WIEDERVEREINIGUNG
batschow, der mit der Pere s t roika eine Wende in der sowjetischen Politik eingeleitet habe. „Er ermutigte dadurch auch die demonstrierenden Menschen auf den Straßen und Pl ä t zen in der DDR“, betonte Kohl. Dass sich Gorbatschow in den achtziger Jahren für Menschenrechte und Offenheit entschieden habe, sei eine der entscheidenden Fügungen für die deutsche Geschichte gewesen. Aber auch ohne den damaligen amerikanischen Präsidenten George Bush wäre die Deutsche Einheit nicht denkbar gewesen. George Bush hatte sich als Freund der Deutschen erwiesen und die Deutsche Einheit ohne Wenn und Aber unterstützt. Sein republikanischer Vorgänger Ro l a n d Reagan habe durch seine kompromisslose Haltung gegenüber den Sowjets erst dazu beigetragen, dass die Sowjetunion zur Abrüstung bereit gewesen sei.
Verantwortung in Freiheit Dr. Helmut Kohl Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland a. D.
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ür uns ist die Freiheit keine Gn adengabe des Staates und auch keine Ermächtigung zum schrankenlosen egoistischen Denken“, erk l ä rte Bu n d e skanzler a. D. Dr. Helmut Kohl bei der Er ö f f n u n g s veranstaltung des Wi rtschaftstages 2003 in Berlin. „Wir stehen für die Freiheit des Einzelnen und Ve rantwortung für den Nächsten.“ Da rum sei es auch selbstverständlich gewesen, dass die Christdemokraten die Idee der Deutschen Einheit niemals aufgegeben hätten.
Anlässlich des 50. Ja h restages des Volksaufstands am 17. Juni 1953 in der damaligen DDR erinnerte Kohl daran, dass seinerzeit in fast 400 Städten mehr als eine Million Menschen gegen die Unterdrückung des SED-Regimes und für die Freiheit auf die Straße gegangen seien. „ Der Volksaufstand vom 17. Juni 1953 war der erste mutige Versuch, das SEDRegime zu stürzen und die Unfreiheit abzuschütteln“, betonte Kohl. 14 trend
Zwar sei der erste Versuch damals g e s c h e i t e rt. Auf Dauer aber könne keine Diktatur die Sehnsucht der Menschen nach Freiheit und Selbstbestimmung auslöschen. „ Das haben unsere Landsleute in der DDR bei ihren großen Demonstrationen im Herbst 1989 bewiesen“, sagte Kohl. Anders als 1953 sei es diesmal gelungen, die Ma c h t des SED-Staates zu erschüttern und schließlich zum Ei n s t u rz zu bringen. Kohl erinnerte daran, dass sich hunderttausende Menschen auf Straßen, Plätzen und in den K i rchen zum Protest und Gebet versammelten. „Der Mut und die Entschlossenheit u n s e rer Mitbürger in der damaligen DDR zählte zu den besten Kapiteln deutscher Geschichte“, sagte Kohl. Ohne die Un t e rstützung von Partnern und Freunden im Ausland sei die Deutsche Wi e d e rve reinigung indes nicht möglich gewesen, unterstrich der Bundeskanzler a. D. In diesem Zusammenhang würdigte Kohl insbesondere die Rolle des damaligen sowjetischen Staatschefs Michail Go r-
Ein weiterer wichtiger Punkt für die deutsche Wi e d e rvereinigung war aus Si c h t des damaligen Regierungschefs das Ve rhalten der Ungarn, die im Sommer 1989 i h re Gre n zen öffneten, und ebenso die Rolle Polens, wo die Gewe rkschaft So l idarnosc „als erste an den Ketten der Diktatur gerüttelt“ habe. Kohl sagte, die Deutschen seien in den vergangenen Jahren bei der Wiederherstellung der Einheit bereits weit vo r a n g e k o mmen. „Es ist Gewaltiges geleistet worden.“ Zwar seien auch Fehler gemacht worden, aber schließlich mussten in den Ja h re n 1989 und 1990 „rund um die Uhr En tscheidungen getroffen we rden“. „Wir waren eben nicht im Seminar für Wi rtschafts- und Sozialpolitik, um in nachdenklicher At m o s p h ä re Entscheidungen t reffen zu können“, sagte Kohl. Wer aber heute mit offenen Augen durch die neuen Bundesländer fahre, we rde feststellen, dass d o rt in den zurückliegenden zwölf Jahren ein riesiger Erfolg erreicht worden sei. „Seit der Wi e d e rvereinigung sind in den neuen Bundesländern 550.000 mittelständisch geprägte Unternehmen entstanden, die mehr als 3,2 Millionen Arbeitnehmer beschäftigen“, unterstrich Kohl. Mit enormem persönlichen Einsatz, Fleiß und Hi l f s b e reitschaft seien in den neuen Ländern vielero rts tatsächlich „blühende Landschaften“ entstanden. Zur gleichen Zeit sei die Einigung Eu ro p a s ... III. Quartal 2003
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... mit großen Schritten vorangekommen, unterstrich Kohl. „Und sie ist mit der Wirtschafts- und Währungsunion unumkehrbar gew o rden.“ Ohne die europäische Integrationspolitik seit Konrad Adenauer w ä re auch die deutsche Einheit nicht möglich gewesen, sagte Kohl. Mit der Wi rtschafts- und W ä h ru n g sunion habe eine neue Epoche in der europäischen Geschichte begonnen. „Ni emand hat nach der Ei n f ü h rung des Eu ro noch eine Chance, aus dem Haus Eu ropa auszuscheiden.“ Der „gemeinsame Bau des Hauses Eu ropa“ hinge indes auch von der Außen- und Sicherheitspolitik ab, die wied e rum auf zwei Säulen ruhe: Auf der Säule der europäischen Einigung und der Säule der deutsch-amerikanischen Freundschaft. „Dieser Freundschaft ve rdanken wir die längste Friedensperiode in der modernen Geschichte Deutschlands“, sagte Kohl. P. H. / Aus Rede Wirtschaftstag 2003
„Es ist Gewaltiges geleistet worden“
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In n ovationen vergrößern: Ge n t e c h n ologie, Medizintechnik, chemische und p h a r m a zeutische Industrie – das sind beispielhaft einige Bereiche, in die wir in Zukunft verstärkt investieren müssen. Ei n Moratorium für die grüne Gentechnologie ist genau so kontraproduktiv wie eine ü b e rd i m e n s i o n i e rte Förd e rung der Wi n denergie. Leider ist das aber die Politik der rot-grünen Bundesregierung.
Politik für mehr Wachstum in Deutschland Dr. Angela Merkel Vorsitzende der CDU Deutschlands und der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag
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u Recht wird zurzeit intensiv über die Zukunft Deutschlands diskutiert. Doch so, wie die Di s k u s s i o n im Moment geführt wird, greift sie zu kurz. Denn die Menschen nehmen die Debatte vor allem als eine Debatte um Einschnitte und Kürzungen wahr. Das ist auch der Grund dafür, weshalb sie mit den Reformen eher Ängste als Hoffnungen verbinden.
Die eigentliche Frage aber, die sich doch stellt, wird gar nicht beantwortet: Was will Deutschland erreichen? Und womit wollen wir in Zukunft unser Geld ve rdienen? Diese Fragen sind genauso wichtig wie die Reformmaßnahmen im Bereich der sozialen Si c h e rungssysteme. Nur wenn wir auch diese beantworten, we rden wir die Menschen auf dem Weg zu Reformen mitnehmen. 16 trend
Für mich sind die Antworten klar: Ich habe 35 Jahre in einem Teil Deutschlands gelebt, der überall auf der Welt als der zurück gebliebene Teil Deutschlands galt. Deshalb wünsche ich mir heute umso mehr, dass Deutschland auch nach der Wi e d e rve reinigung ein erf o l g reiches Land ist, dessen positive Entwicklungen in der Welt Beachtung finden. Diesen Anspruch sollten wir alle haben. Das müssen wir den Menschen vermitteln. Und wir müssen in Deutschland viel mehr die Chancen, die sich aus der Globalisierung ergeben, wahrnehmen. Das 21. Jahrhundert wird von einem permanenten We t t b ewerb der St a n d o rte geprägt sein. Wir können unseren Wohlstand nicht alleine durch Tätigkeiten im unteren Lohnbereich erhalten, sondern wir müssen unseren Anteil an den weltweiten
Aufgabe der Politik ist es, Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen Wachstum und Beschäftigung sich entfalten können. Deutschland muss wieder attraktiv für internationale In vestoren werden. Das ist unser Ziel, denn es macht unsere Arbeitsplätze wettbewe r b s f ä h i g . Dazu gehört, dass wir die Bedingungen, unter denen bei uns gearbeitet und produziert wird, überprüfen. Vor allem die Hürden für Neueinstellungen müssen so schnell wie möglich weg. Oberste Priorität liegt deshalb bei der Ne u o rdnung des A r b e i t s m a rktes, dann folgen die Reformen in den sozialen Sicherungssystemen und eine große Steuerreform. Kündigungsschutz lockern, um Einstellungen zu erleichtern Der Ge s e t ze n t w u rf der Bu n d e s regierung zum Kündigungsschutz sieht vo r, dass Betriebe mit bis zu fünf Beschäftigten künftig weitere Mitarbeiter befristet einstellen können, ohne dass dadurch der Kündigungsschutz ausgelöst wird. Ic h halte eine solche Regelung für Unsinn. Si e würde lediglich dazu führen, dass Unternehmer mit mehr als fünf Beschäftigten einen Teil ihrer Mitarbeiter erst einmal entlassen, um sie anschließend wieder befristet einzustellen. CDU und CSU fordern im Gegensatz dazu, die Schwelle für den besonderen Kündigungsschutz auf 20 Beschäftigte anzuheben. Ansonsten sollen bei jeder Neueinstellung – unabhängig von der Betriebsgröße – Arbeitnehmer und Arbeitgeber künftig die Möglichkeit haben, sich auf eine Abfindungsregelung als Alternat i ve zum Kündigungsschutz zu einigen. Diese Regelung gäbe den Unternehmern mehr Planungs- und Rechtssicherheit. Der Vorschlag der Bundesregierung, von Fall zu Fall zu entscheiden, wenn die Entlassung vor der Tür steht, ist nicht hilfreich. Kaum ein Unternehmer stellt freiwillig Leute ein, wenn er nicht weiß, wel- ... III. Quartal 2003
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... che Risiken bei einer betriebsbedingten Kündigung auf ihn zukommen. Platz frei für betriebliche Bündnisse für Arbeit Da der St a n d o rt we t t b ewerb unter ganz unterschiedlichen Bedingungen stattfindet, muss der Flächentarifve rt r a g überarbeitet we rden. Wenn die Abwe ichung vom Fl ä c h e n t a r i f ve rtr ag im Rahmen eines Sozialplanes möglich ist, w a rum können wir dann nicht schon einen Schritt früher etwas für die Beschäft i g u n g s s i c h e rungtun? Wir brauchen Pl a t z für betriebliche Bündnisse für Arbeit, gesetzlich ve r a n k e rt und auch ohne Zustimmung der Tarifparteien. Auch die Sozialdemokraten werden um ein an den Erf o rdernissen der Glo b a l i s i e rung orient i e rtes Arbeitsrecht auf Dauer nicht herum kommen. Deutschland kann nicht ewig darauf warten, bis Bundeskanzler Schröder endlich den Mut aufbringt, eine solche Reform gegen den Widerstand der Gewerkschaften und den Betonköpfen in seiner eigenen Fraktion durchzusetzen. Längere Arbeitszeiten, um wettbewerbsfähig zu bleiben Wir müssen auch über die Dauer der Arbeitszeit bei uns sprechen. Deutschland hat im internationalen Vergleich die kürzesten Arbeitszeiten. Bei einem Vergleich der Arbeitszeiten in Deutschland mit denen in der Schweiz fällt auf, dass die S c h we i zer im Schnitt 42 Stunden pro Woche arbeiten – an 220 Tagen im Jahr. In Deutschland arbeiten wir 38 Stunden pro Woche – an 176 Tagen im Jahr. Laut einer Studie des Instituts der deutschen Wi rtschaft arbeitet eine Vollzeitkraft heute im Schnitt 1556 Stunden im Jahr – das ist faktisch eine Vier-Tage-Woche. 1991 waren es noch 210 Stunden mehr. Schuld daran sind nicht nur die kurze n Wo c h e n a r b e i t s zeiten, sondern auch die vielen Feier- und Urlaubstage. Allein die Lohnfortzahlung während der Urlaubszeit sowie das Urlaubsgeld kosten die Un t e rnehmen 42 Mi l l i a rden E im Jahr. Di e s f ü h rt zu einer erheblichen Be e i n t r ä c htigung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit. Deshalb müssen wir hier flexibler werden. Lohnzusatzkosten unter 40 Prozent Schon im gemeinsamen Wa h l p rogramm von CDU und CSU haben wir III. Quartal 2003
das Ziel formuliert, die Lohnzusatzkosten unter 40 Prozent zu bringen. Das bedeutet: Fünf Pro zent Arbeitslosenve r s i c h erung, 13 Pro zent Krankenve r s i c h e rung und nicht mehr als 20 Pro zent für die Re n t e n versicherung. In vestoren, die bei uns Arbeitsplätze schaffen wollen, müssen sich darauf verlassen können. Das bedeutet, dass wir grundlegende Reformen in der Renten-, Kranken- und Pflegeve rsicherung brauchen – verzahnt mit einer w i rklich großen St e u e r reform. Die Be l astungen aus der demografischen Entwicklung lassen sich nur gerecht auf die Generationen ve rteilen, indem man einen demografischen Faktor in die Rentenversicherung einführt – so wie es die Union b e reits im Ja h re 1998 vorgenommen hatte. Und wenn auch unser Ge s u n dheitssystem die Last der demografischen Ve r ä n d e rung in Zukunft tragen soll, kommen wir um Selbstbehalte nicht heru m . Bestimmte Leistungen – wie jetzt in einem ersten Schritt der Zahnersatz – müssen ausgegliedert und in einer privaten Pfli c h t ve r s i c h e rung erbracht werden. Diese Vorhaben muten allen Versicherten einiges zu. Aber wenn wir das Abrutschen in die Zwei-Klassen-Medizin verhindern wollen, ist dies der einzige Weg. Und ich bin fest überzeugt: Richtige und gerechte Reformen we rden von den Menschen auch angenommen. Freiräume schaffen durch Steuersenkungen Die Voraussetzung für mehr Eigenbeteiligung in den sozialen Sicherheitssystemen ist zunächst einmal, dass die Me nschen wieder mehr Geld in der Tasche haben. Das Vorziehen der nächsten Stufe der St e u e r reform wäre ein Einmaleffekt, durch den nichts gewonnen wäre, we n n die Steuersenkung mit höheren St e u e rbelastungen in anderen Bereichen gekoppelt sein sollte. Was wir tatsächlich brauchen, ist ein transpare n t e res, ehrlichere s Steuersystem. Nicht mehr Um ve rteilung und mehr Restriktion, sondern mehr Fre iheit und mehr Wettbewerb müssen unser Ziel sein. Deutschland braucht die zweiten Gründerjahre Die Soziale Ma rk t w i rtschaft ist nach wie vor die einzige Gesellschaftsform, die den Bestand unserer Grundwerte Freiheit, Solidarität und Ge rechtigkeit garantiert. Nur im Rahmen der Sozialen Marktwirt-
„Deutschland braucht die zweiten Gründungsjahre“
schaft ist es möglich, Wohlstand für alle und sozialen Ausgleich zwischen Starken und Schwachen zu schaffen. Doch um diese Solidarität auch in Zukunft ausüben zu können, müssen wir unsere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit verbessern. Durch die wachsende Globalisierung steht der Wirt s c h a f t s s t a n d o rt De u t s c hland vor erheblichen neuen Herausforderungen. Diese gilt es zu meistern, damit auch künftige Generationen die Chance haben, ihr Leben in Freiheit und Se l b s tbestimmung zu verwirklichen. Wenn wir in dieser sich stetig ve r ä ndernden Zeit Fortschritte erzielen wollen, dann müssen wir alle bereit sein, Verantwortung zu übernehmen. Dies gilt sowohl für die Politik, die Wi rtschaft, die Gewe rkschaften als auch für die Me nschen in diesem Land. Deutschland ist es wert, dass wir alle wieder die Ärmel hochkrempeln. Deutschland muss wieder neugierig werden. Wir brauchen so etwas wie einen zweiten Gründergeist in De u t s c hland – Menschen, die Visionen und Mut zum Risiko haben. Unser Ziel muss sein, Deutschland wieder dahin zu führen, wo es hingehört: an die Spitze Europas – bei den Forschungsinvestitionen, bei Be s c h ä ftigung und beim Wachstum. V Aus Rede Wirtschaftstag 2003
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brächten, dann kann kein Zweifel mehr bestehen, dass sie diese auch einsetze n “ , betonte Perle. Und diese Massenvernichtungswaffen würden mit Sicherheit dazu eingesetzt, eine möglichst große Anzahl an Me nschen zu töten. „Vor dem 11. September haben wir zu lange gew a rtet: Wir haben zu lange gew a rtet, weil alles, was wir nachher getan haben, auch schon hätten vorher tun können“, sagte Perle. So hätten die Amerikaner vor allem die Te r ro rorganisation Al Quaida in Afghanistan bereits vor dem 11. September entschlossener bekämpfen können. „Das haben wir versäumt – ein Fehler, das haben wir gelernt, den wir nie wieder machen werden.“
Das deutschamerikanische Verhältnis Richard Perle Mitglied des Defence Policy Boards und Resident Fellow, American Enterprise Institute, Washington D.C.
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ichard Perle erinnerte an die terroristischen Anschläge auf die Zw i llingstürme des World Trade Centers am 11. September 2001 in New York. 3000 Menschen seien getötet worden, weil fanatische islamische Terroristen der Welt ihre Vorstellungen ihrer Ge s e l lschaftsordnung und Religion aufzwingen wollten. Für die Amerikaner hätten diese Angriffe zum einen eine Zäsur in ihre m Denken und ihrer Gefühlswelt herbeigeführt, sagte Perle. „Aber auch die Politik und die Strategie der amerikanischen Regierung hat sich nach den Anschlägen verändert.“
Perle betonte, dass die Amerikaner gelernt hätten, dass es möglich sei, auf eine erkennbare Be d rohung zu spät zu re a18 trend
g i e ren. Die Anschläge seien absehbar gewesen, weil es zuvor bereits eine Reihe von Anschlägen auf amerikanische Ei nrichtungen gegeben habe, die an Heftigkeit mit jedem Mal zugenommen hätten. Die Folgen der Te r roranschläge vo m 11. September für die Politik der Amerikaner würden im Ausland häufig unterschätzt, sagte Perle. Die Amerikaner seien nach Prüfung der ihnen vorliegenden Dokumente und nach Verhören von Mitgliedern der Terro rorganisation Al Quaida d a von überzeugt, dass diese Ma s s e n ve rnichtungswaffen einsetzen würd e n , sobald sie in deren Besitz gelangten. „Wenn sie Massenvernichtungswaffen bekommen könnten, wenn sie chemische oder biologische Waffen in ihren Be s i t z
Dies sei einer der zentralen Gründe, warum der ehemalige irakische Di k t a t o r Saddam Hussein habe aus dem Amt gejagt werden müssen. Saddam Hussein habe die Resolutionen der Vereinten Nationen missachtet. Saddam habe Terroristen ve rschiedener Organisationen Unterschlupf und Unterstützung gew ä h rt. Und nicht zuletzt habe der Diktator, wie von den Vereinten Nationen dokumentiert, gro ß e Mengen chemischer und biologischer Waffen produziert. Als die Inspektoren der Vereinten Nationen den Irak 1998 ve rlassen hätten, seien weiterhin große Me ngen dieser Ma s s e n vernichtungswaffen im Land geblieben, über deren Verbleib Sa ddam Hussein niemals Rechenschaft abgelegt habe. Bis heute sei nicht klar, was mit diesen chemischen und biologischen Wa ffen passiert sei. „Bis heute hat es keine Erk l ä rung gegeben“, erinnerte Perle. Obwohl es bislang kaum Spuren über den Verbleib der Waffen gebe, zeigte Perle sich zuversichtlich, dass sie gefunden werden. „Lassen sie mich gerade den Skeptikern sagen: Ich bin sicher, dass wir die Waffen finden werden“, betonte Perle. Er erinnerte daran, dass im Irak Organisationen mit einer Stärke von mehr als 6.000 Mitarbeitern die alleinige Aufgabe gehabt hätten, die Massenve r n i c h t u n g swaffen vor den Augen der UN-Inspektoren zu verbergen und Sp u ren zu ve rw ischen. Je weniger verängstigt irakische Re g i m e - Insider indes seien, je mehr sie sich trauten, offen mit den US-Behörden ... III. Quartal 2003
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... über die Waffenprogramme Saddams zu s p rechen, desto mehr Informationen kämen jedoch ans Licht. Deshalb besteht nach Auffassung Perles nicht der geringste Zweifel, dass die Amerikaner im Irak Ma ssenvernichtungswaffen finden werden. Aus Sicht der Amerikaner sei der Krieg im Irak ein Be f reiungskrieg gewesen, sagte Perle. Mehr als 50 Länder hätten die Vereinigten Staaten dabei unterstützt. Nach der erf o l g reichen Vert reibung Saddams hätten nun 25 Millionen Iraker wieder eine Zukunft vor sich. „Sie we rden die Freiheit bekommen, die wir in Amerika und Eu ropa längst haben“, sagte Perle. Freiheit und Frieden seien hingegen nicht vorstellbar gewesen, wenn Saddam Hu ssein im Amt geblieben wäre. Stattdessen hätte es weitere Massenexekutionen gegeben. Durch die Entdeckung der Massengräber we rde für jeden augenfällig, wie m e n s c h e n verachtend das irakische Regime gewesen sei, sagte Perle. Kritisch äußerte er sich zur Rolle der Bu n d e s regierung. „Wir haben nicht um Unterstützung für einen Waffengang gebeten“, sagte Perle. „Aber wir haben Verständnis erwartet.“ Kein Amerikaner habe die deutsche Bu n d e s re g i e rung vo r dem Irak-Krieg um Waffen- oder Tru ppenunterstützung gebeten. Dennoch habe der deutsche Bundeskanzler, Ge r h a rd Schröder (SPD) ungefragt von vo r n eherein klar gemacht, dass mit Hilfe und Unterstützung der Deutschen nicht zu rechnen sei. Mehr noch: Auch das Verständnis für ihre Position sei den Amerikanern ve rwe h rt worden. „Das war eine große Enttäuschung für uns“, sagte Perle.
„Ich hoffe, dass die großartige Tradition fortgesetzt wird“
vergangenen Herbst besonders von den anstehenden Bundestagswahlen beeinflusst gewesen sei. „Es kann kaum Zweifel daran bestehen, dass Kanzler Schröder seine Chancen zur Wi e d e rwahl dadurc h verbessern wollte, dass er verständliche Zweifel in der Be v ö l k e rung hinsichtlich eines Irak-Krieges verstärkte.“ Die Zweifel der Menschen am Si n n eines Krieges seien in einer demokratischen Gesellschaft völlig normal. „Die Menschen versuchen immer, einen Krieg zu vermeiden“, betonte Perle. „Ein differe n z i e rtes und umfassendes Urteil über die No t wendigkeit eines Waffengangs kann man sich aber nur erlauben, wenn in der Debatte die Positionen und Argumente beider Seiten unvoreingenommen geprüft werden“, betonte Perle. Die deutsche Regierung indes habe nur die Argumente der Kriegsgegner unterstützt, ohne dabei die Position der Amerikaner zu berücksichtigen. „Darum waren wir enttäuscht“, sagte Perle.
Die US-Administration sei nicht der Auffassung, dass die Deutschen den Amerikanern aufgrund ihrer historischen Situation etwas schuldig seien. Er erinnerte daran, dass sich die Amerikaner nach der Herrschaft der Nationalsozialisten in Deutschland für Frieden und Freiheit eingesetzt hätten, dass sie stolz darauf seien, aber in keiner Weise eine Belohnung oder Kompensation dafür erwarteten. „Wi r würden es wieder tun“, sagte Perle. De nnoch habe man im Zusammenhang mit dem Irak-Krieg mehr Verständnis der deutschen Bu n d e s re g i e rung erw a rtet.
Diese Enttäuschung sei indes aller Voraussicht nach temporär. Die fundamentalen Interessen und Werte der Amerikaner und Deutschen seien die gleichen und eng miteinander verbunden. „Da ru m ist es unvo r s t e l l b a r, dass wir unser gutes Verhältnis nicht wieder herstellen“, unterstrich Perle. Dies we rde allerdings noch eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen.
Perle ist der Auffassung, dass die Position des deutschen Bundeskanzlers im
Perle verwies ferner auf die besondere Rolle der Bundesrepublik im transatlanti-
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schen Verhältnis. Ve rk ü rzt ausgedrückt gebe es das Ko n zept der Fr a n zosen oder insbesondere von Präsident Jaques Chirac und dessen Außenminister Dominique de Villepain, denen ein Europa als ein weltpolitisches Ge g e n g ewicht zu den Ve re inigten Staaten vorschwebe. Auf der anderen Seite stehe das Ko n zept der Pa rt n e rschaft, bei dem die USA und Europa sich als gemeinsame Verfechter und Vert e i d iger ihrer fundamentalen Werte wie Fr i eden und Freiheit in der Welt stark machten. Letztere Ko n zeption schwebe vo r allem den neuen Mitgliedern der Europäischen Union in Mittel- und Osteuropa vor, weil diese die Auswirkungen totalitärer Regime noch stärker in Er i n n e rung hätten. Für eine dieser beiden Positionen gelte es nun, eine Gru n d s a t zentscheidung zu t reffen, sagte Perle. „Und ich glaube, es hängt von den Deutschen ab, ob Eu ro p a künftig nach den Vorstellungen der Fr a nzosen oder nach einem partnerschaftlichen Ko n zept konstru i e rtwird“, sagte Perle. Gl e i c h zeitig zeigte er sich zuversichtlich, dass sich Deutschland in der Tradition des ehemaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl für den Weg der transatlantischen Partnerschaft entscheiden we rde. „ Ich hoffe und bin überzeugt, dass Deutschland von Menschen regiert wird, die diese gro ß a rtige Tradition fort s e t ze n werden.“ V P. H. / Aus Rede Wirtschaftstag 2003
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Technik. Asien hingegen habe sich in den vergangenen beiden Jahrhunderten vor allem auf eine nach innen orientierte und sehr selbstgenügsame Politik beschränkt. Die Japaner indes seien seit der Mitte des vergangenen Jahrhunderts erf o l g re i c h g ewesen, weil sie Elemente des euro p ä ischen Merkantilismus kopiert hätten und für offene Gre n zen beim Handel gesorgt hätten. Zu den Problemen des wirt s c h a f tlichen Niedergangs und der De flation zum Ende des vergangenen Jahrhunderts sei es gekommen, weil das duale japanische Modell neben offenen Gre n zen für Industriegüter gleichzeitig auf einen staatlich geschützten Dienstleistungs- und Agrarsektor gesetzt habe. „Damit wurden die Pro bleme gesät, die nach der Boomphase in Japan zu beobachten waren“, sagte Sheng.
Asien als Motor der Weltwirtschaft Andrew Sheng Chairman Securities and Futures Commission, Hong Kong
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ndrew Sheng, Chef der Securities and Futures Commission, die für die Re g u l i e rung von Kapitalmärkten verantwortlich ist, betonte, dass in Asien 55 Prozent der gesamten Weltbevölkerung lebten. Ein Viertel der weltweit getätigten Exporte komme vom asiatischen Kontinent. Hier werde überdies ein Drittel des globalen Bruttosozialprodukts erwirtschaftet. Vor dem Hintergrund dieser ökonomischen Eckdaten machte Sheng deutlich, dass seiner Ansicht zufolge das tatsächliche ökonomische Wunder des 21. Jahrhunderts nicht technologischer Natur sei.
Aus ökonomischer und politischer Sicht bemerk e n s we rter sei, dass sich die beiden asiatischen Riesenreiche China und Indien, wo zwei Fünftel der Weltbevölkerung lebten, auf einen nachhaltigen Wachstumspfad begäben. „Indien und China ziehen sich langsam aber sicher selbst aus der Armutsfalle und nehmen in 20 trend
der Weltgemeinschaft den Platz ein, der ihnen zusteht“, sagte Sheng. Historisch habe China bis zum 17. Ja h r h u n d e rt über die stärkste Vo l k s w i rtschaft der Welt ve rfügt. Im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts habe es aber seine ökonomische Führerschaft an Westeuropa abgeben müssen. Selbstgefällige Büro k r atien, kontro l l i e rte Märkte, ineffiziente institutionelle Regelwerke im öffentlichen wie privaten Sektor sowie der Verlust seiner Innovationskraft hätten letztlich zum wirtschaftlichen Niedergang Chinas geführt . Ge g e n w ä rtig aber seinen die Chinesen dabei, die Lücke zu den Europäern und den USA wieder zu schließen, erk l ä rte Sheng. Die Erfolgsgeschichte Eu ro p a s begründete Sheng mit dem We t t b ewerb zwischen den europäischen Staaten, die merkantile Or i e n t i e rung des Ha n d e l s , eine nach außen gerichtete Expansion und In vestitionen in Wissenschaft und
Tatsächlich sei der Wachstumsschub in einigen asiatischen Ländern darauf zurückzuführen, dass es eine junge, wachsende Be v ö l k e rung gebe, die von den politischen Eliten durch ein stabiles politisches System und attraktive Bedingungen für ausländische In ve s t o ren unterstützt w o rden sei. „Dennoch: Die Krisenerscheinungen und strukturellen Probleme zeigen, dass auch Asien Schwierigkeiten hat, sich an die Glo b a l i s i e rung anzupassen“, betonte Sheng. Es seien vier zentrale Fa k t o ren, die sowohl Asien als auch Europa zu schaffen machten: Die langfristige demographische Entwicklung, die Institutionen, die St a a t s g ewalt und die Um we l t p ro b l e m e . So stehe auch China ein fundamentales Problem bei der demographischen En twicklung bevo r. Einerseits ve rfüge die chinesische Volkswirtschaft zwar noch über eine junge, wachsende Be v ö l k e rung. Andererseits aber wachse auch der Anteil der Alten, wodurch der Druck auf die sozialen Si c h e rungssysteme Rente und Gesundheit stetig wachse. Diese Probleme seien in Japan und Europa bereits deutlicher zu beobachten, sagte Sheng. Die meisten asiatischen Länder profitierten gegenwärtig von einer hohen Sparrate der Bevölkerung. Große Summen strömten wegen der hohen Sp a rquote in den vo n Banken dominierten Finanzsektor. De r Finanzsektor in China wachse ständig. Die Gl o b a l i s i e rung decke allerd i n g s auch Schwächen der asiatischen Transfer- ... III. Quartal 2003
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... systeme auf. „Die asiatischen Sozialsysteme stehen vor der riesigen Herausforderung, langfristig die Werthaltigkeit der Ersparnisse sichern zu müssen“, sagte Sheng. Gleichwohl bestehe eine gute Chance für die asiatischen Länder, die Ineffizienzen ihrer Sozialsysteme zu beseitigen, weil sie gegenwärtig noch über den Vorteil einer jungen, schnell wachsenden Be v ö l k e rung und eine hohe Sp a rq u o t e verfügten. „Wenn die Bevölkerung hingegen altert, führen die Rentenlasten entweder zu steigenden Schulden für die kommenden Generationen oder zu höhere n Steuern für eine immer kleinere Anzahl produktiver Erwerbstätiger“, sagte Sheng. „Schnelle Anpassung liegt im ureigenen Interesse“
Wie diese Probleme und Herausford erungen bewältigt werden, hängt nach den Wo rten Shengs von der Qualität der staatlichen und privaten Institutionen und Regulierungen ab. Ökonomisches Wa c h stum könne nur stattfinden in einem stabilen politischen System. Um zu den hoch entwickelten westlichen Industriestaaten aufzuschließen, müsse Asien, insbesondere China, große He r a u s f o rd e rungen bei der Reform seiner Institutionen bewältigen. Zum einen sei die Frage zu klären, wie ein effizienter öffentlicher Sektor ohne Ko r ruption und ohne prohibitiv hohe Steuern zu organisieren sei. Zweitens sei von Bedeutung ein modernes Unternehmensrecht, dass privaten Unternehmen erfolgreiches unternehmerisches Ha n d e l n ermögliche, wobei rentensuchendes Ve rhalten durch staatliche Institutionen unterbunden we rden müsse, da dies In vestoren schade. Entscheidend sei ein ausgewogenes Verhältnis zwischen dem öffentlichen und privaten Sektor, sagte Sheng.
sung Shengs aber auch noch international anerkannte Institutionen für die Bereiche des Rechts, der Rechnungslegung und der staatlichen Re g u l i e rung notwendig. Das japanische Experiment habe gezeigt, dass es beim Übergang von einem rein vo n Banken dominierten Finanzsystem hin zu einem uneingeschränkt leistungsfähigen Finanzsektor im Kern darauf ankomme, die Eigentumsrechte der Investoren über einen gesamten demographischen Zyklus zu garantieren. So sei es zum Beispiel für Staat und Unternehmen gleichermaßen unverzichtbar, die Pensionslasten der Beamten und Angestellten in der Rechnungslegung voll zu berücksichtigen. „Jede Volkswirtschaft muss sich dem Problem stellen, wie Kapit a l m ä rkte und Pensionsfonds organisiert werden müssen, um die realen Werte der Pensionen einer alternden Be v ö l k e rung zu sichern“, sagte Sheng.
Gl e i c h zeitig machte er deutlich, dass die Um welt den Menschen natürliche Grenzen des ökonomischen Wachstums s e t ze. Dies zeige sich bei der globalen Erwärmung, der zunehmenden Ve rschmutzung und auch bei der kürz l i c h aufgetretenen epidemischen Lu n g e nkrankheit SARS. „SARS hat alle asiatischen Re g i e rungen dazu gebracht, über das Konzept des nachhaltigen Wachstums nachzudenken“, sagte Sheng. Jene Länder, die sich im Zuge der Glo b a l i s i e rung am schnellsten an die verändernden Umweltbedingungen anpassten, we rden nach Auffassung Shengs in Zukunft die erfolgreichsten Volkswirtschaften sein. „Allerdings braucht es viel Mut und Vi s i o n e n der Politik, um die Menschen davon zu ü b e rzeugen, dass schnelle Anpassung in i h rem ureigensten In t e resse liegt“, re s ümierte Sheng. P. H. / Aus Rede Wirtschaftstag 2003
Zum einen müssten Unternehmen ausreichend Freiräume erhalten, weil sie der Motor des Wachstums seien. Zum anderen müsse aber auch ein effektiver öffentlicher Sektor geschaffen werden, der hochwertige öffentliche Güter wie Infrastruktur, Gesundheitsvorsorge und soziale Sicherheit biete. China sei bereits auf dem richtigen Weg, weil seit dem Jahr 2000 private Eigentumsrechte verfassungsrechtlich garant i e rt seien. Damit habe die Volksrepublik anerkannt, dass ein privater Sektor unve rzichtbar ist für ökonomisches Wachstum. Zur Herausbildung einer funktionierenden Marktwirtschaft sind nach AuffasIII. Quartal 2003
„Die asiatischen Sozialsysteme stehen vor riesigen Herausforderungen“
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Kontinents. In diesem Sinne werde Polen als Mitglied der Europäischen Union seinen Beitrag zur Entwicklung der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik leisten. Balcerowicz hob hervor, dass die wirtschaftliche Dynamik in Eu ropa in den vergangenen Ja h ren deutlich nachgelassen habe. Deutschland sei in der Vergangenheit ein Land gewesen, das insbesondere seinen östlichen Nachbarn „anre g e n d e soziale und ökonomische Lösungen“ habe anbieten können. Heute sei es aus polnischer Sicht wichtig, dass Deutschland seine strukturellen Probleme in den Griff bekomme, auch weil die Bundesrepublik der wichtigste Handelspartner Polens sei. „Deutschlands Erfolg ist auch ein Erfolg für die Ost- und Mitteleuropäischen Länder“, sagte Balcerowicz.
Europas Zukunft nach der Osterweiterung Prof. Leszek Balcerowicz Ph. D. Präsident der Nationalbank von Polen
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ür Polen müsse sich mit dem Beitritt zur Europäischen Union (EU) auch das politische Selbstverständnis ändern, sagte der Präsident der polnischen Nationalbank, Leszek Ba l c e rowicz. „Wi r sind nicht mehr diejenigen, die an die Tür der Eu ropäischen Union klopfen. Wi r dürfen, nein, wir müssen uns als Insider der EU verstehen“, betonte Ba l c e rowicz. Polen bekomme nun die Chance, an der Gestaltung Europas teilzunehmen.
Die Bu n d e s republik De u t s c h l a n d we rde dabei der wichtigste Partner für Polen sein. Die Eu ropapolitik sei neben den bilateralen Beziehungen der beiden Länder das wichtigste Gebiet der Zusammenarbeit. „Hier wird sich die Part n e rschaft unserer Länder bewähren müssen“, sagte Ba l c e rowicz. Paradoxe rweise falle jedoch der große Triumph der EU-Os t Erweiterung in die Zeit einer Vertrauens22 trend
krise unter den Eu ropäern. „Ein tiefer Riss geht durch den Kontinent, vor allem am Verhältnis zu Amerika scheiden sich die Geister“, konstatierte der Präsident der Nationalbank. Nach Ansicht Ba l c e rowiczs führt der Widerspruch gegen die Vereinigten Staaten jedoch zu einem gespaltenen Europa, das den alten Kontinent schwäche. „Wir brauchen eine Partnerschaft mit Amerika auf der Grundlage der gemeinsamen Verantwortung für die Welt, vor allem für die globale Sicherheit“, sagte Balcerowicz. Es gebe zwar Differenzen zwischen Amerika und Europa. Diese seien aber zweitrangig im Vergleich zu den Gemeinsamkeiten zwischen den Eu ropäern und den Ve re inigten Staaten. „Es ist sinnlos und unklug, diese Di f f e re n zen hochzuspielen“, sagte Balcerowicz. Die Welt brauche eine gute Zusammenarbeit des alten und des neuen
Je größer ein Land sei, desto größer sei auch seine Verantwortung für seine wirtschaftlichen und politischen Partner. Nach Einschätzung Ba l c e rowiczs kann die Erweiterung der Union Europa einen Wachstumsschub bringen. Dies gelte s owohl für die alten wie für die neuen Mit g l i e d s l ä n d e r. „Der Reiz der In t e g r ation liegt eben darin, dass sie kein Nu l lsummenspiel ist“, sagte Ba l c e row i c z . In w i eweit die Chancen der Erweiterung indes tatsächlich wahrgenommen würden, hinge von den politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen ab, betonte der Zentralbankchef. „Deshalb sollte der Stabilitäts- und Wachstumspakt ausdrücklich bestätigt und gestärkt we rden“, forderte Balcerowicz. Die Gru n d s ä t ze des Stabilitätspakts sollten aus polnischer Sicht vor allem von den großen EU-Ländern Deutschland und Fr a n k reich unbedingt eingehalten werden, weil nur so auch in Polen die fiskalische Disziplin gestärkt werden könne. „ In der Treue zum Pakt liegt also ein gemeinsames In t e resse der reifen Ma rk twirtschaften und der Länder, die sich erst um die Reife bemühen müssen“, unterstrich der Chef der polnischen No t e nbank. Auf der anderen Seite können die Beitrittsländer nach Einschätzung Ba l c e rowiczs den Druck hin zu Strukturreformen in den alten Mit g l i e d s l ä n d e r n ... III. Quartal 2003
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... erhöhen. „Diese Hoffnung ist begründet, sollte aber nicht missverstanden werden“, stellte der Notenbanker klar: „Die En tscheidung muss jedes Land für sich selbst treffen.“ Die Verantwortung für tiefgreifende St ru k t u r reformen könne einem niemand abnehmen. Gl e i c h zeitig machte der polnische Notenbankchef deutlich, dass er Verständnis habe für die politischen Gründe bei den Übergangsfristen im Zusammenhang mit dem EU-Beitritt der mittel- und osteuropäischen Länder. „Auf längere Zeit aber schaden wir uns nur, wenn wir uns d u rch künstliche Schutzmechanismen dem We t t b ewe r b s d ruck ve rweigern. Wir sollten ihn nicht durch einen Harmonisierungsdruck ersetzen“, warnte Ba l c e rowicz. Der polnische Notenbankchef drückte die Hoffnung aus, dass die Europäische Union künftig jene Politiken fördern we rde, die zu mehr wirtschaftlichem Wachstum führen. „So halte ich es zum Beispiel für eine logische Konsequenz des europäischen Binnenmarktes, die Liberal i s i e rung des Di e n s t l e i s t u n g s ve rkehrs zu vollenden und Wettbewerbsverzerrungen abzubauen.“ Dazu gehöre auch die Beschneidung öffentlicher Subventionen, sagte Balcerowicz. Ferner forderte der Notenbankchef die Eu ropäische Union auf, jenen Anteil der Haushaltsausgaben zu erhöhen, die die We t t b ewerbsfähigkeit des Di e n s t l e i stungssektors förderten und der modernen Wirtschaft zugute kämen. Polen stehe vor der „enormen Herausforderung“, die Kluft zu den Ländern, die bei modernen Technologien und in wissensorientiert e n Feldern führend seien, abzubauen. Das erf o rd e re zunächst eigene Anstrengungen, die Eu ropäische Union müsse Polen dabei jedoch helfen, forderte Ba l c e rowicz. „Am besten geholfen wäre uns mit den In s t rumenten der Wettbewerbs-, Technologie- und Forschungspolitik.“ Diese Politik-Instrumente sollten auf europäischer Ebene weiterentwickelt we rden, regte Ba l c e rowicz an. „Ich ve rspreche mir viel von steigenden Direktinvestitionen aus dem Ausland“, sagte der Notenbankchef, denn dadurch würd e n zwei wichtige Impulse ausgelöst: „Erstens we rden die Unternehmen durch neue III. Quartal 2003
„Exzessive soziale Garantien werden Europa sicherlich nicht helfen“
Technologien und bessere Ma n a g e m e n tmethoden modernisiert“, sagte Ba l c e rowicz. „Und zweitens führen Investitionen zur Schaffung von Arbeitsplätzen, was in Polen angesichts einer Arbeitslosigkeit von 3,3 Millionen Menschen einen besonderen Stellenwert hat.“ Hinsichtlich der Diskussion um den En t w u rf einer europäischen Verfassung m e rkte Ba l c e rowicz an, dass sich die Debatte schwerpunktmäßig mit dem Verhältnis des Einzelnen zum Staat auseinandersetzen sollte. Eine gute Verfassung müsse vorrangig die Gru n d rechte und Freiheiten des Ei n zelnen schützen. Im demokratischen Europa sei es unumstritten, dass die politischen Rechte und die Bürgerrechte unantastbar seien. Die ökonomischen und die sozialen Rechte ließen sich hingegen in zwei Gru ppen aufteilen: „Die ersten sind mit der Freiheit des Wi rtschaftens verbunden und tragen zur Dynamik der Entwicklung bei“, sagte Ba l c e rowicz. „Ich bin fest davon überzeugt, dass diese Rechte gefestigt werden sollten.“ Sie seien die Quelle jeden Arbeitsethos und Grundlage wirtschaftlicher Entwicklung. Dadurch seien sie auch das beste Mittel zur Armutsbekämpfung. „Dagegen ist Vorsicht geboten, wenn es darum geht, die andere Gruppe der
Rechte, die der sozialen Rechte, festzus c h reiben“, warnte der Notenbankpräsident. Diese könnten bei einer we i t e re n Au s weitung die unternehmerische Fre iheit und die Wettbewerbsfähigkeit behindern. „ Ex ze s s i ve soziale Garantien we rden Eu ropa sicherlich nicht helfen, mehr Wachstum zu generieren und den We t tbewerb mit den anderen Regionen der Welt zu gewinnen“, stellte Ba l c e rowicz klar. Sie ve r s t ä rkten nur das Anspru c h sdenken gegenüber dem Staat, was schon heute mitverantwortlich für die Wa c h stumsschwäche Europas sei. Zur Rolle Polens und dessen Be i t r a g zur Europäischen Union sagte der Notenbankpräsident, dass die Hälfte der Bevölkerung der EU-Beitrittsländer in Polen lebe und sich daran auch der Stellenwert des Landes in der EU zu bemessen habe. Der EU-Beitritt sei überdies ein entscheidender Beitrag zur wirtschaftlichen Stabilisierung der neuen Mitgliedsländer, weil das Risiko einer Wi rtschaftskrise erheblich sinken werde. Die Kosten, die auf die alten Mitgliedsländer zukämen, würd e n d u rch die steigende Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen aus den Beitrittsländern mehr als kompensiert, sagte Balcerowicz. V P. H. / Aus Rede Wirtschaftstag 2003
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40 Jahre Wirtschaftsrat
Engagement im Dienste der Sozialen Marktwirtschaft Kurt J. Lauk: „Herausforderungen gerecht geworden“
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m 17. Juni 2003, am Nationalen Gedenktag des Deutschen Volkes, jährte sich zum 50. Mal der Aufstand in der ehemaligen DDR.
Präsident Kurt J. Lauk erinnerte an diesem Tage anlässlich der Bu n d e s d e l egiertenversammlung und des Wirtschaftstages auch an das 40-jährige Bestehen des Wirtschaftsrates: ,,Die Menschen haben sich damals vor die Panzer gestellt und ihr Leben für die Freiheit eingesetzt. Wi r haben diesen – für unser Volk so besonders wichtigen – Tag bewusst gewählt, um das 40-jährige Bestehen des WR zu begehen. III. Quartal 2003
Bei der konstituierenden Mi t g l i e d e rversammlung am 9. Dezember 1963 hat uns Ludwig Er h a rd aufgefordert: Die Wirtschaft muss sich in der Politik stärker Gehör verschaffen – und Mi t verantwortung für eine freiheitliche Ge s t a l t u n g u n s e rer Wirtschaftsordnung übernehmen! In den 40 Ja h ren der Geschichte des Wi rtschaftsrates sind wir dieser großen Herausforderung gerecht geworden. Daher ist es mir eine hohe Ehre, auch im Namen des Präsidiums den ersten Vo rs i t zenden des WR, unser Ehrenmitglied und Träger der Lu d w i g - Er h a rd - Ge d e n k-
m ü n ze, Dr. Klaus H. Scheufelen, zu begrüßen. Dr. Scheufelen hat sich um den WR verdient gemacht. In diesen Dank schließe ich den damaligen Stellvertretenden Vorsitzenden Alphons Ho rten und Dr. Josef Rust ein, die wir in dankbarer Er i n n e rung behalten. Die dankbare Erinnerung gilt auch Manfred Schäfer als zweitem Vorsitzenden des WR in schwieriger Zeit. Es ist eine große Eh re und Fre u d e , meinen Vorgängern im Amt des Präsidenten Dr. Philipp von Bismarck, Dr. Heiner ... trend 63
Wir haben als WR in der Vergangenheit dramatische Kämpfe geführt und Schlachten geschlagen. Wir haben vieles erreicht und gemäß unserem Auftrag der Stimme des Un t e r n e h m e rtums Ge h ö r verschafft. Wir haben aber auch Schlachten ve r l o ren: Ich erinnere an unseren mass i ven Widerstand gegen die Mi t b e s t i mmung in den 70er Ja h ren. Wir haben schon damals vorausgesagt, dass damit die Unternehmenskultur beschädigt und ze ntrale Gewe rkschaftsorgane einen überg roßen Einfluss gewinnen können, der zur Blockade des Unternehmertums führen kann.
... Weiss und Dr. Dieter Murmann für ihr hohes Engagement und ihren Einsatz für den Wirtschaftsrat zu danken. Dr. Weiss, Dr. Murmann und die in ihrer Zeit mitentscheidenden Präsidiumsmitglieder haben die schweren Lasten beseitigt, die der Wirtschaftsrat zu tragen hatte. Sie haben sich als verantwortlich handelnde Unternehmer mit besonderem persönlichem Engagement für Freiheit und soziale Verantwortung eingesetzt.
bejaht. Dies war die erste maßgebliche Weichenstellung. Mit der zweiten Grundentscheidung w u rde die Ei g e n ve r a n t w o rtung der Person in den Mittelpunkt gestellt. Die wahre Staatsautorität ist darauf gegründet, dass sie – im Gegensatz zur ideologischen Diktatur – den Bürger nicht bevormundet, sondern auf seine Mündigkeit baut.
Wir stehen in der Tradition der Sozialen Marktwirtschaft, wie sie von Ludwig Erhard und Alfred Müller-Armack gestaltet wurde.
,Sie muss‘ – wie es von dem Theologen Helmut Thielecke formuliert worden ist – ,auf Vertrauen ruhen, statt auf großer, stummer und blinder Unterwerfung.‘ Philipp von Bismarck hat hierfür das Leitmotto geprägt: Freiheit in Verantwortung. In der Na c h k r i e g s zeit kam es darauf an, Deutschland vor allem als verantwortlich handelnden Partner in eine größer werdende europäische Gemeinschaft einzubinden. Alle Völker Eu ropas sollten die Chance erhalten, Frieden, wirt s c h a f tlichen und sozialen Ausgleich, Wohlstand und Fortschritt zu erreichen.
Ludwig Er h a rd hat im Wid e r s t a n d gegen die Na z i - Diktatur Carl Go e rd e l e r zugearbeitet. Gemeinsam konnten sie auf den Denkschriften des ‚Freiburger Kre i s e s’ aufbauen, die uns bis heute verpflichten. Ihr Credo war: Die Abkehr von der St a a t sw i rtschaft und die Ei n f ü h rung einer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, die auf der Freiheit des Einzelnen aufbaut sowie das Privateigentum und den Wettbewerb
Wenn wir auf 40 Jahre Wirtschaftsrat zurückblicken, so sind wir dankbar für 40 Jahre Frieden und Fortschritt. Wollen wir der geschichtlichen Wahrheit gerecht werden, so müssen wir auch erkennen, dass unser großes Engagement und unser hoher Einsatz auf allen Ebenen unsere r Organisation allein nicht ausgereicht hat, unser Land vor der schwersten wirtschaftlichen Krise zu bewahren.
Hu n d e rte von Frauen und Männern haben seit 1963 wichtige ehrenamtliche Aufgaben für den WR erfüllt: im Pr ä s idium und Bu n d e s vorstand, in den Landesverbänden, in den Sektionsvorständen, in den Kommissionen und Arbeitsgru ppen. Ihnen allen gebührt unsere hohe Anerkennung und unser herzlicher Dank.
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Ich erinnere an unsere ständigen Warnungen vor der Explosion der Lohnzusatzkosten. Im Jahr der Gründung des WR betrugen sie 25 Pro zent, während wir heute auf 43 Pro zent zulaufen.Da m a l s hatten wir nur 90.000 Arbeitslose, diesen Winter könnten wir erstmals die FünfMillionen-Grenze überschreiten. Ich erinnere an unsere Fo rd e ru n g e n , soziale Si c h e rungssysteme ve r s t ä rkt mit einer Kapitalbasis zu unterlegen. Die Pfleg e ve r s i c h e rung war ein Kampf, der uns noch allen in Erinnerung ist. Ich erinnere an unsere Warnungen vo r der Überregulierung des Arbeitsmarktes. Ich erinnere an unsere Forderung zur Senkung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Bei der Umsetzung sind dann a l l e rdings auch einige Unternehmen gegenüber den Gewe rkschaften eingeknickt. Wir können auf unsere Weitsicht stolz sein. Wir können aber keine Freude darüber empfinden, dass heute unsere Soziale Ma rk t w i rtschaft in der tiefsten Krise steckt. Seit die CDU 1966 Ludwig Er h a rd a b g ewählt hat, sind seine Ideen immer mehr ve rk ü m m e rt. Die Aushöhlung der Sozialen Marktwirtschaft hat viele unsoziale Ergebnisse produziert: hohe Arbeitslosigkeit, nicht mehr finanzierbare Sozialsysteme, eine überhöhte Staatsquote und einen Haushaltsnotstand, eine hohe Ausw a n d e rungsquote gut ausgebildeter junger Menschen und deflationäre Te n d e nzen. Diese unsozialen Ergebnisse entstanden durch eine Überbetonung des Wortes ,sozial‘ und durch eine Unterbewertung des Wortes ,Marktwirtschaft‘.“ V III. Quartal 2003
Gratulation zum Jubiläum
Regierung und Parlament können vom Rat der Unternehmer nur profitieren Helmut Kohl: „Es geht um Freiheit und Verantwortung“
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nlässlich des Wirt s c h a f t s t a g e s 2003 und des 40-jährigen Bestehens des Wirtschaftsrates forderte Dr. Helmut Kohl eine Rückbesinnung auf die Gru n d werte der Sozialen Ma rk t w i rtschaft. Der Bundeskanzler a. D. und frühere Vo r s i t zende der Christdemokraten dankte dem Wi rtschaftsrat ausdrücklich für seine Rolle bei der Gestaltung der Wirt s c h a f t s und Gesellschaftspolitik in den ve r g a n g enen vier Ja h rzehnten seit seiner Gründung 1963. „Damals wie heute sind die Mi t g l i eder des Wi rtschaftsrates davon überzeugt, dass es für unser Land wichtig ist, wenn sich der Unternehmer als Bürger und Patriot in der Gesellschaft engagiert, nicht zuletzt in der Politik“, sagte Kohl. „Ich finde es gut, dass sich über die Ja h rzehnte viele Unternehmer in diesem Land ihrer Mitverantwortung für unsere Sozialund Wi rtschaftsordnung bewusst sind.“ III. Quartal 2003
Re g i e rung und Parlament könnten vo m Rat der Unternehmer nur pro fitieren, betonte Kohl. Er sei dem Wi rtschaftsrat dankbar, dass er als ein „wichtiger Sprecher des unternehmerischen Sa c h verstandes in u n s e rem Land“ arbeite. „Wir brauchen ihn heute nötiger denn je“, unterstrich Kohl. Der Wi rtschaftsrat habe sich seit seiner Gründung immer klar zur Sozialen Ma rk twirtschaft im Sinne Ludwig Er h a rd s bekannt. Auch die CDU habe sich immer als Partei der Sozialen Ma rk t w i rtschaft verstanden. Kohl würdigte in diesem Zu s a m m e nhang insbesondere die Arbeit des ehemaligen Ersten Vo r s i t zenden des Wirtschaftsrates, Klaus Scheufelen: „Wie viele andere im ersten Ge s a m t vorstand war er selbst Un t e rnehmer. Das gilt auch für Alphons Horten und Josef Rust, beide St e l l ve rt reter im Wi rtschaftsrat“, erinnerte Kohl. In besonderer Weise in der Politik aktiv gewe s e n seien überdies Franz Et zel, der Bu n d e s-
finanzminister unter Bundeskanzler Ko nrad Adenauer (1957-1961) und Ku rt Schmücker, von 1963 bis 1966 Bu n d e swirtschaftsminister unter Bundeskanzler Ludwig Er h a rd. Gleichermaßen würdigte Kohl die Vo rsitzenden des Wi rtschaftsrates Philipp von Bi s m a rck (1969-1983) und Dieter Mu rmann (1988-2000). „Ich nutze gerne die Gelegenheit, Herrn Murmann und Herrn von Bi s m a rck noch einmal für allen Rat und alle Hilfe sowie für die gute Zu s a mmenarbeit zu danken“, sagte Kohl. Be s o n d e rer Dank des ehemaligen Bu ndeskanzlers erging zudem an Rüdiger von Voss. „Er ist seit diesen Tagen genau zwanzig Jahre Bu n d e s g e s c h ä f t s f ü h rer bez i eh u n g s weise Generalsekretär des Wi rtschaftsrates. Er verkörpert in guter Weise die Kontinuität des Verbandes“, sagte Kohl. Von Voss habe den Wi rtschaftsrat in den vergangenen beiden Ja h rzehnten zu einer ... trend 65
Ma rk t w i rtschaft in Deutschland und der Welt“, sagte Kohl. „Ich wünsche mir, dass im Wi rtschaftsrat und auch in der CDU die Erinnerung an diese gro ß a rtigen Männer, die wirkliche Denker für die Zu k u n f t waren, erhalten bleibt!“ betonte Kohl. Einige der Wu rzeln liefen bereits Gefahr, verschüttet zu werden, warnte er. Die Gedanken Ludwig Er h a rds seien indes heute aktueller denn je. Eine „sozial ve r p flichtende Ma rktwirtschaft“ bedeutete nach den Wo rten Kohls insbesondere, „dass sie das Individuum zur Geltung kommen lässt, dass sie den We rt der Persönlichkeit oben anstellt, und dass sie der Leistung den verdienten Ertrag zukommen lässt“.
... straffen und einflu s s reichen Organisation ausgebaut. ,,Wenn ich von Treue und Verlässlichkeit spreche, muss ich mit besonderem Na c h d ruck und in großer Dankbarkeit Rüdiger von Voss erwähnen. Er ist ein Glücksfall für unsere Partei und für den Wi rtschaftsrat in diesen 20 Jahren gewesen und ich hoffe, das bleibt so.“ Kohl verwies ferner auf die theore t ischen Vorarbeiten Alfred Müller-Armacks und das Ei n t reten des Wi rtschaftsrates für die Soziale Ma rk t w i rtschaft. „Alfred Müller-Armack ist der eigentliche Schöpfer des Begriffs und hat den kommenden Generationen wichtige We g weisungen für die Zukunft hinterlassen“, sagte Kohl. „Müller-
Armack war Ludwig Er h a rds Weggefährte in einer entscheidenden Zeit“, betonte Kohl. Sein Ziel sei es gewesen, die Po s i t i onen der katholischen So z i a l l e h re,der eva ngelischen Sozialethik und Teile der liberalen und sozialen Bewegung zu versöhnen. Kohl erinnerte daran, dass in den Au fbaujahren der Bu n d e s republik auch der Ei n fluss der Freiburger Schule und ihrer Protagonisten Walter Eucken und Franz Böhm zu spüren gewesen seien. „Leider wird sich heute zu wenig an diese Wurze l n erinnert“, bedauerte Kohl. Ludwig Er h a rd habe die Ideen Böhms, Euckens und Müller-Armacks weiter entwickelt. „Er wurde schließlich zur Pe r s o n i fikation der Sozialen
Dies sei eine klare Absage an jegliche Lenkungs- und Pl a n w i rtschaft, sagte Kohl. Im Vord e r g rund gestanden habe bei Erhard das Prinzip der Freiheit in Verantwortung, des We t t b ewerbs und des sozialen Au sgleichs für die Schwächeren. „Das ist noch heute unsere Vorstellung von einer menschlichen Gesellschaft“, betonte Kohl. Die CDU habe sich immer zum Pr i nzip der Sozialen Ma rk t w i rtschaft bekannt, sich aber gegen einen „puren ManchesterKapitalismus“ gewendet. „Und ich habe nie Verständnis dafür gehabt, wenn mit kalter Mimik allein nach der Entwicklung der Aktienmärkte und des Shareholder Values geschaut wird“, unterstrich der frühere Re g i e rungschef. „Wenn wir für mehr Eigenverantwortung und We t t b ewerb eintreten, dann nicht als Selbstzweck, sondern um einen Beitrag zur Zukunft der Me nschen zu leisten. Es geht um ihr wirtschaftliches und soziales Wohlergehen.“ Der Wi rtschaftsrat habe sich in den ve rgangenen 40 Jahren immer klar zur Sozialen Mark t w i rtschaft im Sinne Ludwig Erhards bekannt. „Und er hat durch viele seiner herausragenden Persönlichkeiten ganz wesentlich dazu beigetragen, dass auch die CDU ganz selbstverständlich die Partei der So z i alen Mark t w i rtschaft wurde“, sagte Kohl. In den vergangenen Ja h rzehnten hätten Politiker aller Couleur von der Arbeit des Rates pro fit i e rt. „Das Motiv, das die 34 Persönlichkeiten hatten, die 1963 den Wirtschaftsrat gegründet haben, ist noch heute hochaktuell“, betonte Kohl. „De n n wir stehen heute in der Gefahr, die Idee der Sozialen Ma rk t w i rtschaft auszuhöhlen“, ...
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... warnte das neue Eh renmitglied des Wi rtschaftsrates. Mit der Gründung des Wi rtschaftsrates habe das Interesse der Unternehmer an der Mitgestaltung der Politik und des öffentlichen Lebens gestärkt we rden sollen. „Und mehr als heute war es früher beste Un t e r n e h m e rtradition, dass sich Kaufleute, Industrielle und Ha n d we rker bemühten, ihren Beitrag zum Wohl der Allgemeinheit zu leisten“, sagte Kohl. „Und wer aufmerksam in die Welt der Deutschen hineinschaut, weiß, dass wir diesen Sa c h verstand heute nötiger brauchen denn je.“ Heute wie damals gehe es um Freiheit in Verantwortung. „Für uns ist
die Freiheit keine Gnadengabe des Staates, und schon gar nicht eine Ermächtigung zu schrankenlosem Egoismus“, sagte Kohl. „Wir stehen für die Freiheit des Einzelnen, die in Ve r a n t w o rtung für den Nächsten gelebt wird.“ Kohl betonte, er sei dankbar, „dass die Frauen und Männer des Wi rtschaftsrates der CDU in den vergangenen Ja h rzehnten die großartige Idee der Sozialen Ma rktwirtschaft kämpferisch vert reten haben“. Und er sei gleichfalls dankbar, dass diese Frauen und Männer sich immer für die deutsche Einheit und den Bau des Hauses Eu ro p a
s t a rk gemacht hätten. „Ich wünsche mir, dass der Wi rtschaftsrat auch in den kommenden Ja h rzehnten mit Überzeugung der Sozialen Ma rktwirtschaft treu bleibt“, sagte Kohl. Vor allem aber auch, dass er mit seinem Sachverstand und seinen Erfahrungen die Politik unterstütze. „Und ich wünsche mir, dass sich der Wi rtschaftsrat in der Öffentlichkeit auch in Zukunft überzeugend zu Wo rt meldet“, betonte Kohl. Deutschland stehe vo r großen Herausford e rungen: „Aber ich bin z u versichtlich, dass wir die Aufgaben gemeinsam lösen werden!“ V
Ludwig-ErhardGedenkmünze in Gold und Ehrenmitgliedschaft Bundeskanzler a. D. Dr. Helmut Kohl ausgezeichnet Der Wirtschaftsrat der CDU e.V. hat anlässlich seiner Bundesdelegiertenversammlung und des Wi rtschaftstages 2003 Bundeskanzler a. D. Dr. Helmut Kohl zu seinem Eh renmitglied berufen und ihn mit der „Lu d w i g - Er h a rd Gedendkmünze in Gold“ ausgezeichnet.
Lauk: „Helmut Kohl hat die Fu n d amente für Freiheit, Demokratie und Rechtsstaat gestärkt. Diese Fundamente haben Deutschland zu einer we l t weit anerkannten Position geführt. Helmut Kohl hatte in seiner Re g i eru n g s zeit stets eine Vision für die
Zukunft Eu ropas. Die Vision vom Eu ro ist bereits Realität – und hat enorme Änderungen in Eu ropa auf den Weg gebracht. Der Eu ro hat eine große wirtschaftliche Dynamik ausgelöst. Bis heute ist kein we i t e rer derartiger Anstoß formuliert word e n . “
Der Präsident des Wi rtschaftsrates, Pro f. Dr. Kurt J. Lauk, erk l ä rte in seiner Laudatio: „Zieht man eine historische Bilanz, dann bezeugen wir mit der Eh rung einem Staatsmann Respekt, der von den europäischen Staaten zum Eh renbürger Eu ropas ernannt wurd e . Wir ehren einen Staatsmann, der in der deutschen und europäischen Geschichte seinen Platz gefunden hat als herausragender Mitgestalter des europäischen Ei n i g u n g s p ro zesses und als Kanzler der deutschen Wi e d e rve re i n igung.“ Die überaus kluge Politik Helmut Kohls sei geprägt worden von Maß und Zu verlässigkeit, von außen- und sicherheitspolitischer Kalkulierbarkeit und Beständigkeit. III. Quartal 2003
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BundesdelegiertenVersammlung 2003 Adresse der sozialdemokratisch geführten Bundesregierung. Grund genug für ehrliche Bestandsaufnahme Wir haben allen Grund für eine ehrliche und ungeschönte Bestandsaufnahme:
L Obwohl es für den Wohlstand aller auf mehr wettbewerbsfähige Arbeitsp l ä t ze ankommt, räumen wir die A r b e i t s m a rktblockaden nicht entschlossen genug aus dem Weg. L Statt die Leistungskraft von Bürgern und Unternehmen mit niedrigen und einfachen Steuern zu stärken, reißt der Staat immer mehr Aufgaben an sich, bevormundet die Bürger und produziert dabei Rekordschulden.
Wir haben Feuer unter dem Dach
L Obwohl die Sozialsysteme kollabieren, weil unsere Gesellschaft zunehmend älter und kinderärmer wird , fehlen Mut und Überzeugungskraft, die Menschen für eine rechtzeitige Eigenvorsorge zu gewinnen.
Gezielte Aushöhlung demokratischer Institutionen
L Und schließlich: Statt durch mehr Bi ldung und In n ovationen in die Zukunft junger Menschen zu investieren, lassen wir zu, dass mit unseren besten Köpfen auch die Forschungsstandorte zunehmend ins Ausland abwandern.
Kurt J. Lauk
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ie Bundesregierung hat unser Land in die außenpolitische Isolation und das wirtschaftliche Ab s e i t s g e f ü h rt. Seit Monaten wird die innerparteiliche Auseinandersetzung in der SPD und mit den Gewe rkschaften auf Kosten der Bürger und Unternehmen ausgetragen. Wir haben Feuer unter dem Dach. Unser Land ist im freien Fall. Die Agenda 2010 stoppt diesen Fall nicht. Immer häufiger entsteht der Ei n d ruck, dass die Re g i erungskoalition den Überblick verloren hat.
Nicht Rot-Grün re g i e rt, sondern die Fakten diktieren die Politik. Ro t - Grün 68 trend
hetzt von Notoperation zu Notoperation – ohne ganzheitliches Ko n zept für den Patienten. Nach wie vor flüchten unsere Politiker vor unbequemen Wahrheiten. Weder die „Agenda 2010“ noch die Vorschläge der Opposition reichen bisher auch nur annähernd aus, um Deutschland wieder zu einem wachstums- und beschäftigungsstarken Land zu machen. In Deutschland echte Re f o r m e n durchzusetzen ist mittlerweile schwieriger, als auf dem Mond zu landen. „Brüder, zur Wahrheit!“ – so der Appell des Vorsitzenden der Lu d w i g - Er h a rd - Stiftung an die
Widersprüche und Politikverdrossenheit Es sind vor allem diese Widersprüche, die für die wachsende Po l i t i k ve rd ro s s e nheit verantwortlich sind. Immer häufiger we rden wir im Ausland gefragt: Wann übernehmen eure Politiker wieder Führu n g s ve r a n t w o rtung? Von allen Seiten w i rd geford e rt: Wir wollen Deutschland als den Partner wiederhaben, wie wir ihn von früher kennen. Expertengremien und Runde Tische sind kein Ersatz für das Handeln der gewählten Volksvert re t e r. Der fehlende Mut für schwierige politische Entscheidungen geht einher mit ... III. Quartal 2003
... einer gezielten Aushöhlung demokratischer Institutionen. Intensiver als je zuvor hat sich der WR deshalb im letzten Jahr dafür eingesetzt, Bu n d e s re g i e ru n g und Union zu eigenen Reformkonzepten zu treiben. „Reformmotor der Union“ Be reits im Februar 2002 haben wir die „10 Leitlinien zur Erneuerung der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik“ vo r g elegt. Diese Fo rd e rungen wurden durc h das 20-Pu n k t e - Programm des Sa c h ve rständigenrates im November 2002 nahezu vollständig übernommen. Nicht nur das Handelsblatt hat uns zu unserer Initiative gratuliert: „Wirtschaftsrat als Reformmotor der Union.“ Auf große Resonanz trafen darüber hinaus:
L unsere „Reformagenda Soziale Marktwirtschaft“ vom Juni 2002, L die Fo rd e rungen für ein Regieru n g sprogramm zur 15. Legislaturperiode L und unsere „7 Punkte für den Aufschwung“ vom Dezember 2002. An vielen Stellen haben wir damit die politischen Programme der Parteien beeinflusst. Wir wissen aber auch: Weitere massive Anstrengungen sind erforderlich, um die tatsächliche Umsetzung durc hgreifender Reformen zu erreichen. Reformbausteine Für die zentralen Handlungsfelder liegen bereits konkrete Reformbausteine des WR vor:
L Unser Ge s u n d h e i t s re f o r m - Ko n ze p t „Statt rot-grüner Staatsmedizin: Mit mehr Eigenverantwortung aus der Be itragsfalle“ haben wir im Oktober 2002 präsentiert. Die Presseresonanz hat es auf den Punkt gebracht: „Wirtschaftsrat macht der Union die Hölle heiß!“ L Im Februar fand unser Bundessymposion zur Steuerpolitik statt. Wir hatten mit 400 Gästen gerechnet – überwältigende 1.500 Unternehmer und Politiker haben teilgenommen. De r Anlass war die Vorlage unseres „Finanzpolitischen Perspektivkonzepts 2003 bis 2010“ unter dem Leitmotto: Weniger Steuern, weniger Staat,weniger Schulden. Friedrich Me rz und Angela Merkel haben öffentlich zugesagt, dass unser Modell die Grundlage III. Quartal 2003
für einen eigenen Steuerreformvorschlag wird. Die Union wird noch in diesem Jahr ihr Ergebnis vorlegen. Für den WR ist das ein besonderer Erfolg: Die Op p o s i t i o n s p a rteien sollten sich nämlich nicht auf die Kritik an Regieru n g s e n t w ü rfen beschränken, sondern eigene Vorschläge präsentieren. Zugleich haben wir bis in die letzten Stunden hinein mit Friedrich Merz über das St e u e rerhöhungspaket der Bundesregierung beraten. Letztlich ist es gelungen, 36 von ursprünglich 48 St e u e rerhöhungen des sogenannten St e u e rvergünstigungsAbbaugesetzes zu stoppen. Manifest gegen den Zukunftspessimismus Zum ersten Mal haben das Präsidium und die Vo r s i t zenden aller Bu n d e s f a c hkommissionen für den Wirt s c h a f t s t a g 2003 ein gemeinsames Manifest des Wi rtschaftsrates vorgelegt. Über 500 Unternehmer und Ab g e o rdnete aus den Bu ndesfachkommissionen haben daran mitgewirkt. Das Motto lautet ganz bewusst: ,,12 Prioritäten für Deutschlands Wi e d e raufstieg zur erf o l g reichen Wirt s c h a f t s n a-
tion“. Wir wollen damit auch verhindern, dass sich die Menschen vom Zu k u n f t spessimismus der Bundesregierung immer mehr anstecken lassen. Elementare Zusammenhänge nicht erkannt Bundeskanzler Schröder hat auf den Regionalkonferenzen zur ‚Agenda 2010’ allen Ernstes erk l ä rt: ,,Die Zeiten des Wachstums sind vorbei.“ Hier sind elementare wirtschaftliche Zusammenhänge nicht erkannt. Es ist eine Schande, dass ein führendes Industrieland von wirtschaftlichen Di l l e t a n t e n geführt wird, denen die großen Industrieverbände auch noch Beifall klatschen, wenn sie unzureichende Reformen ankündigen. Heute spendet die Gesellschaft Beifall für Mi n i m a l p rogramme und bestraft mit Anerkennungsentzug diejenigen, die den Mut zur Wahrheit haben. Es zeigt sich heute, dass die Empfehlungen des WR dort, wo sie nicht verhallt sind, den Geist Ludwig Erhards als Wirtschaftskompetenz der Union gefestigt und weitergetragen haben. Lassen Sie mich die wichtigsten Punkte in fünf Reformthesen zusammenfassen und begründen:
Rückführung der Staatsquote – Programm für mehr Wohlstand Eine hohe Staatsquote erstickt jedes dynamische Wachstum. Alle Länder mit hohen Staatsquoten beweisen dies täglich. Deutschland gehört dazu. Der Rückzug des Staates ist kein Schre c k e n s s zenario mit der Folge öffentlicher Armut, sondern ein Fi t n e s s p rogramm für mehr Wohlstand! Gerade weil bereits jeder zweite Eu ro d u rch die Hände des Staates geht, bekommen wir die Staatsschulden nicht in den Griff. Die Bu n d e s re g i e rung will uns Gl a uben machen, das neue Haushaltsloch von über 20 Mi l l i a rden E sei von einem Tag auf den anderen über uns gekommen. Bundesbankpräsident Welteke hat die Wahrheit auf den Punkt gebracht: Ursache für den Anstieg der Haushaltsdefizite ist – anders als vielfach behauptet – kein Kaputts p a ren, sondern eine exze s s i ve Ha u s h a l t spolitik nicht nur beim Bund, sondern auch
bei vielen Ländern. Aber anstatt nun endlich reinen Tisch zu machen, beschließt die Regierung eine „Agenda 2010“, die auf vollständig überholten Haushaltszahlen b a s i e rt und keinerlei Konsolidierungskonzept enthält. Gift sind erst recht die ständigen St e u e rerhöhungsdebatten – von der Wi e d e rerhebung der Vermögensteuer bis hin zur Heraufsetzung der Mehrwertsteuer bzw. der Ei n f ü h rung einer Ausbildungsabgabe. Ein Land auf der Kippe zur Rezession d a rf keine Steuern erhöhen! Der WR spricht sich vielmehr nachdrücklich für ein Haushaltssicherungsgesetz und ein Sparkonzept zur dauerhaften Sanierung der Staatsfinanzen aus. Wir müssten unverzüglich Ausgabenkürzungen von über 20 Milliarden E auf ... den Weg bringen, trend 69
... L um die Haushalte aus der Verf a ssungswidrigkeit zu führen L und die Defizit-Grenze der Euro p ä ischen Stabilitätspakts zumindest im kommenden Jahr wieder deutlich zu unterschreiten. Dazu gehören konkret:
L Einschnitte bei der Bundesanstalt für Arbeit von mindestens zehn Mi l l i a rden E; L ein Subventionsabbau in der Größenordnung von 15 Milliarden E sowie L der Abbau von Gemeinschaftsaufgaben und die Eindämmung der öffentlichen Verschwendung – Einsparvolumen insgesamt sechs Milliarden E im Jahr. Es ist völlig inakzeptabel, dass Bu ndesfinanzminister Eichel vom versprochenen Haushaltsausgleich bis 2006 abrückt. Das ist der falsche Abschied! Ohne Haushaltsdisziplin gibt es keine Rückkehr zum Wachstum. Der Ko n s o l i d i e rungsdruck für alle öffentlichen Haushalte muss europaweit erhalten bleiben. Das darf allerdings nicht auf Kosten der dringend notwendigen Entlastung von Bürgern und Unternehmen gehen. Der WR hat in seinem steuerpolitischen Re f o r m k o n zept Ko n s o l i d i e ru n g s-
d ruck und Entlastung für Bürger und Unternehmen intelligent zusammengeführt . Wir halten daran fest und raten der Union, es alsbald zu übernehmen. Es fordert:
L die Abschaffung und nicht die von der Bu n d e s re g i e rung geford e rte Erhöhung der Gewerbesteuer. L Zur Si c h e rung der Kommunalfinanzen setzen wir auf ein Zuschlagsrecht zur Einkommen- und Körperschaftsteuer. L Zweiter Kernbestandteil ist ein St ufenkonzept für eine neue Einkommensteuerreform. Bis 2006 wollen wir die Gesamtsteuerbelastung auf maximal 34 Pro zent und die Ei n g a n g s b elastung auf nur noch 10,5 Pro zent senken. Damit erreichen wir:
L eine international we t t b ewerbsfähige Unternehmensbesteuerung; L eine erhebliche St e u e rve re i n f a c h u n g und L deutliche Steuerentlastungen für breite Bevölkerungsschichten. Unternehmen und Bürger werden in der Endstufe um 40 Milliarden E im Jahr entlastet.
L Statt 300.000 angekündigter Ich-AGs rechnet die Regierung jetzt selbst nur noch mit 50.000! L Der so oft gepriesene „Jo b - Fl o a t e r “ hat auch durch seine Na m e n s ä n d erung nicht an Attraktivität gewonnen: Nur 3.000 Unternehmen nutzen das neue Programm „Kapital für Arbeit“ – Ziel waren aber 50.000! 70 trend
L Das gilt auch für den Kündigungsschutz. Unter 18 OECD-Ländern haben nur die Niederlande einen noch höheren gesetzlichen Schutz als wir! Diese Einstellungshürden müssen endlich fallen! Der volle Kündigungsschutz sollte generell erst in Betrieben mit mehr als 20 Mitarbeitern gelten! Darüber hinaus sollten die Unternehmen mit ihren Arbeitnehmern bereits bei der Anstellung folgende Option ve reinbaren können: Verpflichtet sich der Arbeitnehmer, auf eine Kündigungsschutzklage zu ve rzichten, so hat er im Gegenzug Anspruch auf die zuvor vereinbarte Abfindung.
L Arbeit muss sich in Deutschland wieder lohnen!
Diese Misserfolge sollten allen Anlass dazu geben, mutige Reformen zügig umz u s e t zen – die aktuellen Ko n zepte von Regierung und Opposition bleiben jedoch völlig unzureichend. Was erwarten wir von den Volksparteien?
Tatsache ist: Es gibt bei uns zu viele Transferempfänger, die in Abhängigkeit vom Familienstand ein höheres Einkommen haben als ve r g l e i c h b a re Arbeitnehmer im Niedriglohnbereich. Warum sollten diese Menschen eine Arbeit annehmen? Für neue Arbeitsanre i ze brauchen wir dringend die tatsächliche Zusammenlegung der Arbeitslosenhilfe und So z i a lhilfe, und zwar auf dem Niveau der So z i a lhilfe. Erwerbsfähige, die ein Arbeitsangebot ablehnen, sollen künftig 30 Pro ze n t weniger Sozialhilfe erhalten. Bei fort g esetzter Arbeitsverweigerung ist die Sozialhilfe völlig zu streichen.
L Mi t t l e rweile fordert zwar jedes Arbeitsmarktkonzept betriebliche Bündnisse für Arbeit.
L Das Arbeitslosengeld sollte – wie international üblich – für alle Arbeitslosen auf zwölf Monate begrenzt sein.
Näher betrachtet handelt es sich aber meist um einen Etikettenschwindel – denn die Gewerkschaften sollen sich nach wie vor gegen die In t e ressen der Be l e gschaft bei der Schaffung von Arbeitsplätzen querlegen können. Meine He r re n Fu n k t i o n ä re von den Gewe rkschaften: Ich
Aktuelle Vorw ü rfe zur Be n a c h t e i l igung älterer Arbeitnehmer übersehen: Di e Arbeitslosenversicherung ist allein dazu da, die Zeit zur nächsten Beschäftigung zu überbrücken – und nicht, um die Fr ü hve r rentung zu finanzieren. Aber gerade h i e rzu lädt das Arbeitslosengeld von bis zu ...
Arbeitsmarkt: WR fordert Dezentralisierung der Tarifpolitik Es ist unsere feste Überzeugung: Ke i n e der Volksparteien geht bei den Reformen auf dem Arbeitsmarkt weit genug! Nach monatelangen Debatten sind die von der Ha rt z - Kommission vorgeschlagenen Konzepte in einer völlig unzureichenden Form umgesetzt worden.
rufe Ihnen zu – Ihre Vetozeit ist abgelaufen! Deutschland sollte sich endlich aus der Geiselhaft der Gewerkschaften befreien! Auch die CDU hat ihren Gewerkschaftsflügel, der blockiert. Dieser ist zwar bei weitem nicht so stark wie bei der SPD, aber er ist stark genug, um die CDU an der Mehrheitsfähigkeit für klare w i rtschaftspolitische Fortschritte zu hindern.
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... 32 Monaten ein. Die Folge ist: In Deutschland arbeiten nur noch 40 Prozent der 55- bis 65-Jährigen! In Dänemark und den USA sind es 60, in Schweden sogar 70 Prozent. Alle Umfragen zeigen uns, das unsere Standortdefizite vor allem in den Be re ichen Steuern, Abgaben und Überbürokratisierung des Arbeitsmarktes liegen. In letzter Zeit wird ein we i t e rer Bereich immer häufiger genannt: die deutsche Mitbestimmung. Wir alle wissen aus der täglichen Praxis: Unternehmen können nur gemeinsam mit ihren Mitarbeitern erfolgreich sein. Doch in keinem anderen Land der Welt ist die Mitbestimmung so ineffizient wie bei uns. Nirgendwo sonst können externe Gewerkschaftsfunktionäre in den Aufsichtsräten betriebliche En t s c h e i d u n-
gen so behindern. Mit der neuen EuropaAG wird es ab Oktober 2004 noch schlimmer: W ä h rend Gesellschaften mit deutscher Beteiligung weiter der paritätischen Mitbestimmung unterliegen, können ausländische Eu ro p a - AG´s mit Sitz in Deutschland mitbestimmungsfrei agieren. Für eine moderne Corporate Governance brauchen wir:
L eine Wa h l f reiheit auch für deutsche Unternehmen, sich gegen paritätisch besetzte Aufsichtsräte zu entscheiden, sowie L eine Option, auf die strikte Trennung zwischen Vorstand und Au f s i c h t s r a t zu verzichten. Zugleich sollten unsere Aufsichtsräte auf die Hälfte verkleinert und die jüngste Novelle des Betriebsverfassungsgesetzes zurückgenommen werden.
Unabweisbare Einschnitte zur Erhaltung sozialer Sicherung In kaum einem anderen Land der Welt ist der Sozialstaat so stark ausgebaut wie bei uns. Tro t zdem scheut die Politik davor zurück, den Menschen die Wa h rheit zu sagen, dass wir unabweisbare Einschnitte brauchen, um die Basis unserer sozialen Sicherung zu erhalten. Wann endlich verabschieden sich die Volksparteien von der über viele Jahrzehnte gehätschelten Lebenslüge, dass wir unseren Lebensstandard im Alter allein mit der gesetzlichen Rente halten können? Zu viele Menschen glauben immer noch, unsere gesetzliche Rentenversicherung sei ein Sparkonto, bei dem sie die Einzahlungen im Alter mit Zins und Zi n s e s z i n s zurückbekommen.
kommt, werden es in wenigen Jahren 80 Pro zent des Bundeshaushaltes sein. Lassen Sie mich die dramatische Schieflage unseres Rentensystems an drei Be i s p i e l e n erläutern: Erstens: Bei der Ko n z i p i e rung der gesetzlichen Re n t e n ve r s i c h e rung in den 50er Ja h ren kamen noch acht Be i t r a g s-
zahler auf einen Rentner. Durch Kindermangel und zunehmende Lebenserw a rtung laufen wir in Deutschland bis 2045 auf ein Verhältnis von eins zu eins zu. Zweitens: In den 70er Jahren betrug die d u rchschnittliche Lebensarbeitszeit noch 42 Jahre, heute sind es vier Jahre we n i g e r und das, obwohl sich unsere Lebenserw a rtung um zehn Jahre erhöht hat. Drittens: Der Ab s o l vent einer deutschen Hochschule ist heute knapp 30 Ja h re alt und geht mit 60 in Rente. Be i einer Lebenserwartung von 80 Jahren stehen damit 30 Ja h ren Be rufstätigkeit 50 Jahre Transferleistungen gegenüber. Diese Beispiele zeigen ganz klar: Ei n allein umlagefinanziertes Rentensystem w i rd nicht länger funktionieren. Um so u n verständlicher ist, dass Mitglieder der Rüru p - Kommission und die Gewe rkschaften Selbstständige und Beamte gerade in dieses Umlageve rf a h ren hineinzwingen wollen. Auch Kapital- und Mieteinkünfte sollen künftig in dieses zukunftslose Kollektivsystem einbezo g e n we rden. Ein solcher Weg ist schlichtweg ve r a n t w o rtungslos. Zu Recht urteilt unser f r ü h e rer Bundespräsident Roman He rzo g : „Wer den Bürgern verspricht, kapitalgedeckte Ergänzungen der solidarischen Si c h e rungssysteme seien ve rz i c h t b a r, der ist entweder dumm oder er spricht bewusst die Unwahrheit.“ Zur Si c h e rung des Lebensstandards im Alter kommen wir an mehr und recht- ...
Wahr ist: Das Umlageverf a h ren der gesetzlichen Rentenversicherung lebt von der Hand in den Mund. Jeder von den aktiven Arbeitnehmern eingezahlte Eu ro wird sofort wieder an die Rentner ausgezahlt. Schon heute muss der Bund 30 Prozent seines Haushaltes zusätzlich für die Rente verwenden – also 70 Milliarden E im Jahr. Wenn es nicht zu Re f o r m e n III. Quartal 2003
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L die aktiven Beitragszahler we rd e n immer weniger, L zugleich verdoppelt sich bis 2040 der Anteil der über 65-Jährigen – in diesem Alter steigen die Gesundheitskosten auf das Fünffache. Hierauf gibt die Bundesregierung bislang keine Antworten. Im Gegenteil: Ihre Ge s u n d h e i t s reform läuft bislang in die völlig falsche Richtung:
L Erhöhung der Tabaksteuer – ändert nichts an der Ineffizienz der Gesundheitsversorgung.
... zeitiger Privatvorsorge nicht vorbei. Es ist deshalb völlig inakzeptabel, dass die Bund e s re g i e rung die Überprüfung der Riest e r rente und der Rentenformel auf das Jahr 2005 hinausschiebt. Nach Auffassung des WR sollte noch 2003 eine neue Rentenreform im Gesetzbuch stehen. Kernelemente sind:
L ein gesetzlicher Rentenbeitrag vo n dauerhaft unter 20 Pro zent; 23 Prozent sind zu hoch und lassen den Menschen zu wenig Spielraum für ihre Privatvorsorge. L Die Kapitaldeckung ist auf mindestens 40 Pro zent der Alterseinkünfte auszubauen. Diesem internationalen
L Eine neue Regulierungsbehörde würde zur Bevormundung der Leistungserbringer führen – statt den We t t b ewerb zu intensivieren. St a n d a rd sollten wir uns auch in Deutschland nicht mehr verschließen.
L Das Eintrittsalter für die volle Re n t e sollte schrittweise auf 67 Ja h re angehoben we rden. Teure Vorru h estandsmodelle und eine dadurch wachsende Belastung der aktiven Beitragszahler können wir uns nicht länger leisten. Im Herbst diesen Ja h res wird der Wirtschaftsrat ein durchgerechnetes Konzept für eine neue Re n t e n reform vorlegen.
L Zudem sind Wahltarife und Selbstbeteiligungen notwendig. Sie sind uns noch von Bundeskanzler Schröder im März versprochen worden. Wir können die Union nur darin bestärken, sich beim we i t e ren parlamentarischen Ve rf a h ren auf keine faulen Kompromisse einzulassen – weder im Bundestag noch im Bundesrat. Der Wirtschaftsrat setzt sich stattdessen für eine grundlegende Um s t e llung unseres Gesundheitswesens ein. Hierzu gehören:
Die dramatische Alterung der deutschen Be v ö l k e rung belastet auch unser Ge s u n d h e i t s wesen sogar zweifach. Di e Fakten sind eindeutig:
L der Einstieg in die kapitalgedeckte Eigenbeteiligung – zehn Pro zent bis 2010 und 30 Prozent bis 2030; L die Ei n f ü h rung sozialve rträglicher Selbstbehalte bis zu 500 E im Jahr; L die private Absicherung von Freizeitunfällen, des Za h n b e reichs und des Krankengeldes; L mehr Wettbewerb bei Ärzten, Ap otheken, Kassen und Krankenhäusern. In der Union hat es nach der Vorlage unseres Konzeptes im Oktober 2002 eine spannende Debatte gegeben. Wir können es als Fo rtschritt verbuchen, dass sich die Sp i t ze der Bundestagsfraktion inzwischen zur schrittweisen Abkopplung der Krank e n ve r s i c h e rung vom Be s c h ä f t i g u n g s ve rhältnis bekennt. Jetzt kommt es darauf an, dass sich die Union auch für die Kapitalunterlegung des Ge s u n d h e i t s wesens stark macht – und sich nicht wie bei der Rente von den Koalitionsparteien überholen lässt. ...
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Neue Prioritäten in der Bildungs- und Forschungspolitik Wir Unternehmer spüren längst, dass bei den andauernden St re i t e reien um Steuern und Abgaben ein Schlüsselthema vollkommen vernachlässigt wird. Es lautet: „Leadership in In n ovation – Wi e schaffen wir die Rückkehr zur Weltspitze?“ Der WR hat dazu mit einer Spitzenpräsenz aus Wi rtschaft und Unionsfraktion eine Klausurtagung veranstaltet. Es geht dabei vor allem um die Zukunft der jungen Generation. Un s e re besten Köpfe verlassen das Land, weil sie anderswo besser ausgebildet we rden und deutlich bessere berufliche Perspektiven vorfinden. Ähnliches gilt für unsere Unternehmen. Beispiel Pharma: Früher war De u t s c hland die „Apotheke der Welt“ – heute befinden sich von den weltweit 130 großen Forschungsstandorten nur noch zehn in Deutschland. Deshalb hat sich allein in den letzten zehn Ja h ren der Anteil der innova t i ven Medikamente aus De u t s c hland von einem Drittel auf ein Fünftel reduziert. Beispiel Patente: Früher waren wir die größten Ex p o rt e u re von Wissen – heute müssen wir es teuer einkaufen. Diese neuen Verhältnisse sind keine Schicksalsschläge der Gl o b a l i s i e rung, sondern eine deutliche Aufforderung, die Innovationsfähigkeit am Standort Deutschland zu verbessern: Wir müssen unseren jungen Menschen wieder eine Zukunft im eigenen Land bieten! Das Ausmaß der Auswanderung der jungen, gut ausgebildeten Generation ist besorgniserregend. Jährlich sind es bereits 100.000. Das sind die Leistungsträger der Zukunft, die sich in keiner politischen Partei mehr zu Hause fühlen und sich eine andere Gesellschaft suchen.
müssen die Auswanderung stoppen! Wir müssen uns auch darüber klar werden, mit welchen Industrien wir in Deutschland zukünftig unser Geld verdienen wollen – und darauf unsere Anstrengungen konzentrieren. In einigen wenigen Bereichen sind wir noch Spitze, z. B. bei der Nanotechnologie und der Telekommunikation. Hier dürfen wir unseren Vorsprung nicht verspielen – wie schon in der Ke r n f o rschung, die wir rot-grünen Ideologien geopfert haben. In vielen Zukunftsfeldern sind wir jedoch noch weit davon entfernt, im Ko nzert der innovativen Nationen mitspielen zu können. Dabei sind In n ovationen für Unternehmen das, was Sauerstoff für den Menschen ist. Um diese Defizite wettzumachen, um also zu überleben, benötigen wir neue Prioritäten, in der Bildungs- und in der Forschungspolitik. Die wichtigsten Ansatzpunkte:
L Wir sollten endlich unsere Hochbegabten fördern. Die Politik der Gl e i c h m a c h e rei macht uns lediglich zu den weltbesten Pro d u zenten vo n Mittelmaß.
L Wir sollten die Hochschulen so mit der Wi rtschaft ve rzahnen, dass aus Ideen Produkte und Unternehmen werden können, anstatt in Elfenbeintürmen zu verstauben. L Letztlich können unsere Universitäten erst dann wieder zu In n ova t i o n s ze ntren werden, wenn wir uns von Beamtenmentalität und Kostenloskultur verabschieden: Einen Qualitätssprung in Forschung und Lehre wird es ohne sozialverträgliche St u d i e n g e b ü h re n nicht geben. Damit können wir die Universitäten personell und finanziell auf internationales Niveau bringen. Vor allem aber werden unsere Studenten ganz genau hinschauen, an welcher Universität ihr Einsatz – auch der finanzielle – die bestmögliche Rendite für die Zukunft abw i rft. Studiengebühren bedeuten deswegen noch lange nicht, dass der Zugang zu Bildung eine Frage des Geldbeutels wird – es gibt längst Fi n a n z i erungsmodelle für Studenten aus sozial schwächeren Familien. Au ß e rdem – es ist nur recht und billig, wenn sich die angehenden Akademiker an den Kosten ihrer Ausbildung beteiligen: Einen Kindergartenplatz bezahlen die Eltern, eine Meisterausbildung bezahlt größtenteils der Handwerker, nur die Kosten für die Ausbildung unserer Ärzte, In g e n i e u re und Historiker bezahlt die Allgemeinheit.
L Die Versäumnisse unseres Bi l d u n g ssystems fangen allerdings nicht erst an ...
Es wird besondere Anstre n g u n g e n e rf o rdern, diese Generation in De u t s c hland zu halten. Diese Generation – leistungsbereit, risikobereit und weltoffen – ist die ureigene Klientel des WR. Diese jungen Leute passen zu uns, diese jungen Leute wollen wir einbinden. Gemeinsam mit dem RCDS we rden wir uns im Herbst eben diesem Thema widmen: Wir III. Quartal 2003
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den Universitäten an, sondern beginnen schon in der Schule. Am Ab i t u r nach zwölf Schuljahren durch mehr Leistungsorientierung sowie die Stärkung der naturwissenschaftlichen Fächer führt deshalb kein Weg vorbei. Di p l o m i e rte Museumswärter haben wir bereits genug – woran es uns mangelt, sind In g e n i e u re und In f o r m a t iker. Bei allem Verständnis für Ga n z t a g sschulen – wir lassen uns die Erziehung u n s e rer Kinder nicht aus den Händen reißen. Wenn SPD-Ge n e r a l s e k retär Olaf Scholz fordert: „Wir wollen die Lu f t h oheit über den Kinderbetten ero b e r n “ , dann sollten wir wissen: Genau das wollten auch schon die Kommunisten! Die wichtigste Aufgabe bei der Erziehung haben die Eltern, das ist unsere feste Überzeugung.
Auch die jüngsten massiven Be l a s t u ngen des transatlantischen Verhältnisses geben uns Anlass zur Sorge wie die drohende Handlungsunfähigkeit der Euro p ä ischen Union. Alle Anstrengungen müssen darauf gerichtet we rden, den Zusammenhalt Eu ropas, des transatlantischen Bündnisses und der internationalen Völkergemeinschaft gegen Terrorismus und total i t ä reDi k t a t u ren zu stärken. In der Außenund Sicherheitspolitik sollte die EU endlich mit einer Stimme sprechen. Die Bu n d e s re g i e rung spaltet Eu ro p a , wenn sie an „Pralinengipfeln“ mit den militärischen Schwe r g ewichten Lu xe mburg und Belgien teilnimmt, anstatt Gemeinschafts-Initiativen wie die Eu ro p ä ische Ei n g re i f t ruppe vo r a n z u t reiben. Ei n e Profilierung auf Kosten der transatlantischen Partnerschaft kann keinen Erf o l g bringen. Bundeskanzler a. D. Kohl sprach 1998 beim Weltwirtschaftsforum in Da vo s
von dem Haus Eu ropa mit Wohnungen für die Völker Eu ropas und einem Da u e rw o h n recht für unsere amerikanischen Freunde. Der Wi rtschaftsrat hat im ve rgangenen Herbst als erster Verband den Appell an die führenden Unternehmer in Deutschland gerichtet, in der Politik ze rs t ö rtes Vertrauen zwischen Deutschland und den USA neu aufzubauen. Zu g l e i c h zählte der Wi rtschaftsrat zu den Ha u p tinitiatoren des Deutsch-Amerikanischen Unternehmergipfels, der im Mai in Wa shington stattfand. Die europäische Ei n igung lebt von Visionen. Helmut Kohl hatte in seiner Regieru n g s zeit stets eine Vi s i o n für die Zukunft Europas. Die Vision vom Euro ist bereits Realität – und hat enorme Ä n d e rungen in Eu ropa auf den Weg gebracht. Der Eu ro hat eine große wirtschaftliche Dynamik ausgelöst. Bis heute ist kein we i t e rer derartiger Anstoß formuliert worden. Der Lissabon-Beschluss, Eu ropa bis 2010 zur we t t b ewerbsfähigsten und dynamischsten Wirtschaftsregion der Welt zu machen, ist bis heute ohne Ko n k re t i s i erung. Aber nur Konkre t i s i e rung löst wirtschaftliche Dynamik aus – der Eu ro ist dafür ein glänzendes Beispiel. Der Wi rtschaftsrat ist das Unternehmen der Unternehmer. Als Speerspitze der Er n e u e rung können wir auf Dauer nur e rf o l g reich bleiben, wenn es uns gelingt, die politischen Parteien zur Umsetzung der notwendigen Reformen zu tre i b e n . Dafür brauchen wir einen starken Wi rtschaftsrat, der für die Gru n d we rte einsteht, die dieses Land erfolgreich gemacht haben:
L Leistung und Eigenverantwortung sowie L Solidarität mit den wirklich Bedürftigen. Wir sind überzeugt davon, dass wir den freien Fall stoppen und wieder zu den w i rtschaftlich erf o l g reichen Nationen aufschließen können. Deshalb haben wir diesen Wi rtschaftstag bewusst unter das Mo t t o gestellt: Wahrheit Mut Aufstieg. Wahrheit – das steht für die ungeschönte Bestandsaufnahme der deutschen St ru kturprobleme. Mut – auch zu schmerzhaften und unpopulären Reformen sowie der Aufstieg – zu neuem Wohlstand. Di e s e s Ziel wollen wir gemeinsam erreichen. V
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Tiefgreifendes Staatsversagen gefährdet unser Land Bürger haben ein feines Gespür für die Arroganz der Macht Rüdiger von Voss
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ie 4. Bu n d e s d e l e g i e rt e n ve r s a m mlung in Berlin ist ein Tag der Bilanz unserer Arbeit und der Form u l i e rung unserer zukünftigen Aufgaben. Zugleich wird über das finanzielle Fundament entschieden, das unser Handeln maßgeblich bestimmen wird.
Die veröffentlichte Positionierung des Wi rtschaftsrates zeigt, dass unser Land d u rch ein tiefgreifendes St a a t s ve r s a g e n gefährdet wird. In den Kommentaren der zurückliegenden Monate zur Lage der Nation wird klar, dass wir von einer Krise zu sprechen haben, die uns alle vo r schwierigste Auseinandersetzungen stellen wird. III. Quartal 2003
Gefahrenpotenziale rechtzeitig benannt Schon im Bericht vor der Bundesdelegiertenversammlung des vergangenen Ja hres haben wir uns darum bemüht, Strategien gegen das St a a t s versagen zu entwickeln. Der Präsident des Bundesverfassungsgerichtes hat uns ebenso bestätigt wie der Sa c h verständigenrat. Er hat uns in unseren ordnungspolitischen Au s s a g e n bestätigt, für die wir in den letzten Jahren von den Gegnern durchgreifender Reformen kritisiert und auch als „unsozial“ diffamiert worden sind. Eine Übersicht der Positionierungen des Wi rtschaftsrates der letzten Ja h re
zeigt, dass wir die Gefahrenpotenziale für den Standort Deutschland rechtzeitig benannt haben. Die ordnungspolitischen Re f o r m vorschläge des Wi rtschaftsrates finden ihre volle Bestätigung. Dies gilt parteiübergreifend bis hinein in das Regierungslager, das um eine eigene Mehrheit und zugleich um seine politische Überlebensfähigkeit ringt. Die mit dem Antritt der rot-grünen Koalition verbundene grundlegende Absage an eine wachstumsorientierte Wi rtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik war eine schwerwiegende strategische Fe h l e n tscheidung. Diese ist bis heute nicht ausreichend korrigiert worden. Es wurde ein Wind gesät, der sich inzwischen wie ein Sturm mit ze r s t ö rerischer Wi rkung für unsere gesamte Wirtschafts- und Gesells c h a f t s o rdnung auswirkt. Sichtbar wird nunmehr, dass Freiheit ohne Selbstverantwortung nicht gewährleistet werden kann. Wenn heute von einer umfassenden Ge f ä h rdung des Generationenvertrages gesprochen wird, sind damit nicht nur die Ga r a n t i ezusagen an die kommenden Generationen gemeint. Insbesondere von international anerkannten Sachverständigen wird uns seit Jahren vorausgesagt, dass das Ausbleiben tiefgreifender Strukturreformen die Grundlagen von Demokratie und Sozialer Marktwirtschaft erschüttern w i rd, wenn wir uns weiterhin weigern, die harten ökonomischen Fakten zur Kenntnis zu nehmen. In anderen uns umgebenden Ländern hat dies schon längst zu einer Ve r ä n d e rung ihrer Ordnung und zu strukturellen Korrekturen geführt, die wir auch bei den angekündigten Re f o r m e n bei weitem nicht erreichen werden. Hochmut sozialistischer ideologischer Vorstellungen Es ist der alte und wieder neu erwachte Hochmut sozialistischer ideologischer Vorstellungen, die das politische Klima in Deutschland vergiften und zu einer Ko n f rontation führen, die uns alle auf das Äußerste besorgen muss. Wi r müssen ernst nehmen, wenn von Unberec h e n b a rkeit, Realitätsflucht und mangelnder Zivilcourage gesprochen wird. Allein dies muss uns mit größter So r g e erfüllen. Von der Berechenbarkeit und pragmatischen Vernunft Deutschlands hängt in weitem Maße die Zukunft der ... Gestaltung Europas ab. trend 75
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Dies sagen uns wichtigste Repräsentanten unserer Nachbarstaaten und unsere Bündnispartner. Sie fragen uns: Wo sind die „Vo rkämpfer“ der freiheitlichen Gesinnung, einer maßvollen und vernunftorie n t i e rten Politik Deutschlands? Wo ist die Kraft der Überzeugungen, die es euch ermöglicht haben, Freiheit und „Wohlstand für Alle“ Wirklichkeit we rden zu lassen? Was hast Du zu Deiner Zeit getan, um Deinen freiheitlichen Gesinnungen zum Durchbruch zu verhelfen und Dein Land vor einer tiefgreifenden Krise zu bew a hren? Ordnungspolitischer Anwalt der Sozialen Marktwirtschaft In diesem Geiste ist der Wirtschaftsrat gegründet worden. Vor 40 Ja h ren traten Frauen und Männer an, um persönlich für eine freiheitliche und sozialve r a n t w o rt e t e Politik für Staat und Wi rtschaft zu kämpfen. Diese selbst übernommene Verpflichtung hebt den Wi rtschaftsrat über eine allgemeine Interessenvertretung unternehmerischer Standesinteressen hinaus. Wird dies vergessen, wird der Wirtschaftsrat kaum fähig und imstande sein, den Verpflichtungen zu entsprechen, die den verantwortlichen Unternehmer als Kernbestand einer f reiheitlichen Ordnung defin i e ren. Das Handeln des Wi rtschaftsrates über die langen 40 Jahre hinweg war auch stets von einer Staatsverantwortung getragen, die ihn befähigte, als ordnungspolitischer Anwalt der Sozialen Ma rk t w i rtschaft zu agieren: Nicht immer stimmte
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man uns zu, aber stets wurde anerkannt, dass wir kritisch und konstruktiv an der Fortentwicklung unserer demokratischen Ordnung und insbesondere der Ordnung der Sozialen Ma rk t w i rtschaft mitarbeiteten. Es geht um Herz und Verstand Uns allen ist bewusst, dass wir den Gremien des Wirtschaftsrates, dem Präsidium, dem Bundesvorstand, den Landesvorständen, unseren Sektionsvorständen und allen Mitgliedern ein stabiles Fundament für die Erfüllung unserer Aufgaben gewährleisten müssen. Wir werden heute über die zukünftige Beitragsordnung zu sprechen haben. Bei der Entscheidung w i rd es darauf ankommen, ob wir unsere n Handlungsrahmen sichern und dann fähig sind, den zukünftigen Aufgaben auch gemeinsam gerecht zu werden. Ein Staatshaushalt gibt Auskunft über Erfolg oder Mi s s e rfolg von politischen Zielen und ist das wahre Buch der Nation. Der Haushalt des Wi rtschaftsrates ist Rückversicherung für die tatkräftige Vertretung der Interessen unserer Mitglieder, des gesamten Verbandes auf allen Ebenen. Darüber hinaus ist unser Budget Ausdruck unserer ordnungspolitischen Überzeugungen. Die Entscheidungen, die wir t reffen, we rden nicht nur den „Apparat“ des Wi rtschaftsrates berühren. Es wird jedes Mitglied in den durch die Mitgliedschaft begründeten Verpflichtungen betreffen. Mit unseren Entscheidungen müssen wir unserer Satzung entsprechen.
Der Bundesfinanzhof hat uns in der s c h we rwiegenden Auseinandersetzung um unseren Status als Be ru f s verband vo r Gericht und Öffentlichkeit zugeru f e n : Wer denn sonst als die Unternehmer kann für die Freiheit der Unternehmer eintreten? Dies war die eigentliche Legitimation und praktische Begründung für die Er h a ltung unserer Organisation als unternehmerischen Be rufsverband. Zugleich wurden wir als eine Organisation bestätigt, die sich bewusst zur Sozialen Marktwirtschaft und zugleich zu den politischen Trägern bekannt hat, die die Soziale Ma rk t w i rtschaft zum politischen Programm für Deutschland gemacht haben. Es geht immer um Herz und Verstand. Wer sein He rz in schwieriger Zeit nicht in die Waagschale wirft, wird mit dem Verstand alleine nicht die charismatische Wi rk u n g entfalten können, die von einem fre i h e i tlichen Programm, von einer Be re i t s c h a f t der sozialen Mi t ve r a n t w o rtung für eine solche Ordnung als Ga n zes ausgeht. Der amerikanische Journalist Georg Will hat einmal formuliert: „Statecraft is soulcraft“. Dies meint: Ohne Seelenkraft kann man eine freiheitliche Überzeugung nicht politisch wirksam werden lassen! Dienst- und Überzeugungsgemeinschaft Aus diesem Grunde haben wir uns stets d a rum bemüht, deutlich we rden zu lassen, dass wir einer über unseren Verband hinausreichenden Aufgabe dienen. Dieser Verband ist also nicht nur eine „Überze ugungsgemeinschaft“. Er ist eine „Di e n s t g emeinschaft“ für das höhere Ziel, Freiheit, Ge rechtigkeit, Mi t ve r a n t w o rtung, Su b s idiarität und Solidarität gleichermaßen d u rch praktisches Handeln zu sichern. Dies ist der eigentliche „Return on In ve s tment“, der uns heute beschäftigen muss. Der große französische Außenminister Talleyrand hat gesagt: „Man muss den Leitsätzen, zu denen man sich sein Leben lang bekannt hat, treu bleiben.“ Or i e ntiert an dieser wichtigen Grundlage eines ethisch wie politisch integralen Handelns und orientiert an den von uns vertretenen w i rtschafts- und gesellschaftspolitischen Zielen haben Präsidium und Bundesvorstand uns den Auftrag gegeben, über unsere Arbeit kritisch nachzudenken, um Vorschläge zu erarbeiten, die unsere ... Handlungsfähigkeit stärken sollen. III. Quartal 2003
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„Corporate Difference“ – Weiterentwicklung inhaltlicher Ziele In enger und vertrauensvoller Zusammenarbeit mit der Agentur von Ma n nstein haben wir bei Beibehaltung unseres traditionellen Namens ein Design entworfen, das die Ausrichtung unsere r Arbeit auf Deutschland als Ga n zes e rkennbar we rden lässt. Es war das Zi e l , unsere zukunftsorientierte Position auch sichtbar zu machen. Es kam uns darauf an, eine „Corporate Difference“ zu visualisieren, die uns eine deutliche Stellung im Markt verleiht und unserer tatsächlich geleisteten Arbeit Ausdruck gibt. Wir wollen uns unterscheiden von der vom politischen Wettbewerb vielfach disk re d i t i e rten bloßen wirt s c h a f t l i c h e n Interessenwahrnehmung einzelner Unternehmer. Dies war nie die eigentliche Aufgabe des Wirtschaftsrates. Wir dürfen uns auch nicht in dieses Raster einbinden lassen, weil dies nur zu Enttäuschungen führt. Im gleichen Zuge bemühen wir uns also darum, aus dem bisherigen Wahrnehmungsraster der Medien auszubrechen, das den Wirtschaftsrat einseitig mit der Großindustrie gleichsetzt und uns vom Mittelstand separiert. Es geht darum, unseren ordnungspolitischen Auftrag aufzuzeigen und neue Anstrengungen zu defin i e ren. Es ist keineswegs eine Re volution! Es ist das Bemühen um eine Evolution, eine Weiterentwicklung unserer inhaltlichen Ziele.
Anspruch: „Wirtschaftsrat Deutschland“ „Wirtschaftsrat Deutschland“: Das ist unser Anspruch, die Wirtschaftspolitik in umfassender Weise auf nationaler Eb e n e mitzuprägen und damit auch den europäischen und globalen Maßstäben unseres Handelns besser zu entsprechen, als uns das bisher gelungen ist. Selbstkritisch auf der einen Seite, offen für Neues und im vollem Bewusstsein, dass dies nicht ohne neue Anstrengungen zu haben ist. Das öffentliche Erscheinungsbild ist nicht eine Frage „l’art pour l’art“. In der Gestalt auch eines Verbandes wird sichtbar, ob hier ein „Impulsgeber“ tätig ist: Notfalls streitbar und kritisch, aber kons t ruktiv in der Be reitschaft, sich selbst n o t wendigen Auseinandersetzungen zu stellen und zu einem friedvollen Weg zu Reformen durchzustoßen, die diesem Land wieder neue Kraft geben und den Aufstieg wagen lassen können. Ge m e i n t ist ein Handeln im Dienst eines vitalen deutschen In t e resses. Gewollt ist damit eine größer angelegte wirtschafts- und sozialpolitische Dimension, die nicht nur aus einer verbandspolitischen In n e n a nsicht und Notwendigkeit begründet ist. Einem modernistischen Ze i t g e i s t haben wir uns dabei ebenso verwehrt, wie dem allzu vorsichtigen Festhalten an Tra-
d i e rtem. Maßstab für uns war die funktionale No t wendigkeit dieses Schrittes, der es uns erleichtern wird, unsere Anliegen nach außen wirk u n g s voller zu kommunizieren. Dies allerdings setzt natürlich auch Tatkraft und gesicherte Handlungsfähigkeit voraus. Es bleibt ein entscheidendes kommunikatives Ziel unsere s Handelns, unser Gewicht in der öffentlichen Diskussion auszubauen und dafür den entsprechenden Rahmen zu schaffen. Ein konkretes „Wir-Gefühl“ Unser Se l b s t b ewusstsein, auch gegenüber den Medien und den ordnungspolitischen Gegnern, muss dadurch deutlich werden, dass wir mit einer Stimme zu sprechen im Stande sind. Dies schafft uns Gehör. Mit einer Stimme zu sprechen, heißt auch, dass unser „Wi r - Gefühl“ ausre ichend dokumentiert wird und erkennbar ist. Es ist eben dieses „Wi r - Gefühl“, das uns auf der Plattform des Wirtschaftsrates unsere Ziele effektiv und ohne innere Reib u n g s verluste ve rfolgen lässt. Wahrheit, Mut, Aufstieg, dafür wollen wir alle einstehen. Deshalb ist ein Signet des „WIR“ im Wi rtschaftsrat hervo rzuheben. Di e s meint uns selbst! Wir wollen mit dieser neuen Ausrichtung unserer gesamten Erscheinung und des daraus folgenden Handelns ein konk retes „Wi r - Gefühl“ bew i rken. Es ist keine Gefühlsduselei, sondern ein Erfordernis, um als „ordnungspolitische Überzeugungsgemeinschaft“ erkannt und da- ...
Wir verlassen nicht unsere „lineare “ Bindung zu den Gru n d s ä t zen christlichdemokratischer Politik, die das Fu n d ament der Sozialen Ma rk t w i rtschaft ausmachen. Wir ergänzen das Be k e n n t n i s d u rch eine Or i e n t i e rung an neuen Anstrengungen für Deutschland. Als Leitlinie für die Entwicklung dieser „Corporate Di f f e rence“ gilt: Di e Menschen und die Medien wollen nicht in erster Linie wissen, von wem man herkommt, sondern wofür man einsteht, wofür man kämpft und handelt. Si e fragen nicht nur nach Opposition. Si e erwarten Kooperation im In t e resse des Staates. III. Quartal 2003
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... mit als innovativer Faktor der ordnungspolitischen Mitgestaltung akze p t i e rt zu werden. Das „WIR“ im Begriff Wirtschaftsrat wird durch die Gestaltung herausgehoben und damit zu einer inhaltlichen WortBild-Marke ausgerichtet. Das heißt: „Wir für Deutschland“. Wir müssen uns in dieser Weise darstellen, wenn wir nicht im Ko n ze rt der In t e re s s e n ve rt retungen ve rschwinden wollen, die ihren Nu t ze n egoistisch definieren und rücksichtslos durchzusetzen versuchen, selbst dort, wo es den In t e ressen der Nation als Ga n ze s widerspricht. Eigene Kompetenz überprüfen Dies ist auch die Be reitschaft, den Dienst an Demokratie und So z i a l e r Ma rk t w i rtschaft neu zu legitimieren. Di e s ist dann auch Ausdruck der Bereitschaft, dem Vermächtnis und den Leistungen derjenigen zu entsprechen, die uns nach dem Zweiten Weltkrieg politisch ermöglicht haben, als freie Bürger, als freie und sozialverantwortungsbewusste Un t e r n e hmer, als Verband verantwortlicher Unternehmer qualifiz i e rt zu sein und qualifiz i e rt zu bleiben. Notwendig ist es, seine eigene Ko mpetenz zu überprüfen. Es reicht nicht, Besitzstände zu ve rteidigen. Es kommt auf die gesamte Pe r s p e k t i ve an, an der man sich selbst misst und an der man sich messen lassen muss, wenn man älter werden will als 40 Jahre. Stärkung der Infrastruktur Wer sich nicht anstrengt, verliert seine Arbeit. Wer sich nicht zeigt, wird nicht gesehen. Wer seine Stimme nicht erhebt, w i rd nicht gehört. Wer nicht wahrgenommen wird, gilt nicht als wirkungsmächtig. Wer nicht als wirkungsmächtig angesehen w i rd, scheidet aus dem gesamten politischen Prozess aus und gibt seine Selbstbestimmung damit zugleich auf. Er wird f remdbestimmt und bevormundet und strukturell unterlegen sein in der politischen Auseinandersetzung. Wir können es nicht deutlich genug sagen: Es sind herausfordernde Aufgaben, die ohne entsprechende Stärkung unserer In f r a s t ruktur und unserer Arbeitsinstrumente nicht bewältigt we rden können. In 78 trend
Neue Strategie für Kommunikation nach außen und innen Es war nötig, dass wir uns mit dem Erscheinungsbild beschäftigen. Es ist erforderlich, dass wir uns mit unseren Botschaften auseinandersetzen und danach handeln. Nötig ist ein wirksames Ma n a g ement einer Botschaft, eines Pro fils, das d u rch entsprechende inhaltliche und formale Aufbereitungen ergänzt wird. Es kommt auf die externe Informationssteuerung und zugleich auf die interne Kommunikation und ihre Wi rksamkeit an.
programmatischer, informativer und tagesaktueller Inhalte als Bestandteil von serviceorientiertem Marketing unsere r Botschaften. Es ist ein „Message-Marketing“ notwendig, das uns in Stand setzt, das zu tun, was in allen Untersuchungen über die eigene Arbeit von der Arbeitsgruppe in Baden-Württemberg bishin zu unseren Kommissionen auf Bundesebene und auch von Mitgliedern gefordert wird.
Wir benötigen eine offensive St r a t egie. Es sind fünf T h e m e n b e reiche, die uns in Folge dieser Bu n d e s d e l e g i e rt e nversammlung differe n z i e rt beschäftigen werden:
Dialogoffensive Wir benötigen eine „Di a l o g o f f e nsive“. Wir müssen das Netzwerk untereinander ve r s t ä rken und einen „Ma rk tplatz der Informationen“ bilden. Be i d e s zusammen soll den Wi rtschaftsrat als Kommunikationsebene stärken und unsere Dienstleistungsangebote im Rahmen des Möglichen ausbauen. Beschreiten wir diesen Weg der „inneren Kommunikation“ nicht, werden wir nicht im Stande sein, unsere Problemlösungsqualität bei veränderten Wirtschaftslagen zu vermitteln und unsere Vorschläge wirksam in den wirtschafts- und ord n u n g s p olitischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozess einzubringen.
Strukturoffensive Eine „St rukturo f f e n s i ve“ und damit eine neue Aufstellung der Infrastruktur des Wirtschaftsrates zur effizienten Nutzung neuer Medien. Wir brauchen einen zusätzlichen, auf die modernen Me d i e n spezialisierten Mitarbeiter mit dem doppelten Profil journalistischer Qu a l i f i k ation und der dazugehörigen Marketingkompetenz, um unsere bisherige Öffentlichkeitsarbeit zu unterstützen, zu ve r b e ssern und voranzutreiben. Angebotsoffensive Wir benötigen eine „Angebotsoffensive“ der mediengerechten Aufbereitung der Be reitschaft, neue und zu Teilen schwierige Aufgaben zu bewältigen, misst man Wirtschaft und Politik gleichermaßen und die Qualitäten, die eigentliche Führung ausmachen. Wenn man das Risiko meiden will, das mit solchen Aufgaben ve rbunden ist, muss man sich von der Modernität verabschieden und fällt zurück in eine Organisationsstruktur, die auf Dauer nicht überlebensfähig ist. Dies weiß man in der Politik, dies weiß man zunehmend deutlicher in allen Verbänden. Und dies muss man wissen, wenn man bestehen will. Verantwortung, Zivilcourage und Führungskultur sind gefragt Ludwig Er h a rd hat im Juni 1965 im Ge l e i t w o rt zum ersten Ja h resbericht des
Die Parlamente und Re g i e rungen sind mehr denn je auf unternehmerischen Sa c h verstand angewiesen. Dies zeigt das Scheitern des BeratungskonzepWirtschaftsrates seit der Gründung 1963 die Gründungsmitglieder des Wirtschaftsrates dafür gelobt, sich über ihre eigenen unternehmerischen Aufgaben hinaus zu einer Zusammenarbeit im politischen Bereich zur Verfügung zu stellen. Ludwig Er h a rd bewe rtete den Wi rtschaftsrat als we rt volles In s t rument der Meinungsbildung und sagte: „Angesichts der immer enger werdenden Verflechtung von Politik und Wirtschaft bedarf unsere freiheitlich, moderne, auf gesundem, ökonomischen Fundament ruhende staatliche Ordnung der politischen Mi t ve r a n t w o rtung der Wi rtschaft. Politik kann das wohlabgewogene Urteil der wirtschaftlich Erfahrenen nicht entbehren“. Erhard hat ... III. Quartal 2003
tes dieser Koalition überdeutlich. Es sind ja nicht die Beiräte, die den politischen Pro zess leiten dürfen. Es kommt darauf an, die „Reform-Scheu“ auf der politischen Ebene zu durchbrechen, die Wahrheit in der Wahrnehmung unserer wirtschaftlichen Realitäten zu verstärken, um endlich den Weg zu einem tatsächlichen Wiederaufstieg zu erkämpfen. Distributionsoffensive Unve rzichtbar wird es in diesem Ko ntext sein, eine „Di s t r i b u t i o n s o f f e n s i ve “ auszulösen. Wir müssen unsere Landesverbände ve r s t ä rkt als Distributoren u n s e rer Positionen und Botschaften wirksam werden lassen. Auch hier geht es um die Medienkompetenz, die für rund 1.200 Veranstaltungen im Wirtschaftsrat genutzt we rden muss. Die „mediale“ Wahrnehmung unserer Veranstaltungen muss verstärkt werden. Die inhaltliche Qualität unserer Veranstaltungen muss besser als bisher zu einer offensiven Verbreitung unserer Botschaften eingesetzt werden. Nur so ziehen wir qualifiziertes Personal für Veranstaltungen an. Nur so we rden wir auffällig als Partner des Dialoges, als Mitgestalter einer Politik im In t e resse der Regionen, der Länder und der Nation als Ga n zes. Es kommt darauf an, das praktisch Erf o rderliche nun zu tun, um die kritische Masse auffangen zu können, die mit dazu führt, dass die Bindungsbereitschaft schwindet. Die Voraussage ist sicher: Gelingt es uns nicht, die junge Generation durc h
... damals dem Wi rtschaftsrat erfolgreiches Wirken bestätigt und seine Überzeugung zum Ausdruck gebracht, dass der Wi rtschaftsrat auch in schwierigen Auseinandersetzungen dieser großen Aufgabe mit Tatkraft entsprechen wird. Wir haben einleitend über die deutlichen Anzeichen einer auf uns zukommenden Staatskrise gesprochen. Wir wissen heute, dass nicht Te i l reformen genügen. Eine tiefgreifende St ru k t u r reform von Staat, Wi rtschaft und Gesellschaft ist u n vermeidlich. Dazu gehört eine Pers p e k t i ve auf den Staat als Ga n zes. Nicht bloße Parteilichkeit ist gefragt, sondern Verantwortung, Zivilcourage und eine e n t s p rechende Führungskultur auf allen III. Quartal 2003
die Qualität und Wirkung unserer Arbeit anzuziehen, wird uns in Zukunft die w i rtschaftliche Elite noch stärker als schon heute aus dem Lande entfliehen. Präsenzoffensive Wir benötigen schließlich eine „Präs e n zo f f e n s i ve“. Der „Digitale Wi rtschaftsrat“, das ist die Definition, um an der permanenten digitalen Messe der Informationen teilnehmen zu können. Wir müssen darüber nachdenken, wie wir ein „Frühwarnsystem“ über relevante aktuelle wirtschaftliche Entwicklungen einrichten können. Auch wir müssen die Fragen beantw o rten können, was sich bewegt, was uns b e d roht und was uns zugleich Au s s i c h t dafür bietet, auftretende Probleme lösen zu können. Es kommt auf ein praxisgerechtes Dienstleistungsinstrument an, das sich am Informations- und Kommunikationsbedarf von Medien und Mi tgliedern orientiert. Uns ist natürlich bewusst, dass diese hier genannten fünf Aufgaben nicht von heute auf morgen zufriedenstellend e rfüllt werden können. Un s e re Absicht ist es allerdings, ein solches Angebot zu definieren und dann auch praktisch umzusetzen. Stellen wir uns den neuen Anford erungen einer kommunikationsorient i e rten, digitalen Welt nicht, dann we rden wir marginalisiert wie die Zünfte und Stände im ausgehenden 18. Ja h rhundert. Ebenen von Staat, Wi rtschaft und Ge s e l lschaft. Bei einem we i t e ren Fortdauern der Verwe i g e rung der Stru k t u r reformen in Deutschland vollzieht sich ein schon heute sichtbarer Prozess der „Delegitimation“ und Entwertung unserer Demokratie und Ordnung der Sozialen Marktwirtschaft. Wer Führung an der Demoskopie orientiert, dem wird der Wind wechselnder Mehrheiten in das Gesicht schlagen. Die Frage lautet also nicht nur: „Habt ihr gut opponiert?“ Die eigentliche Frage, die von immer mehr Bürgern an Politik und Wirtschaft gestellt wird, lautet: ,,Seid ihr fähig zu Alternativen für den Staat als Ga n zes?“ Diese Frage zielt insbesondere
auf die Opposition und auf die Mandatsträger, die sich als Anwälte der So z i a l e n Marktwirtschaft verstehen. Der politische Ge n e r a l s t reik der Gewe rkschaften in Österreich wie in Frankreich gegen die Re n t e n reform – Ko n zepte der Regierungen – we rfen ein gefährliches Schlaglicht auf die Durchsetzungskraft einer demokratisch gewählten Re g i e rung. Auch in Deutschland bewe g e n wir uns auf eine Konfrontation zu, die zu einer anhaltenden Beschädigung der „In n e ren So u veränität“ des demokratischen Staates führen könnte. Dies gilt unabhängig davon, wer dieses Land regiert. Repräsentative Demokratie versus Verbändestaat Der stru k t u relle Wandel der modernen Demokratie lässt sich überdeutlich an den seit Ja h rzehnten zu beobachtenden Ma c h t verschiebungen ablesen, die sich im Verhältnis des Staates, seiner Institutionen zu den Verbänden und organisierten Interessengruppen vollziehen. Die Frontlinie heißt: Re p r ä s e n t a t i ve Demokratie versus Verbändestaat! Die strukturellen Verwerfungen führten schrittweise in den 70er Jahren dazu, dass sich die parteienstaatliche demokratische Ordnung auf die Verbände zubewegte. Sie öffnete diesen den organisierten Zugang zum Kernbestand des Regierungshandelns und zu den Vorrechten des Parlaments als Forum der Staatspolitik. Schon zu Beginn der Bundesrepublik konnte man an den Auseinandersetzungen „St a a t s w i rtschaft“ oder „So z i a l e Ma rk t w i rtschaft“ sehen, dass sich der ideologische Schwelbrand zwischen den unterschiedlichen Ko n zepten über die Wi rtschafts- und Ge s e l l s c h a f t s o rd n u n g fortsetzen werde. Zu keinem Tag – bis heute – haben die deutschen Gewe rkschaften von ihre m Konzept der Wirtschaftsdemokratie, form u l i e rt von Fritz Naphtali in den 20er Jahren im Auftrag des Allgemeinen Deutschen Gewe rkschaftsbundes, Ab s c h i e d genommen. Die Paritätische Mi t b e s t i mmung, radikale Arbeitsze i t ve rk ü rzungen auf allen Ebenen des Arbeitslebens, Um ve rteilung der privaten Vermögen, o p t i m i e rte staatliche Transferleistungen ... trend 79
Jedes Mandat, ob im staatspolitischen oder im gesellschaftlichen Raum der In t e re s s e n verbände ist zeitlich begre n z t . Die ist nur ein bedingter Trost, vielleicht aber eine Hoffnung auf die Bew a h rung und Sicherung unserer Ordnung. Die Bürger haben ein feines Ge s p ü r für die Arroganz der Macht und unberechtigte Selbstüberschätzung. Immerhin gilt noch: Wer nach der politischen Entscheidungsmacht greifen will, muss sich demokratischen Wahlen stellen. Es gibt keinen „gewerkschaftlichen Gottesstaat“.
... für soziale Sicherheit, Solidarität vor Subsidiarität stehen unve r ä n d e rt auf der Agenda. Zu Beginn der 50er Jahre drohten die Gewe rkschaften Adenauer und Er h a rd beim St reit um die Einführung der Betriebsverfassung mit einem politischen Generalstreik. Heute drohen die Gewerkschaften in Deutschland wie in Österreich und Fr a n k reich mit dieser ve rf a s s u n g swidrigen Waffe bei der alltäglichen Au seinandersetzung um Strukturreformen, die inzwischen von „Jedermann“ für unausweichlich gehalten werden. Die semantisch verhüllende Bezeichnung „Abwehrstreik“ ist in Wahrheit ein politischer Streik. Dies ist und bleibt nach deutschem Ve rf a s s u n g s recht eine Gre n z ü b e r s c h re itung. Im Verdacht der politischen Erpressung Mitbestimmung ausüben wollen und gleichzeitig gegen die Überlebensfähigkeit und Leistungskraft der Unternehmen und gegen die flexible Erhaltung von Arbeitsp l ä t zen streiken, das geht nicht! Das zeigt einen Machtanspruch, den keine freiheitliche und sozialverantwortete Ordnung aushalten kann. Wer so handelt, setzt sich dem Verdacht der politischen Erpressung aus. Wenn sich diese Entwicklung fortsetzt, bewegt sich Deutschland auf eine institutionelle Krise des demokratischen Staates auf allen Ebenen der Staatsarc h itektur zu. Die Abgabe politischer Vorrechte von Parlament und Regierung an 80 trend
die Ko n zeption einer instrumentalisierten, angeblichen „Konsenspolitik“ mit Teilnahme der Verbände an der Formulierung und Du rchsetzung von gemeinwohlbestimmter Staatspolitik hat sich als falsch erwiesen. Die „Ko n ze rt i e rte Aktion“ war der Beginn. Das „Bündnis für Arbeit“ markiert das Ende eines Weges, der die Innere So u veränität des demokratischen St a a t e s getroffen und zugleich beschädigt hat. Parlamente werden sich wehren müssen Weichen die genannten Re g i e rungen vor der Attacke gegen die Innere Souveränität des demokratischen Staates zurück, werden sich die Parlamente als einzig legitimierte Mandatsträger der repräsentativen Demokratie wehren müssen, um der Gefahr der Delegitimation der Ordnung als Ganzes zu entgehen. Diese Auseinandersetzung kann die Gewissensfrage aufrufen. Politik beginnt mit der Fähigkeit zur Wahrnehmung der Wirklichkeit und der Einhaltung der Ordnung von Demokratie und Rechtsstaat. Dies gilt für die Verfassung ebenso wie auch für die ungeschriebenen Gesetze der demokratischen Spielregeln. Das Gemeinwohl hängt davon ab, dass die Handlungsrahmen und auch die Grenzen zwischen dem politischen Mandat und dem gesellschaftlichen, ve re i n srechtlich definierten Verbandsmandat beachtet werden. Praktisch und auch rhetorisch!
Der schwerwiegendste Verdacht richtet sich auf totalitäre und autoritäre Te n d e n zen, die es auch in einer Demokratie geben kann. Dies ist von Alexis de Tocqueville bis Friedrich A. von Ha ye k beschrieben worden. Wille zum Handeln muss authentisch sein Allmacht und Ohnmacht: Auf dieser Scheidegrenze bewegen sich die Gewerkschaften. Der Widerstand gegen die Reformblockierer formiert sich. Man muss bei notwendiger kritischer Auseinandersetzung für eine solche freiheitssichernde Politik nur wissen: Demokratische Zivilcourage ist nicht für eine leichte Münze zu haben. Nur diejenigen werden Gefo l g sc haft gewinnen, die sich zur Wahrheit bekennen und auch mutig und sichtbar handeln. Der Wille und das Handeln müssen gleichermaßen authentisch sein. Wer so handeln will, darf sich vor schwierigen En tscheidungen nicht drücken. Die Du rc hsetzungskraft politischer Führung hängt unmittelbar davon ab, dass man notfalls b e reit ist, ein politisches Risiko einzugehen. Wir müssen uns notwendigen En tscheidungen stellen. Mit Charakter und Loyalität, mit dem Mut, sich dann selbst an seinem Tun messen lassen zu müssen. Dank Ich danke den Vorsitzenden und Präsidenten der zurückliegenden 20 Ja h re , Dr. Philipp von Bi s m a rck, Dr. Heiner Weiss, Dr. Dieter Murmann und Pro f. Kurt Lauk, dem Präsidium und den Vorständen für alle Unterstützung. Ich danke meinen Kollegen und Mitarbeitern in den Landesverbänden und hier in Berlin. Ich danke allen für treue Hilfe. V III. Quartal 2003
Wirtschaftstag 2003
12 Prioritäten für Deutschlands Wiederaufstieg zur erfolgreichen Wirtschaftsnation
S
eit Ja h ren flüchtet die Politik in Deutschland vor unbequemen Wahrheiten. Weder die „Agenda 2010“ noch die Vorschläge der Op p o s itionsparteien reichen bisher annähernd aus, um Deutschland wieder zu einem wachstums- und beschäftigungsstark e n Land zu machen.
L Obwohl es für den Wohlstand aller auf mehr wettbewerbsfähige Arbeitsplätze ankommt, räumen wir die hohen Arbeitsmarktblockaden nicht entschlossen aus dem Weg. L Statt die Leistungsfähigkeit von Bürgern und Unternehmen mit niedri1. Staatsstruktur erneuern – Reformfähigkeit stärken Unser Staat steht sich bei Re f o r m e n selbst im Weg. Aufgabenüberlast, Kompet e n z w i r rwarr und Mi s c h fin a n z i e rung bei Bund, Ländern und Gemeinden sow i e permanente Wahltermine sind die Ha u p tursachen. Für die Rückkehr zu einem III. Quartal 2003
gen und einfachen Steuern zu stärken, reißt der Staat immer mehr Au fgaben an sich, bevormundet die Bürger und pro d u z i e rt dabei Re k o rdschulden.
L Obwohl die Sozialsysteme kollabieren, weil unsere Gesellschaft zunehmend älter und kinderärmer wird, fehlen Mut und Überze u g u n g s k r a f t , die Menschen für eine rechtzeitige Eigenvorsorge zu gewinnen. L Statt durch mehr Bildung und Innovationen die Zukunftschancen junger Menschen zu verbessern, lassen wir zu, dass unsere besten Köpfe abwani n n ova t i ven Wettbewerbsföderalismus sind erforderlich:
L die En t flechtung der Ge s e t z g e b u n g skompetenzen – statt wie heute 60 Prozent sollten künftig wieder maximal 10 Prozent aller Gesetze im Bundesrat zustimmungspflichtig sein;
dern und immer mehr Unternehmen ihre Forschung ins Ausland verlagern.
In dieser dramatischen Lage ist die Politik mehr denn je geford e rt, wieder Führungsverantwortung zu übernehmen, statt sich hinter Expertengremien und Runden Tischen zu verstecken. De r Wiederaufstieg Deutschlands erf o rd e rt ein ordnungspolitisch überze u g e n d e s Ge s a m t k o n zept mit klaren Prioritäten für wirtschaftliches Wachstum. Hierzu legen das Präsidium und die Bu ndesfachkommissionen des Wirt s c h a f t srates anlässlich des Wi rtschaftstages 2003 eine gemeinsame „12-Punkte-St r ategie“ vo r :
L eine klare Au f g a b e n z u o rdnung an Bund, Länder und Gemeinden – wenn alle zuständig sind, ist letztlich niemand verantwortlich; L statt Mis c h f i n a n z i e rungen mehr eigene St e u e rquellen der Ge b i e t s k ö rperschaften – Maxime: Wer bestellt, ... trend 81
Steuerarten zu. Der Wirtschaftsrat fordert deshalb in seinem „Finanzpolitischen Perspektivkonzept 2003 bis 2010“:
...
bezahlt; L die Reform des leistungsfeindlichen Finanzausgleichs – die Länder brauchen mehr Anreize für eine standortfreundliche Wirtschaftspolitik.
tumspaktes; L bis 2006 den Staatshaushalt ohne neue Schulden; L bis 2010 den Abbau der Staatsquote auf unter 40 Prozent.
Die Anzahl der Bundesländer sollte von heute 16 auf maximal neun verringert werden. Ohne die Bürgernähe der politischen Entscheidungen und öffentlichen Ve rwaltungen zu gefährden, ermöglicht dies Kostensenkungen im mehrstelligen Milliardenbereich.
Hi e rzu ist es notwendig, drastischer als je zuvor bei den konsumtiven Staatsausgaben zu sparen, eine Rückführung der Su bventionen um mindestens 20 Pro zent zu e r reichen und die Priva t i s i e rung von staatlichen Leistungen sowie von über 100.000 Staatsbetrieben vo r a n z u t reiben. Ge s e t ze sdschungel und Genehmigungsbürokratie müssen mit der Axt und nicht mit der Nagelschere auf das unbedingt Notwendige zurückgeschnitten werden. Der Pe r s onalbestand des öffentlichen Dienstes sollte bis 2006 im Rahmen der natürlichen Fl u ktuation von vier Pro zent um mindestens 100.000 Stellen pro Jahr abgebaut werden.
2. Sparen statt neue Schulden in allen öffentlichen Haushalten Der Rückzug des Staates ist kein Schreckensszenario mit der Folge öffentlicher Armut, sondern ein Fi t n e s s p rogramm für mehr Wohlstand. Trotz einer Staatsquote von fast 50 Pro zent we rden wir die Maastrichter Defizit-Gre n ze im Haushaltsjahr 2003 mit rund vier Prozent erneut massiv überschreiten. Dem Bu n d droht die höchste Neuverschuldung seit der Wiederve reinigung, und die Mehrzahl aller Länder- und Kommunalhaushalte läuft in die Ve rfassungswidrigkeit. De nnoch fehlt in den aktuellen Be s c h l ü s s e n der Bundesregierung ein konkretes Konzept zur Sa n i e rung der St a a t s f i n a n ze n . Wir fordern:
L ein Haushaltssicherungsgesetz für das Jahr 2003; L konkrete Einspar-Vorschläge zur Einhaltung der Schuldenkriterien des europäischen Stabilitäts- und Wachs82 trend
3. Steuersenkungen – jetzt auf den Weg bringen! Statt anhaltender Steuererhöhungsdebatten brauchen wir ein verlässliches Ko n zept für Steuersenkungen und eine drastische Vereinfachung des St e u e r s y stems. Die Behauptung der Bu n d e s re g i erung, Deutschland sei kein Ho c h s t e u e rland, offenbart einen erschreckenden Real i t ä t s verlust. Bei Unternehmensteuern liegen wir in Eu ropa nach wie vor an der Spitze – und mit 66 Prozent Grenzbelastung haben wir die höchsten Abgaben für Arbeitnehmereinkommen. Kein andere s Land der Welt mutet seinen Bürgern 37
L die Abschaffung und nicht die von der Bu n d e s re g i e rung geford e rte Er h öhung der Gewerbesteuer durch die Ei n b eziehung von Fre i b e ruflern und we i t e ren Einkünften (Mieten, Zinsen, Pachten und Leasing-Raten); L die Si c h e rung der Kommunalfinanzen durch einen 10-prozentigen Zuschlag zur Einkommen- und Körperschaftsteuer; L ein St u f e n k o n zept zur Ei n k o m m e ns t e u e r reform, das bis 2006 zu einer jährlichen Nettoentlastung für Bürger und Unternehmen von 40 Milliarden E führt: – Zum 1. Januar 2004 den Abbau der rot-grünen Mittelstandsnachteile gegenüber den Kapitalgesellschaften; – bis 2006 eine international wettbewerbsfähige Gesamtsteuerbelastung von max. 34 Prozent und eine Eingangsbelastung von nur 10,5 Prozent; L den Verzicht auf die Wiedererhebung der Vermögensteuer und die klare Absage an eine Mehrwe rt s t e u e re r h öhung. 4. Arbeitsmarktkonzepte der Volksparteien unzureichend! Re g i e rung und Opposition gehen mit ihren Reformen auf dem Arbeitsmarkt nicht weit genug – die Kernprobleme des deutschen Arbeitsmarktes bleiben nach wie vor ungelöst. Der Bundeskanzler sollte sich endlich aus der Geiselhaft der Gewerkschaften befreien. Der Wi rtschaftsrat ford e rt deshalb:
L die Zulassung betrieblicher Bündnisse für Arbeit mit qualifizierter Mehrheit der Belegschaften, aber ohne VetoRecht der Gewerkschaften; L die Zusammenlegung der Arbeitslosen- und Sozialhilfe auf Sozialhilfen i veau und für erwerbsfähige, aber arbeitsunwillige Empfänger Kürz u n g um 30 Prozent; L beim Arbeitslosengeld die Ei n f ü h ru n g eines Karenzmonats und die Kürzung der Bezugsdauer auf international übliche zwölf Monate; L die Anhebung der gesetzlichen Kündigungsschutz-Schwelle nicht nur für Neueinstellungen, sondern für alle Arbeitnehmer in Betrieben mit bis zu ... III. Quartal 2003
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20 Beschäftigten; L die Ve reinfachung der Sozialauswahl bei betriebsbedingten Kündigungen, um Leistungsträger im Unternehmen halten zu können. Die angestrebte Ausweitung der Zeitarbeit wird nur zu erreichen sein, we n n der Tarifzwang für die Leiharbeitnehmer wieder abgeschafft wird. 5. Mehr Effizienz in der deutschen Mitbestimmung Unternehmen können nur gemeinsam mit ihren Mitarbeitern erfolgreich sein, doch in keinem anderen Land der Welt ist die Mitbestimmung so ineffizient. Nirgendwo sonst können externe Gewe rk s c h a f t s f u n k t i o n ä re in den Aufsichtsräten betriebliche Entscheidungen behindern wie bei uns. Das schre c k t Investoren ab und treibt deutsche Unternehmen ins Ausland. Für eine moderne Corporate Governance – insbesondere auch im Hinblick auf die Einführung der Eu ropa AG zum Oktober 2004 – brauchen wir:
L ein Wa h l recht deutscher Unternehmen, sich für paritätisch besetzte Aufsichtsräte zu entscheiden sowie L eine Option, auf die strikte Trennung zwischen Vorstand und Aufsichtsrat zu verzichten; L die Verkleinerung der Aufsichtsräte von Unternehmen auf die Hälfte. Zugleich sollte die jüngste Novelle des Be t r i e b s ve rf a s s u n g s g e s e t zes zurückgenommen werden, die mit einer Fülle von zusätzlichen Kosten und neuen Inflexibilitäten verbunden ist. Ge n e rell sollte die betriebliche Mitbestimmung bei Unternehmensgründungen in den ersten fünf Jahren ausgesetzt werden. 6. Neue Rentenreform noch 2003 ins Gesetzbuch Die Politik sollte sich von der Lebenslüge verabschieden, der Lebensstandard im Alter könne nur durch die gesetzliche Rente aufrechterhalten werden. Trotz steigender Beiträge brechen die Leistungen für die jungen Generationen immer weiter ein. Ursachen sind der Anstieg der L e b e n s e rw a rtung pro Dekade in De u t s c hland um zwei Jahre und von Generation zu Generation ein Drittel weniger Kinder. III. Quartal 2003
An einem Ausbau des privaten VorsorgeSp a rens führt daher kein Weg vorbei. Hierzu brauchen alle Bürger finanziellen Spielraum, um stärker und schneller vorzusorgen. Notwendig sind:
L die dauerhafte Begrenzung des gesetzlichen Rentenbeitrags auf unter 20 Prozent; L die schrittweise Anhebung des Ei ntrittsalters für die volle Rente auf 67 Jahre; L der Ausbau der privaten Kapitaldeckung auf mindestens 40 Prozent der Alterseinkünfte; L zwei statt elf Riester-Kriterien bei der Privat-Vorsorge – Auszahlung nach dem 60. Lebensjahr und NominalwertGarantie der eingezahlten Be i t r ä g e . 7. Gesetzlichen Krankenkassenbeitrag auf zehn Prozent senken Der Regierungsentwurf zur Ge s u n dh e i t s reform schafft nicht den dringend notwendigen Kurswechsel: Die gegenwärt i g e n Vorschläge laufen darauf hinaus, zu steigenden Kosten die Leistungen immer weiter zu verringern. Weder auf die demographische Herausford e rung noch auf den kostspieligen medizinischen Fo rtschritt gibt die Bu ndesregierung eine Antwort. Statt Re f o r m St ü c k we rk brauchen wir eine grundlegende Umstellung des Ge s u n d h e i t s wesens. Nach dem WR-Konzept können die gesetzlichen Kassenbeiträge auf zehn Pro zent gesenkt we rden. Dies erf o rdert:
L den Einstieg in die kapitalgedeckte
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Eigenbeteiligung von zehn Pro zent bis 2010 und insgesamt 30 Pro zent bis 2030; die Einführung sozial verträglicher Selbstbehalte von jährlich bis zu 500 E; die private Absicherung von Freizeitunfällen, des Za h n b e reichs sowie des Krankengeldes; mehr Vertragsfreiheiten und We t t b ewerb für Ärzte, Apotheken, Kassen und Krankenhäuser sowie den Abbau von mindestens 50.000 Krankenhausbetten.
8. Leadership in Innovation – die Märkte der Zukunft gewinnen Deutschland ve r l i e rt als In n ova t i o n sstandort zunehmend an Bedeutung. Unsere besten Forscher wandern ins Ausland ab. Statt mehr in die Zukunft junger Menschen zu inve s t i e ren, erreichen wir bei den Bildungsausgaben nicht einmal mehr den OECD-Du rchschnitt. Unser Bildungssystem braucht dringend mehr Wettbewerb, mehr Leistungsorientierung und eine gezielte Elitenförderung:
L eine Studentenauswahl durch die Hochschulen – nicht durch die ZVS; L die Einführung sozialve rt r ä g l i c h e r Studiengebühren für einen Qualitätssprung in Lehre und Forschung; L eine Verbeamtung von Lehrern und Professoren nur in Ausnahmefällen; L die Förd e rung von Unternehmensausgründungen aus den Universitäten, um die Vermarktung von Forschungs- ... trend 83
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ergebnissen zu beschleunigen. Unsere Zukunft in der globalen In f o rmationsgesellschaft hängt mehr denn je davon ab, dass wir die Medienkompetenz aller Bürger stärken, die preiswe rte Nutzung der Kommunikationsnetze ermöglichen und zugleich unseren internationalen Rückstand beim e-Government überw i n d e n .
auf nationaler und europäischer Eb e n e ; L die Förderung der Energieforschung zur Beschleunigung der Ma rk t re i f e und Wi rtschaftlichkeit Erneuerbarer Energien sowie neuer umweltfreundlicher Energiesysteme; die Rückführung der Steinkohle-Su bve n t i onen.
9. Energie- und Umweltpolitik zum Standortvorteil entwickeln Energie- und Um weltpolitik we rden immer mehr zu einem ideologiegetriebenen Experimentierfeld, statt sie zu einem Standortvorteil zu entwickeln. Die einseitige Ausrichtung der Bundesregierung auf umweltpolitische Ziele ohne jegliche Ko s t e n - Nu t zen-Analyse gefährdet eine wirtschaftliche En e r g i e versorgung, treibt u n s e re Schlüsselindustrien ins Au s l a n d und schadet damit letztlich der Umwelt. Wir brauchen dringend ein konsistentes energie- und umweltpolitisches Ge s a m tkonzept mit folgenden Eckpunkten:
10. Wirtschaftswachstum braucht mehr Mobilität Globalisierung, EU-Os t e rwe i t e rung und Wirtschaftswachstum erfordern mehr und nicht weniger Mobilität. Di e Bundesregierung hingegen will dem prognostizierten Verkehrswachstum d u rch eine im internationalen Vergleich we i t e reVerteuerung von Ve rk e h r s l e i s t u ngen über Steuern und Abgaben begegnen. Dabei sind deutsche Anbieter im internationalen Wettbewerb schon heute massiv benachteiligt. Zur St ä rkung der Leistungsfähigkeit unseres Verkehrssystems sind notwe n d i g :
L einen ausgewogenen Mix aller En e rgieträger für eine langfristig sichere , we t t b ewerbsfähige und umwe l t ve rträgliche Versorgung; L mehr Wettbewerb bei Strom und Gas in Deutschland – möglichst auf Basis der Verbändevereinbarungen; Bürokratie und Kosten einer neuen Wettbewe r b s b e h ö rde müssen niedrig gehalten werden; L die Abstimmung von Energiesteuern sowie Klima- und Umweltregelungen
L mehr Public-Private-Pa rtnerships zur Fi n a n z i e rung der Verkehrsinfrastruktur; L die vollständige Ve rwendung der LKW-Maut für die Straße; L ein neuer Bu n d e s verkehrswegeplan, der sich an Mark t b e d ü rfnissen und nicht an Ideologien orientiert; L die St ä rkung des Wettbewerbs im S c h i e n e n ve rkehr – national und international; L der we l t weite Abbau von Su bve n t i o-
nen im Luftverkehr. 11. Handlungsunfähigkeit und Spaltung der EU beenden Ohne größere Tr a n s p a renz und Handlungsfähigkeit verliert Eu ropa die Unterstützung seiner Bürger. In der Außen- und Sicherheitspolitik sollte die EU endlich mit einer Stimme spre c h e n . Der Wi rtschaftsrat setzt sich für einen europäischen Verfassungsvertrag ein, der einen föderalen und konsequent mark twirtschaftlichen Kurs der EU sichert . Dies erf o rd e rt:
L keinen neuen Zentralismus in der Wi rtschafts-, Sozial- und Be s c h ä f t igungspolitik, sondern die Be s c h r ä nkung auf konkret benannte EU-Kompetenzen; L ein De f i z i t ve rf a h ren ohne Veto der EU-Finanzminister und den Er h a l t der Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank; L schlanke Institutionen und effiziente Abstimmungsregeln; ein Kongress der Völker oder ein starker Ratspräsident verwischen nur die Zuständigkeiten; L eine Deckelung des EU-Ha u s h a l t s auch nach 2006 und die Ve r h i n d erung eines neuen Protektionismus gegen die Beitrittsländer. Die Integration offener Märkte mit f reiem Wettbewerb muss die Triebfeder für den Aufholprozess der mittel- und osteuropäischen Staaten sein. Entscheidend für den Beitritt zur Euro-Zone bleibt die Erfüllung der Maastrichter Kriterien. 12. Kräfte freisetzen für mehr Leistung Deutschland braucht keine neuen De t a i l reformen, sondern eine gru n d l egende Neuorientierung der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik.
L Leistung muss sich wieder lohnen! L Ei g e n i n i t i a t i vedarf nicht länger durch B ü rokratie und Be vormundung erstickt werden. Mit seinen Prioritäten möchte der Wirtschaftsrat einen Anstoß für den wirtschaftlichen Wiederaufstieg Deutschlands geben. Die Menschen sind durchaus zu Einsparungen und Opfern bereit. Sie verlangen allerdings von der Politik zu Recht 84 trend
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Die Reform der Staatsordnung – Flexibilität und Dynamik gewinnen
Podium I In das Thema ,,Die Reform der Staatsordnung – Flexibilität und Dynamik gewinnen“ führten ein: Erwin Teufel MdL, Ministerpräsident des Landes Ba d e n - W ü rttemberg sowie Pro f. Dr. Dr. Udo Di Fabio, Richter des Bu n d e s verfassungsgerichtes. Unter der Moderation von St e f a n Ba ron, Chefredakteur Wirtschaftswoche, d i s k u t i e rten: Karl-Josef Baum, Ge n e r a lb e vollmächtigter der Metro AG; El m a r Brok MdEP, Vorsitzender des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten und Vo r s i t zender der EV P - Gruppe im EUKo n vent zur Zukunft Eu ropas; Dr. Nikolaus Schweickart, Vo r s i t zender des Vorstandes der Altana AG sowie Prof. Dr. Wolfgang Wiegard, Un i versität Re g e n sburg, Vo r s i t zender des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. 86 trend
Karl-Josef Baum Generalbevollmächtigter der Metro AG Der Ge n e r a l b e vollmächtigte der Metro AG, Karl-Josef Baum, ford e rte Bu nd e s re g i e rung und Opposition zur Zu s a mmenarbeit auf. „Die Politik hat nun die Aufgabe, sich den He r a u s f o rderungen auch in einer selbstkritischen Art und Weise zu stellen und die Zukunft De u t s c hlands aktiv zu gestalten“, sagte Baum. Di e Me t ro AG begrüße jeden Schritt der Po l itik in die richtige Richtung. So habe zum Beispiel die positive Erf a h rung mit der Te i l l i b e r a l i s i e rung des Ladenschlussgesetzes mit verlängerten Öffnungszeiten an Samstagen um vier Stunden gezeigt, dass es in Deutschland wirtschaftliche Potenziale gebe, die relativ einfach freigesetzt we rden könnten. Konsum habe viel mit der Einschätzung der künftigen En t w i c klung, mit „Konsumlaunen“ zu tun. Di e rot-grüne Koalition habe aber in ihre r A m t s zeit viel zur Ve ru n s i c h e rung der Ko n-
sumenten beigetragen. Der Generalbevo l lmächtigte der Me t roAG betonte, dass nun alle Pa rteien geford e rt seien, ernsthaft und k o n s t ruktiv zusammenzuarbeiten und auf wahltaktische Auseinandersetzungen zu ...
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Prof. Dr. Dr. Udo Di Fabio Richter des Bundesverfassungsgerichtes tuiert bestehe, wie dies durch die Praxis in den beiden Kammern des Parlamentes zum Ausdruck komme. Darum müsse im Einklang mit der Gru n d k o n zeption der Deutschen Ve rfassung ein „Rückbau der St ru k t u ren mit Mischverantwortung“ betrieben werden. „ K l a re re Muster von Kompetenzen und Risiken würden womöglich auf Kosten der einheitlichen Lebensve r h ä l tnisse gehen, aber die Verantwortung von Landesre g i e rungen und Landesparlamenten wieder sichtbarer machen“, betonte Di Fabio: „Das hieße: Klare Kompetenzabgrenzung, Trennung der Staatseinnahmen nach Ebenen, Ab flachung der ve rt ikalen und horizontalen Ausgleichssysteme.“ Udo Di Fabio, Richter am Bundesve rfassungsgericht, ve rtrat die Auffassung, dass sich die Bundesrepublik bereits häufiger in Krisen wähnte, die bei Licht betrachtet gar keine gewesen seien. Heute aber erschalle der „Ruf der Kassandra“ aus dem Mund seriöser Wissenschaftler, internationaler Organisationen, Banken und statistischer Ämter. „Deutschland scheint heute in einer tief greifenden Strukturkrise“, sagte Di Fabio. Zur Diskussion um eine Reform des institutionellen Staatsgefüges sagte der Verfassungsrichter, dass die „demokratische Selbstblockade“ durch die stark e L ä n d e rkammer in der föderal ve rfassten Bundesrepublik hemmend wirken könne. Dennoch sei zu bedenken, dass der Ei nfluss der Länderkammer auf die Bu n d e sgesetzgebung den Volkswillen widerspiegele. „Wer den Ei n fluss des Bundesrates auf die Bundesgesetzgebung beschneiden will, beschneidet zugleich den Vo l k s w i llen, der seit Ja h rzehnten über die Länderparlamente Mäßigung und Ko r rektur der Re g i e rungsmehrheit im Bund erstre b t , “ warnte Di Fabio. Gleichwohl sei heute darüber nachzudenken, ob der „ve r ä n d e ru n g s a ve r s e “ Bürgerwille in der Realität noch so akze nIII. Quartal 2003
Die eigentlichen He r a u s f o rderungen Deutschlands seien einerseits die Internat i o n a l i s i e rung und die Europäisierung der politischen Herrschaft und andere r s e i t s der Verlust von Vitalität und Wachstumskräften durch die Überalterung und gesellschaftliche Kinderarmut. Die beiden Entwicklungen we rd e n nach Einschätzung Di Fabios aber noch nicht angemessen erfasst. „Doch wie immer das Schicksal von Reformansätzen aussehen wird, insgesamt wirkt die deutsche Gesellschaft vergleichsweise unbeweglich und ohne ausreichend scharf e n Blick für die Grundlagen des Wi rt s c h a ftens und Re g i e rens“, kritisierte der Ve rfassungsrichter. Die europäischen Völker stehen nach den Wo rten Di Fabios vor der Frage, ob sie als Subjekt im Pro zess der Weltgesellschaft noch eine tragende Rolle spielen können und wollen. „Die we i t e re Ze n t r al i s i e rung der Eu ropäischen Union (EU) kann eine Antwort, sie kann aber auch eine Illusion sein“, warnte der Richter. Stark sei die Europäische Union nur, wenn ihre Mitgliedstaaten zentrale Pro bleme in eigener Verantwortung lösen könnten. „Un b ewegliche und überschuldete, durch ein zu enges Korsett des Rechts eingeschnürte Staaten sind keine geeignete Grundlage für eine gesunde
Integration“, mahnte Di Fabio. „Die EU d a rf nicht zu einem Riesen auf tönernen Füßen we rden.“ Auch die hausgemachten Probleme der Mitgliedstaaten könne die Eu ropäische Union nicht lösen. „Die EU darf nicht die Fehler in der wohlfahrt s t a a tlichen Entwicklung und des Staatsinterventionismus wiederholen“, betonte Di Fabio. Wenn Deutschland im Inneren Flexibilität zurückgewinnen wolle, sollte es zudem nicht ohne we i t e res einer Fo rt e n twicklung des Europäischen Vertragsrechts zustimmen, die durch die Einführung von Mehrheitsentscheidungen in zentralen Feldern wie der Einwanderung, dem Umfang von Sozialleistungen, der fin a nziellen Ausstattung der EU oder der We it e rentwicklung der Vertragsgrundlagen dem Mitgliedsland Eigenständigkeit nimmt. „Die Au s weitung der Mehrheitsentscheidung wahrt die Funktionsfähigkeit der Union und ihrer Staaten nur dann, wenn dies mit einer klaren Zu s t ä n d i gkeitsbeschränkung einhergeht“, sagte Di Fabio. Nachhaltige Dynamik we rde überdies künftig nur dann entstehen, wenn die derzeitige Altersentwicklung der deutschen und europäischen Gesellschaft im Trend angehalten oder umgekehrt we rde und die individuelle Leistungsbereitschaft deutlicher als bisher zum Maßstab staatlicher Verhaltenssteuerung gemacht we rde. „Wenn die Ve rfassung reformiert we rden soll, wäre es an der Zeit, die Ge m e i n s c h a f t s g rundlagen der Republik wieder klar anzusprechen: Wirtschaftlicher Leistungswille, Gemeinschaftssinn und El t e r n ve r a n tw o rtung sind die Fundamente jeder Gesellschaft – alle drei Einstellungen müssen viel nachdrücklicher als bisher geförd e rt we rden“, re s ü m i e rte Di Fabio. Nur auf diesen Fundamenten lasse sich die „große Idee“ der Sozialen Ma rktwirtschaft fort f ü h ren, unterstrich der Verfassungsrichter. trend 87
Wunder, dass sich die Ve rt reter so vieler Völker auf eine Verfassung einigen konnten“. Brok betonte, dass der Konvent ein vollständiges Ve rfassungsmodell und nicht verschiedene Optionen vorgelegt habe. Bedauernswert sei indes, dass die institutionelle Balance bei dem Verfassungsentw u rf nicht gew a h rt sei. „Die Schaffung des neuen hauptamtlichen Ratspräsidenten im Be reich der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik wird unauswe i c h l i c h dazu führen, dass Konflikte mit dem Kommissionspräsidenten und den Au ß e nministern pro g r a m m i e rt sind“, warnte der CDU-Politiker.
... ve rzichten. „Jammern ist keine unternehmerische Aktion“, sagte Baum. Krisen seien auch eine He r a u s f o rd e rung, aus der die weitsichtig orientiert Handelnden gestärkt hervorgingen. Die in der „Agenda 2010“ formulierten Ziele für die Wi rtschafts- und Sozialpolitik seien zwar ein richtiger Ansatz, die jedoch bei we i t e m nicht ausreichten, um die stru k t u re l l e n Probleme in Deutschland zu lösen und die Bu n d e s republik zurück auf einen nachhaltigen Wachstumspfad zu führen. Elmar Brok Vorsitzender des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten und Vorsitzender der EVP-Gruppe im EU-Konvent zur Zukunft Europas „Für die Eu ropäische Union ist der Abschluss des Verfassungskonvents ein
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historisches Ereignis“, sagte Elmar Bro k (CDU), Vorsitzender der EV P - Gruppe im E U - Ko n vent zur Zukunft Eu ropas. Di e Arbeiten des Verfassungskonvents seien ein wesentlicher Fo rtschritt im Vergleich zum Vertrag von Nizza. „Was die 105 Mitglieder der ersten Eu ropäischen Ve rf a ssung erarbeitet haben, geht weit über das hinaus, was in Maastricht, Amsterdam und Nizza erreicht wurde“, sagte Brok. Seiner Ansicht nach sollte das beschlossene Paket von den EU-Re g i e ru n g s c h e f s nicht aufgeschnürt we rden. Brok beze i c hnete die Arbeit der EV P - Gruppe im Verf a s s u n g s k o n vent als Erfolg, weil sie vo n Anfang an Ziel orientierte Fo rd e ru n g e n eingebracht habe und diese auch maßgeblich habe umsetzen können. „Vor allem ist die Ve rfassung an We rte gebunden“, so der CDU-Politiker, „manches könnte zwar besser sein, aber es ist schon fast ein
Dr. Nikolaus Schweickart Vorsitzender des Vorstandes der Altana AG Nikolaus Schwe i c k a rt forderte, dass sich die geistigen, politischen und wirtschaftlichen Eliten des Landes an die Sp i t ze eines Reformkurses stellen sollten und die Bürger mit der „unerfreulichen Realität“ konfro n t i e ren müssten. „Da s klingt banal, findet aber schon bei Wahlkämpfen regelmäßig nicht statt“, konstat i e rte der Vorstandschef von Altana. Di e „Agenda 2010“ der Bu n d e s re g i e rung sei ein richtiger Ansatz, könne aber nur ein Anfang sein, betonte Schwe i c k a rt. De r Altana-Chef regte ferner an, die Gesetzgebungskompetenzen zwischen Bund und Ländern neu zu regeln. „Die Länder sollen dabei mehr Eigenständigkeit erhalten und der Bund nur die Aufgaben übernehmen, die einer einheitlichen bundesstaatlichen Lösung bedürfen.“ Die Mitsprache der Länder bei der Bundesgesetzgebung sei im Gegenzug zu begre n zen. Auch eine Ab- ... III. Quartal 2003
Oskar Lafontaine an. Moralische Appelle an die jeweilige Opposition, die in den Ländern die Mehrheit habe, gingen am Kern des Problems vorbei, erläuterte der Wirtschaftswissenschaftler. „Die jeweilige Bundesratsmehrheit verhält sich aus ihrer Sicht durchaus rational, das Problem sind die institutionellen Regelungen, die ein solches Bl o c k a d e verhalten ermöglichen.“ Diese seien darum so zu ändern, dass Zuständigkeiten und Verantwortungen klar zugewiesen we rden und effiziente En t s c h e i d u n g s s t ru k t u ren entstehen. „Grundsätzlich gilt: Der kooperative Föderalismus muss durch einen We t t b e-
... schaffung des Bundesrates müsse in diesem Zusammenhang erwogen we rd e n . „Das Subsidiaritätsprinzip sollte maßgebliches Organisationsprinzip unserer gesellschaftlichen Ordnung sein“, betonte der Manager. In der Tendenz müsse bei einer
finanzielle Verantwortung kaum mehr zuzuordnen.“ Prof. Dr. Wolfgang Wiegard Universität Regensburg, Vorsitzender des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung Für den Vo r s i t zenden der Wirt s c h a f t sweisen, Wolfgang Wi e g a rd, sind die föderalen Institutionen und En t s c h e idungsstru k t u ren mitve r a n t w o rtlich für den viel beklagten Reformstau in Deutschland. „Selbst bescheidene Re f o r m vorhaben der Bu n d e s re g i e rung d rohen im Bundesrat blockiert zu we rden“, kritisierte der Wirtschaftsweise. Als Beispiele führte Wiegard die Reform der Handwerksordnung, das geplante Vorziehen der St e u e r reform und die Bl o c k a d epolitik des einstigen SPD-Vorsitzenden
werbsföderalismus ersetzt we rden“, forderte Wiegard. Dazu müssten die folgenden drei Prinzipien re a l i s i e rt we rden: Autonomie, fiskalische Äquivalenz und das Konnexitätsprinzip.
Reform des Staatsorganisationsrechts mehr Verantwortung „nach unten“ verlagert werden, dazu parallel solle die Steuerhoheit der Länder und die Stellung der Gemeinden gestärkt we rden. „Der Trennung von Aufgaben muss zudem die klare Zu o rdnung von Finanzmitteln folgen“, sagte Schwe i c k a rt. Er kritisierte, dass heute mehr als vier Fünftel der Steuereinnahmen in den Ländern eingenommen würden und anschließend mit einem k o m p l i z i e rten Schlüssel zwischen Bu n d , Ländern und Gemeinden aufgeteilt würden. „Da d u rch ist die politische und III. Quartal 2003
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Neue Prioritäten in der Steuerpolitik – Entlastung und Strukturreformen
Podium II In das Thema ,,Neue Prioritäten in der Steuerpolitik – Strukturreformen und Entlastung“ führten ein: Pro f. Dr. Hermann Re m s p e r g e r, Chefvo l k s w i rt und Mitglied des Vorstandes der Deutschen Bundesbank sowie RA Friedrich Merz MdB, stellve rtretender Vo r s i t ze nder der CDU/CSU-Fraktion im De u tschen Bundestag. Unter der Moderation von Carl Graf Hohenthal, stellvertretender Chefredakteur, Die Welt, diskutierten: Pro f. Dr. Ku rt Faltlhauser MdL, Ba ye r i s c h e r Staatsminister der Fi n a n zen; Volker Halsch, Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen; Dr. Jochen Krautter, Finanzvorstand und persönlich haftender Gesellschafter der Henkel KGaA sowie Dr. Michael Rogowski, Präsident des Bu n d e s verbandes der De u t s c h e n Industrie e.V. 90 trend
Prof. Dr. Kurt Faltlhauser Bayerischer Staatsminister der Finanzen
Die Steuerpolitik der Bu n d e s re g i erung ist nach Einschätzung des baye r ischen Finanzministers Ku rt Faltlhauser (CSU) die wesentliche Ursache für einen Vertrauensverlust der Be v ö l k e rung in die Re g i e rung. „Die Bu n d e s re g i e rung hat die Unternehmen und die Bürger in der Summe nicht wirklich entlastet, sondern durch eine Vielzahl von St e u e re r h ö h u ngen belastet“, stellte Faltlhauser fest. De r Minister betonte, dass die Finanzpolitik dazu beitragen müsse, die Leistungsbereitschaft der Menschen, den In ve s t itionswillen der Unternehmen und damit die Grundlage für wirtschaftliches Wachstum nicht zu beeinträchtigen. Faltlhauser zufolge sind die entscheidenden Fa k t o ren für eine gute Steuerpolitik langfristige Verlässlichkeit, eine deutliche Senkung der Steuerbelastung, Tr a n s p arenz und Einfachheit des Steuersystems
und nicht zuletzt Steuergerechtigkeit: „Nur eine konstante, nicht von hektischen Schnellschüssen und Zi c k z a c k Entwicklungen belastete Steuerpolitik schafft Vertrauen für Bürger und In ve s- ...
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Prof. Dr. Hermann Remsperger Chefvolkswirt und Mitglied des Vorstandes der Deutschen Bundesbank von vorne herein Me h reinnahmen aus einer erhofften Wachstumsbelebung in die Planungen einkalkuliert we rd e n “ , warnte Re m s p e r g e r, weil eine wachstumsgerechte Konsolidierungspolitik wegen der hohen Abgabenbelastung nicht zu St e u e rerhöhungen Zu f l u c h t nehmen dürfe.
„ Die deutsche Wi rtschaft befindet sich in einer hartnäckigen Stockungsphase, die auch durch den Reformstau in der Wi rtschafts- und Finanzpolitik ve rursacht worden ist“, kritisierte der Chefvo l k s w i rt der Bundesbank, Hermann Re m s p e r g e r. Zur Überwindung der Wachstumsschwäche seien vo rd r i n g l i c h verlässliche staatliche Rahmenbedingungen für das wirtschaftliche Handeln erforderlich, sagte Remsperger. Der Chefvo l k s w i rt der Bundesbank betonte, dass insbesondere an einer Konsolidierung der öffentlichen Ha u s h a l t e kein Weg vorbei führe. „Sie ist auch konjunkturpolitisch nicht schädlich“, sagte Re m s p e r g e r. Hohe staatliche Defizitund Schuldenquoten nährten hingegen die Be f ü rchtung we i t e rer Ab g a b e n e rhöhungen in der Zukunft, wodurch der Attentismus von Konsumenten und Unternehmen weiter geförd e rt we rd e . „ Eine klare Konsolidierungslinie, die möglicherweise sogar die Erwartung einer sinkenden Abgabenlast stützt, kann insofern wachstumsfördernd wirk e n “ , sagte Remsperger. Um dieses Ziel zu erreichen, müsse der geplante Defizitabbau allerd i n g s glaubwürdig sein und von den politischen Entscheidungsträgern hinreichend konkre t i s i e rtwe rden. „Auch sollten nicht III. Quartal 2003
Die deutsche Finanzpolitik stehe deshalb vor der Notwendigkeit, auf der einen Seite die Ko n s o l i d i e rung der Staatsfinanzen betreiben zu müssen und auf der anderen Seite die staatlichen Abgaben zu senken. „Daraus folgt erstens: Der dringend erforderliche Defizitabbau darf nur über die Ausgabenseite e rfolgen. Zweitens kommen we i t e re St e u e rentlastungen erst in Frage, wenn dafür nach erfolgtem Defizitabbau haushaltspolitischer Spielraum besteht“, betonte der Chefvo l k s w i rt der Bu n d e sbank. Remsperger hob ferner hervo r, dass das deutsche Steuersystem durch eine hohe tarifliche Grenzbelastung geprägt sei, die zu zahlreichen Ausweichreaktionen der Steuerpflichtigen führe. Daher bestehe Bedarf, die Grenzbelastung weiter zu senken. „Wie schnell und wie weit man hier gehen kann, hängt von der staatlichen Haushaltslage und den Möglichkeiten der Ge g e n f i n a n z i e rung ab“, stellte Remsperger klar. Wolle man weitere Steuersenkungen vor dem De fiz i t a bbau realisieren, müssten diese vollständig gegenfinanziert werden. „Hierfür kommen ein umfassender Abbau von Steuervergünstigungen und eine Um s c h i c htung von direkten zu indirekten Steuern in Betracht“, sagte Remsperger. Angesichts der drängenden Fi n a n zp robleme der Kommunen sprach sich der Chefvo l k s w i rt gegen eine „Re v i t a l isierung“ der Gewerbesteuer aus, wie sie die Bu n d e s re g i e rung plant. Er ford e rte stattdessen ein kommunales Zuschlagsrecht der Gemeinden zur Einkommenund Körperschaftsteuer und eine höhere Beteiligung an der Umsatzsteuer. Remsperger betonte, dass die Steuerpolitik vor allem wieder kalkulierbare r
werden müsse. „Weitere steuerpolitische Reformen sollten in ein konsistentes Ge s a m t k o n zept integriert we rden, dass den Wirtschaftsakteuren verlässliche längerfristige Perspektiven aufzeigt.“ Das St e u e r recht müsse sich wieder auf seine Kernaufgabe der staatlichen Ei n n a h m e e rzielung konze n t r i e ren und d u rch den Abbau von St e u e rve r g ü n s t igungen wieder neutraler we rden und damit auf politisch beabsichtigte Lenkungswirkungen verzichten. „ Dies würde auch die Transparenz fördern und zum Bürokratieabbau beitragen“, sagte Remsperger. Auf diese Weise könne auch der Weg zu niedrigeren Steuersätzen geebnet werden. Ferner sollten bei einer umfassenden Reform des Steuerrechts Unterschiede in der Be s t e u e rung der Gew i n n ve rwe ndung, der Einkommensarten und der Un t e r n e h m e n s rechtsformen abgebaut werden, um die damit verbundenen allokativen Verzerrungen zu beseitigen. Dringend erf o rderlich sei auch eine Ne u o rdnung und Harmonisierung der Be s t e u e rung von Kapitaleinkommen. „ Eine Abgeltungsteuer auf Kapitalert r ä g e w ä re hier ein richtiger Schritt“, sagte Remsperger. Um jedoch das Risikokapital nicht zu benachteiligen und die Fremdfinanzierung nicht zu begünstigen, müsse der Abgeltungssteuersatz in Höhe des Körperschaftsteuersatzes festgelegt werden, betonte der BundesbankVolkswirt. „Auch wenn ein solch durchgreifender Reformentwurf nicht in den kommenden Jahren realisierbar wäre, könnte er doch als steuerpolitisches Leitbild dienen“, sagte Re m s p e r g e r. Mit ve r l ä s slichen Pe r s p e k t i ven, die eine sinkende Abgabenlast einschlössen, ließe sich die Veru n s i c h e rung der Wi rtschaftsakteure überwinden. „Ein unve rz i c h t b a res El ement einer solchen Strategie müsste freilich ein glaubhafter, auf Au s g a b e n b eg renzung gerichteter Ko n s o l i d i e ru n g skurs sein“, betonte der Bundesban kVolkswirt. trend 91
RA Friedrich Merz MdB Stellv. Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag Erforderlich sei darum, dass der Gesetzgeber in Abweichung von Fl ä c h e ntarifverträgen betriebliche Bündnisse für Arbeit legalisiere. „Das hat wirt s c h a f t spolitisch absolute Priorität“, betonte Me rz. „Die Tarifvertragsparteien haben offenkundig durch die Blockadehaltung einer Reihe von Gewe rkschaftsfunkt i o n ä ren gezeigt, dass sie nicht mehr in der Lage sind, durch ihre Tarifabschlüsse gesamtwirtschaftliche Verantwortung zu dokumentieren“, kritisierte Merz.
„Niemand in der Union ist gegen Steuersenkungen“, stellte der stellvertretende Fraktionsvo r s i t zende der Union im Bundestag klar. „Wir befürworten und dringen auf eine möglichst schnelle und durchgreifende Entlastung.“ Indes könne die Union nach Auffassung von Merz dem von der rot-grünen Bu n d e s re g i erung geplanten Vorziehen der St e u e r reform 2005 um ein Jahr auf den Anfang des Jahres 2004 im Bundesrat nur unter Bedingungen zustimmen. Vo rdringlich ist für Me rz, dass zuvo r die Prioritäten bei der Reform des A r b e i t s m a rktes und der Sozialsysteme richtig gesetzt we rden. „Zunächst muss in Deutschland der Arbeitsmarkt in Ordnung gebracht we rden“, ford e rte der CDU-Politiker. Nach Auffassung vo n Me rz gehört dazu insbesondere eine Neujustierung der Lohnfindungssysteme. Der stellve rt retende Un i o n s f r a ktionschef ve rwies darauf, dass Bu n d e skanzler Ge r h a rd Schröder (SPD) in seiner Re g i e rungserklärung am 14. März diesen Ja h res vor dem Deutschen Bu ndestag eine Öffnung der Fl ä c h e n t a r i fve rträge in Aussicht gestellt habe, sofern dies notwendig sei. Nach Au f f a s s u n g von Merz hat spätestens der St reik der Industriegewe rkschaft Metall in Os tdeutschland diesen „casus belli“ gelief e rt. 92 trend
Es sei nicht länger hinnehmbar, dass sich solche Vorgänge mit dem Verweis auf die Tarifautonomie jeglicher Ko mmentierung durch die Politik entzögen, weil die daraus resultierenden Probleme schließlich zu Lasten der Allgemeinheit gingen. Vor einer breit angelegten Steuerentlastung muss nach Ansicht von Merz ferner eine Übereinkunft über eine grundlegende Reform der beiden sozialen Sicherungssysteme stehen. „Wir werden seit Jahren darauf hing ewiesen, dass wir in unseren sozialen Transfersystemen falsche Anre i ze gegen eine Rückkehr in den regulären Arbeitsm a rkt setzen“, sagte Me rz. Für arbeitsfähige Sozialhilfeempfänger müsse künftig der Grundsatz gelten, dass keine Leistung mehr ohne Gegenleistung gewährt we rde. „Im Klartext: Über eine solche grundlegende Reform der sozialen Tr a n sfersysteme Arbeitslosen- und Sozialhilfe muss vor jeder steuerlichen Entlastung eine Entlastung der öffentlichen Haushalte auf der Ausgabenseite dauerhaft statuiert werden“, forderte Merz. In diesem Zusammenhang kritisierte der CDU-Politiker, dass den gro ß e n s t ru k t u rellen Problemen der Sozialkassen in der Vergangenheit häufig mit einer Umfinanzierung von Beiträgen zu Steuern begegnet worden sei. „Wenn mehr als 30 Prozent des Bundeshaushalts als laufender Zuschuss in die Rentenve r s i c h erung zu zahlen sind, dann muss vor jeder grundlegenden Steuerreform und weiteren Steuersenkung dieses Problem mit einer grundlegenden Reform der deutschen Rentenversicherung gelöst werden“, betonte Merz.
Eine höhere Steuerfinanzierung sei indes genau der falsche Weg. „Wir befinden uns in einem weltweiten Steuerwettb ewe r b, und dies muss De u t s c h l a n d beachten, wenn es hier zu langfristig tragfähigen Konzepten kommen soll“, sagte Merz. Vordringliche Aufgabe der Steuerpolitik sei gegenwärtig das Zu r ü c k g ewinnen von Ve rtrauen. „Ve rtrauen ist aber nicht zurück zu gewinnen, wenn bei jeder sich bietenden Gelegenheit über die Wiedereinführung der Vermögensteuer, über die Erhöhung der Erbschaftsteuer, über die Erhöhung der Mehrwertsteuer und über die Erhebung einer Ausbildungsplatzabgabe diskutiert wird“, sagte Me rz an die Ad resse der rot-grünen Regierungskoalition. Die von der Bu n d e s re g i e rung g e f ü h rte Debatte über Steuererhöhungen müsse umgehend beendet we rden. „Dann wird es auch wieder Vertrauen in den Wi rt s c h a f t s s t a n d o rt und in den Finanzplatz Deutschland geben“, sagte Merz. Der Fraktionsvize von CDU/CSU sprach sich ferner dafür aus, bei einer Reform der Ko m m u n a l f i n a n zen die Gewerbesteuer abzuschaffen. Dies müsse zwingend mit einer Reform der Einkommen- und Körperschaftsteuer verbunden werden. Me rz betonte, Ziel jeder groß angelegten Steuerreform müsse ein einfacheres und transparentes Steuersystem sein, das auf einer breiten steuerlichen Bemess u n g s g rundlage ruhe und sich durc h niedrige Steuersätze für alle auszeichne. „Professor Homburg hat uns erst kürzlich auf einer großen Veranstaltung des Wi rtschaftsrates deutlich gemacht, dass dieses Ziel erreichbar ist“, sagte Me rz mit Bezug auf das St e u e r reformmodell des Wi rtschaftsrates und des Ha n n overaner Professors Stefan Homburg. „Höheres wirtschaftliches Wa c h stum, mehr Beschäftigung, Abbau der öffentlichen Defizite bei gleichze i t i g e r Absenkung der Steuer- und Abgabenlast für die Bürger in Deutschland sind möglich“, betonte Merz. III. Quartal 2003
Einigkeit bestehe, bezögen sich die schwierigen Auseinandersetzungen vo r allem auf die Details. Nach den Worten Halschs beabsichtigt die Bundesregierung nicht, dass bereits im Bundesrat gescheit e rte „St e u e rvergünstigungsabbaugesetz“ erneut auf die politische Tagesordnung zu bringen. Gleichwohl sei die rot-grüne Koalition entschlossen, den Subventionsabbau voranzubringen. Über die De t a i l s müsse jedoch in der diesbezüglich eingerichteten Arbeitsgruppe der Ministerpräsidenten Peer Steinbrück (SPD) und Roland Koch (CDU) verhandelt werden.
... toren.“ Da rum dürfe es in den kommenden Ja h ren definitiv keine we i t e re Erhöhung der Steuerlast geben, die angekündigten St e u e r reformstufen müssten auch vollzogen we rden und das Ve rmögensteuergesetz müsse aus Gr ü n d e n der Rechtssicherheit nicht nur ausgesetzt, sondern formell abgeschafft we rden. „Ich lehne eine Steuerpolitik ab, die den Bürgern auf der einen Seite vermeintlich Entlastung bringt, auf der anderen Seite jedoch über Ökosteuern, höhere Ve r s icherungsteuer, höhere Tabaksteuer, Ve rschiebung von ve r s p rochenen Ei n k o mm e n s t e u e r - Entlastungen und anderen Abgabenerhöhungen das Geld wieder aus der Tasche zieht“, sagte Faltlhauser mit Blick auf die Finanzpolitik der ro t - g r ünen Bundesregierung. „Unterm Strich muss für den Bürger mehr in der Tasche bleiben.“
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Volker Halsch Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen Nach Einschätzung der Bu n d e s re g i erung geht es Volker Halsch zufolge bei einer Entscheidung um Steuersenkungen zunächst um die Umsetzung der „Agenda 2010“, die Bundeskanzler Ge r h a rdSchröder (SPD) bei seiner Regierungserklärung am 14. März vor dem Deutschen Bu ndestag vorgestellt hat. Der Staatssekretär im Bundesfinanzministerium führte die darin enthaltenen Strukturreformen hinsichtlich des Arbeitsmarktes und der sozialen Si c h e rungssysteme an. Se i n e r Auffassung nach liegen rot-grüne Bu n d e sre g i e rung und Unions-Opposition bei diesen Fragen gar nicht so weit auseinander, wie es in der Öffentlichkeit den Anschein habe, sagte Halsch. Während über die Grundkonzepte oft weit gehende
Dr. Jochen Krautter Finanzvorstand und persönlich haftender Gesellschafter der Henkel KGaA Ein Land am Rande zur Rezession d ü rfe die Steuern nicht erhöhen, sagte Jochen Krautter, Fi n a n z vorstand des He nk e l - Ko n zerns. „Die internationale We t tb ewerbsfähigkeit der Unternehmen und mehr Wachstumsdynamik für neue Arbeitsplätze in Deutschland erf o rdern eine umfassende Reform unseres St e u e r s y stems“, forderte Krautter. Die Sa n i e ru n g der St a a t s f i n a n zen we rde jedoch nicht gelingen, wenn der Staat den Leistungswillen der Bürger und die We t t b ewe r b sfähigkeit der Unternehmen durch höhere Steuer- und Abgabenbelastungen weiter einschränke. „Es muss Schluss sein mit der permanenten Steuererhöhungsdiskussion, die Bürger und Unternehmen nachhaltig ve ru n s i c h e rt und uns noch tiefer in die Wachstumsfalle und den Schuldenstaat t reibt“, mahnte der Henkel-Vorstand. Nach den Worten Krautters würde zum ... trend 93
Sicht der Industrie we t t b ewe r b s g e rechte und verlässliche Rahmenbedingungen für Investoren. „Diese Grundlagen für erfolgreiches unternehmerisches Handeln sind gegenwärtig in keinem Punkt gegeben“, k r i t i s i e rte der Präsident des Bu n d e s ve rbandes der Deutschen Industrie (BDI), Michael Ro g owski. „Was wir auf keinen Fall brauchen, sind täglich neue Di s k u ssionen über St e u e rerhöhungen“, warnte der BDI-Chef mit Blick auf die St e u e r und Finanzpolitik der Bu n d e s regierung. Nach den Wo rten Ro g owskis gelte es nun, jegliche Steuer- und Abgabenerhöhung zu vermeiden. Die Bu n d e s re g i e rung plane gleichwohl tiefe Eingriffe in gewachsene Unternehmensstrukturen. „Diskussionen um die Ei n f ü h rung einer Mi n d e s t b eanheizen. Zudem würde ihre Er h e b u n g einen erheblichen Bürokratieaufwand nach sich ziehen, der in keinem Verhältnis zu den Erträgen stehe. „Die Ve r m ö g e nsteuer ist nichts anderes als eine populistische Neidsteuer“, kritisierte Krautter. Eine Anhebung der Erbschaftsteuer birgt nach seiner Einschätzung außerdem eine „existenzielle Gefahr“ für mittelständische Familienunternehmen, weil der ohnehin schwierige Betriebsübergang auf die nachfolgende Generation zusätzlich belastet we rde. „Die Folge wären weitere Betriebsaufgaben“, warnte Krautter. Dr. Michael Rogowski Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI)
... Beispiel eine Wiederbelebung der Vermögensteuer die Kapitalflucht ins Au s l a n d
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Wesentliche Voraussetzung für mehr Wachstum und Beschäftigung sind aus
s t e u e rung, eine pauschalierte Be s c h r ä nkung des Betriebsausgabenabzugs und der Gesellschafter-Fremdfinanzierung sowie die Einschränkung des Verlustausgleichs bei stillen Gesellschaften sind pure St e u e rerhöhungen“, kritisierte Rogowski. So l c h e Maßnahmen überzögen die Unternehmen überdies mit we i t e rem büro k r a t ischem Aufwand und seien Ba r r i e ren auf dem Weg zu mehr Wachstum. Neben einem Ve rzicht auf Steuererhö hu n g en nannte Rogowski die Konsolidierung der Staatshaushalte als wichtigstes Ziel der Finanzpolitik. „Wieder steigt die St a a t sverschuldung ungebremst“, monierte der Industriepräsident. Die Folge seien eine noch höhere Steuer- und Ab g a b e n b e l astung in der Zukunft. „Deshalb muss der Staat zukünftig Aufgaben und Ausgaben noch erheblich weiter einschränken“, forderte Rogowski. V III. Quartal 2003
Die Sozialordnung erneuern – Solidarität braucht mehr Eigenverantwortung
Podium III In das Thema ,,Die So z i a l o rdnung erneuern – Solidarität braucht mehr Eigenverantwortung“ führten ein: Dr. Dieter Hundt, Präsident der BDA, sow i e Prof. Dr. Bernd Raffelhüschen, Universität Freiburg. Unter der Moderation von Dr. Peter Gillies, diskutierten: Dr. Jan Boetius, Vo r s i t zender des Vorstandes der DKV; Dr. Ursula En g e l e n - Ke f e r, stellve rt retende Vo r s i t zende des Deutschen Gewerkschaftsbundes; Günther Fleig, Mitglied des Vorstandes, Personal und Arbeitsdirektor, Da i m l e r C h rysler AG ; Dr. Michael Hessling, Mitglied des Vorstandes der Allianz LebensversicherungAG; Karl-Josef Laumann MdB, Vorsitzender der Arbeitsgruppe Wi rtschaft und Arbeit der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag sowie Jürgen Uhlemann, Vo r s t a n d s vo r s i t zender der jobs in time holding AG, Tarifkommission Bundesverband Zeitarbeit e.V. III. Quartal 2003
Dr. Jan Boetius Vorstandsvorsitzender der DKV Deutsche Krankenversicherung AG Die Überalterung der Gesellschaft b e d roht nach Einschätzung des DKVVo r s t a n d s vo r s i t zenden Jan Boetius die Finanzierbarkeit der staatlichen Sozialversicherungssysteme. Die gesetzliche Krank e n ve r s i c h e rung (GKV) sei wegen der demographischen Entwicklung in Ve r b i ndung mit dem medizinisch-technischen Fortschritt doppelt betroffen: „Damit potenzieren sich die Kosten, weil sie mit dem Alter der Ve r s i c h e rten überpro p o rtional steigen“, warnte Boetius. Die Lebenserwartung habe sich innerhalb der vergangenen 100 Ja h re ve rdoppelt, zudem gingen seit 1970 die Ge b u rten stark zurück. Im Jahr 2050 würden Be v ö l k erungsprojektionen zufolge 38 Prozent der Bevölkerung 60 Jahre und älter sein und 85 Prozent der Gesundheitskosten verursachen. Nach den Worten des DKV-Vorstandschefs führt darum an einer stärk eren Eigenbeteiligung und an einem Aus-
bau des Kapitaldeckungsve rf a h rens im Gesundheitswesen kein Weg mehr vorbei. Nur so sei die Generationensolidarität zu gewährleisten, sagte Boetius. Zur Begründung führte er die hohe Belastung der jungen Generation an. „Die junge Generation wird doppelt belastet: Sie zahlt ...
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Dr. Dieter Hundt Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) Diese Zuschüsse entsprächen umgerechnet rund zehn weiteren Beitragssatzpunkten, wodurch die Belastung mit Lohnnebenkosten auf ein unerträgliches Maß gestiegen sei. „Die gebetsmühlenartigen Ankündigungen der Bu n d e sre g i e rung und des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit, die Beitragssatzsumme in der Sozialversicherung wieder auf unter 40 Pro zent zurückzuführen, w a ren und sind leere Versprechungen“, kritisierte der BDA-Chef.
Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt zeichnete ein dramatisches Bild der sozialen Si c h e rungssysteme in Deutschland: „Wir sind mitten in einer Krise des Sozialstaats“, sagte der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Diese sei ve rursacht d u rch eine Politik des „Ve rdrängens, Ve rschleppens und Verschiebens“. „Von einem Gl e i c h g ewicht, von einer Balance in der Wi rtschaft und auf den Märkten kann – auch bei allem Wo h lwollen und Optimismus – schon lange nicht mehr die Rede sein“, sagte Hundt. Die Ausgaben überstiegen schon seit Ja hren die Einnahmen, betonte der Arbeitgeberpräsident. Sowohl Renten-, Kranken- als auch Pflegeversicherung schrieben seit Jahren rote Zahlen. Die Folge seien permanent steigende Be i t r a g s s ä t ze; zu Beginn dieses Ja h re s habe die Beitragssatzsumme bei 42 Prozent des Bruttoeinkommens gelegen. „Doch in Wi rklichkeit liegen wir sogar deutlich über 50 Pro zent“, betonte Hundt mit Verweis auf die Bu n d e s z uschüsse zur Re n t e n ve r s i c h e rung, die Ökosteuerzuschüsse zur Rente und die Bu n d e s z u weisungen an die Bu n d e s a nstalt für Arbeit, die in diesem Jahr vo raussichtlich zehn Mi l l i a rden E a u s m achen dürften. 96 trend
Notoperationen und Flickwerk aber hülfen in der gegenwärtigen Lage ebenso wenig weiter wie ein Herumdoktern an Symptomen. „Beides hatten wir lange genug und zu Genüge“, moniert e Hundt. „Wir brauchen eine Radikalkur, neue Weichenstellungen und einen Paradigmenwechsel“, forderte der Verbandspräsident. Nun komme es auf die richtige Mischung zwischen umlagefinanziert e r So l i d a rversicherung und kapitalgedeckter Risikovorsorge an. Umlagefinanzierung und Kapitaldeckung hätten beide Vor- und Nachteile. „So viel Staat wie nötig und so viel Privat wie möglich“, sei der Leitgedanke, nach dem die So z i a lkassen reformiert werden müssten, sagte Hundt. Für die gesetzliche Re n t e n ve r s i c h erung schlug der Arbeitgeberpräsident vor, ab 2012 schrittweise das gesetzliche Rentenalter von 65 auf 67 Jahre anzuheben. Ferner solle sofort ein Demografieoder Nachhaltigkeitsfaktor in die Rentenanpassungsformel eingefügt werden, der das Nettorentenniveau von heute 70 auf schrittweise 60 Prozent absenke. „ Ku rzfristig geht auch kein Weg an einer Aussetzung der nächsten Re n t e nanpassung und einer Anhebung der Abschläge bei vorzeitigem Rentenbeginn von 0,3 auf 0,5 Prozent pro Monat vorbei“, sagte Hundt. Die kapitalgedeckte p r i vate und betriebliche Altersvo r s o r g e müssten parallel dazu ausgebaut werden. Für die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) schlug der Arbeitgeberprä-
sident vor, „mindestens 20, besser noch 30 Milliarden E einzusparen“, damit der durchschnittliche Beitragssatz auf unter 13 Prozent der Bruttolöhne gesenkt werden könne. Unverzichtbar sind nach den Worten Hundts zu diesem Zweck auch eine Ausg l i e d e rung privater Unfälle und der Zahnbehandlung aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen. Hundt forderte ebenso einen Ausbau der Selbstbeteiligung durch einen durchgängigen prozentualen Anteil der Versicherten und eine Praxisgebühr für alle Arztbesuche. Zusätzlich sei aber auch eine Intensivierung des Wettbewerbs auf allen Ebenen des Gesundheitswesens erforderlich. Ferner sollten nur das Schwangerschaftsund das Mutterschaftsgeld künftig aus Steuermitteln finanziert we rden, die re s tlichen versicherungsfremden Leistungen sollten aus dem Pflichtkatalog der gesetzlichen Kassen gestrichen we rden, forderte Hundt. Der BDA-Präsident beklagte, dass auch die Union zu lange gebraucht habe, ein geschlossenes Ko n zept zur Ge s u n dheitsreform vorzulegen. „Nur Nein zu sagen reicht nicht aus“, kritisierte der Arbeitgeberpräsident. Nach Einschätzung Hundts ist die „Agenda 2010“ der Bu n d e s re g i e rungnur ein erster Schritt bei den notwe n d i g e n Reformen in der Wi rtschafts- und Sozialpolitik. Weitere Reformen, so Hundt, müssten vorrangig auf der Ausgabenseite a n s e t zen. Ziel sei, die kollektiv, paritätisch und umlagefinanzierten Sy s t e m e auf eine Basissicherung mit Kernleistungen zu reduzieren und zu konzentrieren. Die Erschließung neuer Ge l d q u e l l e n , zum Beispiel durch höhere Steuern und höhere Beitragsbemessungsgrenzen seien dagegen tabu, erk l ä rte Hundt. „Das bedeutet auf der anderen Seite auch mehr Handlungs- und Entscheidungsspielraum für die Versicherten zur Absicherung ihrer Lebensrisiken und zur individuellen Gestaltung des persönlichen Schutzniveaus.“ III. Quartal 2003
Prof. Dr. Bernd Raffelhüschen Universität Freiburg dem Konzept der Generationenbilanzierung eine Nachhaltigkeitslücke des deutschen Staatshaushalts einschließlich der So z i a l ve r s i c h e ru n g s z weige Rente, Gesundheit und Pflege von 6,8 Billionen E. Das entspräche fast dem dreieinhalbfachen des deutschen Bruttoinlandsprodukts, betonte Raffelhüschen. Od e r anders gewendet: Um künftigen Generationen keine Schulden zu hinterlassen, müssten die Deutschen drei Ja h re und vier Monate lang allein für die Staatskasse und die gesetzlichen Sozialversicherungssysteme arbeiten, sagte Raffelhüschen. Die gegenwärtige Fiskal- und Sozialpolitik der Bu n d e s republik sei darum we i t davon entfernt, nachhaltig zu sein.
Der Freiburger Finanzwissenschaftler Bernd Raffelhüschen hält die langfristige Fi n a n z i e r b a rkeit der deutschen So z i a lversicherungssysteme angesichts des sich rapide zuspitzenden doppelten Alterungsprozesses für nicht mehr gew ä h rleistet. „Alle in Bismarckscher Tradition entworfenen Si c h e rungssysteme wie Renten-, Kranken- und Pflegeve r s i c h erung fußen auf dem gleichen Pr i n z i p, dem Ge n e r a t i o n e n ve rtrag, und haben alle das gleiche langfristige Problem: Immer weniger gesunde Junge finanzieren immer mehr Alte, die immer älter werden und deren Krankheits- und Pfleg e b e d ü rftigkeit deutlich zunimmt“, sagte Raffelhüschen. Die sich daraus ergebenden Fi n a n z i erungslücken in der Zukunft machten drastische Leistungskürzungen unumgänglich, wenn den kommenden Generationen keine So z i a l ve r s i c h e ru n g sbeiträge in einer Größenordnung von 60 Pro zent der Bruttoeinkommen hinterlassen we rden sollen.Allein die So z i a l ve rsicherungssysteme hätten bereits heute eine implizite Verschuldung von mehr als z wei Inlandsprodukten angehäuft, sagte Raffelhüschen. Der Finanzwissenschaftler, der auch Mitglied der Rürup-Kommission zur Reform der Sozialsysteme ist, errechnete mit III. Quartal 2003
„ Eine wirtschaftliche Entwicklung ist immer dann nachhaltig, wenn sie die Be d ü rfnisse der Ge g e n w a rt befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Be d ü rfnisse nicht befriedigen können“, erk l ä rte der Fre iburger Finanzwissenschaftler. Die Freiheit künftiger Generationen werde jedoch durch die Leistungsgesetze der heutigen Fiskal- und Sozialpolitik erheblich eingeschränkt. Insofern beeinflussten nach den Wo rten Raffelhüschens heutige Entscheidungen die ökonomischen Wahlhandlungsmöglichkeiten kommender Generationen entscheidend. Das Ko n zept der Ge n e r a t i o n e n b i l a nz i e rung biete eine geeignete Grundlage zur Be u rteilung der Nachhaltigkeit. Es we rde unterstellt, dass alle politökonomischen Stellschrauben in der Zu k u n f t unverändert bleiben. Entsprächen sich in diesem Fall Einund Ausgabenströme im Ba rwert, gelte die Finanzpolitik als nachhaltig. Gelinge der Budgetausgleich nicht, müssten zum zukünftigen Zeitpunkt Einnahmen und Ausgaben des öffentlichen Sektors angepasst werden. „ Der Gesamtbetrag, der in diesem Fall aufgewendet werden muss, um den Budgetausgleich über die Zeit herzustel-
len, ist die Nachhaltigkeitslücke, die die tatsächliche St a a t s verschuldung bez i ffert“, erläuterte Raffelhüschen. Diese statistisch nirgendwo explizit ausgewiesenen Ansprüche heutiger Be itragszahler an zukünftige Sozialversicherungshaushalte seien Staatsschulden, also Ansprüche heute lebender Generationen an zukünftige Haushalte, die zum Großteil von künftigen Generationen finanziert werden müssten. „Genau darin liegt das Problem“, erläuterte Raffelhüschen. Aus der Krise des heutigen So z i a lstaates führt nach seinen Worten darum nur eine Stärkung marktwirtschaftlicher und kapitalgedeckter Elemente in allen Zweigen der So z i a l ve r s i c h e rung. „Nur d a d u rch, dass die bereits existiere n d e n p r i vaten Anstrengungen zum Ausbau der p r i vaten Altersvorsorge erhöht und d u rch private Gesundheits- und Pfle g evorsorge ergänzt werden, kann zukünftig mehr Nachhaltigkeit in die Ge n e r a t i onenverträge getragen werden“, sagte Raffelhüschen. In der Re n t e n ve r s i c h e rung müsse zudem das gesetzliche Re n t e n e i n t r i t t salter von heute 65 Ja h ren schrittweise auf 67 Ja h re angehoben we rden. Ferner sei ein Nachhaltigkeitsfaktor in der gesetzlichen Umlagekasse erforderlich, der den Anstieg der Renten bremsen müsse. Das Re n t e n n i veau we rde für den Durc hschnittrentner in Zukunft um etwa zehn bis 15 Pro zent sinken müssen, betonte Raffelhüschen. „Für die geburtenstarken Jahrgänge der 50er und 60er Jahre ist die Botschaft klar: Länger arbeiten für weniger Rente“, sagte Raffelhüschen. Bei der gesetzlichen Krankenkasse seien allerdings noch tiefer gre i f e n d e re Einschnitte erforderlich: „Grundvoraussetzung für jegliche Reformschritte ist es, den Preis für Gesundheit spürbar zu machen“, sagte der Sozialexperte. Di e s könne zum Beispiel durch einen jährlichen Selbstbehalt für ambulante Leistungen und Medikamente erreicht werden. „Jeder entscheidet dann selbst, ob Bagatellbehandlungen wirklich ihr Geld wert sind“, meinte Raffelhüschen. trend 97
Höhe der Beiträge selbst zu bestimmen. „Für junge und gesunde Menschen auf den ersten Blick ein Vorteil, doch was pass i e rt mit den chronisch Kranken und behinderten Menschen?“, fragte EngelenKefer. Diese müssten draufzahlen, weil sie auf eine regelmäßige medizinische Ve r s o rgung angewiesen seien und es sich nicht erlauben könnten, Leistungen abzuwählen. „Also müssen sie die höchsten Beiträge zahlen. Das wäre das Ende der solidarischen Krankenversicherung“, kritisierte Engelen-Kefer. Nach den Worten
... heute für die Alten und, wenn sie selbst alt ist, noch einmal für sich selbst, weil dann die Jungen fehlen“, sagte Boetius. Generationengerechtigkeit könne nur wiederhergestellt we rden, indem jede Ge n e r ation ihre künftigen Lasten selbst finanziert. „Nur Kapitaldeckung kann das leisten, weil heute für morgen angespart wird.“ Dr. Ursula Engelen-Kefer Stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes Mehr Eigenverantwortung bedeutet nach Auffassung der St e l l vertretenden
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Vo r s i t zenden des Deutschen Gewe rkschaftsbundes (DGB), Ursula En g e l e n Ke f e r, in wirtschaftlichen Krisenzeiten vo r allem weniger soziale Sicherheit. „Tro t z aller Eigenverantwortung für die sozialen Si c h e rungssysteme brauchen wir den Au sgleich zwischen Kranken und Gesunden, zwischen Besser- und Geringverdienern, zwischen Jungen und Alten“, betonte Engelen-Kefer. Als Beispiel für mehr Eigenverantwortung führte die Gewe rkschafterin Wahltarife in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) an. Um die Beiträge zu senken, werde die vermeintliche Freiheit in Aussicht gestellt, den Umfang der Kassenleistung und damit die
der DGB-Vi zevo r s i t zenden würde dieser Weg auch zu einem „Dammbruch bei der ...
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... Solidarität zwischen den Generationen“ führen. Die Jungen und Gesunden sollten trotz der hohen Abgabenbelastung daran denken, dass sie auch einen Beitrag zur Solidarität untereinander leisten. Günther Fleig Mitglied des Vorstandes, Personal- und Arbeitsdirektor der DaimlerChrysler AG Die in der „Agenda 2010“ vorgesehenen Maßnahmen zur Reform der Sozialsysteme würden in der Öffentlichkeit zwar als sehr weitgehend empfunden, sagte der Personal- und Arbeitsdire k t o r der DaimlerChrysler AG, Günther Fleig. Gleichwohl reichen sie nach seinen Worten bei weitem nicht aus, um die Sozialo rdnung wieder auf ein solides Fu n d ament zu stellen. „Es müssen echte Reformen kommen, um unsere Unternehmen wettbewerbsfähig zu halten und unsere sozialen Sicherungssysteme zukunftsfähig zu machen“, forderte Fleig. Dazu gehören nach Auffassung des DaimlerChryslerVorstandes folgende Kernpunkte: Ei n e Reduzierung der Staatsquote und der öffentlichen Subventionen. Damit müsse eine Entlastung von Steuern und Abgaben verbunden we rden. Mehr In vestitionen und Qualität im Erziehungs- und Bi ldungssektor seien ebenfalls von zentraler Bedeutung. Mehr Flexibilität bei den Tarifverträgen, um Arbeitsplätze rentabel zu halten, sei dabei genauso wichtig. „Die Tarifpolitik muss stärker auf die Be d ü rfnisse der Be t r i e b s p a rteien eingehen“, sagte Fleig. Ferner hält er eine Anhebung der L e b e n s a r b e i t s zeit verbunden mit einer Bew u s s t s e i n s ä n d e rung, bei der der Ei nzelne mehr Verantwortung trägt für seine
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Beschäftigungsfähigkeit, für geboten. Eine dauerhafte Absenkung der Lohnnebenkosten erachtet Fleig für unve rz i c h tbar. Und nicht zuletzt sei mehr Kapitaldeckung und Ei g e n vorsorge in den gesetzlichen Sozialversicherungssystemen sowie eine Konzentration auf eine Absicherung der Grundrisiken für Krankheit, Alter und Arbeitslosigkeit erforderlich. Dr. Michael Hessling Mitglied des Vorstandes der Allianz Lebensversicherung-AG Die finanzielle Basis der Sozialen Marktwirtschaft ist nach den Worten von Allianz-Vorstand Michael Hessling akut g e f ä h rdet. „Ein zentrales Ziel der Wi rtschafts- und Gesellschaftspolitik muss es d a rum sein, die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wi rt s c h a f t trotz überd u rchschnittlicher Alterung zu erhalten und damit die Grundlage für einen hohen Lebensstandard zu schaffen“, sagte Hessling. Die dramatische Verschiebung im Altersaufbau der deutschen Be v ö l k e rung habe nicht nur Au s w i rk u ngen auf die Finanzierung der So z i a l s y steme, sondern auf weitere gesellschaftliche und wirtschaftliche Pro zesse. So ginge zum Beispiel die Zahl der jungen innovat i ven Arbeitnehmer zurück. „Deshalb müssen Leistungsbereitschaft, In n ova t ionsfähigkeit und Mobilität gezielt gefördert we rden, damit Wi rtschaft und Gesellschaft nicht erstarren“, betonte
Hessling. Der Allianz-Vorstand unterstrich ferner, dass die sozialen Sicherungssysteme dazu entscheidend beitragen könnten, indem Kapital für Zukunftsinvestitionen und altersgerechte Arbeitsplätze bereitgestellt we rde, Flexibilität geschaffen we rde, um die Lebensarbeitszeit an individuelle und wirtschaftliche Rahmenbedingungen anzupassen. „Durch eine Stärkung der kapitalgedeckten Vorsorge wird langfristig Kapital zur Ve rfügung gestellt“, betonte Hessling. Dieses könne zur besseren Ausstattung der Arbeitsplätze eingesetzt we rden, um die Produktivität in Deutschland trotz der Alterung der Gesellschaft auf einem wettbewerbsfähigen Niveau zu halten. ...
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... Karl-Josef Laumann MdB Vorsitzender der Arbeitsgruppe Wirtschaft und Arbeit der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag
„Sozial ist, was Arbeit schafft.“ Unter dieser Maxime fasste der Vorsitzende der Arbeitsgruppe Wirtschaft und Arbeit der Unions-Fraktion im Bundestag, KarlJosef Laumann, die Richtschnur der Wirtschafts- und Sozialpolitik aus Sicht vo n CDU und CSU zusammen. Für die Schwe s t e r p a rteien stehe darum das Ziel „ Drei mal 40“, also eine Senkung der Staatsquote, der Sozialabgaben und der Steuersätze auf unter 40 Prozent im Vord e r g rund. Im Be reich der Arbeitslosen100 trend
ve r s i c h e rung müssen nach Au f f a s s u n g Laumanns die Beiträge so rasch wie möglich von heute 6,5 Prozent auf unter fünf Pro zent der Bruttogehälter gesenkt we rden. Zu diesem Zweck sei der Leistungskatalog der Bundesanstalt für Arbeit einer „gründlichen Aufgabenkritik“ zu unterziehen. „Zu prüfen ist, welche der ve r s icherungsfremden Leistungen künftig entfallen oder anderweitig finanziert werden sollen“, sagte der Unionspolitiker. CDU und CSU träten auch dafür ein, die Voraussetzungen für den Bezug von Leistungen im Fall der Arbeitslosigkeit strenger zu fassen. „Künftig soll die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes im Regelfall bis zu zwölf Monate betragen, mit einer höhere n Zahl an Beitragsjahren soll diese Leistung höchstens 18 Monate lang bezogen werden“, sagte Laumann. Die Bew ä l t i g u n g kurzfristiger Arbeitslosigkeit soll nach den Vorstellungen der Union künftig stärk e r in die Verantwortung des Ei n zelnen gelegt werden. Eine Kürzung der Sozialhilfe sei jedoch nur dann gerechtfertigt, wenn eine angebotene Arbeit von einem St e l l e n s uchenden abgelehnt werde.
regierung: „Zeitarbeit gilt seit langem als Vo rdenkerin und Promotorin der neuen Arbeit. Mit den Ha rt z - Ge s e t zen aber wurde sie in Fesseln gelegt.“ Durch die staatlich subve n t i o n i e rten Pe r s o n a l - Se rvice-Agenturen (PSA) entstehe eine „völlig perve rt i e rte Zeitarbeit“, die eine gute Chance habe, zum Su bventionsgrab der Branche zu we rden. „Aus dem Ha rt z Papier wurden alle Elemente, die das Potenzial zur Chance gehabt hätten, in Risiken zurückgeführt“, sagte Uhlemann. Das Gesetz habe viele gute Ansätze bis zur Unkenntlichkeit „ve r re g u l i e rt“, teilweise sogar „ins Gegenteil perve rtiert“. So sei bei Langzeitarbeitslosen ein Ei n t r i t t s k o rridor mit niedrigen Löhnen über 36 Monate nötig. Stattdessen müsse aber nun nach In t e rvention der Gewerkschaften das „Equal Treatment“ für die Leiharbeit berücksichtigt werden, wodurch für Zeitarbeiter die vollen Lohnkosten der Stammbelegschaft vom ersten Tag der Beschäftigung an gelten. „Was gut gemeint sein mag, richtet sich in der
Jürgen Uhlemann Verhandlungsführer der Tarifkommission des Bundesverbandes Zeitarbeit e.V. (BZA) und Vorstandsvorsitzender der jobs in time holding AG, Hamburg
Wi rklichkeit des Wi rtschaftslebens am Ende gegen die Arbeitslosen“, kritisierte Uhlemann. Die Eintrittshürden für Stellensuchende habe der Gesetzgeber nun so hoch gesetzt, dass sie kaum noch überwindbar seien. „Eine paradoxe Situation ist entstanden“, resümierte Uhlemann. „ In der schwierigsten konjunkture l l e n Situation, die die Zeitarbeit je gesehen hat, zwingt uns der Gesetzgeber ein ru i n öses Equal Treatment auf.“ V
Der Ze i t a r b e i t s e x p e rte Jürgen Uhlemann übte scharfe Kritik an der Bundes-
Berichterstattung Wirtschaftstag 2003: Erwin Lamberts und Peter Hahne
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