TREND - Magazin für Soziale Marktwirtschaft - Ausgabe 3/2016

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38. JAHRGANG 3 / 2016

Klimaschutzplan 2050: Horrorkatalog für die Industrie AUSSENANSICHT

Europa muss britischer werden TOP-INTERVIEWS

Wolfgang Schäuble Christian Lindner WIRTSCHAFTSTAG

Große Dokumentation: Reden und Podien


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EDITORIAL

Foto: Franz Bischof

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Werner M. Bahlsen Präsident des Wirtschaftsrates der CDU

ie Ereignisse dieses Sommers sagen uns eines: Wir leben in einer Zeit, die große Ernsthaftigkeit und besonderes Verantwortungsbewusstsein von uns in Deutschland fordert. Kaum waren erste Schreckstunden durch die Brexit-Entscheidung überwunden, wurde unser Land von heimtückischen ­Terroranschlägen heimgesucht. Blicken wir in die direkte Nachbarschaft der Europäischen Union – in die Türkei, in die Ukraine, nach Syrien oder über den Atlantik auf die US-Präsidentschaftswahl – können die nächsten Monate und Jahre schnell noch komplizierter und auch bedroh-

Titelbild: Fotolia.com ©cherezoff

Statt sich in Verteilungsfragen zu ­überbieten und den Betrieben immer neue bürokratische Bürden aufzuerlegen, müsste die Politik alles daran setzen, die Wirtschaft zu stärken. licher werden. Vieles haben wir in unserem Land zuletzt wohl zu selbstverständlich genommen: den Wirtschaftsaufschwung, steigende Steuereinnahmen und auch die im Vergleich große Sicherheit. Betrachte ich allerdings viele in den Sommerwochen gemachte Vorschläge, fehlt mir wirtschaftliche Vernunft und insgesamt Ernsthaftigkeit: Die Grünen streiten über die Wiedereinführung der Vermögensteuer und alle rot-grünen Landesregierungen blockierten gemeinsam über den ­ Bundesrat die Erbschaftsteuer-­ Reform; im Klimaschutzplan-Entwurf der Bundesumweltministerin werden so viele Verschärfungen vom Autoverkehr über den Wohnungsbau bis hin zur Industrie ohne Preisschild da­ neben vorgeschlagen, dass sie unseren

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Wirtschaftsstandort in seiner Substanz schädigen würden; und dann fordert noch der schleswig-holsteinische Wirtschaftsminister die Offenlegung aller Lieferverträge des deutschen Einzelhandels. Da bleibt mir nur Kopfschütteln. Wohin steuert unser Land? Statt sich in Verteilungsfragen zu überbieten und den Betrieben immer neue bürokratische Bürden aufzuerlegen, müsste die Politik alles daran setzen, die Wirtschaft zu stärken. Gleichzeitig müssen in Zeiten sprudelnder Steuereinnahmen neben den beiden Hauptprioritäten Schuldenabbau und Zukunftsinvestitionen in Infrastruktur und Bildung spürbare Steuerentlastungen beschlossen werden. Eine Zahl aus jüngster Zeit hat mich erschreckt: Der Bundeszuschuss zur Rentenversicherung steigt in den nächsten Jahren auf über 100 Milliar­ den Euro. Diese Entwicklung verbunden mit neuen Rentengeschenken, die geplant werden, verdeutlicht eine prinzipielle Schieflage: Deutschland finanziert Vergangenheit statt Zukunft, den Konsum heute statt die Bildung unserer Kinder und Enkel. Hier muss nachhaltig umgesteuert werden. Wir werden in den nächsten Monaten im Blick auf die Wahlprogramme große Anstrengungen unternehmen müssen, dass nicht wieder unrealistische Wechsel auf die Zukunft ausgestellt werden. Der Wirtschaftsrat wird sich für eine konsequente Politik einsetzen, die unser Land auch in der l Zukunft stärkt.

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INHALT

10 TITEL Klimaschutzplan 2050 Der vom Bundesumweltministerium vorgelegte Entwurf zum Klimaschutzplan 2050 ist ein Horrorkatalog für den Industriestandort Deutschland. Die vorgesehenen Maßnahmen gehen weit über die europäischen Ziele hinaus, ziehen immense volkswirtschaftliche Kosten nach sich und helfen dem Klima nicht. Vielmehr brauchen die praxisfernen Vorschläge eine verbindliche Folgekostenabschätzung und müssen auf EU-Kompatibilität geprüft werden.

6 BREXIT Europa muss britischer werden Der Schock über den Brexit saß tief und erschütterte die EU-Institutionen bis ins Mark. Mittlerweile haben sich die Wogen geglättet. Cicero-Chefredakteur Christoph Schwennicke zieht für uns Resümee und sieht die Zukunft der EU optimistisch. Welche Rolle dabei die Schumpetersche „schöpferische Zerstörung“ spielt und welche Lehren er aus dem Brexit zieht lesen Sie ab Seite 6.

START EDITORIAL 3  Werner M. Bahlsen AUSSENANSICHT 6 Europa muss britischer werden  Christoph Schwennicke

TITEL KLIMASCHUTZPLAN 2050 10 Horrorkatalog für die Industrie  Peter Hahne 12 Klimaschutzplan 2050 im Praxis­test  Interviews mit Dr. Armin ­Eichholz, Dr. Marc Andree Groos, Joachim Rumstadt, Dr. Martin Iffert, Dr. Axel Göhrt und Ingo Nawrath

AKTUELL 8 Wichtige Aufgaben für Europa Im Interview: Dr. Wolfgang Schäuble 16 Quo vadis, FDP? Im Interview: Christian Lindner STANDORT DEUTSCHLAND 18 Industriepolitische ­Gesamtstrategie  Wolfgang Steiger

8 / 16 INTERVIEWS TREND sprach exklusiv mit Bundes­ finanzminister Wolfgang Schäuble über die Herausforderungen des europäischen Einigungsprojekts. Er zeigt auf, warum wir von Europa profitieren und welche Probleme jetzt dringend angegangen werden müssen. Mit dem FDP-Parteivorsitzenden Christian Lindner sprach TREND über die Rentendebatte, Migration, Energie­

politik und die Chancen seiner Partei bei der kommenden Bundestagswahl. 4

USA-WAHL 20 USA: Durchregieren nicht möglich  Klaus-Hubert Fugger EUROPA 22 Neuer Schub für Innovationen in Europa  Dr. Rudolf Strohmeier E-GOVERNMENT 24 Staat 4.0 – Digitale Chancen nutzen  Thomas Friesecke

RENTENDEBATTE 26 Die Rente ist kein Spielball für den Wahlkampf  Dr. Holger Fricke, Caroline Bernhardt DIGITALE BILDUNG 28 Die Aufholjagd hat begonnen  Sven Volmering WIRTSCHAFTSTAG EUROPA IN DER ZEITENWENDE 30 Zwei ernsthafte Schocks für die Europäische Union  Dr. Angela Merkel 32 Keine weitere Vertiefung der Europäischen Union  Jeroen Dijsselbloem 33 Ein starkes Europa braucht starke Banken  John Cryan 34 Innovationen stärker ­vorantreiben  Dr. Dieter Zetsche 35 Europa ist alternativlos  Nicolas Sarkozy 36 Lieber Schlaglöcher als Funklöcher?!  Günther H. Oettinger 37 Das Land der Dinge vernetzen  Alexander Dobrindt 38 Der Wirtschaftstag in Bildern 40 Digitaler Binnenmarkt – Chance für Industrie und Mittelstand 42 Herkulesaufgaben für Europa 44 Energie- und Industriestandort: mehr Marktwirtschaft 46 Mobilität 4.0: Infrastrukturausbau vorantreiben 48 Wie technologieoffen ist Deutschland?

Foto: Fotolia.com ©kantver

Inhalt


INHALT

WIRTSCHAFTSRAT INNENANSICHT 50 Neues aus den Kommissionen BUNDESDELEGIERTENVERSAMMLUNG 52 Präsidiumsbeschluss: Zehn Punkte für Deutschland

ENGAGEMENT 58 Durch Deutschland muss ein digitaler Innovationsruck gehen Portrait Dr. Severin Löffler STANDPUNKT STEIGER 60 Mehr Erhard, weniger Marx

SEKTIONEN 2016 54 Die Top-Ten im Wirtschaftsrat

30 WIRTSCHAFTSTAG

EUROPASYMPOSIUM 56 Neue Lösungen in der Mobilität

„Europa in der Zeitenwende“

SCHLUSS AUS DEN LÄNDERN 61 Rückblick | Einblick | Ausblick 64 Impressum

FORUM 65 Im Spiegel der Presse 66 Zahlen des Quartals Spindoktor

Unter diesem Motto diskutierten mehr als 3.000 geladene Gäste eine breite Palette wirtschafts- und gesellschaftspolitischer Querschnittsthemen: Die Zukunft Euro­ pas, die Chancen der Digitalisierung, die Eckpunkte einer wettbewerbsfähigen Energiepolitik, die Erfordernisse der M ­ obilität von morgen, Antworten auf Flüchtlingsmigration sowie demogra­fischer Wandel ­waren die Kernthemen.

Unsere Mitglieder sind unsere VIP. Sie führen Ihr Unternehmen. Wir versorgen Sie mit den relevanten Informationen aus der Politik.

en rbot weg s e v e b r e W ettgehalt F n e h o h zu

Schauen Sie in der VIP-Lounge des Wirtschaftsrates ­vorbei: Vervollständigen Sie Ihr Profil, sehen Sie die 00 TITEL neu ins Netzwerk gekommenen Unternehmer in Ihrer TITEL Region, schneidern Sie sich unsere Informationen passgenau auf Ihre Interessen zu, finden Sie Posi­ tionspapiereTitel und unsere Bewertungen zu relevanten Politik- undText Wirtschaftsthemen. Loggen Sie sich ein auf www.wirtschaftsrat.de Button VIP-Lounge. TREND 2/2016

ge VIP-Loun 3/2016über TRENDden

Wo soll das noch hinführen? Werbeverbote schaden der deutschen Wirtschaft. Braucht auch Regulierung ihre Grenzen? Natürlich sollen Konsumenten über Risiken informiert werden. Aber ein komplettes Werbeverbot für ein legales Produkt stellt eine kritische Entwicklung dar, deren Ende kaum absehbar ist. www.zigarettenverband.de

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AUSSENANSICHT

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chlimmer noch als der Brexit selbst waren die Reaktionen darauf auf dem Kontinent. Die beiden Brüsseler Tunnel-Europäer Martin Schulz und Jean Claude Juncker ergingen sich öffentlich in Rachegelüsten und Siegermentalität. SPD-Chef Sigmar Gabriel beteiligte sich an einem unsinnigen Schulz-Papier, das eine weitere Vertiefung der Europäischen Union (EU) forderte. Wer so redet und schreibt, hat wahrlich nichts begriffen. In seinem 1942 erschienenen Hauptwerk „Kapitalismus, Demokratie und Sozialismus“, einer konstruktiv-kritischen Auseinandersetzung mit Karl Marx, geht der österreichische Nationalökonom Joseph Schumpeter

Foto: Cicero, Antje Berghäuser

Christoph Schwennicke Chefredakteur Cicero

Für Europa ist es immer gut, genau das Gegenteil dessen zu tun, was Juncker, Schulz und in diesem Fall auch Gabriel wollen.

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dem Wesen unserer Wirtschaftsordnung auf den Grund und entdeckt dabei die schöpferische Kraft der Zerstörung. Diese sorge dafür, dass sich das Wirtschaftssystem von innen ­heraus revolutioniere, „unaufhörlich die alte Struktur zerstört und unaufhörlich eine neue schafft.“ Mit dem Referendum für den Ausstieg aus der EU sind die Puzzleteile auf dem europäischen Tisch ordentlich durcheinandergewirbelt worden. Die kreative Zerstörung, so martialisch der Begriff klingt, war bei Schumpeter positiv besetzt. Das Neue wird aus dem Alten geboren, ist dem Alten evolutionär überlegen und der Moderne gewachsen. Was ist seit dem 23. Juni 2016 passiert? Anders gefragt: Was ist passiert, und was ist vor allem nicht passiert? Die schöpferische Zerstörung hat zunächst einmal beide großen Volksparteien Großbritanniens erfasst. Der retroselige Labour-Chef Jeremy Corbyn, der nicht nur phänotypisch aussieht wie aus der Zeit des Miner‘s Strike entsprungen, wird sich nicht halten können. Bei den Tories musste schon Premier David Cameron seinen Platz räumen, und die Parteiräson sorgte dafür, dass an seiner Stelle nicht der Gambler und Gaukler Boris Johnson inthronisiert wurde. Denn, das ist eine Lehre dieses Brexit über die britischen Grenzen hinweg: Politik ist kein Casino, das man eitlen und selbst­ verliebten Zockern überlassen sollte. Sie darf Spaß machen, sie soll sogar Spaß machen. Aber sie muss in ihrem Kern ernsthaft und verantwortlich bleiben.

Foto: Fotolia.com ©Andrei Korzhyts

Mit dem Brexit sind die Puzzleteile auf dem europäischen Tisch ordentlich durcheinander gewirbelt worden. Auch wenn es die Vereinigten Staaten von Europa nie geben wird: Erforderlich ist die Rückbesinnung auf ein pragmatisches Zweckbündnis anstelle eines pathetischen Projekts.

Die weitsichtigste Reaktion auf dem Kontinent kam von Angela Merkel, der deutschen Kanzlerin, die nach der unseligen Affekthandlung in der Flüchtlingsfrage vor einem knappen Jahr zur Besonnenheit zurückgefunden hat. Sie gab die Gütige und wies all jene zurecht, die Großbritannien am liebsten schon diese Woche vor die Tür setzen würden, um ein abschreckendes Beispiel für alle anderen zu statuieren, die ebenso versucht sein könnten, dem britischen Vorbild zu folgen. Damit allerdings machte Merkel nurmehr wieder gut, was sie selbst mit­angerichtet hatte. Die zeitweilig bedingungslose Aufnahme von Flüchtlingen im Millionenmaßstab hat die Debatte um den Brexit in Großbritannien maßgeblich mit beeinflusst. Merkel folgt einer politischen Vernunft, die da lautet: Für Europa ist es immer gut, genau das Gegenteil dessen zu tun, was Juncker, Schulz und in diesem Fall auch Gabriel wollen. Denn die EU muss gerade nach dem Abgang der Briten britischer werden.

TREND 3/2016


AUSSENANSICHT

muss britischer werden

Nº 09 SEPTEMBER 2 016 € 9.00 CHF 11

Merkels Marschbefehl

Aktuelle Ausgabe Cicero

September 2016

3/2016 TREND

Es war ein Fehler, die EU über Jahrzehnte vor allem als Sprungbrett in die Nato, als Cash Cow und als Lehranstalt für junge Demokratien begriffen zu haben und dabei nicht zu sehen, wie das die innere Kohäsion des Bündnisses schwächt. Zweitens: Die EU nicht weiter vertiefen, sondern verflachen. Zurückführen auf den Kern: eine kulturelle Wertegemeinschaft, einen gemeinsamen Binnenmarkt, einen gemeinsamen Wirtschafts- und Währungsraum, in dem Reisefreiheit herrscht, aber nicht unbedingt damit einhergehende Residenzfreiheit. Auch der Euro und die Eurorettungspolitik dürfen nicht dazu instrumentalisiert werden, die EU quasi durch die Hintertür zu einer Bankenunion oder einer Sozial­union zu vertiefen. Drittens, und das ist das, was Merkel erkennbar im Blick hat: Eine mög-

Cicero

Sie muss den Gürtel nicht noch enger um sich schnallen, sondern lockern. Sonst drückt es weitere Länder aus ihr heraus. Die Lockerung muss letztlich der Erkenntnis gehorchen: Der Nationalstaat, das erwies die zeitgleich zum Brexit laufende Fußball-Europameisterschaft, ist nach wie vor ein kraftvolles und nach der Wahrnehmung der Bevölkerung zeitgemäßes Gebilde. Die Vereinigten Staaten von Europa, wie sie Winston Churchill in Zürich 1946 – ohne die Briten nota bene – gefordert hat, wird es nie geben. Das muss auch einsehen, wer darauf hoffte. Stattdessen ist eine Rückbesinnung auf ein pragmatisches Zweckbündnis anstelle eines pathetischen Projekts erforderlich. Angela Merkel hat immer wieder auf die wichtige Rolle der Briten in dieser Hinsicht hingewiesen. Jetzt, wo es die Briten bald nicht mehr gibt im europäischen Verbund, sollten die verbliebenen 27 sich auf folgende Lehren verständigen. Erstens: Bis auf weiteres keine neuen Länder in die EU aufnehmen, die vor allem Bürde und nicht Hilfe sind.

Österreich: 9.00 €, Benelux: 9.90 €, Italien: 9.90 €, Spanien: 9.90 € , Finnland: 13.00 €

EUROPA

lichst enge Anbindung eines künftigen Großbritannien an die EU, eine Schweizer Lösung. Nur die Anerkennung der ungebrochenen Kraft des Nationalstaates, die Lockerung des Gürtels um den eigenen Bauch und die fast gleichwertige Anbindung von Ländern wie Schweiz, Großbritannien oder Norwegen kann die EU davor bewahren, dass der Brexit nur der Anfang eines Auflösungsprozesses ist. Der Brexit war ein Weckruf, eine Erinnerung daran, was man an der Gemeinschaft hat. Der Terminkalender fügt es zudem glücklich, dass nach dem Brexit-Beschluss der Briten die Slowaken die Ratspräsidentschaft übernommen haben. Wenn sie nur etwas Fortune an den Tag legen und das Momentum des Schocks nutzen, dann könnten gerade sie als Visegrad-Staat eine Brücke über den Graben schlagen, den die Flüchtlingskrise in Europa aufgerissen hat. Kurzum, und mit realistischem Optimismus betrachtet: Die Vorzeichen stehen gut, dass Europa nach einer Phase der schöpferischen Zerstörung vor einem guten Neuaufbau l steht.

Merkels Marschbefehl

4. September 2015: Der Tag, der Deutschland veränderte

September 2016

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Foto: Bundesministerim der Finanzen, Ilja C. Hendel

AKTUELL Interview

Europa ist in keiner guten Verfassung. In immer mehr Mitgliedsländern wächst die Zahl der Menschen, die Zweifel an dem europäischen Einigungsprojekt haben. Deswegen wird Europa nicht einfach so weitermachen können. Der mögliche Brexit macht auch wieder klar, wie sehr wir vom gemeinsamen Markt profitieren.

Es gibt wichtige die kann

Herr Dr. Schäuble, der Wirtschaftsrat fordert die Regie­ rungen regelmäßig zu ordnungspolitischen Reformen auf. Warum fällt es Politikern so schwer, sich an den ­ord­nungspolitischen Leitlinien eines Walter Eucken oder Ludwig Erhard zu orientieren? Die Ordnungspolitik ist dem Wirtschaftsrat sehr vertraut. Außerhalb Deutschlands ist sie allerdings schwierig zu vermitteln. Außerdem ist die Versuchung für Politiker groß, unangenehme politische Entscheidungen nicht zu treffen, solange es Alternativen gibt. Im Prinzip ist es richtig, in guten Zeiten Reformen anzustoßen. Aber: Solange es uns gut geht, verändern wir nichts. Krisen hingegen unterstützen Veränderungen, das hat schon Karl Popper gesagt. Auch Europa bewegt sich in Wahrheit vor allem in Krisen weiter.

Dann ist ja jetzt ein sehr guter Zeitpunkt, um mit Europa voranzukommen. Es stimmt: Europa ist in keiner guten Verfassung. In mehr und mehr Mitgliedsländern wächst die Zahl der Menschen, die Zweifel an dem europäischen Einigungsprojekt haben. Deswegen werden wir nicht einfach so weitermachen können. Ansonsten werden die Menschen sagen: Ihr habt es nicht verstanden. Die Briten haben zum Teil auch unsere Besorgnis ausgedrückt. Der nun mögliche Austritt Großbritanniens aus dem gemeinsamen Markt macht deswegen auch Manchem in Deutschland wieder klar, wie sehr wir vom gemeinsamen Markt profitieren. Es ist wichtig, dass wir immer wieder lernen, welchen großen Nutzen wir aus der europäischen Integration ziehen. Die meisten Vorteile aus der europäischen Integration haben wir Deutschen in der Mitte Europas – wirtschaftlich und politisch. Warum fällt es dann so schwer, die Vorteile wertzuschätzen? Das Problem bei Menschen ist ja, dass das, was sie selbstverständlich zu haben glauben, ein wenig an Wertschätzung verliert. Vielleicht ist in Europa zu viel selbstverständlich

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geworden. Man kann junge Menschen mit dem Hinweis darauf, dass wir eine Periode von 70 Jahren Frieden haben, heute nicht mehr wirklich überzeugen. Auch offene Grenzen erscheinen selbstverständlich. Aber: selbstverständlich ist nichts. Und nichts ist so sicher, dass es nicht auch gefährdet werden kann. Wo könnte denn aktuell eine Rückbesinnung auf die O ­ rdnungspolitik helfen? In der internationalen Debatte konzentrieren wir uns gegenwärtig zu sehr auf monetäre Politik und Fiskalpolitik. Die eigentlichen Faktoren für nachhaltiges Wachstum, also Innovationen, Strukturreformen und Investitionen, drängen wir dadurch ein Stück weit nach hinten. Das ist ein globales Problem, das nicht auf Europa beschränkt ist. Es stellt sich aber in der Europäischen Währungsunion in einer ganz anderen Intensität. Machen Sie auch Brüssel für einen ordnungspolitischen Schlendrian verantwortlich? Das Risiko von Fehlentscheidungen besteht im Wesentlichen auf der nationalen Ebene, weil dort über Strukturreformen entschieden wird oder eben nicht. Wir können deswegen nicht der Europäischen Kommission vorwerfen, dass es mit Strukturreformen nicht vorangeht. Von der Kom­mission können wir allerdings fordern, dass sie auf die Einhaltung der vereinbarten Regeln achtet. Europa muss demnach stärker werden? Jedenfalls haben viele Menschen in Europa das Gefühl, dass Europa in den schnellen Veränderungen dieser globalisierten Welt nicht richtig angekommen ist. Ich weiß nicht,

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AKTUELL Interview

ob Europa schon die Herausforderungen verstanden hat, die der Wandel durch den Fall des Eisernen Vorhangs und durch die Informations- und Kommunikationstechnologien mit sich bringt. Wir haben bislang jedenfalls keine überzeugenden europäischen Lösungen für die Probleme, die uns auf den Nägeln brennen. Sie spielen auf die Flüchtlingsströme an? Die Herausforderung durch die Flüchtlinge zeigt, dass ein Europa ohne Kontrollen an den Binnengrenzen eine ge-

Standards. Und da werden wir uns in Deutschland auch bereiterklären müssen, unseren moralischen Anspruch ein Stück weit europakompatibel zu machen. Dahinter steckt die Forderung nach „mehr Europa“? Es gibt wichtige Aufgaben, die kann nur Europa bewältigen. Das kann kein europäisches Land allein leisten. Wir brauchen dringend eine Energie- und Digitalunion. Wir müssen einen Weg zu einem gemeinsamen Ausbildungsmarkt in Europa finden, um die hohe Jugendarbeitslosigkeit im Süden zu bekämpfen. Und nochmal: Ein Europa ohne Binnengrenzen braucht einen gemeinsamen Schutz der Außengrenzen. Im Übrigen bin ich überzeugt, dass wir die Anforderungen der Globalisierung nur europäisch beantworten können. Deswegen brauchen wir auf europäischer Ebene für diese zentralen Fragen Antworten.

Foto: European Union, 2013

Aufgaben, nur Europa bewältigen

meinsame Kontrolle der Außengrenzen erfordert. Die europäischen Außengrenzen kann man allerdings nur wirksam kontrollieren, wenn man stabile Nachbarschaftsregionen hat und mit diesen zusammenarbeitet. Deswegen brauchen wir die Partnerschaft mit der Türkei, mit dem Nahen und Mittleren Osten und mit Nordafrika. Und zwar unabhängig von der Frage, ob uns die jeweiligen Regime gefallen oder nicht. Im Übrigen brauchen wir auch einheitliche Verfahren in Europa, ein einheitliches Asylrecht mit einheitlichen

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Wie kann das gelingen? Vielleicht haben wir uns auf dem Weg zu einem immer engeren Zusammenschluss ja ein bisschen verheddert und den Kontakt zu den Bürgern ein Stück weit verloren. Vielleicht hat dieses Prinzip auch zu etwas zu viel Eigenleben in den Institutionen und Apparaten in Brüssel und Luxemburg geführt. Das müssen wir versuchen zu ändern. Wir sollten uns jetzt auf die wichtigen Dinge konzentrieren und diese zuerst machen. Das können wir notfalls auch mit flexiblen Instrumenten machen, also intergouvernemental. Oder wir machen es mit einer Koalition der Willigen. Ich werbe dafür, dass wir mit flexiblen pragmatischen Maßnahmen die vorrangigen Probleme europäisch lösen. Wenn wir das schaffen, gewinnen wir auch wieder mehr Zustimmung bei der Bevölkerung. Dann können wir auch die strukturellen Konsequenzen daraus ziehen. Dann haben wir Europa l gerettet.

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TITEL Klimapolitik

Klimaschutzplan 2050:

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Foto: Fotolia.com Šcherezoff

Horrorkatalog fĂźr die Industrie TREND 3/2016


TITEL Klimaschutzplan 2050

Text und Interviews: P eter Hahne

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as Ziel ist mehr als ehrgeizig: Spätestens ab 2050 sollen die Deutschen nahezu ohne den Ausstoß von Treibhausgasen leben und wirtschaften. Das sieht der „Klimaschutzplan 2050“ vor, mit dem die Bundesregierung nach Paris „inhaltliche Orientierung“ für die nationale Politik geben will, wie es in dem 67 Seiten starken Entwurf heißt. Der Klima-Fahrplan wurde unter Federführung von Bundesumweltministerin Barbara Hendricks erarbeitet und mit Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel abgestimmt. Aktuell liegt er zur Prüfung im Bundeskanzleramt. Im Herbst will ihn das Kabinett beschließen. In Unternehmen und Verbänden schrillen die Alarmglocken. „Der Klimaschutzplan ist ein Horrorkatalog für die Industrie, der Bürokratie und immense Kosten nach sich zieht“, warnt Wolfgang Steiger, Generalsekretär des Wirtschaftsrats. Warum das so ist, zeigt bereits ein flüchtiger Blick in das Papier. Statt „klimaschutzpolitischer Grundsätze und Ziele der Bundesregierung“ präsentieren die Berliner Ministerialen Traumschlösser ohne ökonomisch nachvollziehbare und technologisch umsetzbare Vorgaben, wie sie konkret erreicht werden könnten. Der Plan bietet nicht „Orientierung“, sondern ist ein Sammelsurium praxisferner und widersprüchlicher Maßnahmen. Ihre Umsetzung würde den deutschen Sonderweg in der Klimapolitik auf Jahrzehnte verfestigen. Weniger Investitionen und ein schleichendes Industriesterben würden massiv befördert – auf Kosten von Wettbewerbsfähigkeit, Wachstum und Arbeitsplätzen. Ohne Frage: Der Wirtschaftsrat bekennt sich zum Klimaschutz und zum Ziel der Staatengemeinschaft, die Erd­erwärmung auf maximal zwei Grad Celsius zu beschränken. Aber eine falsch verstandene Vorreiterrolle, wie sie der Entwurf skizziert, hilft dem globalen Klima nicht und treibt Deutschlands Wirtschaft und Gesellschaft über die Grenzen der Belastbarkeit. Aus gutem Grund warnten vier stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Union im Bundestag in einem Brandbrief an Kanzleramtschef Peter Altmaier, das Konzept sei „grundsätzlich falsch gestrickt und ebne den Weg in die Klima-Planwirtschaft“. Bundeskanzleramt schaltet sich ein Inzwischen hat sich auch das Kanzleramt skeptisch geäußert. Besonders kritisch sieht die Regierungszentrale die Elek­

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trifizierungspläne für den Verkehrssektor. „Bis 2030 strebt die Bundesregierung an, dass der weit überwiegende Teil der neuzugelassenen Pkw über einen elektrischen A ­ ntrieb oder andere Antriebe mit regenerativ erzeugten synthetischen Kraftstoffen verfügt“, heißt es im Klimaschutzplan. Im Klartext: In knapp 15 Jahren sollen keine neuen Autos und kleinere Lkw mehr mit Benzin- oder Dieselmotoren auf Deutschlands Straßen kommen. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt warnte, „Utopien nachzulaufen.“ Nach Schätzungen des Wirtschaftsrats stehen bis zu 800.000 Arbeitsplätze in der deutschen Auto- und Zulieferindustrie auf dem Spiel. Hinzu kämen Stellen in Ingenieurbüros, ­Autohäusern, Werkstätten und Tankstellen. Ähnlich realitätsfremd stellen sich die beiden SPD-Ministerien den Umbau der Energiewirtschaft vor. „Die Energieerzeugung muss spätestens bis 2050 nahezu vollständig CO2-neutral erfolgen“. Moderne Erdgas- und Kohlekraftwerke werden als Übergangstechnologie eingestuft, wenngleich nach Interventionen des Wirtschaftsministeriums kein festes Ausstiegsdatum mehr für die Kohle genannt wird. Die Folge: Der Strombedarf würde sich durch die vollständige Elektrifizierung des Wärme- und Verkehrssektors mehr als verdoppeln – dafür bräuchte man umgerechnet etwa 80.000 neue Windräder an Land. Die energiepolitische Wirklichkeit sieht anders aus: „Angesichts der zahlreichen Bürgerinitiativen gegen Windräder ist das kaum denkbar“, kritisiert Wolfgang Steiger. Die Autoren halten den grünen Umbau der Energiewirtschaft dessen ungeachtet für „technisch machbar und bezahlbar“. Bürgern und Wirtschaft werden nochmals erhebliche neue Lasten zur Subventionierung des Ökostroms aufgebürdet. Als Bundesumweltminister hat Jürgen Trittin einmal gesagt, dass die Energiewende BürFacharbeiter prüfen eine Gasleitung im Werk: Der Klimaschutzplan ger jährlich nur eine Kugel Eis kosist ein Sammelsurium praxisferner tet – eine krasse Fehleinschätzung, und widersprüchlicher Maßnahmen wie wir heute wissen. Foto: BASF SE

Der Wirtschaftsrat lehnt den „Klimaschutzplan 2050“ aus dem Bundesumwelt­ministerium ab. Die Pläne gehen weit über die europäischen Ziele h ­ inaus, überfordern Wirtschaft und ­Bürger und helfen dem Klima nicht. Statt nationaler ­Allein­gänge sind die Stärkung des EU-Emissions­handels und die globale Umsetzung des Pariser ­Klima­abkommens angezeigt.

Neue Lasten für die Industrie Auch auf die Industrie – nach der Energiewirtschaft mit gut 180 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent pro Jahr zweitgrößter CO2-Emittent – kommen starke Belastungen zu. Der Klimaschutzplan zwänge Energiewirtschaft und Industrie per Gesetz dazu, weiter Treibhausgase einzusparen. Das Ergebnis: CO2-Zertifikate würden billig auf den Markt geworfen. Industrieunternehmen in anderen EU-Mitgliedstaaten könnten diese billig einkaufen und auf eigene Maßnahmen im Klimaschutz verzichten. Die Lasten trüge ausschließlich die deutsche Industrie.

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TITEL Klimaschutzplan 2050

Foto: MIBRAG, Rainer Weisflog

Klimaschutzplan 2050 im Praxistest: Sechs Unternehmen im Wirtschaftsrat sind dabei Die Mitteldeutsche Braunkohlegesellschaft mbH (­MIBRAG) baut in Tagebauen in Sachsen-­Anhalt und Sachsen rund 20 Millionen Tonnen Rohbraunkohle im Jahr ab. Die MIBRAG-Gruppe beschäftigt 3100 Mitarbeiter und hat seit ­ 1994 rund 1,4 Milliarden Euro in Maßnahmen für den Umweltschutz investiert.

„Kohle gehört zum Energiemix“ Herr Dr. Eichholz, der Klimaschutzplan 2050 soll im Herbst vom Kabinett beschlossen werden. Wie schätzen Sie die Relevanz für Ihr Unter­nehmen ein? Wir stehen dem Klimaschutzplan 2050 unverändert kritisch gegenüber. Im aktuellen Entwurf wird zwar der Kohleausstieg nicht mehr ausdrücklich gefordert, aber dafür steht er zwischen den Zeilen. Und nicht nur das. Eine bis 2050 angestrebte Treibhausgasneutralität bedeutet nichts anderes als eine umfassende Dekarbonisierung. Und damit auch einen weitgehenden Ausstieg aus der Grundstoff-, Eisen- und Stahlindustrie.

Foto: MIBRAG

Welchen Stellenwert hat der Klimaschutz in Ihrem Unternehmen? Einen gleichrangigen wie Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und Beschäftigung. Eine allein auf den Klimaschutz reduzierte Betrachtung wird einem Industrieland nicht gerecht. In Mitteldeutschland sorgt die Kohle – im Übrigen ein heimischer Rohstoff – für Wertschöpfung. Also für Beschäftigung, Ausbildung und wirtschaftliche Entwicklung in der Region. Unsere Kundenkraftwerke in Schkopau und Lippendorf erfüllen wichtige Versorgungsaufgaben; sie stellen zuverlässig und wetterunabhängig Energie für die Chemie, die Bahn und öffentliche Netze bereit. Das Pariser Klimaschutzabkommen ist beschlossen. Was sollte die Bundesregierung auf dieser Basis tun, um die Rahmen­ bedingungen für Investitionen in den Klimaschutz zu verbessern? Für uns steht die stabile Versorgung der Industriekerne über den Zeithorizont 2030 hinaus und damit die Sicherung der regionalen Wertschöpfungskette im Vordergrund. Dazu brauchen wir für unsere Investitionen vor allem Planungssicherheit. Zudem unterstützen wir direkte, strategische und regionale Aktivitäten, die eine Nutzung der Braunkohle als Grundstoff für eine innovative Karbochemie zum Ziel haben. Eine Entwicklung der Industriegesellschaft zur Treibhausgasneutralität erfordert eine zuverlässige Stromversorgung – und die kann nur mit eiDr. Armin Eichholz nem ausgewogenen Energiemix erreicht werVorsitzender der den. Dazu gehört unseres Erachtens zwinGeschäftsführung, MIBRAG gend auch die Kohle.

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hat exklusiv sechs Unternehmen im Wirtschaftsrat befragt, was sie von der aktuellen Skizze des Klimaschutzplans 2050 halten, welche Auswirkungen der Plan auf das ­Unternehmen hätte und was sie der Politik raten würden in der Klimaschutzpolitik. Ferner wird der Industrie nahegelegt, CO2-mindernde Prozesse wie die Nutzung von Treibhausgasen im Produktionsprozess und ihre geologische Speicherung ­ voran­zutreiben. Das hört sich gut an, birgt aber das Problem, dass die Gesetzgebung drumherum ebenfalls aus dem Hause Hendricks dies bisher aushebelt. „Der Plan konterkariert das Ziel der EU-Kommission, bis 2020 den in­dustriellen Anteil an der Bruttowertschöpfung auf 20 Prozent in ­Europa auszubauen“, erklärt Steiger. Deutschland liegt zwar heute mit einem Industrieanteil von 23 Prozent in Europa vorne. EU-weit aber trägt die Industrie nur 17 Prozent zur Wertschöpfung bei. Der Wirtschaftsrat mahnt deshalb, die Ziele Klimaschutz und Industrieanteil gleichrangig zu behandeln. Das vollmundige Bekenntnis im Klimaschutzplan, diese Ziele müssten „Hand in Hand“ ­gehen, erscheint angesichts der Belastungen für die ­Industrie als ein Lippenbekenntnis. Keiner bleibt verschont Nicht ungeschoren davon kommen auch Landwirtschaft, Handel und Bürger. So soll die Landwirtschaft ihre Emissionen bis 2050 halbieren, was laut Klimaschutzplan auf mehr Ökolandwirtschaft, weniger Fleischexport und eine Halbierung des Fleischkonsums der Bürger hinausläuft. Eine größere staatliche Bevormundung lässt sich kaum vorstellen. Einen näheren Blick verdient der Bausektor: Direkte und indirekte Emissionen von Gebäuden sind nach Angaben der Bundesregierung für bis zu 30 Prozent der Treibhausgase verantwortlich. Entsprechend hoch sind die Ziele: Alle Gebäude, Alt- und Neubauten, sollen bis 2050 praktisch klimaneutral sein. Ab 2020 soll es keine staatliche Förderung mehr für den Austausch alter Heizsysteme gegen energieeffiziente Brennwertkessel geben. Nach 2030 sollen Gas- und Ölheizungen in Neubauten verboten werden. Öl, Gas und Holz werden aus dem Energiemix verdrängt. Strom-Wärmepumpen müssten das Heizen übernehmen. Das wird sehr teuer: Die vollständige Elektrifizierung des Wärmemarktes würde rund zwei Billionen Euro oder zusätzlich 50.000 Euro pro Haushalt verschlingen. Auch im Gebäudesektor werfen die Verfasser einen technologie­ offenen und marktwirtschaftlichen Ansatz zugunsten des Ökostroms leichthin über Bord.

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Fast drei von vier Deutschen kennen Vaillant. Mit weltweit rund 12.000 Mitarbeitern gehört die Vaillant Group zu den Markt- und Technologieführern im Bereich Heiztechnik.

„Auch kleinere Investitionen in den ­Klimaschutz müssen möglich bleiben“ Herr Dr. Groos, der Klimaschutzplan 2050 soll im Herbst vom ­Kabinett beschlossen werden. Wie schätzen Sie die Relevanz für Ihr Unternehmen ein? Der erste Entwurf, den wir gesehen haben, war aus unserer Sicht nicht realistisch umsetzbar. Die Herausforderung besteht darin, die angestrebten Klimaschutzziele zu erreichen, dabei aber Technologieoffenheit und Energieträgerneutralität sicherzustellen. Die Umsetzungsstrategie sollte marktwirtschaftlich angelegt sein. Erforderlich sind nachhaltige Anreize für mehr private Investitionen in die energetische Sanierung. Ordnungspolitischen Zwangsmaßnahmen oder gar Technologieverboten stehen wir kritisch gegenüber.

Foto: Vaillant

Welchen Stellenwert hat der Klimaschutz in Ihrem Unternehmen? Vaillant hat Effizienztechnologien für alle Energiearten und Lösungen auf der Basis von regenerativen Energien ent­wickelt. Sämtliche Systeme zur Umsetzung der Energiewende im Gebäudebereich stehen heute zur Verfügung. Als Hersteller leisten wir so unseren Beitrag. Mit Blick auf die Abläufe in unserem Unternehmen gibt es klar formulierte Ziele. Bis 2020 wollen wir unter anderem den Umsatzanteil von Hocheffizienztechnologien und Produkten auf Basis erneuerbarer Energien auf 80 Prozent steigern, die CO2-Emissionen um 25 Prozent senken und die Energieeffizienz um 20 Prozent er­höhen. Das Pariser Klimaschutzabkommen ist beschlossen. Was sollte die Bundesregierung auf dieser Basis tun, um die Rahmen­ bedingungen für Investitionen in den Klimaschutz zu verbessern? Im Gebäudebereich und Wärmemarkt liegt das vielleicht größte Potential, die Ziele der Energiewende zu erreichen. Es liegt an der Politik, die energiepolitischen Maßnahmen zu beschließen. Dabei müssen wir sicherstellen, dass zu detaillierte Regelungen die Investitionen ­ nicht zu stark verteuern. Auch kleinere ­Investitionen in die Effizienz leisten einen Beitrag, zum Beispiel Heizungs- oder Fenstertausch, Dämmung der Kellerdecke oder Dachsanierungen. Sie werden aber nicht Dr. Marc durchgeführt, wenn die Komplettsanierung Andree Groos eines Hauses auf Neubaustandard zur Geschäftsführer, Pflicht wird. Vaillant GmbH

3/2016 TREND

Die STEAG GmbH ist der fünftgrößte Stromerzeuger Deutschlands mit Schwerpunkt auf thermischen Kraftwerken. Das ­Essener Unternehmen beschäftigt mehr als 5.900 Mitarbeiter und erwirtschaftete 2015 knapp 3,6 Milliarden Euro Umsatz. Im Mittelpunkt stehen Planung, Realisierung und Betrieb hocheffizienter Kraftwerke auf Basis fossiler Brenn­stoffe und erneuerbarer Energien.

„Der Plan ist unklar“ Herr Rumstadt, der Klimaschutzplan 2050 soll im Herbst vom Kabinett beschlossen werden. Wie schätzen Sie die Relevanz für Ihr Unternehmen ein? Der Plan ist für uns hochrelevant. Man bekommt eine Ahnung davon, wie weit die Vorstellungen gehen. Viele Freiheiten unserer Gesellschaft scheinen selbstverständlich dem Ziel des Klimaschutzes untergeordnet zu werden. Der Klimaschutzplan ist bisher aber vor allem eines – unklar. Besonders kritisch ist, dass die europäischen CO2-Ziele jetzt nur noch nationale Mindestziele sein sollen. Damit sind nationale Sondereingriffe programmiert. Klimaschutz wird also nicht als internationale Gemeinschaftsaufgabe betrachtet. Außerdem wird das Thema der internationalen Wettbewerbsfähigkeit nicht ernsthaft adressiert. Der Wunsch nach einer als selbstverständlich vorausgesetzten deutschen „Vorreiterrolle“ ist problematisch. Welchen Stellenwert hat der Klimaschutz in Ihrem Unternehmen? Wir sind in der Minderung von CO2-Emissionen sehr aktiv. Effizienz ist uns wichtig – im Betrieb von Kraftwerken und mit unserem Engagement im Bereich der Kraft-Wärme-Kopplung. Mit unserem Großbatteriesystem ersetzen wir konventionelle Anlagen in der Regelenergiebereitstellung. In vielen Ländern sorgen wir für die Integration von Erneuerbaren in wachsende Märkte. Das Pariser Klimaschutzabkommen ist beschlossen. Was sollte die Bundesregierung auf dieser Basis tun, um die Rahmen­ bedingungen für Investitionen in den Klimaschutz zu verbessern? Es gibt Möglichkeiten. Der Entwurf zum Klimaschutzplan rechnet aber auf Basis von Temperaturzielen rückwärts. Investitionen, die nicht zu Null-Emissionen führen, sollen in dieser Logik verboten werden. Der Staat kann jedoch nicht wissen, welche Technologien 2040 oder 2050 funktionieren werden. Stattdessen sollten die Realitäten erkannt und darauf eine Strategie aufgebaut werden. Leitlinie sollte sein, Joachim Rumstadt Investitionen und Innovationen in Deutsch- Vorsitzender der land anzuregen, die auch weltweit für die Geschäftsführung, STEAG GmbH CO2-Minderung eingesetzt werden können.

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Foto: STEAG

Foto: Vaillant

Foto: STEAG

TITEL Klimaschutzplan 2050


„Die Aluminiumhütte wird zum virtuellen Stromspeicher“ Herr Dr. Iffert, der Klimaschutzplan 2050 soll im Herbst vom Kabinett beschlossen werden. Wie schätzen Sie die Relevanz für Ihr U ­ nternehmen ein? Als Aluminiumhersteller verbinden wir Klimaschutz und Industrieproduktion. Das gilt für den Werkstoff ebenso wie für den Produktionsprozess. Die Produktion ist allerdings sehr international – und so kann ein nationaler Klimaschutzplan nur dann ­erfolgreich sein, wenn er mit internationaler Wettbewerbsfähigkeit verknüpft wird.

Foto: Trimet

Welchen Stellenwert hat der Klimaschutz in Ihrem Unternehmen? Trimet leistet einen erheblichen Beitrag zur Energiewende. Wir nutzen unsere drei Aluminiumhütten in Deutschland mit ihrer großen verfügbaren Grundlast als Steuerungsgröße beim Umbau der Energieversorgung. Dazu haben wir die Elektrolyse-Öfen so ausgerichtet, dass sie kurzfristig abgeschaltet werden können. Diese Möglichkeit nutzen die Netzbetreiber ausgiebig, um das Stromnetz auszubalancieren. Trimet geht bei der Flexibilisierung noch weiter: Wir erproben derzeit in industriellem Maßstab eine flexible Lastverschiebung. Mit dem neuen Verfahren können unsere Anlagen volatile Strommengen aus Wind- und Sonnenenergie aufnehmen. Die Aluminiumhütten werden so zu virtuellen Stromspeichern. Das Pariser Klimaschutzabkommen ist beschlossen. Was sollte die Bundesregierung auf dieser Basis tun, um die Rahmen­ bedingungen für Investitionen in den Klimaschutz zu verbessern? Mit der Flexibilisierung der Aluminiumherstellung erbringen wir den Nachweis, dass Industrieproduktion und klimafreundliche Energieversorgung im Einklang stehen können. Nur so wird die Energiewende zum Vorbild. Klimaschutz ist eine globale Aufgabe. Beispiel Aluminium: 60 Prozent der weltweiten Produktion kommen heute aus China, 90 Prozent des dort eingesetzten Stroms stammt aus Kohlekraftwerken. Das innovative Verfahren der Trimet stößt deshalb in China auf großes Interesse. Damit Investitionen in solche Ideen erfolgreich Dr. Martin Iffert sind, brauchen wir jedoch langfristig verlässVorsitzender des liche Rahmenbedingungen zum Erhalt der Vorstands, Trimet Aluminium SE Wertschöpfungsketten in Deutschland!

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Die INEOS Gruppe wurde 1998 gegründet und ist eines der größten C ­ hemieunternehmen der Welt. Die Ineos Köln GmbH ist das größte Chemieunternehmen und der drittgrößte industrielle Arbeitgeber in Köln. Mit 2.000 Beschäftigten g­ehört ­Ineos in Köln zu den größten Standorten der Gruppe.

„Physikalische Grenzen anerkennen!“ Herr Dr. Göhrt, der Klimaschutzplan 2050 soll im Herbst vom Kabinett beschlossen werden. Wie schätzen Sie die Relevanz für Ihr Unternehmen ein? Ineos in Köln stellt Produkte her, die unser modernes Leben mitermöglichen und Grundlage unseres Wohlstands sind. Die Herstellung dieser Produkte ist energieintensiv. Große Anstrengungen und technologische Quantensprünge sind nötig, um die Ziele zu erreichen. Welchen Stellenwert hat der Klimaschutz in Ihrem Unternehmen? Wir arbeiten täglich daran, effizienter zu werden. Unsere Azubis zum Beispiel haben Räume hinsichtlich ihres Energieverbrauchs bewertet. Wir arbeiten aktiv bei der Effizienzplattform SPICE³ und der Nachhaltigkeitsinitiative Chemie³ mit. Außerdem sind wir Mitglied in verschiedenen Energieeffizienznetzwerken. Seit 2012 betreiben wir überdies ein Energiemanagementsystem nach ISO 50001. Unser neues GuD-Kraftwerk soll bis zu 400.000 Tonnen CO2 im Jahr einsparen. Diese Projekte müssen wirtschaftlich sein und werden zum Teil öffentlich gefördert. Das EU-Projekt „MORE“ beschäftigt sich damit, die Ressourceneffizienz darzustellen und zu verbessern. Das von der „Klima.Expo NRW“ ausgezeichnete BMWi-Projekt „sOptimo+“ sucht nach Methoden, Anlagen umzubauen und die Energieeffizienz zu verbessern. Das Pariser Klimaschutzabkommen ist beschlossen. Was sollte die Bundesregierung auf dieser Basis tun, um die Rahmen­ bedingungen für Investitionen in den Klimaschutz zu verbessern? Wichtig für uns sind konsistente Gesetze und Planungssicherheit. Unsere Prozesse sind optimiert und sehr effizient. Eine Anerkennung physikalischer Grenzen im Bereich Effizienz ist dringend erforderlich. Carbonund Investment-Leakage müssen verhindert werden, da sie sowohl der Wirtschaft als auch dem Klima schaden. Daher braucht Dr. Axel Göhrt Geschäftsführer das Weltklima einen globalen, verbindlichen Produktion Emissionshandel – und eine Annäherung der & Technik, Wettbewerbsbedingungen. INEOS in Köln

TREND 3/2016

Foto: INEOS

Die Trimet Aluminium SE aus Essen ist ein Familien­ unternehmen. Es beschäftigt knapp 2.900 Mitarbeiter und erwirtschaftet einen Jahresumsatz von rund 1,3 Milliarden Euro.

Foto: INEOS

Foto: Trimet

TITEL Klimaschutzplan 2050


Foto: Basi Schöberl

TITEL Klimaschutzplan 2050

Die basi Schöberl GmbH  &  Co. KG ist ­eines von sechs Familienunternehmen der Indus­ triegase-Branche in Deutschland. Das Unternehmen mit 140 Mitarbeitern erzielt einen Jahresumsatz von rund 30 Millionen Euro und investiert 3,5 Millionen Euro.

„Die Kosten nicht ins Kalkül zu ziehen, ist unverantwortlich“ Herr Nawrath, der Klimaschutzplan 2050 soll im Herbst vom Kabinett beschlossen werden. Wie schätzen Sie die Relevanz für Ihr Unternehmen ein? Ein Wirrwarr von Maßnahmen und unrealistische Ziele – das ist der Klimaschutzplan 2050. Der Mittelstand ist wegen der unüberschau­ baren Kosten verunsichert. Verordnungen und Gesetze zu initiieren ohne aufzuzeigen, welche Kosten bei der Umsetzung entstehen, welche Energiepreise sich daraus entwickeln und wer wie und in welcher Höhe belastet wird, ist unverantwortlich. Wir schieben schon heute Inves­ti­tionen in zweistelliger Millionenhöhe vor uns her, weil die bürokra­ tischen Hürden immer höher werden etwa durch die Biozid-Verordnung, R ­ EACH, Seveso III, GHS, die 12. Bundes-­ Imissionsschutzverordnung und vieles mehr.

Foto: Basi Schöberl

Welchen Stellenwert hat der Klimaschutz in Ihrem Unternehmen? Verantwortliches Handeln „Responsible Care“ ist seit mehr als 20 Jahren in unserer Firmenpolitik verankert. Da hat die Politik über Klimaschutz noch nicht nachgedacht! In unserem Betrieb stehen Stromkosten, Rohstoffe, Heizkosten, Treibstoffe und die Logistik permanent auf dem Prüfstand. Gut zwei Millionen Euro haben wir 2015 etwa in eine Heliumabfüllung investiert, um die hohen Transportkosten einzusparen. Wir protzen nicht damit, wieviel CO2 wir so eingespart haben. Für uns zählt, wann sich die Investition rechnet. Unternehmerisches Handeln löst in Demokratien immer auch Umweltschutzmaßnahmen aus. Das Pariser Klimaschutzabkommen ist beschlossen. Was sollte die Bundesregierung auf dieser Basis tun, um die Rahmen­ bedingungen für Investitionen in den Klimaschutz zu verbessern? Seit Kyoto hat sich die Erde massiv erwärmt, doch nicht wegen der Industrie in Europa oder Deutschland. Das formulierte Ziel 2050 wird Deutschland seine industrielle Stellung kosten. Hauptleidtragender wird der produzierende Mittelstand sein, der oft nicht abwandern kann. Die Folge: Steuereinahmen und Arbeitsplätze gehen verloren. Schon heute bremst die überbordende Bürokratie Investitionen. Um ein wirtschaftliches Desaster zu vermeiden, sollte die Politik Klimaziele mit Ingo Nawrath der Industrie abstimmen. Schon weil die Geschäftsführer, Schöberl GmbH Physik Produk­tionsprozesse reglementiert.

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Hoffnung auf Veränderungen Immerhin, es gibt noch Hoffnung. Das letzte Wort zum Klimaschutzplan ist noch nicht gesprochen. Das Kanzleramt hat zu mehreren utopischen Vorstellungen kritische Einwände erhoben. Angela Merkel hat Anfang Juli auf dem Petersberger Klimadialog eine größere Nutzung marktwirtschaftlicher Instrumente in der Klimapolitik angemahnt. „Davon findet sich in diesem Entwurf leider nichts wieder“, bedauert Steiger. Er setzt sich mit Nachdruck für eine breite gesellschaftliche Debatte zum Klimaschutzplan ein. Oberste Prämisse: Alle Klimaschutz-Maßnahmen müssen die vollständigen Wertschöpfungsketten berücksichtigen, um die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft zu erhalten. Nicht allein ein Monitoring der Klimaziele, sondern eine gleichrangige Beobachtung von I­nvestitionen, Wachstum und A ­ rbeitsplatzeffekten sind entscheidend. Klimaschutz kann nur global erfolgreich sein. Der Wirtschaftsrat setzt sich deshalb für eine EUweit einheitliche und technologieoffene Klimapolitik ein, die durch globale Initiativen zur Umsetzung des Pariser Klimaabkommens von der Bundesregierung flankiert ­ ­werden sollte. Deutschland täte gut daran, sich von der Rolle des übereifrigen Musterschülers endlich zu ver­abschieden. Nationale Alleingänge helfen niemandem, auch nicht dem l Klima.

en rbot weg e v e b r e W ehalt Alkoholg

Wo soll das noch hinführen? Werbeverbote schaden der deutschen Wirtschaft. Braucht auch Regulierung ihre Grenzen? Natürlich sollen Konsumenten über Risiken informiert werden. Aber ein komplettes Werbeverbot für ein legales Produkt stellt eine kritische Entwicklung dar, deren Ende kaum absehbar ist. www.zigarettenverband.de

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AKTUELL Interview

Man nimmt eine wenn man in die

Die FDP ist stets mit dem Slogan „Leistung muss sich lohnen“ angetreten. Hat sie mit der Wahlschlappe 2013 den Lohn für ihre Regierungsleistung bekommen? Wir haben in der schwarz-gelben Regierungszeit Fehler ­gemacht und mit dem Ausscheiden aus dem Bundestag ­einen hohen Preis dafür bezahlt. Aber mit jeder Woche Große ­Koalition bin ich mehr mit der Regierungszeit von Schwarz-Gelb versöhnt. Wähler sind heute noch wechselfreudiger. Wie lautet Ihr Plan B, wenn die FDP kurz vor der Bundestagswahl unter fünf Prozent liegt? Als Motorsportfan weiß ich, dass man eine Kurve niemals richtig nimmt, wenn man in die Leitplanke schaut – und nicht auf den Kurvenausgang. Aus unserem Vier-Parteien-System wird immer mehr ein Viel-Parteien-System. Wo sehen Sie das Alleinstellungsmerkmal der FDP? Es gibt in Deutschland keine zweite Partei, die den wohlverstandenen Liberalismus in den Mittelpunkt stellt. Die anderen Parteien folgen einem kollektivistischen Ansatz. Wir sind individualistisch, optimistisch, weltoffen, mutig und setzen auf das freie Entfaltungspotential des Einzelnen. Wir vertrauen auf den Einzelnen und marktwirtschaftliche Lösungen statt Kollektivismus und staatlicher Dauerintervention. Viele Wähler entscheiden sich aus Protest für ­populistische Parteien ohne überzeugendes Programm. Wie will die FDP da gegensteuern?

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Foto: FDP, Laurence Chaperon

sprach mit Christian Lindner, dem Bundesvorsitzenden der FDP und dem Vorsitzenden der FDP-Landtags­fraktion in N ­ ordrhein-Westfalen, über die Chancen der FDP wieder den Sprung in den Bundestag zu schaffen, die Rentendebatte, Migration, E ­ nergiepolitik und den Z ­ ustand der europäischen Union.

Zuallererst dürfen wir uns nicht die öffentliche Debatte von Populisten diktieren lassen. Das beste Mittel gegen sie ist gutes Regieren und Problemlösung. Die Bürger müssen erkennen können, dass die Parteien ihre Probleme verstehen, aufgreifen und lösen. Das macht immun gegen Rattenfänger. Die FDP hält sich Koalitionspartner offen. Werden Sie mit SPD und Grünen auf Bundesebene wirklich Schnittmengen finden? Unsere Auffassung ist ganz klar: Keine Regierung um jeden Preis. Wir haben Prinzipien und dazu stehen wir. Für eine Ampel sehe ich derzeit nicht die politische Substanz. Sigmar Gabriel agiert so kurzsichtig und populistisch wie David Cameron mit seinem Brexit, wenn er TTIP jetzt aufgibt und die Chance des transatlantischen Freihandels aus Parteit­ aktik verspielt. Die Grünen wollen mit Steuererhöhungen in der Mitte der Gesellschaft Familienunternehmen und hoch qualifizierte Fachkräfte abkassieren. Wo sind da die Gemeinsamkeiten mit der FDP?

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AKTUELL Interview

Kurve niemals richtig, Leitplanke schaut Was hält die FDP von den Rentenvorschlägen der verschieden Parteien. Die Rentenpolitik der Großen Koalition ist bislang völlig fehlgeleitet. Union und SPD erlauben sich gegenseitig die Umsetzung neuer Leistungsausweitungen auf Kosten kommender Generationen. Das Rentenpaket kostet bis 2030 mehr als 230 Milliarden Euro. Dabei steht das Rentensystem durch den demografischen Wandel bereits massiv unter Druck. Es ist verantwortungslos, so zu tun, als könnte man da noch neue Leistungen draufsatteln. Besser wäre es, die private Vorsorge zu stärken – vor allem das selbst genutzte Wohneigentum. Mehr ­Flexibilität anstelle eines starren Renteneintrittsalters wären der zweite Baustein. Mir schwebt ein Mindestalter vor, das man erreichen sollte und danach kann jeder entscheiden, ob er weiterarbeitet oder geht – bei entsprechenden Abzügen oder Hinzuverdiensten. Die gesetzliche Rente ist ein Problem. Aber wie bekommt man die Eigenverant­wortung für die private Altersvorsorge in die „Köpfe“ der Menschen? Zuallererst dürfen wir die private Vorsorge nicht schlecht reden, sondern müssen sie fördern und ausbauen. Das setzt vor allem rentable Anlageformen voraus und zwar nicht nur in Staatsanleihen und Beton. Ein weiteres Problem scheint mir mangelnde Transparenz zu sein. Mein Vorschlag: Egal, ob jemand gesetzlich, betrieblich oder privat vorsorgt – jeder sollte sich auf einem E-Government-Bürgerportal ­ ganz ­ unkompliziert über den Stand seiner zukünftigen ­Ansprüche informieren können. Zum Streit zwischen Horst Seehofer und Angela Merkel wurden Sie mit den Worten zitiert: „Diese Lust an wechselseitiger Beschädigung ist kaum auszuhalten. Wen können Sie mehr verstehen? Ich halte den Zustand der Großen Koalition, aber insbesondere das Verhältnis der Unions-Parteien für besorgnis­ erregend. Nicht weil ich mir Sorgen um Union und SPD mache, sondern weil dieser Dauerstreit unser Land lähmt. Die

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Bundesregierung muss sich endlich wieder freischwimmen und aus der Abhängigkeit der Türkei befreien. ­Spätestens der Staatstreich des Erdogan-Regimes, der in der Türkei auf den versuchten Militärputsch folgt, muss der Regierung die Augen öffnen, dass sie auf einen falschen Partner gesetzt hat. Die Verhandlungen mit der Türkei über eine EU-Mitgliedschaft müssen umgehend auf Eis gelegt werden. Und ein europäischer Grenzschutz muss die Außengrenzen Europas wirksam schützen, damit wir nicht mehr auf den Goodwill von Präsident Erdogan angewiesen sind. Deutschland braucht außerdem umgehend ein Einwanderungsgesetz mit klaren Regeln. Zuwanderung in unser Land darf kein Zufall sein. Es muss klar unterschieden werden zwischen Flüchtlingen, die vor Krieg und Vertreibung ­fliehen und nur zeitweise Schutz erhalten sollten. Und auf der anderen Seite Migranten, die dauerhaft nach Deutschland kommen und deren Aufenthaltsstatus sich an unseren Interessen orientiert. In einer politischen und ökonomischen Schieflage sehen viele auch die EU, spätestens seit dem Brexit-Votum. Brauchen wir jetzt einen Neustart? Der Austritt der Briten ist ein herber Rückschlag für das ­liberale Europa. Das Land war stets ein Vertreter für mehr Wettbewerb, Markt und Liberalismus und wurde als wirtschaftliche Stimme gebraucht. Wir sollten das Votum aber auch als einen Denkzettel sehen. Die EU braucht einen Neuanfang: Weg von Zentralität und Vergemeinschaftung und eine Rückkehr zum Grundgedanken der Freiheit, des Wettbewerbs und des Marktes. Mein Vorschlag wäre, dass wir einfach mal etwas ganz Neues in Europa machen: Wir halten uns an Vereinbarungen. Die FDP hat die Energiewende mitbeschlossen. Würden Sie das heute nochmal so machen? Die FDP hat damals eine Energiewende mitgetragen. ­Offensichtlich ist man in Berlin jedoch zu der seltsamen Auffassung gelangt, das Weltklima zwischen Kiel und ­Konstanz retten zu können. Die Große Koalition muss sich von dieser Öko-Romantik verabschieden. Dazu gehört auch die Einsicht, dass Deutschland nicht gleichzeitig aus Kern­ energie und Kohle aussteigen kann und das Klimaschutzziel l auf 2040 korrigiert werden muss.

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AKTUELL Standort Deutschland

Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit ist in Gefahr: Hohe Sozialausgaben statt Zukunftsinvestitionen, europaweit mit die höchsten Preise für Strom und steigende Löhne führen dazu, dass die Unternehmen ­weniger investieren. Sie verlagern ihre Produktion. Die schleichende Deindustrialisierung Deutschlands ist bereits in vollem Gange.

F

ast geräuschlos verhallte in Deutschland das Ranking der wettbewerbsstärksten Länder der Welt, das Jahr für Jahr das renommierte Schweizer Institute for Management Development (IMD) ermittelt. Das verwundert nicht: Denn Deutschland verliert weiter an Wettbewerbsfähigkeit. In nur zwei Jahren rutschten wir um sechs Plätze ab auf Rang zwölf. Ein Ergebnis, das die Politik endlich aufrütteln sollte. Für den Wohlstand in Deutschland und Europa ist es von zentraler Bedeutung, dass der Anteil der Industrie an der Bruttowertschöpfung erhalten, besser noch ausgebaut wird. Auch wenn dieser Anteil in Deutschland in den letzten Jahren gleich geblieben ist – das sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass vor allem bei der energieintensiven Basisindustrie – der Grundlage aller Wertschöpfungsketten – längst

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eine schleichende Abwanderung aus Deutschland und Europa eingesetzt hat. Viele Investitionsentschei­dungen der Industrie fallen schon lange nicht mehr zugunsten des Standortes Deutschland aus. Allein für die sieben größten Konzerne Volkswagen, Siemens, Bosch, Daimler, Bayer, BASF und BMW zusammen arbeiten bereits mehr als die Hälfte der 1,8 Millionen Mitarbeiter im Ausland. Während seit Mitte der Neunzigerjahre die Zahl der Arbeitsplätze im Ausland um mehr als 80 Prozent zulegte, sank sie im Inland um gut zehn Prozent. Gleichzeitig stiegen die Lohnkosten in Deutschland zuletzt schneller als die Produktivität. Mit 36,20 Euro pro Stunde liegen die Arbeitskosten global betrachtet sehr hoch und werden mit dem zunehmenden Fachkräftemangel weiter steigen. Zum Vergleich: Eine

Stunde Arbeit kostet in den USA 25,93 und in China 4,40 Euro. Mit 54 Prozent am Strompreis für industrielle Großverbraucher weist Deutschland die höchsten Staatslasten in Europa auf. Ergebnis: Strom kostet hierzulande teils doppelt so viel wie in den USA und 20 Prozent mehr als in China. Eine gemeinsame EU-Klimapolitik wie ein funktionierender EU-Energiebinnenmarkt sind wünschenswerte Ziele. Überambitionierte deutsche Klimapläne jedoch gefährden die europäische Marktintegration, isolieren unser Land und schaden nachhaltig dem Industriestandort. Erschreckend ist zudem die chronische Investitionsschwäche, an der Deutschland im privaten wie öffentlichen Sektor leidet. 2013 betrug der Rückstand drei Prozent der Wirtschaftsleistung auf den OECD-Durchschnitt. Auch die Digitalisierung der

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Foto: Fotolia.com ©industrieblick

Industriepolitische Gesamtstrategie ist der Schlüssel


AKTUELL Standort Deutschland

Die 15 wettbewerbsfähigsten Länder Deutschland erreicht nur einen zwölften Platz – Tendenz weiter fallend. Hong Kong

100

Schweiz

98,02

Vereinigte Staaten

97,88

Singapur

97,65

Schweden

92,35

Dänemark

91,76

Irland

91,54

Niederlande

90,05

Norwegen

90

Kanada

90,05

Luxemburg

90,02

Deutschland

88,57

Katar

86,72

Taiwan

86,37

V.A. Emirate

86,07 Quelle: IMD

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und steuerlichen Hürden für Jungunternehmer. Was in Deutschland vor allem fehlt, ist eine industriepolitische Gesamtstrategie und die Rückkehr zu den marktwirtschaftlichen Prinzipien, die unser Land einst so stark gemacht haben. Von beidem ist die Bundesregierung meilenweit entfernt. Anstatt der Wettbewerbsfähigkeit oberste Priorität einzuräumen, von der Wohl und Wehe einer Exportnation abhängen, entwickelt sie immer neue Ideen, mehr Geld für Rente und Familie auszugeben, oder teure Maximalforderungen an die deutsche Industrie im Klimaschutz zu stellen. Diese Rechnung kann kaum aufgehen. Die Politik ist gefragt. Sie darf sich nicht länger im derzeitigen wirtschaftlichen Erfolg einrichten. Beginnt Deutschland nicht jetzt umzusteuern, werden nicht mehr nur Irland und die

Niederlande an uns vorbeiziehen, sondern auch Estland und Litauen. Denn die Konkurrenz schläft nicht, darauf l ist im Wettbewerb Verlass.

Wolfgang Steiger Generalsekretär des ­Wirtschaftsrates der CDU e.V.

Foto: Jens Schicke

deutschen Industrie hinkt hinterher. Im globalen Durchschnitt investieren Staaten knapp viermal so viel pro Kopf in die Kommunikationsinfrastruktur wie wir. Angesichts dringend notwendiger Zukunftsinvestitionen in Fernstraßen und Brücken, in flächendeckendes Breitband und in Stromautobahnen als Infrastrukturen für neue Geschäftsmodelle und innovatives Wachstum, ist das besonders tragisch. Ein erheblicher Wettbewerbsnachteil ist auch die schlechte Verfügbarkeit von Venture Capital. Darüber tröstet der jüngst vom Bundesfinanz­ ministerium aufgelegte Tech Growth Fund ein wenig hinweg. Die Sache hat aber einen Haken: Am Ende haftet der Staat für die Tragfähigkeit der Geschäftsmodelle. Das kann nicht Sinn der Sache sein. Wir brauchen ein echtes Ökosystem für Gründer, mit niedrigen rechtlichen

Erschreckend ist die chronische Investitionsschwäche, an der Deutschland im privaten wie öffentlichen Sektor leidet.

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AKTUELL USA-Wahl

Foto: Fotolia.com ©Tomasz Zajda

USA: Durchregieren nicht möglich

Am 8. November 2016 wählen die US-Bürger den 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten von ­Amerika. Deutschland blickt bei der anstehenden Wahl mit mehr Skepsis als sonst in Richtung USA. Text: K laus-Hubert Fugger

D

ie Besorgnis um den Ausgang der Präsidentschaftswahlen ist nicht unberechtigt. Dennoch ist die deutsche Brille auf die USA durch viele Missverständnisse geprägt. Wenn man in Deutschland nach den beliebtesten drei US-Präsidenten fragen würde, würden John F. Kennedy oder Barack Obama die Hitliste anführen und wohl der Klimaschützer und unterlegene Kandidat, Vizepräsident Al Gore, den dritten Platz belegen. In den USA selbst würde hingegen der „Sieger des Kalten Krieges“, Ronald Reagan, sicher auf dem Siegertreppchen stehen. In Deutschland ist er bis heute einer der unbeliebtesten Präsidenten. Das sagt viel über das deutsche Amerika-Bild, das bis heute hochgradig polarisiert ist. Warum ticken die USA so anders? Fünf Antworten: 1. Der Staat wird nicht als „gottgegebener“ Wert an sich, ­sondern nur über seine notwendigen Funktionen an­

erkannt. Wenn es je eine mit Europa vergleichbare Staatlichkeit gab, dann allenfalls als Kolonialverwaltung an der Ostküste. In allen neu erschlossenen Bundesstaaten ­bil­deten sich s­taatliche Institutionen von unten. An erster Stelle stand die Herstellung von Recht und Ordnung durch lokale Wahlen der Richter und Sheriffs. Dieses Verständnis setzt sich fort bis heute als Grund-DNA in allen Fragen der

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i­nneren und äußeren Sicherheit, der sozialen Sicherung, in der Steuer­politik – und im Waffenrecht. 2. Die USA sind „die“ Einwanderer-Nation, bis heute Teil des

nationalen Mythos. Egal ob legal eingewanderter Computerspezialist aus Indien oder illegaler Gärtner aus Mexiko – beide wollen sich den Tellerwäscher-Traum aus eigenem Antrieb erfüllen. Alle Neu-Amerikaner müssen sich auf sich selbst besinnen, erhalten keine Rund-um-sorglos-Pakete an Sozialleistungen wie in Westeuropa. Auch wenn die „Demokraten“ eher sozialdemokratische Konzepte vertreten, würden sie kaum einen Wohlfahrtsstaat einführen. Selbst die neue Krankenversicherung für jedermann, kurz „ObamaCare“, enthält so viele Komponenten der Selbstbeteiligung und des Wettbewerbs, dass sie die Mehrheit der Deutschen ablehnen würde. Und: Minderheiten tendieren anfangs zu den Demokraten, ihre Aufsteiger in der ersten, zweiten oder dritten Genera­tion wählen häufig lieber Republikaner.

3. Die US-Bürger, einschließlich der politischen Eliten,

v­ ersammeln sich in Krisenzeiten immer um die Fahne und um diejenigen, die an der Spitze Verantwortung tragen. ­Dieser Patriotismus sichert auch Soldaten und insbeson­dere

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AKTUELL USA-Wahl

G­efallenen eine große Solidarität. Donald Trump spürte dies nach seinen unflätigen Bemerkungen gegen die Eltern eines gefallenen muslimischen Leutnants: Seine Umfragen stürzten ab. Aber Gnade Gott einem US-Präsidenten, der US-Soldaten nach dem Eindruck der Mehrheit „verheizt“ wie Jimmy Carter bei einem Befreiungsversuch der Geiseln in der US-Botschaft in Teheran. Danach gewann Ronald ­Reagan in einem „landslide“. 4. Die Frage der Religion: Wie ist es möglich, dass in einem

verfassungsrechtlich so stark auf Trennung von Staat und Kirche bedachten Land das öffentliche Bekenntnis in der Politik eine so große Rolle spielt? Von den „Pilgrim Fathers“ an war das Land Ziel von Glaubensflüchtlingen, die erst hier ihren Glauben leben konnten. Deshalb muss der Staat neutral gegenüber allen Denominationen sein. Die jeweiligen Haltungen der Kandidaten zu Themen wie Abtreibung sind gleichzeitig große Einflussfaktoren. Für uns unverständlich, aber aktuell mit Blick auf den Supreme Court ein entscheidender Grund für viele christlich-konservative Wähler noch zu Trump zu halten, der durch sein Vorschlagsrecht in den kommenden vier Jahren die liberale Mehrheit im Verfassungsgericht drehen könnte.

5. Starke Institutionen balancieren sich aus: Die Haushalts-

blockaden der republikanischen Mehrheiten in ­ beiden Häusern des Kongresses oder lange Berufungsverfahren für Minister und Richter, die manche Kan­didatenvorschläge des Präsidenten zu Fall brachten, belegen einen starken Parlamentarismus. Kein US-Präsident kann ohne Senat und Repräsentantenhaus regieren. Und die Verpflichtung gegenüber dem Heimatstaat und der dortigen Basis ist mit Blick auf die reine Persönlichkeitswahl stärker als gegenüber der Partei. Wie auch immer die Präsidentschaftswahl ausgeht, die verbreitete Sorge, dass ein Präsident „durchregieren“ könnte, ist unbegründet. Die fünf genannten Unterschiede zu Europa sind gleichzeitig entscheidende Gründe, weshalb sich die USA nicht prinzipiell in eine andere Richtung drehen lassen. Europa muss sich jedoch zukünftig stärker mit der Frage beschäftigen: Wie reagiert die restliche, westliche Welt darauf, dass die USA für weniger Freihandel – wie beide Präsidentschaftskandidaten – eintreten oder sich gar weltweit – weil sie verstärkt eigene Energiequellen erschließen l – immer weniger engagieren?

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AKTUELL Europa

D

ie wirtschaftspolitische Diskussion um den Brexit verdeckt leider, dass nahezu zeitgleich mit dem UK-Referendum ein entscheidender Umschwung hin zur Stärkung des Innovationsgedankens auf europäischer Ebene stattgefunden hat – paradoxerweise nicht zuletzt dank britischer Unterstützung im Rat. Unter der entschlossenen Führung der niederländischen Präsidentschaft hat der Wettbewerbsfähigkeitsund Wissenschaftsrat weitreichende folgerungen zur InnovationsSchluss­ kapazität der Europäischen Union (EU) getroffen. Zum ersten Mal überhaupt erkennt der Rat das Innova­ tionsprinzip (1) an und bildet damit einen Gegenpol zum Vorsorgeprinzip,

So schlägt der Rat vor, zu prüfen, wie sich Regulierungen auf EU-Ebene innovationsfreundlicher gestalten lassen – insbesondere der Rahmen für die Digitalisierung der Industrie. Dies soll ausdrücklich auch auf Grundlage konkreter Beispiele der Interessengruppen – damit ist die Industrie gemeint –, festgestellter rechtlicher Hindernisse für deren Innovationsprojekte wie neuen Geschäftsmodellen geschehen, so wie dies in einer Arbeitsunterlage der Kommissionsdienststellen vom Dezember 2015 zu Engpässen für innovationsorientierte Investitionen in der EU (2) aufgezeigt worden ist. Der Rat fordert die Kommission zudem auf, neue nicht-legislative Instrumente auf EU-Ebene zu entwickeln und umzusetzen, vor allem ein Pilot-

Neuer Schub für Innovationen in Europa das fast zwei Jahrzehnte im Vordergrund stand. Er fordert, dass das Innovationsprinzip bei der Ausarbeitung oder Aktualisierung aller politischen und regulatorischen Maßnahmen auf EU-Ebene angewendet werden muss. Dies bedeutet, dass alle neuen oder überarbeiteten Gesetze – unabhängig vom Politikbereich – auf ihre Auswirkungen auf Forschung und Innovation geprüft werden müssen. Es ist zu hoffen, dass mit diesem bemerkenswerten Diktum des Rates die Diskussion um das Verhältnis des Vorsichtsprinzips zum Innovationsprinzip endlich offener – und damit auch investitionsfreundlicher geführt werden kann! Aber das hängt auch vom Verhalten der Industrie ab.

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Der Wettbewerbsfähigkeits- und Wissenschaftsrat hat Weitreichendes zur Innovationskapazität der ­Europäischen Union getroffen. Er erkennt erstmals das Innovationsprinzip an und fordert, dass die Aus­ wirkungen aller neuen und überarbeiteten Gesetze ­ auf Forschung und Innovation geprüft werden. projekt für das geplante Instrument „Innovation Deals“. Damit sollen von Innovatoren identifizierte Rechtsunsicherheiten angegangen werden, die ihre Investmentprojekte innerhalb des bestehenden rechtlichen Rahmens behindern könnten. Der Rat fordert die Mitgliedstaaten ausdrücklich auf, proaktiver Partner betroffener Investoren

und nationaler oder regionaler Behörden bei der Beseitigung bestehender regulatorischer Hindernisse auf EU-Ebene zu sein. Ziel ist es, Rechtssicherheit zu schaffen, um Investitionen in Forschung und Innovation sowie Entwicklung und Einführung innovativer Lösungen leichter zu ermöglichen.

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Foto: Fotolia.com ©willibetz

AKTUELL Europa

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Nicht nur die Kommission, auch Mitgliedstaaten müssen jetzt aktiv werden. Die Initiative kann nur Erfolg haben, wenn Unternehmen ihre innovationsbasierten Geschäftsmodelle offensiver in den Blick nehmen, sie transparent und verständlich machen. Denn nur das ermöglicht mehr innovationsbasierte Investitionen, nicht die üblichen Floskeln zu einem Zuviel an Bürokratie oder zu komplexen Regeln auf EU-Ebene. Dies umso mehr, als die Kommission im Rahmen ihres Programms „Bessere Rechtsetzung” stärker auf Innovationen abstellen will. Dazu erstellt sie derzeit einen Werkzeugkasten, der ein Instrument zur Vorbereitung neuer Initiativen und zur Evaluierung bestehender Maßnahmen wie Rechtsvorschriften vorsieht. Damit lassen sich die Auswirkungen auf Innovationen abschätzen. Konkrete Geschäftsmodelle in dieses Verfahren einzubringen, etwa über die neuge-

Dr. Rudolf Strohmeier

Foto: European Union, 2016

Die „Innovation Deals“ gehen auf das niederländische Modell „Green Deals” zurück. Sie klären verbindlich vor allem Auslegungsprobleme von Rechtsfragen zwischen Investor, zuständigen Behörden und Vertretern der Zivilgesellschaft. Nach niederländischer Erfahrung sind es in rund zwei Drittel aller Fälle Auslegungs- und Anwendungsprobleme, die Investitionen gefährden. Mit ähnlichen Fällen ist die EU auch aus Deutschland konfrontiert: Regionale Behörden verstecken sich zulasten eines Investors gerne hinter „Brüssel”, weil sie das Risiko scheuen, von Nichtregierungsorganisationen kritisiert oder gar verklagt zu werden, wenn sie ihren im EURecht häufig eingeräumten Ermessensspielraum nutzen. Ausgangspunkt, das Innovationsprinzip auf Ratsebene einzuführen, war, dass unabhängig voneinander sowohl Kommission als auch Ratspräsidentschaft Überlegungen dazu angestellt haben, Investitionshindernisse nicht mit Blick auf die innovative Technologie, sondern auf das der Innovation zugrundliegende Businessmodell zu untersuchen. Die Kommission erhielt dazu interessante Hinweise aus den gemeinsamen Technologieinitiativen. In diesen Gremien arbeiten Kommission und Unternehmen aus allen Wirtschaftssektoren auf Basis von der Industrie erarbeiteten strategischen Forschungsagenden in ausgewählten Technologiebereichen zusammen. Die Hinweise auf Businessmodelle kamen dabei interessanterweise ausschließlich von den Unternehmen selbst – und nicht von einem einzigen Industrieverband! Aber das positive Ergebnis des Wettbewerbsfähigkeitsrates sollte nicht zu Selbstzufriedenheit führen.

Generaldirektor des Interinsti­ tutionellen Amtes der EU für Veröffentlichungen, bis Mai 2016 stellv. Generaldirektor der Generaldirektion Forschung, Wissenschaft und Innovation

Die Industrie ist gut beraten, ihre Karten auf den Tisch zu legen. schaffene REFIT-Plattform, die außer Regierungsvertretern auch eine Stakeholder Gruppe umfasst, in der neben Wirtschaftsvertretern, Sozialpartnern, die Zivilgesellschaft sowie der Europäische Wirtschafts-und Sozialausschusses vertreten sind, würde einen heilsamen Realitätscheck bedeuten. Die Industrie ist daher gut beraten, nun ihre Karten auf den Tisch zu legen. l (1) E ine Definition findet sich z.B. in: Strategic Notes, Ausg. 14 v. 30.6.2016 European Political Strategy Center der EU-Kommission (2) B etter regulations for innovation-driven investments at EU level; ISBN: 978-92-79-51529-3

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AKTUELL E-Government

Staat 4.0 –

Digitale Chancen nutzen Unser Land belegt in Europa Spitzenpositionen, wenn es um Wachstum und Beschäf­­ti­gung geht. In einer anderen Disziplin droht Deutschland indes zu versagen: beim ­Aufbau einer modernen digital vernetzten öffentlichen Verwaltung – dabei ist dies ein zentraler Standortfaktor. Der ­Wirtschaftsrat legt deshalb einen Fahrplan für einen ­umfassenden E-Government-Ausbau vor. Text: T homas Friesecke

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eutschland, für viele Nationen der Inbegriff effizienter Organisation, könnte im digitalen Zeitalter das Land des E-Governments, der Smart Public Services, sein. Doch die Realität sieht anders aus: Die deutsche Verwaltung befindet sich nach wie vor im analogen Tiefschlaf – allen Regierungsprogrammen zum Trotz. Die Aktivitäten des digitalen Staates kreisen im Wesentlichen um Zuständigkeiten und Kompetenzen, verlieren sich in Kommissionen und Arbeitsgruppen und zwischen Bundespolitik und kommunaler Selbstverwaltung. Es fehlt Bund, Ländern und Kommunen bei der Digitalisierung der Verwaltung offensichtlich am Willen zur Zusammenarbeit. Zu sehr stehen immer noch Partikular­interessen im Vordergrund. Der Druck der Migrationskrise hat gezeigt, dass gemeinsame Lösungen möglich sind. Die zwischenzeitlich

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vorgenommene Digitalisierung des Asylverfahrens muss als Blaupause für die dringend erforderliche Digitalisierung auch anderer Verwaltungs­ bereiche genutzt werden. Denn von der Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung profitieren alle: Bürger, Unternehmen wie der Staat selbst. Wenn ein Bürger heute seine Anliegen – ob die Schulanmeldung des Kindes, die Umzugsmeldung oder die Beantragung eines neuen Reisepasses – digital abwickeln möchte, wird schnell deutlich, dass das faktisch unmöglich ist. Bürger wie Unternehmen brauchen im Zeitalter der Digitalisierung einen einfachen und sicheren Online-Zugang zu allen Verwaltungsdienstleistungen von Bund, Ländern und Kommunen. Verwaltungsleistungen aller Lebenslagen sollten daher sukzessive über ein zentrales Internetportal abgewickelt werden können. In Anlehnung an die einheitliche Behördenrufnummer 115 könnte ein Zugangsportal www.115.de diese zentrale Aufgabe übernehmen.

Grundvoraussetzung für ein funktionierendes E-Government sind jedoch flächendeckende und vor allem schnelle Datenautobahnen. Das erklärte Ziel der Bundesregierung, bis zum Jahr 2018 im gesamten Bundesgebiet eine Breitbandversorgung von 50 Mbit/s zu gewährleisten, hinkt der digitalen Realität bereits heute hinterher. Vor dem Hintergrund der technischen Innovationszyklen und mit Blick auf die Voraussetzungen neuer Online-Anwendungen sowie immer komplexer werdender Datenraten sind vielmehr Bandbreiten im ­ Giga-Bereich erforderlich. Die Bundesregierung muss den Breitbandausbau engagierter als bislang vorantreiben, Fahrplan und Anforderungsprofil nach oben korrigieren. Einen Beitrag zur Finanzierung des Infrastrukturausbaus könnte die Veräußerung von Unternehmensbeteiligungen des B ­ undes leisten. Als für den E-Government-Ausbau kritisch hat sich zudem erwiesen, dass sich in Berlin viele Ministerien für die

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Digitalisierung zuständig fühlen. Viele Köche verderben bekanntlich den Brei. Um die ministerielle Zerfaserung zu heilen, sollten die IT-Zuständigkeiten in Form eines CIO des Bundes koordiniert wird. Um seiner Aufgabe gerecht werden zu können, muss der CIO mit Durchgriffsrechten und Entscheidungsbefugnissen ausgestattet sein, etwa für die Definition und Festlegung von Standards und Schnittstellen. Staatsmodernisierung braucht ein Gesicht. Beim Transfer der Verwaltung in das digitale Zeitalter kommt auch den Führungskräften der Verwaltung eine große Bedeutung zu. Die Verwaltung muss hier noch mehr auf Personalmanagement setzen, um die Mitarbeiter auf dem Weg der Modernisierung mitzunehmen. Zur Sicherung der Fachkräftebasis muss auch auf mehr Durchlässigkeit gesetzt werden, denn beim Wettbewerb um IT-Fachkräfte unterliegt die öffentliche Verwaltung nicht zuletzt infolge ihrer starren Laufzeitregelungen oder Vergütungs- und Besoldungstabellen. Warum erlauben wir es uns nicht, im Tarif- wie Beamtenrecht mehr Flexibilität zu wagen? Schließlich gilt es, die andauernderen Konnexitätsdebatten aufzu­brechen. Nicht die Klärung der Frage, welche Unterstützungszahlungen Bund und/ oder Länder für den E-­GovernmentAusbau zu leisten haben, führt weiter, sondern allein der Blick auf die wirtschaftlichen Vorteile und Ressourcenschonung durch E-Government. Wie groß die Einsparpotentiale von E-Government sind, zeigen Erhebungen des Nationalen Normenkontrollrates: Zwischen 2006 und 2013 senkte der deutsche Staat die Bürokratiekosten um insgesamt zwölf Milliarden Euro. Allein 50 Prozent der Einsparungen gelangen über E-Government. Fest steht: Eine moderne, effiziente, digitale Verwaltung ist ein wesentlicher Faktor für den Wirtschafts- und Industriestandort Deutschland. Damit unser Land auf diesem Feld im internationalen Wettbewerb nicht den Anschluss verliert, müssen wir endlich aufwachen und mehr Energie in den Aufbau der digitalen Verwaltung l stecken.

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Zehn-Punkte-Fahrplan des Wirtschaftsrates: So kann der Staat 4.0 gelingen. 1. Flächendeckender Netzausbau mit Bandbreiten im Giga-Bereich durch Nutzung vorhandener Infrastrukturen. Das können etwa Versorgungsleitungen, Straßen­ laternen für Glasfaserkabel bzw. Sendeverstärker sein. Frühzeitige Vergabe von 70 ­ Megahertz-Funkfrequenzen sowie Veräußerung von Bundesbeteiligungen und Umwidmung bestehender Förderprogramme. 2. Abschluss eines Staatsvertrages zwischen Bund und Ländern zur Synchronisation der bundesweiten E-Government-Aktivitäten. 3. Eindämmung des innovationsbremsenden Ressortprinzips durch Öffnung von Artikel 65 Grundgesetz zur Ermöglichung ebenenübergreifender IT-Projekte. 4. Bündelung der IT-Zuständigkeit auf Bundesebene beim Chef des Bundeskanzleramtes mit ebenenübergreifenden Entscheidungsbefugnissen und Durchgriffsrechten. 5. Professionelle Projektorganisation mit eindeutigen Zielmarken und Vorgaben in Form verbindlicher Zeitfenster, konkreter Sparauflagen mit der Vorschrift zur Verwendung standardisierter Lösungen sowie verpflichtenden IT-Verträglichkeitsprüfungen für neue Gesetze. 6. Konsequente haushälterische Flankierung von Modernisierungsinitiativen wie dem ­Regierungsprogramm „Digitale Verwaltung 2020“. 7. IT-Konsolidierung auf Bundes-, Landes- wie Kommunalebene zur Erleichterung der ­ressortübergreifenden Zusammenarbeit, Effizienzsteigerung und Kostensenkung. 8. Aufbau eines Onlineportals www.115.de und Schaffung eines sicheren Bürgerkontos, über das und mit dem Bürger wie Unternehmen sämtliche Verwaltungsleistungen elektronisch abwickeln. 9. Aktives Personalmanagement mit einer Modernisierung des Dienstrechts zur Sicherung der (IT-)Fachkräftebasis der öffentlichen Verwaltung. 10. Akzeptanzsteigerung durch aktives Marketing, das sowohl den Mitarbeitern der Verwaltung als auch der Öffentlichkeit Fortschritte im Bereich E-Government zugänglich macht.

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AKTUELL E-Government

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AKTUELL Rentendebatte

Die Rente ist kein Es ist wieder Wahlkampf. Dabei steht der Gang zur Urne erst im Herbst 2017 an. Doch Teile der Regierungsparteien wappnen sich schon heute mit populistischen Kernbotschaften für diese Auseinandersetzung. Text: D r. Holger Fricke und Caroline Bernhardt

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inmal mehr wollen alle Parteien die Alterssicherung zum Mobilisierungsthema für den Wahlkampf machen. Immer wieder hört man Forderungen, wie unser Rentensystem verändert werden soll. Leider gehen sie durchgängig in eine Richtung: Mehr Leistungen für die Rentner auf Kosten der Beitragszahler – sprich der jungen Generation. Das verwundert nicht: 20 Millionen Rentner sind eine große Wählerschaft. Da liegt es nahe, dass Politiker mit Versprechen gegen die vermeintliche Altersarmut locken. Dabei ist das Armutsrisiko Älterer bisher wesentlich geringer als in jeder anderen Generation, und daran wird sich nach Berechnungen des wissenschaftlichen Beirats des Bundeswirtschaftsministeriums auch in den kommenden Jahrzehnten nichts ändern. Warum also wird die junge Generation immer weiter belastet? Tatsache ist, dass schon in dieser Legislatur vor allem Politik für diejenigen gemacht wurde, die in Kürze Renten beziehen werden oder schon beziehen. Allein das letzte Rentenpaket von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles kostet nach Berechnungen der Stiftung Marktwirtschaft seit 2015 jährlich zehn Milliarden Euro. Insgesamt werden alle, die in die Sozial- und Steuerkassen einzahlen, für die höhere Leistungen an Mütter und "Rentner mit 63" insgesamt 285 Milliarden Euro aufbringen müssen. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung OECD kritisiert zutreffend, dass die junge, erwerbstätige Generation

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in Deutschland so stark wie in kaum einem anderen Industrieland belastet wird. Rund die Hälfte des Bruttolohnes geht für Steuern und Abgaben drauf. Jeder dritte Euro, der in Deutschland verdient wird, fließt bereits in die Sozialkassen, Tendenz steigend. Wenn wir nicht gegensteuern, wird der Beitragssatz für die sozialen Sicherungssysteme schon bald wieder die 40-Prozent-Marke nehmen. Hinzu kommt, dass die Steuerzuschüsse an die Rentenversicherung nach Einschätzung des Bundesrechnungshofs von aktuell 86,6 auf über 100 Milliarden Euro im Jahr 2020 ansteigen werden. Gleichzeitig hat es in diesem Jahr die höchste Rentenerhöhung seit 22 Jahren gegeben: Wegen der ausgezeichneten Beschäftigungsentwicklung bekamen Rentner in Ostdeutschland einen Zuschlag von 5,95 Prozent, im Westen waren es 4,25 Prozent. Umso unverständlicher ist, dass die Volksparteien noch kräftig draufsatteln wollen. Sie überbieten sich mit monströsen Rentenausgabenprogrammen zulasten der Beitragszahler. So würde eine Anhebung des gesetzlichen Rentenniveaus auf 50 Prozent wie von SPD-Spitzenpolitikern gefordert jährlich Mehrkosten von 28 Milliarden Euro bedeuten. Das ist dreimal so viel wie durch das Rentenpaket 2014. Zur Finanzierung wäre ein Rentenbeitragssatz von 24,3 Prozent in 2030 erforderlich. Gesetzliche Rente: Generationen­ gerechtigkeit wiederherstellen Die Regelungen zur gesetzlichen Rente bedeuten sicherlich keine Bevor-

zugung der jungen, erwerbstätigen Generation, die es durch zusätzliche Rentenausgaben zu korrigieren gälte. Der Rentenbeitrag der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten steigt ohnehin von jetzt 18,7 Prozent auf 22 Prozent im Jahr 2030. Das gesetzliche Renteneintrittsalter erhöht sich schrittweise auf 67 Jahre, und die junge Generation muss schon heute privat vorsorgen, wenn sie die Rentenlücke schließen will Die soziale Lage der Älteren ist viel besser, als sie von verantwortungslosen Populisten gemacht wird. Zwar sinkt das Niveau der gesetzlichen Rente von 53 Prozent im Jahr 2004 über aktuell 47,5 bis 2029 auf voraussichtlich 44,6 Prozent. Der größte Teil des Rückgangs hat damit aber schon stattgefunden. In den nächsten 13 Jahren geht das Rentenniveau nur noch um 2,9 Prozentpunkte zurück. Zudem steigt der Zahlbetrag der Rente durch die jüngsten kräftigen Rentensteigerungen trotz Niveau­ kürzung. So erhält der Durchschnitts­ rentner heute 1301 Euro im Monat, 2029 werden es voraussichtlich 1824 Euro sein. Damit wird dann auch die reale Kaufkraft eines durch­ schnitt­ lichen Rentners höher liegen als heute. Hinzu kommt, dass die Rentenreform 2004 ausdrücklich vorsah, dass jeder zusätzlich zur gesetzlichen Rente privat vorsorgen sollte. Die Riester-Rente wird seitdem zusätzlich staatlich gefördert. Inzwischen zahlen die Deutschen in 16,5 Millionen Riester-Verträge ein. Nach Schätzungen

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AKTUELL Rentendebatte

Spielball für den Wahlkampf Lebenserwartung in Deutschland Durchschnittliche weitere Lebenserwartung in Deutschland nach Geschlecht und Altersgruppen laut der Sterbetafel 2010/12 (in Jahren)

82,8 Alter

Frauen

0 Jahre 10 Jahre 20 Jahre 30 Jahre 40 Jahre 50 Jahre 60 Jahre 70 Jahre 80 Jahre 0

der Bundesregierung werden sie das Gesamt-Rentenniveau 2029 wieder auf 51,5 Prozent anheben. Des Weiteren erwerben 60 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten – also rund 18 Millionen Menschen – Betriebsrenten-Ansprüche. Zudem sichern gerade Freiberufler ihren Lebensabend über berufsständische Versorgungswerke ab. Viele haben nur aus den Anfangsjahren ihrer beruflichen Tätigkeit Ansprüche an die gesetzliche Rente, die dementsprechend minimal sind. Das bedeutet aber nicht, dass diese Freiberufler im Alter von Armut bedroht sind. Im

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77,72

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Gegensatz dazu ist jedes sechste Kind unter 15 Jahren auf Grundsicherung angewiesen, insgesamt 15,4 Prozent. Fast vier von zehn Alleinerziehenden – das sind 39 Prozent – benötigen ­diese staatliche Hilfe. Wer als Alleinerziehende zwei Kinder zu versorgen hat, ist zu 44 Prozent von Grundsicherung abhängig. Bei drei oder mehr Kindern können sich nur ein Drittel der Alleinerziehenden selbstständig er­ nähren. 67 Prozent brauchen Grundleistungen. Der Demografie-Experte Professor Axel Börsch-Supan fällt deshalb ein klares Urteil: „Rentenreformen, die

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80

Quelle: Statistisches Bundesamt, 2015a, IW Köln

Männer

die Älteren entlasten, aber dafür Kindern noch mehr Lasten aufbürden, verschlimmern daher die Armuts­ probleme in Deutschland, statt sie zu verbessern.“ Die Parteien sollten sich dies im Wahlkampf zu Herzen nehmen. Keine teuren Rentenversprechen zu Lasten der jungen Generation, sondern Impulse für Wachstum sind entscheidend für die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft. Das sind vor allem Investi­tionen in Infrastrukturen und Bildung. Ein stetiges Wirtschaftswachstum ist Grundlage jeder nachl haltigen Rentenpolitik.

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AKTUELL Digitale Bildung

Die Aufholjagd kann nur mit Unterstützung der Wirtschaft gelingen

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s ist an der Zeit, dass im Jahr der Digitalen Bildung den Worten im Koalitionsvertrag endlich Taten folgen. Die International Computer and Information Literacy Study (ICILS) hat herausgearbeitet, dass Deutschland bei der Digitalen Bildung den Weltmeistern weit hinterherhinkt. Damit sich das ändert, beschäftigt sich der nationale IT-Gipfel im November schwerpunktmäßig mit diesem Thema. Nahezu zeitgleich werden Bund und Kultusministerkonferenz eine Strategie „Digitales Lernen“ veröffentlichen und damit endlich eine Forderung aus dem Koalitionsvertrag umsetzen. Diese ist maßgeblich durch den von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion erarbeiteten und 2015 im Bundestag verabschiedeten Antrag „Durch Stärkung der Digitalen Bildung Medienkompetenz fördern und digitale Spaltung überwinden“ mit einem klaren Forderungskatalog konkretisiert worden.

ICILS hat ermittelt, dass gerade magere 1,5 Prozent der deutschen Schüler im Rahmen der Studie die höchste Stufe computer- und informationsbezogener Kompetenzen erreicht haben. Der Einsatz von Computern findet an Schulen viel zu selten, wenig sinnvoll und kaum fächerübergreifend statt. Nur 30 Prozent der Schüler arbeiten im Unterricht regelmäßig mit ihnen – der internationale Mittelwert liegt bei 52 Prozent. Die Studie macht klar, dass das Aufwachsen in einer technologisch geprägten Welt nicht automatisch zu kompetenteren Nutzern führt. Rund 30 Prozent der Schüler verfügen nur über sehr gering ausgeprägte digitale Kompetenzen – mit Zuwanderungshintergrund sind es sogar 40 Prozent.

Ohne stärkere Verankerung digitaler Medien in allen Lernprozessen droht Deutschland international auf Sicht der Abstieg. Die Bereiche Lernen, Wissensaneignung und Mediennutzung werden sich durch die Digita-

2016 ist als Jahr der „Digitalen Bildung“ ausgerufen. Im November beschäftigt sich der nationale IT-Gipfel schwerpunktmäßig mit diesem Thema; nahezu zeitgleich werden Bund und Kultusministerkonferenz eine Strategie „Digitales Lernen“ veröffentlichen und damit endlich eine Forderung aus dem ­Koalitionsvertrag umsetzen.

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AKTUELL Digitale Bildung

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wir in Deutschland digitale Exzellenz. Im Koalitionsvertrag wurde vereinbart, nach dem Vorbild der Eliteschulen des Sports, unsere IT-Spitzenkräfte von morgen an Profilschulen für IT und Digitales auszubilden. Diese ­ Vereinbarung muss dringend mit Leben gefüllt werden. Die Länder könnten dies beispielsweise durch die freiwerdenden BAföG-Mittelentlastungen durch den Bund finanzieren.

Sven Volmering MdB Mitglied im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technologiefolgenabschätzung CDU/CSU-Bundestagsfraktion

Foto: H.J. Müller

langen, einen Bärendienst erweisen. Weder „totale Zwangsdigitalisierung“ noch dauerhafte „Orte des digitalen Fastens“ können realistische Ziele einer vernünftigen Bildungspolitik sein. Wenn in nur einer Minute im Internet 204 Millionen E-Mails verschickt, 13,8 Millionen WhatsApp Nachrichten versendet, 42.000 Fotos bei Instagram hochgeladen, 277.000 Tweets gesendet werden – dann ist das die Lebensrealität, mit der unsere Kinder und Jugendlichen aufwachsen. Aufgabe einer zukunftsorientierten Bildungspolitik muss es sein, endlich die Lebensrealität des 21. Jahrhunderts in Schule, Universität und Weiterbildungseinrichtungen zu bringen. Es ist zu begrüßen, dass die Bundesregierung mit den Ländern eine Strategie „Digitales Lernen“ erarbeitet und die Regierungsfraktionen mit ihrem Antrag einen klaren Handlungsauftrag gegeben haben. Es muss am besten über einen Staatsvertrag festgelegt werden, welche Kernkompetenzen und grundsätzlichen Bildungsinhalte deutschlandweit in der Schule gelehrt werden. Denn dann würde ein einheitlicher Standard gelten, der etwa das Risiko eines Schulwechsels zwischen Bundesländern minimiert sowie eine stärkere Vergleichbarkeit der Bildungspolitik einzelner Länder ermöglicht. Entscheidend ist es zudem, bei der Aus- und Weiterbildung von Pädagogen und Lehrkräften anzusetzen. Die Qualitätsoffensive Lehrerbildung des Bundes leistet dazu bereits ihren Beitrag. Deutschlands Schulen brauchen eine Anpassung der Curricula und Prüfungsordnungen bei der Lehrerausbildung, bei der sich bislang nur magere 12 Prozent Kenntnisse über digital basierten Unterricht aneignen konnten. Neben der digitalen Grundbildung brauchen Foto: Fotolia.com ©WavebreakmediaMicro

lisierung fundamental ändern. Zwei Drittel der Lehrer sind der Auffassung, dass der Einsatz digitaler Medien junge Menschen motivierend dabei unterstützt, Informationen wirksamer zu verarbeiten. Gut 72 Prozent der Eltern und Schüler wünschen sich einen stärkeren Einsatz digitaler Medien. Um eine digitale Spaltung zu vermeiden, müssen wir allen Kindern und Jugendlichen eine vernünftige digitale Grundbildung zukommen lassen. Diese ist eng mit Medienkompetenz verknüpft und beinhaltet den sicheren, verantwortungsvollen und kritischen Umgang mit digitalen Medien und Programmen. Dies ist mit Blick auf den Datenschutz wichtig, aber auch für bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Trotz dieser klaren Befunde nimmt die Debatte über die Digitale Bildung leider bis heute manchmal bizarre Züge an, die dem Anliegen, Medienkompetenz zu er-

Und ähnlich wie bei der Plattform Industrie 4.0, in der Wirtschaft, Gesellschaft, Wissenschaft und Po­ litik den Schulterschluss suchen, brauchen wir in unserem Land eine analoge Z ­ usammenarbeit beim Pakt für D ­ igitale Bildung, der die unterschiedlichen Aktivitäten dieser Akteure bündelt, damit wir inhaltlich und infra­ strukturell in Deutschland vorankommen. Ohne eine enge Zusammenarbeit mit der Wirtschaft wird der Aufholprozess in Deutschland nicht gelingen. Auf der CeBIT habe ich 2015 als Pate Schüler aus meinem Wahlkreis beim Open-Roberta-Projekt begleitet, bei dem Kinder lernen, einen Lego-Roboter zu programmieren. Solche erfolgreichen und interessanten Kooperationen zwischen Unternehmen und Schulen müssen viel ­öfter stattfinden und bekannt gemacht werden. Die ideologischen Scheuklappen linker Bildungspolitiker, die diese Zusammenarbeit ablehnen, dürfen kein Hinderungsgrund dafür sein, dass Wirtschaft und Schule nicht nur in diesem Bereich noch näher aufeinander zugehen. Dieses Thema wird uns sicherlich bei der Umsetzung der ­ Strategie Digitales Lernen noch ­stärker begegnen. Dabei zähle ich auf die Unterstützung durch den Wirtl schaftsrat.

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WIRTSCHAFTSTAG Europa

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ie Soziale Marktwirtschaft hat Deutschland Wohlstand und sozialen Ausgleich gebracht. Alfred Müller-Armack bezeichnete sie im Kern als gesellschaftsund wirtschaftspolitisches Ordnungsmodell mit dem Ziel, „auf der Basis der Wettbewerbswirtschaft die freie Initiative mit einem gerade durch die wirtschaftliche Leistung gesicherten sozialen Fortschritt zu verbinden“. Die

Wirtschaft, umso sozialer ist sie auch“: Dieser richtige und stets hochaktuelle Leitgedanke Ludwig Erhards hat ihn trotzdem nicht davon abgehalten, auch regulatorisch in die Märkte einzugreifen. So hat erst die Monopolkontrolle mit einem harten Kartellrecht die Voraussetzungen für das Entstehen eines breiten Mittelstands geschaffen, der heute das Rückgrat unserer Wirtschaft bildet. Nun war

Produkte spielen für Deutschland und Europa eine besonders große Rolle. Darum war es mir als Bundeskanzlerin immer wichtig, die Ausgaben für Forschung und Entwicklung sukzessive zu erhöhen. Das ist uns gelungen. Die globale Welt stellt uns allerdings vor neue Herausforderungen. Der größte Treiber dieser Entwicklung ist die Digitalisierung. Globalisierung hat es zwar schon immer gegeben. Die Di-

Zwei ernsthafte Schocks für die E­ uropäische Union Um künftigen Wohlstand zu sichern, müssen wir wettbewerbsfähiger sein als andere. Innovation, Kreativität und die Entwicklung neuer Produkte spielen für Deutschland und Europa eine besonders große Rolle. Soziale Marktwirtschaft spiegelt damit einen typischen Unionsgedanken wider. Die CDU hat es immer wieder geschafft, scheinbar unvereinbare In-

Foto: CDU/Dominik Butzmann

Dr. Angela Merkel MdB Bundeskanzlerin der ­Bundesrepublik Deutschland

teressen zu versöhnen. Dazu zählen insbesondere auch die unterschiedlichen Standpunkte von Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Nun soll man in einer Sozialen Marktwirtschaft zuvorderst die freiheitlichen Kräfte nutzen. „Je freier die

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die Soziale Marktwirtschaft immer auch mit einer großen gesellschaftlichen Verheißung Erhards verbunden: „Wohlstand für Alle“. Mich persönlich beunruhigt deshalb die rapide Abnahme der Tarifbindung in den Unternehmen. Damit erlahmen jene Kräfte, die normalerweise für den Interessenausgleich zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern Sorge tragen. Damit wächst die Gefahr, dass der Staat immer mehr regulatorisch eingreift. Wir mussten den Mindestlohn einführen, weil die Tarifpartner vielerorts nicht mehr für sozialen Ausgleich sorgen konnten. Mir wäre es jedoch lieber gewesen, wir wären nicht zu diesem Schritt genötigt gewesen. Um künftigen Wohlstand zu sichern, müssen wir wettbewerbsfähiger sein als andere. Innovation, Kreativität und die Entwicklung neuer

gitalisierung hebt indes alles auf eine vollkommen neue Stufe. Sie verändert die Produktion und das menschliche Kommunikationsverhalten grundlegend. Man muss ganz nüchtern feststellen, dass Europa bei der konsum­ orientierten Digitalisierung heute weltweit nicht zur Spitze zählt. Jetzt treten wir jedoch in eine Phase ein, bei der unsere große Stärke, die klassische Industrie, mit den Möglichkeiten der Digitalisierung verschmilzt. Daten sind der Rohstoff der Zukunft, aus dem neue Produkte entstehen. Die große Frage für uns ist deshalb heute: Ist die Industrie künftig nur noch eine verlängerte Werkbank der Datensammler – oder schaffen wir ­ es mit eigenen Produkten, weiterhin im Zentrum der Wertschöpfung zu stehen und von dort aus in alle anderen Bereiche auszustrahlen? Diese

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WIRTSCHAFTSTAG Europa

Wir haben in den vergangenen Jahren zwei ernsthafte Schocks für die Europäische Union erlebt. Der erste war die Finanzkrise und deren Folgen für die Eurozone. Im vergangenen Jahr kam durch die Flüchtlingsströme ein Angriff auf ein konstitutives Element der EU hinzu, die Außengrenzen. Das bedeutet für uns nichts anderes, als dass wir uns jetzt in ganz anderer

liz Boko Haram konfrontiert. Das sind die großen Herausforderungen, denen Europa sich wird stellen müssen. Deshalb will ich auch versuchen, mit dem Wirtschaftsrat über Fragen des Engagements in Afrika ins Gespräch zu kommen. Nur wenn wir dort eine echte Entwicklung in Gang bringen, werden wir die Fluchtursachen wirksam bekämpfen.

Aus der Finanzkrise haben wir gelernt, dass wir die Soziale Marktwirtschaft in Zeiten der Globalisierung nicht mehr allein national gestalten können. Auch nicht mehr allein europäisch, sondern dass globale Märkte einen globalen Ordnungsrahmen brauchen. Darum geht es letztlich auch bei den Verhandlungen mit den Amerikanern um die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP). Wenn wir in einer globalisierten Welt Umwelt-, Verbraucher- und Sozialstandards setzen wollen, dann muss man das mit Regionen machen, die uns ähnlich sind und wie die USA in einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung agieren. Nur so schafft man Fakten mit großen Wirtschaftszonen, gegen die andere nicht ankommen werden.

Weise mit unserer Nachbarschaft werden beschäftigen müssen. Das zentrale Problem künftiger Migrationsströme wird jedoch nicht Syrien oder den Irak betreffen, sondern den afrikanischen Kontinent. In Afrika leben heute 1,2 Milliarden Menschen, 2050 werden

Das strategische Interesse Europas an einer stabilen Golfregion und an Nordafrika ist inzwischen größer als das der Amerikaner. Die Frage der Sicherheit rückt für Europa damit viel stärker in den Fokus. Deshalb ist es gut, dass wir in ein transatlantisches Verteidigungsbündnis verankert sind. Ganz gewiss heißt dies aber auch, dass ein Land wie Deutschland, das heute 1,2 Prozent des Bruttoinlandspro­ duktes (BIP) für Verteidigung ausgibt, und die Vereinigten Staaten, die 3,4 Prozent des BIP für Verteidigung a­ usgeben, sich werden annähern müssen. In diesem Sinne ist es eine ziemlich breit angelegte Heraus­ forderung, die Soziale Marktwirtschaft in Deutschland und Europa m zu ver­teidigen.

Foto: gm company

Schlacht wird gerade geschlagen, und sie wird sich in den nächsten fünf bis zehn Jahren mit Sicherheit in vielen Bereichen entscheiden. Industrie 4.0 ist also sehr wichtig, und wir müssen deshalb jetzt schneller die Chancen des Binnenmarktes für den digitalen Markt erschließen. Europa hat eine Chance, aber Europa muss diese Chance nutzen.

Unsere große Stärke, die klassische Industrie, verschmilzt mit den Möglichkeiten der Digitalisierung. es 2,3 Milliarden sein. Das beschreibt die Dimension der Herausforderung. Ein Beispiel ist Niger. Niger gehört zu den ärmsten Ländern der Welt, liegt an der Grenze zu Libyen, und 90 Prozent der afrikanischen Migranten durchziehen das Land. Zugleich ist Niger am Tschadsee mit der Terrormi-

(Auszug aus der Rede auf dem Wirtschaftstag 2016)

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Keine weitere Vertiefung und Erweiterung der Europäischen Union Die Stimmung in den E ­ uro-Staaten ist schlecht. Zu Unrecht beklagt der Vorsitzende der Euro­gruppe, Jeroen Dijssel­bloem: Denn die Wirtschaft wächst, die Arbeitslosigkeit geht langsam zurück und die Haushaltsdefizite werden stetig a­ bgebaut. Das ist auch ein Erfolg der politischen ­Reformen.

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ie Eurozone wird derzeit von viel Trübsal und düsterer Stimmung begleitet. Das ist meines Erachtens nicht gerechtfertigt. Trotz globalen Gegenwinds wächst die Wirtschaft. Die

Foto: Rijksoverheid-Arenda Oomen

Jeroen Dijsselbloem Vorsitzender der Euro-Gruppe und Minister für Finanzen, Königreich der Niederlande

Die Europäische Union muss sich auf Sicherheit und Wohlstand besinnen. Arbeitslosigkeit geht langsam, aber sicher zurück. Und die Defizite der öffentlichen Haushalte werden stetig abgebaut. Das ist auch ein Erfolg der politischen Reformen. Zugegeben: Wir sind noch nicht dort, wo wir hin müssen. Risiken gibt

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es nach wie vor genug. Aber wir müssen realistisch sein. Europa ist ein alternder Kontinent. Eine alternde Gesellschaft bedeutet weniger Potentialwachstum. Das Durchschnittswachstum in der Eurozone lag 2015 bei 1,7 Prozent. Wenn wir die richtige Politik machen, können wir es auf zwei Prozent steigern. Aber die Wachstumsraten, wie wir sie von vor der Krise kennen, werden so schnell nicht zurückkehren. Häufig wird Politikern vorgeworfen, sie hätten nicht genug getan, um die Finanz- und Schuldenkrise zu bewältigen. Ich behaupte das Gegenteil. Wir haben zahlreiche Reformen in Angriff genommen: am Immobilienmarkt, auf den Arbeitsmärkten, bei den Rentensystemen. Politiker mussten diese Maßnahmen unter schwierigen Umständen umsetzen – inmitten der Krise, als Menschen ihre Arbeitsplätze verloren und gesehen haben, dass die Immobilienpreise fallen. Und in einer Zeit, in der die Bevölkerung Europas eine große Unsicherheit wegen des Terrorismus und der Migrationsströme verspürte. Die Flüchtlingsströme üben Druck auf unsere Gesellschaften

aus, auf die Löhne und auf die Perspektiven am Arbeitsmarkt. Die Migration zwingt uns, Antworten auf die großen sozialen Fragen zu finden: Ungleichheit, soziale Mobilität und zur Zukunft des europäischen Sozialmodells. In der Nachkriegszeit, in der Rückschau bis zur Einführung des Euro, haben wir die EU durch immer neue große, historische Schritte ausgebaut. Das Ziel war klar: Die EU sollte Sicherheit und Wachstum für alle ermöglichen. Sie hat auch geliefert. Die Flüchtlingskrise, die Bedrohung durch den Terrorismus und die Finanzkrise haben uns jedoch schmerzhaft deutlich gemacht, dass die EU nicht schockresistent ist. Deshalb müssen wir uns darauf konzentrieren, den Menschen wieder das zu liefern, was wirklich wichtig ist: Sicherheit und Wachstum. Deshalb glaube ich, dass wir derzeit keine weiteren großen Schritte zur Vertiefung und Erweiterung der EU unternehmen sollten. Wir sollten das, was wir haben, zunächst stärken und vollenden. Lassen Sie uns einen pragmatischen, schrittweisen Ansatz verfolgen, um die EU krisenfest zu machen. Wir brauchen die Vollendung der Bankenunion, die Einheit der Kapitalmärkte, einen vertieften Binnenmarkt und Strukturreformen unserer Volkswirtschaften. Viele Hausaufgaben wurden bereits gemacht – aber wir müssen noch sehr viel mehr unternehmen. (Auszug aus der Rede auf dem Wirtschaftstag 2016)

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WIRTSCHAFTSTAG Europa

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ischen Banken stehen die US-Institute da. Wir Banken hier in Deutschland können von den Margen auf dem USMarkt nur träumen. Niedrige Zinsen machen die Situation noch schwieriger. Aus der Ertragsschwäche folgt ein gravierendes gesamtwirtschaftliches Problem: Es fällt den Banken schwer, aus eigener Kraft das Eigenkapital aufzubauen, mit dem sie die steigenden Anforderungen der Aufsichtsbehörden erfüllen können. Stattdessen müssen wir unsere Bilanzen verkürzen und können entsprechend weniger Kredite vergeben. Trotzdem verlangen die Regulierer immer höhere Risikopuffer. Das ist nach den Erfahrungen der Finanzkrise verständlich – führt aber dazu, dass die Banken den immer strengeren Anforderungen fast pausenlos hinterherlaufen. Es droht ein Teufelskreis: Schwache Banken stehen einer Erholung der Wirtschaft im Weg. Und weil wiederum die Konjunktur nicht in Schwung kommt, fällt es den Banken umso schwerer, wieder Tritt zu fassen. Mich treibt deshalb die Sorge um, dass sich Teile Europas nach und nach in eine Dauerstagnation manövrieren könnten, wie sie etwa Japan leidvoll erfahren musste.

Natürlich fordere ich nicht, das Rad der Regulierung wieder zurückzudrehen. Aber was wir nun brauchen, ist Sicherheit in der Planung: Es sollte nicht im Tempo der vergangenen Jahre weitergehen. Es erscheint mir sinnvoll, zunächst die vorliegenden Rege-

John Cryan

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s liegt mir persönlich sehr am Herzen, dass wir unser Verhältnis zur Gesellschaft und zur Politik wieder verbessern. Ich wünsche mir vor allem zweierlei: gegenseitiges Verständnis und Vertrauen. Dabei sind wir Banken in der Pflicht. Wir müssen noch stabiler werden, damit die Branche mögliche Krisen verlässlich aus eigener Kraft übersteht, ohne den Staat zu belasten. Ich verstehe, dass Gesellschaft und Politik in Deutschland erst sehen wollen, ob wir uns insgesamt tatsächlich gebessert haben. Mitunter werden Banken heute aber nur noch als notwendiges Übel gesehen. Das betrübt mich – weil ich überzeugt bin, dass es der Wirtschaft schadet, wenn man die Finanzbranche nur noch als Last betrachtet und wenig Rücksicht auf sie nimmt. Wir sind ein wesentlicher Teil des Herz-Kreislauf-Systems der Volkswirtschaft. Wenn Banken kaum Kredite vergeben können, fehlt es den Unternehmen an Mitteln für ihre Investitionen Drei Jahre in Folge wurden in Europa weniger Kredite an Unternehmen vergeben. Erst vergangenes Jahr hat sich das Volumen wieder stabilisiert. Und das lag nicht nur an einer geringeren Kreditnachfrage, sondern auch daran, dass die Banken ihr Kreditangebot stark reduzieren mussten. Dieser Engpass schadet der Wirtschaft gerade deshalb, weil sich Firmen in Europa nach wie vor stärker über Banken finanzieren als etwa in den USA. Wesentlich besser aber als die europä-

Vorsitzender des Vorstandes, Deutsche Bank AG

Wir Banken sind in der Pflicht. Wir müssen noch stabiler werden, damit die Branche mögliche Krisen verlässlich aus eigener Kraft übersteht, ohne den Staat zu belasten. lungen wirken zu lassen, statt diese bereits wieder zu verschärfen, noch ehe sie umgesetzt sind. Wenn ich dafür werbe, auch die Belange der Finanzbranche im Blick zu behalten, dann geht es nicht darum, Banken zu schonen. Vielmehr wünsche ich mir, dass Europa die strategische Bedeutung des Bankensystems für Wachstum und Wohlstand erkennt. (Auszug aus der Rede auf dem Wirtschaftstag 2016)

Ein starkes Europa braucht starke Banken Deutsche-Bank-Chef John Cryan warnt vor einer ­regulatorischen Überforderung der ­Finanzbranche. Ohne starke Banken wird die Konjunktur in Europa nach seiner Ü ­ berzeugung nicht so schnell wieder auf die Beine kommen. 3/2016 TREND

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Innovationen stärker vorantreiben

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uropa in der Zeitenwende“: Der Titel des diesjährigen Wirtschaftstages passt hervorragend zur deutschen Automobilindustrie. Daimler wird sich in den nächsten zehn Jahren radikal zu einem anderen Unternehmen entwickeln, so wie Deutschland dann ein anderes Land mit anderen wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Schwerpunkten sein wird. Wir müssen den Wandel durch Innovationen vorantreiben. Die Zukunft der Mobilität wird ganz maßgeblich von der Digitalisierung geprägt. Dabei gilt für die Autoindustrie, was sich auf fast alle Branchen in Deutschland übertragen lässt: Die Digitalisierung gibt uns allen sensationelle neue Möglichkeiten – vorausgesetzt, wir haben auch den Mumm, sie zu nutzen. Ein Beispiel ist die neue E-Klasse: Sie ist Pionier in mehrerlei Hinsicht. Es beginnt schon vor dem Kauf, denn

Dr. Dieter Zetsche Foto: Daimler AG

Vorsitzender des Vorstandes, Daimler AG

Foto: Daimler AG

WIRTSCHAFTSTAG Europa

Die Digitalisierung bringt für alle Unternehmen neue Chancen und Herausforde­rungen mit sich – auch für die Automobilindustrie. Dazu braucht es den Mut Innovationen wie das auto­nome Fahren und die Dekarbonisierung mit ­Inves­titionen in E-Mobilität voranzutreiben.

heute können Sie Ihre Probefahrt auch über Amazon buchen. Vor allem aber ist die E-Klasse das erste Serienfahrzeug weltweit, das eine Testlizenz für autonomes Fahren auf öffentlichen Straßen in Nevada bekommen hat. Schon heute ist es möglich, dem Fahrer auf Wunsch eine Menge eintönige Arbeit abzunehmen. Das beginnt bei teilautomatisiertem Fahren, reicht von selbstständigem Überholen bis zum Einparken per Smartphone-App. Die Anpassung des Wiener Übereinkommens erlaubt, dass dies nicht nur technisch, sondern auch juristisch möglich ist. Neben der Akzeptanz in der Politik geht es natürlich vor allem um die Akzeptanz der Kunden. Auf dem Gebiet hat es das autonome Verfahren offenbar etwas leichter als die E-Mobilität. Vielleicht liegt es daran, dass wir neue Assistenzsysteme in den letzten Jahren schrittweise auf den Markt gebracht haben. Denn es geht um Vertrauen. Wer tiefgreifende Veränderungen nachhaltig durchsetzen will, der muss die Menschen nicht nur informieren, sondern Akzeptanz schaffen. Unser Ziel ist klar: vollautonome Fahrzeuge, die komplett eigenständig unterwegs sind. Das ist längst keine Frage mehr des Ob, sondern nur

Die Digitalisierung gibt uns sensationelle neue Möglichkeiten – ­vorausgesetzt, wir haben auch den Mumm, sie zu nutzen. 34

noch des Wann. Wir reden hier über das größte Upgrade unseres Kernprodukts seit seiner Erfindung 1886. Der durchschnittliche Deutsche verbringt etwa zweieinhalb Jahre seines Lebens im Auto. Autonome Autos werden unseren Kunden schon bald ein kostbares Gut schenken: Zeit. Und das wiederum eröffnet neue Möglichkeiten für Kundenservices im Auto, von denen viele Branchen und Dienstleistungen profitieren können. Die reine Technik der selbstfahrenden Autos arbeitet heute bereits sehr zuverlässig. Momentan sind nur noch alle paar Tausend Kilometer menschliche Eingriffe nötig. Für moralische und ethische Fragen brauchen wir indes einen breiten Dialog zwischen Gesellschaft, Wissenschaft, Wirtschaft und Politik. Die geplante Ethikkommission zum autonomen Fahren ist dafür das richtige Forum. Aber wir haben letztlich wenig erreicht, wenn wir nicht gleichzeitig das zweite große Thema unserer Industrie anpacken: Dekarbonisierung. Auf Seiten der Hersteller bedeutet die Transformation hin zur Elektromobilität massive Investitionen. Daimler wird seinen Einsatz hier noch einmal deutlich erhöhen und einen schnell wachsenden Anteil unseres jährlichen Mitteleinsatzes von etwa 14 Milliarden Euro in die Entwicklung und Produktion von E-Fahrzeugen stecken. l (Auszug aus der Rede auf dem Wirtschaftstag 2016)

TREND 3/2016


WIRTSCHAFTSTAG Europa

Europa ist alternativlos

Europa kümmert sich um alles und nichts. Möglichkeiten für unsere Länder: Entweder wir rücken näher zusammen, oder wir bewegen uns auseinander. Wenn wir uns voneinander wegbewegen, wäre das eine Katastrophe. Wenn wir konvergieren, werden wir den Frieden stärken. Unsere Zusammenarbeit ist wichtig. Deutschland kann Europa nicht allein führen. Frankreich auch nicht. Deutschland und Frankreich zusammen aber können die Führung in Europa übernehmen. Leadership ist kein Recht, sondern eine Pflicht. Frankreich und Deutschland stehen

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zusammen für 50 Prozent der Wirtschaftsleistung in der Eurozone. Zuletzt ist leider einiges schief gelaufen in Europa. Schengen ist vor zwei Jahren zusammengebrochen. Natürlich muss Europa offen sein. Es muss eine Willkommenskultur haben. Aber es muss auch entscheiden dürfen, wer nach Europa kommen darf – und wer nicht. Sonst geht Europa unter. Wir müssen das Wesen der europäischen Freizügigkeit richtig verstehen. Ich glaube an die Freizügigkeit. Aber die Freizügigkeit in Europa von Europäern bedeutet nicht zugleich auch Freizügigkeit in Europa für alle Nicht-Europäer. Das ist nicht das Gleiche. Frankreich und Deutschland müssen einen Plan auf den Tisch bringen – und zwar einen neuen Europäischen Vertrag. Der Aufstieg der europäischen Populisten ist beunruhigend. Wir ­ haben in Frankreich wirklich dafür gekämpft, dass der Front National kein einziges Departement und keine Region für sich in Anspruch nehmen konnte. Das war wirklich nicht leicht. Überall, wo ich hinschaue, haben die Populisten von der extrem Rechten und Linken zugelegt. In allen Ländern. Das dürfen wir so nicht weitergehen lassen. Wir müssen das europäische Projekt neu begründen. Der Mythos eines einzigen Europa ist vorbei. Es gibt das Europa des Euro und die EU.

Diese zwei verschiedenen Europas brauchen verschiedene Politiken. Für das Europa des Euro ­müssen Deutschland und Frankreich echte Verantwortung übernehmen. Und schließlich müssen wir mit der EU Klartext

Nicolas Sarkozy Staatspräsident der ­Französischen Republik a.D., Vorsitzender Les Républicains,

Foto: Christian Kruppa

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esinnen wir uns auf unsere Geschichte: Europa war über Jahrhunderte der barbarischste Kontinent der Welt. In Europa haben wir uns gegenseitig gemetzelt und umgebracht. Und das war nicht nur im Mittelalter so, das fand bis weit ins 20. Jahrhundert statt. Seit 70 Jahren haben wir nun Frieden. Wenn wir unseren Kontinent heute als den ruhigsten, den zivilisiertesten betrachten, dann ist das nur so, weil vorausschauende Politiker Europa geschaffen haben. Europa ist alternativlos. Konrad Adenauer und Charles De Gaulle und alle, die nach ihnen gekommen sind, haben zwischen uns eine Freundschaft geschaffen. Eine Freundschaft, die nicht selbstverständlich war. Wir dürfen diese Freundschaft von niemandem wieder in Frage stellen lassen. Es gibt nur zwei

Foto: Fotolia.com ©helmutvogler

Der Mythos eines einzigen Europas ist vorbei. Es gibt das Europa des Euro und die EU und diese zwei Europas brauchen eine unterschiedliche Politik. Für das Europa des Euro müssen Deutschland und Frankreich die Verant­wortung übernehmen.

reden. Europa kümmert sich um alles und nichts. Jetzt ist es sehr wichtig, dass man sich auf ein paar wenige wichtige strategische Prioritäten konzentriert – und alle anderen Fragen an die Mitgliedstaaten zurückgehen. l (Auszug aus der Rede auf dem Wirtschaftstag 2016)

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Foto: Fotolia.com ©lukin77

WIRTSCHAFTSTAG Europa

Lieber Schlaglöcher als Funklöcher ?! Die digitale Revolution ist in vollem Gange. Europa muss sich sputen, um der klaren Strategie der Vereinigten Staaten für eine Reindustrialisierung etwas ­entgegen­zusetzen. Es ist Zeit für einen Datenschutz und den massiven Ausbau der digitalen Infrastruktur.

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ir leben inmitten einer digitalen Revolution. Die Amerikaner treiben die digitale Revolution mit Kreativität voran. Sie haben die digitale Überlegenheit – und eine klare Strategie. Sie wollen die re-industrielle Entwicklung Amerikas. Und sie treiben sie mit billiger Energie voran. Billige Energie und digitale Technologien

Foto: European Union, 2015

Günther H. Oettinger Kommissar für Digitale Wirtschaft und Gesellschaft Europäische Kommission

treiben die Industrie. Unsere amerikanischen Freunde wollen ihre digitale Überlegenheit nutzen für eine gesamtwirtschaftliche Überlegenheit. Es geht also um das Herz der deutschen und der europäischen Wirtschaft. Digitale Strategien machen nur europäisch Sinn, weil digitale Diens-

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te am Ende des Tages globale Dienste sind. Eine Säule Europas ist der Binnenmarkt. Aber wir haben keinen digitalen Binnenmarkt. Noch immer haben wir 28 Datenschutzgesetze unterschiedlichster Art. Seit April haben wir endlich die Entscheidung für eine europäische Datenschutzgrundverordnung. Datensicherheit geht nur noch mit einer gemeinsamen europäischen Kultur, einem Standard, der überall gleich hoch ist. Nächster Punkt: Konnektivität. Uns fehlt die digitale Infrastruktur. Die digitale Infrastruktur ist wichtiger als jede Umgehungsstraße. Lieber Schlaglöcher als Funklöcher akzeptieren – das muss die Losung dieser Zeit sein. Wir müssen über die Giga­byteGesellschaft sprechen. Solange uns aber auf allen Ebenen der Politik die Ortsumgehungsstraße immer noch wichtiger als die digitale Straße ist, geht etwas schief. Das mobile Funknetz 5G bietet nicht nur eine weitaus bessere Qualität. Auch die Kapazität und die Geschwindigkeit sind nicht zu vergleichen mit seinen Vor-

gängern. Die wichtigsten Investitionen Europas für seine Wettbewerbsfähigkeit und Lebensqualität heißt deshalb 5G auszurollen. Vor den Amerikanern, vor den Indern und vor den Japanern. Vielleicht schaffen wir das. Nach unseren Berechnungen ist für die digitale Infrastruktur alles in allem in Europa ein Betrag von 450 bis 600 Milliarden Euro notwendig. Industrie 4.0 ist eine tolle Plattform. Aber: Es geht um Wirtschaft 4.0. Es geht um Handwerk 4.0. Es geht um Arbeitswelt 4.0. Alles was an Wertschöpfung digitalisiert werden kann, wird digitalisiert.

Wer Daten nur schützt, kann sie nicht nutzen. Ein letzter Punkt: Wir brauchen ein digitales europäisches Bürgerliches Gesetzbuch. Stichwort: Dateneigentum. Der die Daten hat, hat die Macht. In Deutschland haben wir zwar einen perfekten Datenschutz. Aber bei der Datennutzung sind wir eher schwach. Wer Daten nur schützt, kann sie nicht nutzen. Deshalb brauchen wir eine bessere Balance. Vor allen Dingen brauchen wir ein Bewusstsein für die Revolution. Denn noch vor dem Ende dieses Jahrzehnts wird sich entscheiden, wer Gewinner und wer Verlierer der Digil talisierung sein wird. (Auszug aus der Rede auf dem Wirtschaftstag 2016)

TREND 3/2016


WIRTSCHAFTSTAG Europa

Das Land der Dinge vernetzen!

3/2016 TREND

ist der Auftrag. Dazu gehört auch, endlich Schluss zu machen mit der Technologiefeindlichkeit. Wenn wir Inno­vationsland bleiben wollen, gelingt das auch nur, wenn wir uns dem Wett­bewerb mit Vertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit stellen. Wir brauchen mehr digitales Selbstbewusstsein.

Wir brauchen eine neue Daten-Kultur in Deutschland. Ein paar Bemerkungen zur Infrastruktur: Deutschland hat in Europa inzwischen die höchste Dynamik beim Breitbandausbau. Im globalen „Standortindex Digital“ belegen wir bei der Infrastruktur den vierten Platz. Künftig ist es nach dem DigiNetz-­ Gesetz verboten, in Neubaugebieten weiterhin Kupferkabel zu verlegen. Hier dürfen nur noch Glasfaserkabelnetze ausgebaut werden. Und jede Straße, die Bund oder Länder bauen, wird künftig automatisch mit einem Glasfaserkabel versehen. Aber Infrastruktur ist nicht alles. Wir brauchen noch ein Kulturwandel, für den ich

stark werbe. Wir brauchen eine neue Daten-Kultur in Deutschland. Wenn wir Big Data noch immer als Angstbegriff verstehen, kann man Daten nicht zur Wertschöpfung nutzen. Aus Daten-Sparsamkeit muss kreativer Daten-Reichtum werden. Das ist die Aufgabe einer Industrienation, die Daten zu ihrem Rohstoff machen will. Genau deswegen werbe ich dafür, dass wir diesen Kulturwandel in Deutschland durchsetzen, dass wir die Innovationsfeindlichkeit bekämpfen und mit mehr digitalem Selbst-

Alexander Dobrindt MdB

Foto: Bundesregierung, Steffen Kugler

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ir leben in einer der dynamischsten Innovationsphasen in der Geschichte der Menschheit. Bei der Digitalisierung der Gesellschaft geht es nicht nur um den Wettbewerb zwischen Unternehmen. Es geht auch um den Wettbewerb zwischen Ländern und Regionen – eine Erfahrung, die nicht ganz neu ist für uns, über die man sich aber in den vergangenen Jahren nicht mehr so intensiv Gedanken gemacht hat. Die Industrienationen von heute sind nicht zwingend die Digitalnationen von morgen. Wir stehen heute an der Schwelle zu einem neuen digitalen Innovationskapitel: Deutschland hat eine gute Chance, verlorenes Terrain im Wettbewerb wieder gutzumachen. Denn der Sprung in das Internet Of Things erreicht auch Deutschlands Stärken. Wenn jedes Ding miteinander vernetzt wird, dann ist das die Stärke der führenden Industrienation – weil wir schlichtweg das Land der Dinge sind. Wenn bis zum Jahr 2020 rund 50 Milliarden Dinge vernetzt werden, dann werden davon allein 15 Milliarden in Deutschland sein. Jetzt geht es also darum, unsere Stärken strategisch auszuspielen. Das

Foto: Fotolia.com ©monstarrr

Die Industrienationen von heute sind nicht zwingend die Digitalnationen von morgen. Wir stehen an der Schwelle zu einem neuen digitalen Innovations­ kapitel: Deutschland hat eine gute ­Chance, verlorenes Terrain im ­Wett­bewerb wieder gutzumachen.

Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur

bewusstsein an diese Herausforderungen ran gehen. Nur wenn man überzeugt ist, dass man selber in der Lage ist, den Wettbewerb auch zu bestehen, kann man auch andere davon überzeugen, dass man wettbewerbs­ l fähig und e­ rfolgreich ist. (Auszug aus der Rede auf dem Wirtschaftstag 2016)

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WIRTSCHAFTSTAG Impressionen

Europa im Mittelpunkt Der Wirtschaftstag in Bildern

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uropa in der Zeitenwende“: Unter diesem Motto diskutierten auf dem Wirtschaftstag 2016 in Berlin mehr als 3.000 geladene Gäste die Herausforderungen für den europäischen Kontinent in stürmischen Zeiten. Eine breite Palette wirtschafts- und ­gesellschaftspolitischer Querschnittsthemen prägte die intensiven Diskussionen der hochrangigen Vertreter aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft: Die Zukunft Europas, die Chancen der Digitalisierung, die Eckpunkte einer wettbewerbsfähigen Energiepolitik, die Erfordernisse der Mobilität von morgen, Antworten auf Flüchtlingsmigration sowie

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demografischer Wandel waren die Kernthemen des Wirtschaftstages 2016. Ein wichtiges Fazit: Freiheit, Soziale Marktwirtschaft und offene Binnenmärkte sind Grundvoraussetzungen für den Erhalt von Wohlstand, Arbeitsplätzen und demokratischen Errungenschaften in Europa. Der Wirtschaftsrat appellierte deshalb an die Politik, sich auf die Grundregeln der Sozialen Marktwirtschaft zurückzubesinnen. Denn soziale Sicherheit braucht wirtschaftlichen Erfolg. Es gilt, eine grundlegende Maxime wieder ins Bewusstsein zu rücken: Nur, was vorher l erwirtschaftet wurde, kann anschließend auch verteilt werden.

TREND 3/2016


Fotos: Christian Kruppa, Hans-Christian Plambeck, Jens Schicke

WIRTSCHAFTSTAG Impressionen

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WIRTSCHAFTSTAG Europa

Digitaler Binnenmarkt – Chance für Industrie und Mittelstand

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itte der Achtzigerjahre hat die Europäische ­Union das GSM-Netz aufgebaut. Heute haben wir weltweit mehr als sechs Milliarden Nutzer, es ist die erfolgreichste Technologie aller Zeiten,

betonte Ulf Ewaldsson, Senior Vice President and Group CTO, Ericsson. 2021 wird es rund sechs Milliarden Smartphones

geben. Und zusätzlich 28 Milliarden Geräte, die mit dem Internet der Dinge verbunden sein werden. Das wird die gesamte Welt transformieren. Alles, was eine Anbindung nutzen kann, wird eine Anbindung haben. Das wird sämtliche Industriezweige der Reihe nach ­verändern, ist Ulf Ewaldsson überzeugt. Netzwerke und ­Infrastruktur stehen im Mittelpunkt dieses Prozesses. Wenn wir ferngesteuerte Fahrzeuge haben, die zwischen München und Stuttgart hin und her fahren, dann brauchen wir ­wesentlich leistungsfähigere Netzwerke. Europa hat gute Chancen, hier die Führung zu übernehmen. Breitband und IT müssen stimuliert werden. Wir sollten diejenigen sein, die das neue Mobilfunknetz 5G ­vorantreiben. Dabei müssen wir das gleiche schaffen, was wir mit dem GSM-Netz geschafft haben – damit wir wieder die Besten sind und das für die Entwicklung unserer Industrie nutzen können, forderte Ulf Ewaldsson. Unsere Industrie ist anpassungsfähig, agil und anerkannt. Die Wirtschaft 4.0 ist auf einem guten Weg. Deutschland muss sich gleichwohl anstrengen, den Anschluss zu behalten. Wir sehen immer kürzere Innovationszyklen, bereits die nächste Revolutionsstufe der Digitalisierung ist erreicht, künstliche Intelligenz, machine learning, big data analytics, erklärte Prof. Dr. Norbert Winkeljohann, Sprecher

des ­Vor­standes, PricewaterhouseCoopers AG WPG.

Die Bedenken hinsichtlich der Sicherheit im Netz scheinen laut einer aktuellen Studie zum Thema Industrie 4.0 die wesentliche Einstiegsbarriere für die digitale Transformation in Unternehmen zu sein, betonte Prof. Dr. Norbert Winkeljohann. Das Vertrauen ins Netz ist noch nicht ausreichend. Stichwort Rechtsunsicherheit: Seit der faktischen Aufkündigung von Safe Harbor durch den Europäischen Gerichtshof bleibt das Vertrauen in den transatlantischen Verkehr personenenbezogener Daten empfindlich gestört. Die EU-Datenschutzverordnung ist zwar im Mai in Kraft 40

Europa wird seine führende Rolle in der Welt nur verteidigen können, wenn die Digitalisierung der Industrie erfolgreich und schnell verläuft. Wie am besten ­Investitionen zu ­mobilisieren sind, ­diskutierten namhafte Vertreter aus ­Wirtschaft und Politik im Rahmen von Podium I auf dem Wirtschaftstag. getreten, muss aber noch in der betrieblichen Praxis verankert werden. Viele unserer Mandanten fragen sich, was die Digitalisierung aus ihren Unternehmen machen wird. Wie es sein kann, dass Weltmarktführer von Start-ups in die Enge getrieben werden?, fragte Prof. Dr. Norbert Winkeljohann. Gerade die produzierende Industrie setzt besonders auf Big Data Analytics. Die Erkenntnisse dringen aber nicht immer zu denen durch, die sie brauchen. Um diese Lücke zu schließen, muss festgelegt werden, wie Entscheidungen in Unternehmen funktions- und bereichsübergreifend getroffen werden, sagte Prof. Dr. Norbert Winkeljohann. Die Zukunft liegt in Algorithmen und im Vertrauen in technische Möglichkeiten. Das sehen wir täglich in unseren Kundenprojekten. Digitale Datenströme sind globale Datenströme. Die minimale Anforderung muss deshalb der europäische Binnenmarkt für digitale Daten sein. Das zweite große Thema: Den Unternehmen muss klar sein, dass es an der Zeit ist, schnell zu handeln. Deutschland und Europa haben eine große Chance mit Blick auf die Industrie 4.0. Jetzt kommt es darauf an, dass wir uns trauen, neue Dinge auszuprobieren. Wir sind in einer Zeit, wo Unternehmertum, unternehmerische Initiative und „Sich trauen“ wirklich gefragt sind, betonte Sabine Bendiek, Vorsitzende der Geschäftsführung, Microsoft Deutschland GmbH.

Politik und Wirtschaft haben viel zu spät erkannt, dass digitale Infrastruktur Teil der Infrastruktur ist. Jetzt wird sehr viel über Digitalisierung gesprochen. Es wird aber zu TREND 3/2016


WIRTSCHAFTSTAG Europa

zeugt. Wir in Deutschland werden Innovationen viel, viel stärker vom Markt aus denken müssen – und weniger von der technologischen Endkomponente, erklärte Dr. Michael

Foto: Fotolia.com ©learchitecto

Mertin, Vorsitzender des Vorstandes, JENOPTIK AG.

wenig investiert. Politik kann Digitalisierung nicht umsetzen, sie kann nur die Rahmenbedingungen setzen. Jedes Unternehmen muss heute überlegen, wie sein eigenes Geschäftsmodell von der Digitalisierung betroffen ist. Es muss eine Kannibalisierung zulassen. Wenn wir Banken nicht bereit sind, unser eigenes Geschäft zu kannibalisieren und nicht mit Fintechs kooperieren, wird es uns in zehn Jahren nicht mehr geben, zeigte sich Lutz Diederichs, Mitglied des Vorstandes, HypoVereinsbank, überzeugt. Mich erschreckt, dass wir im Moment nur über die Datenautobahnen diskutieren. Dabei vergessen wir, was wir auf der Basis der neuen Infrastruktur eigentlich für Geschäftsmodelle entwickeln wollen. Sehr viele Mittelständler meinen, dass ihr Geschäftsmodell noch sehr lange weitergeführt werden kann. Genau davon bin ich eben nicht über-

Wir könnten in Deutschland deutlich schneller vorankommen, wenn wir miteinander redeten. Denn wir haben alle Fähigkeiten, die man braucht – nur alle in unterschiedlichen Tunneln, sagte Wolfgang

­Rosenbauer, Generalrepresentative, NXP, Semiconductors Germany GmbH.

Stichwort Datenschutz: Wir brauchen klare Regeln, einfach, ausgewogen, technologieoffenen. Wenn hier alle zusammenarbeiten – Software, Hardware, Maschinenbau, Chipindustrie –, dann haben wir einen unschlagbaren Vorteil. Deshalb mein Angebot: Lassen Sie uns miteinander reden. Dann können wir dem Mittelstand wieder Flügel verleihen. Das ist mein Traum. Trotz aller Diskussionen besteht Einigkeit darüber, dass die künftige Wirtschaftskraft und damit auch der Wohlstand in Europa entscheidend von der Digitalisierung abhängen werden. Nach Angaben der EU ist es so, dass ein funktionierender Binnenmarkt rund 415 Milliarden Euro jährlich zur Wirtschaftsleistung der EU beitragen könnte. Die Vollendung des europäischen digitalen Binnenmarktes ist deshalb eines der großen europäischen Projekte, erklärte Moderator Prof. Dr. Michael Klein, Generalsekretär, acatech – l Deutsche Akademie der Technikwissenschaften e.V.

Der Digitale Binnenmarkt in Europa ist Deutschlands Unternehmern wichtiges Anliegen. EU-Kommissar Günther Oettinger und Prof. Dr. Norbert Winkeljohann sehen Deutschland mit einer guten Basis, aber wir müssen uns anstrengen.

Fotos: Christian Kruppa

Podium I: v.l.n.r. Wolfgang Rosenbauer, Lutz Diederichs, Sabine Bendiek, Prof. Dr. Michael Klein, Dr. Michael Mertin, Prof. Dr. Norbert Winkeljohann, Ulf Ewaldsson

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WIRTSCHAFTSTAG Europa

Die Basis für die Funktionsfähigkeit der sozialen Sicherungssysteme ist wirtschaft­ liches Wachstum. Mit dem demografischen Wandel, der Flüchtlingswelle und der Nullzinspolitik in Europa werden sie überstrapaziert. Nach Lösungsansätzen suchten die Diskutanten aus Wirtschaft und Politik auf dem Wirtschaftstag in Podium II.

Europa steht vor ­Herkulesaufgaben:

· Flüchtlingskrise · Nullzins · Demografie

I

ch kenne kein entwickeltes Industrieland, das den sozialen Frieden ohne Wachstum aufrechterhalten kann. Deshalb müssen wir in Deutschland die Voraussetzungen für ein dauerhaftes Wachstum sichern, betonte Peter Altmaier

MdB, Bundesminister für besondere Aufgaben und Chef des Bundeskanzleramtes. Für das Gedeihen unserer Wirtschaft

Foto: Jens Schicke

sind auch international stabile Rahmenbedingungen wichtig. Wenn wir unseren humanitären Verpflichtungen gerecht werden, dann tun wir das auch aus einer Verantwortung für die Stabilität unseres eigenen Landes heraus. Wir werden die demografischen Probleme unseres Landes nicht allein durch Flüchtlinge lösen. Aber wir haben die

Chance, die Flüchtlinge besser in den Arbeitsmarkt zu integrieren als bei jeder bisherigen Flüchtlingskrise. Der Arbeitsmarkt befindet sich in einer guten Verfassung. Flüchtlinge, die arbeiten können und wollen, kann dieser Arbeitsmarkt aufnehmen – ohne dass es auf der anderen Seite zu mehr Arbeitslosigkeit kommt, sagte Peter Altmaier. Der 16. Juni dieses Jahres war ein historischer Tag: Zehnjährige Bundesanleihen rentierten erstmals unter null Prozent. Schon bei einem Zinssatz von nur 0,26 Prozent verdoppelt sich das eingesetzte Sparkapital erst nach 290 Jahren, warnte Dr. Markus Rieß, Vorsitzender des Vorstandes, ERGO Versicherungsgruppe AG. Bei einem Zinssatz von sieben Prozent verdoppelt sich das Kapital bereits nach zehn Jahren. Sparer müssen deshalb künftig weit mehr Geld für ihre Altersvorsorge zur Seite legen. Die aggressive Geldpolitik der EZB hat Konsequenzen, ist Dr. Markus Rieß überzeugt: Die Bilanzsum­ me der Zentralbank steigt 2017 durch das Anleihekaufprogramm auf 40 Prozent der Wirtschaftsleistung des Euroraums. Die dauerhaft Podium II: v.l.n.r. Jens Jennissen, Roland Weber, Evi C. Vogel, Dr. Markus Rieß, Margaret Heckel, Dr. Carsten Linnemann MdB, Prof. Hans Helmut Schetter, Michael Dreibrodt

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WIRTSCHAFTSTAG Europa

kus Rieß weiter. Niedrige Zinsen, schwierige Demografie: Wir brauchen einen gesellschaftlichen Konsens, um die Altersvorsorge neu zu organisieren. Dazu gehört eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit – und eine bessere Förderung der Altersvorsorge von Geringverdienern und Kleinselbständigen. Ich würde mir wünschen, dass wir in Deutschland eine bessere Aktienmentalität hätten. Das würde Altersvorsorge auf eine völlig neue Stufe stellen, erklärte Michael Dreibrodt, Vorsitzender des Vorstandes, myLife Lebensversicherung AG.

Wir Lebensversicherer haben in unseren Beständen auch nur eine Aktienquote von fünf Prozent. Wir könnten deutlich mehr in Aktien investieren. Nach einigen Gesetzesänderungen haben wir sogar mehr Freiraum dazu. Aber: Nach dem neuen europäischen Aufsichtsregime „Solvency II“ müssen wir Aktienanlagen im OECD-Raum mit 39 Prozent Eigenkapital unterlegen. Für Fonds in Schwellenländern sind es sogar 49 Prozent Eigenkapital. Die Lebensversicherungsbranche hat inzwischen über 30 Milliarden Euro für die so genannte Zinszusatzreserve zurückgestellt. Mein Vorschlag an die Politik: Lassen Sie uns darüber nachdenken, dass wir nicht an diesem Instrument ersticken. Niemand will das abschaffen, aber vielleicht etwas erleichtern. Das könnte uns extrem helfen. Mit der Flexi-Rente kommen wir einen Schritt weiter, ist Dr. Carsten Linnemann MdB, Bundesvorsitzender, Mittelstandsund Wirtschaftsvereinigung der CDU/CSU, sicher. Bei vielen

Menschen hat sich die Vorstellung verfestigt, dass man mit dem Renteneintrittsalter in den Ruhestand geht. Das ist natürlich Quatsch. Eigentlich müsste die Grenze „Renten­

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bezugsalter“ heißen. Dann sollte jeder selbst entscheiden können, ob er weiterarbeiten möchte – oder eben nicht. Das alte Mantra der Lebensversicherungsbranche „Lebensversicherungen müssen verkauft werden, da sie ­ nicht gekauft werden“ ist passé. Produkte können nicht länger für den Vertrieb entwickelt werden, sondern müssen für den optimalen Kundennutzen strukturiert werden, betonte Jens Jennissen, Gründer und Geschäftsführer, Fairr.de.

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niedrige Nachfrage nach Anleihen führt zu einem systematisch niedrigeren Zinsniveau. Das ist schlecht für die Unternehmen – Knappheit der Kreditvergabe, enorme Belastungen durch Pensionsverpflichtungen. Gravierender noch sind die Konsequenzen für die Sparer. Altersvorsorgesparen bleibt wichtig. Der Ruf nach einem rein umlagefinanzierten System hilft nicht weiter, weil die Gesellschaft weiter altert und schrumpft, sagte Dr. Mar-

Der Mensch wird nicht mit einem Gongschlag alt, sagte

Prof. Hans Helmut Schetter, Vizepräsident, Wirtschaftsrat der CDU e.V. Menschen werden auch nicht im Gleichschritt alt. Es

gibt erschöpfte Arbeitnehmer in den frühen Dreißigern, die haben das Arbeiten nie gelernt. Und es gibt andere, die können gar nicht von der Arbeit loslassen. Man muss von den starren Ritualen wegkommen. Das ist human. Das ist wirtschaftlich. Und dient auch der gesellschaftlichen Belebung. In Deutschland wird man eher dafür bewundert, wenn man Goethe zitieren kann, als wenn man Keynes verstanden hat, führte Evi C. Vogl, Vorsitzende der Geschäftsleitung, Pioneer Investments Kapitalanlagegesellschaft mbH, aus. Die Bürger müssen in Sachen Finanzen ein besseres Verständnis bekommen; vor allem von den Möglichkeiten, die ihnen der Kapitalmarkt bietet. Nur so können sie ihre Finanzanlagen besser verstehen und entsprechende Schritte zur Sicherung einleiten. Wir können feststellen, dass die in der Vergangenheit hinzugewonnenen Lebensjahre bei relativ guter Gesundheit verbracht werden. Die höhere Lebenserwartung hat nicht zu einer signifikanten Erhöhung von stationären B ­ ehandlungen geführt. Das heißt: Die ganz schweren E ­ rkrankungen haben nicht wesentlich zugenommen, erläuterte Roland ­Weber, Mitglied des Vorstandes, Debeka Krankenversicherungsverein a.G. Ein abruptes Ende des Erwerbslebens ist nicht empfeh-

lenswert. Durch den Einsatz technischer Hilfsmittel kann es gelingen, die körperlich anstrengenden Arbeiten zu reduzieren – und somit älteren Menschen die Chance zu geben, länger zu arbeiten und schrittweise aus dem Berufsleben l auszusteigen.

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WIRTSCHAFTSTAG Europa

Energie- und Industriestandort:

Die Weichen auf mehr Marktwirtschaft stellen

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ls ich 2004 ins Europäische Parlament kam, sollte im Rahmen der Liberalisierung der Energiepolitik der Markt belebt werden. Damals ging es um die Netze. Heute haben wir die Regulierung so perfekt gemacht, dass viele Investoren sich die Frage stellen, ob sich eine Investition in Netze überhaupt noch lohnt, sagte Her-

bert Reul MdEP, Vorsitzender der CDU/CSU-Gruppe im Europäischen Parlament.

Das gesamte europäische Energiesystem ist inzwischen so kompliziert, dass selbst Experten kaum noch durchblicken, so Reul weiter. Den beteiligten Gruppen geht es eigentlich nur noch darum, ihre Pfründe zu sichern. Dabei geht es übrigens längst nicht mehr nur um Klimainteressen, sondern um handfeste wirtschaftliche Interessen. Marktwirtschaftliche Überlegungen spielen keine Rolle mehr, beklagte der Europapolitiker. Deswegen hat sich der Energiesektor mittlerweile genau ins Gegenteil verkehrt. Statt Marktwirtschaft und Liberalisierung herrschen komplizierte Regulierungen. Es ist absurd, was da veranstaltet wird. Die Energiewende und der Ausstieg aus der Kernenergie sind beschlossen. Vor allem der Ausstiegsbeschluss ist breiter gesellschaftlicher und politischer Konsens. Zudem sind weltweit der Ressourcenverzehr und die Umweltbelastung durch die Nutzung fossiler Energien stark gestiegen. Deshalb ist ein stetiger Umstieg in umweltschonende alternative Energiequellen der richtige Weg, betonte Dr. Klaus Engel, Vorsitzender des Vorstandes, Evonik Industries AG.

Aber er muss politisch ordentlich verfolgt werden. Ökostrom ist ein Zauberwort, das alleine keine Wunder bewirken kann, so Dr. Klaus Engel weiter. Die Energiewende

darf auf keinen Fall ein Feldversuch für politische Expe­ rimente sein, damit am Ende von Industrie 4.0 nicht nur das 4.0 übrig bleibt. Dabei ist selbstverständlich auch die Wirtschaft in der Verantwortung. In der Energiepolitik geraten wir zwangsläufig an Vorgaben, die die Unternehmen nicht bestimmen, aber als überzeugte Mitwirkende in unserer Demokratie am Ende tragen. Deshalb haben wir den Anspruch, dass unsere Stimme gehört wird. Bei den anstehenden gesellschaftlichen Veränderungsprozessen in der Industrie- und Energiepolitik wollen wir aktiv mitgestalten, erklärte Dr. Klaus Engel. Hier kommt es auch auf unsere Kompetenz, Erfahrung und Prognosen an. Die Regeln werden in der Politik geschrieben. Deshalb reden wir mit der Politik nicht als Lobbyisten oder Bittsteller – sondern als Mitgestalter. Von der ursprünglichen Idee, die Klimaschutztechnologie zum Zuge kommen zu lassen, die die kosteneffizienteste im Rahmen eines europäischen CO2-Handels ist, hat sich Deutschland relativ früh verabschiedet, attestierte Katherina Reiche, Staats­sekretärin a.D., Geschäftsführendes Präsidialmitglied, Verband kommunaler Unternehmen e.V. Wir brauchen

dringend einen Mechanismus, bei dem die Zahnräder ineinan-

Energie und Industrie – das gehört am Wirtschaftsstandort ­ Deutschland zusammen. Die mit der Energiewende stark gestiegenen ­Strompreise haben eine schleichende Deindustrialisierung eingeleitet. Lösungsansätze diskutierten Vertreter aus Politik und Wirtschaft in Podium III auf dem Wirtschaftstag.

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WIRTSCHAFTSTAG Europa

Herbert Reul MdEP: Marktwirtschaft­liche Überlegungen spielen im komplizierten europäischen Energiesystem keine Rolle mehr

Fotos: Hans-Christian Plambeck

Dr. Johannes Lambertz und Katherina Reiche

Podium III: v.l.n.r. Dr. Karl-Peter Thelen, Katherina Reiche, Dr. Johannes Lambertz, Dr. Herbert Reul MdEP, Dr. Jörg Rothermel, Dr. Klaus Engel, Dr. Willem Huisman, Julien Mounier

Foto: Fotolia.com ©Marc Stephan

dergreifen – und wo man nicht immer nur auf den Stromsektor schaut, wenn man mal wieder eine Tonne CO2 sucht, die man einsparen kann. Wir müssen Energie wieder als Gesamtsystem betrachten. Wir haben ein sehr fundamentales Problem mit dem Marktmodell, klagte Dr. Karl-Peter Thelen, Mitglied des Vorstandes, ENGIE Deutschland AG. Wir sind in Europa angetreten mit dem Stichwort Liberalisierung. Liberalisierung heißt

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Kosteneffizienz und Wettbewerb, neutrale Netze. Dann haben wir so peu à peu das Thema erneuerbare Energien und Fördermechanismen eingeführt. Mir erschließt sich im ­Moment noch überhaupt nicht, wie diese beiden Ansatzpunkte miteinander kompatibel gemacht werden können. Es gibt in der Tat viele Baustellen. Bis 2050 werden wir 600 Milliarden Euro für Windkraft und Solaranlagen ausgeben. Unsere Definition von Energiewende ist breiter. Energiewende bedeutet auch Vermeidung von Energieverbrauch. Die Kreislaufwirtschaft kann man nutzen, um wirklich jeden Restrohstoff zu nutzen, zeigt sich Julien Mounier, Geschäftsführer, Veolia Deutschland GmbH, überzeugt. In Deutschland gibt es keine richtige Industriepolitik, beklagte Dr. Willem Huisman, Vorsitzender des Vorstandes, Dow Deutschland Inc. Die Politik sieht die Industrie als eine Milchkuh an, die man melken kann. Dafür ist die Kuh ja da. Es ist in Deutschland anscheinend ein bisschen unsexy, wenn man Gewinne macht. Das gehört sich eigentlich nicht. Erstens: Wir brauchen in der Politik eine klare und sachbezogene Diskussion über die Mammutaufgabe Energiewende. Zweitens schimpfe ich nicht nur über die Politik, sondern auch über die Industrie, sagte Dr. Johannes Lambertz, Konzernbevollmächtigter für die Energiewende, RWE AG. Die Industrie hat keine einheitliche Meinung. Die Gasindustrie etwa will Kohlekraftwerke durch Gaskraftwerke ersetzen. Das ist natürlich sehr blauäugig. Damit kann man ein paar Jahre Geld verdienen, dann ist man selber dran. Wir sind noch ein Industrieland mit einem relativ hohen Industrieanteil. Aber alles dies ist in gewisser Weise in G ­ efahr, warnte Dr. Jörg Rothermel, Leiter der Abteilung Energie-, Klimaschutz und Rohstoffe, Verband der Chemischen Industrie e.V.

Wir brauchen ent­sprechend stabile und planbare Rahmen­ bedingungen, um unsere Investitionen auch in Zukunft tätigen zu können. Wir beobachten heute schon ein ­Investment-Leakage. ­Beispiel Chemieindustrie: Die Inves­ titionen in Europa stagnieren seit Jahren, außerhalb ­Europas l steigen sie ­drastisch.

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WIRTSCHAFTSTAG Europa

Mobilität 4.0:

Infrastrukturausbau vorantreiben

U

nsere öffentliche Infrastruktur ist in einem beklagenswerten Zustand. Die Große Koalition ist bereit, deutlich mehr Geld zu investieren, aber leider nur in absoluten Zahlen. Bis zum Jahr 2017 werden höhere Milliardenbeträge investiert, die Investi­ tionsquote sinkt trotzdem, kritisierte Christian Lindner MdL, Bundesvorsitzender der FDP. Wir müssen jetzt wieder die Frage stellen, wie der Wohlstand überhaupt erwirtschaftet wird. Und dazu gehört auch die Basis der Infrastruktur als notwendige Voraussetzung. Ich schlage vor, dass wir Ausbau und Erhalt der öffentlichen Infrastruktur als Staatsziel verankern – und mit einer Bilanzierung unserer öffentlichen Infrastruktur verbinden. Die Infrastruktur, die mich jedoch noch mehr besorgt als Schienen, Wasserstraßen und Straßen, ist unser digitales Nervensystem, also die Breitbandinfrastruktur. Deutschland 4.0 funktioniert nur mit intelligenten Netzen, also mit ­Infrastruktur 4.0. Die Bundesregierung verfolgt das Ziel, Ende dieses Jahrzehnts 50 Megabit pro Sekunde an Leitungskapazität bereitzustellen. 50 Megabit waren im Jahr 2010 sehr gut. Das ist heute okay. Das ist Ende dieses Jahrzehnts im Vergleich zu Rumänien, das auf modernste Glasfasertechnologie setzt, natürlich nichts, sagte Chris­tian Lindner weiter. Mich besorgt, dass die öffentliche F ­ ör­derung mit zehn Milliarden Euro volkswirtschaftlich ineffizient niedrig ist. Das wird nicht reichen, um in länd­lichen Regionen die Versorgung sicherzustellen. Diese ­Mittel müssen aufgestockt werden. Und ich habe einen konkreten F ­ inanzierungsvorschlag: Wie wäre es, der Bund würde seine Beteiligung an der Deutschen Post AG zurück in den Markt geben? Das ­wären acht Milliarden Euro, die in die Zukunftsinfrastruktur ­fließen könnten. In der nächsten Legislaturperiode braucht

Deutschland meines Erachtens außerdem ein Digitalministerium, in dem die Fäden z­ usammenlaufen. Ich habe in den letzten drei Jahren ungefähr sechzig Länder besucht. Die meisten der Länder, noch nicht mal Japan, die USA, Korea und China, sondern viele andere Länder haben den ITK-Sektor als eine länderweite Investitionsstrategie festgeschrieben. Ich spreche über Länder des Nahen Ostens wie Katar, die Vereinigten Arabischen Emirate oder sogar größere Länder der Region. Dort gibt es eine ganz konsistente Strategie und auch rechtliche Rahmenbedingungen dafür, wie die beste Infrastruktur im Land eingesetzt werden kann. Denn die Länder sollen als Informationsdrehscheibe eingerichtet werden, betont Vincent Pang, President of H ­ uawei’s Western European Region, Huawei Technologies.

Das macht einen großen Unterschied. Deutschland und Europa müssen die Verbreitung der 5G-Technologie beschleunigen – nicht nur für den Prozess der Standardisierung, sondern auch für Anwendungen in unterschiedlichen Branchen wie autonomes Fahren, E-Health und E-Bildung. Wir brauchen für die Infrastruktur einen konsistenten Ansatz, eine S­ trategie und regulatorische Rahmenbedingungen, um das Interesse der Investoren an der Infrastruktur am Leben zu halten. Es geht künftig viel weniger darum, jetzt festzulegen, was das zukünftige individuelle Verkehrsmittel sein wird. Ich glaube, wir kommen in einer Zukunft an, in der die Optionen sehr groß sind und die Menschen totale Flexibilität haben. Wir sind digitaler Marktführer in unserem Geschäft. Wir wollen kein Geld, wir brauchen keine Subventionen.

Deutschlands Infrastruktur ist in schlechtem Zustand – der Breitbandausbau kommt auch nicht schnell genug voran. Trotz höherer Investitionen der Bundesregierung bis 2017, sinkt die Investitionsquote. Namhafte Vertreter aus Wirtschaft und Politik diskutierten in Podium IV auf dem Wirtschaftstag über Lösungsansätze. 46

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Foto: Fotolia.com ©Jan Becke

WIRTSCHAFTSTAG Europa

Ladeinfrastruktur von uns nutzen möchte, dem stehen die Türen offen. Heute sind wir aber auch schon einen Schritt weiter. Es geht uns nicht nur um nachhaltige Mobilität, sondern auch um nachhaltige Energie, um den kompletten Kreislauf. Künftig wird die Software für die Wertschöpfung wichtiger als die Hardware. Daraus ergeben sich Chancen für Zulieferer. Aber auch Risiken, weil Zulieferer sehr schnell ersetzt werden können, ist Dieter Althaus, Ministerpräsident a.D., Vice President,

Mir reicht es, wenn ich stabile Rahmenbedingungen habe, sagte André Schwämmlein, Gründer & Geschäftsführer, FlixBus GmbH. Mein Appell ist: Man muss nicht immer Geld fordern. Mir reicht es, wenn keiner was kaputt macht, sondern ich die Rahmenbedingungen habe, innerhalb derer ich arbeiten kann. Dann bauen wir was auf. Wir haben hier in Deutschland tolle Unternehmen, tolle Technologie. Manchmal reicht es einfach, einen Rahmen zu lassen und den nicht kaputt zu machen. Bis vor ein paar Monaten haben wir unsere Vision noch so definiert, dass wir nachhaltige Mobilität vorwärts bringen wollten. Das haben wir auch gemacht, indem wir nicht nur eigene Autos gebaut haben, sondern Patente freigegeben haben, erklärte Jochen Rudat, Country Director, Tesla Motors. Jeder, der mit einer guten Absicht Batterietechnologie oder

Magna Europe, überzeugt. Sie müssen sich in den nächsten Jahren stärker mit den Herstellern und wichtigen anderen Zulieferern vernetzen. Das ist immer wieder eine Investit­ ionsanstrengung, aber auch das kulturelle Selbstverständnis wird auf die Probe gestellt. Es gibt einen guten Dialog zwischen internationalen Investoren und europäischen Regierungen, sagt Jo Taylor, Head of Europe, Middle East and Africa, Ontario Teachers’ Pension Plan. Für uns ist besonders wichtig, dass ein Projekt im Hinblick auf seine langfristige Rendite vorhersehbar ist. Lastwagen voller Produkte oder Teile werden noch eine ganz lange Zeit hin und her fahren. Wenn man diese ­Fahrzeuge noch besser auslasten könnte, wäre schon viel gewonnen, ist Frank Sportolari, Generalbevollmächtigter, United l Parcel Service Deutschland, überzeugt.

Bundesminister Alexander Dobrindt MdB: Industrienationen von heute sind nicht zwingend Digitalnationen von morgen.

Fotos: Christian Kruppa

Podium IV: v.l.n.r. Christian Lindner, Frank Sportolari, Jo Taylor, Vincent Pang, Dieter Becker, Dieter Althaus, Jochen Rudat, André Schwämmlein, Alexander Dobrindt

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WIRTSCHAFTSTAG Europa

Pioniergeist oder Fortschrittsverweigerung:

Foto: Fotolia.com ©rcfotostock

Wie technologieoffen ist Deutschland?

Ist Deutschland zu technologiefeindlich? Lehnen wir alles ab von elektronischen ­Zahlungs­mitteln, über Fracking bis hin zu Drohnen? Den Verdacht konnten die Vertreter der W ­ irtschaft in der ­Diskussion ausräumen: Die Deutschen sind durchaus offen für Neues.

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ir sind weltweit der führende Hersteller von kleinen Drohnen. Das ist genau eine dieser Technologien, die als sehr störend empfunden werden. Die zivile Luftfahrt ist einer der am stärksten regulierten Geschäftszweige, erklärte Christian Struwe, Policy Lead Europe, DJI Innovations. Wir verfolgen die regulatorischen Entwicklungen in Deutschland und anderen Teilen Europas sehr aufmerksam. Vor drei Jahren haben wir unsere Drohnen mit bestimmten Sicherheits­

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features ausgestattet. Drohnen kommen mehr und mehr in die A ­ nwendung. Man entdeckt viele Vorteile. Zum Beispiel ­Automatisierung. Drohnen sind aber auch in allen Bereichen nützlich, wo wir sehr viele Inspektionen und Wartungen machen müssen. Dinge, die dreckig, gefährlich und langweilig sind – das kann von Drohnen erledigt werden. Die Energiebranche ist in Wahrheit eine Hightech-­ Branche. Wir spüren momentan starken Gegenwind. Ich sehe zwar auch, dass wir in Deutschland eine sehr gro-

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WIRTSCHAFTSTAG Europa

Hauptgeschäftsführer, Bundesverband Erdgas, Erdöl und Geo­ energie e.V. Wir können deshalb auch nicht erklären, was

wir Gutes tun können. Fracking ist eines unserer wesentlichen Themen, sagte Dr. Christoph Löwer weiter. Da vermissen wir genau diesen Pioniergeist, um den es geht. Wir sollten sagen: Fracking ist eine erprobte Technik. Die haben wir schon oft in Deutschland angewendet. Lasst es uns doch mal mit einer neuen Art von Lagerstätte ausprobieren. Die Potentiale wären sehr groß. Aber wir bekommen unglaublich starken Gegenwind durch die Skandalisierungsindustrie. Wir als Mastercard sehen uns als Innovationstreiber des bargeldlosen Zahlungsverkehrs, so Dr. Andreas Spengel, Mitglied der Geschäftsleitung, Mastercard Deutschland. Wir stehen da aber vor der Herausforderung, dass Deutschland ein sehr bargeldaffines Land ist. Wir hinken der technologischen Entwicklung hinterher. Deutschland ist in der Hinsicht Paymenttechnologie eher ein Entwicklungsland. Der individuelle Nutzen muss vermittelt werden. Und es dauert eine gewisse Zeit, bis das bei der breiten Masse ankommt. Wir sehen grundsätzlich aber schon eine sehr große Affinität, was Internet und E-Commerce angeht. Wenn wir mit Angeboten zum bargeldlosen Zahlungsverkehr zum Konsumenten durchdringen, sehen wir da eine große Resonanz. Für uns ist wichtig, dass wir unsere Technologien auch in die Breite tragen. Ich glaube, die Konsumenten werden, sobald sie es angeboten bekommen, auch annehmen. „German Angst“ – dieses Thema ist natürlich eines, das sich medial sehr gut verkaufen lässt. Und es ist auch eines, das auf die Regulierung zutrifft. Aber es ist zugleich ein Thema, das verkennt, dass man heutzutage eine Bevölkerung gerade in Deutschland hat, die viel technologieoffener, viel bereiter und auch viel aufgeklärter ist – gerade was Innovation und Disruption angeht, ist Max Müller, Chief Strategy Officer, DocMorris N.V., überzeugt. Ich glaube, dass der Konsument in Deutschland zu den aufgeklärtesten der Welt gehört. Nicht zuletzt deswegen sind wir ja auch in diesem Markt. Wir müssen nur den Mut entwickeln, dass wir

disruptive Modelle, die für Veränderung sorgen, nicht mit Angst gleichsetzen. Dann sprechen wir in fünf Jahren nicht mehr von „German Angst“, sondern wieder von „German Pioniers“. Im Entertainment-Sektor ist die Entwicklung noch viel rasanter als in anderen Bereichen. Ich bin da ganz hoffnungsfroh: Die jungen Menschen, mit denen ich zu tun habe, sind alle schon einen weiten Sprung voraus. Ich bin auch ganz voller Hoffnung, was die Technologie angeht – der Zug der Zeit wird einfach alles Bremsende überrollen, ist sich Georg Stecker, Sprecher des Vorstandes, Deutsche ­Automatenwirtschaft e.V., sicher. Wir müssen trotzdem immer drauf achten, dass alles in einem guten Rahmen stattfindet. Gerade in meinem Bereich ist das wichtig. Aber wir werden es nicht schaffen, uns dem entgegenzustellen. Deswegen ist es wichtig, dass man dort mitgeht und dass wir davon profitieren. Da haben wir eine Riesenchance. Ein disruptives Geschäftsmodell läuft immer Gefahr, von einem anderen disruptiv arbeitenden Wettbewerber geschlagen zu werden. So ist der Lauf der Dinge. Wir sind zwar für Regulierung, für smarte Regulierung. Aber wir sind auch überall für ein Maximum an Wettbewerb. Weil wir glauben, dass im Wettbewerb immer die bessere Lösung entsteht. Und wenn wir mal den Kürzeren ziehen, dann soll das so sein. Das ist in Ordnung, betonte Fabien Nestmann, General Manager, Uber Germany. Deutschland ist tatsächlich etwas schwieriger als die USA. Nicht, weil wir nicht technologieoffen sind. Das sind wir. Aber wir gehören garantiert nicht zu den Vorreitern. Und wird sind auch nicht das neugierigste Volk. Komplett verschlossen gegenüber Innovationen sind wir jedoch auch nicht. Erstens müssen wir es aus Sicht der Unternehmen schaffen, für das Thema Innovationstreiber noch stärker den individuellen Nutzen zu erkennen – und das Ganze eben auf einer Basis, wo Vertrauen und Sicherheit eine Rolle spielen, zog Moderator Dr. Alexander Bode, Bundesvorsitzender, Junger Wirtschaftsrat, das Fazit der Diskussion. Zweitens: Regulierung ist wichtig. Aber eben mit Augenmaß. Der Begriff „smarte Regulierung“ trifft das gut. Dritter Aspekt: Die P ­ olitik sollte mit mutigen Entscheidungen vorangehen – und Räume schaffen, in denen Unternehmen etwas ausl probieren können.

Foto: Hans-Christian Plambeck

ße Affinität zu Technologien haben. Aber wenn es an den Energie­bereich geht, überlagern sich zusätzlich die Diskussionen um Energiewende und Klimaschutz – das macht uns das Leben sehr schwer, betonte Dr. Christoph Löwer,

Diskussion: v.l.n.r. Dr. Christoph Löwer, Christian Struwe, Fabien Nestmann, Dr. Alexander Bode, Max Müller, Dr. Andreas Spengel, Georg Stecker

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WIRTSCHAFTSRAT Innenansicht

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NEUES AUS DEN KOMMISSIONEN 

ENERGIEEFFIZIENZ

Klimaschutzplan im Fokus Der kurz vor der Sitzung bekannt gewordene Klimaschutzplan des Bundesumweltministeriums bestimmte die Agenda der Bundesfachkommission Energie­effizienz. Die Bundestagsabgeordneten Marie-Luise Dött und Dr. Herlind Gundelach berichteten, dass die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ein für den Klimaschutzplan 2050 vorgesehenes „Klimaschutzgesetz“ ablehne. Die vorgeschlagenen Maßnahmen seien überzogen und schadeten dem Wirtschaftsstandort Deutschland. „Ziel der Klimaschutzpolitik muss sein, Treibhausgase kosteneffizient einzusparen“, forderte der Kommissionsvorsitzende Dr. Marc Andree Groos. Mit Blick auf die Weiterentwicklung der Energie­ effi­ zienzpolitik und den Klimaschutz sind die Unternehmer gefordert, konkrete Beispiele zu nennen, wie sich bestimmte vorge-

VERKEHR, LOGISTIK, INFRASTRUKTUR

Fotos: Jens Schicke

Intensive Diskussion über eine Bundesfernstraßengesellschaft Aus aktuellem Anlass begrüßte der Vorsitzende Dr. Werner Kook den Parlamentarischen Staatssekretär Enak Ferlemann MdB zur Sitzung der Bundesfachkommission Verkehr, Logistik und Infrastruktur. Der Vertreter aus dem Bundesministerium für Verkehr und Digitale Infrastruktur diskutierte mit den Mitgliedern der Kommission über den Stand des Bundesverkehrswegeplans und die langjährige Forderung des Wirtschaftsrates nach einer Bundesfernstraßengesellschaft. Letztere befinde sich in Arbeit, die erforderliche Grundgesetzänderung und die Gesellschaftsgründung sollen noch in dieser Legislatur auf den Weg gebracht werden. Die Unternehmer betonten die Dringlichkeit einer zügigen Einigung zwischen Bund und Ländern und befürworteten eine Infrastrukturgesellschaft des Bundes, die für Autobahnen und Bundesstraßen gleichermaßen zuständig ist. „Die Bündelung der Aufgaben und Verantwortlichkeiten in einer solchen Gesellschaft würde den strukturellen Befreiungsschlag bedeuten“, so Dr. Werner Kook. l

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schlagene Maß­nahmen im Alltag auf die Betriebe auswirken. Gleichzeitig geht es darum, konkrete Vorschläge zu machen, die sich in der Praxis umsetzen lassen, ohne Wettbewerbsfähigkeit zu l ­gefährden.

DEUTSCH-FRANZÖSISCHE WIRTSCHAFTSBEZIEHUNGEN

Hintergrundgespräch mit ­Präsidentschaftskandidat Alain Juppé Neben wirtschaftspolitischen Angelegenheiten standen auch ­aktuelle Themen wie die Terror-Bedrohung in Frankreich auf der Agenda. Der frühere Premierminister Frankreichs und Kan­didat für die Vorwahlen der Républicains für die Präsidentenwahlen, Alain Juppé, traf sich zu einem Hintergrundgespräch mit Mitgliedern des Wirtschaftsrates. Unter Moderation des Wirtschaftsrat-Präsidiumsmitglieds Dr. Nikolaus Breuel stellte er heraus, dass „Frankreich kein blockiertes Land ist, sondern nur im Moment tatsächlich das Volk die Reformen ablehnt“. Ganz besonders betonte Juppé die herausragende Bedeutung des europäischen Projektes und die Verantwortung Frankreichs und Deutschlands für dessen Gestaltung: „Auf die europäische Idee zu verzichten, wäre ein strategischer Fehler. Frankreich und Deutschland müssen auf Augenhöhe miteinander reden, das ist l die zentrale Herausforderung für die Zukunft Europas“.

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WIRTSCHAFTSRAT Innenansicht

ARBEITSMARKT UND ALTERSSICHERUNG

Unter dem Vorsitz von Rainer Tögel diskutierte die Bundesfachkommission ­Arbeitsmarkt und Alterssicherung den Handlungsbedarf in der Renten­ politik. Dr. Carsten Linnemann MdB, Bundesvorsitzender der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU/CSU, mahnte an, die ­Anrechnung von Riester- oder Betriebsrenten auf die Grundsicherung im Alter zu reduzieren. Ziel müsse es sein, dass die Menschen, die privat vorsorgten, am Ende auch mehr Rente haben. Zudem solle die Riester-Rente etwa auch für Selbstständige geöffnet und zugleich die Förderung ­dynamisiert werden. Aus dem Bundesfinanzministerium berichtete der Parlamentarische Staatssekretär Jens Spahn MdB, dass die Reform der betrieb­lichen Altersvorsorge im Herbst im Kabinett

­ eraten werde. Die Kommissionsmitglieder forb derten eine Vereinfachung der Vorsorgemaß­ nahmen und sprachen sich für eine transparentere Informa­tion über gesetzliche und private l Ansprüche der Sparer aus.

JUNGE GENERATION

Zukunftsforschung Die Offenheit für Innovationen ist zentrales Anliegen der Bundesfachkommission Junge Generation, sagt ihr Vorsitzender Thomas Lang. Dies sei nur möglich, wenn Politik und Wirtschaft in einen intensiven Austausch treten. Ein wichtiger Aspekt im Bereich der Entstehung von Innovationen ist die Zukunftsforschung. Dazu stellte Prof. Dr. Dr. Axel Zweck das Zukunftsforschungsinstrument „Foresight“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung vor. Dr. Michael Bartl, Vorstand HYVE AG, ergänzte dies durch Beispiele aus der Praxis. In der Diskussion mit den Kommissionsmitgliedern erklärte Steffen Bilger MdB, dass Deutschland, wenn es seine Rolle als führende Industrienation behalten wolle, ständig Innovationen auf den Markt bringen muss. Deshalb müssten Forschung und Entwicklung vorangetrieben und gefördert w ­ erden – besonders auf den Gebieten Mobilität, Energie­versorgung, Gesundheit und l Sicherheit.

u t wegen z o b r e v e b Wer estärken d r e f P r e l vie

Wo soll das noch hinführen? Werbeverbote schaden der deutschen Wirtschaft. 3/2016 TREND

Braucht auch Regulierung ihre Grenzen? Natürlich sollen Konsumenten über Risiken informiert werden. Aber ein komplettes Werbeverbot für ein legales Produkt stellt eine kritische Entwicklung dar, deren Ende kaum absehbar ist. www.zigarettenverband.de

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Fotos: Jens Schicke

Leitplanken einer zukunftsfesten und generationengerechten Rente


WIRTSCHAFTSRAT Bundesdelegiertenversammlung

Präsidiumsbeschluss:

Zehn Punkte für Deutschland

Foto: Christian Kruppa

der Digitalisierung nur ausschöpfen, wenn wir den flächendeckenden Ausbau von Breitband und mobiler Infrastruktur vorantreiben. Das muss schneller gehen und die Ziele höher gesteckt werden. Wir reden von 50 Megabit bis 2018, die Koreaner diskutieren heute über Gigabyte.   Siebtens darf die Renten­politik rationen keine nachfolgenden Gene­ weitere Las­ten aufbürden. Das Renten­ eintrittsalter muss nach oben korri-

v.l.n.r.: Dr. Henneke Lütgerath, Dr. Nikolaus Breuel, Astrid Hamker, Dr. Michael Mertin, Werner M. Bahlsen, Heinz Riesenhuber, Wolfgang Steiger, Prof. Hans Helmut Schetter, Joachim Rudolf, Paul Bauwens-Adenauer, Wendelin von Boch

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eutschland braucht eine Kurs­ korrektur zu mehr Wettbe­ werbsfähigkeit. Darum hat das Präsidium des Wirtschaftsrates ein Zehn-Punkte-Strategiepapier entwickelt, das Deutschland wieder nach vorne bringt:   Erstens, Europa muss sich auf das Subsidiaritätsprinzip zurückbesinnen. Die Europäische Zentralbank soll sich gemäß ihres Auftrags um die Geldwertstabilität kümmern, und nicht Staatsfinanzierung mit billigem Geld betreiben. Das verhindert nur notwendige Reformen in Südeuropa.   Zweitens, solide Staatsfinanzen sind Markenkern der CDU. Dazu gehört aber auch, dass die sprudelnden Staatseinnahmen investiert werden, etwa in Bildung und Infrastruktur. Alle reden von der schwarzen Null,

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aber als Unternehmer sind wir ehrgeiziger: Mit dem mehr an Geld sollten Schulden abgebaut oder Steuern für die Mittelschicht gesenkt werden.   Drittens, die Industrie ist der Kern der deutschen Wirtschaft. Deutschland liegt mit 23 Prozent industriellem Anteil an der Bruttowertschöpfung in Europa an der Spitze. Die Wirtschaft braucht aber Bedingungen, die sie wettbewerbsfähig halten. Da sind hohe Energiepreise wenig hilfreich.   Fünftens muss für die Funk­ tionsfähigkeit der Wirtschaft die konventionelle Infrastruktur auf ­Vor­dermann gebracht werden. Dazu gehört auch eine effizientere Verwaltung – ­Stichwort: Bundesfernstraßengesellschaft.   Sechstens, Gesellschaft und Industrie können die Möglichkeiten

giert und flexibilisiert werden. Zusätzlich brauchen wir Anreize für die private und b ­ etriebliche Altersvorsorge.   Achtens muss der Arbeitsmarkt flexibler und durchlässiger werden. Die Herausforderungen der Demografie und der Digitalisierung erfordern flexible Lösungen ohne neue bürokratische Auflagen.   Neuntens braucht Deutschland ein modernes Einwanderungsgesetz. Wir brauchen eine gesteuerte Zuwanderung in den Arbeitsmarkt und ein Asylrecht, das auf wirklich Verfolgte begrenzt werden sollte.   Zehntens wollen wir, dass Deutschland und Europa zurück zu ihren Werten finden. Dazu gehört der Respekt vor Eigentum, der Freiheit des Einzelnen, aber genauso die Verantwortung für das, was wir tun. l

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WIRTSCHAFTSRAT Wirtschaftstag

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Foto: Jens Schicke

WIRTSCHAFTSRAT Sektionen 2016

Auszeichnung für hohes Engagement:

Die zehn aktivsten Sektionen im Wirtschaftsrat Zum zweiten Mal ehrten Präsidium und Bundesvorstand die besten Sektionen. Zehn Sektionen erhielten die begehrte Auszeichnung.

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er Wirtschaftsrat – das sind vor allem starke Sektionen, die mit viel Tatkraft Wirtschaft und Politik zusammenführen“, betonte Generalsekretär Wolfgang Steiger auf dem diesjährigen Treffen der Sektionssprecher. Bundesvorstand und Präsidium zeichneten nach dem Votum der Landesvorstände die Sektionen aus, die sich durch ihr großes Engagement vor Ort hervorheben. Nicht teilgenommen haben die Landesverbände Hamburg, ­Bremen, Brüssel und Saarland, die keine Sektionen haben, sowie der Landesverband Sachsen-Anhalt, der für 2016 ­keine Sektion nominiert. „In den Sektionen ist die Seele des Unternehmers zuhause – in Westfalen, auf der Schwäbischen Alb oder im Harz erwirtschaften nicht selten internationale Marktführer die Bruttowertschöpfung in Deutschland.“ Oft handelt es sich um Familienunternehmen, die so wichtig sind für unser Land. Sie geben der Wirtschaft hierzulande eine einzigartige Struktur, Arbeits- und Ausbildungsplätze, übernehmen Verantwortung ebenso wie ein nachhaltiger Führungsstil und Standorttreue ihr Markenzeichen sind. Mit rund 150 Sektionen ist der Wirtschaftsrat in ganz Deutschland präsent. „Wir sind ein Mitmachverband, der auf Sektions-, Landes-, Bundes- und Europaebene aktiv ist. Als ehrenamtliche Sektionssprecher sind Sie am Puls unserer Wirtschaft und hören als erste die Sorgen der Unternehmer, Sie richten Veranstaltungen aus und bringen die zentralen Themen Bürgermeistern und Landräten nahe.

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Der Wirtschaftsrat dankt Ihnen allen für Ihre Ideen, Ihre Tatkraft und Ihr geleistetes Engagement“, bedankte sich ­Generalsekretär Wolfgang Steiger. „Der Wirtschaftsrat lebt durch den persönlichen Einsatz und das Herzblut seiner Mitglieder“, ist Präsident Werner M. Bahlsen überzeugt. Der Wirtschaftsrat, so hat es sein erster Vorsitzender Klaus H. Scheufelen einmal formuliert, habe die notwendigen wirtschaftspolitischen Maßnahmen frühzeitig vorzudenken und fordere seine Mitglieder zur aktiven Mitarbeit auf. „Es ist unsere Aufgabe den Menschen wirtschaftliche Sachverhalte zu erklären“, unterstrich Werner M. Bahlsen. „Das erfordert oft viel Geduld. Als Sektionssprecher sind sie dort aktiv, wo es notwendig ist.“ Unser Mitgründer Ludwig Erhard hat uns ins Stammbuch geschrieben, dass angesichts immer engerer Verflechtungen von Politik und Wirtschaft die Politik das Urteil der wirtschaftlich Erfahrenen nicht entbehren könne. Das zeigt: Der Wirtschaftsrat kämpft seit seiner Gründung für eine freiheitliche Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung. Der Zusammenhalt Europas und die Stärkung unserer Wertgemeinschaft sind notwendiger als je zuvor. Der Wirtschaftsrat steht zum Vermächtnis von Ludwig Erhard und setzt sich für Freiheit, Verantwortung und Eigentum ein. „Wir werben für die Soziale Marktwirtschaft und werden das Erbe Ludwig Erhards verteidigen“, betonte Werner M. l Bahlsen.

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Niedersachsen Sektion Osnabrück-Emsland-­ Grafschaft Bentheim: Sektionssprecher Philipp Meyer, Gesellschafter Geschäftsführer, Meyer Consulting GmbH & Co. KG, nimmt die Auszeichnung stellvertretend von Wirtschaftsrats-Präsident Werner M. Bahlsen entgegen.

Schleswig-Holstein Sektion Neumünster: Sektionssprecher Holger Bajorat, Prokurist/Direktor der Firmenbetreuung, VR Volksbank Raiffeisenbank eG, nimmt die Auszeichnung stellvertretend von ­Wirtschaftsrats-Präsident Werner M. Bahlsen entgegen.

Nordrhein-Westfalen Sektion Düsseldorf: Sektionssprecher Dr. ­Rainhardt Freiherr von Leoprechting, Vorsitzender des Vorstandes, Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung, nimmt die Auszeichnung stellvertretend von Wirtschaftsrats-Präsident Werner M. Bahlsen entgegen.

Hessen Sektion Waldeck-Frankenberg: Sektionssprecher Uwe Wacker, Leiter Betriebsmanagement, Wicker Gruppe, nimmt die Auszeichnung stellvertretend von Wirtschaftsrats-Präsident Werner M. Bahlsen entgegen.

Präsident Werner M. Bahlsen zeichnete diese Sektionen mit dem Ehrenpreis ‚Sektion des Jahres 2016‘ aus: Rheinland-Pfalz Sektion Mittelrhein: Der stellvertretende Sektions­ sprecher Hans-Jörg Assen­ macher, Geschäfts­führender Gesellschafter, Notariat Assenmacher, nimmt die Auszeichnung stellvertretend von Wirtschaftsrats-Präsident Werner M. Bahlsen entgegen.

Baden-Württemberg Sektion Balingen/Sigmaringen: Sektionssprecher Reinhold W. Schlegel, Geschäftsführer, Wirtschaftsprüfer/Steuerberater, RWS BANSBACH GmbH & Co. KG, nimmt die Auszeichnung stellvertretend von Wirtschaftsrats-­ Präsident Werner M. Bahlsen entgegen.

Berlin-Brandenburg Sektion Potsdam: Sektionssprecher Detlev Seeliger, Geschäftsführender Gesellschafter, MAPCO Autotechnik GmbH, nimmt die Auszeichnung stell­vertretend von Wirtschaftsrats-Präsident Werner M. Bahlsen entgegen.

Mecklenburg-Vorpommern Sektion Vorpommern-Rügen: Sektionssprecher Rolf Hoffmann, Geschäftsführender Gesell­ schafter, Kabel + Satellit Bergen Kommunikationstechnik GmbH, nimmt die Auszeichnung stellvertretend von Wirtschaftsrats-Präsident Werner M. Bahlsen entgegen.

Sektion Jena-Saalfeld: Sektionssprecher Lothar Brehm, Geschäftsführender Gesellschafter, HM Beteiligung GmbH, nimmt die Auszeichnung stellvertretend von Wirtschaftsrats-Präsident Werner M. Bahlsen entgegen.

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Sachsen Sektion Bautzen: Sektionssprecherin Ellen Haufe, Steuerberaterin, Schmidt & Partner GmbH Steuerberatungsgesellschaft, nimmt die Auszeichnung stellvertretend von Wirtschaftsrats-­Präsident Werner M. Bahlsen entgegen.

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Fotos Veranstaltung: Jens Schicke Oscar: Fotolia.com ©Danilo Rizzuti

Thüringen


WIRTSCHAFTSRAT Europasymposion

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ine koordinierte Verkehrs­ politik spielt in Europa eine ganz wichtige Rolle. Und das wird auch so bleiben, betonte Christof-S. Klitz, Vorsitzender des Wirtschaftsrates in Brüssel. In dem Sektor tut sich sehr viel. Es gibt eine bemerkenswerte Entwicklung bei den Verkehrsdienstleistungen und neue ­ Innovationen. Auch bei den Produkten beobachten wir neue Entwicklungen wie die stärkere Betonung der Elektromobilität. Das Thema Mobilität steht für den Zusammenhalt in Europa, und für das Ringen um die beste Idee. Mobilität kann zu einem ganz

wichtigen Motor der europäischen Wirtschaft werden. Europa muss die Frage beantworten, wie es sich in Hinblick auf seine Wettbewerbsfähigkeit aufstellt. Das Thema Digitalisierung hat einen solchen Umfang, dass kein Land in Europa stark genug ist, allein an die weltweite Spitze zu kommen, erklärte

Dr. Rainer Gerding, Bundesgeschäfts­ führer, Wirtschaftsrat der CDU e.V. Auf

der anderen Seite stehen wir vor einer tief greifenden Revolution: Die Mobilität der Zukunft wird digital vernetzt sein und den gesamten Sektor und die Logistik fundamental verändern.

Der Wirtschaftsrat in Brüssel hatte zu seinem Europa­symposion Mobilität in die Landesvertretung Baden-Württemberg ­eingeladen. Mobilität kann zu einem ganz wichtigen Motor der europäischen Wirtschaft werden.

Gleichzeitig bietet die Mobilität enorme Wachstums- und Wohlstands­ chancen. Für Deutschland, vor allem aber für Europa. Natürlich generieren neue Mobilitätslösungen und intelligente Verkehrssysteme zusätzliche Wertschöpfung und Arbeitsplätze. Unverzichtbar dafür ist in ganz Europa ein leistungsfähiges Breitbandnetz. Ebenso unverzichtbar sind umfassende und verlässliche Daten von Fahrzeugen und Infrastrukturen. Mit anderen Worten: Wir brauchen eine komplette Neudefinition für eine nachhaltige Verkehrspolitik. Wir benötigen neue Mechanismen zwischen Wirtschaft und Politik, um schneller Innovationen auf den Markt zu bringen. Das gelingt nur, wenn Wirtschaft und Politik in einem Boot sitzen und in die gleiche Richtung rudern. Die EU muss sich verändern. Aber die Frage ist doch: Wie muss sich die EU verändern?, fragte M ­ atej Zakonjšek, Chef des Kabinetts der EU-Ver­ kehrs­ kommissarin Violeta Bulc, Europäische Kommission. Die Antwort der EU-

Foto: Philippe Veldemann

Kommission ist eindeutig: Wir haben unser Arbeitsprogramm 2016 mit zehn klaren Prioritäten versehen. Daran müssen wir uns halten. Wir müssen liefern, damit die Bürger erkennen können, warum Europa wichtig ist. Dazu gehört auch die Weiterentwick-

v.l.n.r.: Christof-S. Klitz, Johannes Jung, Dr. Rainer Gerding, Werner Balsen, Patrick Danau, Susana Quintana-Plaza, Matej Zakonjšek, Jürgen John, Nikolaus von Peter

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Foto: Audi AG

Neue Lösungen in der Mobilität: smart, ­nachhaltig und sicher


WIRTSCHAFTSRAT Europasymposion

Auch Reifen müssen künftig mit dem Fahrzeug kommunizieren. Der Reifen holt bei jeder Umdrehung Informationen von der Straße ab. Über den Schlupf, die Vibration, den Druck, die Temperatur, so Jürgen John, Geschäftsführer D-A-CH, Michelin ­Reifenwerke AG & Co. KGaA. Und diese

Informationen brauchen wir, um automatisiertes Fahren sicher zu machen. Wir arbeiten mit der Automobilindus­ trie zusammen, um diese Informationen mit Sensorik und RFID-Chips ins Auto zu übertragen. Wir betrachten Daten noch immer stark personenbezogenen, sagte Dr. Andreas Schwab MdEP, Binnenmarktpolitischer Sprecher der EVP-Fraktion, Europäisches Parlament. Das spiegelt

sierung, Investitionen – unterstützt durch Innovationen und globale ­Lösungen. Autonom fahrende Autos werden uns viel Zeit ersparen. Dank Big Data werden wir unsere Ressourcen in Zukunft effizienter nutzen, erklärte Patrick Danau, General Director for

Production, Technology and Logistics / Spokesperson of the Management, AUDI Brussels S.A./N.V. Die europäische Au-

tomobilindustrie wird diese Technik nicht dem Silicon Valley überlassen. E.ON hat in Europa bereits 1900 Ladestationen für Elektrofahrzeuge aufgebaut. Wir wollen deren Anzahl verdoppeln, sagte Susana Quintana-­

Plaza, Senior Vice-President Innovation, E.ON SE. Aber: Das allein ist noch kein

Geschäftsmodell. Wir machen das, um die Elektromobilität zu fördern. Die Konsumenten wollen E-Mobilität, die Industrie hat die Produkte. Die Politik kann den Prozess jetzt entweder unterstützen oder ausbremsen.

von Peter, Mitglied im Kabinett der EU-­ Kommissarin V ­ ioleta Bulc, Europäische Kommission. Das ist entscheidend:

­ ffene Prozesse, die zum richtigen O Zeitpunkt Standards und einen Rahmen für Innovationen schaffen. Dabei sind Politik und ­Wirtschaft aufeinander angewiesen, sie sollten eng zusaml menarbeiten.

Fotos: Philippe Veldemann

lung der Mobilität. Wir kennen heute nicht das Verkehrssystem der Zukunft. Aber drei wesentliche Faktoren werden es bestimmen: Erstens Multimodalität. Menschen werden Verkehrs­ träger je nach Bedarf nutzen. Daten spielen hierfür eine zentrale Rolle. Zweitens Elektrifizierung: E-Mobilität wird die Multimodalität unterstützen. Die EU-Kommission ist entschlossen, technologieneutral zu bleiben. Strom dürfte dennoch die effizienteste Energiequelle für die Mobilität der Zukunft werden. Drittens: Konnektivität und Automation: Fahrzeuge werden Teil des Internets der Dinge. Um damit schneller voranzukommen, benötigen wir koordinierte Investitionen und einen gemeinsamen Rahmen in der EU. Wir haben keine Zeit zu verlieren. Die Kommission arbeitet an einer Reihe von Initiativen. Die drei genannten Mobilitätsbereiche sind eng verknüpft mit den Prioritäten der Juncker-Kommission: Dekarbonisierung, Digitali-

sich auch in der EU-Datenschutzgrundverordnung wider. Dadurch haben wir einen starken Schutz erzeugt, der Daten möglichst weit von der Nutzung entfernen will. Das ist gerade der falsche Ansatz, weil die klassische Industrie jetzt noch mehr Schwierigkeiten haben wird, an benötigte Daten ranzukommen. Für die Automobilbranche ist die spannende Frage, wem die Daten eigentlich gehören. Sie zu klären wird nicht einfach werden. Es geht nicht darum, Regulierung künftig zu verhindern – sondern durch eine frühzeitige Beteiligung von S­takeholdern in der Ära der ­Digitalisierung effektiver und schneller zu regulieren, betonte Nikolaus

Das Europasymposium des Wirtschaftsrates bot Gelegenheit zu angeregten Gesprächen über die Herausforderungen in der EU.

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WIRTSCHAFTSRAT Engagement

Durch Deutschland muss ein digitaler ­Innovationsruck gehen Text: C aroline Bernhardt

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ie Herausforderungen der Digitalisierung sind gewaltig – dessen ist sich Dr. Severin Löffler durch seine Arbeit bei Microsoft bewusst. Umso entscheidender ist jetzt für ihn, dass Deutschland schnell die erforderlichen Investitionen und Innovationen vornimmt, um die Grundlage für zukünftige Wettbewerbsfähigkeit zu sichern und das Vertrauen der Bevölkerung zu stärken. „Voraussetzung dafür ist ein starkes Fundament aus drei Säulen: ein innovationsoffenes und zugleich vertrauensförderndes Datenschutz-

und Datensicherheitskonzept, ein hohes digitales Bildungsniveau sowie ein flächendeckendes Breitbandnetz, das dies alles erst möglich macht“, erklärt Löffler. Als Mitglied der Geschäftsleitung eines der größten internationalen IT-Unternehmen ist ihm der erst kürzlich übernommene Vorsitz der Bundesfachkommission Internet und Digitale Wirtschaft eine Herzensangelegenheit. „Ich habe die Bundesfachkommission des Wirtschaftsrates in den letzten Jahren als hartnäckigen Treiber der digitalen Transforma­tion

der deutschen Wirtschaft erlebt – sich vehement dafür einsetzend, dass die Bundesregierung die richtigen Schwerpunkte bei der Umsetzung der Digitalen Agenda setzt, um die Chancen der Digitalisierung schnell und umfassend nutzen zu können“. Der gelernte Jurist ist schon lange ein IT-Kenner. Seit Beginn seiner beruflichen Laufbahn, also seit 20 Jahren, befasst sich Severin Löffler intensiv mit dem Thema digitale Wirtschaft. In den ersten Jahren als Anwalt für eine internationale Großkanzlei in beratender Funktion für IT- und Technologieunternehmen – später auf „der anderen Seite“ für Microsoft, wo er erst für den deutschen Markt tätig war, bevor sich sein Zuständigkeitsbereich auf Zentral- und Osteuropa ausweitete. Gefahr einer digitalen Vertrauenskrise war nie größer Um die digitale Transformation in Deutschland erfolgreich bewältigen zu können, müssen digitale Dienste

Foto: Fotolia.com ©djama

Ich habe die Bundesfachkommission in den letzten Jahren als hart­näckigen Treiber der digitalen ­Transformation der deutschen ­Wirtschaft erlebt.

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Foto: Christian Kruppa

WIRTSCHAFTSRAT Engagement

Dr. Severin Löffler ist neuer Vorsitzender der Bundesfachkommission Internet und Digitale Wirtschaft im Wirtschaftsrat. Er ist Mitglied der Geschäfts­leitung von Microsoft Central and Eastern Europe, einer Region mit 33 Ländern und dort zuständig für alle rechtlichen und politischen Belange. Löffler erwartet von der Politik, dass rechtliche und struk­turelle Rahmen­ bedingungen schneller an die digitale Gesellschaft angepasst werden.

in weitaus größerem Umfang in alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens integriert werden – dies betrifft vor allem die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung sowie Bildungs-und Gesundheitseinrichtungen. Dass das aber vor allem aus datenschutzrechtlichen Gründen eine Mammutaufgabe ist, weiß der Kommissionsvorsitzende nur zu gut. „Wir konnten in den letzten Jahren beobachten, dass die Sensibilität innerhalb unserer Gesellschaft in Fragen des Datenschutzes und der technologischen Sicherheit enorm zunahm und ferner das Thema der rechtmäßigen Über-

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wachung durch staatliche Behörden vor dem Hintergrund der NSA-Affäre ausschlaggebend für unsere Industrie geworden ist. Die Gefahr einer digitalen Vertrauenskrise war nie größer als heute.“ Die Sicherstellung von Vertrauen in digitale Dienste und Plattformen ist deshalb für Löffler zu einer dringlichen gesellschaftspolitischen Aufgabe geworden, die es auf nationaler, europäischer und idealer Weise internationaler Ebene gleichermaßen zu bewältigen gilt. Mit der Verabschiedung des IT-Sicherheitsgesetzes und der EU-Richtlinie zur Gewährleistung

einer hohen gemeinsamen Netz- und Informationssicherheit (NIS-Richtlinie) seien zwar schon wichtige Schritte in Richtung eines ausreichenden Schutzes kritischer Infrastrukturen gemacht worden, jedoch sei es von ebenso hoher Wichtigkeit, dass sich Unternehmen und Bürger in ausreichendem Maße gegen Cyberkriminalität schützen könnten. Eine seiner Kernforderungen mit Blick auf die nächste Bundestagswahl lautet deshalb: Die Bundesregierung dazu anhalten, eine Führungsrolle bei der Festlegung internationaler Sicherheitsstandards im Cyberraum einzunehmen. „Wir sollten uns mit der Bundesfachkommission gegenüber der Politik noch intensiver als starker und verlässlicher Partner präsentieren. Gleiches gilt für die Gewährleistung eines einheitlichen Datenschutzniveaus in ganz Europa. Die Verabschiedung der Europäischen Datenschutzgrundverordnung stellt einen großen Fortschritt dar, aber es ist den EU-Mitgliedsstaaten weiterhin möglich, darüberhinausgehende Sonderregeln einzuführen, was die Vereinheitlichung konterkariert.“ Auf nationaler Ebene ist es Löffler zufolge zwingend notwendig, die gegenwärtige Organisationsstruktur der deutschen Datenschutzbehörden auf den Prüfstand zu stellen. „Wir brauchen eine effiziente und agile Behörde, die eine Position gegenüber der Wirtschaft und innerhalb Europas vertritt. Unternehmen sollten sich nie in Rechtsunsicherheit wiegen müssen.“ Löffler weiß, dass alle diese Herausforderungen nur mit hochskalierbaren digitalen Infrastrukturen und einem zeitgemäßen digitalen Ordnungsrahmen angegangen werden können. Deshalb sei die Politik dringend gefragt. „Die Zukunft des Wirtschaftsstandortes Deutschland hängt entscheidend davon ab, wie schnell wir den digitalen Wandel gestalten. Dazu muss ein Innovationsruck durch Deutschland und die politische Landschaft gehen“, mahnt er. Schnell und mit Energie ist Dr. Severin Löffler übrigens auch privat unterwegs. Seine Leidenschaft ist das Motorradfahren l und Rockmusik.

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Foto: Jens Schicke

STANDPUNKT STEIGER 60

„Es geht hier doch nur oberflächlich um ­Straßennamen. Im Kern ist eine Debatte um die grundsätzliche Ausrichtung unseres Landes nötig und welche Vorbilder für unsere Zukunft taugen.“ Wolfgang Steiger Generalsekretär des Wirtschaftsrates der CDU e.V.

Mehr Erhard, weniger Marx

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er in der BILD und im „Neuen Deutschland“ gleichzeitig zitiert wird, muss in ein schönes Wespennest gestochen haben. Bei diesem Thema habe ich es liebend gerne getan. Denn wir brauchen in Deutschland mehr Ludwig Erhard statt Karl Marx – nicht nur im Straßenbild der neuen Bundesländer. Mitte August haben wir dieses Thema bewusst gesetzt, in zeitlicher Nähe zum 55. Jahrestag des Mauerbaus am 13. August 1961. Rund 800mal sind Marx und sein Finanzier Friedrich Engels bis heute Namensgeber von Straßen und Plätzen zwischen Rügen und Erzgebirge. Oft sind es im Gegensatz etwa zur Marx-Allee in Köln auch bis heute Hauptstraßen und -plätze. Übrigens in Brandenburg mehr als in Sachsen und Thüringen. Über ein Vierteljahrhundert nach dem politischen und wirtschaftlichen Bankrott der DDR wird es langsam Zeit, positive Bezüge der Geschichte aufzunehmen. Mir fehlt das Verständnis, dass heute noch so viele Straßen nach Karl Marx und Friedrich Engels und anderen kommunistischen Ersatzheiligen benannt sind. Das alte und neue Zentralorgan „Neues Deutschland“ unterstellte in typischer linksextremer Manier gleich, ich wollte auch Rosa Luxemburg, Opfer rechtsextremer Mörderbanden, nach dem Ersten Weltkrieg aus dem Straßenbild tilgen. Mitnichten. Wer mal ihre Aussagen über die Freiheit gelesen hat, sieht die Verlogenheit der Aneignung ihrer Person durch den Unrechtsstaat DDR. Hätte Rosa Luxemburg die Säuberungen unter Lenin und Stalin überleben können, ohne ihren Texten abzuschwören? Auch Sozialdemokraten wie der Erfurter Oberbürgermeister und Architekt der rot-rot-grünen Landesregierung in Thüringen, Andreas Bausewein, identifizieren sich mit dem „bedeutenden deutschen Philosophen“ Marx und zeigen so ihr Geschichtsbild. Da fragt man sich, ob Herr Bausewein zu DDR-Zeiten zu viel „Rotlicht-Bestrahlung“ abbekommen hat. So wurden die laufend wiederholten Pflichtstunden

von normalen DDR-Bürgern genannt, in denen die sogenannten „Klassiker“ des Marxismus-Leninismus – für die meisten DDR-Bürger zum Erbrechen – durchgekaut werden mussten. Nachdem sich mit der Deutschen Einheit echte Freiheit – und nicht nur die marxistisch-leninistisch umgedeutete Freiheit unter der Führung ihrer Partei der Arbeiterklasse – in ganz Deutschland durchgesetzt hat, müsste sich das endlich breiter im öffent­ lichen Raum widerspiegeln. Die erlangte Freiheit und mit ihr das deutsche Erfolgsmodell Soziale Marktwirtschaft haben für Wohlstand und die versprochenen wirtschaftlich „blühenden Landschaften“ gesorgt. Deshalb müssten 26 Jahre nach der Wiedervereinigung auch nach Ludwig Erhard Straßen und Plätze benannt werden. Im Gegensatz zu ihm haben Marx und Engels mit ihrer Ideologie die Grundlage für wenig Gutes bewirkt. Gerade die marode Endzeit der DDR und ihr völliger Bankrott ist dafür ein Beleg. Wer es nicht glauben will, kann einfach den „Schürer-Bericht“ des letzten Chefs der DDR-Plankommission an das SED-Politikbüro aus dem Oktober 1989 im Internet aufrufen und die schonungslose Analyse einer Staatspleite durchlesen. Ich schaue aber beileibe nicht nur durch eine ökonomische Brille auf dieses Thema. Denn das Ungleichgewicht zeigt sich auch an anderen Stellen: Wie viele Straßen sind etwa nach den rund 1.000 Toten von Mauer, Stacheldraht und Minen an der innerdeutschen Grenze, nach Opfern vom 17. Juni 1953 oder nach Bürgerrechtlern benannt? Eine Straße in Berlin wird jetzt der mutigen Bärbel Bohley gewidmet, die 2010 verstorben ist. Keine besonders prominente Straße, aber immerhin an der ehemaligen Berliner Mauer. Zeit wird’s, gerade im Vergleich zu 800 Straßen und Plätzen für Marx und Engels. Es geht hier doch nur oberflächlich um Straßennamen. Im Kern ist eine Debatte um die grundsätzliche Ausrichtung unseres Landes nötig und welche Vorbilder für l unsere Zukunft taugen.

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WIRTSCHAFTSRAT Aus den Ländern

Rückblick Einblick Ausblick Berlin-Brandenburg

Baden-Württemberg Mit Glasfaser „Neckar-Valley“ anstreben

Prominenter Gast auf dem Hauptstadtfrühstück des Wirtschaftsrates war der FDP-Bundesvorsitzende und -Landtagsfraktionsvorsitzende in NRW, Christian Lindner. In der Diskussion mit Generalsekretär Wolfgang Steiger und den Unternehmern der Metropolregion Berlin positionierte er von Rente bis Energie­politik.

Südliches Flair zum Sommerempfang im Villengarten der Firma Epple. Stellvertretender Ministerpräsident und Innenminister Thomas Strobl vor 300 Unternehmern: „Die Menschen im Inund Ausland verbinden mit Baden-Württemberg einen prosperierenden Wirtschaftsstandort. Um die starke Position auszubauen, muss unser Land auch bei der Digitalisierung Spitze sein.“ Hier sieht Strobl noch Handlungsbedarf und den Staat in der Pflicht. Platz 8 beim Breitbandausbau sei für Baden-Württemberg eine Katastrophe. Man wolle in Glasfaser investieren, um zum „Neckar Valley“ zu werden. 325 Millionen Euro seien vorgesehen. Vom Bund Innenminister Thomas Strobl sollen weitere Gelder ins Ländle geholt werden.

Foto: heikoknipst.de

Foto: Wirtschaftsrat

Tour Horizon von Christian Lindner über den Dächern Berlins

v.l.n.r.: Dr. Nikolaus Breuel, Landesvorsitzender; Christian Lindner, Wolfgang Steiger

erläuterte Staatsminister Prof. Dr. Helge Braun. Ein grundlegender Wechsel fände etwa gerade im Bereich Erneuerbare Energien statt. „Hier vollziehen wir einen Wechsel vom Subventions- zum Ausschreibungssystem. So wird im Energiemarkt künftig mehr auf Marktwirtschaft gesetzt“, sagte Braun. „Dies sei allerdings erst der Anfang.“ Auch das Freihandelsabkommen TTIP, die Digitalisierung und das für die Wirtschaft wichtige Thema Bürokratieabbau stünden ganz oben auf der Agenda.

Berlin kann mehr: Impulse für die Metropole der Zukunft Der Wirtschaftsrat Berlin hat anlässlich der Wahl dem Senat seine Handlungsempfehlungen ­„Berlin kann mehr – Impulse für die Metropole der ­Zukunft!“ für die neue Legislatur übermittelt.

Hamburg, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-­ Vorpommern, Niedersachsen, Bremen Parlamentarischer Abend der norddeutschen Landesverbände Rund 300 Mitglieder besuchten den Parlamentarischen Abend

Arbeit 4.0: Für Dr. Peter Tauber kein Thema von morgen mehr Der Prozess der Digitalisierung hat die Arbeitswelt von heute vor eine enorme Herausforderung und neue Anforderungen gestellt. Welche Tücken und Probleme, aber auch welche Gestaltungschancen für die Arbeitswelt damit einhergehen, präsentierte Dr. Peter Tauber MdB, Generalsekretär der CDU, vor Mitgliedern der Sektion Frankfurt.

Foto: Wirtschaftsrat

Wirtschafts­ politischer Dialog erwünscht

Staatsminister Prof. Dr. Helge Braun auf dem Unternehmerfrühstück in Frankfurt

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„Wir brauchen den wirtschaftspolitischen Dialog, um aus der guten Ausgangssituation auf künftige Herausforderungen vorausschauen zu können“,

der fünf norddeutschen Landesverbände des Wirtschaftsrates, um sich auf den Wirtschaftstag einzustimmen. Prominente Gäste und der Hamburger Wirtschaftsrats-Vorsitzende Gunnar Uldall erwarteten die Unternehmer: der Präsident des Wirtschaftsrates Werner M. Bahlsen und der frühere Bundesminister Volker Rühe. Werner M. Bahlsen stellte die Herausforderungen Europas in den Mittelpunkt. Finanzkrise und Flüchtlingskrise hätten zu einem Auseinanderdriften der EU-Staaten geführt. Dabei müsse allen klar sein, dass die EU ein großartiges Friedenswerk sei. Er forderte eine neue politische Debatte über Europa. Nicht umsonst stehe der Wirtschaftstag 2016 unter diesem Motto. Volker Rühe ergänzte: „Wir brauchen ein neues Nachdenken über die Architektur der EU.“ Er hält es für falsch, an der Vorstellung von den „Vereinigten Staaten von Europa“ festzuhalten. Es werde keine europäische Staatlichkeit geben. Foto: Wirtschaftsrat

Hessen

Präsident Werner M. Bahlsen stellt in der DZ Bank in Berlin Europa in den Mittelpunkt

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Hamburg

Schleswig-Holstein

Junger Wirtschaftsrat: Raphael Neuburg neuer Landesvorsitzender

Erbschaftsteuerdebatte prägt wenig Sachkenntnis

Nordrhein-Westfalen

Foto: Wirtschaftsrat

Regionaltagung: „TTIP stärkt den Mittelstand“ Am Beispiel des eigenen Familienunternehmens und des gastgebenden Siegener BMW-Händlers, der Alfred Wahl KG, hob Arndt G. Kirchhoff, Präsident METALL NRW, die Vorteile eines Freihandelsabkommens zwischen Europa und den USA hervor. Kaum jemand wisse, dass die Automobilindustrie jedes Fahrzeug zweimal konstruiere: Einmal für den europäischen und ein anderes Mal für den US-Markt. Grund seien abweichende Sicherheitsstandards, die beide sicher, aber eben unterschiedlich seien. Derartige Doppelentwicklungen binden Kräfte, die nicht in neue, innovative Produkte fließen können. Für viele Mittelständler sei der attraktive US-Markt verschlossen, weil sie sich dies nicht leisten könnten. Kirchhoff lud die 100 Unternehmer der Region ein, aktiv für den Abschluss des Freihandelsabkommens zu werben. Deutschland als ExportArndt G. Kirchhoff, Präsident Metall nation Europas werde zu den Gewinnern zählen.

Rheinland-Pfalz

Wirtschaft. Der Mittelstand ist zu 80 Prozent familiengeführt leider jedoch oft unter einer dünnen Eigenkapitaldecke, was auch an den steuerlichen Regulierungen liegt. Die Reform der Erbschaftsteuer könnte viele Familienbetriebe in Existenznot bringen. Fritz Güntzler MdB, Mitglied im Finanzausschuss des Deutschen Bundestages: „Das Steuerrecht sorgt für Schattengefechte.“ Die Sachkenntnis sei auf diesem Gebiet oft gering, hoch emotional werde gerade die Debatte um das Erbschaftsrecht geführt. Den durch die Koalition vor der Sommerpause gefundenen Kompromiss hält er für vertretbar, jede weitere Einschränkung jedoch nicht. Nachdem der Bundesrat den Kompromiss gestoppt hat, wird nun v.l.n.r.: Fritz Güntzler MdB und Dr. Philipp Murmann MdB der Vermittlungsausschuss tagen.

Foto: Wirtschaftsrat

Die Mitglieder des Jungen Wirtschaftsrates wählten den 30-jährigen Unternehmensberater von Roland Berger, Raphael Neuburg, für zwei Jahre in das Amt des Landesvorsitzenden. Neuburg dankte seinem Vorgänger Tim Albrecht für seinen engagierten Einsatz für die junge Unternehmerschaft in Hamburg. Sein Stellvertreter wurde Miv.l.n.r.: Dr. Christian Conreder, Tobias Bruns, chael Semder, Rechtsanwalt ­Michael Semder, Friederike Hagenbeck, Raphael Neuburg, ­Carsten Ovens MdHB und Jan Brorhilker bei Dabelstein & Passehl.

Die Familienunternehmen sind die tragende Säule der deutschen

Sachsen-Anhalt Iran – eine Wirtschaftsnation kehrt auf den Weltmarkt zurück Ein Jahrzehnt lang war der Iran weitgehend vom Weltmarkt abgeschottet. Der Nachholbedarf ist enorm, er öffnet eine Ökonomie mit 80 Millionen Menschen. Jetzt sei die Zeit reif dafür ein neues Kapitel in den deutsch-iranischen Wirtschaftsbeziehungen aufzuschlagen.

Foto: Wirtschaftsrat

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WIRTSCHAFTSRAT Aus den Ländern

Dr. Frank Geilfuß, Dr. Michael Schädlich, Andrè Schröder, Dr. Ali Majedi, ­Bernhard Dohmann, Birgit Stotko

Meinungsaustausch mit Bundestagsabgeordneten

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Baden-Württemberg 1.Schwarzwaldkonferenz Zukunft: Gelungener Auftakt Rund 100 Unternehmer besuchten die erste Schwarzwaldkonferenz Zukunft I des Wirtschaftsrates und des Bundesverbandes demografischer Wandel zum Thema zukunftsfähige Personal- und Standortpolitik.

Foto: Wirtschaftsrat

Foto: Wirtschaftsrat

Traditionell trafen sich am Vorabend des Wirtschaftstages die Landesgruppen Rheinland-Pfalz und Saarland der CDU/CSU-Bundestagsfraktion mit Unternehmern des Wirtschaftsrates aus beiden Landesverbänden unter der Leitung von Frank Gotthardt und Wolfgang Holzhauer, den beiden Landesvorsitzenden. Unter anderem nahmen Peter Bleser, Landesgruppenchef Rheinland-Pfalz und Julia Klöckner MdL, CDU-Landes- und Fraktionsvorsitzende Rheinland-Pfalz an den Gesprächen teil. Themen waren die Ampel-Koalition in Rheinland-Pfalz, die Erbschaftsteuer­re­ form, die Energiewende und die Digitalisierung.

Siegfried Gänsler, Christine Ernst, Elke Kirchner, Wolfgang Beyer, Bernhard Schindler, Dr. med. Johannes Weingart

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Foto: Fotolia.com ŠGesina Ottner

14.000 Likes auf Facebook 3.000 Follower bei Twitter

Mehr als 70 Youtube-Videos Die Sozialen Medien geben dem Wirtschaftsrat die Chance, noch direkter mit seinen Mitgliedern, der Presse und anderen Interessierten in Kontakt zu treten und zu diskutieren. Auf Facebook, Twitter und Youtube informieren wir Ăźber unsere Positionen, Veranstaltungen und die Nachrichtenlage durch die Brille der Wirtschaft.

Bringen Sie sich ein, diskutieren Sie mit, folgen Sie uns! www.wirtschaftsrat.de

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WIRTSCHAFTSRAT Aus den Ländern

Sachsen

Bremen

Plädoyer für eine aktive Wirtschaftspolitik

Einwanderung: Was kann Deutschland von Kanada lernen? Politikwissenschaftler Prof. Dr. Christian Leuprecht stellte den Unternehmern die Zuwanderungsaspekte von Deutschland und Kanada gegenüber. Er beleuchtete die intervenierenden Tendenzen jeder Zuwanderung, die von Demografie, Klimawandel, Globalisierung, Technologien und Transportwegen geprägt sind. Und erklärte, wie die Einwanderung in Kanada funktioniert und warum sie Bremer Unternehmer informieren sich ­Einwanderung so erfolgreich ist.

Foto: Wirtschaftsrat

Foto: Karsten Seifert

„Das Motto des Parlamentarischen Abends sei bewusst gewählt worden, um die Parteien aufzufordern, eine aktive Rolle in der Wirtschaftspolitik einzunehmen", betonte die Landesvorsitzende des Wirtschaftsrates in Sachsen, Simone Hartmann. Sie formulierte Kernbotschaften für wachstumsorientierte Rahmenbedingungen in Mitteldeutschland: „Wir müssen uns wieder an den Grundprinzipien der Sozialen Marktwirtschaft orientieren, es muss ein Ruck durch Mitteldeutschland gehen. „Prominenter Gast war Prof. Dr. Joachim Ragnitz, Stellvertretender Leiter des ifo Instituts in Dresden, der zum Thema „Aktive Wirtschaftspolitik in Mitteldeutschland – eine Expertise zu Gestaltungserfordernissen“ sprach.

über

Brüssel

Foto: Karsten Seifert

Chancen der Gesundheitswirtschaft als Wirtschaftsfaktor nutzen Den Meinungsaustausch mit den verantwortlichen Experten im Bundesgesundheitsministerium bereits im Vorfeld neuer Gesetzesvorlagen zu suchen, gehört zur Kommissionsarbeit des Wirtschaftsrates. Maria Michalk MdB, gesundheitspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, folgte der Einladung der Landesfachkommission Gesundheitswirtschaft. Aus erster Hand erfuhren die maßgeblichen Entscheider aus der Gesundheitswirtschaft Thüringens, den Status aktueller Gesetv.r.n.l.: Maria Michalk im Podium mit Stephan Hauschild und Christoph Zippel zesprojekte.

Im Juli hat die Slowakei erstmals die Präsidentschaft im Rat der Europäischen Union (EU) übernommen. Der Stellvertretende Ständige Vertreter der Slowakei bei der EU, Alexander Micovˇcin, präsentierte auf Einladung des Landesvorsitzenden Christof-S. Klitz die Prioritäten: Die Slowakei wolle die Vertiefung des Binnenmarkts, die Energieunion und den Digitalbinnenmarkt vorantreiben: „Wir glauben, dass mehr eurov.l.n.r.: Christof-S. Klitz und Alexander Micovˇcin päische Integration wichtig für nachhaltiges Wachstum ist.“ Außerdem werden eine nachhaltige Migrations- und Flüchtlingspolitik, der Ausgang des britischen Referendums und die Frage nach der Zukunft der EU wichtige Schwerpunkte der sechsmonatigen Ratspräsidentschaft sein.

Impressum

Bankverbindung: Deutsche Bank AG/Bonn, 3105590 (BLZ 380 700 59) IBAN: DE84 3807 0059 0310 5590 00, BIC: DEUTDEDK380

Herausgeber: Werner Michael Bahlsen, Präsident, für den Wirtschaftsrat der CDU e.V.

Verlag: Information für die Wirtschaft GmbH

Redaktion: Klaus-Hubert Fugger, Chefredakteur / Katja Sandscheper, Redakteurin Wissenschaftliche Beratung: Dr. Rainer Gerding, Bundesgeschäftsführer

Anzeigenkontakt: Katja Sandscheper, Telefon 0 30 / 2 40 87-301 Gesamtherstellung: STEINBACHER DRUCK GmbH Anton-Storch-Straße 15, 49080 Osnabrück Telefon 05 41 / 9 59 00-0, Telefax 05 41 / 9 59 00-33

Gemeinsame Postanschrift: Redaktion Trend Luisenstraße 44, 10117 Berlin Telefon 0 30 / 2 40 87-300/301, Telefax 0 30 / 2 40 87-305 Internet: www.trend-zeitschrift.de

Erscheinungsweise: quartalsweise

Projektleitung: Information für die Wirtschaft GmbH

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Die Slowakei will die Vertiefung des Binnenmarktes vorantreiben

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Thüringen


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Im Spiegel der Presse ImSpiegel Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20.06.2016

„Die bisherige Bund-Länder-Auftragsverwaltung für Auto­ bahnen und Bundesstraßen ist zu bürokratisch, teuer und ineffizient“, kritisiert Werner Bahlsen, Präsident des ­Wirtschaftsrates, den Stand beim Infrastrukturausbau.

Handelsblatt, 23.08.2016 Wolfgang Steiger kritisiert den Klimaschutzplan von ­Bundesumweltministerin Hendricks: „Ein Horrorkatalog für die Wirtschaft, der Bürokratie und immense Kosten nach sich zieht und auch die Bürger treffen wird.“

WIRTSCHAFTSRAT Forum

Die Welt, 08.08.2016 Der Wirtschaftsrat stellt dem Standort Deutschland ein verheerendes Zeugnis aus. „Deutschland verliert weiter an Wettbewerbsfähigkeit und braucht eine industriepolitische Gesamtstrategie“, mahnt Wolfgang Steiger.

Schwäbische Post, 05.08.2016 Vor den Folgen einer Vermögenssteuer für Unternehmen warnt Wolfgang Steiger: „Im schlimmsten Falle muss dafür sogar das Eigenkapital der Unternehmen, also die solide Substanz, angegriffen werden“. Bild Zeitung, 25.08.2016 „Mehr als ein Vierteljahrhundert nach Bankrott der DDR wird es Zeit, sich von den Ersatzheiligen des Kommunismus im Straßenbild in den neuen Ländern zu trennen. Die Deutschen haben Ludwig Erhard viel mehr zu verdanken als Karl Marx“, betont Generalsekretär Wolfgang Steiger.

Weser Kurier am Sonntag, 31.07.2016 In einem Gastbeitrag fordert Wolfgang Steiger die Union auf, beim Entgeltgleichheitsgesetz nicht klein beizugeben. „Wenn die Bundesfamilienministerin jetzt jedem Mitarbeiter einen Rechtsanspruch einräumt, den Durchschnittlohn von fünf Kollegen zu erfahren, und das Gesetz bereits für ­Unternehmen mit 200 Mitarbeitern gelten soll, müssen auch Mittelständler mehr Bürokratie schultern.“

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17.08.2016 Den Vorschlag der Bundesbank für die Rente mit 69 nannte der Wirtschaftsrat „wegweisend“. Wolfgang Steiger betonte: „Falls wir nicht wollen, dass die Renten drastisch sinken oder die Beitragssätze dramatisch steigen, bleibt allein eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit als Lösung.“

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Neue Osnabrücker Zeitung, 18.08.2016 „Wenn Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel jetzt zum Kostentreiber für die Betriebe wird, hat er seine Aufgabe missverstanden“, sagte Wolfgang Steiger zum SPD-Vorschlag, die Arbeitgeber wieder stärker an den Krankenkassenbeiträgen zu beteiligen. Hannoversche Allgemeine Zeitung, 21.06.2016 „Wir brauchen heute eine Agenda 2025, mit der wir das Land in eine neue Zeit bringen. Stichwort: Digitalisierung. ­Stichwort: Europa neu denken. Stichwort: internationale Wettbewerbsfähigkeit“, fordert Werner M. Bahlsen.

Handelsblatt, 18.08.2016 Der Junge Wirtschaftsrat äußert sich kritisch zur Bilanz der Digitalisierungspolitik: „Der Ausbau geht viel zu langsam voran“ beklagt der Vorsitzende, Dr. Alexander Bode den Umsetzungsstand beim Glasfaser-Ausbau. 3/2016 TREND

Die Welt, 02.07.2016 „Der Soli-Ausstieg ist angesichts der Rekordsteuereinnahmen gut möglich“, sagt der Generalsekretär des CDU-Wirtschaftsrates, Wolfgang Steiger.

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 09.07.2016 Generalsekretär Wolfgang Steiger zeigte sich bestürzt zur Anrufung des Vermittlungsausschusses Erbschaftsteuer. „Wenn jetzt Linke, Grüne und Teile der Sozialdemokratie das für Deutschlands Unternehmen wichtige Thema aus wahltaktischen Gründen populistisch ausschlachten, schaden sie nachhaltig dem Standort Deutschland.“ 65


311.000.000.000

22,8 Auf beinahe 23 Jahre ist die durchschnittliche

­Rentenbezugsdauer bei Frauen mittlerweile angestiegen, bei Männern auf 18,8 Jahre. Im Jahr 1960 lag sie für Frauen bei 10,6 und für Männer bei 9,6 Jahren. Quelle: Bild

Im Jahr 2014 wurden von den 28 Mitgliedsstaaten der EU-Waren im Wert von 311 Milliarden Euro in die USA exportiert. Das entspricht einem Anteil von 18,3 Prozent. Ein Drittel der von Deutschland exportierten Ware kommt aus der Automobilindustrie. Quelle: Kfw

Zahlen des Quartals

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Facebooks Umsatz stieg im Vergleich zum Vorjahr um 59 Prozent auf 6,43 Milliarden Dollar. Das vor Kraft strotzende Unternehmen war an der Börse dadurch kurzzeitig mehr wert als der Ölgigant Exxon, der die gesamte USA mit Öl und Benzin versorgt. Quelle: Handelsblatt

11,6 Hätte Italien nur den Zinsvorteil, der dem Land nach dem Beitritt zur Währungsunion zugute kam, genutzt, um seine Schulden zu tilgen, wäre es nach 11,6 Jahren schuldenfrei gewesen. Quelle: Universität Greifswald

5 Zwischen 2001 und 2014 hat Afrika ein Wirtschaftswachstum von über fünf Prozent jährlich erzielt und es damit gegenüber den 1980er und 1990er Jahren mehr als verdoppelt. Zum ­Vergleich: Das weltweite ­Durchschnittswachstum liegt bei knapp vier Prozent. Quelle: Institut für Weltwirtschaft

12.07. Rein rechnerisch arbeiteten die Deutschen bis zum 12. Juli 2016 für den deutschen Staat. Erst danach landet das Geld in ihrer eigenen Tasche.

Quelle: Bund der Steuerzahler

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Darknet, Hatespeech und Verschwörungstheoretiker – diese Stichworte tauchen auf, wenn über die Parallelwelten im Web diskutiert wird. Und freilich ist viel Wahres daran. In Zeiten fallender Zeitungsauflagen informieren sich immer mehr Menschen online und nehmen schnell alles für bare Münze, was sie dort unreflektiert lesen. Der Berufsstand des Journalisten hat, nimmt er seinen Berufsethos ernst, seine Berechtigung gegenüber Bloggern, die von der Couch aus die Welt mit ihrer Galle überziehen. Die Blogosphäre hat zum Glück nicht nur dieser Menschenschlag als Plattform erkannt. Im deutschsprachigen Raum sind viele seriöse, meinungsstarke Publizisten erfolgreich – von der „Die Achse des Guten“ über „Denken-erwünscht“ bis zu „Tichys Einblick“ versammeln WELT-Kolumnist Henryk M. Broder, der frühere BILD-Mann Klaus Kelle oder der ehemalige Chefredakteur der Wirtschaftswoche, Roland Tichy, jeweils Dutzende Autoren aus dem bürgerlichen Spektrum. Wie heißt es so schön auf Twitter „retweets are no endorsements“, um sich notfalls abzusichern, das gilt auch hier: Ein weiterer Horizont durch Denkanstöße, die nicht nur eigene Meinungen bestätigen, hat noch keinem geschadet. Lassen Sie sich nicht abschrecken: Allen gemein ist, dass sie sich durch ihre Leser finanzieren und Spenden erbitten. Lesen bleibt kostenlos. Wenn wir gerade Tipps geben: Lesenswert ist auch der ÖkonomenBlog der Initiative Neue So­ ziale Marktwirtschaft. TREND 3/2016

Fotos: Fotolia.com ©photo5000; ©Syda Productions; ©Mikhail Mishchenko; © Vasilev Evgenii; ©Marco2811; ©psdesign1 | Facebook

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Wir

spielen

fair

Lega le Spiel ha l len ha lten sich a n d ie R egel n . Die Deutsche Automatenwirtschaft ist sich ihrer Verantwortung für Spieler und Gesellschaft bewusst, darum halten wir uns an strenge Grundsätze, wie: 1. Legal nicht egal: In legalen Spielhallen gelten strenge Regeln zum Schutz der Spieler. 2. Nur ab 18: In legalen Spielhallen dürfen nur Erwachsene spielen. 3. Kein Bier hier: In legalen Spielhallen ist Alkohol verboten. 4. Brief und Siegel: Unsere Spielhallen werden regelmäßig vom TÜV Rheinland und InterCert Saar geprüft. Weitere Informationen zum verantwortlichen Automatenspiel auf automatenwirtschaft.de

Spielteilnahme erst ab 18 Jahren. Übermäßiges Spielen ist keine Lösung bei persönlichen Problemen. Beratung / Info-Tel.: 01801 372700 (3,9 Cent pro Minute aus dem deutschen Festnetz, höchstens 42 Cent pro Minute aus deutschen Mobilfunknetzen).



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