Freiheit
Staatswirtschaft hat ein für allemal ausgedient Kurt J. Lauk. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2
Ku r s u n d We r t e
60 erfolgreiche Jahre Soziale Marktwirtschaft Angela Merkel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
Europa
Globalisierung und die Zukunft der EU José Manuel Durao Barroso . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
I n n o va t i o n
Konzepte für eine umweltgerechte Mobilität Shai Agassi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14
Staatsfonds
Retter des internationalen Finanzsystems? Klaus-Peter Müller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
We l t h a n d e l
Sind wir im globalen Wettbewerb noch gefragt? Carl Bildt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22
Podium I
Weltwirtschaft am Scheideweg – offene Märkte versus Protektionismus Eckhard Cordes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 Achim Berg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 Bernd Pfaffenbach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 Diskussion Jørgen Elmeskov. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 Hermann-Josef Lamberti . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 Fred B. Irwin. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35
Podium I I
Deutschland und sein Mittelstand: Leistungsträger und Innovationsmotor Volker Kauder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 Michael Mertin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 Diskussion Hermann Niehues . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 Andreas Lapp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 Michael Fuchs. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 Bert Rürup. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44
Podium I I I
Abhängigkeiten und Herausforderungen einer Energiestrategie: national und europäisch Hans-Peter Villis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 Jochen Homann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 Diskussion Reinier Zwitserloot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 Dr. Burckhard Bergmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 Dr. Matthias Ruete. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 Dr. Uwe Franke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56
Internationaler Abend
Mit ICT: Always best Connected Reinhard Clemens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 Die US-Präsidentschaftswahlen 2008 – Folgen für die USA und Europa Richard Burt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 Nelson Cunningham . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67
Impressum
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im Internet – Aktuelles, Archiv, Daten, Kontakte:
www.wirtschaftsrat.de
Freiheit
Europa
I n n o va t i o n
Staatsfonds
Kurt J. Lauk: „Eine gute Stimmung in der Wirtschaft könnte für die Union ein zusätzliches Stimmpotenzial von drei bis sechs Prozentpunkten mobilisieren. Dann könnte es für Schwarz-Gelb reichen.“ Seite 2
José Manuel Durao Barroso: „Wir brauchen mehr kleinere und mittelständische Unternehmen (KMU) – denn sie sind es, die mehr Arbeitsplätze schaffen und das Wachstum in Europa stimulieren.“ Seite 11
Shai Agassi: „Die Autoindustrie muss sich jetzt an die veränderten Bedingungen anpassen. 2010 können Elektroautos auf den Straßen sein. Das ist das Projekt unserer Generation.“ Seite 14
Klaus-Peter Müller: „Die Codizes der Staatsfonds und Offenheit der Empfängerländer müssen von hoher Qualität sein und politische Regulierungen von Staatsfonds weitgehend erübrigen.“ Seite 17
Ku r s u n d We r t e Angela Merkel: „Die Soziale Marktwirtschaft muss immer wieder eine Grundfrage beantworten: Wie gelingt es, zunächst Wohlstand zu erwirtschaften, bevor über das Verteilen geredet wird? Unsere Wirtschaftsverfassung ist eine Ordnung der Freiheit. Sie speist sich aus der Grundüberzeugung, dass der Mensch in der Lage ist, an seine Grenzen zu gehen, seine Fähigkeiten auszuschöpfen und daraus etwas zu schaffen. Das ist nach dem Verständnis der Sozialen Marktwirtschaft die Grundlage für soziale Gerechtigkeit. Wenn wir uns heute unsere Situation vergegenwärtigen, dann müssen wir auch feststellen, dass nicht immer alles so gelaufen ist, wie Ludwig Erhard sich das vorgestellt hat.“ Seite 6
We l t h a n d e l
Ko m m u n i k a t i o n
US-Republikaner
US-Demokrat
Carl Bildt: „Wir müssen zeigen, dass wir durch Zusammenarbeit eine bessere Zukunft gestalten. Das Modell Europas wird in der Welt zunehmend attraktiver empfunden.“ Seite 22
Reinhard Clemens: „Wir werden ganz neue technische Lösungen für unsere Gesellschaft und Wirtschaft zur Verfügung stellen, damit Deutschland wettbewerbsfähig und innovativ bleibt.“ Seite 58
Richard Burt: „Ich glaube, sowohl Obama als auch McCain werden wieder zu einer eher multilateralen Herangehensweise neigen, einen Konsens suchen und größere Anforderungen an Europa stellen. “ Seite 60
Nelson Cunningham: „Wir müssen die Ängste der Menschen, die sich von der Globalisierung zurückgelassen fühlen, ernst nehmen. Das ist etwas, was die Deutschen sehr gut verstehen.“ Seite 64
Dokumentation Wirtschaftstag
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Staatswirtschaft sollte in Deutschland ein für allemal ausgedient haben Prof. Dr. Kurt J. Lauk, Präsident des Wirtschaftsrates der CDU e.V.
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ir feiern in diesem Jahr den sechzigsten Geburtstag einer der erfolgreichsten Wirtschaftsordnungen der Welt – der Sozialen Marktwirtschaft. Ludwig Erhard, ihr Gründungsvater, war ein Mann der ordnungspolitischen Gradlinigkeit. Damit hat Erhard dem Land Freiheit und Wohlstand gebracht. Er war für viele in gewissem Sinne aber auch ein Ärgernis. Zunächst war er ein Ärgernis für die Alliierten. Er hat praktisch zeitgleich mit der Währungsreform gegen ihren Willen und ohne Absprache die Preise für wichtige Güter freigegeben und die Zwangsbewirtschaftung der Nachkriegszeit beendet. Erhard vertraute allen Widerständen zum Trotz auf die Kräfte des Marktes und die freie Preisbildung. Ein Ärgernis war Erhard aber auch für die Sowjets,
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die seine freiheitliche Wirtschaftspolitik mit der Blockade Berlins beantwortet haben. Ein Ärgernis war Erhard auch für die Gewerkschaften, die wegen vorübergehend steigender Preise nach der Währungsreform zum Generalstreik aufriefen. Erhard war selbst ein Ärgernis für die Union, weil er das „Ahlener Programm“ von 1947 durch das Bekenntnis zur Sozialen Marktwirtschaft ersetzt hat. Und schließlich ärgerte Erhard auch Konrad Adenauer, weil er ihn eindringlich vor der Einführung der dynamischen, umlagefinanzierten Rente warnte. Erhard hat sich in allen Punkten durchgesetzt – und, wie wir heute wissen, hat er Recht behalten. Die Menschen in Deutschland sind dafür belohnt worden. Durch Markt und Wettbewerb Dokumentation Wirtschaftstag
haben wir mehr Freiheit. Das ist das Verdienst Ludwig Erhards. Deshalb feiern wir noch heute ganz zu Recht den Geburtstag der Sozialen Marktwirtschaft. Der Wirtschaftsrat sieht sich in dieser Tradition Ludwig Erhards. Dabei ist auch in Zukunft Mut gefragt. Mut, um für ein gefährdetes Erfolgsmodell zu werben und zu kämpfen. Im Sinne Erhards kann auch der Wirtschaftsrat ein Ärgernis sein – wenn er an die Grundlagen der Sozialen Marktwirtschaft erinnert und auf deren Befolgung und Weiterentwicklung dringt. Denn heute erheben sich wieder Stimmen, die das Erfolgsmodell infrage stellen. Das ist umso erstaunlicher in einem Staat, in dem die Umverteilung und damit die soziale Gerechtigkeit auf einem sehr hohen Niveau Realität ist. In Deutschland werden jedes Jahr rund 700 Milliarden € durch den Staat umverteilt, das entspricht fast einem Drittel des Bruttoinlandsprodukts. Dabei werden 70 Cent von jedem Euro, den der Staat von seinen Bürgern einnimmt, für Sozialleistungen ausgegeben. Der Preis für die nivellierende Sozialpolitik ist hoch: Wegen der kalten Steuerprogression reicht heute bereits das 1,4-fache des Durchschnittseinkommens, um steuerlich als Spitzenverdiener eingeordnet und zum Spitzensteuersatz herangezogen zu werden. Vor 50 Jahren musste man noch das 17-fache Durchschnittseinkommen mit nach Hause bringen, um vom Fiskus als Spitzenverdiener behandelt zu werden. Soviel Gleichheit wie heute hat es in diesem Land noch nie gegeben. Zugleich wissen wir aber auch, dass die Zustimmungswerte der Bürger zur Sozialen Marktwirtschaft inzwi-
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schen geringer sind als je zuvor. Nur noch eine Minderheit steht hinter den Grundwerten Ludwig Erhards von Markt, Wettbewerb und sozialem Ausgleich. Wir als Wirtschaftsrat gehören zu dieser Minderheit. Mir als Präsident des Wirtschaftsrates bereitet es große Sorge, dass
die Mehrheit der Bevölkerung Vorteile und Segnungen der sozialen Marktwirtschaft infrage stellt. Das sozialistische Wirtschaftsmodell scheint wieder populär zu werden. Das kommt einer Ironie der Geschichte gleich. Nachdem der Sozialismus auf deutschem Boden an sich selbst gescheitert ist, wird er nun von der Linken und mit Hilfe einer orientierungslosen SPD wiederbelebt. Das ist absurd. Die Staatswirtschaft sollte in Deutschland ein für allemal ausgedient haben. Unser eigentliches Problem ist, dass unsere Gesellschaft auch nach 60 Jahren Sozialer Markt-
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wirtschaft noch immer von einer in weiten Teilen wettbewerbsfeindlichen Grundhaltung geprägt ist. Wir als Wirtschaftsrat sind aufgerufen, die Soziale Marktwirtschaft gemeinsam mit der Union und der Bundeskanzlerin vehement zu verteidigen. Denn wir sitzen in einem Boot. Die Soziale Marktwirtschaft und die CDU sind dank Ludwig Erhard eins. Sinkt die Akzeptanz des einen, verliert der andere an Vertrauen. Also kämpfen wir gemeinsam.
Das bürgerliche Lager muss alle verfügbaren Kräfte mobilisieren Die politische Situation in Deutschland ist in den zurückliegenden Jahren nicht leichter geworden. Die Sozialdemokraten sind unter Kurt Beck offensichtlich nicht in der Lage, sich inhaltlich gegen den Populismus der Linkspartei zu
wehren. Deshalb ist es umso wichtiger, dass wir Kurs halten. Die Union muss sich mit ihrem Bekenntnis zu Freiheit und Markt oft mit einem Koalitionspartner auseinandersetzen, der sich Staatswirtschaft und Rückstände sozialistischen Gedankenguts auf die Fahnen geschrieben hat. Jahrzehntelang haben wir auf Kosten der nachfolgenden Generationen über unsere Verhältnisse gelebt. Doch die Sozialdemokraten scheinen daraus nichts gelernt zu haben. Deshalb unterstützen wir die Bundesregierung nachhaltig, an ihrem strikten Kurs der Haushaltskonsolidierung festzuhalten. Die Weichen für die Bundestagswahl im Herbst 2009 werden jetzt gestellt. Aus unserer Sicht geht es darum, ob dieses Land von einer wirtschaftspolitisch inkompetenten rot-rot-grünen Koalition regiert wird oder von einer Koalition des bürgerlichen
Ludwig Erhards zukunftsweisende Vorstellungen waren für viele ein Ärgernis Fast auf den Tag genau feiert die Soziale Marktwirtschaft ihren 60. Geburtstag. Das ist weit mehr als nur ein nostalgisches Datum. Sechzig Jahre Soziale Marktwirtschaft sind vor allem Anlass, selbstbewusst eine freie, aber auch sozialverpflichtende Wirtschaftsordnung zu würdigen. Als Ludwig Erhard am 21. Juni 1948 eigenmächtig die von den Alliierten verhängte staatliche Preisfestsetzung aufhob, tat er das gegen enorme Widerstände. Seine zukunftsweisenden Vorstellungen waren für viele ein Ärgernis: Ein Ärgernis für die Alliierten: Ludwig Erhard wurde vom damaligen amerikanischen Hochkommissar zum Rapport bestellt, weil er ohne Zustimmung der Alliierten die Preisbindungsrichtlinie geändert hatte. Erhard quittierte den Rüffel unerschrocken: „Ich habe die Richtlinie nicht geändert, ich habe sie außer Kraft gesetzt!“ Ärgernis für die Union: Im Ahlener Programm der Union war 1947 noch von der Vergesellschaftung der Großindustrie die Rede. Hier machte Ludwig Erhard im wahrsten Sinne des Wortes der Union einen Strich durch die Rechnung. Ärgernis für die Gewerkschaften: Am 12. November 1948 riefen die Gewerkschaften zum Generalstreik auf. Weite Teile der Bevölkerung erschreckten die Preissteigerungen, die die Aufhebung der Preisbindung und der Bewirtschaftung nach sich zogen. Die Menschen waren nicht daran gewöhnt, sich auf freien Gütermärkten zu bewegen. Die Gewerkschaften forderten das Ausrufen eines wirtschaftlichen Notstands, die Einsetzung eines Preiskommissars, die Lenkung der Rohstoffe und Kredite – kurz, die Einführung einer Planwirtschaft. Ärgernis für Kommunisten: Die Sowjetunion antwortete auf die Währungsreform in den Westzonen, die eine klare Tendenz zur freien Marktwirtschaft erkennen ließ, mit der Blockade Berlins. Ärgernis für das Kabinett: Von Beginn an kämpfte Ludwig Erhard zum Verdruss von Konrad Adenauer gegen die Einführung einer dynamisierten, umlagefinanzierten Rente. Er hatte schon früh erkannt, dass sie nicht bezahlbar ist. Ärgernis für die Industrie: Dreimal musste Ludwig Erhard Anlauf nehmen, um das Grundgesetz der Marktwirtschaft, das „Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen“, durchzusetzen. Damit ärgerte er nicht nur Bundeskanzler Adenauer, sondern auch die gesamte deutsche Industrie. Wirtschaftspolitische Orientierung ist offenbar häufig erfolgreich, wenn sie zuvor mit Ärgernissen verbunden war. Der Mut hat sich jedoch gelohnt! Ludwig Erhard ist bisher der erfolgreichste Wirtschaftsminister. Die von ihm gestellten Weichen haben die Deutschen insgesamt wohlhabend und unser Land als führende Industrienation zu einem Gewinner der Globalisierung gemacht.
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Lagers, das immer der Hauptträger der Sozialen Marktwirtschaft war und ist. Wir kämpfen gerne mit der Union gemeinsam für eine Koalition mit den Freien Demokraten, damit Alpträume nicht Wirklichkeit werden. Wir wissen, dass die hohe Popularität der Bundeskanzlerin der CDU zugutekommen wird. Die Union darf sich allerdings auch nicht in den Abwärtssog der SPD hineinziehen lassen. Deshalb muss das bürgerliche Lager alle verfügbaren Kräfte aktivieren. Wir sind hier an der Seite der Bundeskanzlerin. Eine gute Stimmung in der Wirtschaft könnte für die Union ein zusätzliches Stimmenpotenzial von drei bis sechs Prozentpunkten mobilisieren. Dann könnte es für Schwarz-Gelb reichen. Wir helfen gerne mit, eine bessere Stimmung in wertvolle Stimmen umzumünzen.
Fundament der Familienunternehmen nicht zerstört und einfache unbürokratische Familienübergänge ermöglicht.
Mit der Union wieder eine soziale, marktwirtschaftliche Politik machen Wir brauchen viertens selbstverständlich auch Arbeitsmarktreformen, allerdings keine Mindestlöhne, dafür aber eine nachhaltige Bildungsinitiative in allen Bereichen der Gesellschaft. Arbeit und Bildung gehören zu den Grundwerten der Sozialen Marktwirtschaft.
Um die Stimmung zu verbessern, ist es wichtig, sich wirtschaftspolitisch klar aufzustellen. Da haben wir selbstverständlich auch einige Empfehlungen. Erstens: Wir brauchen eine neue Energiepolitik. Alles, was CO2-freie Energie erzeugt, ist von existenzieller Bedeutung für Deutschland: Wind, Wasser, Bio- und Kernenergie gehören zusammen. Wer Kernenergie ablehnt, meint es mit dem Klimaschutz nicht wirklich ernst. Zweitens: Wir fordern eine nachhaltige Steuerreform, die uns endlich ein transparentes, einfaches und gerechtes Steuersystem beschert und die kalte Steuerprogression zurückführt. Der Wirtschaftsrat setzt sich außerdem für eine Reform der Erbschaftsteuer ein, die das
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Hier ist sowohl der Staat als auch die Industrie gefordert. Wir nehmen die Forderung an. Wir werden dafür sorgen, dass eine höhere Akzeptanz der Sozialen Marktwirtschaft wieder Wirklichkeit wird. Lassen Sie uns gemeinsam mit der Union dafür kämpfen, dass wieder eine soziale, marktwirtschaftliche Politik gemacht werden kann.
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60 Jahre Soziale Marktwirtschaft – Kurs und Werte einer erfolgreichen Wirtschaftspolitik Dr. Angela Merkel MdB, Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland
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ie Einführung der Sozialen Marktwirtschaft ist eine der wirkungsmächtigsten Zäsuren in der deutschen Geschichte. Sie war ein mutiger Schritt. Sie war ein Schritt, den Ludwig Erhard mit dem Wort „Verantwortungsfreudigkeit“ umschrieben hat. Dazu hat eine unglaubliche geistige Klarheit gehört, aber auch Mut, der Mut zu handeln. Der Generalstreik der Gewerkschaften von 1948 erinnert uns daran, dass schon zu Beginn der Sozialen Marktwirtschaft die Auseinandersetzung um die Frage stand, wie viel Freiheit oder wie viel Zentralismus wir brauchen. Die Grundfrage unserer Wirtschaftsordnung wurde zu Gunsten des freiheitlichen Lebensentwurfs entschieden.
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Ludwig Erhard hat Freiheit jedoch nicht damit verwechselt, dass jeder tun und lassen kann, was er will. Er hat auf den Wettbewerb gesetzt. Aber er hat auf einen geordneten Wettbewerb gesetzt. Damit hat er sich nicht nur mit Zentralisten, Planwirtschaftlern und Sozialisten angelegt, sondern in der Frage des Kartellrechts auch mit der deutschen Wirtschaft. Er war der Überzeugung, dass ein geordneter Wettbewerb erforderlich ist, um kleineren und mittelgroßen Unternehmen eine Chance zu geben. Mittelstand und Familienunternehmen sind heute das Rückgrat der deutschen Wirtschaft, gerade weil sich Erhard mit diesen ordnungspolitischen Vorstellungen zu einem geordneten Wettbewerb durchgesetzt hat. Dokumentation Wirtschaftstag
Die Soziale Marktwirtschaft muss immer wieder eine Grundfrage beantworten: Wie gelingt es, zunächst Wohlstand zu erwirtschaften, bevor über das Verteilen geredet wird? Unsere Wirtschaftsverfassung ist eine Ordnung der Freiheit. Sie speist sich aus der Grundüberzeugung, dass der Mensch in der Lage ist, an seine Grenzen zu gehen, seine Fähigkeiten auszuschöpfen und daraus etwas zu schaffen. Das ist nach dem Verständnis der Sozialen Marktwirtschaft die Grundlage für soziale Gerechtigkeit. Wenn wir uns heute unsere Situation vergegenwärtigen, dann müssen wir auch feststellen, dass nicht immer alles so gelaufen ist, wie Ludwig Erhard sich das vorgestellt hat. Ein Beispiel: 1967 hat der Bund rund zwei Prozent seines Budgets für Zinszahlungen ausgegeben, inzwischen sind es jedes Jahr 15 Prozent des Bundeshaushalts, die in den Schuldendienst fließen. 1967 standen zwei Drittel des Bundeshaushalts für Zukunftsausgaben zur Verfügung, ein Drittel wurde für Sozialausgaben aufgewendet. Heute ist das Verhältnis genau umgekehrt. Das alles ist Ausdruck der Tatsache, dass Deutschland lange Zeit über seine Verhältnisse gelebt hat. Wir stehen heute vor enormen Herausforderungen. Globalisierung, demografischer Wandel, neue Anforderungen der Wissensgesellschaft, Investitionen in die Zukunft und der gleichzeitige Abbau der Staatsverschuldung sind die bekannten Stichworte. Deshalb ist es an der Zeit, sich auch in der täglichen Arbeit wieder an die Grundsätze der Sozialen Marktwirtschaft zu erinnern.
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Wir haben die Regierungsgeschäfte einer rotgrünen Regierung übernommen, die eine verheerende Bilanz vorzuweisen hatte. Fünf Millionen Arbeitslose und alle 15 Minuten eine Firmenpleite sind nur zwei Eckdaten, die das wirtschaftspolitische Scheitern von Rot-Grün dokumentieren. Glücklicherweise müssen wir uns mit solchen Zahlen heute nicht mehr auseinandersetzen. Heute sind wir wirtschaftlich wieder jene Lokomotive für Europa, die uns als größter Volkswirtschaft Europas zukommt. Wir haben heute 1,6 Millionen Arbeitslose weniger als bei Regierungsantritt. Nimmt man den Höchststand unter Rot-Grün zum Maßstab, sind es sogar zwei Millionen Arbeitslose weniger. Und wir haben eine Chance, dass jeder Jugendliche einen Ausbildungsplatz bekommt. Wir haben in diesem Jahr erstmals wieder mehr Lehrstellen als Bewerber. Das sind Zahlen, auf die wir stolz sein können. An dieser erfolgreichen Bilanz hat natürlich nicht nur die Politik mitgewirkt. Aber die Soziale Marktwirtschaft ist ja auch eine Ordnung mit vielen Akteuren. Sie ist eine Ordnung, in der die Politik den Rahmen schafft, in der dann aber Unternehmen, Verbände und Arbeitnehmer auch ihre Kraft einsetzen können und müssen.
Es bleibt richtig: Sozial ist, was Arbeitsplätze schafft Gegenwärtig stehen wir vor der Herausforderung, die Hände nicht in den Schoß zu legen und nicht schon wieder primär an das Verteilen der erreichten Wohlstandsgewinne zu denken, sondern vielmehr unseren erfolgreichen Kurs fortzusetzen, denn mehr als drei Millionen Arbeitslose bleiben trotz aller Verbesserungen
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mehr als drei Millionen Arbeitslose. Die beste Möglichkeit, auch die sozialen Sicherungssysteme auf ein gutes Fundament zu stellen, ist eine höhere Zahl sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse. Deshalb bleibt die Aussage richtig: Sozial ist, was Arbeit schafft.
Die Ideale der Sozialen Marktwirtschaft werden wieder mehr Akzeptanz finden Aus der Sicht von Politikern gibt es natürlich verführerische sozialpolitische Konzepte. Insbesondere der einheitliche gesetzliche Mindestlohn scheint eine solche Verführung zu sein, die man im sechzigsten Jahr der Sozialen Marktwirtschaft noch einmal genauer diskutieren muss. Was war das Geheimnis, was war die Verheißung der Sozialen Marktwirtschaft? Die Verheißung war eine Wirtschaftsordnung, die jedem Bürger die Möglichkeiten des Einstiegs in den persönlichen Aufstieg eröffnet. Und weil das für die Mehrheit der deutschen Bevölkerung gelungen ist, war die Akzeptanz der Sozialen Marktwirtschaft in der Bevölkerung jahrzehntelang sehr hoch. Heute müssen wir uns die Frage stellen, wie wir dieses Grundgefühl für mehr Menschen wieder herstellen können. Wenn uns das gelingt, werden auch die Ideale der Sozialen Marktwirtschaft wieder mehr Akzeptanz in der Bevölkerung finden. In der Debatte um Mindestlöhne hat sich die Union nach langen Diskussionen auf das Konzept eines Mindesteinkommens verständigt. Nach diesem Modell sichert die Soziale Marktwirtschaft jedem Einzelnen ein Mindesteinkommen, das durch Transferleistungen defi-
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niert wird. Aber wir sind nicht der Meinung, dass wir die Arbeit eines Einzelnen, zum Beispiel eines jungen Menschen, der keinen Schulabschluss hat und dann einen Einstieg in den Arbeitsmarkt findet, an diesem Mindesteinkommen messen dürfen. Wir dagegen sagen: Ein Arbeitseinkommen plus aufstockende Sozialleistungen ist der bessere Weg. Mindestlöhne bergen stets die Gefahr, einen Arbeitsplatz durch einen zu hohen Einstiegslohn zu vernichten. Ein Kombilohn hingegen schafft Einstieg in Aufstieg. Das muss die Maxime sein. Dafür werden wir kämpfen. Allerdings gilt es zu bedenken, dass wir für ein solches Modell eine möglichst gut und flächendeckend funktionierende Tarifautonomie benötigen. Die Tarifpartner – und das unterscheidet uns von vielen anderen Ländern – haben in Deutschland eine grundgesetzlich geschützte Stellung. Unser Grundsatz ist deshalb: Tarifautonomie hat Vorrang vor staatlich festgesetzten Löhnen. Man kann die verschiedenen Branchen nicht einheitlich betrachten, sondern wir müssen nach differenzierten Lösungen suchen. Ein weiteres zentrales Thema ist die Haushaltskonsolidierung. Wir werden aller Voraussicht nach 2011 erstmals seit 40 Jahren wieder einen ausgeglichenen Bundeshaushalt vorlegen. Die Staatsquote ist in den zurückliegenden sechs Jahren von 48,5 auf 43,5 Prozent gesunken. Man kann also feststellen, dass das wirtschaftliche Wachstum zuletzt nicht permanent in neue Staatsausgaben geflossen ist. Wir haben mit der Unternehmensteuerreform und den Ein-
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kommensteuern inzwischen eine Steuerquote, mit der Deutschland im Mittelfeld in Europa liegt. Allerdings haben wir auch ein Problem, das gegenwärtig unter dem Stichwort „kalte Progression“ diskutiert wird. Die CDU wird deshalb im nächsten Jahr ein Steuerkonzept vorschlagen, das vor allem Menschen mit mittleren Einkommen entlastet. Sie tragen heute in besonderer Weise Steuerlasten, sie sind zugleich die Leistungsträger unserer Gesellschaft. Sie sollen das auch bleiben – und dazu wollen wir sie ermutigen. Ein eminent wichtiges Thema der Gegenwart können wir hingegen nur global lösen. Das ist das Thema Klimaschutz und Energieversorgung. Die Arbeit an einer globalen Lösung erfordert, dass wir in Deutschland erst einmal selbst eine intelligente Energiepolitik machen. Zurzeit bauen wir die Vielfalt in der Energieerzeugung jedoch nicht aus, sondern ab. Das halte ich für den falschen Weg. Ich halte es für falsch, unsere Kernkraftwerke, die zu den sichersten der Welt gehören, abzuschalten. Dem Ziel, die CO2-Emission abzubauen, wird damit kein guter Dienst erwiesen. Es hilft uns nicht, wenn wir in ein paar Jahren aus der Tschechischen Republik, aus Frankreich und aus Finnland Atomstrom kaufen, weil wir unsere eigenen Kernkraftwerke abgeschaltet haben. Wir beobachten zusätzlich die fatale Entwicklung, dass sich Widerstände gegen die Erneuerung von Kohlekraftwerken aufbauen. Deutschland erzeugt heute rund 70 Prozent seines Stroms aus Kohle- und Kernkraftwerken. Wenn
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wir auch unseren Kohlekraftwerkspark nicht mehr erneuern, berauben wir uns in kürzester Zeit der Grundlagen unserer Stromerzeugung. Das wird massive Auswirkungen auf die Strompreise haben und ist nicht verantwortbar. Diese Feststellungen stehen für mich in keinerlei Gegensatz zur wichtigen Forderung nach Energiesparen und Förderung der erneuerbaren Energien. Unser Anteil an erneuerbaren Energien steigt permanent. Bis 2020 wollen wir
20 Prozent unseres Primärenergiebedarfs aus alternativen Energiequellen decken. Die Förderung der erneuerbaren Energiequellen muss dabei mit Augenmaß und ohne wettbewerbsverzerrende Wirkungen für unsere Volkswirtschaft erfolgen. Deshalb bin ich auch dankbar, dass wir in der Europäischen Union eine gemeinsame Strategie hierzu entwickelt haben.
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Deutschland gehört zu den Ländern, die noch eine Vielzahl von energieintensiv produzierenden Industriezweigen haben. Dazu zählen vor allem die Chemieindustrie, die Aluminiumindustrie und die Stahlindustrie. Ich möchte ein Europa, in dem diese Industriezweige auch in Zukunft vertreten sind. Ich möchte kein Europa, das zum Importeur von allen chemischen Gütern, Stahl und anderen Dingen wird, nur weil wir hier eine falsche Energiepolitik betreiben.
Wohlstand für alle ohne Bildung wird es nicht geben Der zweite Schwerpunkt unseres Engagements muss auf den internationalen Verhandlungen liegen. Denn Europa hat heute einen Anteil von 15 Prozent an den weltweiten CO2-Emissionen. Selbst wenn wir in Europa überhaupt kein CO2 mehr emittierten, wäre bei den Wachstumsraten von China oder Indien damit zu rechnen, dass die befürchteten abträglichen Klimafolgen genauso auftreten. Das heißt: Wir wollen Vorreiter im Klimaschutz sein, weil wir uns davon auch Exportchancen versprechen. Aber weil wir diesen Weg nicht alleine gegen den Rest der Welt gehen können, setzen wir unser Engagement auf internationaler Ebene entschlossen fort. Die Verheißung der Sozialen Marktwirtschaft muss für jeden Einzelnen wieder erfahrbar werden. Die Grundlage für den Einstieg in den Aufstieg ist deshalb aus meiner Sicht ganz eindeu-
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tig die Bildung. Was früher zum Wohlstand geführt hat, reicht heute alleine nicht mehr aus. Bildung ist heute die Voraussetzung für eine Wissensgesellschaft, für eine Gesellschaft des 21. Jahrhunderts, in der sich die Frage entscheidet, ob Deutschland ein Hochlohnland bleibt oder ob wir nur noch über Verteilungskämpfe im Niedriglohnbereich sprechen. Deshalb hat die Bundesregierung sich entschlossen, das Lissabon-Ziel von drei Prozent für Forschung und Entwicklung konsequent umzusetzen. Aus diesem Grund geben wir in dieser Legislaturperiode sechs Milliarden € mehr für Forschung und Entwicklung aus. Daher haben wir es auch endlich geschafft, mit der Leopoldina eine nationale Akademie der Naturforscher einzurichten. Auch haben wir eine nationale Technikakademie gegründet, die zusätzlich Beratungsfunktionen für die Bundesregierung durchführt. Und im Hochschulsektor reden wir endlich über Exzellenzinitiativen und nicht mehr ausschließlich darüber, wie wir das Geld einfach nur gleichmäßig in Deutschland verteilen. Die Frage, wie viele Menschen Zugang zu Bildung haben, wird entscheidend sein für die Zukunft unseres Landes. „Wohlstand für alle“ ohne „Bildung für alle“ wird es in Zukunft nicht mehr geben. In diesem Sinne hat uns Ludwig Erhard eine Menge Arbeit hinterlassen – und die Aufgabe, auch neue Wege zu gehen. Ich gehöre zu denen, die überzeugt sind: Wir können das schaffen.
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Europa und die Globalisierung – die Zukunft der EU nach dem Lissabonner Vertrag José Manuel Durao Barroso, Präsident der Europäischen Kommission
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uropa muss seine ökonomische Wettbewerbsfähigkeit weiter konsequent stärken. Dazu bedarf es verstärkter Anstrengungen vor allem in den Bereichen Bildung und Forschung, unternehmerisches Umfeld sowie in der Energiepolitik.
So ist zunächst eine kluge Strategie gegen den Fachkräftemangel erforderlich. Die Volkswirtschaften Europas brauchen mehr qualifizierte Arbeitskräfte. Teil der Lösung ist nach meiner Auffassung das „Blue-Card-System“, welches die EU-Kommission vorgestellt hat. Wir können nicht leichtfertig auf hochqualifizierte Arbeitskräfte von außerhalb der EU verzichten. Ich hoffe, dass die Mitgliedstaaten den Vorschlägen der Kommission zur Blue Card zustimmen. Dokumentation Wirtschaftstag
Europa braucht außerdem mehr Investitionen in Forschung und Entwicklung. Hier ist in erster Linie der private Sektor gefordert. Das Ziel, bis zum Jahr 2010 drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Entwicklung auszugeben, werden wir zwar nicht mehr pünktlich erreichen. Dennoch: Wir bewegen uns definitiv in die richtige Richtung. Das Formulieren eines ehrgeizigen Ziels hat uns geholfen. 2010 werden die Mitgliedstaaten der Europäischen Union voraussichtlich 2,6 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung für Forschung und Entwicklung ausgeben. Das sind weniger als drei Prozent, aber deutlich mehr als 1,9 Prozent im Jahr 2005. Es gibt also einen echten Fortschritt, auch wenn wir das Ziel noch nicht erreicht haben. Technologische Schlüsselprojekte wie Galileo und
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natürlich das soeben gegründete Europäische Technologieinstitut in Budapest (EIT) flankieren diese ehrgeizigen Ziele und bringen eine echte europäische Perspektive in das Thema. Ein weiteres Instrument, um die Wettbewerbsfähigkeit Europas zu stärken, ist die Verbesserung der wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen. Die Vollendung eines echten europäischen Binnenmarkts bleibt auf der Agenda.
Wir benötigen generell mehr Flexibilität in unseren ökonomischen Systemen. Wir brauchen moderne, innovative und kundenfreundliche Bürokratien. Ganz wichtig: Wir brauchen mehr kleinere und mittelständische Unternehmen (KMU) – denn sie sind es, die mehr Arbeitsplätze schaffen und das Wachstum in Europa stimulieren. Je mehr von ihnen zu Weltmarktführern werden, umso besser. Die EU-Kommission schlägt deshalb in ihrem „Small Business Act“ vor, rechtliche Hürden für kleinere und mittlere Unternehmen zu beseitigen. So können wir ihr Wachstum fördern. Fördern wollen wir vor allem innovative Firmen, die auch For-
schung und Entwicklung betreiben. Gerade mit Blick auf die KMU strebt uns vor, bürokratische Hemmnisse zu beseitigen und Bürokratiekosten abzubauen. Die so genannte „Stoiber-Gruppe“ zum Bürokratieabbau in Europa leistet hier für uns wertvolle Arbeit. Allerdings ist Bürokratieabbau in der EU nicht immer eine einfache Angelegenheit. Jeder kennt den Witz, dass Brüssel Vorgaben für den Krümmungsgrad von Salatgurken mache. Tatsächlich haben wir, die Europäische Kommission, vorgeschlagen, diese Regelung abzuschaffen. Was ist passiert? Mitgliedstaaten und Verbände haben sich zunächst heftig dagegen zur Wehr gesetzt. Das Beispiel zeigt einmal mehr, dass man mit Kritik an der EU sehr schnell bei der Hand es ist. Aber die Wirklichkeit sieht oft anders aus, und nicht selten befinden wir uns in der Lage, gegen den Widerstand der EU-Mitgliedstaaten bürokratische Vereinfachungen durchsetzen zu müssen. Die EU-Kommission bemüht sich, die europäischen Gas- und Strommärkte zu öffnen. Davon profitieren die Konsumenten durch sinkende Preise und bessere Leistungen. Ich bin deshalb sehr froh, dass wir bei diesem Ziel einen großen Schritt weitergekommen sind. Anfänglich hatten wir tatsächlich sehr unterschiedliche Vorstellungen darüber, wie weit die eigentumsrechtliche Entflechtung („Ownership Unbundling“) der Energiekonzerne gehen sollte. Am Ende aber war es möglich, einen für alle tragbaren Kompromiss zu finden. Das ist ein wirklich großer Schritt auf dem Weg zu einem offenen und integrierten europäischen Energiemarkt. Das ist von wesentlicher Bedeutung für Europa. Nicht nur mit Blick auf die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Energiewirtschaft, sondern auch unter den Gesichtspunkten der Nachhaltigkeit und Sicherheit unserer Energieversorgung. Ein weiteres wichtiges Thema für die Bürger Europas ist der Klimawandel. Die Europäische Union ist global führend im Kampf gegen den Klimawandel. Die Öffentlichkeit, die Bürger, haben die Führungsrolle der EU im Kampf gegen den Klimawandel positiv aufgenommen. Nun wird es darauf ankommen, dass wir die ehrgeizigen Ziele auch erreichen. Unter dem Motto „20-20-20 bis 2020“ sollen bis zum Jahr 2020 die Treibhausgasemissionen um 20 Prozent reduziert werden, der Anteil an erneuerbaren Energien soll auf 20 Prozent steigen und die Energieeffizienz um 20 zulegen. Dieses Paket ist unsere „Road Map“ für eine nachhaltige Ge-
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sellschaft und Wirtschaft, die wesentliche Gewinne ökonomischer und ökologischer Art nach Europa bringen wird. Durch eine höhere Diversifikation unseres Energiemixes werden wir die Abhängigkeit von Öl und Gas reduzieren. Weniger Öl, weniger schmutzige Energieträger – dafür mehr nachhaltige Energiequellen wie Biogas und Biotreibstoffe. Für alle EUStaaten, die auf Kernkraft setzen, bleibt auch die Atomenergie eine Option, die Klimaziele zu erreichen. Für Europas Wirtschaft ist es ganz entscheidend, dass wir uns den technologischen Vorsprung bei erneuerbaren Energien sichern. Hierin steckt ein enormes Potenzial für Wachstum und Beschäftigung. Ich bin davon überzeugt, dass wir kurz vor weitreichenden, ja revolutionären technologischen Durchbrüchen stehen. Wir sollten das ökonomische Potenzial technologischer Neuerungen in diesem Sektor nicht unterschätzen. Ich danke der deutschen Bundesregierung sehr für ihre engagierte Unterstützung unseres Klimaschutzpakets, welches ja während der deutschen EURatspräsidentschaft beschlossen wurde. Die EUKommission ist sich der Einwände der deutschen Wirtschaft sehr wohl bewusst. Insbesondere sind wir uns auch dessen bewusst, dass sich die energieintensiv produzierenden Sektoren vor zu hohen Kostenbelastungen fürchten. Wir werden diese Befürchtungen nicht unberücksichtigt lassen. Unsere Absicht ist nicht, Umweltverschmutzung und Arbeitsplätze zu exportieren. Würde es dazu kommen, würde es – global gesehen – keinen Fortschritt beim Klimaschutz geben und wir würden nur Jobs verlieren. Zum Klimaschutz gibt es keine Alternative. Alle, die das nicht verstehen wollen, werden zurückbleiben. Die Trends
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und wissenschaftlichen Erkenntnisse legen ohne Zweifel eine Hinwendung zu einer energieeffizienteren Wirtschaftsweise nahe. Dazu gibt es keine Alternative. Der hohe Ölpreis verstärkt den Anreiz enorm. Investitionen in erneuerbare Energien sind sehr vernünftig. Man erinnere sich: Durch den hohen Ölpreis und den Klimawandel sind heute Techniken anerkannt, welche man vor wenigen Jahren noch als Spinnereien belächelt hat. Das Klimaschutzpaket der EU ist nicht nur wichtig für den Klimaschutz. Es ist auch von eminenter Bedeutung für die Energiesicherheit und die Wettbewerbsfähigkeit der EU. Dahinter steht eine simple Erkenntnis. Je früher wir uns dem Klimawandel stellen, desto einfacher und kostengünstiger ist es, in den kommenden Jahrzehnten mit ihm umzugehen. Je früher wir uns auch technologisch auf den Klimawandel einstellen, umso mehr ökonomische Vorteile auf den Weltmärkten werden wir haben. Besonders Deutschland ist hier sehr gut positioniert. Ich bin im Übrigen auch der festen Überzeugung, dass sich die innovative deutsche Wirtschaft weit besser und schneller an die Herausforderungen des Klimawandels anpassen wird als viele andere. Es geht nicht um eine Abwehrhaltung und Rückzugsgefechte, sondern es geht darum, die neuen Herausforderungen des Klimawandels als Chance zu begreifen. Nur so können wir als Gewinner aus der Globalisierung hervorgehen. Es gilt, Trends frühzeitig zu erkennen und für uns nutzbar zu machen. Die Haltung der Wirtschaft zu dieser Frage wird für Europa entscheidend sein. Die deutsche Volkswirtschaft ist schließlich die größte des Kontinents. Damit Europa besser und stärker wird, müssen Deutschland und die EU-Kommission eng zusammenarbeiten. Dann werden wir die Heraus-
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Technologie und Innovation – neue Konzepte für eine umweltgerechte Mobilität Shai Agassi, Gründer und Vorstandsvorsitzender Better PLC
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ir stecken mitten in einem der größten Umwälzungsprozesse unserer Geschichte. Wir erleben derzeit mit enormer Geschwindigkeit das Ende des Ölzeitalters. Das betrifft jeden. Konsumenten und Unternehmen, Regierungen und Wissenschaftler. In den USA sagt man: Wenn die Gallone Benzin und die Tasse Kaffee bei Starbucks vier Dollar kosten, dann trinken wir eben keinen Kaffee mehr. So einfach ist das natürlich nicht. Die Prozesse, die derzeit voranschreiten, haben bereits fundamentale Veränderungen ausgelöst. Man denke nur an den Wohlstandstransfer zwischen Industriestaaten und Ölförderländern. Deutschland allein steuert jedes Jahr rund 150 Milliarden € dazu bei. Europa insgesamt zahlt pro Jahr inzwischen 600 Milliarden Dol-
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lar für Öl. Man stelle sich nur einmal vor, was man mit diesem Geld alles machen könnte. Bildung, Gesundheit, Sozialreformen – die wichtigen Zukunftsausgaben könnten, wenn man kein Öl bräuchte, mit einem Schlag locker aus der Portokasse finanziert werden. Öl wird auf lange Sicht nicht mehr günstig werden. Bei den hohen Ölpreisen handelt es sich um eine fundamentale Verschiebung. Vor acht Jahren noch kostete das Barrel Rohöl zehn Dollar, der Preis liegt jetzt weit jenseits der 100-Dollar-Marke. Heute steigt der Ölpreis mitunter an einem einzigen Tag um mehr als zehn Dollar. Auch an solchen Beobachtungen zeigt sich, dass auf lange Sicht niemand mehr ernsthaft mit sinkenden Ölpreisen rechnen kann. Das wäre eine Illusion. Dokumentation Wirtschaftstag
Auch Treibhausgase haben einen Preis, nur beträgt dieser noch immer null Dollar. Deshalb haben wir in der Vergangenheit das gesamte CO2 in der Atmosphäre abgeladen. Das wird nicht mehr lange so bleiben können. Und es wird auch nicht mehr lange so bleiben. Der Klimawandel ist eine Tatsache, der wir uns stellen müssen. Er ist auch eine Tatsache, der sich die Automobilhersteller stellen müssen. Klimawandel und hohe Ölpreise zusammengenommen üben enormen Druck auf die Autokonzerne aus. Die Verkäufe von General Motors sinken derzeit in nur einem Monat fast um ein Drittel – ein Rückgang, den die Automobilindustrie seit der Weltwirtschaftskrise Anfang der dreißiger Jahre nicht mehr gesehen hat. Das sind historische Veränderungen, auf die die Automobilindustrie reagieren muss. Schnell reagieren muss. Wer einfach so weitermacht wie bisher, wird schon morgen von den Märkten verschwunden sein. Was wird wohl passieren, wenn Benzin in den USA genauso teuer wird wie in Europa? Heute können wir zwischen Autos und Öl noch nicht unterscheiden. Sie gehören für uns untrennbar zusammen. Wir kennen nur Großstädte, die von Luftverschmutzung und Krach gekennzeichnet sind. Das ist geradezu unsere Definition von Großstadt. Aber wird das so bleiben? Ich sage nein. Wir müssen lernen, Fortbewegung und Transport auf der einen und Öl auf der anderen Seite gedanklich voneinander zu trennen. Denn wenn wir es nicht tun, dann wird das Ende des Ölzeitalters zugleich das Ende der Globalisierung bedeuten. Wer keine Waren transportieren kann, kann nicht globalisieren. Wer nicht globalisieren kann, wird keinen Wohlstand erzeugen. Die Frage also, die man sich stellen muss, lautet: Wie kann man die Welt ohne Öl überleben, oh-
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ne dramatische Wohlstandsverluste hinnehmen zu müssen? Oder, heruntergebrochen auf die Automobilindustrie: Wie können wir 2020 bessere, preiswertere und umweltfreundlichere Autos bauen, die nicht auf Öl angewiesen sind? Es geht also um die Zukunft des Automobils, oder genauer: Um Elektroautos. Wir von „Project Better Place“ wollen batteriebetriebene Pkw reif machen für den Massenmarkt. Dazu brauchen wir natürlich nicht nur Autos, sondern auch ein flächendeckendes „Tankstellennetz“. Zwei Arten von Zapfsäulen zum Wiederaufladen der Batterien schweben uns vor. Der einfache Weg ist eine Elektrozapfsäule, die vom Aussehen an eine Säule eines Parksystems erinnert. Diese sollen überall in Innenstädten installiert werden. Bei der Fahrt ins Kino, zu Hause, bei der Arbeit, vor dem Restaurant – jeder soll überall sein Auto einfach aufladen können. Das ist sehr praktisch. Ich komme vom Essen zurück, und mein Auto ist wieder vollgetankt. Für längere Strecken haben wir uns etwas anderes überlegt. Längere Strecken bedeuten für Elektroautos derzeit rund 200 Kilometer. Mehr geben Batterien heute noch nicht her. Wer eine längere Strecke am Stück fahren will, muss also tanken. Wie? Durch einen Batteriewechsel, der in unseren Servicestationen in weniger als einer Minute erledigt ist. Das Wechseln einer Batterie geht schneller als das Auftanken eines Autos. Unser Konzept löst alle gravierenden Probleme, die den großflächigen Einsatz von Elektroautos bisher verhindert haben. Es dauert einfach zu lange, bis eine Batterie nach 200 Kilometern Fahrtstrecke wieder aufgeladen ist. Wir setzen also auf Wechselakkus. Das Modell ist einfach. Unsere Kunden kaufen ein Auto, von uns kaufen Sie die Batterie. Wir liefern den Energiespeicher – und wir liefern die Energie. Unsere Kunden zahlen pro Kilometer. Der Preis ist nicht höher als bei Benzin. Wir haben uns
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noch etwas überlegt. Kunden sollen auch Abos abschließen können. Das läuft dann ähnlich wie bei Mobilfunkanbietern. Wenn jemand – sagen wir für vier Jahre – ein Batterie-Abo mit einem fixen Preis pro Kilometer abschließt, dann schenken wir ihm ein Auto. Nach vier Jahren gibt es dann ein neues Auto. Unsere Kunden können sich die Farbe aussuchen, die Ausstattung, und sie können sich auch ein besseres Auto aussuchen. Das wird also ähnlich funktionieren wie bei einem iphone. Wer ein besseres Auto will, zahlt eben etwas mehr. Alles reine Phantasie, eine Vision für die nächsten Jahrzehnte, eine technische Spinnerei, die heute noch nicht realisierbar ist? Keineswegs. Israel und Dänemark haben angekündigt, den Kauf von Elektroautos massiv zu unterstützen. Wer fortan ein Elektroauto in Israel kauft, zahlt keine Steuern mehr. Wer einen Benziner kauft,
zahlt 72 Prozent Steuern. Das ist ein echter Kaufanreiz. Präsident Shimon Peres hat angekündigt, dass Israel binnen zehn Jahren vollständig auf Elektroautos umstellen will. Ministerpräsident Ehud Olmert will noch schneller sein. Die Dänen sind ebenfalls sehr ambitioniert. Hier sollen 180 Prozent Steuern auf Benzinautos fällig werden, Elektroautos zahlen gar keine Steuern. Wer kauft da noch einen Benziner? Der Vorstandschef von Renault und Nissan hat erklärt, Elektroautos bauen zu wollen. 40.000, 400.000 oder acht Millionen pro Jahr. Je nachdem, wie hoch die Nachfrage ist. Das ist alles kein Problem. Sie können die Autos bauen, und sie können sie schnell bauen. Unser Beitrag ist der Aufbau des Netzes. Das Netz wird fertig sein, bevor die Autos verkauft werden. Niemand muss ein Auto kaufen, für das es kein Tanknetz gibt. Es kauft ja auch niemand ein Mobiltelefon, für das es kein Telefonnetz gibt. Wir gehen ins Risiko.
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Für dieses Netz stehen uns bisher 200 Millionen € für Israel und Dänemark zur Verfügung. In Israel werden wir für zwei Millionen Autos eine halbe Million Servicestationen errichten. Das ist ausreichend, um landesweit eine jederzeit bequem erreichbare Versorgung zu haben. Der Effekt für die Umwelt: 20 Prozent weniger Treibhausgasemissionen, das entspricht Kyoto. Die Infrastruktur ist bezahlbar. Die Kosten betragen rund 300 € pro Auto. Das entspricht in etwa den monatlichen Benzinkosten für ein Auto. Anders formuliert: Für das gleiche Geld, was Europa in einem Monat für seine Benzinrechnungen ausgibt, können wir den Absprung vom Öl schaffen. Für das gleiche Geld, das Deutschland in einem Monat für Benzin ausgibt, kann sich der Automobilverkehr vom Ölmonopol der Lieferländer befreien. In nur einem Monat! Zu teuer? Wir haben ausgerechnet, dass der Stromverbrauch eines Elektroautos heute drei Cent pro Kilometer kostet. Ein Benzinfahrzeug kostet 15 Cent pro Kilometer. Durch diese Differenz sind wir mit unserem Geschäftsmodell in der Lage, unseren Kunden am Anfang der Vertragslaufzeit ein Gratis-Auto zu stellen. Wir nennen es das Null-Null-Modell: Null Emissionen, null Anschaffungskosten. In welchem Zeitraum können wir die flächendeckende Umstellung auf Elektrofahrzeuge erreichen? Es gibt zwei Szenarien. Entweder warten wir so lange, bis der Welt das Öl ausgeht und das Barrel 400 oder 500 Dollar kostet. Das wird irgendwann passieren. Dann aber ist es zu spät. Wenn wir es soweit kommen lassen, wird niemand mehr Auto fahren können und die Globalisierung wird zum Erliegen kommen. Unsere zweite Möglichkeit ist, Elektroautos möglichst schnell nach vorne zu bringen. Auch mit staatlichen Anreizen. Von selbst passiert ein so großer Umschwung nicht. Wir sollten das tun, wenn wir davon überzeugt sind. Wir sollten die besten verfügbaren Experten und Wissenschaftler prüfen lassen, ob das Modell, das ich vorgestellt habe, der richtige Weg in die Zukunft ist. Wenn er es ist, sollten wir ihn beschreiten. So schnell wie möglich. Es ist sinnlos, solange zu warten, bis Öl nicht mehr bezahlbar ist. Es ist sinnlos, dem Niedergang der Automobilindustrie tatenlos zuzusehen. Die Autoindustrie muss sich jetzt an die veränderten Bedingungen anpassen. 2010 können Elektroautos auf den Straßen sein. Das ist das Projekt unserer Generation. Ich bin überzeugt: Wir sollten es so schnell wie möglich anpacken. 앫 Dokumentation Wirtschaftstag
Staatsfonds – Retter des internationalen Finanzsystems? Prof. Dr. h.c. Klaus-Peter Müller, Vorsitzender des Aufsichtsrates der Commerzbank AG und Präsident des Bundesverbandes Deutscher Banken
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udwig Erhard löste die planwirtschaftlichen Fesseln im Westen Deutschlands durch die Einführung der Sozialen Marktwirtschaft. Angesichts eines kriegszerstörten Landes und einer ungewissen Zukunft gehörte damals viel Mut und Optimismus dazu, auf Leistung und Wettbewerb zu setzen. Mit festem, unbeirrbarem Glauben verfolgte Erhard dennoch sein Ziel. Zu Recht nannte der Politikwissenschaftler Theodor Eschenburg die Entscheidung Erhards für die Marktwirtschaft „einen großen Wurf und einen gut ausgedachten und sicher ausgeführten Handstreich“. Erhards großer Wurf hatte in der Tat etwas von einem Handstreich. Wenn wir es Mut nennen, dann erkennen wir daran auch, woran es der Wirtschaftspolitik heute gelegentlich mangelt. Dokumentation Wirtschaftstag
Denn Erhards Vermächtnis ist aktueller denn je. Wer wünschte sich heute nicht manchmal, dass die Politik mit jenem unbeirrbaren und festen Glauben ebenfalls zu einem großen Wurf in der Lage wäre? Zum Vermächtnis Erhards gehört auch der Wille, sich konstruktiv für die Gesellschaft einzusetzen und seine Ziele gegen Widerstände auch durchzusetzen. Ich meine, ein wenig mehr von dieser Haltung würde unsere Gesellschaft heute in vielen Dingen weiter voranbringen. Erhards Marktwirtschaft ist jedoch beileibe nicht überall auf Gegenliebe gestoßen. So konnte in den frühen fünfziger Jahren über die Hälfte der Bevölkerung mit dem Begriff „Soziale Marktwirtschaft“ nicht viel anfangen. Nur jeder zehnte Bürger gab seinerzeit eine richtige Erklärung dafür. Zwar wissen heute mehr Bürger etwas mit diesem Begriff anzufangen. Aber
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mit fast 60 Prozent beklagen unsere Bürger, dass die Soziale Marktwirtschaft nicht so sozial ist, wie sie es sich wünschen. Das ist durchaus alarmierend. Hier werden Defizite sichtbar. Wie können wir solche Defizite abbauen? Ich sehe hier vor allem unser Bildungssystem in der Pflicht. In den Lehrplänen sollte die Unterrichtung wirtschaftlicher Fakten und Zusammenhänge vorgesehen werden – und zwar ohne ideologische Scheuklappen, im Rahmen eines eigenen Schulfachs. Aber auch alle, die in gesellschaftlicher Verantwortung stehen, müssen noch deutlicher als bislang vermitteln, dass die Soziale Marktwirtschaft die beste aller möglichen Wirtschaftsordnungen ist. Je freier sich Produktion und Verbrauch entfalten können, desto mehr Wohlstand und Freiheit ergeben sich für alle. Dieses Credo Ludwig Erhards gilt heute unverändert. Dafür habe ich mich immer eingesetzt und dafür werde ich mich auch weiterhin einsetzen. Alexander Rüstow, einer der Weggefährten Erhards, hat einmal gesagt: „Gleichheit am Anfang kann man im Namen der Gerechtigkeit fordern. Gleichheit am Ende nur im Namen des Neides. ‚Jedem das Seine‘ fordert die Gerechtigkeit, ‚jedem dasselbe‘ der Neid.“
Für Erhard waren Freiheit im Außenhandel und Rückkehr auf die Weltmärkte von zentraler Bedeutung Zu einem anderen Thema, das für die Soziale Marktwirtschaft jedoch auch von eminenter Bedeutung ist. Es geht um Staatsfonds – und die Frage, ob sie als „Retter des internationalen Finanzsystems“ taugen. Oder ob man, wie die Bundesregierung meint, den Einfluss ausländischer Investoren in „strategisch“ wichtigen Bereichen der deutschen Volkswirtschaft beschränken sollte. Die Parallelen der aktuellen Debatte zu Ludwig Erhards Erbe sind nicht zu übersehen. Denn für Erhard waren Freiheit im Außenhandel und die Rückkehr auf die Weltmärkte von zentraler Bedeutung für den Erfolg der deutschen Wirtschaft. Genau diese Freiheit droht nun für die Kapitalmärkte eingeschränkt zu werden. Zunächst einige grundsätzliche Anmerkungen zu Staatsfonds. Die finanziellen Mittel, die diesen Investitionsvehikeln zur Verfügung stehen, sind in der Tat beachtlich. Alle Staatsfonds zusammengenommen verfügen zurzeit über Anlagemittel in Höhe von gut drei Billionen USDollar. Das entspricht fast dem Bruttosozialprodukt unseres Landes. Die größten unter ihnen – Fonds aus den Vereinigten Arabischen Emira-
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ten, aus Singapur und Norwegen – erreichen mit Leichtigkeit die Wirtschaftskraft der Schweiz und Österreichs. China hat inzwischen Währungsreserven von über 1,5 Billionen USDollar angesammelt. Schätzungen zufolge wachsen diese jeden Tag um 1,5 Milliarden Dollar. Ein Gutteil daraus wiederum speist den chinesischen Staatsfonds CIC, die China Investment Corporation, die Ende vergangenen Jahres mit 200 Milliarden US-Dollar ausgestattet wurde. Das sind beeindruckende Zahlen. Aber: Betrachtet man sie im Kontext aller Asset-Klassen, dann wird klar, dass sich das Anlagevolumen etwa von Investment- oder Pensionsfonds auf das Sechs- bis Siebenfache beläuft. Versicherungen managen weltweit etwa das fünffache Finanzvolumen von Staatsfonds. Das bedeutet: Die Dimension von Staatsfonds nimmt sich bei genauerem Hinsehen etwas geringer aus, als man es nach der aktuellen Diskussion und auf den ersten Blick vermuten würde. Dennoch sind zwei Aspekte neu: Das dynamische Wachstum der Staatsfonds und ihre verstärkte Diversifizierung, also der Ersatz von Staatsanleihen durch alternative Investitionen, etwa in Hedgefonds, Private-Equity oder Unternehmensbeteiligungen. Damit stellen die Staatsfonds die bisher praktizierten Regeln für Direktinvestitionen auf den Prüfstand. Auf den Investmentmärkten der Welt könnten deshalb womöglich nicht mehr nur privatwirtschaftliche Renditeinteressen eine Rolle spielen, sondern mehr und mehr auch staatlich vorgegebene Anlagestrategien, vielleicht sogar politische Ziele. Viele fühlen sich jedenfalls verunsichert, wenn immer mehr Investitionskapital unter staatlichen Einfluss gelangt. Das hängt auch damit zusammen, dass die Strategien der Fonds nicht in allen Fällen transparent sind. Zugleich ist nicht einfach von der Hand zu weisen, dass sie Einfluss auf Marktpreise, die Kapitalallokation und damit zumindest theoretisch auch auf die Stabilität des Gesamtsystems haben können. Der Ruf nach Kontrolle und Regulierung ist dann nicht weit – zumal andere Länder bereits früher zu gesetzgeberischen Mitteln gegriffen haben. Ich nenne beispielhaft die USA, Japan und Frankreich. Wie aber sieht es in Deutschland aus? Vorschläge des Bundeswirtschaftsministeriums sehen bei Investoren, die nicht aus der EU kommen, ab Unternehmensbeteiligungen von 25 Prozent die Möglichkeit einer Prüfung vor. GegebenenDokumentation Wirtschaftstag
falls kann dann als Folge dieser Prüfung auch ein Veto ausgesprochen werden. Ähnlich wie in den Ländern, in denen Kontrollen schon eingeführt sind, führen die Verfechter schärferer Regeln unsere „öffentliche Ordnung und Sicherheit“ ins Feld, letztlich also das nationale Interesse. Das ist ein großes Wort – und ebenso schwer bestimmbar. Die öffentliche Diskussion der vergangenen Monate hat gezeigt, wie vage der Begriff ist. So ist es kein Wunder, dass viele – sicher auch die Falschen – sich unter den neuen Schutzschirm im Außenwirtschaftsgesetz flüchten wollen. Äußerst fragwürdig ist auch das Argument, man möge vor dem Einstieg eines ausländischen Investors die Arbeitsplatzeffekte prüfen. Wenn man es genau betrachtet, ist das Arbeitsplatzargument der klassische Sündenfall, wenn es um willkürliche Investitionshürden geht. Eine sachgerechte Abschätzung der Arbeitsplatzrisiken einer Investition ist – selbst wenn man es wollte – im Vorhinein gar nicht möglich. Ein Ausschlusskriterium kann und darf das Arbeitsplatzargument aus guten Gründen in einer offenen Volkswirtschaft ohnehin nicht sein. Ich halte es für sehr bedenklich, wie sich hier fast unbemerkt der Fokus der Diskussion verschoben hat: Zunehmend geht es nicht mehr um die Staatsfonds selbst oder um staatlich gelenkte Investoren, sondern um den Schutz vor ausländischen Investoren an sich. Das macht mir Sorge. Die Angelegenheit droht
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sich langfristig zum Schaden unseres Landes zu entwickeln. Denken wir etwa, dass Schwellenländer künftig auf internationaler Ebene eng mit uns zusammenarbeiten werden, wenn wir ihnen heute – ohne nachvollziehbaren Grund – das Recht verwehren, ihre Gelder nach eigenem Ermessen international anlegen zu können? Ist eine solche Abschottungspolitik hilfreich, wo doch auch deutsche Unternehmen darauf angewiesen sind, im Ausland zu investieren? Diesen Fragen würde man mehr Raum in öffentlichen Diskussionen wünschen.
Die Codizes für Transparenz der Staatsfonds und Offenheit der Empfängerländer müssen von hoher Qualität sein Die Debatte, wie sie in Deutschland geführt wird, schießt weit über das Ziel hinaus. Und gerade das ist eben nicht im nationalen Interesse. Niemand sollte die Wirkung solcher Signale unterschätzen. Wir vermitteln den Eindruck, als wünsche sich Deutschland ein Bollwerk gegen ausländische Investoren. Besser wäre es doch, einen europäischen Konsens darüber zu erreichen, dass restriktive Maßnahmen nur in absoluten Ausnahmesituationen ergriffen werden. Dann hätten wir den Rücken frei, uns den Verhandlungen über Verhaltenscodizes im Internationalen Währungsfonds und in der OECD zuzuwenden. Denn dort wird über die eigentlichen Grundprobleme gestritten. Die Codizes für Transparenz der Staatsfonds und Offenheit der Empfängerländer müssen von hoher Qualität sein. Eine höhere Transparenz, vor allem
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eine Transparenz mit höherer Qualität, würde politische Regulierungen von Staatsfonds weitgehend erübrigen.
Wie kann der Beitrag des Finanzsystems für Wachstum und Beschäftigung gesichert und gesteigert werden? Kommen wir vom Grundsätzlichen zum Speziellen. Welche Rolle kommen Staatsfonds im Finanzsystem zu? Können sie – Stichwort Subprimekrise – gar die Retter unseres Finanzsystems sein? Bei der Rekapitalisierung von Banken, die im Gefolge der US-Subprime-Krise Kapital aufnehmen mussten, spielten Staatsfonds eine gewichtige und eine durchaus positive Rolle. Solange sich Staatsfonds innerhalb der kartell- und kapitalmarktrechtlichen Regelungen bewegen, sind sie willkommen. Denn weder das globale Finanzsystem noch die einzelnen Volkswirtschaften, schon gar nicht die deutsche, können oder sollten auf diese Investoren verzichten. Ich glaube aber dennoch, dass dem Bild der Staatsfonds als Retter sehr nachhaltig widersprochen werden muss. Denn den Retter treibt immer auch Altruismus. Wir aber
sollten besser davon ausgehen, dass die Staatsfonds nichts zu verschenken haben. Nach meiner Lesart waren die Staatsfonds keine Retter. Wie schon seit langem sind sie finanzstarke und professionelle Partner auf den Kapitalmärkten, die einen langen Anlagehorizont haben und hohe Verlässlichkeit aufweisen. Staatsfonds stehen für ein weiteres Zusam-
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menwachsen der Finanzmärkte. Wenn man so will, sind sie nichts anderes als eine moderne Variante des Recyclings von „Petrol-Dollars“, wie wir das schon aus den siebziger Jahren kennen. Die Fonds sind meiner Auffassung nach jedoch kein strukturell entscheidender Faktor bei der Lösung jener Fragen, die sich im Gefolge der Subprime-Krise stellen. Das würde ihnen eine Rolle aufbürden, die sie nicht erfüllen können und sie vermutlich auch gar nicht erfüllen wollen. Dies müssen Marktteilnehmer, staatliche Aufsicht und Gesetzgeber schon selbst erledigen. Mir gefällt sehr gut, was Bundesbankpräsident Axel Weber vorgeschlagen hat. Im Kern geht es ja um die Schaffung stabiler Finanzmarktverhältnisse. Weber spricht von „der ersten Verteidigungslinie“, die er als das „eigenverantwortliche Handeln der Marktteilnehmer“, empfindet, oder, anders formuliert, als „ein wirkungsvolles individuelles Risikomanagement sowie ein hohes Maß an Markttransparenz“. Seine „zweite Verteidigungslinie“ ist eine effektive Banken- und Finanzmarktaufsicht. Und schließlich sind globale Standards, die auf dem Wege enger internationaler Kooperation entstehen, eine „dritte Verteidigungslinie“. An allen drei „Verteidigungslinien“ wird zur Zeit gearbeitet. Ich meine, wir sind auf einem guten Weg. Staatliche Stellen, allen voran das Financial Stability Forum, Notenbankchefs, Aufseher der führenden Finanzplätze, die Branche selber und das Institute of International Finance in Washington haben Empfehlungen erarbeitet. In der Gesamtbetrachtung liegt damit eine geeignete Blaupause zur Vorbeugung ähnlicher Probleme in Zukunft vor. Bei der sachgerechten Umsetzung dieser Vorschläge muss es darum gehen, den richtigen Mix aus neuer Gesetzgebung und Selbstregulierung der Marktteilnehmer zu finden. Dann müssen wir auch nicht länger über „Retter des Systems“ sinnieren, sondern können uns der eigentlich wichtigen Frage widmen: Wie kann der Beitrag des Finanzsystems für Wachstum und Beschäftigung gesichert und gesteigert werden? Staatsfonds können dabei eine durchaus gute Rolle spielen. Das würde auf der Basis von Transparenz und marktkonformem Verhalten auch dazu beitragen, Staatsfonds zu entdämonisieren. Denn letztlich gilt auch für den Kapitalmarkt das Wort Ludwig Erhards: „Je freier die Wirtschaft, umso sozialer ist sie auch.“ 앫 Dokumentation Wirtschaftstag
Wirtschaftsrat ehrt Prof. Dr. h.c. Klaus-Peter Müller
Gedenkmünze Ludwig Erhard in Gold für den Vorsitzenden des Aufsichtsrates der Commerzbank AG und Präsidenten des Bundesverbandes Deutscher Banken
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it der Verleihung der Verdienstmedaille „Gedenkmünze Ludwig Erhard in Gold“ ehrte anlässlich seines Wirtschaftstages 2008 der Wirtschaftsrat Prof. Dr. Klaus-Peter Müller, Vorsitzender des Aufsichtsrates der Commerzbank AG. Der Präsident des Wirtschaftsrates, Prof. Dr. Kurt J. Lauk: „Sie haben sich um den Erhalt und die Weiterentwicklung der Sozialen Marktwirtschaft in hohen Maßen Verdienste erworben. Präsidium und Bundesvorstand verleihen Ihnen im Einvernehmen mit der Bundesdelegiertenversammlung mit großer Freude diese höchste Auszeichnung des Wirtschaftsrates.“ Die bisherigen Inhaber der Gedenkmünze Ludwig Erhard sind: Jean-Claude Trichet, Präsident der Europäischen Zentralbank (2007).; Klaus H. Scheufelen, Mitinhaber Papierfabrik Scheufelen GmbH & Co. KG, Lenningen (2006); Dr. Wolfgang Schüssel, Bundeskanzler der Republik Österreich a.D. (2006); Jean-Pierre Raffarin, Premierminister der Republik Frankreich a.D., Paris (2004); Dr. Helmut Kohl, Bundeskanzler a.D., Berlin (2003); Konsul Dr. Dieter Murmann, Geschäftsführender Gesellschafter, J.P. Sauer & Sohn Maschinenbau-Beteiligungs-GmbH, Kiel und Ehrenvorsitzender des Wirtschaftsrates (2000). Lauk weiter in seiner Laudatio: „Wir ehren einen erfolgreichen Unternehmer aus Deutschland. Als Vorstandsvorsitzender hat er die Commerzbank wieder auf Erfolgskurs gebracht. Die Stürme auf den internationalen Finanzmärkten hat er erfolgreich überstanden beziehungsweise sich ihnen weitgehend entzogen. Auch dafür Glückwunsch. Als Unternehmer und Präsident des Bundesverbandes der deutschen Banken ist er ein ordnungspolitischer Kämpfer nach dem Vorbild Ludwig Erhards. Er verkörpert in sich die Tugenden des ehrbaren Kaufmanns. Diese waren immer seine Richtschnur – Anstand, Aufrichtigkeit, Verlässlichkeit und Übernahme von Mitverantwortung für unser ganzes Gemeinwesen. Klaus-Peter Müller ist ein Beispiel gelebter guter Managermoral. Beim Wechsel vom Vorstandsvorsitz an die Aufsichtsratsspitze ist es normalerweise üblich, dass die Restlaufzeit des Vorstandsvertrages ausbezahlt wird. Darauf hat er ausdrücklich verzichtet. Das ist moralische Vorbildhaftigkeit in diesem Land. Damit ist er wie geschaffen, sozusagen eine natürliche Wahl für seine neue verantwortungsvolle Aufgabe: Als Vorsitzender der Corporate Governance-Kommission in Deutschland für gute Unternehmensführung ist er in der deutschen Wirtschaft fest verankert und wird dieses wichtige Gremium ganz bestimmt erfolgreich führen. Wir sind überaus glücklich über die wertvolle langjährige konsequente, kontinuierliche Mitarbeit und das Engagement von Klaus-Peter Müller im Wirtschaftsrat. Er bleibt in der Kommission Soziale Marktwirtschaft und Ethik an unserer Seite.“ Klaus-Peter Müller bedankte sich: „Die Auszeichnung erfüllt mich mit Stolz. Ganz besonders freut es mich aber, im Namen eines Mannes gewürdigt zu werden, der unsere Wirtschaftsordnung, die ökonomische Entwicklung unseres Landes wie kaum ein anderer geprägt hat.“ Dokumentation Wirtschaftstag
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Europa und die Welt: Sind wir im globalen Wettbewerb noch gefragt? Carl Bildt, Außenminister von Schweden
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ie Jahre zu Beginn des dritten Jahrtausends sind die wirtschaftlich erfolgreichsten in der Geschichte der Menschheit. Der Welthandel hat zwischen 2000 und 2007 im Durchschnitt um sieben Prozent pro Jahr zugelegt. Darin spiegeln sich die hohen Wachstumsraten der beteiligten Volkswirtschaften wider. Heute lebt rund ein Drittel der Weltbevölkerung in Staaten, die ein jährliches Wirtschaftswachstum von rund zehn Prozent verzeichnen. Das bedeutet, dass sich ihr Wohlstand in weniger als einer Dekade verdoppelt. Die Weltwirtschaft ist noch nie so schnell gewachsen wie heute. Niemals zuvor sind so viele Menschen so schnell aus der Armut herausgekommen. 80 Prozent der Weltbevölkerung leben heute in Staaten, in denen die Armut sinkt. Im Jahr 1990 lebten gerade einmal zwei von zehn Menschen in Staaten, die hinreichend offene Volkswirtschaften hatten. Wegen der seit-
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her eingeleiteten politischen und ökonomischen Veränderungen leben heute neun von zehn Menschen weltweit in einer mehr oder minder offenen Wirtschaft und Gesellschaft. Es ist jetzt genau dreißig Jahre her, dass Deng Xiaoping die „Politik der offenen Tür“ ausgerufen hat. Diese Politik hat die chinesische Wirtschaft, einst eine der geschlossensten und am wenigsten entwickelten der Welt überhaupt, zu einer zunehmend offenen Wirtschaft gemacht. Seither hat sich die Wirtschaftsleistung Chinas alle acht Jahre verdoppelt. Heute exportiert China an einem Tag mehr Waren als damals in einem ganzen Jahr. Indien wird in diesem Jahr eine Wachstumsrate zwischen neun und zehn Prozent erreichen, Indonesien sieben Prozent. Was wir heute im Zuge der dritten Globalisierungswelle erleben, reflektiert das, was wir bereits während der ersten GlobalisieDokumentation Wirtschaftstag
rungswelle im 19. Jahrhundert gesehen haben. 1830 waren Russland, Frankreich und Großbritannien in etwa mit derselben Größe ihres Bruttosozialprodukts gestartet. Sechzig Jahre später war die Wirtschaftsleistung Russlands und Frankreichs etwa doppelt so groß, die der Briten hatte sich indes vervierfacht. Warum? Der Unterschied lag in der Politik. Großbritannien war weitaus offener und liberaler als Russland und Frankreich. Damit waren die Briten weitaus besser darauf vorbereitet, die neuen Gelegenheiten zu nutzen, welche vor allem durch die technologischen Neuerungen jener Zeit entstanden waren. Deutschland ging einen ähnlichen Weg, der bis zum Ersten Weltkrieg ziemlich erfolgreich war. Der Schlüssel zu Deutschlands Erfolg war neben der starken Industrie der Zollverein und die konsequente ökonomische Integration. Berlin war in den prosperierenden Dekaden vor dem Ersten Weltkrieg das Silicon Valley Europas. Während Briten und Deutsche, zunehmend auch die Amerikaner, Vorteile aus dem expandierenden Welthandel zogen und ihre ökonomische Wettbewerbsfähigkeit verbesserten, blieben weniger offene Gesellschaften wie Russland zurück. Ihre Politik war einfach nicht angemessen für die neue Ära des offenen Welthandels. Wir sehen: Die Lehren aus den verschiedenen Wellen der Globalisierung sind im Kern die gleichen. Europa ist sich dessen bewusst. Die europäische Integration ist die stärkste Kraft für Frieden und Wohlstand, die der Kontinent je gesehen hat. Ein Kontinent, der viele Jahre von Krieg und Konflikten gekennzeichnet war, hat sich in einen Kontinent verwandelt, in dem das Recht des Gesetzes und echter Frieden zwischen den Völkern herrscht. Und kaum jemand bezweifelt, dass die EU-Osterweiterung die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Volkswirtschaften weiter verbessern wird. Neue Märkte bringen neue Möglichkeiten. Neue Wettbewerber bringen neue Herausforderungen. Neue Konsumenten bringen neue Nachfrage. Wettbewerb und Produktivität können so nur steigen. Die Erweiterung der EU ist in jeder Hinsicht eine echte Erfolgsgeschichte. Sie bringt Frieden und Wohlstand in jeden Teil unseres Kontinents.
den scheinen. So hat zum Beispiel die Entwicklung von Mobiltelefonen weit mehr Möglichkeiten und Wohlstand gebracht als jede Entwicklungshilfe. Ich bin stolz darauf, dass Schweden als eines der wenigen Länder der Welt ein Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für Entwicklungshilfe aufwendet. Aber das, was technische Innovationen wie die GSM-Revolution bewirken, kann Entwicklungshilfe nie erreichen.
Wir müssen bereit sein, gegenüber Veränderungen offen zu sein In den westlichen Industriestaaten besteht die große Sorge, dass Arbeitnehmer im Zuge von Produktionsverlagerungen ihre Arbeitsplätze verlieren. Produktionsstätten werden in andere Länder abwandern, keine Frage. Aber im Ganzen betrachtet ist das eine gute Sache. Warum sollten Europa oder die USA Verlierer solcher Produktionsverlagerungen sein? Nehmen wir, um beim Beispiel Mobilfunk zu bleiben, das iPhone. Auf der Rückseite jedes iPhones kann man lesen: „Designed in California – Assembled in China“. Von den 299 Dollar, die ein iPhone kostet, fließen nur vier Dollar nach China. 160 Dollar gehen in die USA – für Design, Transport, Marketing und anderes mehr. Das bedeutet: Europa und die USA müssen vor allem ihre Anstrengungen in Forschung und Entwicklung vorantreiben, um auch künftig zu den Globalisierungsgewinnern zu zählen. Wir leben in einer Welt großer und schneller Veränderungen. Der Schlüssel zum Erfolg ist Veränderungsbereitschaft. Wir müssen bereit sein, gegenüber Veränderungen offen zu sein und uns schnell auf sie einzustellen.
Wenn wir für die Zukunft planen, müssen wir immer zwei Dinge bedenken: Die dritte Welle der Globalisierung steht gerade erst am Anfang und sie kommt zeitgleich mit technologischen Revolutionen, die jeden Tag schneller zu werDokumentation Wirtschaftstag
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Früher einmal haben wir über entwickelte Länder und über Entwicklungsländer gesprochen. Dann änderten wir unsere Terminologie und sprachen über entwickelte und Schwellenländer, also sich entwickelnde Länder. Wir müssen begreifen, dass sich heute alle Länder entwickeln müssen – manche mehr, manche weniger. Aber alle müssen sich weiterentwickeln, wenn sie auch in Zukunft erfolgreich sein wollen.
Der Internationale Währungsfonds schätzt, dass in diesem Jahr mehr als die Hälfte der weltweit aggregierten Nachfrage aus den so genannten Schwellenländern kommt. Das ist eine fundamentale Veränderung. Eine sehr lange Zeit haben vor allem die amerikanischen Verbraucher die globale Nachfrage dominiert, heute sind es die Schwellenländer. Manche fürchten, dass die positiven Veränderungen der letzten Jahre so nicht weitergehen können. Neue Bedrohungen für offene Gesell-
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schaften werden heraufbeschworen. Das liberale Welthandelssystem könnte in Frage gestellt werden. Befürchtet wird auch, dass die Knappheit von Öl, Wasser und Lebensmitteln uns in eine Malthusianische Welt mit neuen Rivalitäten und kriegerischen Auseinandersetzungen zurückführt. Ich halte die pessimistische Perspektive für unwahrscheinlich. Richtig ist, dass Länder wie Russland und China nach wie vor autoritär geführt werden. Aber man muss die Dinge in einer langfristigen Perspektive betrachten. In China, in Russland und in anderen wirtschaftlich aufstrebenden Ländern entwickelt sich eine selbstbewusste, weltoffene und gebildete Mittelklasse, die zunehmend politische und gesellschaftliche Freiheiten einfordern wird. Rund um die Welt, in so unterschiedlichen Ländern wie Spanien und Griechenland, in Südkorea und Mexiko, in Brasilien und Indonesien ist das gleiche schon passiert. Wirtschaft und Gesellschaft haben sich geöffnet und von ihren autoritären Machthabern befreit. Russland und China sind begierig darauf, am Prozess der Globalisierung teilzunehmen. Ich erwarte deshalb keinen Veränderungsdruck in Richtung mehr politischer Autorität, sondern das Gegenteil. Wer am Welthandel und an der Globalisierung teilhaben will, muss sich öffnen. Und wer sich nach außen öffnet, erzeugt im Inneren ebenfalls offene Gesellschaften. Auch in der islamischen Welt erkenne ich positive Signale. Die Wahlen in Marokko und Pakistan etwa haben gezeigt, dass die Unterstützung für fundamentalistische Kräfte in der Bevölkerung gering ist. Dennoch stehen die Gesellschaften vor enormen Herausforderungen. Ein Viertel der Jugendlichen im Mittleren Osten und in den Ländern Nordafrikas sind arbeitslos. In nur 15 Jahren wird die arabische Welt um 160 Millionen Menschen wachsen. Wenn die Region friedlich bleibt und sich die Gesellschaften Stück für Stück öffnen, haben die arabischen Staaten eine demographische Dividende, die sich in Wirtschaftswachstum und neue Möglichkeiten ummünzen ließe. Das wäre das positive Szenario. Denkbar ist natürlich auch ein negatives. Permanenter Konflikt und das Ausbleiben gesellschaftlicher wie ökonomischer Reformen könnte die arabische Welt in einen Teufelskreis aus Arbeitslosigkeit und Verzweiflung treiben. Politische Konflikte und ökonomisches Versagen könnten große Teile der Region im schlimmsten Fall in einen systematischen ZuDokumentation Wirtschaftstag
sammenbruch treiben. Um das zu verhindern, ist auch die Europäische Union gefragt. Europa muss den arabischen Staaten helfen, ihre Volkswirtschaften und Gesellschaften zu öffnen. Europa muss helfen, kriegerische Auseinandersetzungen in der Region zu vermeiden. Ich glaube nicht, dass unserem offenen Gesellschaftsmodell ernsthafte Gefahren von außen drohen. Ich fürchte viel mehr die Gefahren, die sich durch den wiederaufflammenden Protektionismus rund um die Welt für unsere offenen Volkswirtschaften ergeben. Ein Scheitern der Doha-Runde wäre fatal. Das wäre das erste Mal seit der „großen Depression“, dass globale Handelsgespräche scheitern. Und dies käme zu einer Zeit, in der sich andere Gefahren und Unsicherheiten aufbauen. Niemand kann vorhersehen was passiert. Aber wir sehen schon heute, dass die hohen Nahrungsmittelpreise durch populistische Handelsbeschränkungen noch weiter in die Höhe geschossen sind. Ohne Exportrestriktionen, so eine Studie des Food Policy Research Institute, könnten Nahrungsmittel 30 Prozent günstiger und die Preisschwankungen deutlich kleiner sein. Im kritischen Bereich der Nahrungsmittel erkennt man also sehr deutlich, wie schnell Protektionismus die Preise anfeuert und menschliches Leiden verschärft. Und was für die Lebensmittelpreise gilt, gilt genauso für andere Rohstoffmärkte. Die Geschichte Europas ist die Erfolgsgeschichte offener Gesellschaften und offener Märkte. In diese Richtung sollten wir auch in Zukunft gehen. Wenn Europa sich weiter an seine Erfolgsmaxime hält, wird es auch den Wandel hin zu
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mehr Offenheit in anderen Teilen der Welt unterstützen. Wir müssen der Welt zeigen, dass wir durch Zusammenarbeit und Offenheit eine bessere Zukunft gestalten können. Das Modell Europas wird in der Welt zunehmend attraktiv empfunden. Europa hat die Aufgabe und Verantwortung, für Freiheit und offene Gesellschaften in der Welt zu werben. Afrikanische Länder können ihre Probleme nie überwinden, wenn sie es nicht schaffen, sich zu öffnen und zusammenzuarbeiten. Und auch hier muss Europa Vorbild, Ideengeber und Unterstützer sein.
Europa ist heute erfolgreicher und friedlicher als jemals zuvor in seiner langen Geschichte Zugleich müssen wir aber auch begreifen, dass der Vereinigungsprozess Europas noch nicht abgeschlossen ist. Im Südosten Europas, auf dem Balkan und in der Türkei, warten weitere 100 Millionen Menschen, Teil der europäischen Integration zu werden. Dieser Erweiterungsprozess wird noch einmal anspruchsvoller werden als jene, die schon hinter uns liegen. Aber vielleicht sind die Gewinne daraus noch größer. Wir müssen der Welt zeigen, dass Europa seine Konflikte und Probleme der Vergangenheit bewältigen kann. Europa hat sich selbst schon enorm verändert. Es ist heute erfolgreicher und friedlicher als jemals zuvor in seiner langen Geschichte. Europa muss sich allerdings darauf einstellen, viel mehr als bisher seine Verantwortung in der Welt wahrzunehmen. Das können wir am besten als Vorbild und Unterstützer für offene Gesellschaften, ökonomische Integration und ein offenes Welthandelssystem.
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Podium I
Weltwirtschaft am Scheideweg – Die großen Chancen offener Märkte Dr. Eckhard Cordes, Vorsitzender des Vorstandes Metro AG
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er Fall des Eisernen Vorhangs und der Abbau der Handelsbarrieren in den letzten Jahrzehnten haben eine noch niemals da gewesene weltwirtschaftliche Dynamik entfaltet. Die größten Gewinner befinden sich aber nicht in den USA oder Europa, sondern in Entwicklungs- und Schwellenländern. In den vergangenen 30 Jahren ist die Armut um 300 Millionen Menschen zurückgegangen, insbesondere in den Entwicklungsländern, die sich an der internationalen Arbeitsteilung beteiligen. Allein in China haben über 250 Millionen Menschen seit 1970 die Armutsgrenze überwunden. Viele Konzerne haben die Öffnung der Märkte und die Transformation von der Plan- zur
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Marktwirtschaft genutzt – so auch die METRO Group. War unser Unternehmen 1996 in acht Ländern vertreten, sind es heute 31. 59 Prozent ihres Umsatzes erzielt die METRO Group im Ausland. Die Tendenz ist weiter steigend. Vor zwölf Jahren waren es gerade einmal fünf Prozent. Besonders dynamisch entwickelten sich dabei die „Cash & Carry Märkte“, international führend im Selbstbedienungsgroßhandel. An diesem Beispiel zeigt sich, wie alle beteiligten Akteure von der internationalen Arbeitsteilung profitieren. Metro Cash & Carry ist heute in 29 Ländern vertreten, darunter in China, Indien, Pakistan und Vietnam. Für die Zukunft sind weitere Markteintritte geplant, so zum Beispiel in Ägypten. Dokumentation Wirtschaftstag
Metro Cash & Carry ist in den aufstrebenden Volkswirtschaften ein enger Partner der lokalen Wirtschaft. Annähernd 95 Prozent unseres Sortiments werden von lokalen Produzenten und Lieferanten bereitgestellt. Das gibt den vielen kleinen und mittelständischen Unternehmen in den Regionen einen enormen wirtschaftlichen Schub – und schafft Arbeitsplätze. Aber insbesondere unsere Kunden profitieren von Metro Cash & Carry. Die angebotenen Produkte sind meist günstiger, vor allem besser und in einer größeren Vielfalt vorhanden als bei den traditionellen Großhändlern. Darüber hinaus können wir eine dauerhafte Verfügbarkeit sicherstellen. Restaurants, Hotels, Bars und traditionelle Einzelhändler verbessern mit dem Bezug ihrer Produkte von Metro Cash & Carry entscheidend ihre Wettbewerbsfähigkeit und öffnen damit das Tor zu mehr Wachstum und zu größerem Wohlstand. Umgekehrt profitiert auch Metro Cash & Carry von der Internationalisierung seines Geschäfts, da ein bewährtes standardisiertes Handelsformat in zusätzlichen Märkten eingeführt werden kann. Das Unternehmen nutzt die sich bietenden Skaleneffekte und steigert dadurch seine Profitabilität. Die positive Gesamtentwicklung der Weltwirtschaft kann sicherlich nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Spreizung der Einkommen innerhalb Europas und der USA größer wird. Das gilt sowohl zwischen den Arbeitseinkommen der Geringqualifizierten und Gutausgebildeten als auch zwischen den Kapital- und Arbeitseinkommen. Der Arbeitskostenvorteil der Betriebe in Osteuropa und Asien macht es den Unternehmen in Westeuropa und in den USA schwer, im Wettbewerb zu bestehen – insbesondere in der arbeitsintensiven Produktion. Dementsprechend groß sind die Anforderungen an die berufliche Anpassungsfähigkeit und Mobilität der betroffenen Berufsgruppen sowie an die Flexibilität der Arbeitsmärkte.
nach Produkten aus den Industrieländern einzuschränken. Vor allem die großen Schwellenländer dürften mit Gegenreaktionen antworten. Dadurch würde sich das Verteilungsproblem in den Industriestaaten nicht abmildern, voraussichtlich sogar noch verschärfen. Letztlich kann nur eine Anpassung der staatlichen Transfersysteme in den Industrieländern – vor allem in Kontinentaleuropa – und eine ernst ge-
meinte Bildungsoffensive eine Antwort auf die Herausforderungen der Globalisierung sein. Bei der Adjustierung der Steuer- und Abgabensysteme gilt es, nicht die verschiedenen Interessen, also jene der Leistungserbringer und -empfänger gegeneinander auszuspielen. Die Kritik von Unternehmen an zu hohen staatlichen Abgaben ist genauso zu beachten wie die Sorge des Harz-IV-Empfängers, von der Gesellschaft ausgeschlossen zu werden. Reformbemühungen sollten schnell wieder Schub bekommen und auch Systemwechsel ins Auge fassen. Das wäre das beste Mittel, um protektionistischen Ideen den Nährboden zu entziehen.
Versuche, arbeitsintensive Branchen mit neuen Handelsbarrieren zu schützen, sind jedoch verfehlt. Mit protektionistischen Maßnahmen lassen sich die Marktkräfte allenfalls kurzfristig aufhalten. Langfristig würde eine Politik des Protektionismus sowohl in den aufstrebenden Volkswirtschaften als auch in den Industriestaaten erhebliche Schäden verursachen. In den Schwellenländern würde sich die Wirtschaftsdynamik verlangsamen. Die Importrestriktionen der Industriestaaten würden die Staaten in Osteuropa und Asien zwingen, die Nachfrage Dokumentation Wirtschaftstag
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Achim Berg, Vorsitzender der Geschäftsführung, Microsoft Deutschland GmbH
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icrosoft gehört sicher zu den Global Playern im weltweiten Softwaremarkt und der IT-Industrie. Und um es vorwegzunehmen: Wir sind auf offene Märkte angewiesen! Jede Form von Protektionismus würde Microsoft, unseren Mitarbeitern aber auch unseren weltweit rund 700.000 Partnerunternehmen und deren Mitarbeitern in über 100 Ländern der Erde schaden. Die Alternative zu einem globalen und offenen Wettbewerb darf nicht ernsthaft lauten: Schotten dicht, Brücken hoch – und ab jetzt leben wir vom Protektionismus auf der Insel der Glückseligen.
Das gilt ganz besonders für eine Industrie- und Exportnation wie Deutschland. Richtig ist aber auch: Der internationale Wettbewerb erreicht immer mehr Bereiche unserer Gesellschaft. Das spüren nicht nur unsere Milchbauern. Globalisierung ist längst nicht mehr nur ein Wettkampf um Ressourcen und Talente, der zwischen Staaten und großen transnationalen Unternehmen ausgetragen wird. Es sind immer mehr die kleinen und mittleren Unternehmen und sogar jeder Einzelne von uns, die in einem weltweiten Wettbewerb miteinander stehen.
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Aus meiner Sicht besteht eine wichtige Aufgabe darin, diese Unternehmen und Menschen im internationalen Wettbewerb und bei den Herausforderungen des Informationszeitalters besser zu unterstützen. Das betrifft Themen wie Innovationsfähigkeit und vor allem auch Qualifikation. Bill Gates hat einmal sinngemäß gesagt: „Früher hat deine Herkunft maßgeblich über deine Chancen auf ein besseres Leben entschieden. Heute gilt: Es ist vor allem der Zugang zu Bildung, technologischen Fähigkeiten und ein Umfeld, das Unternehmertum fördert, was über die Zukunftschancen entscheidet.“ Deshalb ist auch die Frage legitim, warum sich ausgerechnet ein Global Player wie Microsoft mit mittelständischen und kleinen Unternehmen beschäftigt. Warum macht sich ein Großer Gedanken um die Kleinen? Die Antwort ist im Grunde ganz einfach. Unser globales Geschäftsmodell funktioniert nur lokal. Es ist abhängig von unserer Präsenz vor Ort und unseren Partnern in den einzelnen Ländern. Microsoft gibt es in Deutschland ziemlich genau seit 25 Jahren. Dokumentation Wirtschaftstag
Mittlerweile beschäftigen wir rund 3.000 Mitarbeiter an sieben Standorten. Doch unser Erfolg in Deutschland hängt maßgeblich an mehr als 30.000 Partnern in Deutschland mit mehr als 100.000 Beschäftigten, die sich mit unseren Produkten beschäftigen. Das sind überwiegend kleine und mittelständische Unternehmen. Das Interessante daran ist, dass jedem Euro Umsatz, den wir bei Microsoft machen, sieben Euro Umsatz beim Mittelstand gegenüberstehen. Das heißt: Der Umsatz mit Microsoftprodukten im engeren Sinne generiert einen siebenmal so hohen Umsatz bei unseren Partnern. Weltweiter Wettbewerb basiert bei Microsoft auf einer globalen Strategie, die ohne lokales Engagement nicht auskommt. Unser Geschäftsmodell ist, wenn man es mit einem Kunstwort ausdrücken will, „glocal“. Also gleichzeitig global und lokal. Das eine geht nicht ohne das andere. Wir haben deshalb ein vitales Interesse an der Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Deutschland. Das gilt natürlich besonders für die Branche der Informationstechnologie und Telekommunikation mit etwa 800.000 Beschäftigten und mehr als 140 Milliarden € Umsatz. Es geht um eine sehr schnelllebige Branche. Markterfolg, gerade auch im globalen Maßstab, hängt insbesondere von zwei wichtigen Faktoren ab: Qualifikation der Mitarbeiter und – daraus resultierend – die Innovationskraft der Unternehmen. Wenn ich gefragt werde, ob Google oder Apple unser größter Konkurrent ist, kann ich nur antworten: Unser vielleicht wichtigster Konkurrent sitzt möglicherweise gerade in einer Mensa und trinkt einen Cappuccino. Übertrieben? Keineswegs. Vor zehn Jahren war Google noch eine Idee, 2004 richtete ein HarvardStudent für seine Kommilitonen aus Spaß eine virtuelle Pinnwand namens „Facebook“ ein. Diese virtuelle Pinnwand ist heute geschätzte 15 Milliarden Dollar wert. An solchen Beispielen erkennt man, wie schnelllebig die Branche ist. Wie steht es um die Innovationskraft Deutschlands? Glaubt man dem Ausland, sieht es hier sehr gut aus. Nach einer aktuellen Studie von Ernst & Young ist Deutschland der innovativste Standort in Europa. Das sagen rund tausend befragte Unternehmen. Weltweit liegen wir damit auf dem dritten Platz hinter den USA und China, aber noch vor Japan und Indien. Das klingt sehr gut, hat aber einen Haken: Denn die Studie sagt auch, dass Deutschland zwar ErfinDokumentation Wirtschaftstag
der hat, aber nicht genug Unternehmer. Man traut den Deutschen einfach nicht den nötigen Unternehmergeist zu. Das gilt besonders für wichtige Innovationen im Hightech-Sektor – die Beispiele MP3-Player, Faxgerät und CD sind bekannt. Die Produkte wurden in Deutschland entwickelt, sind aber nie von Deutschen so vermarktet worden, dass wir daraus großen wirtschaftlichen Nutzen gezogen hätten. Ist es also wahr, dass wir in Deutschland, gerade im Hightech-Sektor, nicht genug Unternehmen und Gründer haben? Wir haben uns das etwas genauer angeschaut, und dazu mit dem Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) kürzlich eine Studie veröffentlicht. Ergebnis: Es gibt zwar sehr wohl eine Art „Innovationsgen“ in Deutschland, aber das gilt es auch zu fördern und zu entwickeln. Erstmals seit Jahren wurden in Deutschland zwar wieder mehr High-Tech Unternehmen gegründet als in den Vorjahren. Das ist erfreulich! Und trotzdem: Damit liegen wir immer noch deutlich unter dem Niveau des Jahres 1995. Wir hatten 2007 etwa 19.200 Hightech-Unternehmensgründungen in Deutschland. Laut McKinsey Studie „Deutschland 2020“ benötigten wir jährlich etwa 30.000 technologieorientierte Gründungen, um zum weltweiten Innovationsführer aufzusteigen. Durch diese Technologiefirmen könnten bis 2020 zwischen 3,5 und sieben Millionen Jobs entstehen.
Der Weg von der technischen Idee über die Innovation bis hin zur Unternehmensgründung muss noch stärker begleitet werden Ob die Zahlen nun so zutreffen oder nicht – eins ist jedenfalls sicher: Besonders Hightech-Gründungen sind wichtig für Deutschland. Von ihnen können nachhaltige Impulse für die Wirtschaft ausgehen. Dabei dürfen wir aber auch nicht einfach die jungen Unternehmer sich selbst überlassen. Offene Märkte darf nicht nur heißen, dass jeder seines Glückes Schmied ist. Es hat nach meiner Auffassung nichts mit Protektionismus zu tun, wenn man die heimischen Pflanzen besonders gut hegt und pflegt. Kurzum: Der Weg von der technischen Idee über die Innovation bis hin zur Unternehmensgründung muss noch stärker begleitet werden. Dieser Aufgabe müssen sich Politik und Wirtschaft gleichermaßen stellen. Erfreulich ist in diesem Zusammenhang das Engagement der Politik, das geistige Eigentum
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dieser Unternehmen besser zu schützen. Ich sehe derzeit aber auch die Gefahr, dass das Thema Innovation und Wachstum kurioserweise an Bedeutung verliert, gerade weil wir uns in einer Aufschwungphase befinden. Derzeit macht sich zunehmend das Gefühl breit, dass alles doch auch so irgendwie läuft, also ohne weitere Anstrengungen. Dem ist aber nicht so. Die deutsche Wirtschaft bleibt nur mit Innovationen wettbewerbsfähig. Der Hightech-Sektor spielt dabei eine Schlüsselrolle.
Deshalb sehe ich drei zentrale Aufgaben. Die ersten beiden betreffen die Politik, die letzte die Wirtschaft. Um die Wachstumsphase von Technologieunternehmen zu fördern, benötigen wir – erstens – dringend ein neues Private-Equity-Gesetz, das den Venture-Capital-Markt belebt. Das Problem der Start-ups ist, dass zwar gute Ideen da sind, aber oft das Geld fehlt. Dass wir mit Venture Capital ein Problem haben, sieht man im Vergleich mit anderen Ländern. Ich denke an Großbritannien oder Frankreich, die hier deutlich besser aufgestellt sind. In Großbritannien ist viermal mehr Venture Capital auf dem Markt als in Deutschland, in Frankreich immerhin noch doppelt so viel. Da muss hier also irgendetwas falsch laufen. Wir sind, wenn man die Zahlen auf die Anzahl der Einwohner umrechnet, weltweit nur auf Platz 14. Hier fehlen wichtige Impulse. Zweitens: Wir haben in Deutschland keine nennenswerte Business-Angel-Kultur wie zum Beispiel in den USA. In den Vereinigten Staaten gibt es 240.000 Business Angels. In Deutschland gibt es Schätzungen zufolge nur zwischen 2.000 und 3.400. Auch dieser wichtige Impuls wird in Deutschland nicht gefördert.
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Ich möchte aber nicht nur auf die Politik schauen, sondern auch auf die Wirtschaft. Auch die Unternehmen müssen eine aktive Rolle übernehmen. Wir haben gerade in den letzten Monaten auch bei Microsoft noch einmal deutlich gemacht, dass sich zu wenige große Unternehmen bewusst mit Start-ups beschäftigen. Wir haben gemeinsam mit Partnern ein Programm aufgesetzt, mit dem Titel „Unternimm was“. Hier geht es nicht primär um Geld. Es geht vor allem um die technische Unterstützung von Produkten, um Unterstützung bei Vertrieb und Marketing, um die Vermittlung von Kontakten zu unseren Partnern. Dies sind besonders wichtige Schlüssel für den Markterfolg junger Unternehmen. Wenn man sich mit jungen Unternehmern unterhält, erfährt man auch, dass es in erster Linie nicht unbedingt nur an Geld oder Unterstützung fehlt, sondern der Fachkräftemangel inzwischen das wohl größte Problem ist. Wir haben in der deutschen IT-Industrie mittlerweile einen großen Fachkräftemangel. Es gibt über 40.000 offene Stellen. Wir haben jedes Jahr aber nur 14.000 Universitätsabgänger im Bereich Informatik. Zum Vergleich: In Indien sind es 75.000. Es kommt also nicht genügend Nachwuchs nach. Wir kommen bei diesem Thema nicht richtig weiter. Die Wirtschaft muss das Thema gemeinsam mit der Politik angehen. Für ein Unternehmen wie Microsoft ist das Problem nicht so groß wie für andere. Wir haben genug Nachwuchs, wir haben ausreichend Bewerber, die bei uns arbeiten wollen, weil wir ein sehr beliebter Arbeitgeber sind. Aber für kleinere Unternehmen gibt es enorme Probleme. Vor allem Softwareentwickler, IT-Manager und IT-Projektmanager fehlen. Sie sind nicht auf dem Markt vorhanden. Der globale Wettbewerb wird daher auch mehr und mehr an den Hochschulen ausgetragen. Zusammenfassend lässt sich sagen: Offene Märkte sind keine Bedrohung, sondern für die Exportnation Deutschland eine Chance für mehr Wachstum und Arbeitsplätze. Qualifikation und Innovationskraft gehören zu den wichtigsten Standortfaktoren. Deutschland hat alle Voraussetzungen, in wichtigen Wachstumsfeldern wie der IT- und Kommunikationsbranche eine führende Rolle zu spielen. Politik und Wirtschaft können besonders im Hightechsektor durch weitere Maßnahmen noch wichtige Verbesserungen speziell für Unternehmensgründer erreichen. 앫 Dokumentation Wirtschaftstag
Dr. Bernd Pfaffenbach, Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie
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eutschland gehört zu den Ländern, die von der weltwirtschaftlichen Integration einschließlich der europäischen Integration am stärksten profitieren. Das zeigen unsere Außenhandelszahlen: Im vergangenen Jahr importierte Deutschland Waren und Dienstleistungen im Wert von 962,2 Milliarden € und lieferte Waren und Dienstleistungen im Wert von 1.133 Milliarden € an das Ausland. Unsere Exportquote beträgt 46,8 Prozent, die Importquote 39,7 Prozent. Seit Mitte der fünfziger Jahre exportiert Deutschland mehr als es importiert – und seit 2003 sind wir Exportweltmeister. Die große internationale Verflechtung der deutschen Wirtschaft zeigt sich auch an den Daten zu den grenzüberschreitenden Direktinvestitionen. Deutschland gehört zu den wichtigsten Zielländern für Investitionen aus dem Ausland und gleichzeitig zu den größten Herkunftsländern von Investitionen in anderen Ländern. Die Integration in die Weltwirtschaft hat viele Vorteile für Unternehmen und Bürger. Sie ermöglicht es den Unternehmen, Effizienzgewinne durch Spezialisierung und Arbeitsteilung zu realisieren und eröffnet ihnen neue InDokumentation Wirtschaftstag
vestitionsperspektiven. Sie erhöht den Wettbewerb und trägt so zu einem besser an den Kundenwünschen ausgerichteten Angebot sowie beschleunigtem technischem Fortschritt bei. Konsumentinnen und Konsumenten profitieren von einem erweiterten Güterangebot bei günstigeren Preisen.
Offene Märkte sind die Grundlage für den Erfolg unserer Volkswirtschaft Protektionismus kann für Deutschland mithin keine Alternative sein. Eine Abschottung der Märkte würde unser Wachstums- und Wohlstandspotenzial deutlich verringern. Offene Märkte sind die Grundlage für den Erfolg unserer Volkswirtschaft. Daher setzt sich die Bundesregierung auf internationaler Ebene im Rahmen der G8, der WTO und der OECD dafür ein, dass Märkte geöffnet werden und offen bleiben. Die Weltwirtschaft hat sich in den vergangenen 15 Jahren durch technologischen Fortschritt und durch neue schnell wachsende Wettbewerber wie China und Indien entscheidend verändert. Das Tempo der weltwirtschaftlichen Arbeitsteilung ist gestiegen, der Wettbewerb intensiver geworden. Diese veränderte
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weltwirtschaftliche Situation erfordert eine Weiterentwicklung der Spielregeln für das internationale Miteinander. Tragfähige Lösungen sind hier jedoch ohne die Schwellenländer nicht denkbar. Deshalb hat die Bundesregierung die G8-Präsidentschaft im vergangenen Jahr dazu genutzt, einen Beitrag zur Stärkung der gemeinsamen Verantwortung der Industrie- und Schwellenländer für globale Fragen zu leisten. Im Rahmen des mit fünf großen Schwellenländern vereinbarten Dialogs spielt unter anderem die Frage nach den weltweiten Investitionsbedingungen eine wichtige Rolle. Dieser so genannte Heiligendamm-Prozess ist mittlerweile auf gutem Weg.
Bei der Ausgestaltung der nationalen Regeln für ausländische Investitionen ist für die Bundesregierung Offenheit von höchster Priorität Die Bundesregierung unterstützt auch die Arbeiten des IWF und der OECD zu „best practices“ für Staatsfonds und zu Leitlinien für Empfängerländer von Staatsfondsinvestitionen. Sie setzt sich im Rahmen internationaler Organisationen für die Stärkung von Transparenz, Stabilität und Vertrauen auf den Finanzmärkten und im internationalen Kapitalverkehr ein. Auch bei der Frage nach der Ausgestaltung der nationalen Regeln für ausländische Investitionen ist für die Bundesregierung Offenheit von höchster Priorität. Mit der derzeit vorgesehenen Änderung des Außenwirtschaftsrechts zielt die Bundesregierung darauf ab, eine angemessene Balance zwischen dem Interesse an offenen Märkten für ausländische Direktinvestitionen und der staatlichen Pflicht zum Schutz der öffentlichen Ordnung und Sicherheit herzustellen. Nur wenn die öffentliche Ordnung oder Sicherheit durch eine ausländische Direktinvestition gefährdet ist, kommt eine Prüfung in Betracht. Dies setzt voraus, dass die Investition ein Grundinteresse der Gesellschaft als Ganzes berührt. Das ist bei einer Investition in ein einzelnes Unternehmen nur in sehr seltenen Ausnahmefällen denkbar.
Unser Ziel werden weiterhin Marktzugangsverbesserungen für Industriegüter und Dienstleistungen sein Der Anwendungsbereich der Prüfungsmöglichkeit ist begrenzt, weil nur Investoren geprüft werden, die mindestens 25 Prozent der Stimmrechte eines deutschen Unternehmens erlangen. Häufig sind Investoren lediglich an weitaus geringeren Anteilen interessiert. Bewusst wurde auf sektorspezifische Regeln verzichtet. Rechts- und Planungssicherheit für Investoren
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sind essenziell für erfolgreiches wirtschaftliches Handeln. Daher sind sehr kurze Fristen für die Prüfung vorgesehen. Wenn innerhalb von drei Monaten nach dem Erwerb keine Prüfung eingeleitet wird, hat der Erwerb Bestand. Eine etwaige Prüfung muss binnen zwei Monaten nach Übermittlung der relevanten Unterlagen mit einer Entscheidung über eine Untersagung oder Anordnung abgeschlossen werden. In einem solchen Falle ist die Zustimmung der Bundesregierung erforderlich. Ergeht bis zum Ablauf der Prüf- und Untersagungsfristen keine Entscheidung, ist eine Einflussnahme ausgeschlossen. Der Gesetzentwurf sieht somit hohe gesetzliche Hürden für die Überprüfung von Investitionsentscheidungen vor. Damit bekräftigt die Bundesregierung ihr Bekenntnis zu offenen Märkten und gegen Protektionismus. Vor diesem Hintergrund hat auch der möglichst rasche Abschluss der WTO-Verhandlungen der Doha-Runde für die Bundesregierung nach wie vor handelspolitische Priorität. Wir wollen ein ausgewogenes Ergebnis über alle Verhandlungsbereiche mit Marktzugangsverbesserungen bei Industriegütern und Dienstleistungen. Das jüngste WTO-Ministertreffen in Genf bot die große Chance, die Grundlagen für einen Abschluss der Doha-Runde in diesem Jahr zu legen. Doch leider wurde diese Chance nicht genutzt, obwohl man sich, wie EU-Kommissar Mandelson betonte, in 95 Prozent der offenen Fragen bereits weitgehend einig war. Die Bundesregierung wird deshalb darauf drängen, dass möglichst bald die Verhandlungen zur Doha-Runde fortgesetzt werden. Für Deutschland, mit seiner starken und vielfach mittelständisch geprägten Exportwirtschaft, ist letztlich das multilaterale Handelssystem nach wie vor die beste Lösung für weltweite Marktöffnung. Unser Ziel werden weiterhin Marktzugangsverbesserungen für Industriegüter und Dienstleistungen sein. Sie machen mehr als 90 Prozent des Welthandels aus; Agrargüter tragen nur etwa sieben Prozent dazu bei. Die nächsten Wochen werden zeigen, wie sich die Verhandlungen zur Doha-Runde weiterentwickeln werden. Ein zügiger Abschluss der Doha-Runde wäre zum Nutzen aller Beteiligten. Insbesondere sind schon etliche Verständigungen zu Gunsten der Entwicklungsländer erreicht worden. So würde ein erfolgreicher Abschluss der Runde auch einen Beitrag zur Verbesserung der Nahrungsmittelversorgung in den ärmsten Ländern leisten, indem Handelsverzerrungen abgebaut werden. 앫 Dokumentation Wirtschaftstag
Podiumsdiskussion Jørgen Elmeskov, Amtierender Chefökonom der OECD
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ie OECD unterstützt offene Märkte. Die Entscheidung für oder gegen offene Märkte ist zwar letztlich eine politische, doch Ökonomen können die Politik beraten. Neuere wissenschaftliche Arbeiten der OECD belegen, dass ein liberales Welthandelssystem und freier Kapitalverkehr in der Summe maßgebliche Wohlfahrtsgewinne bringen. Deshalb unterstützt die OECD offene Märkte. Weil auch stets die Gefahr besteht, dass frühere Handelsliberalisierungen zurückgedreht werden, warnt die OECD auch eindringlich vor einem Wiedererstarken des Protektionismus. Man muss zugleich allerdings konzidieren, dass die Wohlfahrtsgewinne der Handelsliberalisierung und des freien Kapitalverkehrs nicht überall gleich verteilt sind. Das gilt sowohl innerhalb einzelner Nationen als auch für die Verteilung ökonomischer Vorteile zwischen den Staaten. Manchmal dauert es zudem eine Weile, bis sich die Wohlfahrtsgewinne einer Liberalisierung materiell konkret bemerkbar machen. Teilen der Bevölkerung wird durch die Globalisie-
Dokumentation Wirtschaftstag
rung und offene Märkte viel abverlangt. Die Anpassungskosten – welche sich in dem Verfall branchenspezifischer Fachkenntnisse und in Arbeitsplatzverlusten manifestieren können – sind mitunter hoch. Aber vernichten liberale Märkte Einkommen und Arbeitsplätze? Nein, nach unseren Erkenntnissen trifft das Gegenteil zu. Es gibt auch keinen Hinweis darauf, dass die Globalisierung die Einkommen in den Industriestaaten in der Summe drückt. Wenn dies in einzelnen Sektoren der Fall ist, könnte dies auch ein Hinweis darauf sein, dass die Bezahlung zuvor in einem wettbewerbsarmen Umfeld gemessen an der Produktivität zu hoch war.
Jørgen Elmeskov
Lange bestehende Strukturen unterliegen einem rasanten und nachhaltigen Veränderungsprozess Der Prozess der Globalisierung geht immer schneller voran. Auch die Natur der Globalisierung hat sich verändert, lange bestehende Strukturen unterliegen einem rasanten und nachhaltigen Veränderungsprozess. Nach einer Studie der OECD korrelieren zehn Prozent Zu-
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Henning Krumrey
wachs beim Handel mit vier Prozent höheren Einkommen für die Bevölkerung. Ähnliches gilt für offene Kapitalmärkte. Für Direktinvestitionen konnten wir ebenfalls einen spürbaren positiven Einkommenseffekt feststellen. Umgang mit Globalisierung bedeutet Umgang mit Veränderung. Die OECD hat untersucht, wie Staaten mit den neuen Herausforderungen am besten umgehen sollten. Mit Blick auf die Arbeitsmärkte haben sich das skandinavische und das angelsächsische Modell als überlegen erwiesen. Sie zeichnen sich vor allem durch ein hohes Maß an Flexibilität und innovative Volkswirtschaften aus. Wichtig ist auch eine kohärente wirtschaftspolitische Gesamtstrategie. Protektionismus ist nicht die richtige Antwort auf die Globalisierung. Für die Politik sollte es viel
Podium I In das Thema: „Weltwirtschaft am Scheideweg – Offene Märkte versus Protektionismus“ führten ein: Dr. Eckhard Cordes, Vorstandsvorsitzender der Metro AG, Achim Berg, Vorsitzender der Geschäftsführung der Microsoft Deutschland AG und Dr. Bernd Pfaffenbach, Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie. Unter der Moderation von Henning Krumrey, Leiter der Parlamentsredaktion Focus, diskutierten: Jørgen Elmeskov, Amtierender Chefökonom der OECD; Hermann-Josef Lamberti, Mitglied des Vorstands Deutsche Bank AG; Fred B. Irwin, Präsident American Chamber of Commerce.
mehr darum gehen, die Anpassungslasten, welche dynamische Märkte bei den betroffenen Arbeitnehmern hervorrufen, etwa durch Weiterbildung abzumildern.
Hermann-Josef Lamberti, Mitglied des Vorstands Deutsche Bank
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iele Menschen in Deutschland haben Angst vor sozialem Abstieg infolge der Globalisierung. Diese Angst hat in jüngerer Zeit in der Politik umso mehr einen Resonanzboden gefunden, als zunehmend auch die Mittelschicht verunsichert ist. Diese Sorgen müssen ernst genommen werden, damit sich Populismus und Protektionismus nicht weiter ausbreiten können und das politische Handeln bestimmen.
Hermann-Josef Lamberti
Die bürgerliche Mittelschicht trägt wesentlich zum Funktionieren von Wirtschaft und Gesellschaft bei. Sie stellt die Fachkräfte in den Unternehmen, zeichnet sich durch Leistungsbereitschaft aus, sorgt für Kinder und engagiert sich bei deren Erziehung. Zugleich muss dieselbe Bevölkerungsgruppe aber auch feststellen,
dass der Staat immer tiefer in ihre Taschen greift und Anstrengungen sich immer weniger lohnen. Allein durch die kalte Progression nimmt der Staat als Inflationsgewinner jedes Jahr über drei Milliarden € mehr von seinen Bürgern ein. Dem Spitzensteuersatz unterliegen heute Einkommensbezieher, die weit davon entfernt sind, zu den Besserverdienenden zu zählen. Darüber hinaus finanzieren die Arbeitnehmer aus der Mittelschicht und deren Arbeitgeber mehr als die Hälfte aller Beiträge zur Sozialversicherung. Umgekehrt kappt der Sozialstaat seine oft wohlfeilen Leistungen gerade bei dieser Gruppe. Die Halbierung des Sparerfreibetrages, die kräftige Kürzung der Pendlerpauschale in den letzten Jahren und die jetzt geplanten Einschnitte bei der steuerlichen Absetzbarkeit der Elternbeiträge für private Schulen sind dafür nur drei Beispiele. Das Unbehagen der Bürger kann daher nicht verwundern. Unverantwortlich wäre aber, sich damit abzufinden. Es sollte ein Alarmsignal sein, dass die Unzufriedenheit zunehmend in Misstrauen gegen unsere Marktwirtschaft umschlägt. Wo Zweifel an der freiheitlichen Wirtschaftsordnung wachsen, ist der Ruf nach staatlichen Interventionen nicht weit. Damit droht Deutschland immer tiefer in das Samariterdilemma des Sozialstaates zu geraten, der mit allzu viel Umverteilung den Menschen nicht nachhaltig hilft, aber die Wirtschaft
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schädigt – und damit das Fundament unseres Wohlstands untergräbt. Wenn die Akzeptanz der freien Wirtschaft gesichert werden soll, müssen die sozialen Sicherungssysteme mit ihrem Abgabensog zuerst auf den Prüfstand, denn hier zeigen sich bedenkliche Mängel. Das beginnt bei der heutigen Grundsicherung. Die Hartz-IV-Reform war ökonomisch sinnvoll. Nicht ohne Grund aber empfinden es die Bürger heute als ungerecht, wenn der Staat sie im Fall längerer Arbeitslosigkeit selbst nach vielen Jahren im Beruf genauso behandelt als hätten sie nie gearbeitet und Sozialabgaben entrichtet. Das Unbehagen über das Missverhältnis von eigener Leistung und staatlicher Gegenleistung resultiert aus einem kardinalen Webfehler der deutschen Sozialversicherung. Wer während des Erwerbslebens nur ein geringes Einkommen erzielt, weil er im Niedriglohnbereich arbeitet oder längere Zeit arbeitslos ist, für den sind die Sozialabgaben eine zusätzliche Strafsteuer. Sie schmälern das Nettoeinkommen, führen aber im Bedarfsfall nicht über den vom Staat allgemein gewährten Mindestsozialschutz hinaus. Schlimmer noch: Die Sozialbeiträge vermindern die Beschäftigungschancen der Betroffenen. Sie treiben die Arbeitskosten gerade bei einfachen Waren und Diensten, die ohnehin latent von Abwanderung in Niedriglohnländer oder die Schattenwirtschaft be-
droht sind, kräftig in die Höhe. Im Ergebnis produziert das Sozialsystem nicht mehr, sondern weniger soziale Sicherheit.
Deutschland war – zumindest bisher – einer der Hauptgewinner der Globalisierung Protektionismus hat natürlich viele Gründe. In den westlichen Staaten allerdings ist die Haupttriebfeder die Angst vor dem Verlust von Arbeitsplätzen und Einkommen. Nach einer Untersuchung der Weltbank konzentrierten sich Ende der neunziger Jahre noch rund
80 Prozent des globalen Wohlstands in den G7Staaten. Im Jahr 2050 werden es nur noch etwa 35 Prozent sein. Und dennoch: Deutschland war – zumindest bisher – einer der Hauptgewinner der Globalisierung.
Fred B. Irwin, Präsident American Chamber of Commerce
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ie Finanzkrise hat das Misstrauen der Menschen gegenüber dem Kapitalismus erhöht. Weltweit diskutieren Aufsichtsbehörden, Finanzministerien und Zentralbanken, wie das Finanzsystem krisenfester gemacht werden kann. Allerdings ist die Gefahr groß, dass staatliche Interventionen mehr schaden als nutzen. Die positiven Wirkungen eines freien Finanzmarktes könnten eingeengt werden. Das bedeutet dann aber auch: Weniger Innovationen, weniger Risikobereitschaft und eben auch weniger Wachstum für die Weltwirtschaft. Die starke Rolle des Dollar schwächt sich weiter ab. Das Wachstum der USA wird unter seinem Potenzial bleiben.
lang weiter fallen. Die Vermögen vieler USHaushalte schmelzen dahin. Mehr Menschen kommen in finanzielle Schwierigkeiten. Banken werden die Kreditausfälle spüren. Die Finanzkrise hat sich auf Hypotheken mit besserer Bonität ausgeweitet und greift jetzt auch auf Kreditkarten, klassische Konsumentenkredite, Autofinanzierungen und Firmendarlehen über. Die Gefahren steigender Ölpreise sind enorm. In einem solchen Umfeld entsteht Politik gegen die Globalisierung und den freien Welthandel. Die große Aufgabe des nächsten US-Präsidenten wird sein, den wirtschaftlichen Anpassungsprozess zu managen, ohne der Weltwirtschaft Schaden zuzufügen.
Mit Blick auf die Immobilienkrise ist es wahrscheinlich, dass die Hauspreise noch eine Zeit
Staatsfonds sind auf politischer Ebene höchst umstritten. Dabei gilt: Staatsfonds sind nichts
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Fred B. Irwin
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Geheimnisvolles – und sie sind auch nichts Neues. Staatsfonds haben sich in den vergangenen Jahrzehnten als zuverlässige und unproblematische Investoren erwiesen. Die Hauptaufgabe der mittlerweile mehr als 40 Staatsfonds ist die Risikodiversifizierung, da der wirtschaftliche Erfolg vieler Staaten von wenigen Faktoren – meist den Rohstoffmärkten – abhängig ist. Bislang haben sich Staatsfonds ausschließlich auf Minderheitsanteile an Großunternehmen beschränkt und keinen signifikanten Einfluss auf das operative Geschäft oder die Politik fremder Staaten genommen. In der aktuellen Finanzkrise haben Staatsfonds mit ihren Investitionen zur Stabilisierung internationaler Investmentbanken beigetragen. Die USA verschärften vor kurzem die Hürden für ausländische Investoren – aus Furcht, Staaten wie China, Russland oder andere könnten maßgeblichen Einfluss auf sicherheitsrelevante Industrien und Technologien bekommen.
Protektionismus würde attraktive Investoren verprellen und den internationalen Kapitalfluss unnötig beschränken Auch die Bundesregierung in Deutschland überlegt, wie das finanzielle Engagement wenig transparenter Staatsfonds in deutschen Schlüsselindustrien besser überwacht werden kann. Aus Sicht der Wirtschaft sieht es indes so aus, dass viele Unternehmen die Investitionen ausländischer Staatsfonds als neue alternative Finanzierungsquelle begrüßen. Wollen wir den Kurs unserer freiheitlichen Außenwirtschaftsordnung, der uns in den letzten Jahren so viel geholfen hat, weiterführen? Oder wollen wir – wie dies im Augenblick leider etwas dem internationalen Trend entspricht –
unser Land von der Globalisierung stärker abschotten und uns gegen Staatsfonds „schützen“? Die Amerikanische Handelskammer in Deutschland verfolgt die Entwicklungen und Diskussionen zum Thema Staatsfonds aufmerksam. AmCham Germany schlägt vor, das geplante Gesetz zunächst auf fünf Jahre zu befristen und es gegebenenfalls nach dieser Frist zu novellieren. So verständlich das Verlangen nach Schutz der öffentlichen Sicherheit und Infrastruktur ist, so stellen die Pläne der Großen Koalition, das Außenwirtschaftsgesetz auszuweiten, doch auch ein gewisses Risiko für das Investitionsklima dar. Ein frühzeitiges Ausräumen eventueller Bedenken gegenüber Staatsfonds ist wichtig für die Wahrung eines positiven Investitionsklimas. Protektionismus würde attraktive Investoren verprellen und den notwendigen internationalen Kapitalfluss unnötig beschränken. Wir schlagen ein gemeinsames europäisches Vorgehen vor. Staatsfonds agieren weltweit, so dass multilaterale Lösungen vorteilhafter sind als nationale Maßnahmen. Ein nationaler Alleingang Deutschlands könnte dazu führen, dass die Bundesrepublik für wichtige internationale Investitionen an Attraktivität verliert. Daher sollten internationale Vereinbarungen nationalen Alleingängen vorgezogen werden. Derzeit werden auf verschiedenen internationalen Ebenen Verhaltensstandards gemeinsam mit den betroffenen Staaten erarbeitet. AmCham Germany schlägt vor, dass Deutschland die internationalen Vereinbarungen mitträgt und zur Grundlage der eigenen Politik macht. Deutschland braucht Investoren. Investitionen sind die Voraussetzung für Arbeitsplätze und Wohlstand. Wichtig ist, weiterhin offene Märkte und Investitionsfreiheit zu gewährleisten. Die Botschaft muss lauten, dass Investitionen in diesem Land willkommen sind. Die grundlegende Offenheit der deutschen Wirtschaft gegenüber der Welt darf nicht aufs Spiel gesetzt werden. Deutschland ist Exportweltmeister. Wir können unsere Exporterlöse aber nur erwirtschaften, wenn andere Länder ihre Märkte für unsere Produkte öffnen. Und diese werden das nur tun, wenn auch wir unsere Märkte für ausländische Produkte offenhalten. Wir müssen deshalb Regelungen finden, die die fortschreitende Globalisierung der Weltwirtschaft nicht gefährden – sondern sie in die richtigen Bahnen lenkt. 앫
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Podium II
Deutschland und sein Mittelstand: Leistungsträger und Innovationsmotor Volker Kauder MdB, Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag
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er Mittelstand ist der wichtigste Träger des deutschen Wirtschaftsaufschwungs in den vergangenen Jahren. Der Beschäftigungsaufbau war ganz überwiegend eine Leistung der klassischen mittelständischen Unternehmen. Trotz gegenwärtig schwieriger konjunktureller Umstände haben derzeit vor allem innovative Mittelständler gute Wachstumsperspektiven. Dementsprechend ist ihre Grundstimmung weiterhin positiv. Rege Forschungstätigkeiten und die Bereitschaft, Herausforderungen des strukturellen Wandels anzunehmen, zahlen sich aus. Der Optimismus bei den Unternehmen ist auch ein Beleg für die erreichten politischen Erfolge. Die Qualität des Standorts Deutschland hat sich Dokumentation Wirtschaftstag
durch die Unternehmensteuerreform der Großen Koalition erheblich verbessert. Mit anderen politischen Mehrheiten könnte hier aber noch einiges mehr verbessert werden. Das gilt etwa für die Reform der Erbschaftsteuer. Deutschland ist nach Einschätzung von Experten gleichwohl bereits der attraktivste Standort in Europa – und zugleich der innovativste. Untersuchungen zeigen, dass die Konzentration von Forschungsaktivitäten den Unternehmen am Standort Deutschland Wettbewerbsvorteile verschafft. Die Große Koalition hat den Standort nach vorne gebracht. Die Unternehmensteuerreform verbessert deutlich die steuerliche Attraktivität des Standorts. Das gilt auch für mittelständische Unternehmen. Sie
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bringt eine Nettoentlastung von mehr als fünf Milliarden €. Verbessert wurden auch die rechtlichen Rahmenbedingungen für Wagniskapital und Unternehmensbeteiligungen (PrivateEquity-Gesetz). Die High-Tech-Strategie zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für den innovativen Mittelstand (Einführung einer Forschungsprämie) ist ebenfalls von großem Vorteil. Die Absenkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrags von 6,5 Prozent auf 3,3 Prozent mit einer Entlastung von insgesamt 20 Milliarden € fördert die Beschäftigung und entlastet Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Positiv zu erwähnen ist ferner die Stabilisierung der Rentenversicherung und der Abbau belastender Bürokratie durch Mittelstandsentlastungsgesetze.
Wir müssen Perspektiven schaffen für eine steuerliche Entlastung in der Mitte der Bevölkerung Die Union erklärt den politischen Willen, noch verbleibende Vorhaben der Großen Koalition im Interesse des Standorts Deutschland umzusetzen. Dazu zählt die Erbschaftsteuerreform, die mittelstandsfreundlich gestaltet werden muss. Dazu gehört weiterer Bürokratieabbau durch ein drittes Mittelstandsentlastungsgesetz, und dazu gehört unbedingt auch die Fortführung der Konsolidierung des Bundeshaushalts. Mit der „Föderalismusreform II“ streben wir zudem die Einführung einer wirksamen Schuldengrenze im Grundgesetz an. Eine Neuordnung der Arbeitsmarktpolitik unter Verwirklichung von Kosteneinsparungen bleibt für uns ebenfalls auf der Agenda. Die Union wird darüber hinaus aber auch weitere Vorstellungen über erforderliche Reformen
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und wirtschaftspolitische Konzepte deutlich machen. Wir fordern ein klares Bekenntnis zum Industriestandort Deutschland. Hochqualifizierte Dienstleistungsarbeitsplätze in Deutschland sind nur erreichbar und erhaltbar im Zusammenhang mit wettbewerbsfähigen Industrien. Dazu zählen für mich auch energieintensive Industrien. Erforderlich ist hier ein marktorientierter Ansatz, nicht jedoch ein staatlich-dirigistischer Ansatz unter dem Deckmantel ökologischer Zielsetzungen. Zentrales Instrument ist die Sicherung funktionierenden Wettbewerbs; die staatliche Förderung alternativer Energien muss regelmäßig überprüft werden. Die Verbesserung der Wachstumsperspektiven in bestimmten wirtschaftlichen Bereichen ist aber auch durch gezielte Maßnahmen möglich: Bekämpfung des Fachkräftemangels, Verbesserung der Breitbandinfrastrukturversorgung in ländlichen Gebieten, Unterstützung der Aktivitäten von Forschung und Entwicklung bei kleineren und mittleren Unternehmen und gezielte Forschungsförderung im Bereich Energie. Wir müssen auch Perspektiven schaffen für eine steuerliche Entlastung in der Mitte der Bevölkerung. Nur die konsequente Fortsetzung der Haushaltskonsolidierung schafft eine solide Basis für dauerhafte Entlastungen. Arbeit muss attraktiver gemacht werden – durch eine Reduzierung der Schere zwischen Brutto und Netto. Wir haben einiges auf den Weg gebracht – und ich bin überzeugt davon, in der nächsten Legislaturperiode können wir in einer anderen Konstellation manches noch besser machen, was jetzt nicht gelungen ist.
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Dr. Dr.-Ing. Michael Mertin, Vorsitzender des Vorstands Jenoptik AG
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er Mittelstand ist der eigentliche Innovationsmotor Deutschlands – diese Aussage klingt zwar sehr gut, sie zeigt aber leider nur die halbe Wahrheit. Wir müssen unterscheiden zwischen Innovation und Forschung. Unter Innovation verstehe ich eine kurz- bis mittelfristige Umwandlung von Wissen in Geld. Das bedeutet, ein Unternehmen setzt sein Knowhow und seine Kompetenzen ein, um ein möglichst erfolgreiches marktfähiges Produkt zu entwickeln und schließlich zu vertreiben. Forschung hingegen ist wesentlich langfristiger angelegt und stellt, wenn man so will, die Umwandlung von Geld in Wissen dar. Die Basis hierfür wird häufig in unseren Universitäten und Forschungsinstituten gelegt oder erfolgt zumindest in Kooperation mit diesen. Forschung im Sinne einer echten Grundlagenforschung werden wir bei klein- und mittelständischen Unternehmen kaum finden, da ihnen hierzu meist der finanzielle Rückhalt und auch das Volumen fehlt. Innovationen, und damit neuartige, auf die Kundenbedürfnisse abgestimmte Produkte finden wir dagegen sehr wohl bei klein- und mittelständischen Unternehmen. Zum Teil können diese – aufgrund ihrer schlanken und flexiblen Dokumentation Wirtschaftstag
Strukturen – sogar schneller auf einen Marktbedarf reagieren als ein globales Großunternehmen. Entscheidend ist an dieser Stelle also nicht das „Entweder-oder“, sondern ein „Sowohl-alsauch“. Wir brauchen globale Großunternehmen, ihre Finanzstrukturen und ihre Erfahrungen bei der Marktbeobachtung. Wir brauchen ihre Erfahrungen bei der Globalisierung und nicht zuletzt auch ihre Fähigkeit und Kapazität, langfristig und strategisch zu denken und zu handeln. Wir brauchen aber genauso kleine und mittelständische Unternehmen, bei denen der Unternehmer oft gleichzeitig Eigner ist. Einige dieser Unternehmen entwickeln sich in Zukunft vielleicht zu einem globalen Großunternehmen. Aktuelle Beispiele hierfür findet man in der Solarindustrie: Conergy etwa wurde 1998 gegründet und ist heute mit mehr als 700 Millionen € das umsatzstärkste Solarunternehmen Europas. Oder Google: Ebenfalls 1998 gegründet, macht Google heute einen Jahresumsatz von mehr als 16 Milliarden Dollar. Um den Innovationsmotor und unsere universitäre Forschungslandschaft in Gang zu halten, ist der Austausch zwischen den Unternehmen der
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verschiedenen Größenordnungen ausgesprochen wichtig. Die Vernetzung zwischen dem langfristigen Handeln der Großunternehmen und dem kurzfristigen flexiblen Agieren der KMUs zum einen und der Verknüpfung von Forschung und Innovation zum anderen stellen die Grundlage für die Herausbildung einer Leuchtturmregion dar. Im Zuge der Globalisierung werden die so genannten Emerging Markets von Mittelständlern häufig nicht nur als verlängerte Werkbank mit niedrigen Löhnen genutzt, sondern ganz überwiegend als Absatzmärkte von in Deutschland hergestellten Produkten. Dadurch sichern wir Arbeitsplätze am Standort Deutschland oder bauen sie sogar aus. Jenoptik hat in den letzten fünf Jahren seine Belegschaft in den heutigen Kernbereichen von 2.290 auf 3.400 Mitarbeiter ausgebaut. Dabei wurden 675 Arbeitsplätze in Deutschland und 446 im Ausland aufgebaut oder durch Akquisitionen hinzugefügt.
Aufgabe des Staates ist die Schaffung von Rahmenbedingungen Wie viele andere Mittelständler haben wir damit – absolut gesehen – mehr Arbeitsplätze in Deutschland als im Ausland geschaffen, auch wenn relativ gesehen das Wachstum im Ausland größer ist. Aber ohne diesen überproportionalen Aufbau im Ausland wird es Deutschland auch nicht gelingen, weiter Exportweltmeister zu bleiben. Die notwendige Erschließung immer neuer ausländischer Märkte und der offenere Umgang mit globalen Märkten stellt eine große Herausforderung für uns Mittelständler dar: Wir müssen eine internationale Kultur im Unternehmen verankern. Dazu gehört neben dem Ausbau der reinen Fremdsprachen-Kompetenzen der Belegschaft auch die Ausbildung von Kompetenzen im interkulturellen Management, die auch die verstärkte Förderung ausländischer Fachund Führungskräfte mit einbezieht. Da bildet die Jenoptik keine Ausnahme. Es gibt meines Erachtens gute Beispiele in den Niederlanden oder bei den skandinavischen Ländern, von denen Deutschland und die deutschen Unternehmen noch etwas lernen können. Aufgrund der geringeren Größe sind diese Länder viel stärker gezwungen, sich international zu orientieren. Das beginnt bei der fehlenden Synchronisation ihrer Spielfilme und endet bei der begrenzten nationalen Marktgröße. Ein gutes Instrument zur Förderung dieses Miteinanders stellt nach meiner Auffassung derzeit die Clusterinitiative des Bundesministeriums
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für Bildung und Forschung dar. Die klassische staatliche Förderung von Forschung und Entwicklung orientierte sich bisher zwangsläufig an der Forschung in einem sehr frühen Stadium. Eine gezielte und steuernde Erfolgskontrolle war nahezu nicht möglich und auch nicht sinnvoll. Die Clusterinitiativen greifen diesen Schwachpunkt auf und fördern gezielter einzelne Themenschwerpunkte und zusätzlich das Miteinander zwischen den Unternehmen verschiedenster Größen. Durch die gezielte Förderung der Zusammenarbeit von kleinen und mittleren Unternehmen, Großunternehmen, Universitäten und Forschungseinrichtungen wird die Vernetzung gestärkt, so werden kritische Lerneffekte ermöglicht. In der Tendenz ist damit eine marktgerechtere Ausrichtung aller Akteure möglich, wodurch sich der wirtschaftliche Wirkungsgrad der staatlichen Förderung deutlich erhöhen kann. Dies darf nicht als Credo für „mehr Staat“ missverstanden werden, sondern muss vielmehr als Credo für einen „Staat an der richtigen Stelle“ begriffen werden. Aufgabe des Staates ist die Schaffung von Rahmenbedingungen und Grundlagen für die Marktwirtschaft. Er übernimmt damit die Rolle eines „Enablers“. Die Leistungsfähigkeit des Mittelstandes könnte von der Politik durch den fälligen Abbau von Überregulierung noch enorm gesteigert werden. Laut Bundeswirtschaftsministerium wenden kleine und mittlere Unternehmen (KMU) schätzungsweise vier bis sechs Prozent ihres Umsatzes allein für Bürokratie auf. Sie werden dadurch nach Einschätzung des Wirtschaftsressorts „in ihrem Wachstum und ihrer Innovationskraft und damit auch bei der Schaffung von Arbeitsplätzen gebremst.“ Eine fundamentale Vereinfachung des Steuerrechts, wie sie Paul Kirchhof vorschlägt, wäre nach meiner Auffassung eine enorme Erleichterung für die Unternehmen. Die kleinen und mittelständischen Unternehmen würden von einer Vereinfachung am meisten profitieren. Und dabei muss sich das Gesamtsteueraufkommen für den Staat noch nicht einmal reduzieren. In unserem Hause sind allein fünf Vollzeitmitarbeiter mit der Abgabe von Steuererklärungen und der Steuerprüfung beschäftigt. Damit will ich mich nicht abfinden. Diese fünf Mitarbeiter könnten sich besser um unsere Kunden in aller Welt kümmern – und mithelfen, das Wirtschaftswachstum in unserem Land zu sichern. 앫 Dokumentation Wirtschaftstag
Podiumsdiskussion Dr. Hermann Niehues, Vorsitzender des Vorstands Rethmann AG & Co.
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ach gemeinhin anerkannten Definitionsmerkmalen gibt es in Deutschland rund drei Millionen mittelständische Unternehmen. Das sind 92,7 Prozent aller umsatzsteuerpflichtigen Firmen. Sie tätigen 48,8 Prozent aller steuerpflichtigen Umsätze und rund 47 Prozent aller Investitionen. Sie beschäftigen überdies rund 70 Prozent aller Mitarbeiter und bilden 82 Prozent aller Lehrlinge aus. Ihre Bruttowertschöpfung beläuft sich auf 49 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Die qualitative Definition des Mittelstands geht dabei sogar noch weit über die quantitative hinaus. Hier wird häufig von der Identität zwischen Unternehmen und Unternehmern gesprochen, die wirtschaftliche Existenz des Eigentümers und seiner Familie ist mithin gleichbedeutend mit der wirtschaftlichen Existenz des Unternehmens. Gesellschafterunternehmen haben mehrere Wettbewerbsvorteile. Bessere KundenorientieDokumentation Wirtschaftstag
rung, höhere Innovations- und Risikobereitschaft sowie eine nachhaltigere Wirtschaftsaktivität. Kennzeichnend für mittelständische Unternehmen sind ferner flache Hierarchien und die bessere persönliche Einbindung in die Beschäftigtenstruktur. Zugleich kann man feststellen, dass die Bindung von Personen zum Unternehmen und die Bindung von Beschäftigten zum Kunden in der Regel enger und intensiver sind. Legt man diese qualitativen Kriterien zugrunde, ist Mittelstand weniger eine Frage der Größenordnung, sondern der Unternehmenskultur. Diese stützt sich auf flache Hierarchien – und ist damit unmittelbar dichter am Kunden und an den im Unternehmen ablaufenden Prozessen und am Markt orientiert. Gleichzeitig bewirkt eine differenzierte Segmentierung, auch von größeren Unternehmen, dass mehr Unternehmer im Unternehmen vorhanden sind, die verschiedene Produktmarktsegmente vorantreiben.
Hermann Niehues
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Die Dynamik mittelständischer Unternehmen scheint in Expansionszeiten höher zu sein. So kann man feststellen, dass sich in den Jahren 2003 bis 2007 die Zahl der sozialversichungspflichtig Beschäftigten in mittelständischen Unternehmen bis 500 Mitarbeitern um 300.000 erhöht hat. Großunternehmen haben in diesem Zeitraum ihre Stammbelegschaften hingegen um 150.000 Arbeitnehmer verkleinert. Zwar beschäftigen Unternehmen mit weniger als 500 Mitarbeitern nur jeden fünften in einem Unternehmen tätigen Wissenschaftler – aber immerhin 57.000 Vollzeitforscher.
Daniel Goffart
Die Innovationsfähigkeit des Mittelstands nach diesem Kriterium zu behandeln ist allerdings aus meiner Sicht sehr verkürzt, da viele Inhaber neben ihrer Tätigkeit als Unternehmer auch selbst der treibende Motor für Prozess- und Produktinnovationen sind.
Mittelstand: Weniger eine Frage der Größenordnung, als eine der Unternehmenskultur Viele mittelständische Maschinenbauunternehmen leben nach wie vor von der Kreativität der Inhaberunternehmer sowie von ihrer Ko-
Podium II In das Thema: „Deutschland und sein Mittelstand – Leistungsträger und Innovationsmotor“ führten ein: Volker Kauder MdB, Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag und Dr. Michael Mertin, Vorsitzender des Vorstands Jenoptik AG. Unter der Moderation von Daniel Goffart, Ressortleiter Politik/Wirtschaft des Handelsblatts, diskutierten: Dr. Hermann Niehues, Vorsitzender des Vorstands Rethmann AG & Co.; Andreas Lapp, Vorsitzender des Vorstands Lapp Holding AG; Dr. Michael Fuchs MdB, Vorsitzender Parlamentskreis Mittelstand, CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag; Prof. Dr. Dr. h.c. Bert Rürup, Vorsitzender des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.
operationsbereitschaft mit Kunden, auch mit Universitätsinstituten und sonstigen Forschungseinrichtungen. Hier wird sehr oft ein persönliches Vertrauensverhältnis aufgebaut. Die Internationalisierung des Mittelstands ist insbesondere in den größeren mittelständischen Unternehmen im produzierenden Gewerbe sehr hoch. Sie liegt etwa bei 36 Prozent, bei größeren Unternehmen liegt sie bei knapp 50 Prozent.
Andreas Lapp, Vorsitzender des Vorstands Lapp Holding AG
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ür das Produzierende Gewerbe, den Handel, das Gastgewerbe und andere Branchen zeigen Untersuchungen für das Jahr 2005, dass in Deutschland 99 Prozent aller Betriebe zu den kleineren und mittleren Unternehmen (KMU) zählen. Fast 60 Prozent aller Beschäftigten sind für diese KMU tätig. Die
KMU erzielten nach Angaben des Statistischen Bundesamtes nahezu 35 Prozent aller Umsätze, tätigten 40 Prozent der Bruttoinvestitionen in Sachanlagen und erwirtschafteten 46 Prozent der gesamten Bruttowertschöpfung. Die Region Stuttgart ist nach einer Studie von Eurostat unter den Top drei im Europäischen Vergleich. Fast 20 Prozent aller Beschäftigten arbeiten hier in Mittel- und Hochtechnologiebetrieben. 40 Prozent der „Think Tanks“ sind in Baden-Württemberg ansässig. Zehn Prozent der Mitarbeiter der Lapp-Gruppe sind im Bereich Forschung und Entwicklung (FuE) tätig. Ihr Budget beläuft sich auf fünf Prozent unseres Umsatzes. Unser Ziel ist, 25 Prozent unserer Erlöse mit Produkten zu generieren, die nicht älter sind als fünf Jahre. Kooperationen bei Innovationen sind notwendig. Dies muss auch weit über den traditionellen Weg mit Kunden und Lieferanten hinausgehen. Deutschland liegt im Durchschnitt der 27 EU-Länder aber an vorletzter Stelle. Hier gilt es, die vorhandenen Potenziale besser zu ver-
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knüpfen – das gilt auch für den Bereich der öffentlich-privaten Zusammenarbeit. Innovation ist als ganzheitliche Aufgabe zu begreifen. Denn Innovationen müssen auch „verkauft“ werden, Fehlinvestitionen können Firmen an den Rand des Ruins treiben. Die Organisation muss deshalb so aufgestellt sein, dass es möglich ist, die Innovation schnellstmöglich, technisch geprüft und zu marktgerechten Preisen anzubieten. Dies kann am besten im Mittelstand geschehen, weil er über die entsprechende Flexibilität verfügt, um Innovationen auch auf den Markt zu bringen. Der Mittelstand hat zudem auch eine soziale Verantwortung. Lokal angesiedelt, Inhaber persönlich bekannt – dieser Verantwortung muss
man sich bewusst sein. Der Grundstein für Forschung und Entwicklung muss jedoch viel früher gelegt werden, nämlich bei den Kindern in der Schule. Die Entwicklung technischer Lösungskreativität muss bereits im Kindesalter vermittelt und ausgebaut werden. Erschwert wird diese Entwicklung allerdings durch nicht vorhandene oder alte Ausstattung in den Schulen. Nach meiner Auffassung sind in den neuen Lehrplänen zu wenige technischwissenschaftliche Fächer enthalten. Die derzeitigen Aktivitäten wie „Jugend forscht“, die „TecToYou“-Sonderhalle auf der Hannover Messe oder der Ideenpark von Thyssen Krupp müssen verstärkt werden. Hierfür gibt die Wirtschaft allgemein, aber auch der Mittelstand im Besonderen punktuell zu wenig Geld aus.
Andreas Lapp
Dr. Michael Fuchs MdB, Vorsitzender Parlamentskreis Mittelstand, CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag
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inheitliche gesetzliche Mindestlöhne sind aus Sicht der Union abzulehnen. Die Tarifhoheit sollte bei Arbeitgebern und Gewerkschaften bleiben. Wir müssen die Rahmenbedingungen so setzen, dass es nicht möglich ist, einen Tarifvertrag durch einen anderen auszuhebeln. Es kann nicht sein, dass ein größerer einen kleineren Tarifvertrag aushebelt. Wenn es Bereiche gibt, in denen Tarifverträge vorhanden sind, sollen die das regeln. Es ist nicht die Aufgabe der Politik, die Funktionen der Tarifpartner wahrzunehmen. Auch mit der Allgemeinverbindlichkeit sollten wir sehr vorsichtig sein. Es gibt einen negativen und einen positiven Koalitionszwang – und wir sollten das nicht aufheben. Das sind Rechte, die wir grund-
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gesetzlich abgesichert haben. Es geht auch um Subsidiarität. In Betrieben können bessere Lösungen gefunden werden. Ich glaube, dass die Politik sehr schlecht beraten wäre, wenn sie sich zu sehr in die Tarifpolitik einmischt. Das kann die Politik gar nicht leisten. Deswegen sollten wir die Tarifhoheit denen überlassen, die es können. Die Politik muss dafür sorgen, dass wir optimale Bildungssysteme haben. Deswegen halte ich es auch für sehr richtig, dass die Bundeskanzlerin die Bildungsrepublik Deutschland ausgerufen hat. Denn wir müssen wissen: Wir haben nichts anderes als das, was in den Köpfen unserer Menschen ist. Wenn es uns nicht gelingt, da
Dr. Michael Fuchs MdB
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ganz schnell etwas anzuschieben oder Verbesserungen zu schaffen, dann werden wir wirkliche Probleme bekommen. Wir haben heute schon in einigen Branchen ein Facharbeiterproblem. Zahlreiche Unternehmen berichten, dass sie händeringend Fachkräfte suchen.
Wir brauchen Zuwanderung aus dem Ausland Hier ist die Politik gefordert. Hier sind aber auch die Unternehmen gefordert. Ausbildung und Bildung finden nicht nur in der Schule oder an den Universitäten statt, sondern auch in der
Wirtschaft. Wir müssen hier für eine bessere Verzahnung zwischen Wirtschaft und Universitäten, zwischen Wirtschaft und Schulen, zwischen Fachhochschulen und Wirtschaft sorgen. Das ist eine dringende Notwendigkeit. Denn es wird auch in der Zukunft wegen der demographischen Entwicklung erhebliche Veränderungen geben. Eine vernünftige Zuwanderungspolitik ist ebenfalls wichtig. Es kann nicht sein, dass wir qualifizierte Leute nicht hereinlassen. Wir brauchen auch Zuwanderung aus dem Ausland.
Prof. Dr. Dr. h.c. Bert Rürup, Vorsitzender des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung
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ittelstand“ ist ein nur im deutschen Sprachraum üblicher Begriff. In anderen Ländern sprich man dagegen von „kleinen und mittleren Unternehmen“(KMU). Man meint damit eine nach Beschäftigungszahlen, Umsatz- oder Bilanzsumme statistisch eindeutig abgrenzbare Teilmenge aller Unternehmen. Der Begriff „Mittelstand“ oder „mittelständische Unternehmen“ umfasst zwar alle kleinen und mittleren Unternehmen, will aber zusätzlich bestimmte qualitative Merkmale, insbesondere Unternehmensführung und Organisation, zum Ausdruck bringen. In Deutschland ist es üblich, von kleinen Unternehmen zu sprechen, wenn die Anzahl der Beschäftigten unter zehn Personen oder der Jahresumsatz unter einer Million € liegt. Von mittleren Unternehmen spricht man, wenn sie zwischen zehn und 499 Mitarbeiter beschäftigen oder einen Jahresumsatz zwischen einer Million € und unter 50 Millionen € erzielen.
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Nach einer mehrere Jahre anhaltenden Schwächephase erfährt die deutsche Volkswirtschaft seit dem Jahr 2005 eine deutliche wirtschaftliche Belebung, die allerdings als Folge der Eintrübung des weltwirtschaftlichen Umfelds bald an Dynamik verlieren wird. Getragen wurde und wird diese erfreuliche Entwicklung der letzten Jahre insbesondere auch von der ausgeprägten Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie. Dieser zentrale Befund für die Gesamtwirtschaft gilt auch für den deutschen Mittelstand. Er hat einen großen Anteil an der guten konjunkturellen Entwicklung, in deren Folge nicht nur die Zahl der Beschäftigten, sondern auch die Investitionsbereitschaft in diesem Bereich stark gestiegen ist. In diesem Zusammenhang ist zu konstatieren, dass der deutsche Mittelstand die Chancen der Globalisierung durch eine zunehmende internationale Ausrichtung sowohl hinsichtlich Ab-
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satz wie Vorleistungsbezug wahrgenommen hat. Notwendig verbunden mit der Globalisierung ist ein erhöhter Wettbewerbsdruck, welcher – zumindest aus Sicht der ökonomischen Lehre – zu einer höheren Effizienz und Produktivität führt. Dies gilt auch für rein inlandsorientierte Unternehmen und damit auch für den Mittelstand. Tendenziell sind im Ausland aktive Unternehmen größer und gehören dem FuE-intensiven Verarbeitenden Gewerbe an. Auch haben sich exportorientierte KMU und solche, die Auslandsinvestitionen tätigten, in den letzten Jahren besser entwickelt als KMU, die auf inländische Märkte konzentriert waren. Belastungen der derzeitigen wirtschaftlichen Entwicklung drohen als Ausfluss der Finanzmarktkrise aus der Schwäche der US-Ökonomie, dem hohen Ölpreis und dem gestiegenen Euro-Kurs. Allerdings spricht die gute „Konstitution“ der deutschen Wirtschaft und insbesondere die des Mittelstands dafür, dass die sich abzeichnende Abkühlung nicht in einer Rezession enden wird. Ungeachtet der erfreulich guten Verfassung der meisten Unternehmen in Deutschland wäre es falsch, sich auf dem Erreichten ausruhen. Dies gilt speziell für die Bereiche der Gründungen und Innovationen und damit zusammenhängend für die Finanzierungsbedingungen. Eine „gute“ Wirtschaftspolitik muss für beschäftigungs- und wachstumsfreundliche Rahmenbedingungen sorgen, unabhängig von der Größe eines Betriebes. Insofern sollte Wünschen nach einer gezielt den „Mittelstand“ fördernden Politik widerstanden werden. Subventionen in Form von Finanzhilfen und Steuererleichterungen sind durchaus legitime Instrumente der Wirtschaftspolitik, wenn man gezielt bestimmte wirtschaftliche Aktivitäten – so zum Beispiel im Rahmen einer strategischen Handelspolitik und der Grundlagenforschung – zur Abfederung von Härten bei sektoralen Wandlungsprozessen, zur Internalisierung von externen Effekten oder zur Einkommensumverteilung fördern will. Den „Mittelstand“, also nur Unternehmen in einer bestimmten Größe, besonders zu fördern, ist allerdings ein sehr problematischer Subventionszweck.
erlichen Rahmenbedingungen für Unternehmen – insbesondere auch für jüngere – aus mehreren Gründen verbesserungsbedürftig. Erstens diskriminiert die deutsche Steuergesetzgebung ab dem kommenden Jahr Eigenkapital und damit Beteiligungsfinanzierungen gegenüber Finanzierungen aus Fremdkapital. Zweitens werden Gewinne und Verluste asymmetrisch bei der Besteuerung berücksichtigt, was vor allem für junge, forschungsintensive Unternehmen, die über eine längere Phase Anlaufverluste anhäufen, nachteilig ist. Drittens sehen sich Beteiligungskapitalgeber in Deutschland bisher ungünstigeren Rahmenbedingungen gegenüber, als in vielen anderen Ländern .
Prof. Dr. Dr. h.c. Bert Rürup
Mit dem Gesetzesentwurf zur Modernisierung der Rahmenbedingungen für Wagniskapitalbeteiligungen werden allerdings der Freibetrag bei wesentlichen Beteiligungsveräußerungen erhöht und die Verschärfung der Mantelkaufvorschriften im Zuge der Unternehmensteuerreform für ein spezielles Segment von Unternehmen wieder rückgängig gemacht. Das vorhandene Instrumentarium des Bundes zur Förderung von Wagniskapitalinvestitionen sollte auf seine Wirksamkeit gerade in Bezug auf die Förderung innovativer Unternehmen überprüft werden – und nicht zuletzt daraufhin überprüft werden, ob die zahlreichen punktuellen staatlichen Förderprogramme nicht besser zu einer allgemeinen steuerlichen Förderung zusammengefasst werden. Zur Unterstützung von unternehmerischen Tätigkeiten – und hier insbesondere im Bereich Gründungen und Innovationen – ist zudem ein weiterer Abbau rechtlicher und bürokratischer Hemmnisse wünschenswert.
Gleichwohl lassen sich einige Handlungsfelder einer Wirtschaftspolitik definieren, die allen Unternehmen, aber besonders den kleinen und mittleren, nutzen: In Deutschland sind die steuDokumentation Wirtschaftstag
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Podium III
Die Abhängigkeiten und Herausforderungen für eine moderne Energiestrategie: National und europäisch Hans-Peter Villis, Vorsitzender des Vorstands EnBW Energie Baden-Württemberg AG
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ahlreiche globale Entwicklungen im Energiesektor unterliegen weder dem Einfluss der Energieunternehmen noch dem der deutschen oder europäischen Politik. Zu diesen globalen Entwicklungstendenzen zählen der globale Siegeszug der Kohleverstromung und die Renaissance der Kernkraft sowie der massive Ausbau der Energieerzeugung in Ländern wie China oder Indien – mit steigenden Investitionskosten für Erzeugungsanlagen. Das heißt allerdings nicht, dass die Energiepolitik keine Gestaltungsspielräume hätte. Es ist sehr wohl möglich, innerhalb dieser Rahmen-
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bedingungen zum Nutzen – oder auch zum Nachteil – von Umwelt, Konsumenten und Erzeugern energiepolitische Pflöcke einzuschlagen. Eine widerspruchsfreie deutsche und europäische Energiestrategie ist notwendig. Das bedeutet, dass sich energiepolitische Maßnahmen auf EU-Ebene und nationaler Ebene nicht widersprechen dürfen. Marktteilnehmer müssen von der Politik klare und langfristig sichtbare Signale bekommen, die zu Investitionen ermuntern. „Langfristig“ ist hierbei sehr wichtig: Wir müssen daran denken, dass ein Investor, der sich entscheidet, ein Kraftwerk oder ein Netz zu errichten, eine Entscheidung trägt, die Dokumentation Wirtschaftstag
auch in 30 oder 40 Jahren noch betriebswirtschaftlich zu rechtfertigen sein muss. Nicht notwendig ist hingegen detailfreudiges und von einem Grundmisstrauen gegenüber Märkten geprägtes Hineinregieren in alle nur denkbaren Bereiche der Energiewirtschaft. Das gilt insbesondere dann, wenn es an nachvollziehbaren ökonomischen Gründen fehlt. In Deutschland und Europa gibt es derzeit keine konsistente Energiestrategie, die diese Bedingungen erfüllt. Das wirkt sich vor allem schädlich auf die Kernbereiche Erzeugung und Netze aus. Eine konsistente Energiestrategie wird auf nationaler Ebene durch widerstreitende Interessen und widersprüchliche Politikvorgaben unmöglich gemacht. So gibt es auf Bundesebene zum Beispiel noch immer keinen politischen Konsens über die Kernkraft. Auf der Ebene der Länder wiederum fehlt Einigkeit über die Energieerzeugung aus Kohle. Eine einheitliche Haltung der Länder ist auch mit Blick auf die länderübergreifenden Netzinvestitionen nicht zu erkennen. Hinsichtlich der „Netzrendite“ bestehen unterschiedliche Auffassungen zwischen Bundeswirtschaftsministerium und Bundesnetzagentur. Wir begrüßen zwar die massive Förderung der erneuerbaren Energien durch die Bundesregierung. Gleichzeitig sind die dazu dringend notwendigen Investitionen in die Netze betriebswirtschaftlich kaum noch zu rechtfertigen. Meinungsunterschiede zwischen Bundesumweltministerium und Bundeswirtschaftsministerium hinsichtlich der Erdverkabelung machen die komplexe Gemengelage der Interessen auch nicht einfacher. Ein Weiteres: Für
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den Einzelnen mag es rational sein, den Netzoder Kraftwerksausbau in seinem „back yard“ zu verhindern – für eine wirtschaftliche und klimafreundliche deutsche Energieversorgung ist das aber fatal. Die Bundesregierung steckt in einem Dilemma. Sie möchte strenge Klimavorgaben, sie möchte aber zugleich nicht, dass der Verbraucher die Kosten bemerkt. Gleicher
Auffassung sind im Übrigen auch die Verbraucher. Besonders klimafreundliche Politik kann zu wachsenden Abhängigkeiten von Gas führen. Insbesondere dann, wenn kohlebasierte Produktion immer schwieriger wird.
Eine konsistente Energiestrategie wird auf nationaler Ebene durch widerstreitende Interessen und widersprüchliche Politikvorgaben unmöglich gemacht Auch auf europäischer Ebene gibt es zahlreiche Probleme. Die Vorgaben auf supranationaler Ebene schränken die Gestaltungsspielräume einer nationalen Energiestrategie zusätzlich ein. Die EU hat vieles für die Schaffung eines
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einheitlichen Energiebinnenmarktes geleistet. Derzeit beobachten wir aber einige Entwicklungen auf der europäischen Ebene mit Sorge, die wiederum die Bereiche fossile Erzeugung und Netze betreffen. Emissionshandel ist eine
Was kann getan werden? Nicht alle Widersprüche werden in einem föderalen Deutschland und in Europa aufzuheben sein. Wir fordern die Politik aber auf, uns bei der Information der Öffentlichkeit bei den Themen Investitionen in fossile Energieerzeugung und Netzausbau zu unterstützen. Drei Viertel der deutschen Erzeugung werden auch weiterhin aus fossilen oder nuklearen Anlagen stammen müssen, auch wenn die Ziele bei den erneuerbaren Energien eingehalten werden. Und gerade der Ausbau der erneuerbaren Energien ist nur bei substanziellen Netzinvestitionen möglich. Die Energieunternehmen werden weiterhin ihren Beitrag zu einer effizienten, verlässlichen und umweltfreundlichen Versorgung leisten. Wir wollen und müssen weiterhin in Netze und in Erzeugungskapazitäten investieren und dürfen nicht bei jedem Gegenwind einknicken. Bedingung dafür ist allerdings immer, dass sich das Projekt betriebswirtschaftlich rechtfertigen lässt.
effiziente Methode, um dem drohenden Klimawandel zu begegnen. Andererseits aber scheinen gerade die Interessen der deutschen Industrie, die im internationalen Wettbewerb steht, wenig berücksichtigt zu werden.
Drei Viertel der deutschen Erzeugung werden auch weiterhin aus fossilen oder nuklearen Anlagen stammen müssen Die geplante Vollauktionierung beim Emissionshandel wird sich außerdem sehr negativ auf die Kraftwerksinvestitionen auswirken. Die Debatte um das so genannte „Ownership Unbundling“, also die rechtliche Trennung von Erzeugung und Netzen und damit die drohende Netzenteignung ist dem Investitionsklima nicht eben förderlich.
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Die Politik steht in engem Austausch mit uns. Allerdings ist jetzt auch Handlungsorientierung gefragt. Vielleicht gelingt es uns kurzfristig nicht, eine konsistente Energiestrategie zu entwickeln. Einige Probleme („Erzeugungslücke“, Netzinvestitionen) sind aber so drängend, dass sie jetzt pragmatisch angegangen werden müssen. Wer diese Probleme jetzt noch negiert, wird sich künftig Vorwürfe über hohe Energiepreise oder mangelnde Versorgungssicherheit anhören müssen. Wir befürchten, dass dann wieder allein den Energieunternehmen die Schuld in die Schuhe geschoben wird.
Dokumentation Wirtschaftstag
Jochen Homann, Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie
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uf nationaler wie europäischer Ebene sehe ich in der Energiepolitik auf drei Themenfeldern den dringlichsten Handlungsbedarf. Das sind die Themen Klimaschutz, Preisentwicklung und sichere Energieversorgung. Ich beginne mit dem Klimaschutz. Niemand stellt in Frage, dass alle Emittentenländer einen angemessenen Klimaschutzbeitrag leisten müssen, um die schlimmsten Folgen des Klimawandels zu verhindern. Wie dieser Beitrag jeweils aussieht und wer die unvermeidlichen Lasten trägt, muss allerdings sorgfältig bedacht werden. Klimaschutz auf Kosten von Wettbewerbsfähigkeit und Versorgungssicherheit ist ebenso wenig nachhaltig wie ein sorgloser Umgang mit Energie zu Lasten des Klimas. Die gegenseitigen Abhängigkeiten sind hier unübersehbar. Auf europäischer Ebene haben wir eine Verringerung der Treibhausgasemissionen der EU sowie ehrgeizige Ziele beim Ausbau der erneuerbaren Energien und bei der Verbesserung der Energieeffizienz vereinbart. Deutschland er-
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bringt seinen Beitrag zur konkreten Umsetzung dieser Ziele mit dem Integrierten Energieund Klimapaket, das vom Bundeskabinett im Dezember letzten Jahres beschlossen wurde. Der zweite Teil des Gesetzes- und Verordnungspakets wurde kürzlich vom Bundeskabinett verabschiedet.
Dringender Handlungsbedarf im Klimaschutz, bei der Preisentwicklung und bei der Versorgungssicherheit Das Integrierte Energie- und Klimapaket (IEKP) sieht einen verstärkten Ausbau der erneuerbaren Energien genauso vor wie eine Steigerung der Energieeffizienz. Zur Minderung der Treibhausgasemissionen gibt es Vorschläge der EUKommission. Kern ist der Emissionshandel. Im Emissionshandel entscheiden die Unternehmen, wo und wie sie Treibhausgasemissionen vermeiden wollen. Die Preise für Zertifikate bilden sich am Markt. Damit wird prinzipiell sichergestellt, dass die Vermeidung von Emissionen auf dem effizientesten Weg erfolgt. Das ist im Grundsatz zu begrüßen. Dieser richtige Ansatz gerät allerdings in ein schiefes Licht, wenn die Kommission frühzeitige Klimaschutzanstrengungen nicht berücksichtigt und etliche
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säumige Mitgliedstaaten sogar von ihren Kyoto-Zielen entlasten will. Der gute Ansatz des Emissionshandels wird auch desavouiert, wenn er zu einseitigen Kostenbelastungen für Unternehmen führt, die im internationalen Wettbe-
werb mit Konkurrenten stehen, die keine Zertifikate ersteigern müssen und so einen Kostenvorteil haben. Um Erfolg zu haben, müssen wir deshalb möglichst alle Emittenten erfassen und andererseits die Kosten der CO2-Vermeidung möglichst gering halten. Ob dies gelingt, wird sich im Dezember 2009 auf der Klimakonferenz in Kopenhagen zeigen, wo eine Einigung auf ein neues internationales Klimaschutzabkommen angestrebt wird.
Kernenergie darf kein Tabuthema sein – wir sind mit unserer Haltung international isoliert Zweites wichtiges Thema ist die Preisentwicklung. Ich streite nicht ab, dass Energieeinsparund Klimaschutzmaßnahmen in der Regel mit
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zum Teil hohen Anfangsinvestitionen verbunden sind, die sich erst über Jahre rechnen. Bei den derzeitigen Preissteigerungen für Öl und Gas werden sich die Investitionen in erneuerbare Energien, Energiesparen und Energieeffizienz entsprechend schneller amortisieren. Die vermeintlich teuren Klimaschutzmaßnahmen können damit sogar einen kostendämpfenden Effekt haben. Neben den Maßnahmen, mehr Wettbewerb auf dem Energiesektor einzuführen, kann die Regierung allerdings kaum etwas gegen die hohen Preise bei Energierohstoffen unternehmen. Das ist eine Entwicklung auf den Weltmärkten, die alle Nationen gleichermaßen betrifft. Angesichts dessen und angesichts des Klimaschutzes sollten wir verstärkt darüber nachdenken, ob der Beschluss, aus der Kernkraft auszusteigen, noch haltbar ist. Denn es geht nicht nur um eine versorgungssichere und CO2-arme Energieerzeugung, sondern auch um eine preisgünstige. Das dritte wichtige Thema lautet sichere Energieversorgung. Nicht nur wegen des Klimaschutzes oder des Preises, sondern auch aus Gründen der Versorgungssicherheit müssen wir unsere Abhängigkeit von Öl und Gas reduzieren. Darauf gibt es zwei Antworten. Erstens: Weniger Energie und höhere Energieeffizienz. Zweitens: Mehr Diversifikation bei Energieträgern, Energiequellen und Transportwegen. Zum ersten Aspekt: Das Integrierte Energieund Klimaprogramm setzt deutliche Anreize zur Erhöhung der Energieeffizienz und zum Energiesparen. Ein Beispiel ist die Einspeisevergütung des Erneuerbare-Energie-Gesetzes (EEG) für Strom aus erneuerbaren Energien.
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Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen werden gefördert. Wir setzen mit der Energieeinsparverordnung Anreize zum Energiesparen im Gebäudebereich. Bei der Wärmeerzeugung in Neubauten müssen erneuerbare Energien eingesetzt werden, wo dies wirtschaftlich sinnvoll ist. Und wir setzen schließlich einen finanziellen Anreiz zur Nutzung erneuerbarer Energien bei der Wärmeerzeugung in Altbauten. Zum zweiten Punkt Diversifikation möchte ich nicht nur erneut die Kernkraft anführen, sondern auch die Kohle. Es ist nicht nachzuvollziehen, wie man sich gegen den Neubau von hocheffizienten Kohlekraftwerken wehrt, wenn im Gegenzug alte ineffiziente Kraftwerke vom Netz gehen. Wir brauchen die Kohle als sicher verfügbaren Energieträger. Die Emissionen regelt der Emissionshandel ohnehin. Die Verhinderung eines Kohlekraftwerks ist deshalb kein Beitrag zum Klimaschutz. An einer Tatsache kommen wir allerdings nicht vorbei. Gerade bei dem für den Wärmemarkt wichtigen Energieträger Gas sind Bemühungen um Diversifikation Grenzen gesetzt. Der Großteil der Reserven liegt in Russland, den GUS-Staaten, im Iran und Quatar. Stabile Beziehungen, insbesondere zu Russland, sind daher für uns von enormer Bedeutung. Mit Projekten wie der Nordstream-Pipeline können wir von der direkten Nachbarschaft zu Russland profitieren. Das Verhältnis zu Russland sollten wir konstruktiv im Sinne einer Energiepartnerschaft weiterentwickeln. Dass Russland gleichzeitig seinen weltweiten Absatz diversifizieren wird und in Zukunft vermehrt nach Asien und Amerika liefert, müssen wir akzeptieren.
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Zum Komplex der Versorgungssicherheit zählt auch der Energietransport. Hier geht es nicht allein um Gaspipelines, sondern auch um Stromleitungen. Deshalb ist es wichtig, dass die Bundesregierung den Entwurf eines Energieleitungsausbaugesetzes beschlossen hat, das den Bedarf für vordringliche Leitungsbauvorhaben gesetzlich festlegt. Leitungen, die nach allgemeiner Auffassung dringend erforderlich sind, können nun schneller realisiert werden.
Um es abschließend zusammenzufassen: Der Ausbau der erneuerbaren Energien schützt das Klima, reduziert unsere Importabhängigkeit und lohnt sich schon auf mittlere Sicht. Kernenergie darf kein Tabuthema mehr sein. Wir sind mit unserer Haltung international isoliert. Die Energieeffizienz muss gesteigert werden. Sowohl Leitungen als auch konventionelle Kraftwerke müssen ausgebaut werden.
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Podiumsdiskussion Reinier Zwitserloot, Vorsitzender des Vorstands Wintershall Holding AG
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Reinier Zwitserloot
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ie Europäische Union hat als zweitgrößter Energieverbraucher und größter Energieimporteur der Welt im globalen Vergleich zu anderen großen Verbraucherländern und Regionen eine einzigartige Ausgangsposition, um die eigene Energieversorgung langfristig mit wirtschaftlich vertretbarem Aufwand zu sichern. Rund 80 Prozent der weltweiten Erdgas- und Erdölreserven befinden sich in einem Umkreis von etwa 4500 km. Das ist ein entscheidender Wettbewerbsvorteil, den es gerade wegen der weltweit rasant steigenden Energienachfrage auszunutzen gilt. Angesichts der Bestrebungen rasch wachsender Schwellenländer wie China und Indien, ihre Rohstoffdefizite durch weltweite Importe und direkten Zugang zu Öl- und Gasquellen auszugleichen, ist aber ein aktives Handeln Europas notwendig. Energiesicherheit fällt Europa nicht automatisch in den Schoß. Allein durch den Einsatz erneuerbarer Energien lässt sich – bei aller Wertschätzung ihrer Notwendigkeit und zunehmenden Bedeutung – die Versorgungssicher-
heit Europas nicht gewährleisten. Fossile Energieträger bilden somit auch für die kommende Generation das Rückgrat der europäischen Versorgungssicherheit. Unter den fossilen Energieträgern sticht Erdgas aufgrund seiner hohen Energieeffizienz und seiner relativ günstigen Umwelteigenschaften heraus. Erdgas setzt bei seiner Verbrennung deutlich weniger Kohlendioxid frei als andere fossile Energieträger und trägt damit entscheidend zum Schutz des Klimas bei. Die verstärkte Substitution anderer fossiler Energieträger durch Erdgas leistete in Europa seit 1990 den wichtigsten Einzelbeitrag zur Reduktion von CO2-Emissionen. Wichtige Wachstumsbereiche für den Erdgaseinsatz liegen im Einsatz als Brennstoff für kleine und dezentrale Kraftwerke sowie allgemein in der Abdeckung des wachsenden Mittellastund Spitzenlastbereiches im Kraftwerkssegment. Aufgrund ihrer flexiblen Fahrweise sind Gaskraftwerke für diese Lastbereiche besonders gut geeignet. Der in Zukunft noch zunehDokumentation Wirtschaftstag
mende Beitrag von Erdgas zum Klimaschutz kommt aber nur dann zum Tragen, wenn es gelingt, den wachsenden Erdgasimportbedarf in Europa zu decken. Ein nüchterner Blick auf die Weltkarte zeigt, woher das zusätzlich benötigte Erdgas kommen kann. Norwegen wird seinen Anteil an der europäischen Erdgasversorgung bis 2020 weitestgehend halten, jedoch nicht ausbauen können. Afrika wird die Gaslieferungen längerfristig zwar erhöhen können, wird aber bei weitem nicht die sich abzeichnende Importlücke der EU-27 decken können. Flüssiggas (LNG) kann einen nennenswerten Beitrag zur Gasversorgung der EU und zur Diversifizierung der Bezugsquellen leisten. Allerdings ist ein scharfer Wettbewerb um die verfügbaren Flüssiggasmengen zu erwarten. In Nordamerika und in den großen asiatischen Nachfrageregionen wird man aufgrund dort fehlender Alternativen bereit sein, hohe Preise für die global knappen LNG-Mengen zu zahlen. Wenn die Europäische Union ihre strategisch günstige Lage in der Nähe großer Gasreserven nutzen will, bleiben die kaspische Region und Russland. Die kaspische Region unter Einschluss von Iran und Irak verfügt zwar über große Gasreserven, wird aber – ganz abgesehen von den politischen Unwägbarkeiten bei Gaslieferungen aus dieser Region – die sich abzeichnende Importlücke nicht schließen können. Somit wird deutlich: Eine wirklich substanzielle, den wachsenden Bedarf deckende Ausweitung der Importmengen kann unter realistischen Annahmen nicht ohne Russland geleistet werden. Russland verfügt über die weltweit größten Erdgasreserven und liegt zugleich in PipelineReichweite zum europäischen Markt. Aktuelle Prognosen gehen davon aus, dass Russland seine Gasexporte in die EU-27 bis zum Jahr 2020 um etwa 50 Prozent erhöhen kann. Die Energie-
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Podium III In das Thema „Abhängigkeiten und Herausforderungen einer Energiestrategie: national und europäisch“ führten ein: Hans-Peter Villis, Vorsitzender des Vorstands EnBW AG und Jochen Homann, Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie. Unter der Moderation von Roland Tichy, Chefredakteur der WirtschaftsWoche, diskutierten: Reinier Zwitserloot, Vorsitzender des Vorstands Wintershall Holding AG; Dr. Burckhard Bergmann, Mitglied des Direktorenrates OAO Gazprom; Stellv. Vorstandsvorsitzender Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft; Dr. Matthias Ruete, Generaldirektor GD Energie und Verkehr, Europäische Kommission und Dr.Uwe Franke, Vorsitzender des Vorstands Deutsche BPAG.
partnerschaft zwischen Russland und Europa spielt damit eine Schlüsselrolle für die europäische Versorgungssicherheit. Diese Energiepartnerschaft hat sich in den vergangenen Jahrzehnten selbst in den politischen Krisenzeiten des Kalten Krieges bewährt und als zuverlässig erwiesen. Auch Unstimmigkeiten in der jüngeren Vergangenheit zwischen Russland und den osteuropäischen Transitländern haben zu keinem Zeitpunkt die europäische Versorgung wirklich gefährdet. In den letzten Jahren wurde die enge Partnerschaft durch gemeinsame Investitionen weiter vertieft. Ein wichtiges Schlüsselprojekt dieser Partnerschaft ist das Projekt „Nordstream“. Mit ihm können langfristig zusätzliche Erdgasmengen für die EU gesichert werden. Dabei versteht sich „Nordstream“ keinesfalls als Konkurrenz zu anderen großen Pipelineprojekten wie Nabucco und macht diese auch nicht überflüssig. Vielmehr ist die Realisierung aller dieser Pipelineprojekte zur Sicherung der Versorgung Europas unabdingbar. Trotz seiner gewaltigen Dimensionen können über Nordstream nur gut acht Prozent des Erdgasbedarfs der EU-27 in 2020 abgedeckt werden.
Roland Tichy
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Dr. Burckhard Bergmann, Mitglied des Direktorenrates OAO Gazprom, Stv. Vorstandsvorsitzender Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft
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Dr. Burckhard Bergmann
rneuerbare Energien gehören ohne Zweifel zu den tragenden Säulen einer zukunftsfähigen Energieversorgung in Europa. Deshalb ist es im Prinzip zu begrüßen, dass die deutsche wie die europäische Politik hierzu ehrgeizige Ziele formuliert. Eine weitere nachhaltige Verbesserung der Energieeffizienz und ebenso der nachhaltige Ausbau der erneuerbaren Energien sind indes Prozesse, die sich nicht über Nacht realisieren lassen. Die fossilen Energieträger müssen deshalb auf längere Sicht einen unverzichtbaren Beitrag zur Energieversorgung leisten. Das gilt gerade in einem Land wie Deutschland, wo nach gegenwärtiger politischer Beschlusslage auf den Einsatz der Kernenergie verzichtet werden soll. Hocheffiziente Kohle- und Gaskraftwerke werden darum auch künftig einen wichtigen Beitrag zur Stromerzeugung leisten müssen. Eine Selbstblockade dringend benötigter Investitionen kann sich ein führendes Industrieland wie Deutschland nicht leisten. Im Rahmen einer sicheren, effizienten und klimaverträglichen Energieversorgung werden alle Energieträger – einschließlich der Kernenergie – gebraucht. Auch wenn die quantitativen Zielvorgaben erreicht werden, die erneuerbaren sind nur im Doppelpack mit den fossilen Energien darstellbar. Natürlich hat der Import von Energie Risiken. Aber ein hoher Grad an Importabhängigkeit kann nicht automatisch mit einer niedri-
gen Sicherheit der Versorgung gleichgesetzt werden. Jedenfalls nicht, wenn es gelingt, die Energiezufuhr aus Drittländern ökonomisch wie politisch stabil zu gestalten. Dies ist eine Aufgabe für die Unternehmen wie die Politik. Es ist zu begrüßen, dass das Thema Versorgungssicherheit stärker in den Fokus der Politik rückt und zum Beispiel die EU-Kommission sich ihm im Rahmen des kommenden zweiten „Strategic Energy Review“ im zweiten Halbjahr 2008 unter französischer Ratspräsidentschaft mit besonderer Aufmerksamkeit widmen wird. Dabei wird allerdings darauf zu achten sein, dass dies im Ergebnis nicht zu mehr Intervention und Regulierung der Versorgungssicherheit führt. Die Rollenteilung zwischen Politik und Unternehmen darf nicht grundsätzlich verschoben werden. Die Versorgungsverantwortung liegt auch künftig in erster Linie bei den Unternehmen. Der Mainstream in Deutschland wie Europa ist allerdings, die Märkte zu regulieren, den Unternehmen Verantwortung zu entziehen und sie gleichzeitig zu neuen Aufgaben zu verpflichten. Die Beschaffungsmärkte wandeln sich und werden immer globalere Märkte, geopolitische Faktoren gewinnen an Einfluss. Deshalb erfordert die Sicherung der Energiezufuhr zunehmend politische Unterstützung. Zu Recht setzt sich deshalb die Erkenntnis durch, dass Versorgungssicherheit integraler Bestandteil der Außen- und Sicherheitspolitik sein muss. Gerade in einer Zeit, in der die Konkurrenz um begrenzte Energieressourcen weltweit zunimmt und andere Importländer und -regionen ihre Energieinteressen außenpolitisch absichern, sollte die europäische Politik in enger Kooperation mit der Wirtschaft ein gemeinsames Verständnis der EU-Energieinteressen im Verhältnis zu Drittländern entwickeln und nach außen hin möglichst geschlossen auftreten. Insofern hat der europäische Binnenmarkt auch eine externe Dimension. Partnerschaft ist auch ein Schlüsselwort für die energiewirtschaftlichen Beziehungen zu Russland, das sich bisher als ein verlässliches und berechenbares Lieferland erwiesen hat. Mit seinen enormen Energieressourcen wird Russland auch künftig ein wichtiger Energielieferant für Deutschland
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und Europa bleiben. Gegenseitige russischdeutsche Investitionen werden zu noch mehr Stabilität und Sicherheit in den Beziehungen der beiden Länder beitragen. Handel und Wirt-
schaft sind und bleiben starke Brücken der Verständigung. Es besteht deshalb kein Anlass, möglichen Engagements russischer Investoren in Deutschland mit Skepsis zu begegnen.
Dr. Matthias Ruete, Generaldirektor für Energie und Verkehr, Europäische Kommission
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nergieverbraucher und -produzenten sind in einem gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnis und teilen das Interesse an einer nachhaltigen Energiezukunft. Die Energiepolitik der EU zielt auf eine nachhaltige Energiezukunft. Energiesicherheit ist mehr als Versorgungssicherheit – und es geht um mehr als die Sicherung des weltweiten Zugangs zu Rohstoffen. Energiesicherheit beginnt zu Hause. Die Energieziele, die sich der Europäische Rat im März 2007 unter der Leitung von Bundeskanzlerin Angela Merkel gesteckt hat, sind richtungweisend. Die Realisierung eines 20-prozentigen Einsparpotenzials beim Energieverbrauch und der Ausbau der erneuerbaren Energieträger auf 20 Prozent werden einen wesentlichen Anteil daran haben, unseren Primärenergieverbrauch zu senken und den Bedarf an zu importierenden Energieträgern nicht übermäßig ansteigen zu lassen.
Der europäische Gesamtenergieverbrauch liegt zurzeit bei mehr als 1,8 Milliarden Tonnen Öleinheiten. Ungebremst würde dieser Verbrauch bis 2020 um 150 Millionen Tonnen steigen. Die Verwirklichung der vorgeschlagenen Politik hingegen ermöglicht es, den Gesamtenergieverbrauch im Jahr 2020 auf rund 1,7 Milliarden Tonnen zu beschränken. Der Importbedarf an Rohöl könnte trotz der sinkenden einheimischen Ölförderung in etwa konstant gehalten werden. Bei anhaltend hohen Ölpreisen ist davon auszugehen, dass die Ölimporte unter das heutige Niveau sinken. Ähnliches zeichnet sich beim Gasimportbedarf ab. Trotz des aggressiven Ausbaus der erneuerbaren Energieträger im Strom- und Wärmebereich wird Europa ein Nettogasimporteur bleiben. Ohne Gegensteuern würden wir im Jahr 2020 sogar um die Hälfte mehr importieren müssen als heute. Trotz aller Bemühungen, der Energieeffizienz zum Durchbruch zu verhelfen, wird der Strombedarf in Europa bis zum Jahr 2020 um bis zu zehn Prozent steigen. In den kommenden zwölf Dokumentation Wirtschaftstag
Jahren müssen deshalb bis zu 350 Gigawatt an Kapazität erneuert werden respektive zusätzlich ans Netz gehen. Je nach Energieträger und Entwicklung der Grund- und Spitzenlast wird dieses Bild zu differenzieren sein. Es ist davon auszugehen, dass sich der Anteil der erneuerbaren Energieträger im europäischen Strommarkt mehr als verdoppeln wird. Der Markt wird diesem Investitionsbedarf allerdings nur nachkommen, wenn er Vertrauen in die neuen Rahmenbedingungen fassen kann. Deshalb muss die Politik alles daran setzen, so schnell wie möglich die Verhandlungen über die von der EU-Kommission vorgeschlagenen Maßnahmen zum besseren Funktionieren des Binnenmarkts abzuschließen.
Dr. Matthias Ruete
Gleiches gilt für die vorgeschlagene Neuregelung der Emissionsbegrenzung und des Handels mit Emissionszertifikaten. Die neuen Rahmenbedingungen werden nach Ansicht der Kommission nicht nur den Ausbau der grenzüberschreitenden Kuppelstellen, sondern auch den Ausbau neuer, emissionsarmer Technologien beschleunigen. Die auf europäischer Ebene gesetzten Rahmenbedingungen werden den Energiemix der Mitgliedstaaten beeinflussen – ohne freilich direkte Einflussnahme auf so sensible nationale Fragen wie die Nutzung der Atomkraft nehmen zu wollen. Leistungsfähige Übertragungsnetze sind für den Energiebinnenmarkt von entscheidender Bedeutung. Von großer Bedeutung sind sie aber auch für eine solidarische Energiesicherheit, zu der ebenso eine effiziente Beschaffungs- und Bevorratungspolitik wie die Diversifikation der zu importierenden Energieträger zählt.
Funktionierende Märkte setzen gemeinsame Spielregeln und ein Mindestmaß an Vertrauen voraus Der markanteste Faktor in der Energiepolitik ist die gegenseitige Abhängigkeit zwischen Verbraucher- und Erzeugerländern. Die EU-Mitgliedstaaten teilen diese Einsicht. Auffassungsunterschiede gibt es allerdings mit Blick auf den Umgang damit. Das mag an unterschiedlichen
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historischen Erfahrungen sowie an den Gegebenheiten regionaler Versorgungsstrukturen liegen. Ein wesentlicher Grund dafür mag aber auch ein Mangel an Vertrauen in so manche Erzeugerländer sein. Die zunehmende Nationalisierung von Energiekonzernen in Erzeugerländern trägt aus europäischer Sicht ebenfalls wenig zur gegenseitigen Vertrauensbildung bei. Eine Stärke der EU war und ist es, funktionierende Märkte zu befördern. Die EU sollte sich deshalb im Rahmen ihrer inter- und multilateralen Beziehungen auf ihre Stärken konzentrieren und das fördern und fordern, was auch im in-
nereuropäischen Kontext zu Wachstum und Wohlstand geführt hat. Allerdings setzen funktionierende Märkte gemeinsame Spielregeln und ein Mindestmaß an Vertrauen voraus. Der Zwang zu mehr Klimaschutz, die Endlichkeit der Öl- und Gasressourcen und die Verantwortung für künftige Generationen bilden die global gültigen Rahmenbedingungen für eine verantwortungsbewusste Energiepolitik. Funktionierende Märkte sind die effizienteste Lösung – das ist ein gemeinsames Pfund, mit dem die Europäer wuchern sollten.
Dr. Uwe Franke, Vorstandsvorsitzender Deutsche BP AG
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Dr. Uwe Franke
uropa ist arm an Energieressourcen. Geschieht nichts, steigt in den nächsten 20 Jahren der Einfuhranteil bei Öl von heute 70 auf 90 Prozent und bei Gas von 50 auf 70 Prozent. Die Kohlevorräte Amerikas und Asiens sind deutlich größer. Zwei Herausforderungen stehen damit im Mittelpunkt. Das ist erstens der Zugang zu Energieressourcen und zweitens der Erhalt der Fähigkeit, Energieressourcen möglichst wirtschaftlich und umweltverträglich in Strom und Kraftstoffe zu verarbeiten. Das Defizit an eigenen Energieressourcen verlangt in besonderer Weise, dass nicht noch ein Defizit in der Weiterverarbeitung hinzutritt.
Wir haben genügend Öl und Gas für den Rest des Jahrhunderts. Erst recht gilt das für Kohle. Neue Ölfunde wie jüngst vor der brasilianischen Atlantik-Küste, die zunehmende Ausbeutung von Teersanden und Schwerölen sowie die Verbesserung der Fördertechnologie lassen keine Ressourcenknappheit aufkommen. Entscheidend sind jedoch der Wille und die Fähigkeit, in die Erschließung und Förderung von Öl- und Gasvorräten zu investieren. Mit steigenden Ölund Gaspreisen lassen sich selbst bei stagnierenden oder zurückgehenden Produktionskapazitäten noch höhere Gesamterlöse erzielen. Zugleich verlängert sich der Zeitraum, in dem vorhandene Ressourcen genutzt werden können. Die öffentliche Diskussion der Ölpreisentwicklung in den letzten Monaten suggeriert Knappheiten, die es nicht gibt. Der hohe Ölpreis ist in einer Reihe von Faktoren begründet. Dazu gehört die anhaltend hohe Nachfrage im NichtOECD-Raum, insbesondere in China und Indien. Dazu zählt auch das Ausbleiben von Investitio-
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nen in den Ausbau von Förderkapazitäten in wichtigen Produktionsländern. Auch der Einfluss der Finanzmärkte spielt eine zunehmende Rolle. Öl wird verstärkt als Rendite- und Spekulationsobjekt angesehen. Ölpreiswetten spiegeln aber keine tatsächlichen Marktverhältnisse, sondern nur Erwartungen von Marktteilnehmern. Die Öl- und Gasressourcen und ihre Ausbeutung stehen zu 85 Prozent unter der Kontrolle staatlicher Unternehmen. Kooperation mit nationalen Öl- und Gasgesellschaften ist damit entscheidend für unsere Energiesicherheit. Dies betrifft zum einen die direkte Zusammenarbeit zwischen privaten westlichen und nationalen Öl- und Gaskonzernen und zum anderen die politische Zusammenarbeit zwischen Produktions- und Verbraucherländern. Das Risiko für Strategie und Investitionen kann den Unternehmen nicht abgenommen werden. Für die politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen sind jedoch die beteiligten Regierungen verantwortlich. Wir brauchen Partnerschaften zur besseren Ausbeute von Reserven durch Technologietransfer, zum geopolitischen Interessensausgleich, zur Verteilung des Risikos auf mehrere Schultern, zur Sicherung von Wachstum und Stabilität in den Exportländern und schließlich zur Sicherung von Nachhaltigkeit im Bereich Umweltschutz. Die Schlüsselprinzipien dieser Partnerschaften sind Fairness, Transparenz und Rechtsstaatlichkeit. Letztere rückt umso mehr in den Mittelpunkt des Interesses, je stärker RessourcenNationalismus und Missbrauch des Heimvorteils von inländischen Investoren zu Lasten ihrer ausländischen Geschäftspartner um sich Dokumentation Wirtschaftstag
greifen. Vertragssicherheit und eine unparteiische Justiz sind unverzichtbar. Die Notwendigkeit einer Energieaußenpolitik ist inzwischen Konsens, natürlich und vor allem mit Russland. Russland ist und war immer ein zuverlässiger Lieferant. Wir sollten uns idealerweise an den seit über 30 Jahren laufenden, umfangreichen Öl- und Gaslieferungen aus der Nordsee ausrichten, die nie als politisch riskant angesehen wurden. Politik spielt hier überhaupt keine Rolle. Es geht um Strategien für eine wirtschaftliche Verflechtung – unter anderem durch Investitionen, aber auch zum Beispiel durch kulturelle und wissenschaftliche Zusammenarbeit. Verflechtung ist der beste Garant für gegenseitige Investitionssicherheit. Die Weiterverarbeitung von Energieressourcen zu Strom und Kraftstoffen muss mit zwei Herausforderungen zurechtkommen: Das Ausbleiben eines neuen nationalen Energiekonsenses seit Tschernobyl und die Notwendigkeit des Klimaschutzes, insbesondere seit Einführung des europäischen Emissionshandels im Jahr 2005. Beide Herausforderungen hängen miteinander zusammen, weil es dabei um die Frage des richtigen Energiemixes geht, der dauerhaft und nachhaltig Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit sowie Klima- und Umweltverträglichkeit verbindet. Der Kern dieses Zusammenhangs bildet die ungelöste Frage nach dem zukünftigen Umgang mit der Kernenergie. Der alte Energiekonsens ist an der Frage der Sicherheit der Kernenergie zerbrochen. Der neue Energiekonsens im Zeichen des Klimaschutzes kommt nicht zustande, weil die Notwendigkeit eines Klimaschutzbeitrags der Kernenergie umstritten ist. Unabhängig davon bildet die gebotene Reduzierung der CO2-Emissionen im Wege des Emissionshandels eine besondere Herausforderung für Deutschlands Schlüsselindustrien. Sie dürfen nicht zu Gunsten der neuen Leitmärkte Umwelt- und Klimaschutz vernachlässigt werden. Alte und neue Industriezweige müssen sich vielmehr ergänzen. Die durch den CO2-Emissionshandel entstehenden Zusatzkosten dürfen nicht zu einem Konkurrenznachteil im globalen Wettbewerb werden. Deswegen muss bei den Post-KyotoVerhandlungen ein zentrales Ergebnis sein, dass es weltweit zu einem Handel mit CO2Emissionen kommt. Es darf nicht sein, dass Deutschland und Europa ihre Wettbewerbsfähigkeit verlieren, weil sie höhere Kosten für Klima-, Umwelt-, Arbeits- und Sozialschutz in Dokumentation Wirtschaftstag
Kauf nehmen, während andere durch Verzicht auf derartige Schutzmaßnahmen Kostenvorteile erlangen. Die Antwort darauf darf jedoch nicht Protektionismus sein, sondern die schrittweise weltweite Verständigung über den Wert dieser Schutzmechanismen. Im Klimaschutz ist weltweiter Emissionshandel besser als weltweite Klimazölle. In der aktuellen Lage heißt das aus Sicht der Mineralölwirtschaft: Die Raffinerien in Deutschland und Europa müssen im Vergleich mit außereuropäischen Standorten konkurrenzfähig sein. Sonst tritt zur Importabhängigkeit bei Öl und Gas noch eine Einfuhrabhängigkeit bei Mineralölprodukten hinzu.
Zusammengefasst brauchen wir für eine Energiestrategie, die dauerhaft und nachhaltig sein soll, einen neuen Energiekonsens. Er sollte nach Möglichkeit europäisch angelegt sein. Zumindest braucht Deutschland diesen neuen Konsens, wie in Zukunft Energiesicherheit und Klimaschutz als zwei Seiten einer Medaille ausgestaltet sein sollen. So wie in der Sozialversicherung immer wieder mit Erfolg überparteiliche und damit für Wahlkämpfe nicht geeignete Lösungen gefunden werden, sollte es auch in der Energieversorgung praktiziert werden. Die Zeche zahlen sonst unsere Nachkommen.
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Internationaler Abend:
Mit ICT: Always best Connected Reinhard Clemens, Vorstand Geschäftskunden, CEO von T-Systems, Deutsche Telekom AG
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ür die Deutsche Telekom ist das Thema Innovation ganz wichtig. Wir setzen täglich darauf, neueste Technologien und innovative Produkte einzusetzen. Unseren Kunden wollen wir die gesamte Angebotspalette aus Mobilfunk, Festnetz und EDV-Lösungen bieten. Der Geschäftskundenbereich T-Systems bietet den Unternehmen Lösungen rund um das Thema Informations- und Kommunikationstechnologie an. Wir verfügen über ein innovatives Portfolio aus Infrastrukturleistungen und Systemlösungen. Dafür haben wir ein neudeutsches Wort geprägt: Information and Communication Technology – kurz ICT. Das Zusammenwachsen von IT und EDV prägt die Zukunft. Warum ist ICT so wichtig? ICT lässt Prozesse verschmelzen. Die Systembrüche zwischen Kommunikation und
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EDV entfallen. Die Technologien wachsen zusammen, und dadurch werden wir Effizienzsteigerungen bekommen. Unsere Netzwerke und Endgeräte werden in Zukunft immer mehr so ausgelegt sein, dass Sie in jeder Lebenslage an jedem Standort die optimal passende Technologie und den besten Netzzugang nutzen können. Wir nennen das: always best connected. Die Deutsche Telekom ist überzeugt, dass ICT zu einem festen Bestandteil unseres Lebens wird. Den Beweis dafür liefern wir in Friedrichshafen. In den kommenden Jahren werden wir dort eine ganze Reihe von nutzbaren ICT-Lösungen und Anwendungen entwickeln. Ein Beispiel ist die „mobile Visite“. Kardiologen des Friedrichshafener Klinikums können Herzpatienten interaktiv in ihrer vertrauten Umgebung zu Hause Dokumentation Wirtschaftstag
betreuen. Bei der mobilen Visite werden Blutdruck, Puls, Gewicht und ähnliches über Mobilfunk und mobile Messgeräte an die Klinik übermittelt und dort ausgewertet. Das bedeutet lückenlose Betreuung für die Patienten. In einer alternden Gesellschaft sind das Lösungen, die einerseits Kosten reduzieren, andererseits aber auch eine große Erleichterung für Patienten und Ärzte bedeuten. Ein weiteres Beispiel ist die tägliche Ablesbarkeit von Stromzählern. Dadurch können Verbraucher ihren Stromverbrauch besser erfassen und Strom sparen, Energieunternehmen werden in die Lage versetzt, ihre Stromproduktion effizienter zu gestalten. Das sind nur zwei von vielen Beispielen, die in Friedrichshafen entstehen. Aber nicht nur im privaten Bereich wird ICT Einzug halten. ICT bietet auch der Wirtschaft neue Möglichkeiten. Die Entwicklung des Internets war in den letzten Jahren rasant. Wir glauben, dass sich das in den kommenden Jahren noch weiter erhöhen wird und die Geschwindigkeit dabei zunimmt. Der enorme Anstieg bezahlbarer Bandbreiten bei der Datenübertragung wird ein Schlüssel sein für die zukünftige Entwicklung. Der Zugriff auf Daten wird einfacher und leichter werden. Auch die Möglichkeiten von Videokonferenzen werden deutlich zunehmen. Wir stehen hier technisch vor einem Durchbruch. Dabei werden die Grenzen zwischen nationalem und internationalem Arbeiten verschwimmen – und wir werden einer globalen Welt, einem globalen Netzwerk einen Schritt näher kommen. Die Welt reduziert sich – wenn man so will – auf einen Raum. Für Mitarbeiter wird in globalen Netzwerken eine ganz neue Form der Kommunikation und Transparenz geschaffen. So können Informationen in einem globalen Dialog mit Mitarbeitern von jeder Stelle aus
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sofort und punktgenau verfügbar gemacht werden. Die Deutsche Telekom sieht sich verpflichtet, Deutschland mit einer international führenden Infrastruktur auszustatten. Und
wir werden technische Lösungen für unsere Gesellschaft und Wirtschaft zur Verfügung
stellen, damit Deutschland wettbewerbsfähig und innovativ bleibt.
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Internationaler Abend:
US-Präsidentschaftswahlen 2008– Folgen für die USA und Europa Richard Burt, Botschafter a.D.
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er Wahlkampf um das amerikanische Präsidentenamt, das „horse race“, wie wir es nennen, ist völlig offen. Ich denke, dass das Ergebnis dieser Wahl wie bei den letzten beiden Wahlen in den USA wieder sehr knapp ausfallen wird. Als Republikaner und Unterstützer von John McCain muss ich sagen, dass das angesichts der derzeitigen Verfassung der Republikaner bemerkenswert ist. Wir haben einen amtierenden Präsidenten, dessen Umfragewerte zu den schlechtesten der Geschichte gehören. Wir haben einen Präsidenten, der nur wenige innen- oder außenpolitische Erfolge vorzuweisen hat. Und wir haben einen Präsidenten, der sich, wenn er ins Ausland reist, mit anderen führenden Politikern aus Angst vor Protesten der Öffentlichkeit an obskuren Orten treffen muss.
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Aus dieser Sicht ist es erstaunlich, dass sich John McCain ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit Barack Obama liefert. Aus meiner Sicht hat das mit der Struktur der amerikanischen Politik zu tun. Wir haben nicht die starken, zentralisierten Parteistrukturen, die viele europäische Länder, darunter auch Deutschland, haben. Und die Leute wählen eher den Mann oder die Frau als die Partei. Und das erlaubt einer herausragenden Persönlichkeit wie McCain, sich über das gegenwärtige Imageproblem, das die Republikanische Partei in den USA hat, zu erheben. John McCain ist ein Mann mit einer bemerkenswerten Bilanz. Er ist jemand, der seinem Land jahrelang in Uniform und als Politiker gedient hat, jemand, dessen bemerkenswerte Dokumentation Wirtschaftstag
Courage als Kriegsgefangener heute in den USA fast mystisch ist. John McCain ist sehr erfahren, und er hat von dem kontroversen Kampf zwischen Barack Obama und Hillary Clinton profitiert. John McCain hat, auch das ist sehr wichtig, einen deutlichen Vorsprung von 20 Prozentpunkten oder mehr bei den weißen männlichen Wählern. Im Übrigen: Die Demokraten hatten keine Mehrheit mehr bei den weißen männlichen Wählern seit 1976, als Jimmy Carter gewählt wurde. Ein anderer Bereich, wo John McCain einen wichtigen Vorsprung hat, ist bei den weißen Frauen aus städtischen Außenbezirken. Viele dieser weißen Frauen aus den Vororten waren Anhängerinnen von Hillary Clinton. Und von diesen werden jetzt sehr viele John McCain unterstützen. Ebenfalls achten sollte man auf die Stimmen der Hispanoamerikaner, der am schnellsten wachsenden Minderheit in den USA. Zurzeit genießt Barack Obama hier einen beträchtlichen Vorsprung. Aber McCains Kampagne wird sich sehr stark auf die Hispanoamerikaner konzentrieren. Wie wird die Außenpolitik der amerikanischen Regierung aussehen, wenn John McCain Präsident wird? Lassen Sie mich diese Frage beantworten, indem ich zunächst feststelle, dass es seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges Zyklen gegeben hat, wo die USA in vielen Bereichen im Ausland die Führungsrolle übernommen haben. Es hat aber auch Phasen amerikanischer Konsolidierung gegeben. Die USA haben Ende der vierziger Jahre die Führungsrolle beim Mar-
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shall-Plan übernommen, bei der Schaffung der NATO, des IWF, der Weltbank und der BrettonWoods-Institutionen. In den fünfziger Jahren waren die Amerikaner weniger Hegemon der Weltpolitik, es war eine Phase der Konsolidie-
rung. Während der Kennedy-Jahre gab es eine zweite Phase der Führung. Wir hatten Erfolge mit der Kennedy- und der Johnson-Regierung, aber wir hatten auch einige sehr ernste Probleme, dazu gehört der Vietnam-Krieg.
Wir werden in jedem Fall wieder eine Phase der Konsolidierung in der amerikanischen Außenpolitik erleben Als das Jahr 1968 kam und Richard Nixon gewählt wurde, hatten wir eine Phase der Konsolidierung, die, wie sich herausstellte, eine sehr kreative Phase in der amerikanischen Außenpo-
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litik war. Ich nenne die Öffnung Chinas und die Détentepolitik unter Henry Kissingers Führung gegenüber der damaligen Sowjetunion. Wir haben also gewisse Schwankungen in der amerikanischen Außenpolitik gesehen. Und daraus
ziehe ich den Schluss, dass, egal wer im November zum neuen Präsidenten gewählt wird, wir wieder eine Phase der Konsolidierung in der amerikanischen Außenpolitik erleben werden. Natürlich stehen die USA innenpolitisch vor einigen sehr schweren Herausforderungen. Vor allem wirtschaftlich. Und hier gibt es einen großen Unterschied zwischen John McCain und Barack Obama. Wenn Obama im November gewählt wird, wird er Ende Januar im Weißen Haus mit einer wahrscheinlich großen demo-
kratischen Mehrheit – im Repräsentantenhaus und im Senat – die Macht übernehmen. Deshalb wird er in gewissem Sinne einen Blankoscheck für seine Politik haben. Und diesen Scheck wird er unterschreiben. Ich bezweifle, dass dies der richtige Zeitpunkt für die USA ist, um massive Ausgaben für soziale Programme zu tätigen. Wir haben gravierende Haushaltslücken. Neue Ausgaben für das Gesundheitswesen, für das Sozialversicherungswesen, für die Infrastruktur – das mögen alles Dinge sein, die wir in den USA früher oder später brauchen. Aber hohe Ausgaben in Verbindung mit höheren Steuern für Privatleute und Unternehmen werden unsere gegenwärtigen wirtschaftlichen Probleme verschärfen. Und hier möchte ich anfügen: Es gibt einen sehr ungesunden Trend zum Protektionismus in der Demokratischen Partei. Wenn Obama mit einer großen demokratischen Mehrheit im Repräsentantenhaus und im Senat Präsident wird, so werden die Initiativen für ein geordnetes und liberales internationales Handelssystem umso schwerer. Deswegen könnte es eine ökonomisch sehr schwere Zeit für eine neue Obama-Regierung werden. Ich komme zum Nahen Osten. Wer ist besser positioniert, um mit den Problemen und Herausforderungen umzugehen? Man kann pauschal über die Probleme im Iran oder im Irak sprechen und sagen, dass Obama aussteigen will und McCain gewinnen will. Oder dass Obama mit dem Iran verhandeln will, während McCain eine unnachgiebige Politik bevorzugt. Tatsache ist, dass keiner der beiden beim Thema Irak viel Spielraum haben wird. Obama will die Anzahl der Soldaten in einem bestimmten Zeitraum automatisch verringern, McCain will mehr Flexibilität. Er hat erkannt, dass wir, wenn wir uns zu früh zurückziehen, ein Machtvakuum im Irak hinterlassen, das zu einem größeren Bürgerkrieg und einem Krieg in der Region führen kann. Die amerikanische Öffentlichkeit will, dass die Soldaten schnell abgezogen werden. Aber sowohl Obama als auch McCain sind klug genug, um zu wissen, dass ein automatischer Truppenrückzug ohne Berücksichtigung der Situation vor Ort zu einem sehr beunruhigenden Ergebnis führen könnte. Zum Iran: Das Problem bei Verhandlungen mit dem Iran ist, dass es nicht klar ist, mit wem man in Teheran überhaupt spricht. Die Macht ist sehr verstreut, das Land ist schwer zu verstehen. Es erinnert mich fast an den Kalten Krieg, als die Leute Fotos von russischen Generälen
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und Mitgliedern des Politbüros machten, weil sie nicht wussten, wer eigentlich die Entscheidungen traf. Auch im Iran weiß man nicht so genau, wer die Entscheidungen in Wahrheit trifft. Wir wissen, dass Mahmud Ahmadinedschad einen gewissen Machtumfang hat. Aber wir wissen auch, dass er die iranische Armee nicht kontrolliert. Wir wissen, dass Personen wie Larijani und Rafsanjani immer mehr mit ihm konkurrieren. Wir wissen ebenfalls, dass der Oberste Rat und der Oberste Führer eine wichtige Rolle spielen. Meine Anmerkung zu Gesprächen mit dem Iran ist: Wir sollten sehr vorsichtig sein, bevor wir uns voreilig auf Verhandlungen einlassen. Wir verstehen die Implikationen nicht. Und das erinnert mich daran, als John F. Kennedy 1961 nach Wien reiste, um Chruschtschow zu treffen. Kennedy glaubte, dass es notwendig sei, reinen Tisch zu machen und einen Dialog mit dem russischen Staatsführer zu beginnen. Was er in Chruschtschow fand, war jemand, der tobte, aggressiv war und Drohungen aussprach. Und weniger als ein Jahr, nachdem Kennedy Chruschtschow in Wien getroffen hatte, wurde die Berliner Mauer gebaut. Zwei Jahre später spielte Chruschtschow in Kuba mit Nuklearwaffen. Ich will nicht gegen einen Dialog mit dem Iran argumentieren. Ich will nur sagen, dass wir sehr geduldig und sehr vorsichtig sein müssen. Wir sollten uns dem Iran nicht nur von der Position aus nähern, dass wir einen Dialog wünschen, sondern wir müssen zugleich aus einer Position der Stärke agieren. Wenn wir an den nächsten amerikanischen Präsidenten denken, müssen wir auch an den Dialog denken, der unweigerlich zwischen diesem Präsidenten und der Europäischen Union und den Staatschefs der wichtigsten europäischen Länder stattfinden wird. Ich glaube, sowohl Obama als auch McCain werden wieder zu einer eher multilateralen Herangehensweise neigen und einen Konsens suchen. Sie werden bestrebt sein, Konsultationen abzuhalten und einen gemeinsamen Standpunkt zu erreichen. Die Strategie der Bush-Regierung – „Entweder seid Ihr für uns oder gegen uns“ – wird es nicht mehr geben. Wenn man über Konsens spricht und über Partnerschaft nachdenkt, dann heißt das aber auch zwangsläufig, dass die USA größere Ansprüche an Europa stellen werden. Die Vereinigten Staaten werden offen für eine wirkliche Partnerschaft sein. Für die Europäer wird es dann zugleich aber nicht mehr so einfach sein, sich mit Verweis auf eine falsche amerikaDokumentation Wirtschaftstag
nische Politik zurückzuziehen. Darauf sollten sich die Europäer vorbereiten, wenn eine neue US-Regierung Gestalt annimmt. Es gibt in beiden Lagern – sowohl in der McCain- als auch in der Obama-Gruppe – immer noch einen Wettkampf zwischen Pragmatikern und Ideologen. Es gibt immer noch Leute, die die USA auf einer Mission sehen, auf ei-
ner Art globalem Kreuzzug. Und es gibt Leute auf der anderen Seite, die erkannt haben, dass es notwendig ist, Konsultationen abzuhalten und bereit zu sein, Kompromisse zu suchen – nicht nur mit unseren Freunden, sondern auch mit unseren Gegnern. McCains Erfahrung und die Tatsache, dass er so viele Jahre auf die Probe gestellt wurde, sagt mir, dass er ein Realist sein wird.
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Nelson Cunningham, Managing Partner Kissinger McLarty Associates
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ch kenne Barack Obama seit 2003. Senator Obama füllte bei seinen Reden schon damals den Raum, obwohl sich seine politische Erfahrung auf Illinois beschränkte. Die Kraft Barack Obamas und sein ungeheures Charisma beim Umgang mit politischen Problemen haben bereits vor fünf Jahren bei vielen Menschen einen tiefen Eindruck hinterlassen. Ich habe mit Stolz zugeschaut, als Obama 2004 auf der Versammlung der Demokraten seine erste Rede hielt. In dieser Wahlkampfsaison war ich etwas hin- und hergerissen, denn ich hatte für Hillary Clinton gearbeitet, als sie die First Lady im Weißen Haus war. Und ich hatte Verbindungen zu einigen der anderen Kandidaten.
Wir müssen die Ängste der Menschen ernst nehmen – das ist etwas, was die Deutschen sehr gut verstehen Also beschloss ich, neutral zu bleiben. Und ich dachte, dass das mit Obama in wenigen Wochen vorbei sein würde. Dann wurden aus den Wochen Monate und schließlich war diese fabelhafte sechsmonatige Zeit der Vorwahlen zu Ende. Ich habe mich nun im Obama-Lager zum
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Dienst gemeldet – sowohl in Washington als auch in Berlin. Ich möchte einige Anmerkungen zum „horse race“ machen. Die Demokratische Partei hat sechs Monate Vorwahlen hinter sich, sie haben sich sehr lange hingezogen. Obama musste sich davon erholen. Er muss die Partei einen, er muss alle hinter sich bringen – und er muss als Anführer einer vereinten Partei voranschreiten. Die gute Nachricht ist, dass er in einer sehr komfortablen Lage ist, das auch zu tun. Während der Kampagne sind die beiden Kandidaten in alle Teile des Landes gekommen, in Gegenden, wo die Demokraten selten auftreten. Orte, die wir vor Jahrzehnten aufgegeben und den Republikanern überlassen hatten. Zwei Millionen Demokraten haben sich im Laufe der Vorwahlen eingetragen. Obama sammelte über 200 Millionen Dollar, die Unterstützung durch die Demokraten ist erstaunlich hochgeschnellt. Und obwohl er zeitweilig eine sehr gespaltene Phase hinter sich hatte, lag er in Meinungsumfragen unmittelbar nach den Vorwahlen noch immer sechs Prozentpunkte vor Dokumentation Wirtschaftstag
John McCain. Wenn heute Wahltag wäre, würde man das wohl als einen erdrutschartigen Sieg bezeichnen. Obama liegt bei den weiblichen Wählern 19 Prozentpunkte vor Senator McCain, wobei die Frauen die Wählerschaft sind, um die man sich wegen Senator Clinton Sorgen macht. Er führte bei den Hispanoamerikanern mit 62 gegenüber 28 Prozent bei McCain. Das ist ein historischer Vorsprung. Und selbst bei den Arbeitern liegt er mit einem Prozentpunkt vorn. Barack Obama beginnt die letzte Phase des Wahlkampfs damit in einer Position, in der er die Partei eint, im Rennen vorne liegt und alle Ressourcen einer starken Demokratischen Partei hat, die er zum Tragen bringen kann. John McCain ist ein Mann mit erstaunlichen Talenten. Aber er ist belastet durch eine republikanische Partei, deren Ansehen durch sieben Jahre Missmanagement George W. Bushs und davor durch die Republikaner im Kongress schwer beschädigt ist. Schwer belastet ist McCain zusätzlich durch seine Unterstützung für den schlimmsten außenpolitischen Fehler der letzten 100 Jahre, nämlich die Invasion im Irak. John McCain kann nun argumentieren, dass er Erfahrung hat, Urteilsvermögen und der beste Mann ist, der uns nach vorn führen kann. Aber dennoch war er 2002 einer derjenigen, die uns in diesen Krieg geführt haben – aus Gründen, die keiner bislang erklären konnte. Barack Obama war damals Senator. Niemand fragte die Senatoren seinerzeit, was sie vom Einmarsch in den Irak halten. Dennoch sprach sich Obama sehr deutlich gegen den Krieg aus.
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Er sagte ganz klar, dass dies aus seiner Sicht ein verheerender Krieg sei, den man nicht führen solle. Mit den 600 Milliarden Dollar, die wir für den Irak-Krieg ausgegeben haben, hätten wir
viele Straßen und Schulen bauen können. Stattdessen haben wir das Geld für einen Krieg ausgegeben, der noch immer kein Ende findet. Ein Wort noch zum angeblichen Protektionismus, den die Republikaner den Demokraten nachsagen. Weder ist Obama ein Protektionist, noch ist die Demokratische Partei eine protektionistische Partei. Wir haben in den Vereinigten Staaten eine schlechte Globalisierungspolitik. Das liegt meines Erachtens an den letzten sieben Jahren der Bush-Regierung. Bill Clinton wusste, was man tun muss, um die Idee der Glo-
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balisierung zu verkaufen. Als erstes braucht man ein Programm, um mit der Angst umzugehen, die die Arbeiter empfinden. Ein Programm für Arbeiter aus Fabriken, die geschlossen werden, aus Orten, denen es wirtschaftlich schlecht
geht. Man muss ihnen zeigen, dass man sich um sie kümmert. Man braucht Infrastruktur, man braucht Straßen, Weiterbildungsprogramme und Schulen. Und zweitens muss man mit dem Kongress zusammenarbeiten, um dafür zu sorgen, dass die internationalen Handelsabkommen die Elemente beinhalten, die die Demokraten fordern. Zum Beispiel Vereinbarungen über Arbeitsrecht und Umweltschutz – das sind Dinge, an die auch die Deutschen glauben. Diese Dinge wollen die Demokraten auch in ihren Handelsabkommen wiederfinden.
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Im Gegensatz dazu hat Georg W. Bush sieben Jahre damit verbracht, keine Infrastruktur aufzubauen und sich nicht mit den Ängsten der Arbeiter zu beschäftigen. Seine Wirtschaftspolitik lautete: Wir senken die Steuern für die Reichen, davon werden die Armen und die Arbeiterklasse schließlich auch profitieren. Das funktioniert nicht. Und ganz sicher führt es nicht dazu, dass die Armen und die Arbeiterklasse das Gefühl haben, dass man sich ihrer Nöte annimmt. Bush hat ferner aus den Handelsabkommen die Vereinbarungen zum Arbeitsrecht und Umweltschutz gestrichen, die die Demokraten brauchen, um die Abkommen unterstützen zu können. Es ist also kein Wunder, dass wir nach sieben Jahren dieser Politik ein Problem haben. Wie können wir dieses Problem lösen? Wir müssen die Ängste der Menschen ernst nehmen. Das ist etwas, was die Deutschen sehr gut verstehen. Man muss die Ängste der Arbeiter angehen, die sich von der Globalisierung zurückgelassen fühlen. Und man muss Möglichkeiten finden, es politisch zu verkaufen, damit jeder versteht, dass die Globalisierung funktioniert. Ob nun Barack Obama oder John McCain Präsident wird – beide werden es mit einem demokratischen Kongress zu tun haben, und der wird Antworten auf diese Fragen verlangen. Barack Obama ist derjenige, der weiß, wie man mit diesem Kongress redet und wie man diese Programme einführt. Auf diese Art bekommt man eine echte Globalisierung, eine Ausweitung des Handels. John McCain wird nach meiner Auffassung nicht in der Lage sein, das zu erreichen.
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Internationaler Abend:
Diskussion zeigte: Unterschiedliche Ansätze der Kandidaten Obama und McCain in der Wirtschaftspolitik
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u einer kritischen Frage eines Zuhörers zur Rolle des umstrittenen Reverend Jeremiah Wright für Barack Obama bemerkte Cunningham, dass das schwierigste Thema für die USA das Thema Rasse sei. Barack Obama habe auf die zweifelhaften Äußerungen seines Pastors mit einer sehr klugen und durchdachten Grundsatzrede reagiert. Cunningham wies darauf hin, dass nach den Worten Obamas Reverend Wrights Generation durch schwere Zeiten gegangen sei, in der Bürgerrechtsbewegung gekämpft habe und unter den Bedingungen der Rassentrennung aufgewachsen sei. „Für alles, was sie erreicht
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haben, mussten sie sehr hart kämpfen“, sagte Cunningham. „Sie haben etwas erreicht, weil sie eine kämpferische Natur hatten und eine gewisse Radikalität entwickelten, die ihnen die nötige Energie gegeben hat, um Hindernisse zu überwinden.“
Heute wird das Thema Rasse anders gesehen, auch und vor allem wegen der Kämpfe, die die früheren Generationen ausgetauscht haben Heute sei Amerika jedoch ein anderes Land. Heute werde das Thema Rasse anders gesehen, auch und vor allem wegen der Kämpfe, die die früheren Generationen erfolgreich ausgefoch-
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ten hätten. Für Obama sei Wright wie ein älterer Angehöriger, der Dinge sagt, mit denen man nicht einverstanden sein könne. „Wir haben viel Zuneigung für sie, und das war ganz klar eine dieser schwierigen Beziehungen“, sagte Cunningham. Inzwischen habe sich Obama jedoch trotz seiner langen Bindung deutlich von Wright distanziert und seine Kirche verlassen. Zur Rolle der konservativen Evangelikalen im republikanischen Lager bemerkte Richard Burt, dass er deren Einfluss für geringer halte als bei früheren Wahlen. „Ich glaube nicht, dass die Evangelikalen bei diesen Wahlen eine so wichtige Rolle spielen wie in der Vergangenheit“, er-
klärte Burt. „Ich glaube auch, dass sie nicht mehr so ideologisch sind wie früher.“ Gleichwohl sei der Umgang mit den Evangelikalen für John McCain nicht einfach. Anders als George W. Bush habe McCain nie versucht, sich mit dieser konservativ-religiösen Gruppe besonders zu identifizieren. „Er will ihre Unterstützung – aber er ist bereit, in mehreren Punkten von ihnen abzuweichen.“
Sowohl Obama als auch McCain haben sich für verbindliche Emissionsgrenzen ausgesprochen, um den Klimawandel zu bekämpfen Nelson Cunningham fügte hinzu, dass sich die politische Landkarte der USA stark verändert habe. „John McCain kommt bei bestimmten Teilen seiner Wählerschaft nicht an, dafür kommt er bei Teilen der unabhängigen Wählerschaft und sogar bei Teilen der demokratischen Wähler an.“ Bei Obama sei das ebenso. „Deswegen wird sich die Wählerlandkarte im November deutlich ändern – und das ist ein Grund, warum die Wahlen in diesem Jahr sehr interessant werden.“ Ein Zuhörer wollte wissen, wie John McCain sich die künftige Außenpolitik der USA vorstelle, was
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ihm vorschwebe, „um das Schiff wieder auf Kurs zu bringen“. Nach den Worten Burts ist Außenpolitik komplizierter als gemeinhin angenommen. „Wir neigen dazu, Diplomatie und militärische Stärke als Antipoden zu begreifen.“ Dies sei falsch. Außenpolitik sei – auch in historischer Betrachtung – stets eine Mischung aus mehreren Instrumenten. „Außenpolitik ist die Anwendung militärischer Gewalt, wirtschaftlicher Macht, diplomatischer Überzeugungskraft und öffentlicher Diplomatie“, sagte Burt. „Eine rein diplomatische Herangehensweise funktioniert genauso wenig wie eine rein militärische.“ Das sei der Fehler gewesen, den George W. Bush gemacht habe. „Mit seinem Krieg gegen den Irak und dem Kampf gegen den Terrorismus hat er weder Herzen noch Köpfe gewinnen können“, kritisierte Burt. Die Regierung Bush habe ausschließlich militärische Gewalt eingesetzt. „Sie hat keinen breiten Ansatz mit verschiedenen Instrumenten entwickelt.“ McCain sei in diesem Punkt völlig anders, er habe dank seiner langen Erfahrung verstanden, dass Außenpolitik stets die erfolgreiche Mischung aller verfügbaren politischen wie militärischen Instrumente sei. Cunningham widersprach – und reklamierte für Obama, dieser habe einen realistischeren Blick auf die Welt als McCain. Obama verfolge einen stärker multilateral ausgerichteten Ansatz in der Außenpolitik als sein republikanischer Kontrahent und sei bereit, die Verbündeten der Vereinigten Staaten weitaus stärker in außenpolitische Fragen einzubeziehen. In der Debatte wurde deutlich, dass Obama und McCain einen unterschiedlichen Ansatz in der Wirtschaftspolitik haben. So kritisierte Cunningham insbesondere, dass McCain neuerliche Steuersenkungen für Wohlhabende auf der Agenda habe, sich aber nicht darum schere, dass die Defizite im Staatshaushalt so weiterwüchsen. Große Einigkeit zwischen Cunningham und Burt bestand hingegen in grundsätzlichen energiepolitischen Fragen. Sowohl Obama als auch McCain hätten sich für verbindliche Emissionsgrenzen ausgesprochen, um den Klimawandel zu bekämpfen. „Ich glaube aber, dass keine der beiden Parteien beim Thema Energieversorgung bisher mit dem amerikanischen Volk Klartext gesprochen hat. Es gibt viele Ideen in beiden Parteien, die meisten aber taugen nicht viel“, sagte Burt. „Ich muss leider sagen, dass ich Richard Burt in diesem Punkt voll zustimme“, erklärte Cunningham. 앫 Dokumentation Wirtschaftstag
IMPRESSUM Dokumentation Wirtschaftstag / Internationaler Abend 2008 Wirtschaftsrat der CDU e.V. Supplement zu trend – Zeitschrift für Soziale Marktwirtschaft, Nr. 116 / 30. Jahrgang Herausgeber: Prof. Dr. Kurt J. Lauk, Präsident, für den Wirtschaftsrat der CDU e.V. Schriftleitung: Erwin Lamberts, Chefredakteur (v.i.S.d.P.); Katja Sandscheper, Redaktion; Silvia Axt, Assistenz Wissenschaftliche Beratung: Hans Jochen Henke; Dr. Rainer Gerding Gemeinsame Postanschrift: Redaktion trend, Luisenstraße 44, 10117 Berlin, Telefon: 030/24087-300/301, Telefax: 030/24087-305, Internet: www.trend-zeitschrift.de Verlag: Information für die Wirtschaft GmbH; Geschäftsführerin: Iris Korehnke (v.i.S.d.P.) Luisenstraße 44, 10117 Berlin, Telefon: 030/24087-401, Telefax: 030/24087-405; Bankverbindung: Deutsche Bank Bonn, 3 105 590 (BLZ 380 700 59) Anzeigenverwaltung, Gesamtherstellung, Vertrieb: STEINBACHER DRUCK GmbH, Anton-Storch-Straße 15, 49080 Osnabrück, Telefon: 0541/95900-0, Telefax: 0541/95900-33, email@steinbacher.de, www.steinbacher.de Erscheinungsweise: März, Juni, September, Dezember Anzeigenpreise: Zurzeit gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 14 Bestellungen: Beim Verlag Bezugsbedingungen: Einzelpreis € 7,50 (einschl. MwSt.); Jahresabonnement € 25,– (einschl. MwSt.), zzgl. Versandkosten. Abonnements (vier Ausgaben) werden für ein Jahr berechnet. Kündigungen müssen sechs Wochen vor Ablauf des Abonnements schriftlich vorliegen, andernfalls verlängert es sich für ein weiteres Jahr. Bildnachweis: Christian Kruppa; Jens Schicke
18. Juni 2008 Wirtschaftstag 2008