Europa und der Mittelstand in Schleswig-Holstein

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Landesverband Schleswig-Holstein

Europa und unser Mittelstand in Schleswig-Holstein – Lehren einer gemeinsamen Erfolgsgeschichte

DIE STIMME DER SOZIALEN MARKTWIRTSCHAFT



Vorwort des Herausgebers Der Wirtschaftsrat der CDU e.V. in SchleswigHolstein wird im Kern getragen durch mittelständische Familienunternehmen, die sich in den letzten Jahrzehnten an einen ständigen Wandel ihrer Umfeldbedingungen immer wieder erfolgreich anpassen konnten. Nicht wenige konnten im Zuge einer rasant fortschreitenden Globalisierung und Digitalisierung teilweise grandios wachsen und damit Arbeitsplätze auch von Dienstleistern in der Region sichern. Motor für diesen globalen Erfolg des deutschen Mittelstandes war die Europäische Union, die Grenzen geöffnet und naheliegende Exportmärkte geschaffen hat. Deren Eroberung hat Strukturen für globale Entwicklungsstrategien verwirklicht, die bislang internationalen Großkonzernen vorbehalten waren. Die schrittweise Erweiterung der Europäische Union und der Markttransparenz befördernde Euro haben unseren Mittelstand stark gemacht und in vielen Nischen zu Weltmarktführern reifen lassen. Diese positive Sicht auf Europa erlaubt weiterführende Lehren zu ziehen als die Erkenntnis, daß die Europäischen Union in ihren Grenzen Frieden stiftet und eine Friedensdividende erwirtschaftet hat. Auch wenn man diesen Aspekt gerade angesichts der aufflammenden militärischen Konflikte in den europäischen Nachbarregionen

nicht gering schätzen kann, läßt sich daraus nur wenig ableiten, wie Europa sich weiterentwickeln soll. Diese Frage gewinnt aber an Bedeutung angesichts der europäischen Wahlerfolge von europa- und eurokritischen Parteien bei der letzten Europawahl. Insofern ist guter Rat gefragt. Der vorliegende Aufsatz kann dazu einige wertvolle Hinweise geben. Er ist entstanden als Beitrag für ein Buchprojekt der Hermann Ehlers Akademie, die verschiedene Blickwinkel in einer Aufsatzsammlung unter dem Titel „Schleswig-Holstein in Europa – Die Europäische Union aus der Sicht eines Bundeslandes“ zusammengetragen und im Wachholtz-Verlag veröffentlicht hat. Wir freuen uns, Ihnen als Mitglied des Wirtschaftsrates in Schleswig-Holstein diesen Beitrag unseres Landesvorsitzenden Dr. Philipp Murmann MdB als Grundlage für eine weitere Diskussion in unserem Verband über den richtigen Weg für Europa, Deutschland und Schleswig-Holstein übermitteln zu können.

Dr. Bertram Zitscher Landesgeschäftsführer Kiel, 2014

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Europa und unser Mittelstand in Schleswig-Holstein – Lehren einer gemeinsamen Erfolgsgeschichte Schleswig-Holsteins Wirtschaft ist mittelständisch geprägt und überwiegend familiengeführt. Viele unserer Unternehmen – wie zum Beispiel Herose, Kölln, Rako, Sauer, Wiska, Worlée Chemie oder Zöllner – haben eine lange Tradition und gehören zu den Weltmarktführern in ihrem jeweiligen Bereich. Andere ehemals eigentümergeführte Unternehmen gehören inzwischen in Konzernverbünde, viele werden allerdings weiterhin in mittelständischen Strukturen geführt (z.B. Elac Nautic, Hell – heute Kodak oder Raytheon-Anschütz). Manche sind in größeren mittelständischen Unternehmen aufgegangen, die häufig aber ebenfalls familiengeführt sind (z.B. Vossloh, Voith, Schwartauer Werke oder Lürssen). Selbst die wenigen in Schleswig-Holstein beheimateten Konzerne wie Aco, Dräger oder BartelsLangness sind aus dem Mittelstand gewachsen und überwiegend fortgesetzt familiengeführt. Für Schleswig-Holstein und für Deutschland ist dies nichts Besonderes, für Europa und den Rest der Welt aber durchaus. Die besondere Bedeutung des deutschen Mittelstandes für Europa hat Herman Simon in seinen Studien ausgeleuchtet.1 Von den bis zum

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Jahr 2007 weltweit recherchierten 2.734 mittelständischen Weltmarktführern haben demnach 1.307 und damit 48 Prozent ihren Stammsitz in Deutschland. Simon hatte im Jahr 1995 die erstaunlich hohen Exportüberschüsse der deutschen Wirtschaft untersucht und war auf die Klasse der sogenannten „hidden champions“ gestoßen, unscheinbare mittelständische Weltmarktführer, die in Deutschland offenbar stark konzentriert herangewachsen sind. Simons jüngere Studien zeigen, daß die Beschäftigten und Umsatzzahlen der 1995 gefundenen deutschen Weltmarktführer sich in den folgenden 10 Jahren verdreifacht haben und daß sie den weltweiten Wettbewerb in ihrer jeweiligen Marktnische durchschnittlich schon seit 21 Jahren erfolgreich bestreiten. Das gilt auch für viele unserer Mittelständler in Schleswig-Holstein. Dabei erscheinen die 1.307 Weltmarktführer nur als Spitze einer großen Schar international erfolgreicher mittelständischer Unternehmen aus Deutschland, was schon daran deutlich wird, daß Simon allein in den letzten sechs Jahren 300 neue mittelständische Weltmarktführer in Deutschland registriert hat.


Dieser herausragende globale Erfolg unseres deutschen Mittelstandes spricht dafür, daß er in den letzten Jahrzehnten von der europäischen Einigung und der Einführung einer Gemeinschaftswährung besonders profitieren konnte. Umgekehrt gilt jedoch ebenfalls, daß Europa von dem weltweiten Erfolg des deutschen Mittelstandes stark profitiert hat, denn sein Erfolg hat Deutschland trotz einer tiefsitzenden Bankenkrise höchste internationale Bonität gesichert und damit als Stabilitätsanker den gesamten Euroraum vor Abwertungen bewahrt. Basierend auf den Erfahrungen dieser wechselseitigen Erfolgsgeschichte werden nach-

folgend einige Thesen aufgestellt, die den außerordentlichen internationalen Erfolg unseres Mittelstandes zu erklären und eine Brücke zu schlagen versuchen, die Erfolgselemente auch auf andere europäischen Länder zu übertragen. Nicht alle ursächlichen Erfolgsfaktoren können wiederholbar oder übertragbar sein. Dennoch lassen sich aus der gemeinsamen Erfolgsgeschichte unseres Mittelstandes in einem zusammenwachsenden Europa Lehren ziehen, deren Beachtung bei der politischen Gestaltung der zukünftigen Rahmenbedingungen helfen kann, fortgesetzt Wachstum und Wohlstand für Schleswig-Holstein, Deutschland und Europa zu befördern.

Unter dieser Zielsetzung werden nachfolgend fünf Thesen zur Diskussion gestellt: These 1: Lage und Größe erklären den Erfolg unseres Mittelstandes nicht ausreichend These 2: Intensiver Wettbewerb auf dem Heimatmarkt macht stark These 3: Europa und stabiler Euro begünstigen die Exportfähigkeit des Mittelstandes These 4: Eine Soziale Marktwirtschaft verschafft international Wettbewerbsvorteile These 5: Mittelständische Unternehmenskultur und familiäre Verantwortung prägen den Erfolg des deutschen Mittelstandes

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These 1:

Lage und Größe erklären den Erfolg unseres Mittelstandes nicht ausreichend Deutschland liegt zentral in Mitteleuropa und verfügt mit 82 Millionen kaufkräftigen Einwohnern über den größten Binnenmarkt in Europa. Dieser wurde im Vergleich zu den übrigen europäischen Wirtschaftsnationen erst relativ spät mit der Gründung der Zollunion im Jahr 1855 und schließlich der Reichsgründung im Jahr 1871 geschaffen. Simon leitet aus der verzögerten Harmonisierung des deutschen Binnenmarktes ab, daß deutsche Unternehmen, um im Zuge der Industrialisierung erfolgreich wachsen zu können, sich frühzeitig internationalisieren mußten. Jedenfalls hat Deutschland mit der Reichsgründung den größten europäischen Binnenmarkt geschaffen und damit auch vergleichsweise höchste Anreize begründet, in Forschung und Entwicklung für neue Produkte zu investieren. Neben der Größe des Binnenmarktes dürfte auch die zentrale Lage des Standortes den Erfolg der deutschen Wirtschaft befördern. Im Gegensatz beispielsweise zu Portugal, das Außenhandel nur mit Spanien oder über den Seeweg treiben kann, stehen Deutschland eine ganze Reihe von Nachbarstaaten mit verschiedenen Sprachen und Kulturen als Handelspartner zur Verfügung.

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Durch die Abschaffung der Zölle und Mengenbeschränkungen in der Europäischen Gemeinschaft im Jahr 1968, die Erweiterung des Binnenmarktes durch den Fall der Mauer sowie den Beitritt weiterer Staaten zur Europäischen Union sind die Wachstumstreiber „Größe“ und „Zentralität“ weiter befeuert worden. Weitere Ausdehnungen unseres Binnenmarktes, wie jüngst durch das Freihandelsabkommen mit Kanada geschehen, sind demnach wünschenswert und geeignet, zukünftiges Wachstum zu beflügeln. Dennoch erklären weder die Größe des Binnenmarktes noch die zentrale deutsche Lage hinreichend das Entstehen der mittelständischen Weltmarktführer, denn die Anzahl der übrigen mittelständischen Weltmarktführer korreliert sonst nicht mit der Größe ihrer Heimatländer, und zentral in Europa gelegen war lange Zeit eher Frankreich, wenn man bedenkt, daß der Handel mit dem Ostblock über viele Jahrzehnte nur sehr eingeschränkt möglich war. Für viele schleswig-holsteinische Unternehmen hat allerdings die traditionell enge Anbindung an die skandinavischen Länder


eine hohe Bedeutung. Die stark innovationsgetriebenen Unternehmen zum Beispiel aus Schweden (u.a. Autoliv, Midrock, Stora)2 und Dänemark (u.a. Danfoss, Logstor, Maersk, Schur) 3 spornen auch unsere mittelständischen Unternehmen, die häufig in enger

Kooperation mit diesen Unternehmen arbeiten, zu Höchstleistungen an. Insofern läßt sich für den schleswig-holsteinischen Mittelstand durchaus eine Relevanz der geographischen Lage und der vergleichsweise geringen Größe herleiten.

These 2:

Intensiver Wettbewerb auf dem Heimatmarkt macht stark Die Geschichte der Wettbewerbsgesetze und der Wirtschaftsentwicklungen in führenden Wirtschaftsnationen läßt auf einen kausalen Zusammenhang schließen. Die moderne Wettbewerbsgesetzgebung hat ihren Ursprung in dem „sherman act“ aus dem Jahr 1890 in den Vereinigten Staaten von Amerika, die sich im darauffolgenden Jahrhundert zur erfolgreichsten Wirtschaftsnation der Welt entwickelt haben. In Deutschland ist das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen zwar erst im Jahr 1958 in Kraft getreten, aber bereits im Jahr 1909 wurde das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb verabschiedet, und in den 30er Jahren begründete die Freiburger Schule den Ordoliberalismus, wonach der Staat über Kartell- und Wettbewerbsgesetze den Ordnungsrahmen für einen funktionierenden Wettbewerb schaffen müsse. Nach dem zweiten Weltkrieg wurden zwar alle europäischen Staaten durch die Vereinigten

Staaten von Amerika veranlaßt, Kartellgesetze zu erlassen. Während jedoch England dies nur halbherzig und schleppend umsetzte und Frankreich im Wege der „planification“ mehr auf eine staatsgetriebene Industriepolitik setzte, waren Japan und Deutschland in besonderer Weise aufgefordert, die bis dahin dort jeweils dominierenden Syndikate zu zerschlagen und auch nicht wieder zuzulassen. Es ist auffällig, daß diese beiden Länder in den nächsten Jahrzehnten sich zu den größten Wirtschaftsnationen hinter den U.S.A. entwickelt haben. Bis heute ist eine erfolgreich durchgesetzte Wettbewerbsordnung in vielen Ländern der Welt gar nicht selbstverständlich. Ebenso gibt es in Europa viele Länder, die erst über die europäische Einigung zu einer Wettbewerbsordnung gefunden haben. Ohne eine wirksame Wettbewerbsaufsicht ist die Gefahr groß, daß Unternehmen im nationalen

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Markt eine marktbeherrschende Stellung erobern und dann politischen Einfluß auf den Staat nehmen, um ungeliebte Konkurrenz aus dem In- und Ausland einzuschränken. Beispiele dafür lassen sich aktuell in Frankreich (z.B. Areva, Renault oder im Werftenbereich) oder Italien beobachten. Im Zuge der europäischen Marktöffnung büßen solche Unternehmen ihren staatlichen Schutz und damit zugleich ihre Wettbewerbsfähigkeit ein. Insofern hat die deutsche Wirtschaft wahrscheinlich besonders davon profitiert, daß hier bereits vor der europäischen Einigung eine wirksame Wettbewerbskultur entstanden ist.

Hingegen strahlt der Vorteil einer extrem hohen Wettbewerbsintensität in Deutschland auch positiv auf den europäischen Binnenmarkt aus, denn die nationalen Märkte in Europa bleiben durch unterschiedliche Amtssprachen, Gewerbeordnungen und sonstige nichttarifären Handelshemmnisse weiterhin fragmentiert. Daher bleibt der deutsche als größter nationaler Markt in Europa für jeden Anbieter auf der Welt besonders attraktiv. Das gilt besonders für deutsche und benachbarte europäische Unternehmen, die – falls sie sich hier durchsetzen können – schnell auch auf Weltmarktniveau konkurrenzfähig sind.

Im Gegenzug hat sich für einige deutsche Solarhersteller gezeigt, wie negativ staatliche Stützungen auf die Wettbewerbsfähigkeit dieser Unternehmen wirken können, ähnlich einem Strohfeuer, das bei hohem Energieeintrag und rasantem Wachstum grell aufscheint, dann aber schnell und nahezu restlos wieder verglüht. Dieser „Strohfeuereffekt“ frißt sich derzeit bei der Solarindustrie teilweise tief in die mittelständischen Zuliefer- und Dienstleistungsstrukturen hinein. Ein Indikator dafür ist auch der Anteil der Investitionen für Forschung und Entwicklung in dieser „staatlich befeuerten“ Branche, der mit 2,7 Prozent gemessen am Umsatz deutlich unter dem anderer Branchen wie dem Fahrzeugbau (6 Prozent), der Elektrotechnik (7 Prozent) oder der Pharmazie (9 Prozent) liegt.4

Je enger Europas Märkte zusammenwachsen, desto weiter kann sich die Wettbewerbsintensität auf die weniger großen und zentralen nationalen europäischen Märkte erstrecken. Der Ausblick ist dennoch nicht ungetrübt, denn es gibt im Gegenzug durchaus Trends gegen einen freien Wettbewerb. Einerseits treten international große Unternehmen aus Rußland, China oder der arabischen Welt auf den Plan, die als Staatsunternehmen geführt werden, und andererseits droht in Deutschland ein Trend zur Rückverstaatlichung kommunaler Aufgaben. Beides sind Entwicklungen, die einem erfolgreichen Wettbewerb der leistungsfähigen, häufig mittelständischen Marktanbieter entgegenwirken.

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These 3:

Europa und stabiler Euro begünstigen die Exportfähigkeit des Mittelstandes Der Euro verringert die Komplexität von Export- und Importgeschäften und erhöht zugleich die Transparenz auf dem europäischen Binnenmarkt. Beides kommt dem international wettbewerbsfähigen Mittelstand entgegen, denn er hat im Vergleich zu internationalen Großkonzernen weniger Möglichkeiten, Währungsrisiken auszuschalten. Zudem kann der Mittelstand Qualitätsvorsprünge und Preisvorteile nur am Markt ausspielen, wenn er diese auch hinreichend sichtbar machen kann. Dazu trägt der Euro entscheidend bei. Die gemeinsame Währung hat aber noch weitere Vorteile, von denen auch die innovativen schleswig-holsteinischen Mittelständler profitieren. Durch die erhöhte Transparenz und die Angleichung von Strukturen in Europa haben viele der genannten Firmen in den letzten Jahren europäische Tochtergesellschaften aufgebaut. Einige dieser Gesellschaften unterstützen lokale Aktivitäten, z.B. im Vertrieb oder im Service, andere ergänzen die Wertschöpfungskette in der Produktion oder der lokalen Beschaffung und Logistik. Diese Weiterentwicklung internationaler Kompetenzen macht die Unternehmen zusätzlich wettbewerbsfähig. Die

Fähigkeit, Produkte zu entwickeln, die in verschiedenen Varianten produziert und dann in verschiedenen lokalen Märkten vertrieben werden können, war früher vor allem Großunternehmen vorbehalten. Inzwischen haben auch viele mittelständische Unternehmen solche Fähigkeiten erworben und ihre geschäftliche Basis in Europa ausgeweitet. Dies unterstreicht die Wichtigkeit, den Euro als internationale Währung wettbewerbsfähig und stabil zu halten. Die starke europäische Präsenz wird zukünftig helfen, den Fachkräftemangel in Deutschland abzufedern. Schon heute beginnen auch mittelständische Unternehmen in Schleswig-Holstein, Ingenieure und andere gesuchte Fachkräfte im europäischen Ausland, z.B. in Spanien oder Polen, anzuwerben. Mittelfristig stärkt das nicht nur die beschriebene internationale Kompetenz der Unternehmen, sondern bietet eben auch die Möglichkeit, weitere Fachkräfte zu gewinnen. Natürlich kann das auch dazu führen, daß Kompetenzen, die heute in Deutschland gebündelt sind, zukünftig ins Ausland verlagert werden. Dennoch ist es insbesondere im familiengeführten Mittelstand unwahrscheinlich, daß dadurch Standorte in Schles-

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wig-Holstein geschlossen werden. Im Gegenteil stärken diese Maßnahmen zumeist unsere Stammhäuser in Schleswig-Holstein. Zugleich mildert eine Europäisierung der Wertschöpfungskette unseres Mittelstandes die hohe deutsche Konzentration ex-

portfähiger Industrien im Euroraum. Die sich in letzter Zeit verstärkenden Stimmen, Deutschland möge seine Exportüberschüsse drosseln, verkennen hingegen, daß diese ein Ergebnis der Leistungsfähigkeit sind, deren Drosselung zugleich das europäische Wachstumspotential drosseln würde.

These 4:

Eine soziale Marktwirtschaft verschafft internationale Wettbewerbsvorteile Ein wesentlicher Markenkern der erfolgreichen mittelständischen Betriebe in Schleswig-Holstein und in Deutschland ist die gelebte soziale Marktwirtschaft. Dazu gehören eine ausgewogene Sozial- und Tarifpartnerschaft, die Bedeutung der betrieblichen Ausbildung und das vielseitige Engagement der Unternehmen in der Region. Dieser Markenkern hat sich im Zuge der Industrialisierung in Deutschland über Jahrhunderte in den Auseinandersetzungen um die soziale Frage herauskristallisiert und sich nach der Prägung durch Ludwig Erhardt zur sozialen Marktwirtschaft als Ordnungsprinzip entwickelt. Durch die europäische Ausdehnung vieler Unternehmen werden diese Werte und deren Bedeutung für die Wettbewerbsfähigkeit weiter nach Europa getragen – wenn

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auch noch zu wenig prägnant. Europas Erfolg wird insoweit auch davon abhängen, inwieweit es gelingt, die soziale Marktwirtschaft in ganz Europa zu etablieren. Dies sollte auch eine der vornehmsten Aufgaben der politischen Weiterentwicklung Europas sein. Aber im Einzelnen: Die Bedeutung der Sozialpartnerschaft, gerade in unseren mittelständischen Betrieben – in denen übrigens neben den nationalen Flächen- häufig Haustarifverträge ausgehandelt werden, die auf die individuellen Bedürfnisse der jeweiligen Betriebe zugeschnitten sind – ist kaum zu überschätzen. Sie führt nicht nur zu insgesamt hoher Produktivität und Leistungsbereitschaft, sondern in vielen Fällen auch zu einem Kooperationsklima innerhalb der Betriebe, das sich auch langfristig positiv


auf das Verhältnis zu Kunden und Lieferanten auswirkt und somit ebenfalls zu einem wichtigen Element der Wettbewerbsfähigkeit wird. Von diesem Kooperationsklima sind andere Länder Europas (z.B. Frankreich) noch weit entfernt. Dieses Kooperationsklima war es nicht zuletzt auch, welches viele mittelständischen Betriebe in SchleswigHolstein in der letzten Krise resistent gemacht und wesentlich dazu beigetragen hat, daß die Beschäftigung stabil gehalten werden konnte. Die duale und betriebliche Ausbildung gilt inzwischen zu Recht als ein Kernelement des deutschen Erfolgsmodells. Besonders ist hier die Rolle unseres Kammersystems zu nennen, in dem sich Staat und Wirtschaft in sonst ungekannter Weise mit einem gemeinsamen Ziel zusammen tun: den fachlichen Nachwuchs in über 300 Berufsbildern möglichst gezielt auf die wirtschaftlichen Belange der Unternehmen auszubilden. In anderen europäischen Ländern ist ein solches Ausbildungsmodell des verbindlichen Zusammenwirkens von Staat und Unternehmen hingegen weithin unbekannt. Im Angesicht des Erfolgs dieses Modells ist auch die immer wieder aufflammende Diskussion über die Pflichtmitgliedschaft der Unternehmen in den Kammern unverständlich und unangemessen.

ebenso vielfältig, wie sie selbst. Dazu gehören Stiftungen (wie z.B. Possehl-Stiftung), Vereine (wie z.B. das Forschungsforum Schleswig Holstein), Verbände (wie z.B. die Studien- und Fördergesellschaft der schleswig-holsteinischen Unternehmensverbände, die gesellschafts- und bildungspolitische sowie kulturelle Belange in der Region fördert) und nicht zuletzt auch der Wirtschaftsrat, in dem sich Unternehmer zusammen finden, um wirtschafts- und ordnungspolitische Fragen mit den verschiedenen politischen Akteuren zu diskutieren und im Gemeinsinne beste Lösungen voranzutreiben. Auch diese Vielfältigkeit des Engagements unserer deutschen Unternehmen scheint bisher einzigartig in Europa zu sein, und sie ist es wert, in geeigneter Form international verbreitet zu werden.

Das gesellschaftliche Engagement der Schleswig-Holsteinischen Unternehmen ist

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These 5:

Mittelständische Unternehmenskultur und familiäre Verantwortung prägen den Erfolg des deutschen Mittelstandes Eine besondere Prägung erhalten unsere mittelständischen Betriebe durch ihre besondere Unternehmenskultur. Viele liegen Jahrzehnte, manche Generationen in Familienhand. Es gibt aber auch viele Neugründungen. Allein im Jahr 2012 wurden durch Neugründungen knapp 400.000 neue Arbeitsplätze gewonnen.5 Eine besondere Rolle spielt dabei der Technologiebereich, denn viele der erfolgreichen, über die letzten Jahre gewachsenen Unternehmen entstehen in diesem Segment, auch in Schleswig-Holstein (z.B. Basler, FLS, rail & rojad protec, FTCap, payone oder die Vater-Gruppe). Deutsche Ingenieurkunst und die Tüftlermentalität bilden für diese neuen Unternehmen eine wichtige Basis, die wir nicht vernachlässigen dürfen. Hinzu kommen viele technische Dienstleister, die mit ihrem spezifischen Know-how besondere kundenspezifische Lösungen anbieten und damit gewissermaßen eine Humusschicht bilden, die dem technologischen Mittelstand wichtige Nährstoffe zuführt (z.B. Hiller Feinwerktechnik oder Nordia Feinblech).

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Blicken wir aber noch einmal auf die von Simon identifizierten mittelständischen Weltmarktführer, wonach Dreiviertel dieser deutschen Fälle familiengeführt sind. Als Erfolgsfaktoren wurden ausgemacht: eine hohe Risikobereitschaft der Gesellschafter, Kontinuität in der Führung, eine große Fertigungstiefe und eine eigene Vertriebsorganisation, die Liefertreue sicherstellt, Know-how schützt und durch extreme Kundennähe permanent Nachfrageänderungen und Verbesserungsmöglichkeiten aufnimmt. Diese Faktoren können durchaus auch in Großkonzernen auftreten, sind in der Kombination aber eher die Ausnahme. Wichtiger als diese meßbaren Aspekte unterschiedlicher Entwicklungsstrategien erscheinen jedoch vielmehr die „inneren Werte“, die viele familiengeführte Unternehmen prägen. Ein Familienunternehmer denkt typischerweise an die kommende Generation. Zuverlässigkeit, Gemeinschaftssinn, Leistungsbereitschaft, unternehmerische und finanzielle Unabhängigkeit, Flexibilität, Innovationsfreude, Qualitätsbewußtsein und persönliche Verantwortung


sind Werte, die für einen langfristigen Erfolg unabdingbar sind und die man hier besonders häufig antrifft. In diesen Unternehmen wird kein Mitarbeiter durch kurzfristige Erwägungen oder internationale konzernpolitische Überlegungen entlassen. Nein, jeder Mitarbeiter bedeutet eine Investition in die Zukunft, mit Persönlichkeit und Know-how, auf die man nur dann verzichtet, wenn es auch mittelfristig zu wenig Perspektiven gibt.

nur vereinzelt vorhanden und werden vom politischen System wenig wahrgenommen und unterstützt (z.B. in Frankreich, Italien und Spanien). Die Bedeutung dieser inneren Werte von Unternehmen für die gesamte Volkswirtschaft wird häufig unterschätzt und zu wenig kommuniziert.

Diese inneren Werte übertragen sich auch auf die Belegschaft. Die besondere Verantwortung für den Ruf des Unternehmens und das Schicksal der Belegschaft dankt letztere in der Regel durch eine große Verbundenheit zum Unternehmen, durch Verständnis für notwendige Anpassungen und höheres Vertrauen in die Unternehmensführung. Entsprechend leiden mittelständische Unternehmen weniger unter Personalfluktuationen oder dem Verrat von Betriebsgeheimnissen und erreichen so die für den Erfolg so bedeutsame, hohe Liefertreue. Und gerade diese über Generationen gewachsenen Werte und Erfolgsfaktoren sind es, die eine Übertragung des mittelständischen Erfolges auf andere Länder so schwierig machen. Aber natürlich: auch in anderen europäischen Ländern gibt es ähnliche Strukturen – so in Österreich, der Schweiz, Dänemark oder Schweden. In vielen anderen Ländern sind diese Strukturen aber eben

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Ableitungen aus der Thesendiskussion Folgt man der ersten These, dann ist es richtig, den Abbau von Handelshemmnissen schrittweise fortzusetzen. Das beschlossene Freihandelsabkommen mit Kanada, das geplante mit den U.S.A. oder die Ausweitung des europäischen Binnenmarktes auf die Türkei gehören ebenso dazu wie Vertiefung der internationalen Welthandelsabkommen. Folgt man der zweiten These, sollte man sich vor allem in den übrigen europäischen Ländern bewußt werden, daß Protektionismus nur kurzfristige Gewinne für die geschützten Unternehmen bedeutet. Mittelfristig verlieren die geschützten Sektoren dagegen ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit. In Deutschland muß man sich bewußt werden, daß eine andauernd subventionierte Energiewende gravierende Fehlinvestitionen zur Folge haben wird, sowohl bei den Anbietern als auch bei den Verbrauchern. Zudem gibt es selbst in Deutschland immer wieder den Versuch, die eigene Region vor dem Wettbewerb abzuschotten. Ein fairer Wettbewerb ist jedoch nicht schädlich, sondern überlebenswichtig. Solchen politischen Initiativen ist daher im eigenen regionalen Interesse konsequent entgegenzutreten. Aus den Thesen 3 und 4 läßt sich die Bedeutung für Europa ableiten, mittelständische

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Strukturen systematisch zu fördern. Dabei geht es nicht um einzelbetriebliche Förderung und Subventionen, sondern um Spielräume und Perspektiven. Wir müssen uns dafür einsetzen, daß der Euroraum erhalten bleibt und die Ungleichgewichte abnehmen. Der deutsche Mittelstand kann dazu beitragen, indem er im Zuge seines Wachstums auch seine Strukturen auf den Währungsraum ausbreitet und damit Wertschöpfung und Arbeitsplätze in der europäischen Peripherie schafft. Es ist unsere Aufgabe, die Errungenschaften der sozialen Marktwirtschaft, der Sozialpartnerschaft, der dualen Ausbildung und des freien Wettbewerbs in die europäischen Länder zu tragen und im eigenen Land allen Tendenzen entgegenzuwirken, die den Erfolg des Ordnungsmodells bestreiten oder den gesellschaftspolitischen Kurs ändern wollen. Folgt man der letzten These, sollte man Familienunternehmen nicht als Melkkuh betrachten und über Vermögen nicht lediglich im Sinne steuerpolitischer Umverteilung diskutieren. Jeder Wert, jeder einzelne Arbeitsplatz, der in diesen Unternehmen geschaffen wird, stärkt unsere Volkswirtschaft, unseren Staat und unsere Demokratie. Und dies nicht nur ein paar Jahre – nein, über Jahrzehnte und sogar Generationen. Aber natürlich brauchen diese Unternehmen


Raum: finanzpolitisch, technologisch, bildungspolitisch und arbeitsrechtlich! Denn die deutschen Familienunternehmen zeichnen sich durch eine hohe Standorttreue aus und haben in der Vergangenheit häufig bewiesen, daß sie im Überlebenskampf sehr flexibel sein können. Gesellschaftliche Anerkennung und eine besondere politische Wertschätzung müssen nicht nur in Europa, sondern auch wieder in Deutschland kultiviert werden. Es gilt: mehr fördern, mehr fordern, aber weniger be- und verhindern.

Wenn wir es schaffen, Unternehmergeist und Innovationsfreude in Europa auf eine breitere gesellschaftliche und politische Basis zu stellen, haben wir beste Chancen, Europa zu dem zu machen, was bereits vor Jahren als Zielstellung formuliert wurde: Europa als eine der wettbewerbsfähigsten Volkswirtschaften in der Welt. Die Voraussetzungen dafür sind da. In Schleswig-Holstein, in Deutschland und auch in Europa. Jetzt müssen wir konsequent handeln!

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Über den Autor Dr. Philipp Murmann MdB

Der Autor gehört seit dem Jahr 2009 als direkt gewählter Abgeordneter dem Deutschen Bundestag an und ist damit einer der wenigen aktiven Unternehmer im Deutschen Bundestag. Der Autor wurde im Jahr 1964 in Kiel geboren, hat an der Technischen Universität München Wirtschaftsingenieurwesen studiert und als Stipendiat der Deutschen Forschungsgemeinschaft an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel promoviert. Beruflich fing er im Jahr 1994 bei der ABB in Nürnberg an. Zwei Jahre später übernahm er als Leiter den Turbinenvertrieb für Südostasien in Kuala Lumpur. Im Jahr 1999 wechselte er als Leiter Marketing & International Operations zur TESSAG (heute RWE Solutions AG) bevor er dann im Jahr 2001 das Familienunternehmen Zöllner Holding GmbH in Kiel als Geschäftsführender Gesellschafter übernommen hat. Die Zöllner-Gruppe gehört in den Bereichen Signalanlagen für die Bahn und den Schiffbau inzwischen zu den weltweit technologisch führenden Anbietern und beschäftigt über 130 Mitarbeiter am Stammsitz in Kiel und verschiedenen Tochtergesellschaften in Großbritannien, Frankreich, Spanien, Polen und Brasilien.

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Im April 2014 wurde er als Schatzmeister ins Präsidium der CDU Deutschland berufen. Er ist ehrenamtlich zudem Mitglied im Stiftungsrat des IFM-Geomar und der Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigungen „Otto von Guericke“ e.V. (AiF), Vorsitzender des Fördervereins der Technischen Fakultät der Christian-AlbrechtsUniversität zu Kiel, Präsident des Forschungsforums Schleswig-Holstein e.V. und Vorsitzender des Bildungswerkes der Studien- und Fördergesellschaft der SchleswigHolsteinischen Wirtschaft e.V. Im April 2010 wurde Dr. Philipp Murmann zum Landesvorsitzenden des Wirtschaftsrates der CDU e.V. in Schleswig-Holstein gewählt. Mit seiner Berufung zum Schatzmeister seiner Partei hat er dieses Amt niedergelegt. Er gehört weiterhin dem Landesvorstand des Wirtschaftsrates der CDU in Schleswig-Holstein an. In seiner Zeit als Landesvorsitzender ist diese Schrift auf Anfrage der Herman Ehlers Akademie zu Kiel entstanden.


Quellen: 1 Hermann Simon: „Die heimlichen Gewinner“, Frankfurt am Main/New York 1996 ; ders.: Hidden Champions des 21. Jahrhunderts. Die Erfolgsstrategien unbekannter Weltmarktführer, Frankfurt a.M, 2007, ders.: Hidden Champions – Aufbruch nach Globalia, Campus, Frankfurt am Main/New York City 2012 2 z.B. Autoliv (Elmshorn), Camfill (Rheinfeld), Midrock (MetaLock in Norderstedt), Stora (Stora Enso in Uetersen) u.v.m. 3 z.B. Arkil (Schleswig), Danfoss (Flensburg und Neumünster), Logstor (Flensburg), Maersk, NKT (Nilfisk Advance AG in Rellingen), Poul Due Jensen-Stiftung (Grundfoss Pumpenfabrik in Wahlstedt), Schur International (Schur Pack in Büchen), u.v.m. 4 Handelsblatt vom 14. Juni 2012: „Studie zum Niedergang: Deutsche Solarbranche vor der Sonnenfinsternis“ 5 Siehe „KfW ZEW Gründungspanel Jahrgang 6, Dezember 2013“

Bildverzeichnis: Titel: European Union, 2014, Fotolia.com: © Alex011973, © Xenon, © .shock; cc vision (17 - Handrad, 11 - Fahnen, 12 - Schweißen, 13 - Labor, 13 - Euro/Haus, 14 - Personen, 14 - Strommast, 15 - Labor, 16 - Fahnen, 16 - Container, 17 - Fräsen); European Union 2013 - EP Altiero SPINELLI building: © Architecte: AEL (7), European Union, 2014 (12); Fotolia.com: © Leonardo Franko (3), © industrieblick (4), © Grecaud Paul (4), © vichie81 (5), © xiaoliangge (5), © TTstudio (6), © pressmaster (6), © M. Schuppich (8), © yellowj (8), © Monkey Business (9, 10), © Victoria (9), © JFL Photography (10), © Marco2811 (10), © Kzenon (11), © K.F.L. (11), © christian42 (12, 18), © kamonrat (13), © santiago silver (14), © Nmedia (15), © artjazz (15); © Jens Schicke (3); Wirtschaftsrat (16 - Portrait)

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Der erfolgreiche deutsche Mittelstand setzt Vorbilder f체r ein wettbewerbsf채higes Europa

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Wirtschaftsrat der CDU e.V. Landesverband Schleswig-Holstein Dr. Bertram Zitscher, Landesgesch채ftsf체hrer Kleiner Kuhberg 2-6, 24103 Kiel Internet: www.wirtschaftsrat.de Stand: Oktober 2014


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