mitte Europas als größte Volkswirtschaft hat eine große Aufgabe, nicht nur für die Prosperität unseres eigenen Landes, sondern für die Prosperität ganz Europas. Europa muss die Wirtschaftspolitik besser koordinieren. Es muss einen Wettbewerb um den besten Weg in Europa geben. Es sollte einen Wettbewerb um die besten Steuersysteme geben. Wie schaffen wir diese Rahmenbedingungen und wo knirscht es? Im Zentrum der veränderten Gesellschaften und Arbeitswelten steht die Veränderung des Arbeitsrechts. Sie hat einen Vorteil. Sie kostet nichts. Eine Reform also, die man auch in Zeiten knapper Kassen durchführen kann. Flächentarifvertrag nicht ausreichend Wir leben in einer globalen Welt, was bedeutet, dass das einzelne Unternehmen individuell auf den Wettbewerb reagieren muss. Dafür ist das Instrument des Flächentarifvertrages nicht ausreichend geeignet. Den Unternehmen werden Spielräume genommen, die sie in der aktuellen Reaktion auf Wettbewerbsveränderungen brauchen. Stattdessen benötigen die Tarifparteien rechtliche Grundlagen für betriebliche Bündnisse für Arbeit. Nur so wird Deutschland auch international wieder ein interessanter Investitionsstandort. Denn die vielen Fälle, in denen Arbeitnehmer und Arbeitgeber zusammen mit den Gewerkschaften individuelle Lösungen gefunden haben, sind im Ausland wenig bekannt. International Aufsehen erregen aber die Fälle, in denen es nicht funktioniert hat. Deshalb brauchen wir klare rechtliche Grundlagen in einem veränderten Betriebsverfassungsgesetz und in einem veränderten Tarifvertragsgesetz. Dafür wird die Christlich-Demokratische Union eintreten, III. Quartal 2004
auch wenn es den Widerstand der Gewerkschaften hervorruft, weil es im Sinne der Menschen und der Arbeitsplätze in Deutschland ist. Die Debatte um die Arbeitszeiten zeigt, dass in weiten Teilen der Bevölkerung Grundsätze von Wirtschaftspolitik und Effizienz verloren gehen. Bei kürzeren Arbeitszeiten muss effizienter gearbeitet werden, um weltweit wettbewerbsfähig zu sein. Ich danke der Unternehmensleitung von Siemens und ihren Betriebsräten für ihre Bereitschaft, den Konflikt um Arbeitszeiterhöhung und Effizienzsteigerung zu Gunsten von Arbeitsplätzen in Deutschland ausgetragen zu haben. Ich glaube, dass die Menschen in Deutschland in der Auseinandersetzung um einen Arbeitsplatz dieser Veränderung bereit sind. Dabei müssen wir der Anwalt der Menschen sein und nicht der Anwalt der Besitzstände von Organisationen. Zukunft der sozialen Sicherungssysteme Eine weitere Frage ist, wie die Zukunft die sozialen Sicherungssysteme aussehen soll. Die Deutschen haben, auch als Ausdruck der Sozialpflichtigkeit des Eigentums, die paritätische Sozialversicherungsstruktur eingeführt. Als die Nationalökonomie noch die bestimmende Größe war, war dies sicher richtig. Aber im globalen Wettbewerb führt dies dazu, dass bestimmte Beschäftigungsfelder, insbesondere in den unteren Einkommensgruppen mit über 40 Prozent Lohnzusatzkosten nicht mehr wettbewerbsfähig sind. Zusätzlich haben wir das Problem der demographischen Veränderung. Wir dürfen die junge Generation nicht überbelasten. Gleichzeitig habe ich noch niemanden gefunden, der mir vorrechnen kann, dass man aus dem umlagefinanzierten Rentensystem vollkommen aussteigen kann. Richtig ist die Aussage des Wirtschaftsrates, dass die kapitalgedeckten Anteile wachsen müssen. Die Riester-Rente ist für diesen Teil zu kompliziert und auch zu starr mit dem Arbeitsplatz verbunden. Die Alterssicherung sollte viel mehr über individuelle Kapitalabdeckung gesichert wer... den, als das heute der Fall ist. trend 9
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Die Abkoppelung der Lohnnebenkosten von den Arbeitskosten gelingt nur in den Bereichen Pflege und Gesundheit. Gesundheit ist einer der dynamischsten Bereiche, weil durch den medizinischtechnischen Fortschritt und die längere Lebenserwartung die Kosten in diesem System besonders explodieren. Wir müssen daher ein System finden, bei dem auf der einen Seite die Entkoppelung von den Arbeitskosten gelingt und auf der anderen Seite ein Maximum an Wettbewerb besteht, damit eine möglichst freie Preisbildung erfolgen kann. Aus diesem Grund haben wir uns – wohl wissend, dass das eine kulturelle Innovation ist – in der CDU für die Gesundheitsprämie entschieden. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Bürgerversicherung keine Antwort auf die Herausforderungen des Gesundheitssystems ist. Nebenbei gesagt, was ist mit der Bürgerversicherung eigentlich? Außer dem sehr wohlklingenden Wort gibt es bislang nur ausgesprochen unausgegorene und im Dunkeln liegende Angaben über das neue System. Wir brauchen die Entkoppelung der Krankenkassenbeiträge von den Lohnnebenkosten. Bei einer einheitlichen Gesundheitsprämie ist der Preis für die Gesundheit des Chefs derselbe Preis wie der für die Gesundheit der Sekretärin. Alles andere wäre eine Zweiklassenmedizin. Die Kosten, die der Einzelne zu tragen hat, sollen hingegen nicht gleich sein. Auch in diesem System muss es einen sozialen Ausgleich geben, der aus unserer Sicht über das Steuersystem erfolgen sollte. Das führt zu einer erhöhten Gerechtigkeit. Nicht gerecht ist die jetzige Situation, in der privat versicherte Personen keinen Cent in den Solidarausgleich des gesetzlichen Gesundheitssystems einzahlen. Es ist auch nicht gerecht, dass z. B. freiwillig in der Gesetzlichen Krankenversicherung Versicherte für die nicht erwerbstätige Ehefrau, drei Kinder und sich selbst nur einen Beitrag bis zur Beitragsbemessungsgrenze von 3.400 € zahlen müssen, für darüber hinaus verdiente Beträge aber keinen Solidarausgleich leisten. Wir glauben, dass der Ausgleich über das Steuersystem besser ist, weil so alle in
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die Finanzierung des Solidarausgleichs mit einbezogen werden, und die einheitliche Prämie mehr Wettbewerb ermöglicht. Deshalb denke ich, dass uns nicht nur die Sachverständigen Schritt für Schritt folgen werden, sondern dass sich das System auch insgesamt durchsetzt. Wenn selbst ein Sozialdemokrat wie Herr Rürup inzwischen zu der Erkenntnis gekommen ist, dass dieses Prämiensystem das bessere System ist, wenn selbst die Sachverständigen der Bundesregierung sagen, mit einem solchen Umstieg könnte man bis zu einer Million neue Arbeitsplätze schaffen, zeigt es eindeutig, das dies der richtige Weg ist. Für diesen Weg werden wir als CDU kämpfen. Mit der Zusammenlegung der Arbeitslosen- und der Sozialhilfe zu einer Transferleistung haben wir eine der bedeutendsten Reformen eingeleitet. Das bedeutet allerdings für alle Arbeitslosenhilfebezieher, dass sie zum 1. Januar 2005 eine deutliche Senkung auf das Sozialhilfeniveau haben werden, was zu erheblichen Veränderungen und Belastungen insbesondere in den neuen Bundesländern führen wird. In den neuen Bundesländern gibt es eine völlig andere Situation als in den alten. So ist in den alten Bundesländern das Verhältnis von Sozialhilfeempfängern zu Arbeitslosenhilfeempfängern Vier zu Eins, in den neuen Bundesländern ist es Eins zu Vier. Den Menschen eine Perspektive geben In den neuen Ländern wird es daher mehr Menschen geben, deren Leistung abgesenkt wird. Das sind aber auch genau die Länder, in denen die Chance, wieder eine Arbeit zu bekommen, geringer ist, als in weiten Teilen der alten Bundesrepublik. Deshalb ist die Zusammenlegung von Arbeitslosenund Sozialhilfe nur eine Seite der Medaille. Wir haben sie unterstützt, weil sie ordnungspolitisch richtig ist. Aber wir haben auch immer gesagt: Wer fordert, der muss auch fördern. Wir müssen den Menschen eine Perspektive geben. Wir haben daher vorgeschlagen, einen Niedriglohnbereich zu installieren. Es gibt Tätigkeiten, mit denen auf dem freien Arbeitsmarkt – auch im Rahmen einer Vollbeschäfti- ... III. Quartal 2004
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„Wir müssen den Menschen eine Perspektive geben“
... gung – nur ein unter dem Sozialhilfesatz liegender Preis erlöst werden kann. Diese Tätigkeiten haben derzeit in Deutschland keine Zukunft. Professor Sinn bezeichnet das Phänomen, das unterhalb des Sozialhilfesatzes keine legalen Arbeitsplätze angeboten werden, als „Eigernordwand“. Diese führt zu den bekannten 15 Prozent Schwarzarbeit und zum Abwandern des gesamten unteren Lohnsegments in unsere mittel- und osteuropäische Nachbarländer. Das dürfen wir nicht hinnehmen. Die Union will daher den Weg beschreiten, mit einer Zuzahlung bei diesen Arbeitsverhältnissen einen Kombilohn zu schaffen, der jedem Arbeitswilligen garantiert, mehr als den Sozialhilfesatz zu erhalten. Paradigmenwechsel als Antwort auf Globalisierung Das ist ein Paradigmenwechsel. Es ist eine Antwort auf die Globalisierung in bestimmten Tätigkeitsbereichen und erlaubt uns, auch in einfachen Tätigkeitsbereichen Angebote für diejenigen zu machen, die keine andere Arbeit finden. Gleichzeitig müssen wir keine zusätzlichen Angebote im staatlich regulierten zweiten Arbeitsmarkt schaffen, der letztlich immer nur in Friktionen mit dem ersten Arbeitsmarkt tritt. Dieser Weg wird von den SozialdemoIII. Quartal 2004
kraten in dieser Konsequenz nicht mitgegangen. Da wird hier an einer Schraube gedoktert, dort an einer Schraube gedoktert. Das löst aber nicht das Problem. Deshalb werden wir weiter dafür kämpfen, möglichst viele Sozialhilfeempfänger wieder in Arbeit zu bringen. Ein mutiges Steuerkonzept Friedrich Merz hat uns auf dem CDU-Parteitag in Leipzig ein mutiges Steuerkonzept vorgelegt. Wir haben uns auf dieser Basis mit der CSU auf einen Steuerkompromiss geeinigt. Dieser ist weit besser als das, was heute als Steuersystem im Gesetzblatt steht. Ich habe dem Bundeskanzler angeboten, sofort über eine Vereinfachung des Steuersystems zu sprechen. Ich glaube, dass für die Akzeptanz des Staates und der Politik für die Bürger ganz wichtig ist, dass sie ihre Steuererklärung wieder verstehen, also mehr Transparenz in das Steuersystem kommt. Das hat etwas mit dem Verhältnis der Bürger zu ihrem Staat zu tun. Ich danke für alle Hinweise, nehme sogar Kritik in Kauf, wo das Konzept noch nicht lupenrein ist, und denke, dass wir Schritt für Schritt vorankommen müssen. Gift für die Konjunktur hingegen sind Kontroversen um Steuererhöhungen und unsichere Rahmenbedingungen für Unternehmen. Die ewigen Dis- ... trend 11
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... kussionen über Erbschaftssteuer, Vermögenssteuer, Ausbildungsplatzabgabe müssen unterbleiben. Monstrum Chemiekalienrichtlinie Die Agenda 2010 geht einen Schritt in die richtige Richtung. Die Frage ist, ob die Relativgeschwindigkeit zum Rest der Welt ausreicht. Wenn wir jetzt den Rest der nächsten zwei Jahre damit verbringen, zwischen Dosenpfand, Ausstieg aus der Kernenergie, Nichtumsetzung der Biopatentrichtlinie und Ausbildungsplatzabgabe die politischen Diskussionen in diesem Lande zu bestreiten, halten wir sicher nicht den Anschluss an den Rest der Welt. Wir müssen den Ernst der Lage erkennen. Ich habe es sehr begrüßt, dass der französische Präsident, der englische Premierminister und der deutsche Bundeskanzler sich gegen die Chemikalienrichtlinie gewandt haben. Allerdings ist die Chemikalienrichtlinie vom Umweltrat auch noch in den Wettbewerbsrat verwiesen worden. Und wer sitzt für Deutschland wieder im Wettbewerbsrat? Der gleiche Herr Trittin, der schon im Umweltrat so viel Unheil angerichtet hat. So wird aus der Chemikalienrichtlinie in Europa nicht das Richtige. Wenn Europa die Chemie dieser Welt prägen will, dann muss Europa Arbeitsplätze in der Chemie haben. Mit diesem Monstrum Chemiekalienrichtlinie werden Arbeitsplätze aus Europa weggehen. Es muss alles darangesetzt werden, dass in der neuen Kommission und im neuen Europäischen Parlament an dieser Stelle wirklich die Schritte gegangen werden, die Europa voranbringen. Denn die Wahrheit ist konkret und nicht allgemein und sie entscheidet sich zwischen Biopatentrichtlinie, Chemikalienrichtlinie, Umweltverträglichkeitsprüfungsrichtlinie und wie all die schönen Erfindungen der Europäischen Union heißen. Die Sorge, dass bei 25 Kommissaren noch mehr Richtlinien auftauchen, ist auch nicht ganz unbegründet. Entfesselung der Kräfte Arbeitsmarkt, soziale Sicherungssysteme, Steuersystem und Entfesselung der Kräfte im Bereich von Innovation: Bei der Entfesselung der Kräfte im 12 trend
Bereich von Innovation haben wir Deutschen noch viel Arbeit vor uns. Es ist ein Anachronismus, dass wir als Land mit den sichersten Kernkraftwerken zuerst aus dieser Technologie aussteigen. China wird in den nächsten Jahren 17 Kernkraftwerke bauen. Wir könnten sowohl auf die Sicherheitsstandards weltweit Einfluss ausüben, als auch Exportaufträge haben, wenn wir uns an dieser Technologie weiter beteiligen würden. Dabei muss nicht zwischen Kernenergie und Windenergie entschieden werden. Ich habe nichts dagegen, beide Energieträger parallel zu nutzen. Aber man kann den Ausstieg aus der Kernenergie nicht durch die Versuche kompensieren, auch noch in tiefen Tälern die Windräder zum Drehen zu bringen. Wir müssen außerdem wieder an wichtigen Erfindungen teilhaben. Dazu brauchen Grundlagenforschung und angewandte Forschung in Deutschland wieder ein freiheitlicheres Feld. Kompromiss in der Gesundheitspolitik Die Gesundheitsreform im vergangenen Winter war ein Kompromiss, aber sie stabilisierte die Beitragssätze. Dafür mussten wir ein paar Kröten schlucken. Eine dieser Kröten bedeutet, dass wir den pharmazeutischen Unternehmen in Deutschland für ein Jahr zehn Prozent ihres eigentlich erwarteten Gewinnes durch Rabatt auf die patentgeschützten Medikamente genommen haben. Im Augenblick werden die Festbeträge verhandelt. Bei diesen Festbetragsverhandlungen werden Gruppen gebildet, für die ein Preis festgelegt wird. Patentgeschützte Medikamente werden mit nicht patentgeschützten Medikamenten in einer Gruppe zusammengefasst. Dies hat zur Folge, dass Medikamente mit schon abgelaufener Patentfrist im Preis zu hoch liegen und noch patentgeschützte, innovative Präparate im Preis nach unten gedrückt werden. Damit nimmt der Anteil Deutschlands an der forschenden pharmazeutischen Industrie ab, der Anteil der Generika wird zunehmen und die Forschung wandert ins Ausland ab, mit nachteiligen Folgen für unseren ... Wohlstand. III. Quartal 2004
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... Wunderbare Wertevermehrung Auf den Haushalt des Jahres 2005 will ich nicht eingehen. Allerdings wundert es mich schon, dass zu Weihnachten die erwarteten Privatisierungserlöse drei Milliarden € betrugen und es im Juni diesen Jahres plötzlich 15 Milliarden wurden. Die wundersame Wertvermehrung kann ich mir nicht erklären. Sie ist eine Verschuldung auf die Zukunft, das ist heute schon klar. Zur Wichtigkeit des Stabilitätspaktes haben wir zwischen Deutschland und Frankreich, diplomatisch gesprochen, nuancierte Auffassungen. Das Defizitkriterium darf nicht so interpretiert werden, dass wir zunächst drei Prozent Schulden für den Konsumbereich machen und anschließend sagen, Investitionen rechnen wir nicht in den Stabilitätspakt ein. Ich bin sehr froh, dass die Stabilitätskriterien doch in den Europäischen Verfassungsvertrag aufgenommen wurden. Stabiles Geld sollte zu den Grundwerten einer europäischen Politik gehören. Mit Instabilität haben wir schon sehr schwierige Erfahrungen gemacht. 1990 hätten wir unter der Regierung Kohl zum ersten Mal einen ausgeglichenen Haushalt gehabt, wenn nicht die deutsche Einheit gekommen wäre. Seit der großen Koalition in den 60er Jahren bis zu diesem Zeitpunkt entstand Wachstum durch Neuverschuldung. Das ist in einer alternden Gesellschaft auf Dauer kein gangbarer Weg. Deshalb muss nachhaltiges Wachstum generiert werden. Das wird nur durch Strukturreformen zu erhalten sein. Deutschland voranbringen Wir werden oft gefragt, blockieren Sie nicht? Diesen Vorwurf kann man der jetzigen Opposition nicht machen. Wir haben ein Zuwanderungsgesetz im Vermittlungsausschuss verabschiedet. Wir haben den Gesundheitskompromiss mit getragen. Wir haben die Arbeitsmarktreformen zum großen Teil noch mit erzwungen. Wir haben die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe unterstützt. Wir sind eine konstruktive Opposition, nicht nur weil wir das staatspolitisch für richtig halten, sondern weil wir auch wissen, dass die uns zugeneigten Wählerinnen III. Quartal 2004
und Wähler das von uns erwarten. Wir haben viele Gesetzesvorschläge zum Arbeitsrecht eingebracht. Wir können aber nie unsere wirklichen Ideen umsetzen. Wir können Unzureichendes etwas zureichender machen. Wir übernehmen damit auch Gesamtverantwortung. Aber für die Bevölkerung treten die Grundprinzipien niemals klar zu Tage. Deshalb möchte ich klar zum Ausdruck bringen: Ich werde mich intensiv für den Erfolg der Föderalismusreform einsetzen. Wir brauchen eine klarere Trennung der Zuständigkeiten von Bundesebene und Länderebene. Zwar bedeutet das für eine Oppositionsfraktion im Deutschen Bundestag auf den ersten Blick Machtverlust, denn weniger Gesetze im Vermittlungsausschuss bedeuten auch weniger Mitarbeit der Bundestagsabgeordneten im Vermittlungsausschuss. Dennoch bin ich mir sicher, dass die Bedeutung des Bundestages wieder steigen wird, wenn es mehr Gesetze gibt, die nur im Bundestag verabschiedet werden und andere Zuständigkeiten bei den Ländern liegen. Dann muss auch die Regierung wieder auf die Argumente der Opposition eingehen. Im Augenblick tut sie das nicht, weil die eigentliche Arbeit im Vermittlungsausschuss unter Ausschluss der Öffentlichkeit geschieht. Wir setzen uns dafür ein, dass die Föderalismuskommission gegen Jahresende zu einem Ergebnis kommt. In der Kombination – der Reform des Bildungssystems, der Entfesselung von Kräften für Innovation, der Änderung des Arbeitsrechts, der sozialen Sicherungssysteme und eines transparenten Steuersystems und einer wirklichen, klaren Föderalismusreform – können wir Deutschland ein ganzes Stück voranbringen. Unsere Pflicht besteht darin, die Wachstumsfelder nach Deutschland zu holen und hier mehr Menschen in Arbeit zu bringen. Ich glaube Verändern kann auch Spaß machen. Wir sollten das nicht immer nur mit verzerrten Mundwinkeln tun, sondern den Menschen sagen, dass die Chancen die Risiken bei weitem überwiegen. Dann kann Deutschland es schaffen. * Aus Rede Wirtschaftstag 2004
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nicht, dass nur geredet, sondern das etwas getan werde. „Wir haben aber eine relativ große Chance, dennoch gewählt zu werden, weil es in der deutschen Bevölkerung ein gesundes Empfinden gibt: Wenn sie bei Zweien nicht ganz sicher sind, wer wirklich was kann, werden sie den rauswerfen, bei dem sie schon sicher erprobt haben, dass er es tatsächlich nicht kann“, sagte Koch.
Befreiung vom Schuldenstaat Investitionen für die nächste Generation Roland Koch, Hessischer Ministerpräsident
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oland Koch kritisierte, dass die rotgrüne Bundesregierung ein hohes Maß an Politikverdrossenheit hinterlassen habe. Dies sei indes nicht zwingend ein Kontinuum. „Es gibt kein abnehmendes politisches Bewusstsein an sich“, betonte der hessische Ministerpräsident. Gleichwohl herrsche bei den Menschen die Auffassung vor, „die Politik schafft es nicht mehr.“ Dies sei eine große Gefahr, die die Politik im Allgemeinen akut bedränge. Die Bürger stellten gegenwärtig fest, dass sich nichts so entwickle, wie sie sich das vorgestellt hätten und wie es ihnen von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) versprochen worden sei. „In einer Krisenzeit, in der wir schon drei Jahre ökonomische Stagnation mit keinem Wachstum hinter uns haben, beginnt das jedes Jahr gefährlicher zu werden“, warnte Koch.
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Es wird gefährlich „Und die Tatsache, dass es gefährlicher wird, verspüren die Menschen. Sie sehen, dass die Chancen für ihre Kinder, einen Ausbildungsplatz zu bekommen, schlechter geworden sind. Sie sehen, dass das Risiko, ihren Arbeitsplatz zu verlieren, größer geworden ist. Und sie sehen, dass wenn man mit 48, 49 seinen Job verliert, große Schwierigkeiten hat, eine neue Stelle zu finden.“ In dieser Situation erwarteten die Bürger, dass ihnen die Politik eine Perspektive böte. Koch erklärte, dass die Oppositionsarbeit der Union vor diesem Hintergrund schwierig sei. „Oppositionen können nämlich nichts tun, sie können nur reden.“ In einer Zeit aber, in der sich die Menschen bedrängt fühlten, wollten sie
Gleichzeitig steige in einer solchen Konstellation die Erwartungshaltung an die Union. „Wir müssen jeden Tag fähig und in der Lage sein, die Regierung zu übernehmen“, sagte Koch. „Wir sind nicht in einer normalen Zeit, in denen Regierungsarbeit dahin plätschert, sondern wir sind in einer Zeit, in der wir nur einen Schuss frei haben.“ Wenn nach der Bundestagswahl 2006 nach einem Jahr einer unionsgeführten Bundesregierung keine Verbesserung der ökonomischen Lage und keine neue Hoffnung zu spüren sei, „dann sind die Menschen tatsächlich davon überzeugt, dass es weder die einen noch die anderen können.“ Koch warnte vor den Gefahren, die damit auch für die Demokratie einhergingen. „Dann beginnen sich die Menschen andere zu suchen. Dass wäre eines der größten Risiken für die Stabilität und die ökonomische Zukunft der Bundesrepublik Deutschland“, mahnte der hessische Ministerpräsident. Verantwortung der Union Deshalb sei es die Verantwortung der Union, sofern sie die Regierungsverantwortung 2006 übernehme, tatsächlich einen Anlass zu Hoffnung auf Veränderung zu geben. „Weil wir eine zweite Chance nicht mehr bekommen werden, wenn wir die Bevölkerung mitnehmen wollen.“ Diese Herausforderung sei nicht selbstverständlich, sondern eine außergewöhnliche Belastung für die Opposition. „Eine normale Regierung hatte in der Geschichte der Bundesrepublik immer den ersten Schuss frei“, sagte Koch. „Wir aber brauchen eine klare TurnaroundStrategie und müssen unsere Kraft zunächst auf einige wenige wichtige Dinge konzentrieren.“ Als erstes und wichtigstes Reformfeld nannte Koch den Arbeitsmarkt. Deutschland habe nicht die Chance, wie George W. Bush sie in den USA gehabt habe. PräIII. Quartal 2004
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... sident Bush habe die Staatsverschuldung in die Höhe geschraubt, um makroökonomische Impulse zur Wiederbelebung der Wirtschaft zu geben. Diese Möglichkeit habe er indes nur gehabt, weil die Clinton-Administration in den Jahren zuvor die Schulden massiv abgebaut habe. „Wir beobachten zurzeit in den Vereinigten Staaten von Amerika, dass es sehr wohl die Chance gibt, dass aus diesem exogen gesteuerten Aufschwung mit Staatsgeld ein sich selbst tragender Aufschwung werden kann“, sagte Koch. Deutschland aber habe die Chance aus zwei Gründen nicht. „Erstens haben wir schon in anderen Zeiten so viele Schulden gemacht, dass wir die Luft nicht mehr haben.“ Und zweitens gelte es, sich unbedingt an die Vorgaben des Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes zu halten, der den Mitgliedstaaten der Europäischen Union eine maximale Neuverschuldung von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) gestattet. Tragik der Politik „Dass wir jetzt diejenigen sind, auf die die anderen europäischen Länder aufpassen müssen, damit wir nicht zu viele Schulden machen, gehört zur Tragik der Politik der letzten Jahre“, kritisierte der hessische Regierungschef. „Aber es bedeutet eben auch, dass wir nicht die Wahl haben, unsere Wirtschaft wie die Amerikaner mit neuen Schulden zu befeuern.“ Folglich habe eine unionsgeführte Bundesregierung gar keine andere Wahl, als die Reform des Arbeitsmarktes ins Zentrum ihrer wirtschaftspolitischen Bemühungen zu stellen. „Wir brauchen eine Reform des Arbeitsmarktes, weil der Schuldenstaat nicht allein durch Einsparungen bekämpft werden kann, sondern weil es gleichzeitig wirtschaftliches Wachstum und eine Rückführung der Staatsaufgaben braucht, um die Budgetdefizite zu bekämpfen.“ Wer aber wirtschaftliches Wachstum, so wie Deutschland, maßgeblich nur über die Arbeitsmärkte stimulieren könne, müsse dies auch mit aller Kraft tun, forderte der hessische Regierungschef. Koch verwies auf andere Staaten wie Großbritannien und Dänemark, die es geschafft hätten, ihre Budgetdefizite in Haushaltsüberschüsse zu verwandeln. „Das zeigt, dass der Staat das prinzipiell kann.“ Mit Blick auf die Arbeitsmärkte sagte Koch, III. Quartal 2004
die Chancen für Reformen seien angesichts der heute desolaten Lage ausgesprochen beachtlich. „Wir haben einen so verkrusteten Arbeitsmarkt und ein so schlechtes Arbeitsrecht im internationalen Wettbewerb, dass wir eine relativ gute Chance haben, mit einigen Maßnahmen wieder wettbewerbsfähig zu werden.“ Darüber müsse man sich zwar nicht freuen, aber man könne es auch als Chance wahrnehmen. „Deshalb wird es auch die erste Aufgabe sein, einen heftigen Sturm zu überstehen“, mahnte Koch. Denn bei Reformen auf dem Arbeitsmarkt greife eine Regierung alle Besitzstände und Existenznöte gleichzeitig an. Zwar sollten die Gewerkschaften nicht vernichtet werden, aber sie müssten eine neue Rolle finden. „Wir erwarten, dass sie Dienstleitungsunternehmen werden, die Betriebsräte ausbilden, die rechtlichen Rat geben und die Flächentarifverträge als Hintergrund organisieren.“ Freiheit für Unternehmen Flächentarifverträge hält Koch für eine grundsätzlich vernünftige Einrichtung zur Vermeidung von Streiks. „Aber ich hätte gerne eine Situation, in der jedes einzelne Unternehmen die Freiheit hat, nach eigenen Vorstellungen vom Flächentarifvertrag abzuweichen.“ Heute hingegen müsse man als Unternehmer in Deutschland erst kurz vor der Pleite stehen, um ein innovatives Arbeitsrecht anwenden zu dürfen. „Das ist eine Absurdität“, monierte Koch. Der Lackmustest für die Union werde sein, zu zeigen, dass es ihr gelinge, sich vor der Wahl präzise genug auf die wichtigsten Reformvorhaben festzulegen. Das Programm zur Reform des Arbeitsmarktes sei bereits zufriedenstellend. Dann müssen wir diesen Katalog aber auch in den ersten drei Monaten der nächsten Legislaturperiode in den Bundestag einbringen und ganz schnell beschließen“, forderte Koch. Beraten worden sei inzwischen lange genug. Man kenne die Stellungnahmen aller Verbände und Gruppierungen. „Wir müssen es ins Gesetzblatt bringen, um zwei Dinge zu erreichen: Erstens, um denen, die dagegen protestieren, eine möglichst geringe Aufstellzeit zu geben. Und zweitens, um denen, die auf uns hoffen, ein Signal zu geben, dass wir tatsächlich machen, was wir vor der Wahl gesagt haben.“
Aus diesen Gründen müsse sofort nach der Bundestagswahl mit sehr konkreten und präzisen Maßnahmen begonnen werden. Dazu gehörten auch betriebliche Bündnisse für Arbeit und eine grundlegende Reform der betrieblichen Mitbestimmung. „Wir dürfen unseren unmittelbaren Wettbewerbern wie Belgien, den Niederlanden, Dänemark oder Großbritannien keine Chance mehr geben, dass die Unternehmen dort hinziehen, nur weil wir die falschen Rechtsvoraussetzungen haben“, betonte Koch. „Das ist praktische Arbeitnehmerpolitik. Das ist kein Kampf gegen Arbeitnehmer, sondern das ist die Rettung ihrer Arbeitsplätze in der Bundesrepublik.“ Mitverantwortung Koch betonte, dass der Wirtschaft und ihren Verbänden eine große Mitverantwortung in einem solchen radikalen Reformprozess zukomme. Der hessische Ministerpräsident kritisierte, dass die Kohl-Regierung 1997 auf Drängen der Unternehmen die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall eingeschränkt habe, die Wirtschaft ihr aber danach die Unterstützung versagt habe. „Wir hatten damals zweierlei: Nämlich den maximalen öffentlichen Protest und die schnelle Erklärung der Unternehmen, dass sie das neu geschaffene Gesetz durch Tarifverträge abdingen werden.“ Eine ähnliche Gefahr bestehe auch heute – denn betriebliche Bündnisse für Arbeit, der Kündigungsschutz, die innerbetriebliche Mitbestimmung seien allesamt tarifvertragsfähig. „Deshalb gehört es dazu, dass wir offen mit der Wirtschaft reden, ob sie den Druck aushält, den die Gewerkschaften auf die Unternehmen ausüben werden.“ Das „Projekt Deutschland“ sei darum ein gemeinsames, betonte Koch. „Die Frage, die die Union stellen muss, ist, ob die Menschen das Recht haben zu beschließen, dass alles so bleibt wie es ist, oder ob sie für ihre Kinder und ihre Nachbarn die Verpflichtung haben, dafür zu sorgen, dass sie das Beste tun, was sie können.“ Wenn auch die Politik das Beste tue was sie könne, habe Deutschland eine gute Zukunft. * Aus Rede Wirtschaftstag 2004
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damit unsere Wirtschaftspolitik den Risiken dieser Welt besser standhalten kann. Die Europäer haben mit dem Euro einen Rahmen für die Koordinierung der Wirtschaftspolitiken geschaffen.
Die Fähigkeit der Eurozone, den internationalen Turbulenzen entgegenzustehen, ist stark dem „Schutzschild“ der gemeinsamen Währung zu verdanken. (…) Unsere Wirtschaftsstrategie einer vernünftigerweise strengen Haushaltspolitik und eines guten Währungsumfeldes hat dazu beigetragen, die Eurozone und unsere beiden Länder wieder auf den Weg des Wachstums zu bringen.
Europa unter Reformdruck Deutsch-französischer Motor treibt voran Jean-Pierre Raffarin, Premierminister der Französischen Republik
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ank der neuen Verfassung wird Europa in den Augen der Bürger mehr Legitimität erhalten, es wird mehr Gehör in der Welt finden, seine Interessen und die der Europäer besser vertreten können.
Mit der Verfassung wird die Union auf der Grundlage effektiverer Institutionen besser funktionieren, insbesondere durch eine Ratspräsidentschaft, die über einen längeren Zeitraum agiert, und die Ausweitung der Mehrheitsentscheidungen, wodurch Blockaden wie beim Einstimmigkeitsprinzip vermieden werden sollen. Die Verfassung wird der Union auch mehr Legitimität in den Augen der Bürger verleihen. Die Fortschritte in 16 trend
punkto Demokratie sind hierbei offensichtlich.
Mit diesem grundlegenden Text schließlich wird Europa sich mehr Gehör in der Welt verschaffen können, und zwar dank einer erstarkten Fähigkeit zu außenpolitischem Handeln, die insbesondere durch das Amt eines europäischen Außenministers zum Ausdruck kommt, dank der Einrichtung eines europäischen diplomatischen Dienstes und dank einer neuen Etappe bei der Bereitstellung einer europäischen Verteidigung. Verfassung ist Chance für neuen Elan Natürlich muss dieser neue institutionelle Rahmen noch verfeinert werden,
Die EZB hat ihren Platz gefunden. Die Idee einer Zentralbank, die unabhängig von der politischen Macht ist, war Deutschland sehr viel vertrauter als Frankreich. Wenn auch heute noch, was normal ist, die Währungspolitik Gegenstand von Gesprächen ist, so herrscht doch Einstimmigkeit über die Idee einer unabhängigen Zentralbank, die auf die „großen Gleichgewichte“ achten muss. Geben wir zu, dass die Koordinierung der Wirtschaftspolitiken unseren Zielen nicht entsprach. Die Praxis der Koordinierung ist neu, da Europa gewöhnlich nach den Prinzipien der Delegation (Währungspolitik), der Harmonisierung (für den einheitlichen Markt) und der Konvergenz (die berühmten Maastricht-Kriterien) funktioniert. Wir haben viel Energie für den Versuch aufgewendet, unsere Haushaltspolitiken in den strengen Rahmen des Stabilitätspaktes zu zwängen und haben zweifellos das Koordinationspotenzial der begonnenen Reform ungenügend erforscht. Ich werde auf diesen Punkt noch zu sprechen kommen, denn er erscheint mir sehr wichtig. Ich bin überzeugt, dass wir eine größere Ausgewogenheit erreichen müssen. Reformen sind auf dem Weg Tatsächlich haben alle Länder, und das ist neu, den Weg der Reformen eingeschlagen. Die so genannten „kleinen Länder“ haben früher damit begonnen. Mit großem Nachholbedarf haben die zehn III. Quartal 2004
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... neuen Mitgliedsländer innerhalb von zehn Jahren eine komplette Veränderung ihrer wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Strukturen erfahren. Und wenn die wirtschaftlichen Auswirkungen der Reform besonders deutlich zu sehen sind, dann bestimmt in diesen Ländern. Sie verstanden es durch ihre Dynamik, durch ihre „Sehnsucht nach Europa“, die Bedingungen für einen schnellen Beitritt zur Union zu schaffen. Geben wir es zu, diese neuen Mitglieder bringen Europa in punkto Reformen „frisches Blut“. Die großen Länder schließlich waren bei der Wiedererlangung von Vollbeschäftigung und der Entwicklung neuer Technologien in Rückstand geraten. Dieser Rückstand begünstigte groteske politische Haltungen:
Die erste besteht darin, das gesamte europäische Modell in Frage zu stellen, insbesondere die soziale Komponente. Die zweite besteht in einer einmütigen Kritik an der Globalisierung in einer auf ihre unangenehmsten Begleiterscheinungen reduzierten Form: Finanzinstabilität, Delokalisierungen, Einengung von Handlungsspielräumen. Diese beiden Haltungen scheinen mir von den Wünschen und Interessen unserer Mitbürger sehr weit entfernt zu sein. Es ist nicht der einzige Ausweg für Europa, sich dem „angelsächsischen“ Modell anzuschließen. Es darf auch der Welt nicht den Rücken kehren, denn Frankreich und Deutschland haben von ihrer starken internationalen Einbindung stark profitiert. Wie überall in der Welt muss sich der Aufbau unserer Wirtschaft und unseres Sozialsystems weiter entwickeln. Dies kann geschehen, ohne die Ursprünglichkeit und bestimmte Werte aufzugeben. Die kleinen Länder haben uns gezeigt, dass es sehr gut möglich ist, wirtschaftliche Initiative und Solidarität miteinander zu verbinden, und zwar indem die Initiative und die Arbeit aufgewertet werden. Heute machen wir uns entschieden für Reformen stark. Unser Reformkonzept deckt sehr unterschiedliche Veränderungen: III. Quartal 2004
Die erste Kategorie sind Anpassungsreformen, die unseren „Sozialpakt“ an die Verlängerung der Lebenserwartung anpassen. Wir haben in Frankreich gerade drei bedeutende Reformen abgeschlossen: Die Rentenreform, beruhend auf der Solidarität der Generationen untereinander, der Aufwertung der Arbeit und der Berufserfahrung, wurde im vergangenen Jahr verabschiedet. Diese Reform führt, wie es in Deutschland bereits der Fall ist, ein neues individuelles Sparkonzept ein, das als Zusatzrente dienen soll. Es wurde über landesweite Bemühungen für die Pflegeversicherung entschieden. Diese werden, wie in Deutschland, durch einen zusätzlichen Arbeitstag finanziert, denn heute müssen soziale Leistungen, wenn sie dauerhaft sein sollen, über die Arbeit finanziert werden. Das Parlament berät derzeit über eine Reform der Krankenversicherung. Über sofortige Maßnahmen hinaus ist es das Ziel dieser Reform, Verhaltensweisen zu ändern und jeden Einzelnen in die Verantwortung zu nehmen.
Die zweite Kategorie sind „Kohäsionsreformen“ zur Bekämpfung von Massenarbeitslosigkeit und sozialer Ausgrenzung. Meine Regierung hat hierzu eben erst einen Plan für sozialen Zusammenhalt und Beschäftigung vorgelegt. Dieser Plan soll zunächst ein ausgewogeneres Verhältnis zwischen Stellenangeboten und Stellengesuchen gewährleisten. Die Arbeitslosenzahlen sind, insbesondere unter den Jugendlichen, wirklich sehr hoch. Um diesem „Skandal“ entgegenzuwirken, erneuern wir die Verwaltung des Arbeitsmarktes, heben Regelungen auf, die das Entstehen von Stellen im Dienstleistungsbereich behindern und werten die Bedeutung von Ausbildungsplätzen wieder auf, wobei wir uns hier von dem Erfolg Deutschlands inspirieren lassen. Der Plan richtet sich auch gegen die soziale Ausgrenzung, denn es gibt keinen nationalen Zusammenhalt ohne sozialen Zusammenhalt und ohne Chancengleichheit. Auf schwer vermittelbare Menschen soll individuell eingegangen werden. Sie
werden begleitet, bekommen eine Ausbildung und eine Beschäftigung. Als Gegenleistung dazu werden Eingliederungsbemühungen unter der Kontrolle eines „Tutors“ verlangt.
Der dritte Reformtyp sind „Dynamisierungsreformen“, mit denen unsere Investitionen in den Bereichen Forschung, Hochschulbildung und Ausbildung intensiviert werden sollen. Wenn wir unseren technologischen Rückstand gegenüber den USA aufholen wollen, wenn wir aus der Entstehung neuer Wachstumspole in Osteuropa und China Gewinn ziehen wollen, wenn wir unseren Platz in der neuen Aufteilung des internationalen Arbeitsmarktes finden wollen, so müssen wir in die „graue Substanz“ investieren. Die Arbeitsplätze in 10, 20 Jahren werden sich stark von den heutigen unterscheiden. Es müssen „qualifizierte Arbeitsplätze“ sein. Die Investitionen in die Zukunft beschränken sich nicht darauf, mehr auszugeben. Man muss gezieltere Ausgaben tätigen und eher Projekte als Strukturen finanzieren, indem private Finanzierungen für die Innovation freigemacht werden. In Frankreich sind diese Reformen ab September 2004 in den Haushalt eingestellt, was auch 2005 fortgeführt wird. Natürlich müssen die verschiedenen Reformen sorgfältig aufeinander abgestimmt sein. Sie müssen im Dienste einer gemeinsamen Vision stehen. Ich mag den Ausdruck „Gesellschaftsprojekt“ nicht, aber die Aufgabe der Regierung ist es, einen Kurs festzulegen und bestimmte Werte zu verbreiten. Der Kurs ist der des nachhaltigen Wachstums und des gemeinsamen Wohlstands. Die wichtigsten Werte sind meiner Meinung nach folgende vier:
Arbeit und Verdienst müssen immer belohnt werden. Die kommenden Generationen müssen geschützt werden. Sie dürfen nicht für die Ausschweifungen der Vergangenheit oder sogar der Gegenwart in Haftung genommen werden. Unsere Beschlüsse müssen individuelle Projekte und Entscheidungen ... trend 17
P E R S P E K T I V E N
ten überparteilicher Konsensfindungen. Die Europäer haben im Bereich der Reformen gemeinsame Ziele: die berühmte Agenda von Lissabon, die vor allem die Ziele für Beschäftigung und Wachstum vorgibt; diese Agenda muss konsistenter werden. Deswegen glaube ich, wir müssen zwei Intitiativen ergreifen:
Auf europäischer Ebene müssen wir den Stabilitätspakt und die Agenda von Lissabon besser koordinieren. Auf nationaler Ebene müssen wir dafür sorgen, dass sich die großen Staaten Lissabon zu eigen machen. „Der neue institutionelle Rahmen muss noch verfeinert werden“
...
eher fördern als kollektive Regelungen und Zwangsverpflichtungen.
Der soziale Zusammenhalt muss auf einer echten „Beschäftigungsgarantie“ beruhen. Durch individuelle Begleitung der Menschen, durch die lebenslange Ausbildung, durch sozialen Schutz, der Arbeitsplatzwechsel nicht bestraft, wird Beschäftigung gefördert, und nicht durch verstärkten Schutz der bereits bestehenden Arbeitsplätze. Reformen besser koordinieren Europa hat in den vergangenen Jahren viel Energie darauf verwandt, seine Haushaltspolitiken zu koordinieren. Dabei hat es allerdings nur beschränkt Erfolg. Drei Punkte sind mir hier besonders wichtig:
Die begonnenen Reformen tragen dazu bei, die Haushaltspolitiken zu erleichtern, indem die Schulden für unsere Kinder reduziert werden. Die Reformen müssen besser koordiniert werden. Der Stabilitätspakt muss den Nutzen der Reformen besser berücksichtigen. Die Gründe für eine engere Koordinierung der Reformen erscheinen mir wichtig:
Wenn die Reformen gemeinsam durchgeführt werden, sind sie wirkungsvoller. Indem sie die Bildung 18 trend
eines einheitlichen Güter-, Dienstleistungs- und Kapitalmarktes fördern, ermöglichen sie den Unternehmen, die Produktivitätssteigerung durch Arbeitsteilung zu nutzen und sich für die globale Konkurrenz stark zu machen. Die Koordinierung kann sehr nützlich sein, um neuen Voluntarismus in der Industriepolitik zu erzeugen. Dies bedeutet nicht Rückkehr zu den Industriepolitiken der Vergangenheit, dies ist kein Dirigismus, dies ist nicht die Rückkehr zum „französischen Colbertismus“. Voluntarismus bei der Industriepolitik bedeutet Pläne zu machen, gegen Deindustrialisierung und Delokalisierung zu kämpfen, in Forschung, Wissen und Universitäten zu investieren. Wir leben zwar in einer globalisierten Wirtschaft, wo die Kenntnis und das Wissen immer globalisierter sind, zugleich aber neigen Forschung und die Schaffung von Mehrwert dazu, sich auf einige wenige Spitzenpole zu konzentrieren.
Gute Reformen erleichtern die konjunkturelle Steuerung der Eurozone, indem der Zentralbank ein zusätzlicher Spielraum gegeben wird, um das Wachstum ohne das Risiko inflationärer Spannungen zu begleiten. Und schließlich begünstigt die Koordinierung der Reformen das Ausarbei-
Europa hat nicht mehr viel Zeit, um sich seinen Herausforderungen zu stellen. Einerseits löst der schnelle Aufstieg Chinas und Indiens langsam eine Umverteilung der Aktivität und der Beschäftigung in der Welt aus. Europa muss aktiv werden, wenn es aus dem Entstehen dieser Wachstumspole Nutzen ziehen will, ohne durch diese neue Aufteilung des internationalen Arbeitsmarktes eine Destabilisierung zu erfahren. Andererseits befindet sich das europäische Regierungshandeln in einem Wettlauf mit dem weltweiten Regierungshandeln. Wir brauchen die UNO, um für den Frieden zu kämpfen. Wir brauchen die Welthandelsorganisation, um für den Süden einzutreten. Morgen, so der Staatspräsident, werden wir die Weltumweltorganisation brauchen, um unseren Planeten zu schützen und dafür zu sorgen, dass die Kohlendioxidausstöße das Leben auf der Erde nicht in Gefahr bringen. Mein europäisches Vorhaben ist, mit Europa auf die Welt Einfluss auszuüben. Das aktive Europa braucht Frankreich und Deutschland. Unsere beiden Länder sind nicht zu einer Vormachtstellung berufen, aber ohne den deutsch-französischen Motor kann Europa nicht vorwärtsgehen und seinen Einfluss in der Welt geltend machen. Dabei werden Frankreich und Deutschland weiterhin einen entscheidenden Platz einnehmen. * Aus Rede Wirtschaftstag 2004
III. Quartal 2004
Wirtschaftstag 2004 www.wirtschaftsrat.de
Masterplan Deutschland 10 Leitsätze für Aufbruch und Wachstum
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eutschland hat in der Vergangenheit schon mehrfach große Umbrüche mit Erfolg gemeistert. Dies ist immer dann gelungen, wenn wir keine Angst davor hatten, Neues zu wagen. Um so wichtiger ist es, dass wir bei der Erneuerung des Landes auf die eigenen Stärken vertrauen, statt Zukunftspessimismus zu verbreiten. Für den neuen Aufbruch brauchen wir gemeinsame Ziele: Deutschland in der Mitte Europas muss ein Kompetenzzentrum werden und wieder Wertschöp-
1. Große Steuerreform bis 2006 – Radikaler Neubeginn statt Flickschusterei Unser marodes Steuersystem bestraft den ehrlichen Bürger. Deshalb betreiben die Reichen Kapitalflucht und die weniger Reichen Schwarzarbeit. Das Konzept des Wirtschaftsrates ist radikaler als der radikalste Merz. Keine faulen Kompromisse, Deutschland braucht den großen Sprung:
Unsere Nachbarn haben längst ihre Einkommenssteuern gesenkt – Deutschland muss nachziehen: Der erste Schritt für 2006 sind Stufentarife 62 trend
fung zurück ins Land holen – im produzierenden Gewerbe, bei Medizin und Pharma, in der Bio- und Gentechnik sowie im Bereich Energie.
Staat muss sich aus der umfassenden Fürsorge zurückziehen und dem einzelnen Bürger eine höhere Selbstverantwortung übertragen.
Tiefgreifende Reformen unseres Steuersystems, der Sozialen Sicherung und die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit sind unverzichtbar für die Rückkehr zur internationalen Spitze. Der Versuch, noch mehr private Gelder in öffentliche Kassen zu lenken, ist dagegen ein Schreckensszenario. Diese Politik führt nur tiefer in die Krise der öffentlichen Finanzen. Der
Erst wenn Bürger und Unternehmen wieder mehr Freiheit und Verantwortung zurückgewinnen, kann der Aufbruch gelingen. Dann werden Ideen zu Innovationen, Leistung erzeugt Wohlstand, Wachstum schafft Arbeitsplätze. Aufbruch und Wachstum – für diesen Weg legt der Wirtschaftsrat anlässlich des Wirtschaftstages 2004 seine zehn Leitsätze vor.
von 12, 24 und 36 Prozent. Das Ziel für 2010 sind Sätze von 10, 20 und höchstens 30 Prozent.
Die Erbschaftssteuer bei Betriebsübergaben sollte gestundet werden und nach zehn Jahren ganz entfallen – das schafft Werte.
Pauschal- und Ausnahmeregelungen gehören dann weitestgehend gestrichen. Im Ergebnis kann Deutschland eine Nettoentlastung von jährlich mindestens 15 Milliarden € schaffen. Die Neiddebatte um die Vermögenssteuer muss beendet und die Gewerbesteuer abgeschafft werden.
Nach dieser Steuerreform muss gelten: Fünf Jahre ‚Finger weg’ vom Steuerrecht. 2. Komplizenschaft von Politik und Tarifpartnern beenden Politik und Tarifpartner verhindern wie in keinem anderen Land die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Das Tarifkartell auf Kosten der Arbeitslosen muss endlich III. Quartal 2004
...
... beseitigt und die Subventionierung von Nicht-Arbeit beendet werden. Die Herstellung der Europafähigkeit der Tarifpolitik hat gerade in der erweiterten EU besondere Bedeutung. Die wichtigsten Ansatzpunkte sind:
Abweichungen vom Flächentarifvertrag bei qualifizierter Belegschaftsmehrheit – ohne Gewerkschaftsveto (betriebliche Bündnisse für Arbeit). Abschaffung des gesetzlichen Kündigungsschutzes bei Neueinstellungen – unabhängig von der Unternehmensgröße. Arbeitslosengeld für maximal zwölf Monate und 60 Prozent des letzten Nettolohns. Flexible Anhebung der Wochenarbeitszeit auf mindestens 40 Stunden. Reduzierte Transferleistungen für erwerbsfähige, aber arbeitsunwillige Sozialhilfeempfänger um 25 Prozent – bei andauernder Arbeitsverweigerung ist die Hilfe ganz zu streichen. 3. Effizientere Unternehmensverfassung – Gewerkschaftsfunktionäre entmachten Die Auswüchse bei Gehältern und Stock-Options der Unternehmensführung sollten beendet werden. Die Besetzung und die Kontrolle deutscher Unternehmensvorstände darf nicht länger vom Votum externer Gewerkschaftsfunktionäre abhängen. Mit Einführung der Europa AG ab Oktober 2004 muss endlich die unternehmerische Mitbestimmung und die Corporate Governance in Deutschland auf ein international wettbewerbsfähiges Niveau gebracht werden:
Die Aussetzung der erzwingbaren Mitbestimmungsrechte in den ersten fünf Jahren nach Unternehmensgründung. Betriebsratsbildung erst ab 20 Mitarbeitern und Freistellung von Betriebsräten erst in Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern. 4. Rente mit Rendite – Mindestens 40 Prozent Kapitaldeckung Eine Rentenversicherung allein nach dem Prinzip ‚Jung zahlt für Alt‘ hat in Deutschland keine Zukunft mehr: Die Menschen werden immer älter und die Kinder immer weniger. Deshalb sind mindestens 40 Prozent Kapitaldeckung durch eine Stärkung der privaten und betrieblichen Alterssicherung alternativlos. Diese Zusatzvorsorge können die Bürger nur leisten, wenn der Beitragssatz zur gesetzlichen Rentenversicherung dauerhaft auf unter 20 Prozent begrenzt wird. Der Wirtschaftsrat hat ein eigenes Konzept vorgestellt, das über die Vorschläge der Herzog- und Rürup-Kommission hinausgeht:
Anhebung des abschlagsfreien Rentenalters auf 67 Jahre – das bedeutet auch die Beendigung von Anreizen zur Frühverrentung. Verdopplung der steuer- und abgabenfreien Beiträge zu Betriebsrenten.
Sozialabgabenfreiheit für Betriebsrenten über das Jahr 2008 hinaus. Familien mit Kindern während der Erziehungszeit steuerlich fördern. Beseitigung der massiven VersorgungsPrivilegien für Politiker und Beamte. 5. Fitnessprogramm Gesundheitsprämie statt Giftpille Bürgerversicherung An der Abkopplung der Gesundheitskosten von den Arbeitskosten führt kein Weg vorbei. Das schafft 500.000 neue Arbeitsplätze und stärkt den Wachstumsmarkt Gesundheit. Kompromisse, die an einkommensabhängigen Beiträgen festhalten, lehnt der Wirtschaftsrat entschieden ab. Die Auswirkungen der Bürgerzwangsversicherung von Rot-Grün wären fatal: Sie kostet eine Million Arbeitsplätze und belastet Geringverdiener mit zusätzlichen Beiträgen auf ihr Erspartes. Dieses Abkassieren gilt es zu verhindern, wir brauchen stattdessen:
Die Abkopplung der Gesundheitsbeiträge vom Beschäftigungsverhältnis durch Einführung der Gesundheitsprämie. Den flächendeckenden Ausbau kapitalgedeckter Altersrückstellungen. Flankierung der Gesundheitsprämie mit einem steuerfinanzierten Sozialausgleich. ...
Die Verkleinerung der Aufsichtsräte auf maximal zwölf Mandate. Eine Option auf die Zusammenführung von Vorstand und Aufsichtsrat. Die Wahlmöglichkeit, paritätisch besetzte Aufsichtsräte abzulehnen. Umsetzung der EU-Rechtsprechung: Wahlfreiheit für ausländische Unternehmensrechtsformen in Deutschland. III. Quartal 2004
trend 63
Schwerpunkt der Förderung auf anwendungsorientierte Forschung legen; Internationale Spitzenposition z. B. in der Nano- und Medizintechnik durch gezielte Forschungsförderung und Clusterbildung ausbauen; kleine und mittlere Innovationsunternehmen stärker fördern; Anhebung der steuerlichen Wesentlichkeitsgrenze für Beteiligungen an jungen Unternehmen von einem auf 25 Prozent – wie schon bis 1998.
... Sozial verträgliche Selbstbehalte von
rung bis zur Umsatzgrenze von fünf Millionen €.
Private Absicherung von Freizeitunfällen, Zahnbereich und Krankengeld.
Konzentration der Förderpolitik auf industrielle Wachstumskerne und Forschungscluster.
Mehr Vertragsfreiheiten und Wettbewerb zwischen Ärzten, Apotheken, Krankenkassen und Krankenhäusern.
Ausbau der kommunalen und überregionalen Infrastrukturen bei Straße, Schiene und Wasser – stärkere Einbeziehung von Public-Private-Partnerships.
jährlich bis zu 500 €.
6. Neue Bundesländer zur Modellregion Wachstum ausbauen Das westdeutsche Regelungsdickicht verhindert Wachstum in den neuen Bundesländern. Die Wettbewerbsnachteile gerade gegenüber den neuen EU-Nachbarn im Osten können durch die mutige Einführung von Modellregionen Wachstum für die neuen Bundesländern beseitigt werden. Davon profitieren dann auch die alten Bundesländer:
Steuerfreistellung von reinvestierten Gewinnen bei klein- und mittelständischen Unternehmen zur Stärkung der Eigenkapitalausstattung. Mindestens zehnjährige Aufhebung bundesrechtlicher Regelungen in Arbeits-, Tarif-, Bau-, Genehmigungsund Umweltrecht. Verbesserung der Unternehmensliquidität durch den Übergang von der Ist-Besteuerung zur Soll-Besteue64 trend
7. Technologiepolitik als Schlüssel zu einer erfolgreichen Zukunft nutzen Besser und schneller zu sein, muss wieder Deutschlands Markenzeichen werden. Unsere Grundlagenforschung ist weltweit renommiert – die Früchte werden aber immer häufiger im Ausland geerntet. Grünes Dosenpfand statt Grüner Gentechnologie – das ist das inakzeptable Ergebnis heutiger Regierungspolitik. Diese Verschwendung von Chancen muss aufhören, dann kann Deutschland wieder an die Spitze der Wachstumsnationen zurückkehren. Neues Leadership in Innovation erfordert:
Rückkehr zur zukunftsorientierten Technologiepolitik, z. B. in den Bereichen Gen- und Biotechnologie sowie Energie; rasche Umsetzung überfälliger EUGesetze, z. B. bei Bio-Patenten und Gentechnik;
8. Die junge Generation verdient eine Zukunft – im eigenen Land Junge Menschen weltweit stellen zu Recht die Frage: In welchem Land habe ich die besten Zukunftschancen? Bildung, Arbeit und Familie – andere Länder haben hierauf attraktivere Antworten gefunden. Deutschland muss nachziehen: Bildung auf Top-Niveau für Jobs mit Zukunft sowie eine familienfreundliche Politik, damit Familie und Beruf möglich sind. Vor der Vergabe neuer Fördermittel müssen dringend mehr Wettbewerb und mehr Freiheit für deutsche Hochschulen erreicht werden. Konkret fordert der Wirtschaftsrat:
Die Einführung von kreditfinanzierten Studiengebühren ist eine Frage von Fairness und Gerechtigkeit – auch Meisterbrief und Kindergarten kosten Geld; Freiheit bei der Auswahl von Studenten und Universitäten sowie keine Verbeamtung von Lehrern und Professoren; verkürzte Studienzeiten und Abitur nach 12 Schuljahren; weitreichende Kompetenzen für Hochschulen bei der Drittmittelwerbung und bei Industriekooperationen; Einführung eines steuerlichen Familiensplittings und volle steuerliche Abzugsfähigkeit von haushaltsnahen Dienstleistungen; Ausgabe von Betreuungsgutscheinen bei gleichzeitigem Ausbau ganztätiger Krippen und Kindergärten und verbesserte Nachmittagsbetreuung von Schulkindern. 9. Abkehr von der Ideologiepolitik bei Energie und Umwelt Die Anzahl der Windräder ist kein Maßstab für die Leistungsfähigkeit eines III. Quartal 2004
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... Energie- und Umweltstandorts. Stärker denn je sind Energie- und Umweltpolitik in Deutschland ideologisch motiviert und in sich widersprüchlich. Die Energieverbraucher müssen dies bezahlen: Die Belastungen machen heute bereits 41 Prozent der Stromrechnung aus, das sind 20 Milliarden € im Jahr. Energie- und Umweltpolitik müssen wieder zu integralen Bestandteilen der Wirtschaftspolitik werden. Der weltweit wachsende Energiebedarf sowie die ansteigende Importabhängigkeit Deutschlands und der EU erfordern einen offenen Energiemarkt für eine Vielzahl von Anbietern, Bezugsquellen und Energieträgern. Der Wirtschaftsrat hat hierzu ein konsistentes Gesamtkonzept erarbeitet:
Wirtschaftswachstum durch kostengünstigen und zielorientierten Klimaschutz statt nationaler Alleingänge – EEG nach Einführung des Emissionshandels auf den Prüfstand; alle Optionen der Energieerzeugung – einschließlich der Kernenergie – offen halten; Erneuerbare Energien möglichst rasch in die Wettbewerbsfähigkeit führen – Subventionen stärker zeitlich begrenzen und degressiv gestalten; Deutschland wieder zum Innovationsmotor und Weltmarktführer für umweltfreundliche Spitzentechnologien machen – Forschung und Entwicklung auf breiter Basis ohne Tabuisierung einzelner Energieträger ausbauen; Wettbewerb auf den Strom- und Gasmärkten durch einen schlanken Regulierer; statt Ökosteuer – EU-Harmonisierung der Energiebesteuerung; Kosten-Nutzen-Analysen bei allen energie- und umweltpolitischen Maßnahmen – Fünfjähriges Moratorium gegen neue Belastungen für Unternehmen aus der Energie- und Umweltbranche.
Ziel: Europa als Wirtschaftsraum Nr. 1 in der Welt im Jahr 2010. Gipfelrhetorik allein reicht aber nicht. Bei derzeitigem Wirtschaftswachstum verdoppelt sich der Wohlstand in China alle neun, in den USA alle 20 Jahre – Europa braucht mehr als 30 Jahre. Die Europäische Union und die Mitgliedstaaten müssen daher schnell handeln:
strikte Einhaltung der Maastrichter Budgetregeln – sechs von zwölf EuroLändern sind im Konflikt mit dem Stabilitätspakt;
vollständige Binnenmarktfreiheit auch für sämtliche Dienstleistungen, für die Energie- und Pharmaindustrie sowie die Verteidigungstechnik; Beseitigung inhaltlicher Widersprüche in der EU-Rechtsetzung und Einführung einer politisch unabhängigen Gesetzesfolgenabschätzung; Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit als oberste Priorität für die neue EUKommission; neue Schwerpunkte bei den EUFinanzen: mehr Forschung und Entwicklung anstelle von milliardenschwerer Umverteilung.
10. Führungskrise überwinden – Europa wettbewerbsfähig machen Die Lissabonner Strategie im Wettbewerb der Kontinente verfolgt das richtige III. Quartal 2004
trend 65
BundesdelegiertenVersammlung 2004
Die Marktwirtschaft in Deutschland braucht eine Renaissance Das Vertrauen in die Politik ist tief erschüttert Bericht des Präsidenten: Kurt J. Lauk
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er Wirtschaftstag hat große Bedeutung. Von ihm wird ein richtungsweisendes Zeichen ausgehen. Und er wird den Weg weisen in schwierigsten Gewässern. Unser Land ist in der schwersten Krise seit seiner Gründung. Mein dringender Rat an alle ist: Hören wir auf zu klagen. Selbstmitleid lähmt, stattdessen wollen wir klar sagen, wo wir hin wollen, auch wenn der Weg noch so steinig ist. Eine Richtung muss aufgegeben werden.
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Die heutige Bundesregierung hat sich aus der Führungsrolle für den notwendigen Wandel bereits verabschiedet. Die Bürger spüren das Scheitern ihrer Politik und wollen Alternativen. Wir stehen an einem doppelten Umbruch: Am Ende der Tragfähigkeit aller Ideologie – und am Ende der Industriegesellschaft, wie sie vor allem Deutschland in so überaus starkem und erfolgreichem Maße geprägt hat. Schon vor vierzig Jahren hat Karl Popper in sei-
ner Schrift „Das Elend des Historizismus“ nachhaltig die gefährliche Auffassung kritisiert, dass die grundlegenden Gesetze der historischen Entwicklung erkannt werden können, um dann daraus die richtigen Anweisungen für politisches und soziales Handeln abzuleiten. Die Programme und das Denken der Sozialdemokratie und ihrer Gewerkschaften sind durchdrungen von dieser AuffasIII. Quartal 2004
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... sung. Dazu Popper: „Der Versuch, den Himmel auf Erden einzurichten, produziert stets die Hölle.“ Die Sozialpolitik ist in den Rang einer „gesellschaftsgestaltenden Ausgleichspolitik“ erhoben worden – entgegen dem Grundprinzip der Sozialen Marktwirtschaft, nach dem auf das Prinzip des Marktes der soziale Ausgleich folgen sollte. Ludwig Erhard hat die Soziale Marktwirtschaft nicht für die Sozialdemokratie entwickelt. Der lange Weg von der Industriegesellschaft zur Wissensgesellschaft ist nicht ohne Gefährdungen. „Der Teil der menschlichen Erfahrungen, den die Wissenschaft behandelt, ist beschränkt, bezieht sich im wesentlichen auf die physische Wirklichkeit. Die metaphysische Wirklichkeit bleibt gleichsam ausgeblendet“. (So Hubert Nagel in seinem Aufsatz „Gesellschaft und Wissenschaft“.) Das heißt, eine Wissensgesellschaft bleibt qua definitionem eine defizitäre Beschreibung der Wirklichkeit, weil alle sinnstiftenden Inhalte aus ihrer Begrifflichkeit entfernt sind. Die abnehmende Bedeutung der Industriegesellschaft, hin zur Wissensgesellschaft, trifft uns als führende Industrienation besonders hart: Im verarbeitenden Gewerbe ist die Zahl der Arbeitsplätze in den vergangenen zehn Jahren von zehn auf sechs Millionen zurückgegangen, d. h. um etwa ein Drittel. Dies trifft ins Mark der Gewerkschaften, der SPD – die sich beide über die Industriegesellschaft definiert haben – aber auch ins Mark unseres Landes.
Weg, um die Selbstblockade unseres Landes zu lösen: Herr Bundeskanzler, machen Sie den Weg frei für Neuwahlen! Dieses Land möchte eine bessere Regierung wählen! Bei den Europawahlen haben gerade noch neun Prozent der Wahlberechtigten für die SPD gestimmt (CDU/CSU 18,6 Prozent, Grüne fünf Prozent). Auch die Union ist dringend aufgefordert, ihre inhaltliche Programmatik zu schärfen. Unsere Überzeugung ist: Die Marktwirtschaft braucht eine Renaissance. Sie ist mehr als nur eine erfolgreiche Episode deutscher Nachkriegsgeschichte. Nie zuvor war eine Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung so erfolgreich auf die Bedürfnisse der Bevölkerung zugeschnitten:
Freiheit statt staatlicher Bevormundung; Soziale Sicherheit für die Bedürftigen; Wachstumspolitik, die Arbeitsplätze schafft und Wohlstand für die breite Mehrheit der Bevölkerung. Darum haben uns viele der Länder beneidet, die heute vor uns stehen und fragen: Warum habt ihr Deutschen das aufgegeben? Der Wohlstandsverlust Deutschlands geht Hand in Hand mit dem zunehmenden Verlust an Freiheit. Der Staat reißt Aufgaben an sich, die ihn ganz offensichtlich überfordern; die Staatsquote von fast 50 Prozent. Je höher die Staatsquote, desto geringer ist die Entfaltung der Markt-
kräfte, die zu Wachstum führen. Wettbewerb schafft Wachstum, dort wo die Tüchtigen sich durchsetzen. Regulierung tötet Wachstum dort, wo soziale Leistungen auf Kosten der Tüchtigen durchgesetzt werden. Dieser Staat, ist von Bürgern und Unternehmen in Deutschland nicht gewollt. Er wirft uns weit zurück, während andere Länder dynamisch wachsen und Arbeitsplätze schaffen. Wirtschaftsrat hat sich neu positioniert Der Wirtschaftsrat hat sich in den vergangenen Monaten zu drängenden Fragen in der Wirtschafts- und Sozialpolitik mit eigenen Konzepten neu positioniert. Die Säle auf unseren Bundessymposien waren voll:
Eigenes Steuerkonzept – durchgerechnet und gegenfinanziert. Eigenes Konzept für die Zukunft der Alterssicherung – besonderen Dank geht hier an Professor Raffelhüschen, der mit seinem Gutachten die Grundlagen für unser Konzept erstellt hat. Der Wirtschaftsrat hat sich zudem in einem Bundessymposion mit dem RCDS öffentlich bekannt als Anwalt der jungen Generation. Der Wirtschaftsrat hat im vergangenen Jahr große Resonanz in den Medien gefunden. Unsere gemeinsamen Erfolge haben wir vor allem dem Engagement des Ehrenamtes zu verdanken.
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Dieses Land will eine bessere Regierung wählen Auch der CDU wird eine Neudefinition abverlangt, die bislang nicht umfassend geleistet worden ist. Geschichte wiederholt sich nicht, aber die Situation heute erinnert in vielen Punkten fatal an 1982: eine SPD, die sich in ideologischen Krämpfen schüttelt, einem Kanzler die Gefolgschaft versagt, obgleich er in die richtige Richtung will, und dadurch das Land täglich tiefer in eine chaotische Krise führt. Inhaltliche Gegensätze lassen einen Koalitionswechsel nicht zu. Deshalb gibt es nur einen III. Quartal 2004
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... Zusammenhalt hat wichtige Rolle gespielt Ich danke unseren Landesvorsitzenden, den Sektionsvorständen und -sprechern und den Mitgliedern der Bundesdelegiertenversammlung. Der Zusammenhalt der Verantwortungsträger im Wirtschaftsrat hat eine wesentliche Rolle gespielt, als es darum ging, in der Mitgliedschaft für die dringend notwendige Beitragsanpassung zu werben. Die Botschaft ist angekommen – der Wirtschaftsrat hat ein solides finanzielles Fundament. Die Befürchtungen der Skeptiker sind nicht eingetreten: Wenn wir den gesamten Zeitraum zusammen-
fassen, auf den sich die Beitragsanpassung auswirkt, bleiben unsere Mitgliedszahlen auf hohem Niveau stabil und wachsen wieder.
denen die tiefen Probleme des Landes und ihre Ursachen angesprochen wurden, haben wir Eckpunkte für ein Regierungsprogramm 2006 angeregt.
Das haben wir gemeinsam erreichen können und dafür sage ich Ihnen ein herzliches Wort des Dankes. Ihrem Einsatz gebührt die Anerkennung.
Ein weiteres Novum im letzten Jahr war die Konferenz der Vorsitzenden der Bundesfachkommissionen des Wirtschaftsrates. Unser Ziel ist die Erarbeitung von konkreten Vorschlägen für ein Regierungsprogramm 2006. Wir können es uns nicht leisten, das Ergebnis der Bundestagswahl 2006 erst einmal abzuwarten. Die programmatischen Konturen der Union müssen frühzeitig erkennbar sein. Die innerparteiliche Diskussion muss abgeschlossen sein vor der Wahl und nicht
Mein weiterer Dank gilt dem Beirat des Wirtschaftsrates mit seinen maßgeblichen Persönlichkeiten der deutschen Wirtschaft. Wertvolle und konstruktive Ergebnisse mit Blickrichtung Zukunft: In mehreren Sitzungen unter anderem mit Dr. Angela Merkel und Friedrich Merz, in
Ludwig-ErhardGedenkmünze und Ehrenmitgliedschaft Dr. Horst Annecke ausgezeichnet
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räsidium und Bundesvorstand des Wirtschaftsrates beschlossen einstimmig, Dr. Horst Annecke mit der Ehrenmitgliedschaft und der LudwigErhard-Gedenkmünze in Silber auszuzeichnen. Der Präsident des Wirtschaftsrates, Professor Dr. Kurt J. Lauk, erklärte
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in seiner Laudatio vor der Bundesdelegiertenversammlung u. a.: „Unsere Zusammenarbeit war stets konstruktiv, erfrischend und kritisch, dabei immer von gegenseitigem Vertrauen getragen. Dafür meinen herzlichen, aufrichtigen Dank. Sie haben eine tolle Leistung vollbracht!“ Dr.
Horst Annecke aus Bielefeld war 28 Jahre an herausgehobener Stelle im Wirtschaftsrat aktiv: 13 Jahre Sektionssprecher in Bielefeld (1977 bis 1990); seit 1981 Mitglied im Präsidium und im Bundesvorstand; 1981 bis 1987 Vorsitzender des Landesverbandes Westfalen Lippe; seit 1988 bis zum Juni 2004 Landesvorsitzender in Nordrhein-Westfalen. Dr. Horst Annecke hat den Landesverband Nordrhein-Westfalen mit aus der Taufe gehoben. Von Westfalen Lippe aus wurde mit großem Erfolg der Aufbau des Wirtschaftsrates auch im Rheinland gemeistert. In den letzten zehn Jahren hat sich die Mitgliederzahl des Landesverbandes Nordrhein-Westfalen verdoppelt. Der Präsident des Wirtschaftsrates: „Sie, lieber Herr Dr. Annecke, haben sich um den Wirtschaftsrat und damit um die Marktwirtschaftliche Ordnung in Deutschland verdient gemacht. Ihre Arbeit soll uns Vorbild sein und Vorbild bleiben. In diesem Sinne sprechen wir Ihnen unseren herzlichen Dank aus. Es ist eine große Ehre, aber auch eine große Freude, Ihnen die Ernennungsurkunde zum Ehrenmitglied und die Auszeichnung übergeben zu dürfen. Herzlichen Glückwunsch!“ III. Quartal 2004
...
... danach. Nach der Wahl muss zügig gehandelt werden. Danken möchte ich auch den Vorsitzenden der Bundesfachkommissionen und den mehr als 500 aktiven Mitgliedern aus Politik und Wirtschaft für ihren Rat und ihr Engagement. „Zwei verschiedene Länder“ Die Wahrnehmung Deutschlands im Ausland wird immer stärker begleitet von verständnislosem Kopfschütteln. Britische Nachrichtenmagazine rufen uns mittlerweile schon zu: Nur wenn ihr aufhört herumzubasteln und herumzupfuschen, könnt ihr eure Wirtschaft retten (The Economist). Haben wir Deutschen uns etwa schon abgefunden mit unserem wirtschaftlichen Niedergang? In den Buchregalen heißen die Bestseller dieser Tage: „Deutschland – Abstieg eines Superstars.“ Der Sachverständigenrat nennt sogar Ross und Reiter. „Der gefährlichste Feind für die Erneuerung Deutschlands ist die Bundesregierung.“ Deutlicher geht es nicht. Der Bundeskanzler spricht stattdessen mutlos „vom Ende des Wachstums“ und betreibt Mangelverwaltung in einem Land mit riesigem Potenzial! Die Menschen in Deutschland erwarten das genaue Gegenteil von der Regierung: Politik aus einem Guss, die dazu führt, dass kräftiges Wachstum entsteht und die Einkommen steigen. Ein Deutschland-Kenner, der ehemalige stellvertretende Handelsbeauftragte unter Clinton, der vor dreißig Jahren zum ersten Mal Deutschland besuchte, und begeistert war, sagt heute: „Das Deutschland, an das ich mich erinnere und das Deutschland, das ich heute vorfinde, sind zwei verschiedene Länder.“ Er führt weiter aus: „Das deutsche Wirtschaftswachstum ist schwindsüchtig; Deutschland ist immer weniger in der Lage Beschäftigung zu schaffen; Deutschlands Wettbewerbsposition zerfällt seit zehn Jahren. Dauerhafte und produktive Arbeitsplätze sind nur mit mehr F&E-Ausgaben zu erreichen. Die von den Unternehmen geleisteten Ausgaben für F&E sind in Deutschland 1989 bis 1999 um 1,5 Prozent gesunken Der Anteil der F&E-Mitarbeiter unter den Beschäftigten nimmt ab. Ergebnis: Deutschland: Platz acht III. Quartal 2004
unter 13 OECD Ländern. Deutschlands Architektur des Finanzsektors ist dysfunktional. No equity and venture culture; Liquiditätsengpass für den Mittelstand. Unternehmerische Effizienz steht vor unzähligen Hindernissen. Corporate Governance in Deutschland ist undurchsichtig und antiquiert. Deutschlands Ausbildungssystem ist überfüllt, unterfinanziert und erstickt in Bürokratie, die zur Ausbildung der Studenten nicht gebraucht wird. Die demografische Entwicklung erfordert radikale Systemveränderungen in der Sozialen Sicherung.
Neue Bundesländer zur Modellregion Wachstum ausbauen
Auch wenn nicht alle allem zustimmen mögen, wir fühlen uns getroffen. Meine Begegnungen im Ausland laufen fast alle nach diesem Muster ab. Deutschland muss aufpassen: Die Globalisierung produziert Gewinner – und Verlierer: „Wenn wir so weitermachen, wird Deutschland zur verlängerten Werkbank der Amerikaner und bald auch der Chinesen“ (Heinrich von Pierer). Ist das Schwarzmalerei? In China verdoppelt sich der Wohlstand alle neun Jahre; in den USA alle 20 Jahre; Deutschland braucht über 50 Jahre dafür! Wenn das so weitergeht, wird Deutschland wirtschaftlich zu einem Zwergenstaat – es ist nur eine Frage der Zeit!
Wenn wir weiter Zeit verlieren, verlieren wir unsere Zukunft. Gutachten gibt es genügend; diskutiert wurde lange genug; jetzt muss gehandelt werden.
„Masterplan Deutschland“ Was muss Deutschland also anders machen? Der Wirtschaftsrat hat seine Vorschläge im „Masterplan Deutschland – 10 Leitsätze für Aufbruch und Wachstum“ präsentiert:
Große Steuerreform bis 2006 – Radikaler Neubeginn statt Flickschusterei Komplizenschaft von Politik und Tarifpartnern beenden Effizientere Unternehmensverfassung – Gewerkschaftsfunktionäre entmachten Rente mit Rendite – Mindestens 40 Prozent Kapitaldeckung Fitnessprogramm Gesundheitsprämie statt Giftpille Bürgerversicherung
Technologiepolitik als Schlüssel zu einer erfolgreichen Zukunft nutzen Die junge Generation verdient eine Zukunft – im eigenen Land Abkehr von der Ideologiepolitik bei Energie und Umwelt Führungskrise überwinden – Europa wettbewerbsfähig machen
Dokumentation Masterplan siehe Seite 62. Mit jungen Leuten in einem Boot Die meisten gesamtdeutschen Probleme treffen die neuen Bundesländer mit besonders großer Wucht. Ostdeutschland hat ein gravierendes Abwanderungsproblem! Zigtausende gut qualifizierte Menschen aus den neuen Ländern verlassen ihre Heimat mit Zielrichtung Westen. Aber: Die Migration in die alten Bundesländer ist nur ein Zwischenschritt. Wir müssen feststellen, dass jährlich rund 100.000 – meist junge Leute – Deutschland den Rücken kehren. Eine aktuelle Studie hat sich die jungen Leute genau angeschaut. Ergebnis: Wie nie zuvor wächst eine Generation heran, die sich durch Leistung definiert. Für sie gibt es anscheinend in Deutschland immer seltener eine Heimat: „Das Vertrauen in die Politik ist erschüttert“ – lautet ein weiteres Ergebnis dieser Studie. Wir vom WR sind die natürlichen Ansprechpartner für diese Generation. Deshalb nehmen wir die jungen Leute verstärkt mit ins Boot. Mit unseren Juniorenkreisen und immer stärker auf bundesweiten Veranstaltungen wie heute auf dem Wirtschaftstag. Warum verlassen denn die jungen Menschen Deutschland? Sie finden hier keine – ihrem Empfinden nach – überzeugende, verlässliche Zukunftsperspektive.
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Ludwig-ErhardGedenkmünze in Gold Premierminister Jean-Pierre Raffarin ausgezeichnet
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er Wirtschaftsrat der CDU e.V. hat anlässlich seiner Bundesdelegiertenversammlung und des Wirtschaftstages 2004 den Premierminister der Französischen Republik, Jean-Pierre Raffarin, mit der LudwigErhard-Gedenkmünze in Gold ausgezeichnet. Dr. Helmut Kohl, Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland a. D., erhielt diese Ehrung 2003. Er sprach die Laudatio für den hohen Gast aus Frankreich. „Ich finde es eine großartige Sache und für mich ist es eine Ehre und besondere Freude, dass wir heute unseren französischen Freund Jean-Pierre Raffarin ehren. Der Wirtschaftsrat ehrt sich damit übrigens auch selbst. Und das möchte ich doch auch mit großer Freude zum Ausdruck bringen. Ich danke dem Wirtschaftsrat und seinem Vorstand für diese Entscheidung, den Premierminister mit der Ludwig-Erhard-Gedenkmünze in Gold auszuzeichnen. Der Wirtschaftsrat und viele Ihrer Freunde – weit über diesen Kreis hinaus,
lieber Freund Raffarin, – wollen Sie sozusagen mit unterstützen in einer auch für Sie psychologisch schwierigen Situation, entscheidende Schritte mit dem eigenen Mut voranzutreiben und die großen Reformanstrengungen durchzusetzen und vielleicht etwas – im Geiste unserer Freundschaft – auf uns in Deutschland zu übertragen. Auch das wäre eine sehr gute Sache. Die ersten Früchte des Reformprozesses in Frankreich sind sichtbar und jeder, der genau hinschaut, weiß: Sie haben sich diese Auszeichnung wirklich verdient – deswegen gratuliere ich auch persönlich sehr herzlich. Der Premierminister Frankreichs orientiert sich in seiner gegenwärtigen Wirtschaftspolitik an der Sozialen Marktwirtschaft. Dies unter den gegebenen Verhältnissen seines Landes und der Tradition seines Landes. Die Soziale Marktwirtschaft ist eine Basis, auf der er und seine Regierung viele Reformen eingeleitet haben. Insofern sind Sie heute am richtigen Platz, lieber Freund, denn der Wirtschaftsrat hat sich seit seiner Gründung vor über 40 Jahren immer eindeu-
tig und völlig klar der Position der Sozialen Marktwirtschaft von Ludwig Erhard gestellt. Ich betone: Auch im Sinne Ludwig Erhards, denn heute sind in Deutschland und nicht zuletzt in Berlin viele Falschmünzer und Plagiatoren unterwegs. Deswegen ist es wichtig, dies klar und deutlich herauszustellen. Für Ludwig Erhard stand fest, dass die unternehmerische Freiheit in Verantwortung, der Wettbewerb und der soziale Ausgleich zusammen gehören. Gerade auch in diesem Sinne ist es wichtig, dass dieser Preis heute an Sie geht. Die freundschaftlichen Beziehungen zu Frankreich waren immer ein Kernstück der Politik der CDU und auch des Wirtschaftsrates. Die deutsch-französische Freundschaft ist die Voraussetzung für den Bau des Hauses Europa. Damit übernehmen wir uns nicht, aber es entspricht dem Geist der Geschichte. Ohne deutsch-französische Freundschaft wird es keinen wirklichen Fortschritt in Europa geben. Von den Tagen Robert Schumanns und Jean Monnets führt über den von Adenauer und de Gaulle 1963 unterzeichneten Elysée-Vertrag ein direkter Weg durch die Jahre und Jahrzehnte gemeinsamer Anstrengungen hin zur Einführung des Euro und zum weiteren Ausbau des Hauses Europa. Es ist mir wichtig, gerade auch vor diesem Kreis und auch gegenüber der Öffentlichkeit immer wieder zu sagen: Wir in der CDU/CSU waren in diesen Jahren nicht nur Zuschauer, die nach Lust und Laune applaudierten. Wir in der CDU/CSU haben diesen Weg gemeinsam und tatkräftig gestaltet. Und das lassen wir uns von niemandem nehmen – egal wer es ist. Herr Premierminister, lieber Freund, Sie bringen eine lange politische Erfahrung in ihr Amt als Regierungschef mit.
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Schon in jungen Jahren engagierten Sie sich in der Jugendorganisation von Giscard d’Estaing. Nach Jahren der Tätigkeit in der Privatwirtschaft wurden Sie 1988 Präsident des Regionalrats der Region Poitou-Charentes in Westfrankreich. Sie haben dieses Amt 14 Jahre bis 2002 bekleidet. Man kann so sagen – ich sage dies gern – Sie haben Ihre große und reiche politische Erfahrung nicht zunächst in Paris erworben, sondern in der Provinz. Und Sie waren nicht immer ein Mitglied der hochmögenden Klasse, die sich in Paris als Elite versteht. Sondern Sie waren draußen im Land bei den Leuten. Das merkt man Ihrer Politik an, das spürt man in Ihrem Wesen. Und – ich sage es ganz offen – mir gefällt dies ganz besonders. Für Sie ist Subsidiarität eben kein Fremdwort, weil Sie die Praxis erlebt haben und gestalteten. Von 1989 bis 1995 waren Sie Mitglied des Europäischen Parlamentes. Nach 1995 – und das ist wichtig, sich in Erinnerung zu rufen – wurden Sie Generalsekretär der von Giscard D’Estaing gegründeten UDF. Sie waren Mitglied des französischen Senats. Sie waren Minister für Mittelstand, Handel und Handwerk – das passt genau zum Erhard-Preis –, und Sie waren Bürgermeister einer Gemeinde in Westfrankreich. Diese Aufgaben waren ganz wichtige Stationen bis zu Ihrem jetzigen Amt. Vor zwei Jahren ernannte Sie Staatspräsident Jacques Chirac zum Premierminister. Seit diesem Zeitpunkt setzen Sie sich unermüdlich dafür ein, Frankreich für die Zukunft fit zu machen. Sie tun das nicht mit irgendeiner Ideologie, Sie tun es aus der Überzeugungskraft eines französischen Patrioten und – das finde ich in diesem Zusammenhang besonders wichtig – eines Mannes, der Land und Leute kennt, und der auch weiß, wo der Schuh drückt. Zu den Kernprojekten gehören die Reformen der gesetzlichen Rentenversicherung, des Gesundheitswesens und eine Steuerreform. Sie, Herr Premierminister, sind mit einer großen Überzeugungskraft ans Werk gegangen. Aber Sie haben wie jeder in einem solchen Amt dann auch erleben müssen, III. Quartal 2004
dass man bei solchen Entscheidungen oft einsam ist. Dass die Zahl der Freunde nachlässt, bis sich der Erfolg einstellt. Dann kommen die Freunde wieder häufiger. Ich weiß es zu schätzen, dass Sie Ihren Kurs halten. Ich möchte Sie – auch als persönlicher Freund – ermutigen, Ihrer Überzeugung treu zu bleiben. Der Überzeugung, dass Ihr Wort gilt. Wir haben davon einen großen Vorteil: Frankreich und Deutschland haben aus vielen, vielen Gründen ähnliche, aber nicht genau die gleichen Herausforderungen zu bewältigen.
man außerhalb unserer Staatsgrenzen langsam beginnt, auf uns herabzuschauen. Hier geht es nicht darum, dass wir psychologische Großmannssucht pflegten. Es geht aber darum, dass wir den richtigen Platz, den uns zukommenden Platz wieder einnehmen.
Auch in unserem Land dreht sich die Alterspyramide um, steigen die Kosten für Gesundheit kontinuierlich, fehlt es an Arbeitsplätzen. Auch in Deutschland muss die notwendige Erneuerung der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik vorangetrieben werden. Es ist schon viel Zeit verlorengegangen.
Das steht ja nicht zuletzt im Lichte der ehrgeizigen Ziele, die sich die Staatsund Regierungschefs auf dem europäischen Gipfel im März 2000 setzten. Dort hieß es: Die Europäische Union muss sich bis zum Jahr 2010 im Vergleich zu den USA zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten Wirtschaftsraum der Welt entwickelt haben. Wie Gerhard Schröder das machen will, weiß ich nicht. Wir schreiben ja jetzt schon 2004. Es ist doch eigentlich ein Traum, der hier vorgegaukelt wird.
Wir sollten noch mehr den Menschen sagen, dass wir ja eine Steuerreform hätten haben können – und zwar eine Steuerreform, die diesen Namen wirklich verdient hätte – wenn man 1997 unsere Vorlage auch im Bundesrat hätte passieren lassen, die ja von vielen einstigen Sozialdemokraten entsprechend gewürdigt wurde. Lafontaine, Eichel und Schröder haben im Glück des Wahlkampfes damals die Blockade probiert. Wenn ich heute abends das verständlicherweise zerfurchte Gesicht von Herrn Eichel im Fernsehen sehe, denke ich immer: Wenn der im Bett liegt, denkt er vielleicht auch, ich hätte damals als der Verhandler der SPD besser eine Kerze aufgesteckt als die Blockade durchgesetzt. Ich kann noch viele andere Beispiele nennen: Die Absurdität, dass der von uns eingeführte demographische Faktor bei der Rente abgeschafft wurde und jetzt unter einem anderen Namen wieder eingeführt wird. Wir haben an dieser Entwicklung keine Freude! Bei aller parteipolitischen Auseinandersetzung, geht es nämlich um unser Land – und es ist uns nicht einerlei, wie dieses Land sich entwickelt. Es ist uns auch nicht einerlei, ich sag das vor allem auch in Gegenwart eines führenden französischen Politikers, dass
Aber das geht nur durch eigene Leistung. Die Erneuerung der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik in Deutschland und Frankreich ist absolut notwendig. Nicht nur für unsere eigenen Länder, sondern für Europa.
Deswegen ist es wichtig, dass wir auch auf dem Wirtschaftstag noch einmal die Linien ganz klar machen, die jetzt gezogen werden müssen. Es ist dabei einfach unerlässlich, dass Deutschland und Frankreich die Motoren der europäischen Einigung bleiben. Lieber Freund, Herr Premierminister! Ich will noch eine kleine Bemerkung anschließen: Wer den Traum hat, dass zwei Länder in Europa die anderen bestimmen, hat die eigentliche Wirklichkeit des großartigen Konzepts der Europäischen Gemeinschaft nicht begriffen. Wir brauchen Vorbildfunktionen von Deutschland und Frankreich. Wir brauchen vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Partnern, ob groß oder klein. Und vor allem den Glauben daran, dass wir in Europa Kraft haben, wenn wir es nur selbst wollen. Ich wünsche Ihnen – auch persönlich und allen unseren französischen Freunden – Erfolg. Und für Ihr schweres Amt wünsche ich Ihnen Glück, Erfolg und Gottes Segen.“ trend 71
EU-Vermittlungsproblem Die Bürger der Europäischen Union scheinen noch nicht im vereinten Europa angekommen zu sein! Die EU-Wahlbeteiligung war mit 44 Prozent erschreckend niedrig. Deutschland liegt sogar knapp darunter. Die größte europäische Fraktion stellen damit die Nichtwähler. Vor allem in den Beitrittsländern haben die Menschen ihre Chancen nicht wahrgenommen, Europa mitzugestalten. Wahlbeteiligung Tschechien: 28 Prozent, Polen: 20 Prozent, Slowakei: 16 Prozent. Mit besonderer Sorge muss uns erfüllen, dass das neue EU-Parlament zu 15 Prozent mit Europas Skeptikern und nationalistischen Europagegnern besetzt ist.
... Familie und Beruf passen in Deutschland wenig zusammen.
Die Berufsaussichten im Ausland lauten „Weniger Bevormundung – mehr Chancen – mehr Einkommen. Die Ausbildung der jungen Leute dauert in Deutschland zu lange und ist mit wenig attraktiven Berufsausichten verbunden. Volksverdummung statt Elitenbildung Vom Innovationsjahr der Bundesregierung ist nichts übrig geblieben – allenfalls Prestigeobjekte: 1,9 Milliarden € sollen insgesamt zehn Hochschulen über fünf Jahre verteilt zusätzlich bekommen. Pro Hochschule und Jahr macht das gerade mal 25 Millionen €! Entstehen so Eliten? Allein Harvard hat einen Jahresetat von über zwei Milliarden Dollar. Harvard und Stanford haben in Summe einen Etat von knapp fünf Milliarden Dollar – der größer ist, als der BWL-Etat in Deutschland für alle Universitäten, Hochschulen und Fachhochschulen zusammen. Was die Bundesregierung betreibt, ist keine Elitenbildung, sondern Volksverdummung. Erst wenn die Universitäten mehr Freiheit und Wettbewerb bekommen, können sie sich mit den Besten der Welt messen – anders geht es nicht. 72 trend
Gegen Zuwanderung ins soziale Netz Nicht nur die Abwanderung – auch die Zuwanderung nach Deutschland bestimmt unsere Zukunft maßgeblich mit. Qualifizierte Menschen, die hier arbeiten und leben wollen, sind uns willkommen. Das müssen wir ihnen auch zeigen – ohne Bürokratie und Restriktionen. Die Green Card der Bundesregierung dagegen war ein peinlicher Flop. Zuwanderung in unsere Sozialsysteme dagegen lehnen wir ab. Jeder vierte Sozialhilfeempfänger hat keinen deutschen Pass. Die Kosten betragen jährlich sechs Milliarden €. Zuwanderung in die Arbeitslosigkeit und ins soziale Netz muss verhindert werden. Rechte auf Sozialleistungen müssen erworben werden und können nicht mehr nach Einwanderung verschenkt werden. Die Arbeitslosenquote unter Ausländern liegt bei 21 Prozent – doppelt so hoch wie bei den Deutschen! Noch ist nicht klar, welchen Einfluss die EU-Osterweiterung auf die Beschäftigung und Zuwanderung nach Deutschland haben wird. Was wir aber wissen ist, dass nur ein vereintes Europa Frieden und Freiheit garantiert. Wirtschaftlich wird Europa gegen die USA und Asien nur dann bestehen, wenn die EU an einem gemeinsamen Strang zieht und gemeinsame Ziele verfolgt.
Die Ursache für diese Entwicklung liegt auf der Hand: Die EU hat ein gravierendes Vermittlungsproblem! Die Menschen hören zwar, dass bis zu 70 Prozent der nationalen Gesetze letztlich aus Brüssel kommen, aber was dahinter steckt, das bleibt für die meisten ein Geheimnis. Auch deshalb gewinnen außerparlamentarische Oppositionen wie „Attac“ immer größere Medienresonanz. Wir müssen uns mit ihnen auseinandersetzen. Wir brauchen einen Neuanfang Meine Zielsetzung auch als EuropaAbgeordneter ist klar:
Rahmenbedingungen für Wettbewerb in der EU schaffen; Verlagerung von Entscheidungen nach unten wo immer möglich; Europa muss wachsen und weltoffen sein – ein Europa der Bürger; Europa muss die Vorteile der Globalisierung nutzen. Deutschland als Kernland Europas ist heute in einer dramatischen Lage, wirtschaftlich und sozial. Wir brauchen deshalb einen Neuanfang. Der Wirtschaftsrat wird in hervorragender Weise überwiegend vom Ehrenamt getragen – in einer Zeit, wo ehrenamtliche Tätigkeiten nicht einfach und schon gar keine Selbstverständlichkeiten mehr sind. Für dieses großartige Engagement danke ich Ihnen von Herzen. Wir kämpfen gemeinsam weiter für unser Land! Deutschland braucht den Wirtschaftsrat mehr denn je. * III. Quartal 2004
Neues Kommunikationskonzept trägt bereits erste Früchte Unternehmerische Kompetenz in den politischen Prozess einbringen Bericht der Bundesgeschäftsführung: Rainer Gerding Neue Internetpräsenz leitet Kommunikationsoffensive ein Seit April diesen Jahres steht uns der neue Internetauftritt des Wirtschaftsrates als wichtiges Informationsinstrument zur Verfügung. Ein attraktives und übersichtliches Design für unsere Angebote war überfällig. Entscheidend war jedoch, die Bedürfnisse unserer Mitglieder und der interessierten Öffentlichkeit durch neue und aktuelle Informationsangebote stärker zu berücksichtigen. Wir haben damit nicht nur die Präsenz für unsere Mitglieder erhöht, sondern auch die Außenwirkung erheblich gesteigert. Die Arbeit der Bundesfachkommissionen, in denen mehr als 500 Unternehmer, Politiker und Wissenschaftler aus ganz Deutschland zusammenarbeiten, steht nun voll im Licht der Öffentlichkeit.
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or einem Jahr ist der „Wirtschaftsrat Deutschland“ erstmals mit seinem neuen Erscheinungsbild und der erneuerten Kommunikationsstrategie an die Öffentlichkeit getreten. Die positive Resonanz in der Mitgliedschaft und die wachsende Präsenz in der Presse und den elektronischen Medien bestätigen uns, dass sich die gemeinsamen Anstrengungen gelohnt haben. Allen ehrenamtlichen Gremien, dem Präsidium und dem Bundesvorstand, den Vorsitzenden der Bundesfachkommissionen, den Landes- und Sektionsvorständen möchte ich dafür danken, dass sie uns auf vielfältige Weise mit eigenen Ideen und Anregungen unterstützt haben. III. Quartal 2004
Erstes bundesweites Treffen der Führungskräfte Den Auftakt für ein neues „WIRGefühl“ machte im November 2003 die erste bundesweite Sektionssprecherkonferenz in Berlin. 93 von insgesamt 132 Sektionssprechern in ganz Deutschland nahmen an dieser Konferenz teil. Die Neuausrichtung unserer Mitgliederwerbung, die Stärkung der Öffentlichkeitsarbeit und die damals anstehende Beitragsanpassung standen im Mittelpunkt der Beratungen. Die praktischen Ergebnisse können sich sehen lassen. Sie haben unser Netzwerk und den Zusammenhalt der Führungskräfte im Wirtschaftsrat gestärkt. Die zweite bundesweite Sektionssprecherkonferenz wird spätestens im Frühjahr des nächsten Jahres stattfinden.
Mitgliedernetzwerk ist Grundstein unseres Erfolgs Jedes Mitglied erhält nun die Möglichkeit, die Leistungen des Wirtschaftsrates für sich selbst zu nutzen und die Qualität unserer Arbeit zu erproben. Wir sind dabei auf die Hilfe unserer Mitglieder angewiesen. Die Themenvorschläge und Anregungen, die uns in großer Zahl erreichen, sind für den Wirtschaftsrat richtungsweisend. Das Internet hat für unsere tägliche Arbeit innerhalb kurzer Zeit eine nicht mehr wegzudenkende Bedeutung erlangt. Durch die Einführung von EMail-Schnellbriefen haben wir beispielsweise erreicht, dass nach der Verbreitung unseres Steuerkonzeptes innerhalb von wenigen Tagen 400 Reaktionen über E-Mail in der Bundesgeschäftsstelle des Wirtschaftsrates eingegangen sind. Das ist
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in großer Zahl einholen. Mit dem WRPolitpuls haben wir dafür das passende Instrument. Dass mit „TNS Emnid“ ein externes Unternehmen vom Präsidium beauftragt wurde, die Befragung und Auswertung des WR-Politpuls durchzuführen, verstehen wir als eine Selbstverständlichkeit. Der Wirtschaftsrat will objektive Fragen und ehrliche Antworten – kein Abnicken oder blinde Gefolgschaft.
... ein großartiger Erfolg der Rückkopplung mit den Mitgliedern und verdeutlicht das Zusammenstehen im Wirtschaftsrat. Konsequent und konstruktiv im Dialog Wir haben durch Ihr Feedback viel Unterstützung und Ermutigung bei der Erarbeitung unseres radikalen Steuerkonzepts erfahren. Aber weil es um Offenheit geht, darf nicht verschwiegen werden, dass sich unsere Mitglieder auch mit kritischen Anmerkungen zu Wort melden. Der Wirtschaftsrat ist immer auch ein Ort der konstruktiven Auseinandersetzung gewesen, deshalb darf niemand davor zurückschrecken. Wenn der Wirtschaftsrat der Überzeugung ist, dass nur eine wirkliche Erneuerung unseres Einkommenssteuerrechts hilft, dann muss auch der Mut und die Bereitschaft da sein, bei allen Ausnahmeregelungen einen konsequenten Schnitt zu machen. Gleichwohl haben uns auch E-Mails erreicht, aus denen deutlich wurde, dass einzelne Branchenvertreter unser Steuerkonzept nicht mittragen können oder wollen. Falsche Kompromisse in den eigenen Reihen sind jedoch ein Irrweg, der unser Steuersystem erst zu dem gemacht hat, was es heute ist. Wenn wir die Argumentation in den eigenen Reihen für die Durchsetzung eines radikalen Steuersystems nicht durchhalten können, dann wird das Wort des Wirtschaftsrates seine 74 trend
Bedeutung in der Öffentlichkeit verlieren Dieser Meinungsaustausch hat die zentrale Bedeutung des intensiven Kontakts mit den Mitgliedern herausgestellt. Unser Ehrgeiz ist es, den Dialog innerhalb des Wirtschaftsrates noch weiter auszubauen. Wir haben inzwischen einen E-MailVerteiler, in dem 74 Prozent aller Mitglieder erfasst sind. Dies ist eine enorme Quote, um die uns andere Verbände beneiden. Für den Wirtschaftsrat ist das jedoch kein Grund, sich zurückzulehnen. Im Gegenteil, wir werden demnächst wieder unbequem. In den kommenden Monaten wollen wir eine E-Mail-Quote von 90 Prozent erreichen, darum werden wir unsere Mitglieder erneut ansprechen. WR-Politpuls – Ohr am Puls der Wirtschaft Die enorm gesteigerte Vernetzung hat dazu geführt, dass unsere neue Mitgliederbefragung, der WR-Politpuls, zu einer durchschlagend großen Resonanz geführt hat. Der WR-Politpuls steht für das Ohr am Puls der Wirtschaft und ebenso am Puls der Politik. Es ist die erklärte Strategie des Wirtschaftsrates, die politischen Parteien in Deutschland zu mutigeren Konzepten und zu größerer Erneuerung zu treiben, als es bisher erkennbar ist. Unsere Positionen haben ein solides ordnungspolitisches Fundament. Um sie wirkungsmächtig nach außen vertreten zu können, sind wir auf die breite Zustimmung unserer Mitglieder angewiesen. Wir wollen Ihre Kompetenz unmittelbar und
Wirtschaftsrat – Sprachrohr der Unternehmer Den Vergleich mit bekannten repräsentativen Umfragen braucht der WRPolitpuls im Übrigen nicht zu scheuen: Mit mehr als 1.700 komplett ausgefüllten Fragebögen – allein im ersten Anlauf – schafft der Wirtschaftsrat ein Verhältnis zwischen Teilnehmern am WR-Politpuls und der gesamten WR-Mitgliedschaft von 1 zu 5. Umfragen in der Gesamtbevölkerung schaffen gerade einmal ein Verhältnis zwischen Umfrageteilnehmern und der wahlberechtigten Bevölkerung von 1 zu 60.000. Die Meinungsprofis von Emnid bestätigen uns: Was die Mitglieder des Wirtschaftsrates wollen, ist fast deckungsgleich mit den Ansichten der gesamten deutschen Wirtschaft. Dieses Pfund werfen wir in die Waagschale. Deshalb werden wir unsere Mitglieder von nun an in regelmäßigen Abständen zu wichtigen Themen der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik befragen. Mit Ihrer weiteren aktiven Beteiligung wird der WR-Politpuls schon bald zu einem Markenzeichen mit Wiedererkennungswert. Daran wollen wir gemeinsam arbeiten. 92 Prozent der WR-Mitglieder durch Regierungspolitik benachteiligt Ein Ergebnis des WR-Politpuls verdient besondere Beachtung. Rund 92 Prozent der befragten Mitglieder des Wirtschaftsrates sind der Auffassung, die Politik der derzeitigen Bundesregierung schädigt ihr Unternehmen massiv. Dieses Ergebnis ist nicht das einseitige oder oberflächliche Votum von Interessenvertretern, sondern hier wird die Realität in den Betrieben und in der Gesellschaft widergespiegelt. Und gerade deshalb ist Ihre III. Quartal 2004
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... Beteiligung auch an den nächsten Umfragen wichtig. Wir selbst lernen von Umfrage zu Umfrage. Vision Deutschland durch konkretes „Wir-Gefühl“ Der Wirtschaftsrat wird schon in wenigen Monaten zum zweiten Mal die Unterstützung seiner Mitglieder einfordern. Dabei wird auch die Arbeit des Wirtschaftsrates zur Bewertung gestellt. Wir möchten von Ihnen wissen, an welchen Stellen wir uns verbessern können. Wir müssen in der Kommunikation besser werden und die Menschen von einer positiven Vision über die Zukunft Deutschlands begeistern. Die Menschen müssen wissen und lernen, dass es nicht nur um Einschnitte und Kürzungen geht. Sondern, dass es vor allem darum geht, dass wir in Deutschland wieder eine bessere Zukunft haben. Eine Zukunft mit Wirtschaftswachstum, eine Zukunft mit einer wirksamen Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Wirtschaftsrat Deutschland – aus Tradition unabhängig Fassen wir die bisherigen Ergebnisse zusammen, so hat der Wirtschaftsrat vor allem die Aufgabe, die zunehmende Realitätsverweigerung in der Politik zu entlarven. Das gilt in unterschiedlichen Nuancen für alle politischen Parteien, auch für die Union. Wir sind daher gut beraten, unsere Unabhängigkeit zu bewahren, so wie es Tradition im Wirtschaftsrat ist.
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Pressestelle als interner Dienstleister für die Länder Ein weiterer Schritt unserer Kommunikationsoffensive ist die Verstärkung der Pressearbeit. Unsere Pressestelle wurde mit zusätzlicher journalistischer Qualität aufgewertet. Nicht zuletzt auch deshalb, damit die Pressearbeit in den Ländern intensiviert werden kann. Sie erfordert auch von den Sektionssprechern und den Landesvorsitzenden ein großes Engagement. Diese Maßnahme hat bereits in vielen Landesverbänden ihren Niederschlag gefunden. Es wird in Zukunft darauf ankommen, dass wir die öffentliche Präsenz des Wirtschaftsrates flächendeckend sicherstellen. Der Einsatz in den Ländern ist Grundlage für den Erfolg unserer Präsenz-Offensive. Kommunikationsfähigkeit runderneuert Die Erneuerung unserer Kommunikationsfähigkeit hat auch finanzielle Konsequenzen zur Folge. Die anstehende Erneuerung des EDV-Systems spielt dabei eine Schlüsselrolle. Der Bundesschatzmeister, Herr Dr. Schleifer, wird darüber ausführlich berichten. An dieser Stelle will ich Herrn Dr. Schleifer besonders herzlich danken für die wichtige Arbeit und die vielen Stunden, die er im letzten Jahr für Vorlage einer soliden Bilanz eingesetzt hat. Netzwerk schaffen für junge Leistungsträger Die Erneuerung der Kommunikation zwischen den heutigen Mitgliedern des
Wirtschaftsrates ist eine hervorragende Basis, um junge Leistungsträger und Nachwuchsunternehmer in unser Netzwerk einzubinden. Der Wirtschaftsrat ist der natürliche Ansprechpartner für die Gestalter von morgen. Diesem Anspruch müssen wir gerecht werden und die jungen Leute auf unsere Seite ziehen. Erfolgsmodell Generationenforum Der Erfolg des ersten Berliner Generationenforums im März 2004 hat unsere Erwartungen weit übertroffen. Mehr als 400 junge High-Potenzials aus ganz Deutschland haben über die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Zukunft in Deutschland diskutiert. Die Motivation der jungen Leute, ihre Zukunft aktiv zu gestalten, hat uns darin bestärkt, das Erfolgsmodell Generationenforum weiterzuentwickeln. Mit der für das Frühjahr 2005 geplanten Neuauflage werden wir die Anbindung der jungen Generation an den Wirtschaftsrat vorantreiben. Wirtschaftsrat – das Unternehmen der Unternehmer Die Stärke des Wirtschaftsrates ist zu jedem Zeitpunkt messbar. Das ist die Geschlossenheit in den eigenen Reihen. Wenn es gelingt, Ihre unternehmerische Kompetenz in den politischen Prozess einzubringen, sind wir – der Wirtschaftsrat – authentisch. Wenn wir Geschlossenheit beweisen, gewinnen wir an Einfluss und Durchsetzungsstärke. Dafür möchte ich Sie um Ihre Unterstützung und um Ihr Vertrauen bitten.
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Wettbewerb der Kontinente: Gewinner und Verlierer Amerika – Asien – Europa
Podium I In das Thema ,,Wettbewerb der Kontinente: Gewinner und Verlierer Amerika – Asien – Europa“ führten ein: David K. P. Li, Chairman und Chief Executive, Bank of East Asia sowie Dr. Jürgen Stark, Vizepräsident der Deutschen Bundesbank. Unter der Moderation von Stefan Baron, Chefredakteur Wirtschaftswoche, diskutierten: Klaus-Peter Müller, Sprecher des Vorstandes Commerzbank AG; Dr. Reinhard Uppenkamp, Vorstandsvorsitzender Berlin-Chemie AG; Karsten D. Voigt, Koordinator für deutschamerikanische Zusammenarbeit, Auswärtiges Amt sowie Prof. Dr. Wolfgang Wiegard, Universität Regensburg, Vorsitzender des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. 76 trend
Klaus-Peter Müller Sprecher des Vorstandes Commerzbank AG Nach den Worten Klaus-Peter Müllers muss der weltweite Wettbewerb im Prozess der Globalisierung nicht unbedingt Gewinner und Verlierer haben. „Dies zeigt auch die aktuelle Situation, in der die deutsche Wirtschaft spürbar von dem starken Wachstum in den anderen Regionen der Welt profitiert“, betonte der Commerzbank-Chef. Bezüglich der relativen Entwicklung sei die Kategorisierung in Gewinner und Verlierer zwar richtig, jedoch ließe sich dieses Bild bei der Betrachtung von absoluten Wohlstandsgrößen nicht aufrechterhalten. „Aus Sicht der deutschen Wirtschaft ist ein kräftiges Wachstum in Nordamerika und Asien für uns vorteilhaft“, betonte Müller. Eventuelle Gefahren für den Standort Deutschland und die hiesigen Arbeitsplätze ergäben sich nicht aus der Globalisierung sel-
ber, sondern aus den strukturellen Schwächen der deutschen Wirtschaft, die ein Ausnutzen der sich aus der Globalisierung ergebenden Chancen erschwerten oder
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David K. P. Li Chairman und Chief Executive, Bank of East Asia um neun Prozent und einer Inflation von rund vier Prozent pro Jahr setzten viele Beobachter darauf, dass China die Zinsen anhebe. Dies wäre zweifelsohne der Fall, wenn der amerikanische FedChef Alan Greenspan oder die Europäische Zentralbank (EZB) über die Zinspolitik Chinas zu entscheiden hätten. „Die chinesische Führung sieht das indes völlig anders“, erklärte Li.
David Li erläuterte die wachsende Bedeutung Chinas für die Weltwirtschaft. Auf der Basis von Kaufkraftparitäten sei das Bruttoinlandsprodukt Chinas hinter den Vereinigten Staaten bereits das zweithöchste der Welt. „Hinzu kommt, dass die chinesische Volkswirtschaft seit zwei Dekaden mit durchschnittlich acht Prozent pro Jahr wächst“, unterstrich Li. Der Anteil am Welthandel sei von einem Prozent 1979 auf sechs Prozent im vergangenen Jahr gestiegen. 2003 habe China 46 Prozent zum Wachstum des Welthandels beigetragen. Ferner habe die chinesische Volksrepublik im vergangenen Jahr mit 53 Milliarden Dollar erstmals mehr Direktinvestitionen aus dem Ausland angezogen als die USA, die mit 40 Milliarden Dollar nur noch auf Platz zwei kamen. „Angesichts dieser Zahlen ist es enorm wichtig, dass die Welt die chinesische Volkswirtschaft und deren Perspektiven für die weitere Entwicklung versteht“, hob Li hervor. Die wichtigste Frage, die derzeit in Bezug auf die chinesische Wirtschaft diskutiert werde, sei jene, ob China angesichts der hohen Wachstumsraten eine harte oder weiche Landung bevorstehe. Mit einem Wirtschaftswachstum III. Quartal 2004
Zur Begründung führte der Chairman der Bank of East Asia an, dass die chinesischen Spitzenpolitiker die Spielregeln einer Zentralverwaltungswirtschaft gewohnt seien. Zwar bedienten sie sich nicht mehr der üblichen Steuerungsinstrumente einer solchen – jedoch gebe es noch staatlich kontrollierte Medien, die die Führungsriege als Steuerungsinstrument nutze. „Wenn die chinesische Führung über die Staatsmedien die hohen Wachstumszahlen in der Zement- und Stahlproduktion sowie der Automobilindustrie hervorhebt, ist dies als Warnung an die Investoren in diesen Sektoren zu verstehen“, erläutere Li. Darum dürften die Berichte hinsichtlich übertriebener Investitionen in Produktionskapazitäten nicht als reine Nachrichten gelesen werden sondern als Statement der Politik. „Das Signal an die Investoren ist eindeutig: Stoppt die Investitionen in diesen Sektoren.“ Ferner sei bei der im Ausland erhobenen Forderung nach einer Zinsanhebung zu berücksichtigen, dass China keineswegs ein generelles Problem mit einer überhitzten Investitionstätigkeit habe. Vielmehr sei die Balance zwischen den einzelnen Sektoren nicht mehr ausgeglichen, wie der Blick auf die vergleichsweise geringe Investitionstätigkeit im Agrarbereich zeige. „Das ist exakt der Grund, warum die chinesische Führung sich entschlossen hat, mit Ziel gerichteten Äußerungen über die Medien statt mit einer Zinssenkung auf partielle Überhitzungserscheinungen zu reagieren“, betonte Li. Als weiteres Problemfeld skizzierte Li die steigende Inflationsrate. Vor einem Jahr, so der Chairman and Chief
Executive, habe man sich noch über eine Deflation in China und deren Export in andere Länder gesorgt. „Heute wird argumentiert, China habe seine Inflation nicht mehr im Griff“, kritisierte Li. Auch darum werde ein Anheben der Zinsen gefordert. Dies sei aus Sicht der Chinesen indes auch für dieses Problem der falsche Lösungsansatz. Zur Begründung verwies Li auf die unterschiedlichen Wirtschaftssektoren, in denen Inflation und Deflation aufträten. Während sich die Deflation wegen der hohen Produktivitätsfortschritte auf die Industrie konzentriere, sei die Inflation insbesondere in der Landwirtschaft und bei den Rohstoffen zu beobachten. „Tatsächlich ist dieses Zwillingsphänomen überaus gesund für die chinesische Volkswirtschaft“, sagte Li. „Denn höhere Preise für Rohstoffe und Agrarprodukte und sinkende Preise für Industrieprodukte sind notwendig, um die große Einkommensschere zwischen Stadt- und Landbevölkerung zu schließen.“ Dies sei ein wichtiges, seit langem diskutiertes Problem in China. Li ging ferner auf die Forderungen der westlichen Welt nach einer Aufwertung des Renminbi ein. Nach Auffassung der Chinesen ist der Renminbi nicht unterbewertet. Li begründete dies damit, dass das chinesische Leistungsbilanzdefizit mehr oder weniger im Gleichgewicht sei. Nach Auffassung der Chinesen spreche auch aus dieser Sicht nichts für eine Zinserhöhung. Li begründete dies ferner damit, dass eine Zinserhöhung vor allem auf die Konsumenten durchschlagen würde. Dies sei insofern nicht im Interesse der chinesischen Führung, als diese sich seit Jahren bemühe, die Konsumenten bei einer Sparquote von 28 Prozent zum Geldausgeben zu bewegen. „Die Binnennachfrage in China würde bei einer Zinserhöhung sofort einbrechen – und das ist das letzte, was wir uns für die chinesische Wirtschaft wünschen sollten“, warnte Li. trend 77
Dr. Jürgen Stark Vizepräsident der Deutschen Bundesbank
Jürgen Stark betonte, dass die internationale Arbeitsteilung kein Nullsummenspiel sei. Sie bringe Vorteile für alle. Voraussetzung sei allerdings, dass die Volkswirtschaften flexibel agierten: „Das heißt: Die Bereitschaft zur Innovation und zur Anpassung muss vorhanden sein, ebenso die Bereitschaft, hohe Qualifikationsstandards erreichen zu wollen und auch die Bereitschaft, unternehmerisches Risiko bei verbesserten gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu übernehmen“, sagte der Vizepräsident der Deutschen Bundesbank. Stark hob hervor, dass marktwirtschaftliche Ordnungsprinzipien inzwischen weiter verbreitet seien, als man vor wenigen Jahren noch geglaubt habe. Die „Globalisierung der Marktkräfte“ sei gekennzeichnet durch die Integration vieler, zum Teil sehr großer Volkswirtschaften und solcher, die ein enormes Entwicklungspotenzial hätten. „Auf der anderen Seite haben wir es auch mit der Erweiterung und Vertiefung regionaler Wirtschaftsräume zu tun, mit einer Integration, die in den einzelnen Regionen voranschreitet“, betonte Stark. Dadurch werde der globale Wettbewerb intensiver – zwischen Unternehmen, Standorten und letztlich auch zwischen Volkswirtschaften, konstatierte der BundesbankVizepräsident. Die „Globalisierung der 78 trend
Marktkräfte“ sei eine der wichtigsten Erklärungen für die gegenwärtige Erholung der Weltwirtschaft. „In den meisten Regionen der Welt kann man tatsächlich von einem Aufschwung sprechen, was für Europa allerdings nicht unbedingt der Fall ist“, stellte Stark fest. Seit Mitte der neunziger Jahre habe sich das globale Wachstumsmuster stärker aufgefächert. „Die Vereinigten Staaten haben sich dabei an die Spitze gesetzt. In Asien haben sich die Kräfteverhältnisse zu Gunsten Chinas verschoben, Südamerika ist es nicht gelungen, aus seiner begrenzten Rolle für die internationale Arbeitsteilung herauszuwachsen.“ Die Wachstumsschwäche Europas seit Ende der neunziger Jahre habe die strukturellen Schwächen der europäischen Volkswirtschaften offen gelegt. Gleichwohl sei der Euroraum nicht der große Verlierer der vergangenen Jahre. „Es hat durchaus strukturelle Veränderungen gegeben, die langfristig wirken, so etwa die Einführung des Euro“, betonte Stark. Allerdings habe dies bislang nicht dazu geführt, dass die notwendigen Strukturreformen in den großen Ländern des Euro-Gebietes aktiv durchgeführt worden seien. „Jedoch wird der Euro und der verstärkte Wettbewerb zwangsläufig dazu führen, dass diese Anpassungsprozesse stattfinden“, prognostizierte Stark. Im Prozess der Globalisierung würden jene Wirtschaftsregionen an Bedeutung gewinnen, welche willens und in der Lage seien, die Chancen der Globalisierung aktiv aufzunehmen. Von den Regierungen sei gefordert, die dafür notwendigen günstigen Rahmenbedingungen zu schaffen. „Das heißt aber auch, dass sich die Einstellung jedes Einzelnen ändern muss. Es geht darum, die Eigenverantwortung nicht als Bedrohung, sondern als Chance zu sehen“, betonte der Vizepräsident der Bundesbank. Die Prozesse der Globalisierung bieten nach Auffassung Starks auch bessere wirtschaftliche Integrationsmöglichkeiten für Entwicklungs- und Schwellenländer. Mehrere Studien hätten inzwischen nachgewiesen, dass auch afrikanische Entwicklungsländer höhere Wachstumsraten erreichten, wenn sie bereit
seien, sich in einem regionalen Verbund zu integrieren, ihre Grenzen öffneten und die Bereitschaft zeigten, sich in die Weltwirtschaft zu integrieren. „China und Indien sind hier herausragende Beispiele“, sagte Stark. Nach Einschätzung des BundesbankVizepräsidenten wird sich das „weltwirtschaftliche Gravitationszentrum“ kontinuierlich Richtung China verschieben. Bereits heute gebe es mit China und den Vereinigten Staaten zwei große weltwirtschaftliche Pole. Aber auch Amerikaner und Chinesen hätten ihre jeweils spezifischen Probleme zu lösen, betonte Stark. Die USA müssen nach Auffassung des Bundesbank-Vizepräsidenten etwas gegen ihr hohes Leistungsbilanzdefizit unternehmen, China müsse sich in einigen Dekaden ebenso wie Europa und Japan den Problemen der alternden Gesellschaften stellen. „Entscheidend wird sein, wie diese Länder mit ihren jeweiligen spezifischen Problemen umgehen“, sagte Stark. Europa wiederum müsse vor allem sein Reformtempo steigern. „Eine in etwa ausgeglichene Leistungsbilanz, die inzwischen verbesserte konjunkturelle Lage und die institutionellen Grundlagen bieten gute Voraussetzungen dafür, dass die Herausforderungen gemeistert werden können,“ zeigte sich Stark überzeugt. Allerdings sei es erforderlich, dass das Wachstumspotenzial des Euro-Gebietes erhöht werde. Die Entwicklungen in den USA hätten gezeigt, dass eine höhere Produktivität letztlich nicht Arbeit vernichte, sondern Arbeitsplätze schaffe. „Hierzu bedarf es einer Änderung der Mentalität, um die Akzeptanz von Innovationen zu verbessern und die Umsetzung von Innovationen in Produkte zu erleichtern.“ Die große Aufgabe der wirtschaftlich und politisch Verantwortlichen sei, besser als bisher zu verdeutlichen, dass der Gewinn aus Strukturreformen breit gestreut sei und mögliche Belastungen in der kurzen Sicht überkompensiere. Ferner sei besser deutlich zu machen, dass ein Verzicht oder eine weitere Verzögerung von Reformen hohe volkswirtschaftliche Kosten und Wohlfahrtsverluste nach sich zögen. III. Quartal 2004
... unmöglich machten. „Das eigentliche Problem liegt nicht in der Verlagerung der Produktion an billigere Standorte, sondern auch in unserer fehlenden Fähigkeit, neue und produktivere Arbeitsplätze zu schaffen“, sagte Müller. Alle Regionen der Welt teilten mit der massiven Alterung ihrer Gesellschaften dasselbe Problem. „Zwar wird Europa von dieser Entwicklung als erstes betroffen sein, aber auch die USA und China sehen sich in dieser Hinsicht mit großen Herausforderungen konfrontiert“, betonte Müller. Der entscheidende Erfolgsfaktor im weltweiten Wettbewerb werde die Qualifizierung der Arbeitskräfte und damit der Bildungsstand sein. Indes dürfe sich die bildungspolitische Diskussion nicht allein auf die Ausbildung von Akademikern konzentrieren, sondern müsse auch eine gute Ausbildung von Facharbeitern berücksichtigen. „Nur wer hier Überdurchschnittliches zu bieten hat, wird mittelfristig auch einen überdurchschnittlichen Lebensstandard halten können.“ Dr. Reinhard Uppenkamp Vorstandsvorsitzender Berlin-Chemie AG
Nach Auffassung von Reinhard Uppenkamp ist der entscheidende Faktor für deutsche Unternehmen im internationalen Wettbewerb die Fähigkeit, Wertschöpfungsketten zu globalisieren. „Deutsche Unternehmen müssen entscheiden, welche Stufen der Wertschöpfungskette sie in Niedriglohnländer verlagern wollen. Zudem können sie gleichzeitig Marktpotenziale in diesen Ländern erobern“, sagte III. Quartal 2004
Uppenkamp. Parallel dazu gelte für die Beschaffung, wertschöpfungsrelevante Vorprodukte für Industrieprodukte in Niedriglohnländern einzukaufen. „Die Globalisierungsprozesse sind Realität“, so der Vorstandsvorsitzende der Berlin-Chemie AG, „in einzelnen Branchen werden sie aber mit einer unterschiedlichen Dynamik betrieben“. Während ganze Industriezweige wie die Unterhaltungselektronik oder die Textilproduktion bereits aus Deutschland abgewandert seien, würden sich diese Prozesse in der Chemie- und Pharmaproduktion auch künftig langsamer entwickeln, prognostizierte Uppenkamp. Der deutsche Mittelstand müsse sich gut überlegen, welche Prozesse ins Ausland verlagert werden sollen. Ohne profunde Analyse solle keine Entscheidung getroffen werden, Wertschöpfungsketten in Geschäftsbereichen zu globalisieren, warnte er. „Was jedoch früher lediglich als Option galt, kann heute entscheidend für den zukünftigen Erfolg des Unternehmens sein.“ Eine halbherzige Umsetzung von Globalisierungsschritten oder überstürzte Aktionen seien jedoch mit beträchtlichen Risiken verbunden, warnte der Vorstandschef der Berlin-Chemie AG. Eine einmal getroffene Entscheidung müsse indes mit äußerstem Nachdruck und hoher Priorität realisiert werden.
Gesichtspunkten zu betrachten. Diese müssten wie bei der amerikanischen Außenpolitik mit sicherheitspolitischen Fragen kombiniert werden. „Bei langfristigen Investitionen in Asien müssen auch die Risikofaktoren kalkuliert werden“, mahnte Voigt. „Das, was wir unter islamischem Extremismus für den Mittleren und Nahen Osten diskutieren, ist auch in weiten Teilen Asiens ein Problem.“ Für Investoren spiele dies insbesondere in Indonesien, Malaysia oder den Philippinen eine wichtige Rolle. „Ich glaube, die asiatischen Führungen erwarten, dass wir uns als Europäer auch an der Diskussion und der Lösung sicherheitspolitischer Probleme im asiatischen Raum beteiligen“, sagte Voigt. Zur innenpolitischen Reformpolitik bemerkte der Koordinator für die deutsch-amerikanische Zusam-
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Karsten D. Voigt Koordinator für die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit, Auswärtiges Amt Karsten Voigt warnte europäische Wirtschaftspolitiker und Investoren davor, Asien allein unter ökonomischen trend 79
terte Wiegard, „das war lange Zeit nicht der Fall. Wir sind erheblich hinter dem EU-Durchschnitt zurückgeblieben.“ Zu den wichtigsten Reformfeldern der Bundesregierung zählt der Wissenschaftler den Arbeitsmarkt und das Steuerrecht. Der Arbeitsmarkt in der Bundesrepublik sei viel zu unflexibel, um neue Beschäftigungsimpulse zu geben. Das deutsche Steuerrecht ist nach Auffassung des Wirtschaftsweisen investitionsfeindlich: „Deutschland hat – gemessen an der Belas-
... menarbeit im Auswärtigen Amt, dass die Bevölkerung „sehr abstrakt für die Modernisierung“ sei. Sobald diese aber konkret und mit Belastungen für einzelne Bevölkerungsgruppen verbunden wird, werde jede Partei, die in Deutschland Reformen in Gang setze, bestraft. „Das wichtigste ist, dass wir in Deutschland eine Konkurrenzsituation schaffen müssen, die dieses Land fit für die Globalisierung macht“, bemerkte Voigt. Über die Konzepte könne man zwar streiten, Bezugspunkt für jeden Reformer aber müsse sein, dass sich Deutschland nicht von der Globalisierung abkoppeln könne. „Deshalb ist es sehr wichtig, dass die Reformkräfte innerhalb der beiden großen Volksparteien weiter dominieren.“
sierte der Ökonom. In den Vereinigten Staaten werde die Wirtschaftsleistung im laufenden Jahr um rund 4,6 Prozent zunehmen, in Lateinamerika um 3,8 Prozent, in China um acht Prozent und selbst Japan werde mit einer prognostizierten Wachstumsrate von rund vier Prozent Europa weit hinter sich lassen, gab Wiegard zu bedenken. Im Euro-Raum sei indes nur mit einer Wachstumsrate von etwa 1,8 Prozent zu rechnen. „Deutschland nähert sich jetzt dem Durchschnitt des Wachstums im Euro-Raum“, erläu-
tung der unternehmerischen Gewinne – die höchste Steuerbelastung in der OECD“, kritisierte Wiegard. „Da müssen die Reformen ansetzen.“
Prof. Dr. Wolfgang Wiegard Vorsitzender des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung Der Wirtschaftsweise Wolfgang Wiegard betonte, dass Europa beim Wachstum hinter den anderen großen Wirtschaftsregionen der Welt zurückbleibe. „Wir haben definitiv keine Chance, das in Lissabon gesetzte Ziel zu erreichen, bis zum Jahr 2010 die dynamischste Wirtschaftsregion der Welt zu werden“, sagte Wiegard. Dynamik entstehe durch die Zuwachsrate des Bruttosozialprodukts, „aber da schneidet Europa im Vergleich zu allen anderen Regionen seit Jahren schlecht ab“, kriti80 trend
III. Quartal 2004
Industrienation Deutschland 2010: Staatsversagen oder Aufbruch
Podium II In das Thema „Industrienation Deutschland 2010: Staatsversagen oder Aufbruch“ führten ein: Friedrich Merz MdB, Stellv. Vorsitzender der CDU/ CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag sowie Dr. Michael Rogowski, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie e.V. Unter der Moderation von Carl Graf Hohentahl, Stellv. Chefredakteur Die Welt, diskutierten: Wilhelm BonseGeuking, Vorsitzender des Vorstandes Group Vice President Europe, Deutsche BP AG; Hermann-Josef Lamberti, Mitglied des Vorstandes Deutschen Bank AG; Prof. Dr. Bernhard Scheuble, Vorsitzender der Geschäftsführung Merck KGaA sowie Prof. Dr. Horst Teltschick, Präsident Boeing Deutschland, Boeing International Corporation. III. Quartal 2004
Wilhelm Bonse-Geuking Vorsitzender des Vorstandes Group Vice President Europe, Deutsche BP AG
ben auf Kosten der nächsten Generation müsse beendet werden. „Es muss einen grundlegenden Mentalitätswandel geben“, forderte Bonse-Geuking. Nach den Worten des BP-Vorstandschefs werden
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Wilhelm Bonse-Geuking kritisierte, dass in Deutschland unverändert die Auffassung vorherrsche, das Land sei Spitze. „Wir sind es nicht, wir sind der kranke Mann Europas“, sagte Bonse-Geuking. Wäre Deutschland ein Unternehmen, würde man sich eine Neuausrichtung, eine neue Unternehmenskultur und die Straffung der Organisations- und Entscheidungsstrukturen zum Ziel setzen, betonte Bonse-Geuking. Übertragen auf die politischen Herausforderungen, könne vom Aufbruch erst dann gesprochen werden, wenn folgendes erreicht sei: Leistungswille, Eigenverantwortung und Investitionen in Wissen, müssten wieder an erster Stelle stehen. Die hoffnungslos überlasteten Staatsbudgets und Sozialsysteme müssten saniert werden. Das Letrend 81
Friedrich Merz MdB Stellv. Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion im Deuschen Bundestag nur noch 32 Prozent der Bevölkerung in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis stehen, aber mittlerweile 41 Prozent der Erwachsenen aus sozialen Transfersystemen leben, aus der Arbeitslosenversicherung, der Arbeitslosenhilfe, der Sozialhilfe und der Rentenversicherung?“, fragte Merz. 100.000 Arbeitslose weniger oder 100.000 Beschäftigte mehr bedeuten nach den Worten des Unionspolitikers zwei Milliarden € Unterschied für den Staatshaushalt. „Oder anders gewendet: 1,2 Millionen Beschäftigte weniger in den letzten zweieinhalb Jahren sind Mindereinnahmen und Mehrausgaben für den Bundeshaushalt und die Bundesagentur für Arbeit von 24 Milliarden €“, betonte Merz. Friedrich Merz erinnerte daran, dass sich unmittelbar nach der Wiedervereinigung viele Beobachter in den europäischen Nachbarstaaten nicht nur vor einem politischen, sondern auch vor einem ökonomischen Übergewicht der Bundesrepublik gefürchtet hätten. „Heute ist dagegen nur noch vom kranken Mann Europas die Rede“, stellte Merz fest. Deutschland ziehe das Wachstum der gesamten Europäischen Union nach unten und müsse sich inzwischen Mahnungen seiner Nachbarn hinsichtlich seiner verfehlten Wirtschafts- und Haushaltspolitik anhören. „Dieses Land steckt in einer tiefen strukturellen Wachstums- und Beschäftigungskrise“, betonte Merz, „die sich mittlerweile fundamental auf dem Arbeitsmarkt und in einer größer werdenden Wachstumslücke zu unseren europäischen und außereuropäischen Partnern bemerkbar macht.“ Seit Februar 2001 bis zum Frühjahr dieses Jahres sei die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten von 27,6 auf nur noch 26,4 Millionen Menschen gesunken. „Ist uns eigentlich klar, was es bedeutet, wenn ein Volk von 82 Millionen Menschen nur noch etwas mehr als 26 Millionen Beschäftigte hat, 82 trend
Er wies auf die Größenordnung hin, die sich im Vergleich mit der Diskussion um die Abschaffung der Eigenheimzulage ergebe. „Wegen der gegebenen Zusagen könnten 2005 nur rund 250 Millionen € im Bundeshaushalt eingespart werden – das ist soviel, wie der Bundesfinanzminister gegenwärtig in zweieinhalb Tagen an Zinsen braucht, um die Bundesschuld zu bedienen.“ Merz betonte ferner, dass sich die Rolle Deutschlands als Exportnation in den zurückliegenden Jahren spürbar verschlechtert habe. „Es ist falsch zu behaupten, dass die Bundesrepublik Deutschland nach wie vor stärkste Exportnation sei und die Stärke des Exports der Beleg für die Stärke der Volkswirtschaft ist“, betonte Merz. Die Wahrheit sei vielmehr, dass Deutschland seit etwa einer Dekade kontinuierlich Weltmarktanteile verliere. Der Anteil der Bundesrepublik am Welthandel habe vor rund zehn Jahren noch zwölf Prozent betragen, heute liege er nur noch bei neun Prozent. „Deutschland verliert also an relativer Stärke an den Handelsmärkten dieser Welt“, sagte Merz. „Der Anteil der deutschen Volkswirtschaft hält nicht
Schritt mit dem Wachstum der Weltwirtschaft.“ Der Fraktionsvize der CDU/CSU im Bundestag zitierte aus einem aktuellen Monatsbericht der Bundesbank, wonach Deutschland im Jahr 2003 erstmals nicht Vermögen aufgebaut, sondern abgebaut hat. „Das heißt, wir können mit Fug und Recht sagen, dass dieses Land nicht nur von der Substanz lebt, sondern wir bereits heute auf Kosten unserer Kinder leben“, betonte Merz. „Das ist nicht nur unsozial, dies ist unmoralisch für eine Gesellschaft wie die der Bundesrepublik Deutschland.“ Merz schlug vor, anspruchsvolle Ziele zu formulieren. „Unser Ziel müsste sein, dieses Land innerhalb von einer Dekade von der Schlussposition in der Europäischen Union wieder in eine Spitzenposition zu führen“, bei allen Zukunftstechnologien müsse sich Deutschland zum Ziel setzen, mindestens unter den ersten Dreien der Welt zu sein, sagte Merz. Dies setze indes eine ungeheure Anstrengung voraus, „eine geistige Anstrengung, eine politische Anstrengung, aber auch manche materielle Zumutung.“ Die wirtschaftspolitische Reformagenda muss nach den Worten des CDU-Politikers einer strengen Prioritätenliste folgen. „Die absolute Priorität hat für mich und für uns in der Union unverändert der Arbeitsmarkt“, stellte Merz klar. „Es muss wieder einen Arbeitsmarkt geben und nicht die Bewirtschaftung von Arbeitslosigkeit.“ Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt müssten möglichst ohne übermäßige staatliche und tarifvertragliche Regulierung zueinander finden, betonte Merz. „Ich bin der festen Überzeugung, dass die Tarifvertragsparteien in Deutschland nur dann eine Zukunft haben, wenn sie es ermöglichen, dass innerhalb der Tarifverträge auf betrieblicher Ebene von deren Kernbestandteilen abgewichen werden kann.“ III. Quartal 2004
Dr. Michael Rogowski Präsident Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. zweite Euro durch die Hände des Staates“, kritisierte der Industriepräsident. Der Staat müsse sich endlich wieder auf seine Kernaufgaben besinnen, betonte Rogowski. Dazu zählen nach seiner Auffassung beispielsweise die Garantie der Rechtsstaatlichkeit und die Sicherung der inneren und äußeren Ordnung. Bis 2010 müsse die Staatsquote auf 40 Prozent reduziert werden. „Andere Länder haben gezeigt, dass dies möglich ist“, betonte der BDI-Chef. Dazu gehöre auch, dass Subventionen konsequent abgebaut werden. Rogowski schlug einen Richtwert von pauschal zehn Prozent Kürzungsvolumen pro Jahr vor.
„Freiheit wagen, Fesseln sprengen“ – unter dieses Leitmotiv stellte BDI-Präsident Michael Rogowski die Reformagenda des Industrieverbandes. Die Industrie steht nach den Worten Rogowskis wie kein anderer Wirtschaftszweig im Fokus des strukturellen Wandels. Dieser Strukturwandel werde durch drei Megatrends angetrieben: Durch die Tertiarisierung der Wirtschaft, die Globalisierung und die Informatisierung. Gleichzeitig bilde sich ein neuer Sektor aus Industrie und Dienstleistungen, beide Sektoren bedingten sich gegenseitig, erläutere Rogowski. „In den letzten Jahren hat sich gezeigt, dass wesentliche Impulse für Wachstum und Beschäftigung des Dienstleistungssektors von wichtigen Kernbereichen der Industrie ausgehen“, so Rogowski weiter. Die Politik sei aufgefordert, diesen Strukturwandel konstruktiv zu begleiten. Sie müsse die Rahmenbedingungen so gestalten, dass mehr Wachstum möglich werde und sich Deutschland im Standortwettbewerb behaupten könne. „Die Frage muss immer sein: Kann es der Staat wirklich besser?“ Nur ein schlanker Staat schafft nach den Worten Rogowskis Handlungsspielräume für Bürger und Unternehmen. „Bei einer Staatsquote von fast 50 Prozent aber geht annähernd jeder III. Quartal 2004
Ferner forderte der BDI-Präsident, die Belastungen für Unternehmer und Arbeitnehmer zu senken. „Nur dann entsteht mehr Raum für Investitionen und Eigeninitiative.“ Deutschland gehöre nach wie vor zu den Hochsteuerländern, dies gelte insbesondere für die Unternehmen. Dies werde im europäischen Standortwettbewerb immer offensichtlicher, sagte Rogowski. Das Steuersystem müsse vereinfacht, die Unternehmenssteuern gesenkt und die Gewerbesteuer ersetzt werden. Zudem dürfe die Vermögenssteuer nicht wieder eingeführt werden. Die Summe der Sozialversicherungsbeiträge liege mit rund 42 Prozent vom Bruttoeinkommen ebenfalls auf einem viel zu hohen Niveau, wodurch der Faktor Arbeit weit über Gebühr belastet werde. „Notwendig sind trotz aller bereits begonnenen Reformen im Rahmen der Agenda 2010 weitere Strukturreformen in den Systemen der sozialen Sicherung“, unterstrich Rogowski. Dies bedeute auch eine Abkoppelung der Sozialversicherungsbeiträge vom Faktor Arbeit, insbesondere in der gesetzlichen Krankenversicherung. Dies erfordere ebenso eine Heraufsetzung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre, die Beseitigung jeglicher Anreize zur Frühverrentung sowie bessere Rahmenbedingungen für eine kapitalgedeckte Altersvorsorge. „Nur wenn überflüssige Regulierungen abgeschafft werden, können wir Wachstumskräfte entfesseln und Beschäftigung schaffen“,
sagte Rogowski. In Deutschland werde nach wie vor vieles bis ins letzte Detail reguliert, monierte der BDI-Präsident. Staatlich verursachte Bürokratie koste deutsche Unternehmen jedes Jahr 46 Milliarden €. „Hier müssen wir ansetzen“, forderte Rogowski. „Statt jedoch Regulierungen abzubauen, bringt die Politik neue Regulierungen für die Wirtschaft ins Spiel.“ Als Beispiel führte der BDI-Präsident die Diskussion um die Ausbildungsplatzabgabe an, die nur durch einen Ausbildungspakt zwischen Regierung und Wirtschaft habe verhindert werden können. Auch auf dem Arbeitsmarkt müssten Regulierungen abgebaut werden. Der Kündigungsschutz müsse weiter gelockert werden, um die Markteintrittsbarrieren für Arbeitslose zu senken. „Wir brauchen zudem mehr Gestaltungsspielräume für die betriebliche Ebene, unter anderem bei Lohn- und Arbeitszeitfragen“, betonte der Industriepräsident. „Für betriebliche Bündnisse für Arbeit muss die entsprechende gesetzliche Grundlage geschaffen werden.“ Ferner forderte Rogowski mehr Mut für Innovationen ein. Nur dann könne die internationale Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands verbessert werden. „Das heißt vor allem: Mut zu Neuem und weniger Denken in Tabuzonen.“ Beispiele seien die Gentechnik oder die Diskussion um die künftige Energieversorgung. Der Industriepräsident hob zudem die Bedeutung von Zukunftsinvestitionen hervor. Während Deutschland 2,4 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Forschung und Entwicklung ausgebe, seien es in den USA 2,8 Prozent, in Finnland 3,5 Prozent, in Schweden sogar 4,3 Prozent des BIP. „Wir brauchen andere Prioritäten“, unterstrich Rogowski. Die Handlungsfähigkeit des Staates sei eine zentrale Voraussetzung, um die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit von Wirtschaft und Gesellschaft zu sichern. Daher müsse auch das föderale System reformiert werden, damit Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten wieder klar zuweisbar seien. trend 83
Reformpolitik aus einem Guss. So müssten sich etwa die Flächentarifverträge auf die Vorgabe breiter Korridore für Löhne und Arbeitszeiten beschränken. Um die gefährdete Innovationsfähigkeit des Landes zu sichern, müssten bürokratische Hemmnisse, restriktive Forschungsetats in staatlichen Institutionen und der Mangel an jungen Fachkräften beseitigt werden, forderte Lamberti. „Der Aufbruch in die Innovationsgesellschaft beginnt freilich in den Köpfen.“ Prof. Dr. Bernhard Scheuble Vorsitzender der Geschäftsführung Merck KGaA
... die notwendigen Maßnahmen indes von einem „exzessiven Föderalismus, einem vermachteten Verbändestaat und der damit verbundenden Schwerfälligkeit der Entscheidungsprozesse“ verhindert. BonseGeuking schlug vor, die Zahl der Bundesländer zu reduzieren und die Wahltermine zu konzentrieren. Auf Bundesebene solle eine fünfjährige Legislaturperiode eingeführt werden. Bonse-Geuking kritisierte ferner die Macht der Gewerkschaften in den Unternehmen und Sozialversicherungssystemen. Den Betrieben müsse mehr Freiraum gegeben werden: mehr betriebliche Flexibilität bei Tarifverträgen, mehr Abweichmöglichkeiten vom Flächentarif und verschärfte Anforderungen an die Erklärung der Allgemeinverbindlichkeit. Hermann-Josef Lamberti Mitglied des Vorstandes Deutsche Bank AG Hermann-Josef Lamberti sieht grundsätzlich gute Chancen für eine Überwindung der wirtschaftlichen Stagnation. „Aber der Aufschwung ist kein Selbstläufer“, betonte das Vorstandsmitglied der Deutschen Bank. Bislang sei die konjunkturelle Erholung in Deutschland vom Ausland geborgt, weil die Binnenkonjunktur nicht in Fahrt komme. „Eine verlässliche, vertrauensbildende Wirtschaftspolitik kann viel dazu beitragen, dass ein selbsttragender Aufschwung in Gang kommt.“ Nach Auffassung Lambertis sind die ersten Schritte hierfür bereits getan. „Aber viele Partnerländer sind uns bei der 84 trend
Liberalisierung der Märkte und bei der Entlastung der Unternehmen von Bürokratie, Steuern und Abgaben deutlich voraus.“ Während der Staat in Deutschland noch immer auf 48 Prozent des Sozialprodukts zugreife, liege die Staatsquote im Durchschnitt der Industriestaaten bei nur 40 Prozent. In einer solchen Lage seien wohlfeile Forderungen nach einer Reformpause kontraproduktiv, merkte Lamberti an. „Sie passen nicht zu den Herausforderungen der EU-Osterweiterung und der weltwirtschaftlichen Integration Indiens und Chinas.“ In Deutschland müsse akzeptiert werden, dass der Staat nicht alles regeln könne. „Der Staat ist nicht die Lösung, sondern die Ursache mangelnder Wirtschaftsdynamik“, sagte Lamberti. Deutschland müsse mehr Freiheit wagen, dies sei das geeignete Motto für eine
Die Position der „Apotheke der Welt“ habe Deutschland unwiederbringlich verloren, kritisierte Scheuble. Im letzten Jahrzehnt sei die Gesundheitspolitik allein durch das Bestreben zur Kostendämpfung gekennzeichnet gewesen. Dies habe die wirtschafts- und forschungspolitischen Belange völlig außer Acht gelassen und damit dem Pharmastandort Deutschland einen schweren Schaden zugefügt, monierte Scheuble. „Außerdem können mit primär auf Kostendämpfung ausgerichteten Gesundheitsreformen weder kurzfristig die strukturellen Qualitäts- und Effizienzprobleme des Systems, noch mittelfristig die finanziellen Probleme der gesetzlichen Krankenversicherungen gelöst werden.“ Arzneimittelforschung am Standort Deutschland ist nach Auffassung Scheubles Voraussetzung dafür, dass Innovationen in der Arzneimitteltherapie auch in Zukunft den deutschen Patienten unmittelbar und ohne zeitliche VerzögeIII. Quartal 2004
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... rung zur Verfügung stünden. „Für diese Forschung gibt die Industrie jeden Tag zehn Millionen € aus“, unterstrich Scheuble. Dies sei indes angesichts der Politik der vergangenen Jahre nicht mehr selbstverständlich, da Arzneimittel und insbesondere Innovationen ausschließlich als Kostentreiber und nicht als Chance für die Patienten und den Forschungsstandort verstanden würden. „Aus industriepolitischer Sicht muss man hier von Staatsversagen sprechen“, resümierte Scheuble. Angesichts dieser Lage müsse die Politik nun die Frage beantworten, ob Deutschland ein attraktiver Forschungsstandort für medizinisch-therapeutischen Fortschritt mit einer forschungsintensiven Pharmaindustrie bleiben wolle. „Oder will Deutschland gänzlich absteigen zum Absatzmarkt für importierte medizinische Produkte und Dienstleistungen?“, fragte Scheuble. Prof. Dr. Horst Teltschick Präsident Boeing Deutschland, Boeing International Corporation
Konstante geworden, was bei den Bürgern Sorgen und Ängste auslöse. „Sie können ihre eigenen Zukunftschancen nicht einschätzen, und sie vermissen überzeugende Antworten auf ihre dringlichen Fragen und Befürchtungen.“ Nach Auffassung Teltschicks hat es die Politik versäumt, klare und überzeugende Ziele zu formulieren sowie entsprechende Maßnahmen vorzubereiten und durchzusetzen. „Es fehlen die Richtlinien in der Politik, die für die Bürger Sicherheit und Orientierung anbieten“, monierte Teltschick. Kompetenz sei in der Politik zufällig. „Es gibt keine definierten Kriterien, noch gezielte Verfahren für die
Rekrutierung von politischen Mandatsträgern.“ Dies führe dazu, dass die Regierung immer häufiger auf externe Berater angewiesen sei. „Auch die Führungskräfte in der Wirtschaft und in den Wirtschaftsverbänden können sich nicht vom eigenen Versagen freisprechen“, kritisierte der BoeingPräsident. Sie würden ihrer gesellschaftspolitischen Verantwortung vielfach nicht gerecht oder seien sich dieser nicht bewusst. „Das Auftreten einzelner Wirtschaftsführer beeinträchtigt erheblich die Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft wirtschaftspolitisch gerechtfertigter Forderungen.“
Horst Teltschick beklagte, dass die Probleme unserer Wirtschafts- und Sozialordung seit über zwei Jahrzehnten bekannt seien. „Wir sind Weltmeister in der Analyse, aber Kreisklasse in der Durchsetzung“, konstatierte Teltschick. Nationale Lösungen der Wirtschaftspolitik reichten nicht mehr aus. Politische und wirtschaftliche Entscheidungen hätten heute eine globale Dimension. „Politiker und Mandatsträger denken und handeln aber häufig nicht über ihren Wahlkreis hinaus“, kritisierte Teltschick. Der gesellschaftliche Wandel sei zur III. Quartal 2004
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Aufstand der Jugend – für eine Zukunft im eigenen Land
Podium III In das Thema ,,Aufstand der Jugend – für eine Zukunft im eigenen Land“ führte ein: Philipp Mißfelder, Bundesvorsitzender der Jungen Union Deutschlands. Unter der Moderation von Dr. Peter Gillies diskutierten: Günter Dibbern, Vorsitzender des Vorstandes DKV Deutsche Krankenversicherung AG; Dorlies Last, Bundesvorsitzende des Rings Christlich-Demokratischer Studenten; Hildegard Müller MdB, Mitglied des Präsidiums der CDU Deutschlands; Nikolaus Schweickart, Vorsitzender des Vorstandes der Altana AG; Prof. Dr. Dagmar Schipanski, Thüringer Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kunst. 86 trend
Günter Dibbern Vorsitzender des Vorstandes DKV Deutsche Krankenversicherung AG Günter Dibbern erläuterte, dass die Sozialausgaben im Jahr 2002 mit rund einem Drittel des Bruttoinlandsprodukts auf den höchsten Stand in der Geschichte der Bundesrepublik geklettert seien. Die Schulden der gesetzlichen Krankenkassen beliefen sich auf fünf bis sechs Milliarden €, hinzu kämen fehlende Reserven von vier Milliarden €. „Das Ziel der Gesundheitsreform, die Beiträge auf 13,6 Prozent zu senken, rückt damit in weite Ferne“, sagte Dibbern. Das Umlageverfahren sei nicht mehr zur Finanzierung der gesetzlichen Kassen geeignet. Es könne die Folgen der alternden Bevölkerung nicht mehr bewältigen. Im Jahr 2002 hätten Rentner zwar 48 Prozent der Leistungs-
ausgaben verursacht, aber nur 22 Prozent zu den Beitragseinnahmen der gesetzlichen Krankenkassen beigetragen. Der durchschnittliche Monatsbeitrag eines Rentners betrage nur 149 €, erwerbstätige Mitglieder der Krankenkassen zahlten hingegen durchschnittlich 263 € pro Monat. „Zum Alterungsprozess hinzu kommt, dass die Gesundheitsausgaben nicht nur mit zunehmendem Alter steigen, sondern diese Steigerung überproportional ausfällt“, sagte Dibbern. Ein Sechzigjähriger verursache mehr als die doppelten Gesundheitsausgaben eines Zwanzigjährigen, bei einem Achtzigjährigen erhöhten sich die Ausgaben auf das 5,5-fache. „Es bedarf einer Generationensolidarität, bei der keine Generation zu Lasten einer anderen Generation Ressourcen verbraucht“, forderte Dibbern. „Jede Generation muss ihre eigenen Kosten traIII. Quartal 2004
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Philipp Mißfelder Bundesvorsitzender der Jungen Union Deutschlands
Philipp Mißfelder erinnerte an die neunziger Jahre. Bereits damals seien die demographischen Probleme bekannt gewesen und dennoch habe die damalige CDU-Regierung sehenden Auges eine umlagefinanzierte Pflegeversicherung eingeführt. „Das war verantwortungslos.“ Zwar seien die Finanznöte der gesetzlichen Pflegeversicherung in der aktuellen politischen Diskussion nur ein Randthema, bemerkte Mißfelder. Dennoch werde der Beitragssatz dort ohne strukturelle Reformen in den kommenden Jahrzehnten von heute 1,7 Prozent auf 5,6 Prozent explodieren, mahnte der Bundesvorsitzende der Jungen Union. „Das heißt, allein die Pflegeversicherung könnte die Ergebnisse jahrelanger Reformpolitik einer zukünftigen Bundesregierung in anderen Bereichen der Sozialversicherung zunichte machen.“ Mißfelder kritisierte ferner die Tarifvertragsparteien. Sowohl Gewerkschaften als auch Arbeitgeberverbände hätten in den vergangenen Jahren zur Praxis der Frühverrentung beigetragen. „Das hat dazu geführt, dass wir schon heute, vor Beginn der demographischen Krise, große Finanzierungsprobleme in der gesetzlichen Rentenversicherung haben.“ Mißfelder betonte, Deutschland habe zudem den unflexibelsten Arbeitsmarkt in Europa, das höchste Maß an Bürokratie und Sozialsysteme, die ohne III. Quartal 2004
grundlegende Veränderung für die jüngere Generation zu einem „Ausbeutungsystem“ würden. Für die Jungen werde angesichts der aufgetürmten Lasten in den Sozialsystemen und der ausufernden Staatsverschuldung nur sehr wenig bleiben, beklagte der Bundesvorsitzende der Jungen Union. „Wenn sich Erwerbsverhalten und Lebensarbeitszeit nicht ändern, wird in Zukunft ein Erwerbstätiger für einen Ruheständler aufkommen müssen, darf dabei fast ein Drittel seines Einkommens für die Krankenversicherung ausgeben und soll die Staatsverschuldung abtragen, die durch ungedeckte Pensionszusagen in ganz neue Dimensionen vorstoßen wird.“ Solche Perspektiven sind nach den Worten Mißfelders für junge, leistungsbereite Menschen häufig der Grund, ins europäische Ausland oder in die USA abzuwandern. Sie sähen ihre persönliche Zukunft nicht mehr in diesem Land. „Wir haben mittlerweile einen massiven Brain-Drain, der zwangsläufig dazu führt, dass unsere besten Köpfe sich der Teilhabe an unserer Gesellschaft und an der Zukunft der Bundesrepublik verweigern“, machte Mißfelder deutlich. Viel zu hohe Steuern, ein ausufernder Sozialstaat und nicht zuletzt die schlechten Perspektiven, die sich für Leistungsträger hier zu Lande böten, seien die Gründe für diese Entwicklung. „Dies können und dürfen wir uns nicht leisten, weil wir ohnehin im Bereich der Topqualifizierten eine viel größere Nachfrage haben werden als ein Angebot vorhanden ist.“ Abwanderung sei nicht mehr nur auf Ostdeutschland beschränkt, sondern betreffe inzwischen das ganze Land, unterstrich Mißfelder. „Wir müssen alles dafür tun, diese Menschen in Deutschland zu halten, ihnen Perspektiven zu bieten, Aufstiegsmöglichkeiten zu geben und ihren Ehrgeiz zu wecken, unser Land mitzugestalten und wieder nach vorne zu bringen.“ Patriotismus allein werde dafür indes nicht ausreichen, zumal dieser in Deutschland eine nur geringe Bindungskraft entfalte. Es bleibe darum nur, eine gesellschaftliche Stimmung zu erzeugen, in der Leistung sich wieder lohne und nicht das Gefühl vorherrsche, dass Leistung per-
manent bestraft werde. „Deswegen fordere ich im Interesse meiner Generation, uns auf die Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft zurückzubesinnen und diese auch zu verwirklichen.“ Aus der Sicht Mißfelders sind dabei drei Leitprinzipien von zentraler Bedeutung: Die Individualität, die Subsidiarität und die Solidarität der Sozialsysteme. „Wie bei der Rente und der Pflegeversicherung stehen wir auch im Gesundheitssystem vor der Herausforderung, dem demographischen Wandel und den Interessen der jungen Generation gerecht zu werden“, sagte Mißfelder. Dies könne jedoch nur erreicht werden, wenn auch im Gesundheitssektor eine kapitalgedeckte Altersvorsorge eingeführt werde, wie sie die Herzog-Kommission vorgeschlagen habe. „Ohne ein solches Element der Zukunftsvorsorge wird auch ein Prämiensystem auf lange Sicht scheitern – mit katastrophalen Folgen für das Versorgungsniveau und die Wirtschaft“, warnte der Bundesvorsitzende der Jungen Union Deutschlands. Eine solche Reform ohne Zukunftsfähigkeit wäre jedoch die hohen politischen Kosten nicht wert, die bei dem Umbau des Gesundheitssektors auf ein Prämienmodell ohnehin entstünden. Die Zukunftsfähigkeit Deutschlands stehe auch beim Thema Steuern auf dem Spiel. „Ein grundlegender, das heißt an die Wurzel gehender Umbau des Steuersystems in seiner ganzen Struktur ist unerlässlich, wenn für leistungsbereite Menschen wieder Perspektiven geschaffen werden sollen.“ Die hohe Grenzbelastung, die schon bei mittleren Einkommen einsetze, und die unüberschaubare Komplexität der Unternehmensbesteuerung machten Leistungsanreize zunichte, auch und gerade für neu gegründete und innovative Unternehmen. „Das deutsche Steuersystem ist eine Innovationsbremse ersten Ranges“, konstatierte Mißfelder. Der Bundesvorsitzende der Jungen Union machte eindringlich deutlich, dass nicht mehr lange über den besten Weg für Reformen gerungen werden könne. „Wir haben schon viel zu lange über den besten Weg diskutiert, statt darüber nachzudenken, wie wir ihn am schnellsten durchsetzen.“ trend 87
gehälter im Laufe ihres Berufslebens, Familien verfügten nur über 65 Prozent des Einkommens kinderloser Paare. Ferner wies Last auf die künftigen Belastungen der heute jungen Generation hin. „Die heutige Jugend sieht sich mit kaum lösbaren Problemen konfrontiert – die Jugendarbeitslosigkeit steigt, die Staatsschulden ebenso und die Beitragszahler der Sozialversicherungssysteme können künftig kaum mehr mit einer staatlichen Rentenversicherung rechnen.“ Mit Verweis auf die 14. Shell-Jugendstudie kriti-
... gen und das Mittel der ersten Wahl zur Umsetzung dieses Ziels ist mehr Kapitaldeckung im Gesundheitswesen.“ Bei den privaten Krankenversicherern sei dieses
verbunden. Darum müsse alles dafür getan werden, die Geburtenrate von heute nur noch 1,4 Kindern pro Frau wieder zu erhöhen. Die niedrige Geburtenrate und die zunehmende Kinderlosigkeit vieler Paare seien verantwortlich für das Scheitern des Generationenvertrages. „Dieser beruht nicht nur darauf, durch das Einzahlen von Beiträgen künftige Ansprüche zu erwerben, sondern auch darauf, Kinder aufzuziehen, die durch ihre späteren Beiträge für die Rente der heute Erwerbstätigen aufkommen“, unterstrich Last. Die RCDS-Vorsitzende beklagte, dass Kinder nach wie vor ein hohes Armutsrisiko darstellten. Eltern mit Kindern verzichteten im Durchschnitt auf 15 Jahres-
sierte Last zudem, dass Jugendliche in Ost und West ihre gesellschaftliche Zukunft „eher düster“ einschätzten. Der Mangel an Perspektiven zeige sich zunehmend
Ziel durch Altersrückstellungen bereits erreicht, diese seien daher auch ein geeignetes Vorbild für eine Reform der gesetzlichen Krankenversicherung. Dorlies Last Bundesvorsitzende des Rings Christlich-Demokratischer Studenten „Junge Leute sind der wichtigste Rohstoff unseres Landes“, betonte Dorlies Last. „Sie sind ein wichtiger Garant für die Innovationsfähigkeit.“ Wohlstand und Wirtschaftswachstum seien untrennbar mit der Altersstruktur einer Gesellschaft 88 trend
III. Quartal 2004
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... auch unter jungen Akademikern. Die Folge sei, dass sich die jüngere Generation enttäuscht von der Politik abwende. „Die Jugendlichen werden das Vertrauen in die politischen Systeme nur zurückgewinnen, wenn ihnen eine ehrliche Perspektive geboten wird.“ Hildegard Müller MdB Mitglied des Präsidiums der CDU Deutschlands Mit Verweis auf die jüngsten Zahlen des Statistischen Bundesamtes erläuterte Hildegard Müller, dass im Jahr 2030 auf rund 100 Menschen im erwerbsfähigen Alter 71 Ruheständler kämen. Heute seien es 44. „Dies würde bedeuten: Die heute junge Generation erbt von der alten Entwicklung nicht verursacht habe. Ziel beim Umbau der Sozialsysteme müsse sein, die Lohnzusatzkosten zu senken. „Dabei darf man aber nicht verkennen, dass keine wirkliche Reform auf Dauer zu dem Ergebnis führen wird, die Aufwendungen für die soziale Sicherung insgesamt zu senken.“ An den Kosten der veränderten Demographie wird sich die Politik nach den Worten Müllers nicht vorbeimogeln können. Eine Konsequenz dieser Entwicklung werde sein, dass ein Teil der Kosten der sozialen Sicherung in die individuelle Eigenverantwortung der Bürger gegeben werden müsse. „Wer den Bürgern hingegen verspricht, dass Eigenverantwortung vermeidbar und kapitalge-
deckte Ergänzungen der solidarischen Sicherung verzichtbar seien, der verkennt die Lage oder spricht bewusst die Unwahrheit“, kritisierte Müller. Nikolaus Schweickart Vorsitzender des Vorstandes der Altana AG Nikolaus Schweickart betonte, dass die Unternehmen ein legitimes Interesse an einer Zukunft im eigenen Land hätten. „Denn ohne einen qualifiziert ausgebildeten Nachwuchs im eigenen Land entstehen keine Innovationen, entstehen keine Produkte und entstehen keine Märkte.“ Schweickart erklärte die Zurückhaltung der Unternehmen bei der Finanzierung
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Generation nicht nur einen Berg von Staatsschulden, sondern auch immense Zahlungsverpflichtungen für die gesetzliche Rentenversicherung und für die Pensionen der Beamten des Bundes, der Länder und der Gemeinden.“ Die Unionspolitikerin verwies auf die Berechnungen der CDU-Kommission „Soziale Sicherheit“, wonach bei der Beibehaltung der heutigen sozialen Sicherungssysteme spätestens im Jahr 2050 eine Belastung mit Sozialbeiträgen von mehr als 60 Prozent erreicht werde. „Diese Lage bedeutet: Wir sollten alles daran setzen, die Last der Demographie möglichst gleichmäßig auf die Generationen zu verteilen“, betonte Müller. „Die Misere, die die heute junge Generation vorfindet, wird sie unglaublich belasten.“ Diese Generation dürfe nicht die allein Leidtragende sein, zumal sie diese III. Quartal 2004
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Realität waren eben keine Wahlen zu gewinnen.“ Schweickart verwies auf die implizite Staatsverschuldung der sozialen Sicherungssysteme. Diese belaufe sich – neben der offen ausgewiesenen Staatsverschuldung von 1,3 Billionen € – auf zwei Bruttoinlandsprodukte und damit insgesamt auf rund sechs Billionen €. „Eine erfolgreiche Erneuerung kann meines Erachtens nur durch die Ausrichtung auf mehr Freiräume und Eigenverantwortung erfolgen", betonte der Altana-Vorstandsvorsitzende. Aus seiner Sicht müssen strukturelle Reformen vier Schwerpunkten folgen: Einer Entfesselung des Arbeitsmarkts, einem Umbau der sozialen Sicherungssysteme, einer grundlegenden Reform der schulischen und universitären Ausbildung sowie einer konsequenten Förderung von Forschung und Entwicklung.
Verantwortlichen gefordert, für die Jugend Rahmenbedingungen zu schaffen, damit sie neue Chancen auch wirklich nutzen kann.“ Hierzu zählen nach den Worten Schipanskis vor allem gut ausgebildete junge Menschen. „Unsere Jugend muss gut ausgebildet sein, aber auch verantwortungsbewusst für die Demokratie eintreten können.“ Dringend notwendig sei ein gutes Schulsystem, „das Leistung anerkennt und fordert und das nach Neigungen und Begabungen Ziel gerichtet fördert“. Schulen und Hochschulen müssten eine solide Grundausbildung in einzelnen Disziplinen vermitteln, zugleich aber auch fachübergreifendes, vernetztes Denken lehren, um die komplexen Probleme unserer Zeit lösen zu können. Schipanski verwies auf das Beispiel Thüringen, wo nach
... von Hochschulstipendien damit, dass die Wirtschaft kein Geld in ein ineffizientes Hochschulwesen stecken wolle. Eine Reform des Hochschulsektors etwa nach dem Vorbild der USA sei darum unumgänglich. Der Altana-Vorstandschef kritisierte ferner, dass die herkömmlichen sozialen Sicherungssysteme an der Überalterung der Gesellschaft zerbrechen würden, wenn nicht rechtzeitig gegengesteuert werde. „Obwohl die Fakten seit 25 Jahren offensichtlich sind, hat die gesellschaftspolitische Debatte darüber erst im vergangenen Jahr an Intensität gewonnen“, sagte Schweickart. Die drängenden Herausforderungen seien von den politisch Verantwortlichen jeder Couleur seit Jahren verdrängt worden. „Mit der unerfreulichen
Prof. Dr. Dagmar Schipanski Thüringer Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kunst Dagmar Schipanski betonte, dass die Jugend im vereinten Europa heute unvergleichbar mehr Chancen habe als noch vor einigen Jahren. „Richtig ist aber auch: Die Herausforderungen nehmen zu. Es wird immer schwieriger, in unserer zusammenwachsenden Welt die Übersicht zu behalten“, sagte Schipanski. Die Thüringer Wissenschaftsministerin ist der Auffassung, dass hier auch die ältere Generation gefragt ist, mit ihren Erfahrungen Hilfestellungen für die junge Generation zu leisten. „Ebenso sind wir als die derzeit ihrer Auffassung „verantwortungsvoll mit der Lebenszeit der jungen Menschen“ umgegangen werde. Das Abitur werde nach zwölf Jahren abgelegt, mit 24 Jahren habe das Bundesland zudem die jüngsten Hochschulabsolventen. Schipanski verteidigte das deutsche Hochschulwesen gegen Kritik. „Wir haben sehr gute Universitäten in der Breite und sehr viele Universitäten, die ich erhalten möchte.“ Auch das deutsche Hochschulwesen sei in der Lage, hervorragend ausgebildete Spitzenkräfte hervorzubringen. Der Verweis auf die USA als Vorbild für die Reform des deutschen Hochschulwesens sei indes insofern irreführend, als dort immer nur auf die Spitzenuniversitäten geblickt werde. * Berichterstattung Wirtschaftstag 2004 Erwin Lamberts und Peter Hahne
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III. Quartal 2004