TREND - Magazin für Soziale Marktwirtschaft - Ausgabe 1/2019

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41. JAHRGANG 1 / 2019

Europa hat die Wahl:

Konzepte statt Parolen

TOP-INTERVIEW

EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber HANDEL UND ERNÄHRUNG

Aufklärung und Überregulierung EUROPÄISCHER FINANZSEKTOR

Risiken beherrschen, Finanzplatz stärken


Fahrverbote? Fleischverzicht? Um den Klimawandel zu stoppen, brauchen wir bessere Ideen. Verzicht funktioniert nicht Selbst wenn es um den Schutz unseres Klimas geht, sind die wenigsten Menschen bereit, auf liebgewordene Gewohnheiten wie Autofahren oder Fleisch essen zu verzichten. Die ganzen Appelle von „Fahrt bitte mehr Bus und Bahn“ über „Nutzt bitte weniger Strom“ bis zur Forderung nach einem wöchentlichen Veggie-Day laufen ins Leere. Verzicht funktioniert nicht. Und weil auch Verbote keine befriedigende Lösung sind, kommt den Unternehmen eine zentrale Rolle zu. Sie haben die Aufgabe, die vorhandenen Produkte besser zu machen.

Innovative Produkte sind gefragt Energie, Verkehr und die globale Fleischproduktion belasten unser Klima stark. In allen drei Bereichen gibt es bereits klimaschonende Alternativen. Erneuerbare Energien neben Kohle, Öl und Gas. Elektro- und Hybridautos neben Benzinern und Dieseln. Fleisch aus proteinreichen Pflanzen wie Weizen, Erbsen oder Soja neben Fleisch von Tieren.

Lassen Sie uns darüber reden! Was können vegetarische und vegane Fleischalternativen für den Klimaschutz tun? Bei unserer Talkrunde im vergangenen November haben wir zugehört und gesehen: Dieses Thema bewegt Sie und uns gleichermaßen. Daher möchten wir den Dialog mit Ihnen fortsetzen. Diskutieren Sie mit uns persönlich am 24.05.2019 in Berlin. Einfach bis zum 14.04.2019 bewerben: www.ruegenwalder.de/talkrunde Lothar Bentlage & Godo Röben Geschäftsführer Rügenwalder Mühle Oder diskutieren Sie mit uns online auf Facebook, Twitter oder per Mail an talkrunde@ruegenwalder.de


Foto: Franz Bischof

EDITORIAL

Werner M. Bahlsen Präsident des Wirtschaftsrates der CDU e.V.

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ir haben im Wirtschaftsrat wichtige personelle und inhaltliche Weichen für die Zukunft gestellt. Gemeinsam mit vielen von Ihnen schaue ich auf vier spannende und interessante Jahre als Präsident des Wirtschaftsrates zurück. Für diese Zeit bin ich sehr dankbar und habe mich aber dennoch entschieden, im Juni die Verantwortung an der Spitze unseres Verbandes in jüngere Hände zu übergeben. Unser Präsidium schlägt nach der Empfehlung einer Findungskommission mit einstimmigem Votum

Titelbild: European Union, 2015

„Wenn sich in der Finanzplanung trotz Rekord­ überschüssen und steigenden Steuereinnahmen ein zweistelliges Milliardenloch auftut, liegt das Problem auf der konsumtiven Ausgabenseite.“ unsere langjährige Schatzmeisterin und frühere niedersächsische Landesvorsitzende, Astrid Hamker, als nächste Präsidentin vor. Darüber freue ich mich sehr, denn Astrid Hamker bringt als Unternehmerin und im Ehrenamt breite Erfahrungen für dieses Amt mit. Inzwischen hat Astrid Hamker von Friedrich Merz die Zusage erhalten, sie als Vizepräsident des Wirtschaftsrates zu unterstützen. Das trifft, wie wir in diesen Tagen vielfach von unseren Mitgliedern hören, auf große Zustimmung. Wenn unsere Bundesdelegiertenversammlung auf dem Wirtschaftstag 2019 diesem Vorschlag folgt, erreichen wir eine sehr gute und kompetente Aufstellung für die Zukunft. Friedrich Merz hat außerdem zugesagt, dass er in den nächsten Monaten in Brandenburg, Sachsen und Thüringen auf Traditionsveranstaltungen des Wirtschaftsrates wie den

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„Weimarer Wirtschaftsgesprächen“ auftreten wird. Inhaltlich haben unser Präsidium und Bundesvorstand die „Zehn-Punkte-Agenda für den wirtschaftspolitischen Aufbruch“ beschlossen. Darin setzen wir uns für Entlastungen für Leistungsträger und eine Stärkung der wirtschaftlichen Dynamik Deutschlands anstatt neuer Sozialausgaben ein. Denn nie zuvor konnte der Staat ohne Neuverschuldung über so viel Geld verfügen. Wenn sich nun in der Finanzplanung trotz Rekordüberschüssen und steigenden Steuereinnahmen ein zweistelliges Milliardenloch auftut, liegt das Problem auf der konsumtiven Ausgabenseite. Das erfordert andere politische Prioritäten. Der Wirtschaftsrat fordert deshalb die vollständige Abschaffung des Soli für alle zum Auslaufen des Solidarpakts II bis Ende 2019 ein. Zudem brauchen wir eine umfassende Unternehmenssteuerreform, um Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten. Denn Steuerpolitik ist erwiesenermaßen Standortpolitik. Auch an anderen Stelle muss umgesteuert werden – vor allem dürfen nicht immer neue Belastungen etwa durch unerfüllbare Klimaziele oder ganz konkrete Diesel-Fahrverbote zu weiteren Bremsklötzen der wirtschaftlichen Entwicklung werden. Gemeinsam mit Ihnen werden wir uns weiter für eine Verbesserung der Rahmenbedingungen in unserem Land einsetzen. Mit besten Grüßen

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INHALT

Inhalt

START EDITORIAL 3  Werner M. Bahlsen AUSSENANSICHT 6 Sozialpolitik ohne Maß  Heike Göbel

TITEL 8 TOP-INTERVIEW „Mutig am Europa der Zukunft arbeiten“ Manfred Weber Der Spitzenkandidat der EVP stand TREND in einem exklusiven Interview Rede und Antwort. Themen waren sein Rezept gegen Populisten in Europa, die Erneuerung der Staatengemeinschaft, die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank, die europäische Handels­ politik und wie Europa wieder auf den Wachstumspfad gelangt.

EUROPA 10 Europa hat die Wahl  Peter Hahne 16 „New Deal“ kann den Euro retten  Prof. Dr. Thomas Mayer

30 Gestalten statt klagen  Ralph Brinkhaus Finanzplatz Frankfurt stärken  Prof. Dr. h.c. mult. Roland Koch Fuchs und Igel  Dr. Olli Rehn 31 Europa muss zusammenrücken  Martin Zielke

20 Das Europa der Populisten ist kein Europa der Bürger  Rainer Wieland

32 Brexit: Auf gute Nachbarschaft  Lord Jonathan Hill of Oareford

AKTUELL

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EU-Finanzsektor: Chancen überwiegen  Prof. Dr. Axel A. Weber

Digitalisierung revolutioniert den Finanzsektor  Adam Farkas

22 Falsche Diagnose führt zu falscher Therapie  Simon Steinbrück

Europa hat die Wahl: Konzepte statt Parolen Im Mai wählen Europas Bürger ein neues EU-Parlament. Rechtspopulisten und Euroskeptiker dürfen auf Zugewinne hoffen, während Christliche Demokraten und Sozialdemokraten um ihre Mehrheit bangen müssen. Der französische Präsident hat deshalb Bürger in ganz Europa angesprochen – Emmanuel Macron verspricht Freiheit, meint aber mehr Institutionen, Bürokratie und Protektionismus. Um den Populisten den Wind aus den Segeln zu nehmen, braucht Europa genau das Gegenteil: Marktwirtschaft, Wettbewerb und Subsidiarität.

FINANZMÄRKTE UND EURO 28 Krisenfestigkeit sichern  Burkhard Balz

18 Ein Plan B ist gefragt  Prof. Dr. Gabriel Felbermayr

21 Mit Mut gegen aufkeimenden Populismus  Harald Kayser

10 TITEL

FINANZMÄRKTE UND HANDEL

INTERVIEW 8 „Mutig am Europa der Zukunft arbeiten“  Manfred Weber INTERNATIONALER HANDEL 24 Protektionismus belastet den globalen Handel  Dr. Karl Brauner FACHKRÄFTEEINWANDERUNG 26 Deutschland muss sich seine Einwanderer aussuchen dürfen  Dr. Joachim Pfeiffer TREND-Grafik 34 So teuer wird die Energiewende ENERGIEPOLITIK 36 Endlich zurück zum Markt!  Alexander Wendt

Demografie: Epochaler Wandel  Felix Hufeld

Altersvorsorge: Die Pyramide kippt  Dr. Ulrich Störk 33 Europa: Markt, Wettbewerb, S ­ ubsidiarität  Wolfgang Steiger HANDEL UND ERNÄHRUNG 38 Alltag und gesunde Ernährung vereinbaren lernen  Julia Klöckner 40 Reformulierung von Lebens­mitteln – ein Beitrag zur G ­ esundheitsförderung?  Prof. Dr. Ulrike Arens-Azevedo 42 Gamechanger ­Fleischalternativen  Godo Röben 43 Aufklärung statt Überregulierung

38 - 43 HANDEL UND ERNÄHRUNG Aufklärung statt Überregulierung Viele Deutsche leiden unter Übergewicht mit oftmals gravierenden Folgen wie Diabetes oder Bluthochdruck. Deshalb ­ gilt seit Jahresanfang für Fertigprodukte die freiwillige nationale Reduktions- und Innovationsstrategie für Zucker, Fette und Salz. Gleichzeitig gilt es, die Ernährungskompetenz der Bevölkerung zu stärken.


INHALT

WIRTSCHAFTSRAT STANDPUNKT STEIGER 44 Armut ist trotz starker ­Zuwanderung gesunken

FINANZMARKTKLAUSUR 2019 48 Risiken beherrschen, Finanzplatz stärken

WIRTSCHAFTSRAT EXKLUSIV 45 Neuer Partner kantwert

ENGAGEMENT 50 Mit der „Kultur der ­Beharrlichkeit“ zum neuen Gründergeist Wolfgang Stelzle

JUNGER WIRTSCHAFTSRAT 46 Ideenwerkstätten gehen in die nächste Runde INNENANSICHT 47 Neues aus den Kommissionen

SCHLUSS AUS DEN LÄNDERN 52 Rückblick | Einblick | Ausblick 56 Impressum

FORUM 57 Im Spiegel der Presse 58 Zahlen des Quartals 58 Spindoktor

28 - 33, 48 FINANZMÄRKTE UND EURO Risiken beherrschen, Finanzplatz stärken Die deutsche, die europäische, aber auch die globale Wirtschaft stehen vor großen Herausforderungen. Vor dem Brexit und den Europawahlen, formulieren Finanzmarktexperten ihre strategischen Leitlinien und den Reformbedarf für den europäischen Ordnungsrahmen. Zwar ist der Finanzmarkt heute stabiler und die Banken sind robuster. Aber die Staatsverschuldung in der Eurozone liegt höher als vor der Finanzkrise. Regierungen und Notenbanken sind in einem starken Abschwung kaum handlungsfähig.

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AUSSENANSICHT

Sozialpolitik ohne Maß Die Großen Koalitionen konnten sich in den letzten Jahren vor allem auf Eines verständigen: den Ausbau des Sozialsystems. Diese Politik ist teuer und verfängt nur bedingt wie das Beispiel SPD zeigt.

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enn es um den Ausbau des Sozialstaats geht, muss die SPD die Union bekanntlich nicht zum Jagen tragen. Was immer Sozial­ demokraten in den vergangenen Jahren eingefallen ist, die Union hat es in der gemeinsamen Regierung im Bund möglich gemacht, selbst den gesetzlichen Mindestlohn. Unter dem Eindruck voller Haushalts- und Sozialkassen hatten sich Union und SPD daher auch die Verhandlungen zur dritten Großen Koalition unter Kanzlerin Merkel durch den Verzicht auf Prioritäten erleichtert und wiederum die teuersten Wahlversprechen addiert: Mütterrente und Baukindergeld für die CSU; milliardenschwerer Ausbau der Pflege zugunsten besserer Arbeitsbedingungen der Pflegekräfte für die CDU; „Haltelinien“ für Rentenniveau

Autorin Heike Göbel Foto: Frank Röth

Verantwortliche Redakteurin für Wirtschaftspolitik Frankfurter Allgemeine Zeitung

und Rentenbeiträge sowie ein „sozialer Arbeitsmarkt“ für die SPD. Als gemeinsames Anliegen der drei dann noch die Einführung einer Grundrente oberhalb der Sozialhilfe. Sie soll Geringverdiener, die lange in die gesetzliche Rentenkasse gezahlt haben, bei Bedürftigkeit im Alter etwas besser stellen als Menschen, die kaum zur Finanzierung des Systems beigetragen haben. Das Ziel ist sinnvoll: Es geht darum, Arbeitsanreize und Akzeptanz der Rentenversicherung zu stärken. Ein Jahr später hat die Große Koalition die sozialpolitische Agenda fast abgearbeitet, relativ geräuschlos. Doch wie in der letzten Legislaturperiode zahlen sich auch die kostspieligen neuen Sozialgesetze für die SPD nicht aus, sie dümpelt im ­Umfragetief unter 20 Prozent. Das schafft verständ­licherweise Druck, sich vom Koa­ litionspartner klar abzusetzen. Aber wie und wo fordert man ihn heraus, ohne die Regierung zur Unzeit aufs Spiel zu setzen? Statt die Union ­endlich auf ihren Kompetenzfeldern zu attackieren, in der inneren Sicherheit oder mit einer wachstumsfreund-

„Die ‚Respektrente‘ wird allein mit dem Hinweis auf die Kosten nicht zu verhindern sein. Wer das Vorhaben stoppen will, muss die Respekt-Rhetorik entlarven als das, was sie ist: ein Einfallstor für Willkür in den beitragsfinanzierten Sozialkassen.“ 6

lichen Steuersenkung für Mittelschicht und Unternehmen, sucht die SPD den Befreiungsschlag weiter in der Sozialpolitik. Dort aber drückt die arbeitende Mitte nach zehn Jahren Aufschwung, steigenden Reallöhnen und bei sinkender Armutsquote unter der einheimischen Bevölkerung der Schuh womöglich gar nicht besonders. Als Testfeld für eine Provokation hat die SPD die geplante Grundrente oberhalb der Sozialhilfe auserkoren. Sie soll nach dem Willen ihres Bundesarbeitsministers Heil absprachewidrig ohne jede Prüfung der Bedürftigkeit ausgezahlt werden. Im Kern soll praktisch jeder, der trotz 35 Beitragsjahren – dazu zählen übrigens auch gewisse Phasen der Kindererziehung und Arbeitslosigkeit – nur einen Rentenanspruch unterhalb der Grundsicherung erworben hat, einen steuerfinanzierten Zuschuss bekommen, der seine Rente über dieses staatliche Existenzminimum hinaus anhebt. Das aber begünstigte bis zu vier Millionen Rentner statt weniger Hunderttausend, wie geplant. Die SPD begründet die enorme Ausweitung der Anspruchsberechtigten mit dem „Respekt“, den die Gesellschaft „der Lebensleistung“ von Menschen schulde. Das müsse ihr ei-

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Foto: Jens Schicke

AUSSENANSICHT

nen „finanziellen Kraftakt“ wert sein, ­mindestens fünf Milliarden Euro jährlich. Das Thema garantiert Aufmerksamkeit. Die „Respektrente“ wird allein mit dem Hinweis auf die Kosten nicht zu verhindern sein, dafür sind Finanzlage und Konjunkturausblick noch zu gut. Wer das Vorhaben stoppen will, muss grundsätzlicher werden. Er muss die Respekt-Rhetorik entlarven als das, was sie ist: ein Einfallstor für Willkür in den beitragsfinanzierten Sozialkassen. Noch hängt die gesetzliche Rente überwiegend von der Höhe der durch Beiträge während des Arbeitslebens erworbenen Ansprüche ab. Die Beiträge werden zwar im Umlageverfahren nicht angespart, sondern in Rentenpunkte umgerechnet; doch wer im Alter mehr Punkte hat, bekommt bisher mehr Rente. Und zwar unabhängig davon, ob er andere Einkommensquellen hat. Ganz andere Qualität hat die Grundsicherung im Alter: Diese steuerfinanzierte Fürsorgeleistung

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in Höhe des soziokulturellen Existenzminimums erhält nur der, dessen Einkommen nachweislich nicht zum Leben reicht. Indem die SPD ihre Respektrente ohne diese Bedürftigkeitsprüfung durchsetzen will, vermischt sie zwei Sicherungssysteme mit eigenständigen Zielen und Anspruchsgrundlagen. Das hat fatale Folgen: Werden die Beiträge (Punkte) einiger Millionen Rentner im Nachhinein vom Steuerzahler aufgewertet, selbst wenn genügend andere Alterseinkommen vorhanden sind, öffnet sich ein Einfallstor für eine schier uferlose Begründung neuer Ansprüche. Denn jede Aufwertung schafft neue Ungerechtigkeiten. Wo zieht die Gesellschaft die Grenze, welche „Lebensleistung“ honoriert sie, wem verweigert sie Respekt? Damit untergräbt die SPD einen gerade auch vor dem Hintergrund offener Grenzen in der EU wichtigen Schutzmechanismus des Fürsorgesystems. Um die deutschen Steuerzahler nicht zu überlasten, war es bisher

weitgehend Konsens, dass der, der das solidarische Auffangnetz der Gemeinschaft in Anspruch nehmen will, Bedürftigkeit nachzuweisen hat. Die Notwendigkeit dieses Nachweises stellt die SPD nicht nur mit der Respektrente in Frage. Auch im Streit über die Grundsicherung für Langzeitarbeitslose, Hartz IV, hat sie die Prüfung als „demütigend“ und „entwürdigend“ diskreditiert. Das rührt an die Grundpfeiler eines Sozialstaats, der fast ein Drittel der Wirtschaftsleistung verschlingt und nur bestehen kann, wenn er Akzeptanz nicht nur bei den Empfängern, sondern bei den Zahlern findet. Zu hoffen ist, dass die Union die Kraft hat, die SPD in die Schranken zu weisen und auf einer Bedürftigkeitsprüfung zu bestehen, die den Namen noch verdient. Die Union wird damit einige enttäuschen, die sich schon als Gewinner der Respektrente wähnten. Doch kann sie sich gute Chancen ausrechnen, die meisten Steuerzahler auf l ihrer Seite zu haben.

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AKTUELL Interview

sprach exklusiv mit Manfred Weber MdEP, dem europäischen S­ pitzenkandidaten der Europäischen Volkspartei EVP und von CDU und CSU zur Europawahl und Fraktionsvorsitzender der EVP über das Erstarken der ­Populisten in Europa, die Erneuerung Europas, die Geldpolitik der ­Europäischen Zentralbank, die Handelspolitik der EU und wie die ­Staatengemeinschaft wieder auf den Wachstumspfad gelangt.

– Herr Weber, Umfragen zufolge wird der Einfluss EU-­ Schutzbedürftigen weiter kontingentiert und zeitlich feindlicher und populistischer Parteien bei der Europabegrenzt hilft. Dieser Spagat muss uns gelingen. Das wahl steigen. Stehen wir vor einer Schicksalswahl? zweite große Thema ist die wirtschaftliche Stabilität, Die Europawahl am 26. Mai kann in der Tat zu einer Schickdie Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen und salswahl werden. Europaweit formieren sich die Kräfte der die Wettbewerbsfähigkeit Europas. Hier dürfen wir rechten Populisten und Nationalisten. Teile von ihnen wolnicht aufhören, dass wir die Reformen fortsetzen und len das Parlament, in dem sie ja selbst sitzen würden, abmehr in die Zukunft investieren. Der dritte Schwerschaffen. Andere gehen so weit, dass sie die EU gleich ganz punkt betrifft die Frage, ob wir als Europäische Union abschaffen wollen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sie im außen- und sicherheitspolitisch handlungsfähig werEuropäischen Parlament (EP) so stark werden, dass sie die den. EU-Institutionen blockieren können. Dann würde Europa stillstehen. Denn die Essenz Europas ist der Kompromiss,  – Im letzten Jahrzehnt hat sich die EU von Krise zu das Miteinander, das Zuhören, das Aufeinanderzugehen. Krise gehangelt – Wirtschafts-, Finanz- und Der Brexit muss uns eine Mahnung sein – und ein WeckFlüchtlingskrise. Dabei wollte Europa die wachsruf für die Wähler: Wenn Populisten und Nationalisten wie tumsstärkste, innovativste Region der Welt werden. in Großbritannien die Oberhand bekommen, herrschen poWie können wir das Ruder noch herumreißen? litisches Chaos, wirtschaftliche Unsicherheit und die GesellSie haben Recht. Wir haben uns lange genug mit Krischaft wird gespalten. Wollen wir das in der gesamten EU? senmanagement beschäftigt. Das muss ein Ende haIch sage nein. Deswegen sind Parteien wie die AfD unsere ben. Aber wir können auch stolz darauf sein, was uns Gegner. Die AfD ist die deutsche Brexit-Partei. Die AfD will in den letzten zehn Jahren in Europa gelungen ist. DieEuropa rückabwickeln und zerstören. se Krisen wurden gut gelöst, oder zumindest gestoppt,

„ Mutig am Europa  – Wie steuern Sie gegen? und Europa ist zurück auf der Wachstumsspur. Wir haben Ich beschreibe ein positives Europa. Ich möchte, dass wir in den letzten zehn Jahren 13 Millionen neue Arbeitsplätze mutig und entschlossen am Europa der Zukunft arbeiten. geschaffen, hatten 2018 zwei Prozent Wirtschaftswachstum Ich bin derzeit bei einer Zuhörtour durch ganz Europa unund eine Neuverschuldung der Euro-Staaten von 0,8 Proterwegs. Mein Eindruck ist, die EU wird als kaltes Projekt, zent. In der Steuerung und Begrenzung der Migration komals Projekt der Technokraten und Eliten wahrgenommen. men wir voran. Und beim Klimaschutz sind wir weltweit Und die Menschen nehmen die Entscheidungsstrukturen Vorreiter. Das ist ein großer Erfolg. der EU als fremd und unnahbar wahr. Diesen gefühlten Graben zwischen Brüssel und den Menschen möchte ich  – Wie beurteilen Sie vor diesem Hintergrund die Geld­ überwinden. Ich möchte ein Europa, das sich um die großen politik der Europäischen Zentralbank? Ist der Euro eine Fragen kümmert und aus den kleinen raushält. stabile Währung? Europa muss ein Projekt für die Menschen werden. WelIch glaube, wir können zurecht sagen, dass der Euro die che Themen treiben denn die Menschen um? Das ist nach Erfolgsgeschichte der Mark fortsetzt. Der Euro gibt Europa wie vor die Frage der Sicherung der Außengrenzen. Wir Gewicht in der Welt, er ist stabil, er sorgt für niedrige Inflamüssen die illegale Migration so weit wie möglich stoptionsraten und geringere Neuverschuldung. Aber ich warne pen und trotzdem ein Kontinent der Humanität sein, der davor, dass wir damit zu selbstzufrieden umgehen. Unser

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AKTUELL Interview

Foto: Manfred Weber ©Nikky Maier

„Parteien wie die AfD sind unsere Gegner. Die AfD ist die deutsche Brexit-Partei. Die AfD will Europa rückabwickeln und zerstören.“ men kümmern müssen. Beispiel: Mir ist die Versöhnung von Ökologie und Ökonomie wichtig. Es ist gut, dass die EU Vorreiter im Umweltschutz ist. Das darf aber nicht zur Blockade unserer Technologien oder Industrien führen. Ich sehe darin sogar eine Chance, weil wir nur dann in der Welt von morgen eine Chance haben, wenn wir auch zu unseren europäischen Technologien stehen und sie gezielt zukunftsfähig machen. Eine wertgebundene Soziale Marktwirtschaft gibt es sonst nirgendwo auf der Welt. Ein anderes Thema: Forschung und Innovation. Ich habe vorgeschlagen, dass wir einen europaweiten Masterplan ­gegen Krebs vorlegen. Wir vergeuden immense Ressourcen, da Forschung und Medizin in Europa derzeit noch nicht optimal aufeinander abgestimmt sind. Aber was wäre das für ein grandioses Ziel? Wir Europäer könnten die ersten sein die aufgrund gezielten Mitteleinsatzes, gemeinsamen Forschungsplattformen und Datenvernetzung den Krebs zumindest beherrschen. Der Kampf gegen Krebs könnte das Airbus-Projekt des nächsten Jahrzehnts sein.  – US-Präsident Donald Trump setzt Europa und China in der Handelspolitik mit Zöllen schwer zu. Ein Handelskrieg ist nicht mehr auszuschließen. Welche Strategie sollte die EU verfolgen?

der Zukunft arbeiten“ Ziel muss sein, dass wir den Euro dauerhaft k­ risenfest machen. Dafür müssen die gemeinsam beschlossenen ­Regeln von allen Staaten eingehalten und der Stabilitätspakt gestärkt werden. Dafür stehe ich. Wenn von linken Parteien immer wieder über die Hintertür versucht wird, den Stabilitätspakt auszuhebeln, dann leisten wir Widerstand. Eine Schuldenunion wird es mit uns nicht geben. Mit diesem ­klaren Kurs hat sich die EVP bisher durchgesetzt. Und diesen Kurs werde ich auch als Kommissionspräsident fortführen.  – Bei vielen Reformvorschlägen für die EU geht es mehr um Geld und die Umverteilung von Risiken als um neue politische Ideen. Welche Themen möchten Sie voran­treiben? Richtig. Den Linken fällt außer Umverteilung wenig ein. Ich bin der Meinung, dass wir uns mehr um die Zukunftsthe-

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Unser Ansatz sollte zweigleisig sein. Wir dürfen uns ­einerseits nicht erpressen lassen. Wenn Amerika gegenüber Europa einen Handelskrieg beginnt und Autozölle gegenüber unseren Produkten aktiviert, dann werden wir darauf antworten müssen. Gleichzeitig bleiben wir gesprächsbereit, auch für ein weitgehendes Handelsabkommen mit den USA. Aber die Gespräche mit den USA müssen auf Augenhöhe stattfinden. Voraussetzung ist natürlich, dass wir Europäer geschlossen auftreten müssen. Sonst werden wir global zum Spielball. Darüber hinaus sind wir auf der Suche nach weiteren Partnern in der Welt. Wir haben gerade eine ganze Reihe an Handelsverträgen geschlossen. Mit Kanada und vor allem mit Japan – das ist das größte Handelsabkommen der Welt. Wir sind jetzt mit Mexiko im Gespräch und mit MERCOSUR, dem gemeinsamen Markt Südamerikas, oder Das Interview führte Katja Sandscheper. Singapur. l

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TITEL Europa

Europa hat die Wahl Im Mai wählen Europas Bürger ein neues EU-Parlament. Rechtspopulisten und Euroskeptiker dürfen auf starke Zugewinne hoffen, während Christliche Demokraten und Sozialdemokraten um ihre Mehrheit bangen müssen. Der französische Präsident hat deshalb Bürger in ganz ­Europa angesprochen – Emmanuel Macron verspricht Freiheit, meint aber mehr Institu­tionen, Bürokratie und Protektionismus. Um den Populisten den Wind aus den Segeln zu nehmen, braucht Europa genau das Gegenteil: Marktwirtschaft, Wettbewerb und Subsidiarität.

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Foto: European Union, 2015

TITEL Europa

Text: P eter Hahne

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ie Europäische Union (EU) sieht bewegten Zeiten entgegen. Ende Mai haben die ­Bürger die Wahl, nach dem mutmaßlichen Austritt Großbritanniens aus der EU legen 340 Millionen Wahlberechtigte in 27 Mitgliedsstaaten mit ihrer Stimme die Richtung fest, die das EU-Parlament in den nächsten fünf Jahren beschreiten wird. Dieses Mal wird bei der Europawahl vieles anders sein. Nicht nur, dass die Briten nach dem Brexit wohl nicht mehr mit dabei sein werden und das Parlament dann von 751 auf 705 Sitze schrumpft. Für die größte Veränderung seit der ­ersten Europawahl 1979 könnten Links- und Rechtspopulisten sorgen, die, folgt man den Umfragen, die absolute Mehrheit der bislang dominierenden Europäischen Volkspartei (EVP) und der Sozialdemokraten (S&D) brechen könnten.

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Schicksalswahl für Europa Die über vier Jahrzehnte eingespielte Regierungsfähigkeit des Parlaments steht auf dem Spiel, jenseits der traditionellen pro-europäischen Allianzen müssen sich nach der Wahl womöglich neue Mehrheiten für die EU-Gesetzgebung zusammenfinden. Das wird nicht leicht – und lässt nach den zunehmend komplizierten Regierungsbildungen auf nationaler Ebene der letzten Jahre schon im Vorfeld erahnen, dass dem Europaparlament ein ähnliches Schicksal blüht. Die bislang eingefangenen Stimmungsbilder lassen wenig Zweifel daran, dass insbesondere die Rechtspopulisten die Europawahlen 2019 zu einer Schicksalswahl werden lassen. Vor allem der rechtspopulistischen italienischen „Lega“ und dem französischen „Rassemblement National“ werden hohe Zuwächse zugetraut,

wenngleich Links- und Rechtspopulisten zusammen wohl nicht deutlich mehr als hundert Sitze erringen dürften. Aber das reicht aus, um Christund Sozialdemokraten das Leben schwer zu machen und die bisherige Ordnung der europafreundlichen Fraktionen ins Wanken zu bringen. Die größten Verluste drohen den Sozialdemokraten, es folgen EVP, Grüne und Linke, einzig die Liberalen (ALDE) können unter den europa­ freundlichen Fraktionen mit leichten Zuwächsen rechnen (siehe Schaubild). „Es kann passieren, dass wir ein blockfreies Europäisches Parlament bekommen werden, weil zu viel Nationalismus dort vorherrscht“, warnt Manfred Weber, Spitzenkandidat der EVP und aussichtsreichster Kandidat für die Nachfolge Jean-Claude Junckers als Präsident der EU-Kommission. Bei der Europawahl im Mai, so

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drückt es CSU-Chef Markus Söder aus, geht es um nicht weniger als die „institutionelle Regierungsfähigkeit Europas“.

Beteiligung an Europawahlen Entwicklung von 1979 bis 2014 in Deutschland und Europa

Deutschland 70

65,7

63 56,8

60

61

62,3

58,5

60

12

EU Gesamt 56,8

50

45,2

49,8

43 45,6 43,3 43

47,9

43,1

40 30 20 10 0

1997

1984

1989

1994

­opulisten wieder mehr Bürger zur P Wahl gehen. Die etablierten europäischen Kräfte sind jedenfalls alarmiert, mit Informationskampagnen versucht die EU vor allem junge Menschen zur ­Europawahl zu bewegen. „Wir werden der Wahl nicht im Schlafwagen ent­ gegenfahren“, versprechen die Unions­ spitzen Annegret Kramp-Karren­ bauer, Markus Söder und Manfred Weber. Auf alte Stärken besinnen Wie das Europa der Zukunft aussehen soll, darüber gehen die Meinungen indes weit auseinander. Einig scheint man sich derzeit nur darüber zu sein, dass in der Ära Trump, Xi und Putin

Foto: European Union, 2018, Mauro Bottaro

Mehrheit findet Europa gut Umfragen sind freilich das eine, Wahlen das andere. Das wird bei der Europawahl nicht anders sein und umso deutlicher, wenn man das diffuse, teils widersprüchliche Meinungsbild in der europäischen Öffentlichkeit berücksichtigt. Laut Eurobarometer sind derzeit bemerkenswerte 70 Prozent der Deutschen der Auffassung, dass ihre Stimme zählt in Europa. Eine Mehrheit der EU-Bürger hält die EU für eine gute Sache, insbesondere unter den jungen Leuten ist die Zustimmung sehr hoch. Die Wahlbeteiligung unter den Jungwählern ist jedoch erstaunlich gering. Auch die Wahlbeteiligung insgesamt ist in den zurückliegenden vier Jahrzehnten trotz einer überwiegend positiven Grundstimmung für Europa gesunken. Gingen 1979 noch zwei von drei Deutschen zur Wahl, waren es 2014 nur noch knapp 48 Prozent. In der EU insgesamt lag die Wahl­ beteiligung zuletzt bei nur noch 43 Prozent (siehe Schaubild). Immerhin: Die Wahlbeteiligung hat sich zuletzt stabilisiert, und es steht zu hoffen, dass in politisch bewegten Zeiten und angesichts des Erstarkens der

(in Prozent)

1999

2004

2009

2014

Europa eine neue, stärkere und vor allem eigenständigere Rolle in der Weltpolitik des 21. Jahrhunderts finden muss. Sozialdemokraten und Linke betonen gerne den sozialen Charakter der EU und wollen die Europäer mit einer EU-Arbeitslosenversicherung und höheren Budgets für Soziales locken. Von einem europäischen Finanzminister, einem Eurozonenbudget oder europäischen Mindestlöhnen verspricht sich das links der Mitte angesiedelte politische Milieu mehr Zuspruch für die europäische Idee. Der französische Präsident Emmanuel Macron eröffnete seinen Europawahlkampf mit einem kämpferischen Manifest für eine „europäische Renaissance“, in dessen Mittelpunkt nach seinen Worten „Freiheit, Schutz und Fortschritt“ stehen. Dahinter stecken in Wahrheit allerdings sehr französische Vorstellungen, die durch Vorschriften, Verbote, Protektionismus und neue Institutionen geprägt sind. Der populistische Rundumschlag Macrons ist zudem erkennbar auf seine innenpolitischen Widersacher um Marine Le Pen gerichtet. „Macrons Vorschläge zielen in die völlig falsche Richtung“, kritisiert Wolfgang Steiger, Generalsekretär des Wirtschaftsrates. Aus Sicht des Wirtschaftsrates ist das genau der falsche Ansatz. „Wer glaubt, mit immer neuen Umverteilungstöpfen und noch mehr Geld die Probleme in den Krisenländern zu lösen, irrt grundlegend“, sagt Steiger. Der Rat plädiert stattdessen für eine Rück­

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Quelle: Bundeszentrale für politische Bildung, 2014, www.bpb.de

TITEL Europa


besinnung auf jene Prinzipien, die die EU wirtschaftlich stark gemacht haben: Marktwirtschaft, Wettbewerb und Subsidiarität. „Das Herzstück der wirtschaftlichen Integration ist und bleibt der europäische Binnenmarkt“, betont der Wirtschaftsrat Brüssel in seinem Positionspapier zur Europawahl. Statt Eurozonenbudget und einer falsch verstandenen Solidarität durch eine Vergemeinschaftung von Schulden müssten deshalb zunächst die Krisenländer selbst ihre vernachlässigten Reformen angehen. Insbesondere Italien muss sein Schuldenproblem lösen und den schwer angeschlagenen Bankensektor sanieren. „Obwohl die italienische Regierung die europäischen Fiskalregeln offen missachtet, drohen faule Kompromisse“, warnt das Münchener ifo-Institut. „Das würde wie Wasser auf die Mühlen rechter Populisten in Nordeuropa wirken – und das in der politisch sensiblen Zeit vor den Europawahlen.“

Foto: European Union, 2018, Etienne Ansotte

TITEL Europa

Ordnungsrahmen für Europa Stehen nationale Reformen somit an erster Stelle der Agenda, gilt es zugleich, den europäischen Ordnungsrahmen weiterzuentwickeln. So setzen

Ökonomen auf eine Vollendung des Binnenmarkts für Finanzdienstleistungen, um europaweit für eine effiziente Kapitalallokation zu sorgen. Eine Kapitalmarktunion erschließt

MAX AICHER

EIN NAME. EINE VISION. Auch in der Zukunft wird die Max Aicher Unternehmensgruppe großen Wert auf Energie, Umweltschutz und Effizienz legen. Wir achten auf erneuerbare Energie um regionale Energiegewinne zu unterstützen. Ebenso hat der Schutz unsere Ressourcen einen hohen Stellenwert, damit auch unsere Urenkel noch ein unbeschwertes Leben auf dieser Erde führen können. Wir denken weiter. Wir übernehmen Verantwortung für die Zukunft. Mehr Information zu unseren Leistungen und Bemühungen finden Sie im Internet unter www.max-aicher.de.

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Foto: European Union, 2019, Etienne Ansotte

TITEL Europa

neue Finanzierungsquellen, auch für kleine und mittlere Unternehmen, und erleichtert grenzüberschreitende Investitionen, die Europa für mehr Wettbewerb und Wachstum dringend braucht. Zum Beispiel für transnati-

onale europäische Netze. Energie-, Verkehrs- und Kommunikationsnetze machen nicht an Landesgrenzen halt, ein beschleunigter Ausbau intelligenter grenzüberschreitender Infrastrukturen wäre ein starker Wachstumstrei-

Finanzrahmen 2014 – 20201

Finanzrahmen 2021 – 20271

Ausgaben 1.087 Milliarden Euro

Ausgaben 1.279 Milliarden Euro

7,7

Quelle: Europäische Kommission, eigene Berechnungen ©Sachverständigenrat | 18-208-1

13,1

14

6,4

14,1

6,7 14,5

7,6 in Prozent

46,6

34,6

38,6

43

in Prozent

57

14,6

31,7

34,2

29,6 Vorschlag EU-Kommission7

Einnahmen5 DE4 UK4 Sonstige Mitgliedstaaten Sonstige Eigenmittel3

Ausgaben Wettbewerbsfähigkeit für Wachstum und Beschäftigung wirtschaftliche, soziale und territoriale Kohäsion Nachhaltiges Wachstum: natürliche Ressourchen6 Verwaltung Sonstige Ausgaben2

Einnahmen5 Mitgliedstaaten Sonstige Eigenmittel8

1 Ausgaben für den gesamten Finanzrahmen (äußerer Ring). 2 Migration und Grenzmanagement, Sicherheit und Verteidigung, Nachbarschaft und Welt. 3 Traditionelle Eigenmittel (hauptsächlich Zölle), Überschüsse und ­son­s­tige Einnahmen. 4 DE-Deutschland, UK-Vereinigtes Königreich. 5 Einnahmen im Jahr 2017 und im Jahr 2027 (innerer Ring). 6 Landwirtschaft, Entwicklung des ländlichen Raums, Fischerei, Umwelt- und Klimapolitik. 7 Vorschlag vom 2. Mai 2018. 8 Eigenmittel auf Grundlage der gemeinsamen konsolidierten Körperschaft­­steuerBemessungsgrundlage, der Versteigerungseinnahmen aus dem EU-Emissionshandelssystem, von nicht wieder­ verwerteten Kunststoff­verpackungsabfällen, einer vereinfachten Mehrwertsteuer sowie traditionelle Eigenmittel (hauptsächlich Zölle).

ber. Das käme auch dem Klimaschutz zugute. Eine forcierte Sektorkopplung über europäische Netze ermöglicht den verstärkten Einsatz erneuer­barer Energien, wenn etwa durch­ Power-­­­toGas-Lösungen die vorhandene Gasinfrastruktur für den Transport und die Speicherung von erneuerbaren Energien genutzt wird. Der Wirtschaftsrat schlägt vor, die Sektorkopplung mit einem EU-Rechtsrahmen zu fördern, der gleiche Wettbewerbsbedingungen in der EU schafft. Ein offener Energiebinnenmarkt in Europa und ein marktbasiertes Preissignal für Kohlendioxid für alle Sektoren könnten zugleich die Weichen für eine richtig gemachte Energiewende bei gleichzeitigem Erhalt der industriellen Basis bieten. Zuerst in Europa, dann weltweit. Vorreiter muss Vorbild werden „Europa ist gut beraten, der Welt zu zeigen, dass sich mit einem klug ­eingestellten Emissionshandel Klimaziele erreichen lassen“, betont Thilo Schaefer, Energieexperte beim Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. Sein Kernargument: Die Vorreiter für den Klimaschutz be­ kämpfen den globalen Klimawandel nur dann erfolgreich, wenn sie auch den weniger wohlhabenden Ländern zeigen, dass treffsichere und kosten­ effiziente Instrumente überall funktionieren. „Das erhöht die Chancen, dass andere Emittenten wie China

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TITEL Europa

diesen Weg ebenfalls weitergehen“, ist ­Schaefer überzeugt. Industriepolitik europäisch denken Ein weiteres lohnendes Betätigungsfeld für die EU ist die Industriepolitik. Stichwort: Luft- und Raumfahrt, ein strategischer Wirtschaftszweig und exzellenter Innovationstreiber für die gesamte Volkswirtschaft. Die Branche erwirtschaftete 2017 allein in Deutschland rund 40 Milliarden Euro Umsatz, ein Zehntel davon floss in Forschung und Entwicklung. Der Bundesverband der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie (BDLI) rechnet künftig mit rund fünf Prozent Wachstum pro Jahr, fürchtet jedoch Wettbewerbsnachteile gegenüber den USA und China, die erheblich mehr öffentliche Mittel in den strategisch bedeutsamen Industriezweig stecken. „Deutschland und Europa müssen sich für Chancengleichheit einsetzen“, fordert der Verband. Nach Ein-

schätzung des Wirtschaftsrats sollte die Luft- und Raumfahrt wegen seiner herausgehobenen Bedeutung im Mittelpunkt der industriepolitischen Überlegungen Europas stehen. Digitales Europa Von vergleichbarer Relevanz für künftiges Wachstum in Europa ist die Digitalisierung. Künstliche Intelligenz, superschnelle 5G-Netze und ein Datenschutz mit Augenmaß sind Themen, die sich nicht für europäische Kleinstaaterei eignen. Deshalb bietet ein digitaler Binnenmarkt enorme Vorteile für Unternehmen und Verbraucher. „Insbesondere bei digitalen Dienstleistungen spielen Skaleneffekte eine große Rolle, weshalb der Marktgröße eine besondere Bedeutung zukommt“, hält der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in seinem aktuellen Jahresgutachten fest. „Auf der europäischen Ebene würde daher

die konsequente Umsetzung des digitalen Binnenmarkts neuen und etablierten Unternehmen einen größeren Markt mit einheitlicher Regulierung und niedrigen Eintrittsbarrieren bieten“, so die Ökonomen. Hinter einer Vollendung des Binnenmarktes bis 2025 schlummert nach Einschätzung des wissenschaftlichen Diensts des EU-Parlaments ein Potential von 415 Milliarden Euro Wirtschaftswachstum, Jahr für Jahr, hunderttausende neue Arbeitsplätze könnten entstehen. Aller Bemühungen zum Trotz ist der digitale Binnenmarkt jedoch noch lange nicht vollendet. Es geht zu langsam vorwärts, die USA und China warten nicht. Für die nächste EU-Kommission muss der digitale Binnenmarkt deshalb ganz oben auf der Agenda stehen. Nur wenn Europa seine Wachstumschancen konsequent nutzt und für Wohlstand breiter ­Bevölkerungsschichten sorgt, ist den Populisten auf Dauer beizukommen. l

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TITEL Europa

Europa steckt im Dilemma: Eine weitere Liraisierung des Euro machen die Nordländer nicht mit. Einer Härtung ver­weigert sich der Süden. Ein „New Deal“ ist die einmalige Chance, die Überschuldung der ­Eurozone zu überwinden.

„New Deal“ kann den Euro ­ retten D ie Europäische Wirtschaftsund Währungsunion hat es bisher nur zu einer Bargeld­ union gebracht. Nur die von der Europäischen Zentralbank (EZB) herausgegebenen Banknoten – und die dazu von den EU-Staaten emittierten Münzen – sind in allen Euro-Mitgliedsländern gleichwertig. Bankeinlagen unterscheiden sich dagegen entsprechend der Qualität der Kredite, mit denen sie geschaffen wurden und vor allem entsprechend der Finanzkapazität der Staaten, diese Einlagen bei Bankpleiten zu erhalten. Zur Sicherung der einheitlichen Qualität von Bankengeld – und folglich zur Vollendung der Währungs-

Autor Prof. Dr. Thomas Mayer

Foto: privat

Gründungsdirektor und Leiter Flossbach von Storch Research Institute

union – soll eine einheitliche Einlagenversicherung geschaffen werden. Allerdings wollen Deutschland und einige andere Länder diese nur einführen, wenn die Banken, die diese Einlagen über Kreditvergabe als privates Schuldgeld herstellen, auch im ganzen Euroraum sicher sind. Zur Sicherheit gehören erstens ein ausreichendes Eigenkapitalpolster der Banken, zweitens die Unterlegung von Staatsanleihen auf der Bilanz mit Eigenkapital und drittens eine Großkreditgrenze für die Anleihen eines Staates auf der Bilanz der Banken. Das Problem ist jedoch, dass diese Sicherheitsstandards nicht geschaffen werden können, ohne die gegenwärtig günstige Kreditfinanzierung der Staaten durch die Banken prohibitiv zu verteuern. Das heißt, dass im Euroraum im derzeitigen Geldsystem ohne Mithaftung des Steuerzahlers keine sichere Einlage möglich ist. Eine sichere Einlage ist im Euroraum unter den gegenwärtigen Umständen nur durch einen Systemwechsel vom Kreditgeld zu mit Zentralbankreserven voll gedecktem Bankengeld möglich. Auf dem Weg zum

„Mit der Neuaufstellung könnte der Euro vor dem langfristig wahrscheinlich unkontrol­lier­ten Zerfall bewahrt werden.“

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Systemwechsel wäre ein erster Schritt, die Schaffung einer sicheren Bank­ einlage als Alternative zur üblichen, durch Kreditvergabe geschaffenen Einlage. Sicherheit würde dadurch erreicht, dass die Einlage zu 100 Prozent mit Reservegeld der EZB gedeckt würde. Auch wenn die Bank, die die Einlage verwahrt, pleitegehen würde, bliebe die Einlage erhalten. Der Kunde bräuchte nur der Abwicklungsbehörde den Namen einer anderen Bank seiner Wahl nennen, zu der diese Einlage transferiert werden soll. Die Tür zur Schaffung einer sicheren Bankeinlage hat die EZB durch ihr Anleihekaufprogramm schon aufgestoßen. Sie müsste mit diesen Käufen nur fortfahren, bis die Zentralbankreserven der Banken der Geldmenge M1 abzüglich des umlaufenden Bargelds, also den Sichteinlagen der Banken, entsprechen würden. Bis Ende 2018 sind die Einlagen von Zentralbankgeld der Banken bei der EZB durch die Anleihekäufe auf rund zwei Billionen Euro gestiegen. Um den gegenwärtigen Bestand der Sichteinlagen der Banken in Höhe von sieben Billionen Euro vollständig mit Reservegeldeinlagen der Banken zu decken, müsste

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TITEL Europa vor der Wahl

Foto: Fotolia.com ©maxec

die EZB durch weitere Anleihekäufe noch rund fünf Billionen Euro an zusätzlichem Reservegeld schaffen. Wie schon im „Chicago Plan“ von 1933 ausgeführt, erlaubt die Volldeckung von Sichteinlagen der Banken mit Zentralbankgeld nicht nur die Absicherung der Einlagen, sondern eröffnet dem Staat auch die Möglichkeit einer einmaligen Entschuldung. Würde das gesamte Reservegeld zur Deckung von sieben Billionen Euro Sichtein­ lagen durch den Erwerb von Staatsanleihen geschaffen und diese auf der Bilanz der EZB stillgelegt, dann würde die übrig bleibende Verschuldung der Eurostaaten am Markt um rund sieben Billionen Euro des Bruttoinlandsprodukts auf ungefähr drei Billionen oder 25 Prozent des BIP fallen. Allerdings müsste die Entschuldung so erfolgen, dass eine erneute Rettung überschuldeter Staaten durch die Zentralbank in Zukunft absolut ausgeschlossen werden kann. Dies kann am besten dadurch erreicht werden, dass sich der Euro dann im Wettbewerb mit anderen Währungen behaupten muss. Aus der oben beschriebenen sicheren Einlage ergibt sich die Möglichkeit, den Euro als digitale Währung in Konkurrenz zu anderen digitalen Währungen aufzustellen. Statt der zentral organisierten Übertragung von Geld durch Banküberweisung oder die persönliche Aushändigung von Banknoten aus Papier könnte Geld in der sicheren Einlage auch „peerto-peer“ mit sogenannter „Distributed Ledger Technologie“ übertragen

werden. Geld in der sicheren Einlage wäre folglich das virtuelle Pendant von papiernen Banknoten. Gedeckt wäre dieses Geld mit Ansprüchen der EZB an die Eurostaaten in Form der von ihr erworbenen Forderungen an die Staaten, die dann unverzinslich und von unendlicher Laufzeit wären. Diese Forderungen könnten mit der Wirtschaft wachsen, die Geldmenge entsprechend vermehrt werden. Die Neuaufstellung des Euro hätte drei Vorteile. Erstens könnte der Euro vor dem in seiner gegenwärtigen Form langfristig wahrscheinlich unkontrollierten Zerfall bewahrt und die damit verbundenen hohen politischen und finanziellen Kosten vermieden werden. Zweitens könnte ein digitaler Euro als optionales Tauschmittel und optionale Rechnungseinheit dem Markt für private Digitalwährungen Orientierungshilfe geben. Drittens könnte in der Konkurrenz von privatem und staatlichem Digitalgeld wie von Friedrich von Hayek vorgeschlagen, das beste Geld im Wettbewerb um die Nutzer gefunden werden. Geld würde für die Bürger, und nicht für den Staat als Instrument zur Verfolgung politischer Ziele geschaffen. Ein „New Deal“ zwischen den überschuldeten Süd- und den weniger verschuldeten Nordländern, könnte den Euro auf eine sichere Grundlage stellen. Dazu müssten die Nordländer der einmaligen Monetisierung von Staatsschulden durch die EZB und die Südländer dem Wettbewerb des Euro mit l anderen Währungen zustimmen.

Eurozone: Sichteinlagen und Asset Purchase Programme

(in Billionen)

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7,13 Billionen

heiss geräuchert.

Heiß begehrt.

6 5

3

2,57 Billionen

2

2,57 Billionen

1 0

2014

2015

Sichteinlagen

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2016

2017

Public Sector Purchase Programme

2018

2019

Asset Purchase Programme

Quelle: Macrobond

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Mein Bissen Bayern. 17


TITEL Europa

Foto: Fotolia.com ©Björn Braum

Ein Plan B ist gefragt Ein No-Deal würde Großbritannien und die EU teuer zu stehen kommen. Um das zu ­verhindern, braucht es einen Plan B. Er würde beiden Seiten Zugeständnisse abverlangen.

D

as Brexit-Drama hinterlässt bereits sehr deutliche Spuren in der britischen Konjunktur und in den deutschen Handelsdaten. Seit dem Referendum vom 23. Juni 2016 hat das Vereinigte Königreich Schätzungen meines Tübinger Kollegen Gernot Müllers zufolge circa zwei Prozent Wirtschaftsleistung verloren; die deutschen Exporte haben um etwa acht Prozent von 89 Milliarden Euro im Jahr 2015 auf 82 Milliar-

Autor Foto: Romy Vinogradova

Prof. Dr. Gabriel Felbermayr Präsident des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel

den Euro im Jahr 2018 abgenommen, während die Exporte in den Rest der Welt im gleichen Zeitraum um zwölf Prozent zugelegt haben. Hätte der Handel mit dem Vereinigten Königreich im gleichen Ausmaß zugelegt wie mit dem Rest der Welt, wäre er 2018 um 18 Milliarden Euro höher gelegen. Dabei sind bisher noch keine Zölle oder nicht-tarifäre Barrieren im Handel zwischen dem Kontinent und den britischen Inseln eingeführt worden. Die Effekte sind allein auf die stark gestiegene wirtschaftspolitische Unsicherheit und das innenpolitische Chaos zurückzuführen. Die Existenz dieser Effekte zeigt, wie wenig nachahmenswert der Prozess eines Ausstiegs aus der EU ist, zumal das Vereinigte

„Die Zusage einer Zahlung von 42 Milliarden Euro an die EU beraubt das Vereinigte Königreich eines Druckmittels im Ringen um zukünftige Handelsvorteile.“ 18

Königreich als zweitgrößte Volkswirtschaft der EU im Vergleich zu allen kleineren Mitgliedern einen gewissen Schutz durch die Größe des eigenen Binnenmarktes hat. Umfragen belegen – leider –, dass sich seit dem Referendum die öffentliche Meinung im Vereinigten Königreich nicht entscheidend verändert hat. Dies ist wohl auch der Grund, warum ein Exit vom Brexit im Unterhaus derzeit nicht mehrheitsfähig ist. Doch die Mehrheit der Abgeordneten will weder einen ungeordneten Austritt noch den von Premierministerin Theresa May verhandelten „Deal“, das Scheidungsabkommen. In der Tat wäre ein ungeordneter Brexit teuer. Er würde nach meinen letzten Schätzungen das Vereinigte Königreich langfristig etwa 2,8 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung kosten, wobei das Land durch einen unilateralen Verzicht auf alle Importzölle und ein Durchwinken von Waren- und Dienstleistungslie-

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kölln.de

TITEL #haferliebe Europa vor der Wahl

ferungen den Verlust auf 0,5 Prozent reduzieren könnte – mit politisch schwierigen Nebeneffekten, denn für die britische Industrie und Agrarwirtschaft wäre ein solcher Schritt schwierig. Dennoch: Für das massiv von Importen abhängige Land ist ein solcher Umgang mit einem No-­­DealSzenario rational und sogar besser als ein Freihandelsabkommen mit der EU nach dem Vorbild von CETA oder eine Situation, in der das Königreich Handelsabkommen mit den USA und den Commonwealth-Staaten – nicht aber mit der EU – schließt. Aber wie auch immer man es wendet, ein No-Deal ist teuer. Auch für den Rest der EU, der wegen eines hohen Exportüberschusses im Falle eines ­ No-Deal auf einen Verlust von 0,5 bis 0,8 Prozent der Wirtschaftsleistung käme. Das zentrale Problem des verhandelten Scheidungsabkommens besteht darin, dass es die Verhandlungsoptionen für ein zukünftiges Handelsabkommen einschränkt. Die Zusage einer Zahlung von 42 Milliarden Euro an die EU beraubt das Vereinigte Königreich eines Druckmittels im Ringen um zukünftige Handelsvorteile. Wichtiger noch: Wenn auch zukünftige Verhandlungen keine Lösung finden, die eine harte Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland verhindern, dann bleiben Nord­ irland und Großbritannien in der EU-Zollunion – ohne ein Stimmrecht zu haben – und Nordirland weitgehend auch im EU-Binnenmarkt. Es ist nicht überraschend, dass die Parlamentarier eine solche Lösung nicht gutheißen. Im Nachgang zeigt sich, dass die Zweiteilung der Neuordnung – zuerst das Scheidungs-, dann das Handelsabkommen – nicht sinnvoll ist; darauf haben ich und andere schon 2016 hingewiesen. Ganz klar: Für Deutschland wäre aus ökonomischer Sicht die beste Lösung des Brexit-Dramas ein Exit vom Brexit. Der Weg dazu könnte ein erneutes Referendum darstellen. Die EU müsste sich dafür attraktiv machen, indem sie einige der Forderungen, die Cameron 2015 hatte, erfüllt: insbesondere mehr Subsidiarität und mehr

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Flexibilität der Mitgliedstaaten bei der Erfüllung der Arbeitnehmerfreizügigkeit. Dazu müsste die gewonnene Zeit durch eine Verschiebung des Brexit genutzt werden. Denkbar, dass die Briten dann weiter mitmachen – und mitzahlen. Aber unsicher. Denn eine Kernforderung der Briten macht Probleme: die Ausnahme vom Ziel einer politischen Union. Diese schließt eine Vollmitgliedschaft des Vereinigten Königreichs aus. Wir brauchen also einen Plan B. Dieser könnte in einem neuen Konstrukt bestehen, dessen Kern ein europäischer Zollverein wäre, wie ich ihn mit Kollegen im EconPol Netzwerk (econpol.eu) vorgeschlagen habe. Die Briten müssten ihre „Global-Britain“-Träume aufgeben, weil die Außenhandelspolitik im Güterbereich gemeinschaftlich betrieben würde. Sie erhielten aber ein Stimmrecht, anders als im Backstop. Es würde mit doppelter Mehrheit entschieden. Vorteile: Die Wertschöpfungsnetzwerke blieben weitgehend ungestört – keine Ursprungsregeln! –, die gemeinsame Verhandlungsmacht bliebe erhalten und andere Länder an der europäischen Peripherie wie etwa die Türkei könnten ebenfalls mitmachen. Dieser Kern würde mit möglichst weitreichenden Abmachungen zu Dienstleistungen und Arbeitnehmermobilität komplettiert. In jedem Fall müsste London sich weiterhin finanziell beteiligen. Dies wäre ein maßgeschneidertes Abkommen, das sehr viel weiter ginge als CETA oder das EU-Japan-­ Abkommen, hinter der Vollmitgliedschaft aber zurückbliebe. Es würde beiden Seiten Zugeständnisse abverlangen; insbesondere müsste die EU ein gewisses Maß an Rosinenpicken erlauben. Die speziellen Bedingungen zwischen der Insel und dem Kontinent legen dieses Zugeständnis Kerneuropas aber nahe: die geographische Nähe, die Größe des Marktes, die Verantwortung vor dem irischen Friedensprozess und die in 46 Jahren Vollmitgliedschaft gewachsenen Strukturen. Zuletzt läge ein solches Konstrukt vor allem im ökonomischen Eigen­ l interesse der EU27.

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TITEL Europa

Foto: European Union 2014 - Source EP.

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m Europäischen Parlament gehören Parteien, die wenig an einer sachlichen Debatte und Kompromissen interessiert sind, schon länger zum politischen Farbspektrum. Doch wer Politik machen will, muss mit der Mannschaft spielen, die ihm der Wähler auf den Platz stellt. Auf EU-Ebene bedeutet dies seit Jahren, dass wir mit

Das Europa der P ­ opulisten ist kein Europa der Bürger Einige Europaparlamentarier wollen die EU abschaffen – das ist nicht die Lösung für die Herausforderungen unserer Zeit.

Abgeordneten leben müssen, die sich in ein Parlament wählen lassen, das sie abschaffen wollen. Die Mehrheit im EU-Parlament beantwortete dies mit Prinzipientreue und Pragmatismus. Zum einen wurde eine rote Linie gezogen: Besonders radikale Akteure, die die EU, das Europäische Parlament und teils grundlegende Werte Europas ablehnen, wurden nicht bei der Wahl in Spitzen­ämter unterstützt. So wurde eine gezielte Sabotage der parlamentarischen Arbeit unterbunden. Zum anderen gehört es aber auch zur Wahrheit, dass wir als DemokraAutor Rainer Wieland MdEP Foto: Mathieu Cugnot

Vizepräsident Europäisches Parlament

„Wer hinsieht kann leicht erkennen, dass die lauten Parolen der ­Populisten zu oft nicht mit ihrem Handeln übereinstimmen.“ 20

ten andere Meinungen einmal akzeptieren müssen. Daher wurden weniger radikale, wenn auch populistische Akteure in die Verantwortung eingebunden. Wer Populisten stellen will, darf mit ihnen nicht in einen Versprechungswettbewerb eintreten, den man nur verlieren kann. Wir müssen in einen Lieferwettbewerb eintreten! Indem wir die Populisten in die Pflicht nehmen, zeigen wir den Bürgern, wer sich tatsächlich um Lösungen bemüht. Womit waren populistische Abgeordnete in der Öffentlichkeit wahrnehmbar? Sie polterten gegen unsere Institutionen, den Rechtsstaat, Minderheiten, Frauen oder Wissenschaftler. Abgeordnete der rechten ENF-Fraktion gönnten sich teure Abendessen mit Champagner auf Kosten des Parlaments und der französische „Front National“ entsandte seine aus Steuermitteln bezahlten Mitarbeiter heimlich zur Arbeit in seine Parteizentrale. Gesprochen werden muss auch darüber, ob und in welchem Umfang die „Le Penisten“ und die AfD Geld aus dem Ausland a­ ngenommen haben und wie sie diesen Umstand verharmlosen. Die AfD, der aufgrund ih-

rer internen Streitereien einer von sieben Abgeordneten ­geblieben ist, ist die deutsche Brexit-Partei! Nur mühsam wird überdeckt, dass man letztendlich für den Austritt aus der EU steht. Wer hinsieht kann leicht erkennen, dass die lauten Parolen der Populisten zu oft nicht mit ihrem Handeln übereinstimmen. Für keines der Probleme unserer Zeit haben Populisten bisher eine tragfähige Lösung angeboten – dies lehrt uns auch die zunehmende Schieflage Italiens mit seiner Koalition aus Linksund Rechtspopulisten! Dennoch müssen wir in Politik und Gesellschaft auch selbstkritisch sein. Diskutieren und erklären wir Dinge ausreichend und verständlich? Haben wir glaubwürdige und tragfähige Antworten auf die Fragen, bei denen die Menschen europäisches Handeln begrüßen – sei es im Handel, beim Klimaschutz, in der Verteidigung oder der Digitalisierung? Es gibt sicher noch viel zu tun! Nur wenn wir sachlich an Lösungen für die drängenden Herausforderungen unserer Zeit arbeiten, schaffen wir ein Europa der Bürger, das uns allen eine l gute Z ­ ukunft bietet.

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Foto: Fotolia.com ©kras99

TITEL Europa

Firmenchefs in Westeuropa bereiten vor allem Fachkräftemangel, Protektionismus und politische Unsicherheiten Sorgen. ­Unternehmen sollten dem aufkeimenden Pessimismus mit Mut entgegentreten. „Digital upskilling“ heißt das Schlagwort.

in Blick in die Geschichte zeigt, dass die Wirtschaft immer dann besonders innovativ ist, wenn sie mit neuen Herausforderungen konfrontiert wird, aber diese als Chance begreift. So gesehen stehen uns spannende Zeiten bevor, denn derzeit gibt es zahlreiche Herausforderungen wie den Brexit, ­ Handelskonflikte, Populismus und damit einhergehender Protektionismus. Ein zunehmender Gegenwind aus dem außenpolitischen Umfeld sorgt für einen deutlichen Stimmungswechsel bei den Firmenlenkern in Westeuropa. Im vergangenen Jahr waren Geschäftsführer und Gesellschafter ­ von Unternehmen noch so optimistisch wie nie zuvor. Nun erwartet schon fast jeder Dritte für 2019 einen Rückgang des Weltwirtschaftswachstums, wie das PwC Global CEO ­Survey 2019 ergab. Lediglich 42 Prozent der CEO weltweit und 38 Prozent in Westeuropa sind noch zuversichtlich, dass die Weltwirtschaft 2019 stärker als im Vorjahr wachsen wird – 2018 waren es noch 57 Prozent. Die Zuversicht

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der Entscheider über die kurz- bis mittelfristigen Wachstumsaussichten der eigenen Unternehmen schwindet ebenfalls. Sorgen bereitet den Firmenchefs in Westeuropa vor allem der Fachkräftemangel, Protektionismus sowie politische und geopolitische Unsicherheiten.

Mit Mut gegen eine sich selbst erfüllende Prophezeiung Die politische Unruhe und der gestiegene Pessimismus der Firmenchefs in Europa dürfen jedoch nicht zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung werden. Es gilt deshalb, nicht auf den Zug der Pessimistischen aufzuspringen, sondern mutig zu sein und die Chancen zur Veränderung zu erkennen. Phasen politischer Unsicherheiten wird es immer geben. Die beeinflussbaren Faktoren sollten daher mehr in den Fokus gerückt werden. Anstatt dem wachsenden Protektionismus mit Zurückhaltung bei Investitionen zu begegnen, sollten Firmenchefs weiter die digitale Fitness ihrer Unternehmen vorantreiben. „Digital

Autor Harald Kayser

Foto: Rank Rumpenhorst

Mit Mut gegen ­aufkeimenden ­Pessimismus E

Vorstandsvorsitzender PwC Europe SE

„Firmenchefs sollten weiter die digitale Fitness ihrer Unternehmen vorantreiben.“ upskilling“ wird zu einer zentralen Aufgabe für Unternehmen. Fast jeder zweite CEO hat das bereits erkannt und setzt laut PwC Global CEO Survey 2019 auf Umschulungen und Weiterbildungen, um „skill gaps“ im eigenen Unternehmen zu schließen. Firmenchefs sollten entschlossener als bisher die digitale Transformation ihrer Unternehmen angehen. Künstliche Intelligenz wurde von vielen Unternehmen zwar als die vielleicht folgenschwerste technologische Entwicklung erkannt. Das Hauptproblem ist jedoch häufig die fehlende Expertise, das Potential Künstlicher Intelligenz zu heben. l

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TITEL Europa

führt zu falscher Therapie Das Wahlprogramm der Grünen bündelt nahezu alle Initiativen für mehr ­Vergemeinschaftung von Risiken und Schulden in der Europäischen Union.

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ie Grünen rufen die Europawahl 2019 zur „Richtungswahl“ aus. Sie sehen Europa von zwei Seiten bedroht. „Die Rechtsnationalen wollen Europa zerstören“, warnt Spitzenkandidatin Ska Keller. Ebenso gefährlich sei es, den „neoliberalen Ansatz“ fortzusetzen, bei dem die Politik einer global operierenden Wirtschaft die Vormacht überlässt. Die Grünen beschreiben ihr Programm als Gegenangebot für ein ökologisches, solidarisches, feministisches und soziales Europa. So wollen sie die Europäische Union (EU) neu gestalten. Doch wenig in ihrem Wahlprogramm ist wirklich neu. Zugleich zeigt sich, dass die Partei sich gesellschaftspolitisch liberal gibt, aber in der Sozial-, Europa- und Wirtschaftspolitik etatistisch ist. Das Europa der Grünen setzt nicht auf Bürgernähe durch Subsidiarität, Freiheit und Eigenverantwortung oder

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einen starken Ordnungsrahmen. Vielmehr heißen die grünen Werkzeuge Steuererhöhungen, Umverteilung und Zentralismus: Plastiksteuer, Verbot von Autos mit Verbrennungsmotor bis 2030 oder die vollständige Umstellung des EU-Energieverbrauchs auf erneuerbare Quellen ab 2050. Mehr als zehn Steuerarten und Abgaben will die Partei neu einführen oder erhöhen. „Mit Steuern kann man steuern.“ Dieses Leitmotiv offenbart klar, dass es bei der Unternehmens-, Digitaloder Finanztransaktionssteuer nicht um die Einnahmen geht. Ein Kernthema des Wahlprogramms ist die europäische Solidarität: EU-Haushalt, EU-Währungsfonds, EU-Arbeitslosenversicherung oder EU-Einlagensicherung stehen für eine riesige Umverteilung. Dies würde Eurozone und EU weiter spalten. Mangelnde Wettbewerbsfähigkeit, hohe Schulden und überdimensio-

nierte Verwaltungen in Mitgliedsstaaten sind hausgemachte Probleme, die national gelöst werden müssen. Mehr Vergemeinschaftung würde, genau wie die Geldflut der Europäischen Zentralbank (EZB), überkommene Strukturen künstlich erhalten. Die Grünen irritieren in der Europapolitik oft mit fragwürdigen Thesen. Sie setzten das Märchen in die Welt, der deutsche Fiskus hätte 2,9 Milliarden Euro an der Griechenland-Rettung verdient. „Deutschland hat massiv von der Krise in Griechenland profitiert. Es kann nicht sein, dass die Bundesregierung mit Milliarden griechischen Zinsgewinnen den deutschen Haushalt saniert", postulierte der haushaltspolitische Sprecher Sven-Christian Kindler. Er bezieht sich auf Zinsgewinne aus dem Securities-Markets-Programm, als der EZB-Rat 2010 beschlossen hatte, griechische Staatsanleihen auf dem Sekun-

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Fotos: Jens Schicke

Falsche Diagnose


TITEL Europa

mittleren zweistelligen Milliardenbereich fällig. Ein ähnliches Zerrbild zeichnen die Grünen, wenn sie Deutschland zum Gewinner der Niedrigzinspolitik küren. „Zehn Jahre Krise in Europa haben den deutschen Haushalt saniert. Es ist eine Frage der Gerechtigkeit, dass Deutschland davon etwas zurückgibt“, fordert erneut der grüne Haushaltssprecher Sven-Christian Kindler. Die Bundesfinanzminister hätten bei Negativzinsen noch Geld geschenkt bekommen, wenn sie Schulden aufnahmen. Diese Argumentation ist ökonomischer Unsinn. Deutschland ist in seiner Gesamtheit aus Staat, Unternehmen und privaten Haushalten Nettogläubiger. Der Zinsrückgang belastet Deutschland im Aggregat. Prof. Gunther Schnabl, Universität Leipzig hat errechnet, dass allein das deutsche Nettoauslandsvermögen in Europa und den USA Ende 2017 um 641 Milliarden Euro höher gewesen wäre, wenn es seit 2008 wei-

Autor Simon Steinbrück Mitglied der Geschäftsleitung, Internationale Wirtschafts- und Europäische Währungspolitik Wirtschaftsrat der CDU e.V.

Foto: Jens Schicke

därmarkt aufzukaufen. Die Gewinne flossen jedoch per Beschluss über den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) an Griechenland und nicht in den Bundeshaushalt. Zumindest bis die Regierung um Ministerpräsident Tsipras das laufende zweite Hilfspaket aufkündigte. Danach verwahrte der ESM die Gelder auf einem Sperrkonto. Die Grünen stellen in Umkehrung aller ökonomischen Realitäten Deutschland als Nutznießer der Rettung Griechenlands hin und leiten daraus die Pflicht zu weiteren Hilfen ab. Die Griechenland-Rettung war nie ein „lohnendes Geschäft“ für Deutschland. Allein Hypo Real Estate und West LB haben durch den griechischen Schuldenschnitt 2012 über ­sieben Milliarden Euro verloren, für die der deutsche Steuerzahler aufkommen musste. Zudem reduzieren verlängerte Kreditlaufzeiten und Zinsstundungen den Barwert der Hilfs­ kredite. Aus kaufmännischer Sicht wären hier längst Abschreibungen im

„Die Grünen haben das Märchen in die Welt gesetzt, der deutsche Fiskus hätte 2,9 Milliarden Euro an der ­Griechenland-Rettung verdient.“ ter auf dem Niveau von 2007 verzinst und thesauriert worden wäre. Die Grünen stellen die falsche Diagnose. Deshalb ist auch ihre Therapie falsch. Die Partei setzt auf mehr Staat, höhere Steuern, mehr Umverteilung, stärkere Zentralisierung und noch weniger Markt. Dabei gelingt es den Grünen, nahezu alle diskutierten Initiativen für eine stärkere Vergemeinschaftung von Risiken und Schulden l in ihrem Programm zu bündeln.

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AKTUELL Internationaler Handel

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ie Handelspolitik erfährt zurzeit viel Aufmerksamkeit. Da ist einerseits der Abschluss des Freihandelsabkommens der EU mit Japan. Dies ist ein deutliches Signal für die Bereitschaft zu vertiefter Zusammenarbeit. Mit der wechselsei­ tigen Öffnung entstehen neue Chancen, die für Wachstum, Beschäftigung und Angebotsvielfalt genutzt werden. Andererseits gibt es starke Worte von Handelskriegen, die leicht zu ­ gewinnen seien. Da werden mit Blick auf die nationale Sicherheit Zölle ­ auf­ ge­ schlagen, die weit über den verbindlichen Zollanmeldungen bei ­ der Welthandelsorganisation (WTO) liegen. Solche Schläge werden mit

den Handeltreibenden durch das Regelwerk des multilateralen Handelssystems. Darauf war Verlass. Die bei der WTO angemeldeten ­Zölle bildeten für die Unternehmen eine verlässliche Kalkulationsbasis, auf die sie ihre Geschäftsentscheidungen gründen konnten. Dies scheint nun gefährdet. Die Gefahr droht von zwei Seiten. Da ist einmal die unerwartete Verhängung von Zöllen. Noch vor kurzem war es herrschende Meinung, dass Zölle keine große Rolle mehr spielten. Sie seien eine Restgröße. Derzeit erleben sie aber eine Renaissance und gelten bei manchen als das Mittel der Wahl zur Erzwingung politischer Ziele. Zum anderen ist da die Blockade bei der Nachbesetzung von freien Stel-

Offen ausgetragene Handels­ konflikte und die Krise um die Berufungs­instanz in der Welthandelsorganisation haben eine allgemeine ­Reformdebatte des Gremiums ausgelöst. Damit könnte sich die Handelskrise in eine Chance wandeln.

Protektionismus belast ­ egenschlägen beantwortet, so dass G mittlerweile Waren im Wert von mehr als 400 Milliarden US-Dollar mit unvorhergesehenen Aufschlägen be­ lastet sind. Die WTO steht seit mehr als 20 Jahren für Transparenz, Vorhersehbarkeit und Rechtssicherheit. Dies bietet sie

len in der Berufungsinstanz des Streitbeilegungssystems der WTO. Zurzeit sind von sieben Stellen nur noch drei besetzt. Zwar bedarf es zur Bildung einer Spruchkammer nur dreier „Richter“. Aber mit der eingeschränkten Kapazität gibt es lange Wartezeiten für die Parteien. Im Dezember endet die

Handelskrieg zieht Wachstumsverluste von bis zu drei Prozent nach sich Die Szenarien zeigen, dass ein Handelskrieg zwischen USA und China und der Europäischen Union drastische Folgen für das Wachstum hätte. Um bis zu drei Prozent könnte das ­­Brutto­ inlandsprodukt schrumpfen.*

100,0

Szenario 2 Handelskonflikt USA-China: zweite Eskalationsstufe Zusatzzölle von 25 Prozent auf die gesamten Warenimporte aus dem jeweils anderen Land Szenario 3 Handelskonflikt der USA mit der EU und fünf ­weiteren Handels­partnern: erste Eskalationsstufe Zusatzzölle von 10 Prozent auf die gesamten Warenimporte aus dem jeweils anderen Land

99,5 99,0 98,5

Szenario 4 Handelskonflikt der USA mit der EU und fünf ­weiteren ­Handelspartnern: zweite Eskalationsstufe Zusatzzölle von 25 Prozent auf die gesamten Waren­importe aus dem jeweils anderen Land

98,0 97,5 97,0 2017 2018 2019 2020 2021 2022 2023 2024 2025 2026 2027 2028 * Globales Bruttoinlandsprodukt, preisbereinigt, als Prozent des Bruttoinlandsprodukt im Basisszenario, Basisszenario = 100

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Szenario 1 Handelskonflikt USA-China: erste Eskalationsstufe Zusatzzölle von 25 Prozent auf die Hälfte der US-Waren­ importe aus China; Zusatzzölle auf die gesamten ­chine­sischen Importe aus den USA

Szenario 5 Automobilzölle Anhebung der Zölle auf Autoimporte der USA aus der EU auf 25 Prozent; Vergeltungszölle von 22 Prozent auf ­Warenimporte im gleichen Wert der EU aus den USA

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Quelle: Institut der deutschen Wirtschaft

100,5

Basis

zweite Amtszeit von zwei noch verbliebenen „Richtern“. Dann käme das Aus für die Berufungsinstanz, wenn es nicht gelingt, vorher die Blockade aufzuheben. Die WTO droht damit ein Alleinstellungsmerkmal zu verlieren, das sie von allen anderen internationalen


Foto: European Union, 2019, Tasos Katopodis

AKTUELL Internationaler Handel

Einschätzung des Streitbeilegungsmechanismus. Während die Europäer, vermutlich auch wegen ihrer Erfahrungen mit dem europäischen Gerichtshof keine Probleme damit haben, dass die Berufungsinstanz zulasten der Souveränität der Mitgliedstaaten das Recht weiterentwickelt, sehen die Amerikaner darin eine Überschreitung des vertraglich gewährten Mandats. Sie werfen ihr auch vor, unzulässige obiter dicta zu verfassen und Rechtsmeinungen zu äußern, wo dies nicht entscheidungserheblich sei. Der EU kommt das Verdienst zu, mit ihren sehr konkreten Vorschlägen eine Phase beendet zu haben, in der ein sachlicher Austausch nicht statt-

et den globalen Handel

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sel hält. Das Diskriminierungsverbot gilt. Die Inländergleichbehandlung wird beachtet. Subventionen werden notifiziert – zwar nicht in ausreichendem Maße und die Stärkung der Modifizierungsdisziplin ist deshalb ­ Gegenstand von Initiativen. Es gibt einen Run auf das Gerichtswesen. Noch nie waren gleichzeitig so viele Klagen in der ersten Instanz anhängig wie heute. Das zeigt, dass die Mitglieder diese zivilisierte Form der Auseinandersetzung weiterhin für die richtige Art der Konfliktbewältigung halten. Dies macht es umso mehr erforderlich, die Blockade bei der Nachbesetzung der Richterstellen in der Berufungsinstanz aufzulösen. Dazu hat die EU unterstützt von anderen Mitgliedstaaten Vorschläge unterbreitet, die in detaillierter Form eine jede der amerikanischen Beschwerden über das Berufungsgericht aufnehmen. Die Amerikaner sind unter anderem unzufrieden, weil die Berufungsinstanz ihrer Meinung nach ihre Befugnisse überschritten und das Recht weiterentwickelt hat. Hier offenbart sich eine grundsätzlich unterschiedliche

Autor Dr. Karl Brauner Stellvertretender Generaldirektor Welthandelsorganisation WTO Foto: WTO

­rganisationen unterscheidet. Nur O die WTO bietet ein solches gerichts­­ ähnliches Verfahren, das verpflichtend ist und dem sich alle ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates ­ unterworfen haben. Es ist verpflichtend, weil sich kein Staat dem Verfahren entziehen kann, wenn es von einem anderen Staat verklagt wird. Nur in der WTO haben sich die ­Amerikaner auf ein ­solches Verfahren eingelassen. Die Möglichkeit eines Mitgliedstaates einen anderen wegen eines Regelverstoßes zu verklagen und die Einhaltung des Rechts durchzusetzen, ist eine wesentliche Grundlage für die von der WTO gebotene Transparenz, Vorhersehbarkeit und Rechtssicherheit. Noch funktioniert das System. Bezieht man die WTO rechtskonformen bilateralen Freihandelsabkommen mit ein, dann folgt auch heute noch mehr als 90 Prozent des Welthandels nach den Regeln der WTO. Das System erweist sich noch als widerstandsfähig. Die meisten Mitgliedsstaaten sind um Vertragskonformität bemüht. Die Meistbegünstigungsklau-

„Nur die WTO bietet ein gerichts­­ ähnliches Verfahren, das verpflich­ tend ist und dem sich alle ständigen ­Mitglieder des UN-Sicherheitsrates unterworfen haben.“ fand und nur bekannte Positionen wiederholt wurden. Die Krise um die Berufungsinstanz und die offen ausgetragenen Handelskonflikte haben zudem eine allgemeine Reformdebatte ausgelöst. Damit könnte sich die Krise in eine Chance wandeln. Immerhin gibt es neue Initiativen zum Beispiel zu e-commerce und Investitionsentscheidungen, die von einer großen Zahl von Mitgliedstaaten in unterschiedlichen Konfigurationen voranl getrieben werden.

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AKTUELL Fachkräfteeinwanderung

Deutschland braucht eine Fachkräftesicherungsstrategie, die überwiegend auf der Mobilisierung von Menschen in Deutschland und der Europäischen Union fußt. Die dritte Säule, das Fachkräf­ teeinwanderungsgesetz, setzt dann einen klaren Rahmen für die Zuwanderung aus Drittstaaten.

D

er Fachkräftemangel entwickelt sich zur Wachstumsbremse für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft. Über 183.000 Stellen in Mangelberufen sind nicht besetzt, insbesondere im Bereich Gesundheit und Pflege, IT, Metall- und Elektroindustrie, Handwerk und Bau. Die Auftragsbücher allerdings sind voll. Hinzu kommt, dass die Babyboomer bald in Rente gehen. Wenn die Bevölkerung nicht überaltern soll, ist Deutschland auf Zuwanderer angewiesen. Allerdings ist für mich klar, dass Deutschland, wie andere Einwanderungsländer, selbst entscheidet, wen es braucht. Um Wohlstand und Wachstum zu sichern, braucht unsere Industrienation Fachkräfte und keine Geringqualifizierten, die ihre Arbeitsplätze beim nächsten Abschwung verlieren und dauerhaft auf staatliche Unterstützung angewiesen sind.

Eines ist klar: Das im Dezember verabschiedete Fachkräfteeinwanderungsgesetz ist ein wichtiger Baustein, aber nicht das Allheilmittel gegen Fachkräftemangel. Die Fachkräftegewinnung aus Drittstaaten kann nur eine von drei Säulen einer Fachkräftestrategie sein, die vorrangig das inländische Arbeitskräftepotential und das aus der EU aktiviert. Für die erste Dimension einer solchen Strategie gilt es Mütter, Ältere, Menschen mit Behinderung oder Langzeitarbeitslose zu mobilisieren. Das setzt Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf, flexiblere Arbeitszeitmodelle und Weiterbildungsmöglichkeiten voraus. Ein weiterer Königsweg ist das duale Ausbildungssystem, das uns eine der geringsten Jugendarbeitslosigkeitsquoten im internationalen Vergleich beschert. Hier geht es um eine Imageaufwertung der „Karriere mit Lehre“.

Wie bedeutsam die parallele Ausbildung in Betrieb und Berufsschule für unser Wachstum ist, zeigt sich am Beispiel des Handwerks. Nirgendwo ist der Fachkräfteengpass deutlicher zu spüren. Zuletzt konnte mehr als jeder zehnte der insgesamt 162.700 Ausbildungsplätze nicht besetzt werden. Der Staat kann diese Last nicht allein tragen. Auch die Wirtschaft muss sich mehr anstrengen, Fachkräfte aus der ersten und zweiten Säule zu aktivieren. Kluge Köpfe sind einer der wichtigsten Standortfaktoren. Im Wettbewerb um die Talente von morgen gilt es daher, als dritte Säule, unsere Industrienation attraktiver für top ausgebildete Menschen aus Drittstaaten zu machen. Voraussetzung ist ein klarer rechtlicher Rahmen. So kamen über die EU-Blue-Card für Hochqualifizierte 2016 weniger als 10.000 Menschen nach Deutschland, das sind nicht einmal zwei Prozent ­aller

Deutschland muss sich seine Einwanderer aussuchen dürfen 26

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AKTUELL Fachkräfteeinwanderung

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„Wir als Union wollen nicht, dass die durch Zuwanderung verbundenen Gewinne privatisiert, damit verbundene Risiken jedoch sozialisiert werden.“ Autor Dr. Joachim Pfeiffer MdB

Foto: DOGMA, Tom Bilger

bundene Risiken jedoch sozialisiert werden. Es ist daher wenig sinnvoll, die Zeitarbeit für die Zuwanderung aus Drittstaaten zu öffnen. Mehr als die Hälfte der Zeitarbeiter sind geringer Qualifizierte und die Tätigkeit nicht auf lange Frist angelegt. Sinkt die Nachfrage, stehen die betroffenen Mitarbeiter schnell auf der Straße. Und was dann? Der Staat sollte dann nicht einspringen müssen und für den Zugewanderten die Lebenshaltungskosten tragen. Das ist nicht der Sinn dieser Veranstaltung. Kurzum: Zuwanderung muss Deutschland nutzen, nicht schaden. Eine Zuwanderung in die sozialen Sicherungssysteme darf es nicht geben! Zudem müssen wir bei der Fachkräftezuwanderung darauf achten, dass die Unterschiede zwischen humanitärer und arbeitsmarktbedingter Zuwanderung nicht vermischt werden, um keine Anreize für (illegale) Migration zu erzeugen. Gesprächsbedarf sehen wir im parlamentarischen Verfahren deshalb insbesondere mit Blick auf die Einführung einer „Beschäftigungsduldung“. Unser Anspruch ist es, Migration zu ordnen, zu steuern und die illegale Migration

Foto: Fotolia.com ©Monkey Business

einreisenden Nicht-Europäer. Zum Vergleich: Nach Kanada, ein Land mit halb so vielen Einwohnern, wanderten 2016 fast 21.000 hochqualifizierte Menschen ein. Das von der Großen Koalition auf den Weg gebrachte Fachkräfteeinwanderungsgesetz ist ein wichtiger Schritt. Nach jahrzehntelangem Ringen macht Deutschland damit klar: Ja, wir sind ein Einwanderungsland und ja, wir wollen den Zuzug von qualifizierten Fachkräften außerhalb der EU. Dieses Gesetz kann nur die dritte Dimension einer Fachkräftesicherungsstrategie sein, die den Rechtsrahmen für die Fachkräftezuwanderung aus Drittländern verbessert. Insbesondere für Menschen mit Berufsqualifikation, schafft das neue Gesetz klare Erleichterungen. Das ist eine richtige Weichenstellung. Die Fachkräftestrategie darf sich nicht am kurzfristigen ökonomischen Bedarf orientieren. Die langfristigen gesellschaftlichen Folgen sowie die Konsequenzen für wirtschaftlich schwierige Zeiten müssen bedacht werden. Wir als Union wollen nicht, dass die mit Zuwanderung verbundenen Gewinne privatisiert, damit ver-

Wirtschafts- und energiepolitischer Sprecher CDU/CSU-Bundestagsfraktion

weiter zu begrenzen. Regeln für mehr Zuwanderung sind nur dann vermittelbar, wenn sie sich streng an diesen Maximen orientieren. Wie groß der Bedarf an ausländischen Fachkräften ist, zeigen Statistiken: Eine Bertelsmann-Studie kommt zu dem Ergebnis, dass bis 2060 jährlich mindestens 260.000 Menschen einwandern müssten, um unseren Fachkräftebedarf zu decken. Daran lässt sich ablesen, dass es mit der Anwerbung und Einwanderung allein nicht getan ist. Auch die Bedingungen für einen dauerhaften Aufenthalt müssen verbessert werden, etwa durch die schnellere Erlaubnis sich unbefristet niederzulassen und leichtere Einbürgerungen. Soll Migration erfolgreich sein, gilt es, unsere Willkommenskultur wiederzubeleben durch attraktive Angebote für wirtschaftliche und gesellschaftliche Teilhabe sowie modernste Infrastruktur. Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz ist eine Chance, die es jetzt zu nutzen gilt – vom Staat, der Privatwirtschaft, der Zivilgesellschaft, von Städten und Kommunen. Deutschland kann es sich angesichts des demografischen Wandels, der Globalisierung und Digitalisierung nicht leisten, auf Einwanderer aus Drittstaaten zu verzichten. Sonst gefährden wir unseren Wohlstand wie auch unsere sozialen Sicherungssysteme. Deutschland muss wieder eine Sogwirkung auf die fleißigen Tüftler und Erfinder aus der Welt auslösen. Dann ist es auch mit Innovation, gesellschaftlichem und wirtschaftlichem Fortschritt nicht weit. l

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SCHWERPUNKT Finanzmärkte und Euro

Risiken beherrschen, Krisenfestigkeit sichern: Eurozone stabilisieren Burkhard Balz

Mitglied des Vorstands, Deutsche Bundesbank

„Eine stabile Währungsunion ist im Interesse aller.“

I

m letzten Jahr jährte sich die Finanzkrise, die uns bis h ­ eute beschätigt. Die Phase der akuten Krisenmaß­nahmen liegt zum Glück hinter uns. Inzwischen sind viele Probleme angepackt und Reformen auf den Weg gebracht, um das ­Finanzsystem stabiler und die Währungsunion k­ risenfester zu machen. Wir sollten uns damit zum 20. Geburtstag des Euros nicht zufriedengeben: Es liegen große Herausforderungen vor uns. In letzter Zeit haben Kursrückgänge an den Aktienmärkten zu Befürchtungen beigetragen, ein globaler Konjunktureinbruch stünde bevor. Solche Sorgen halte ich für übertrieben. Insgesamt bleiben die Antriebskräfte

des globalen Aufschwungs intakt. Ein moderates globales Wachstum ist jedoch mit einer Reihe von Risiken behaftet, die insbesondere politischer Natur sind: Der Brexit, die Glaubwürdigkeit des fiskalischen Regelwerks im Euroraum, geopolitische Konflikte und Handelsstreitigkeiten. Für mich steht fest: Abschottung führt langfristig in die Sackgasse. Auch in Deutschland mehren sich Sorgen um die Konjunktur. Der wirtschaftliche Aufschwung ist je­ doch intakt. Er dürfte nun stärker getragen werden von binnenwirtschaftlich orientierten Bereichen. Allerdings ­ besteht Bedarf zur Weiterentwicklung der Währungs­ union und weiterer Risikoreduktion im Finanzsystem. Eine stabile Währungsunion ist in unser aller Interesse. In Z ­ eiten e­ rhöhter politischer, und damit auch wirtschaft­ licher ­Unsicherheiten, müssen wir weiter an notwendigen ­Re­formen arbeiten.*

EU-Finanzsektor: Die Chancen überwiegen Prof. Dr. Axel A. Weber

Bundesbankpräsident a.D., Präsident des Verwaltungsrats, UBS Group AG

„EU-Finanzsektor trägt seit zehn Jahren nicht zum Wirtschaftswachstum bei.“

M

it Blick auf den Finanzplatz EU kann man bestenfalls von Stagnation reden, wenn nicht von Schrumpfung. So erreichte die reale Wertschöpfung im EU-Finanzsektor ihren Höhepunkt 2008 und bewegt sich seither seitwärts. Ein in den Vorkrisenzeiten wichtiger Treiber des Wachstums hat damit seit zehn Jahren keinen Beitrag mehr zum Wirtschaftswachstum geleistet. Als Konsequenz ist der Anteil der Finanzdienstleistungen an der Gesamtwirtschaft rückläufig. Mit 3,2 Prozent liegt er heute etwa auf dem Stand von 2001. Dasselbe Bild zeigt sich bei der Beschäftigung. Die Anzahl der Beschäf-

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tigten in der EU im Finanzsektor ist von 3,7 auf 3,3 Millionen gefallen. Alle Indikatoren zeichnen ein ähnliches Bild: Ob Profitabilität, Bilanzgröße oder Marktkapitalisierung – Stagnation oder Schrumpfung. Seit 2008 gab es vier strukturelle Treiber, die auch die Zukunft bestimmen dürften. Die striktere Regulierung: In jedem Land außerhalb der USA wird sich die Regulierung des Finanzsektors auf dem jetzigen Niveau stabilisieren oder schärfer werden. Die Negativzinsen: Es sieht danach aus, dass wir uns in einer Spätphase des Aufschwungs befinden. Die Normalisierung der Zinsen wird deshalb vertagt werden. Auch langfristig spricht wenig für steigende Zinsen. Der technologische Fortschritt: Die Digitalisierung schreitet voran, wodurch sich die traditionellen Gesetze der Ökonomie verändern. Ein unsicheres Umfeld: Die Volatilität hat zuletzt zugelegt und wird wahrscheinlich größer. Aber glauben Sie mir: Aller Risiken zum Trotz überwiegen die Chancen!*

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SCHWERPUNKT Finanzmärkte und Euro

Foto: Fotolia.com ©Grecaud Paul

Finanzplatz stärken

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SCHWERPUNKT Finanzmärkte und Euro

Deutsche Wirtschaftspolitik: Gestalten statt klagen Ralph Brinkhaus

Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion

„Deutschland hat die Chance, Wandel zu gestalten.“

D

ie Welt verändert sich. Sie wird kleiner, schneller und erratischer. Das kann man beklagen. Aber ich sehe darin die große Chance, den Wandel zu gestalten. Wir haben keinen Grund, negativ in die Zukunft zu blicken. Mir gefällt der Sound nicht, wonach die Zukunft immer eine Bedrohung sein soll. Das

ist der Sound der Populisten. Gerade in der Wirtschaftspolitik h ­ aben wir viele Möglichkeiten, die Zukunft zu gestalten. Nach der Banken- und Finanzkrise ist viel reguliert ­worden. Und es ist schnell reguliert worden. Und ja, es ist teilweise auch widersprüchlich reguliert worden. Aber: Viele Menschen werden sich eine neuerliche Finanzkrise und eine weitere Bankenrettung nicht gefallen lassen. Das entbindet uns nicht davon, die Finanzmarktregulierungen von damals auf den Prüfstand zu stellen und gegebenenfalls Anpassungen vorzunehmen.*

Finanzplatz Frankfurt stärken Prof. Dr. h.c. mult. Roland Koch

Ministerpräsident a.D.; Vorsitzender des Aufsichtsrats, UBS Europe SE

„Hier geht es nicht um Lokalpolitik.“

L

assen sich die Finanzplätze London und Frankfurt vergleichen? Bedingt. London hat zehn Mal so viele Mitarbeiter im Finanzsektor. Bei aller Freude, dass aus einem Brexit, den niemand begrüßt, für Frankfurt Posi­ tives erwachsen könnte, heißt es aufzupassen, dass nicht die ­falsche Euphorie entsteht.

Das bedeutet aber nicht, dass daraus nicht wichtige Schritte für Kontinentaleuropa erwachsen können. Eine herausgehobene Stellung Frankfurts ist wichtig, weil es bedeutet, dass prinzipiell ein Agglomerationspunkt der Finanzindustrie in Kontinentaleuropa möglich ist. Wir ­ schaffen nichts Künstliches. Sondern müssen schauen, dass wir aus den Chancen, die auf dem Tisch liegen, ­etwas ­machen. Und wir sollten uns darüber im Klaren sein, dass es nicht um Lokalpolitik geht, sondern um eine­ euro­päische Frage. Frankfurt sollte europäische PS auf die ­Straße ­bringen.*

Europäische Geldpolitik: Fuchs und Igel Dr. Olli Rehn

EU-Währungskommissar a.D.; Governor, Bank of Finland

„Geldpolitik kann nicht alle Probleme der Welt lösen.“

U

nsere gemeinsame Währung reflektiert den Gesamtzustand der Eurozone. Geldpolitik hat ein eigenes Mandat innerhalb der Wirtschaftspolitik. Aber sie kann nicht alle Probleme lösen. Geld- und Wirtschaftspolitik sind interdependent. Preisstabilität ist notwendige Voraussetzung, wenngleich keine Garantie für stabiles Wirt-

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schaftswachstum. Wie bereits Schumpeter wusste: Sind die fundamentalen wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen schwach, spürt man dies auch in der Entwicklung der Geldpolitik. Währungshüter müssen so flexibel sein wie sein Fuchs, zugleich aber beharrlich wie ein Igel, um langfristig ­Preisstabilität zu erreichen. Paradoxerweise benötigen wir heute beides, um höhere Zinssätze durchzusetzen. Wenn die EZB sie zu früh und zu stark anhebt, kann sich dies als kontraproduktiv für die ökonomische Entwicklung er­ weisen – und wir länger in der Nullzinspolitik gefangen bleiben.*

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SCHWERPUNKT Finanzmärkte und Euro

Europa muss zusammenrücken Martin Zielke

Vorsitzender des Vorstands, Commerzbank AG

„Damit Banken die Realwirtschaft unter­stützen können, müssen sie profitabel sein.“

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er Ton in den transatlantischen Beziehungen hat sich verändert. Das müssen wir in Europa zur Kenntnis nehmen. Deutschland und Europa müssen ihre Interessen viel klarer definieren und offensiv vertreten. Konkret: Europa muss enger zusammenrücken. Auch, und gerade in Zeiten des Brexit, muss die EU noch enger zusammenarbeiten und geschlossen mit einer Stimme sprechen. Damit Banken in Zukunft die Realwirtschaft unterstützen können, müssen sie profitabel sein. Die europäische Realwirtschaft wird nach wie vor insbesondere über Banken finanziert. Die Geldhäuser haben seit der Finanzkrise ihre Geschäftsmodelle grundlegend geändert, Risiken abgebaut und Kosten gesenkt. Der Wert internationaler Großbanken für Wohlstand und Wettbewerbsfähigkeit ist nicht zu unterschätzen. Es wäre fatal, wenn wir keine wettbewerbsfähigen Banken mehr hätten.*

Digitalisierung­ ­revolutioniert den Finanzsektor Adam Farkas

Exekutivdirektor, European Banking Authority

„Technologien sind global, und die Player werden immer globaler sein.“

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Foto: Fotolia.com ©Bertold Werkmann

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echnischer Fortschritt war in der Geschichte der Menschheit immer Treiber für Wachstum und Arbeitsplätze. Derzeit verändert die digitale Transformation Wirtschaft und Gesellschaften. Dies betrifft die Finanzmärkte in besonderer Weise. ­Disruptive digitale Geschäftsmodelle haben dem Finanzsektor ­Chancen und H ­ erausforderungen gebracht und transformieren ihn in einen g­ lobalen Marktplatz. Die Technologien sind global, und auch die P ­ layer werden globaler. Wie steht Europa da? Gelingt es hier, neue digitale Geschäftsmodelle im Finanzsektor zu etablieren? Eine Untersuchung von EY stellt für 2017 fest, dass in China 69 Prozent der digital aktiven Bevölkerung FinTech-Dienste nutzen, in Deutschland hingegen nur 35 Prozent. Die Player in der EU müssen „upscalen“, um auf dem weltweiten Markt mithalten zu können. Das betrifft sowohl traditionelle Finanzdienstleister als auch innovative FinTechs.*

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SCHWERPUNKT Finanzmärkte und Euro

Brexit: Auf gute Nachbarschaft Lord Jonathan Hill of Oareford

Former EU Commissioner of Financial Stability, Financial Services and Capital Markets Union; Co-Founder, Prosperity UK

„Großbritannien muss jetzt klären, was der EU-Austritt langfristig für das Land bedeutet.“

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roßbritannien ist selbst für sein Schicksal verantwortlich. Wir müssen deshalb mit Lösungen für einen vernünftigen Brexit aufwarten. Entscheidungen haben Konsequenzen – das heißt, wir müssen klären,

was der Austritt aus der EU langfristig für Großbritannien ­bedeutet. Meiner Ansicht nach mussten wir unser Verhältnis zur EU klären. Großbritannien war nie so eng mit der EU verbunden wie andere Mitgliedsländer. Diese permanente Spannung hat sich etwa in der Entscheidung ausgedrückt, nicht der Eurozone beizutreten. Seither hat sich Großbritannien weiter von der EU entfernt. Ich bin zuversichtlich, dass wir einen No-Deal-Brexit verhindern können. Vielleicht wird Großbritannien außerhalb der EU ja ein entspannterer und weniger paranoider Nachbar.*

Demografie: Epochaler Wandel Felix Hufeld

Präsident der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht

„Die Riester-Rente entwickelt sich trotz vieler Unkenrufe positiv.“

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rognosen lassen wenig Zweifel daran: Die Bevölkerung wird älter und schrumpft trotz Migration. Der alter Adenauer-Satz „Kinder bekommen die Leute ­immer“ gilt noch, aber die Leute bekommen weniger Kinder. Hinzu kommt, dass die Lebenserwartung stetig steigt. Dass ein derart säkularer Trend Einfluss auf

die A ­ ltersvorsorge haben muss, versteht sich von selbst. Der Gesetzgeber hat darauf mit umfassenden Reformen reagiert. Der Verbreitungsgrad betrieblicher Vorsorge stieg von unter 50 Prozent im Jahr 2002 auf rund 60 Prozent. Mehr als 20 Millionen sozialversicherungspflichtige ­Arbeitnehmer besitzen heute eine Anwartschaft auf eine Betriebsrente. Auch die Riester-Rente entwickelt sich trotz vieler Unkenrufe positiv. Der demografische Wandel ist indes eine epochale Herausforderung, für die ein Reformpaket kaum reichen wird. Die Lage der Altersvorsorgesysteme muss regelmäßig evaluiert werden.*

Altersvorsorge: Die Pyramide kippt Dr. Ulrich Störk

Sprecher der Geschäftsführung, PricewaterhouseCoopers GmbH

„Die große Aufgabe Rente stemmt Deutschland nur, wenn Gesellschaft, Politik und Wirtschaft anpacken.“

D

ie gesetzliche Rente ist für viele Menschen hierzulande die stärkste und oft auch einzige Altersvorsorge. Private und betriebliche Altersvorsorge spielen eine nachgeordnete Rolle. Da lohnt der Blick über die

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Landesgrenzen, wo es eine obligatorische betriebliche Altersvorsorge gibt. Derzeit befinden wir uns noch in einer komfortablen Situation, mit einem guten Verhältnis von Leistungszahlern zu Leistungsempfängern. Aber in zehn Jahren wird die Alterspyramide kippen – mit spürbaren Auswirkungen. Wenn wir nicht gegensteuern, liegen die Konsequenzen auf der Hand: Es wird höhere Beiträge geben oder längere Arbeitszeiten oder ein niedrigeres Versorgungsniveau. Oder einen Mix aus allem. Diese große Aufgabe können wir nur stemmen, wenn Gesellschaft, Politik und Wirtschaft gemeinsam anpacken.* (*Auszug Rede Finanzmarktklausur des Wirtschaftsrates 2019)

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SCHWERPUNKT Finanzmärkte und Euro

Europa: Markt, Wettbewerb und Subsidiarität Wolfgang Steiger

Generalsekretär, Wirtschaftsrat der CDU e.V.

„Das Herz der wirtschaftlichen ­Integration ist und bleibt der ­europäische Binnenmarkt.“

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Foto: Fotolia.com ©helmutvogler

uropa muss sich wieder auf die Elemente besinnen, die es wirtschaftlich stark gemacht haben: Markt, Wettbewerb und Subsidiarität. Das Herz der wirtschaftlichen Integration ist und bleibt der europäische Binnenmarkt. An ihm gilt es weiter zu arbeiten. Gemeinsame Projekte bei der Digitalisierung, der Energiepolitik, in den Bereichen Verteidigung und Raumfahrt sowie Infrastrukturinitiativen können die verschütteten Quellen des wirtschaftlichen Wachstums in Europa wieder freilegen und Europa zu einem Powerhouse machen. Die Erneuerung Europas darf nicht aus staatlichen Eingriffen und einer vermehrten Um­verteilung bestehen. Die

Währungsunion kann nur funktionieren, wenn die nationalen Finanz- und Wirtschaftspolitiken ein hinreichendes Maß an Wettbewerbsfähigkeit sicherstellen. Hierfür können weder billiges Notenbankgeld noch Transfers aus Deutschland einen Ersatz darstellen. Eine Lehre der europäischen Krise sollte sein, zu erkennen, in welchen Bereichen eine weitere Integration effektiv wäre – und in welchen Bereichen nicht. Viele der Vorschläge von Präsident Macron setzen auf noch mehr gemeinsame Haftung, Bürokratie und Zentralismus. Mehr Vergemeinschaftung wird die Währungsunion aber nicht stärken, sondern wird dauerhaft zu einer weiteren Spaltung Europas beitragen. Die Probleme von mangelnder Wettbewerbsfähigkeit, zu hoher Verschuldung und überdimensionierter öffentlicher Verwaltung einiger Mitgliedstaaten sind hausgemacht und können auch nur im nationalen Rahmen gelöst werden. Wo nationale Besonderheiten und Identitäten immer mehr negiert werden, steigt zwangsläufig der Unmut am gesamten europäischen Projekt.

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Hintergrundbild: Fotolia.com ©kflgalore

AKTUELL Trend-Grafik

Teuer erkaufte Vorreiterrolle Text und Grafiken: Patricia Schrams

Der Energiewandel in Deutschland bringt den Strommarkt seit einigen Jahren durcheinander. Durch den Ausstieg aus der Atomkraft und den von der Kommission Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung der Bundesregierung beschlossenen Kohleausstieg, verlagert sich der Fokus auf die e­ rneuerbaren Energien. Mit dem EEG-Gesetz sind die Strompreise ­kontinuierlich stark

Von 2000 bis 2025 wird die Energiewende rund

520.000.000.000 Euro kosten!

Quelle: Welt Online, Stand10/2016

gestiegen. In den Grafiken wird deutlich, wie groß die Veränderungen sind.

Strompreis für Haushalte 2019: Drei wesentliche Bestandteile

Strompreise im Jahresvergleich Durchschnittlicher Strompreis für einen Haushalt in Cent/Kilowattstunde

Durchschnittliche Zusammensetzung des Strompreises 2019 für ­einen Haushalt in Deutschland mit 3.500 kWh Jahresverbrauch

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Gesamtpreis für private Haushalte 30 25

Steuern, Abgaben und Umlagen

52,8 %

20

Gesamtpreis für Industrie

Quelle: bdew, Stand: 01/2019

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10

Strombeschaffung, Vertrieb

davon EEG-Umlage 5 0 2010

2011

2012

2013

2014

2015

2016

2017

2018

2019

22,8 %

marktlich bestimmt

* durchschnittliches Netto-Netzentgelt inkl. Entgelte für Messung und Mess­stellen­ betrieb, kann regional deutlich variieren

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Quelle: BDEW, Stand: 01/2019

Regulierte Netzentgelte* 24,4 % (inkl. Messung und Messstellenbetrieb)

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AKTUELL Trend-Grafik

Stromerzeugung 2019 allgemein

Nettostromerzeugung von Kraftwerken zur öffentlichen Stromversorgung (Anteile in Prozent)

Gas 10,1

Wasserkraft 2,63

Kernenergie 12,68

Solar 3,09

Steinkohle 14,32

Biomasse 7,11

Quelle: Fraunhofer Institut

Braunkohle 19,21

Wind 25,57

Öl 0,28 Andere 5,01 Gesamtanteil konventionelle Stromerzeung

61,6

Gesamtanteil erneuerbare Energien

Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien 2017

38,4

(Anteile in Prozent)

Gesamtsumme: 216,3 TWh 1 TWh entspricht 1 Milliarde kWh Photovoltaik 18,2

Quelle: Bundesumweltamt, Stand: 12/2018

Onshore Windkraft 40,7

Offshore Windkraft 8,2

b iogene Festbrennstoffe 4,9 biogene flüssige Brennstoffe 0,2

Biogas 13,6

Wasserkraft 9,3

Co2-Emissionen bei der Stromerzeugung in Deutschland nach Art der Erzeugung

Biomethan 1,3 Klärgas 0,7 Deponiegas 0,2 Geothermie 0,1 biogener Anteil des Abfalls 2,8

(in Gramm pro Kilowattstunde) Braunkohle 1.000 Steinkohle 810

Quelle: Statista Online, Stand 2010

Erdgas 377 Photovoltaik 89 Wasserkraft 39 Atomkraft 27 Windpark onshore 24 Windpark offshore 23

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Hintergrundbild: Fotolia.com ©Oskar

AKTUELL Energiepolitik

Endlich zurück zum Markt! I

n Irsching nahe Ingolstadt lässt sich der Irrsinn der deutschen Energiewende auf ein paar Hektar Fläche besichtigen. Dort nahm E.ON, heute Uniper, 2010 zwei Gaskraftwerksblöcke in Betrieb, die bis heute mit einem Wirkungsgrad über 60 Prozent zu den modernsten und emissionsärmsten Europas zählen. Das Kraftwerk steht allerdings still: Da die Menge der Energie aus Windund Solaranlagen unabhängig von der Nachfrage anfällt und den Preis an der Strombörse drückt, kann die Anlage wie viele Gaskraftwerke nicht mehr kostendeckend arbeiten. Sie bleibt zwangsweise betriebsbereit – weil die Bundesnetzagentur das Kraftwerk als „systemrelevant“ einstuft. Gleichzeitig baut Uniper direkt neben den eingemotteten Blöcken im Auftrag des Übertragungsnetz-Betreibers Tennet ein neues Gaskraftwerk. Der Grund: Tennet braucht Kraftwerkskapazität in Süddeutschland, denn 2022 soll das letzte Kernkraftwerk vom Netz gehen. Bis dahin wird die Trasse, die den Windstrom vom zugigen Norden in den industriereichen Süden leiten soll, längst nicht fertig sein. Auf Wirtschaftlichkeit muss Tennet bei seinem Notkraftwerk nicht schauen. Das Unternehmen kann die Kosten auf die Netzentgelte umlegen, die (fast) alle Stromkunden zahlen. Aber wäre es nicht naheliegend als Puffer erst einmal das schon bestehende Kraftwerk zu nutzen? Ja – aber das

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würde nicht reichen. Die Stromlücke wird wegen dem Atomausstieg ab 2022 und fehlenden Trassen so weit aufgerissen, dass teure Zusatzkapazitäten entstehen müssen, die die Allgemeinheit bezahlt. Die Energiewende wirkt gut neunzehn Jahre nach Inkrafttreten des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) wie der Flughafen BER im Riesenformat: Die Verantwortlichen, so scheint es, haben den Überblick verloren. Kürzlich hielt das „Wall Street Journal“ der deutschen Regierung vor, die „dümmste Energiepolitik der Welt“ zu betreiben. Zu ähnlichem Urteil – nur nüchterner formuliert – kam im September 2018 der Bundesrechnungshof: „Trotz des erheblichen Einsatzes von Personal und Finanzmitteln erreicht Deutschland die Ziele bei der Umsetzung der Energiewende bisher überwiegend nicht.“ Vor allem nicht das oberste Ziel des gesamten Unternehmens. Denn trotz eines mit hunderten Milliarden Euro geförderten Solar-, Wind- und Biogas-Kraftwerksparks, der mittlerweile im Jahresschnitt 35 Prozent der Stromproduktion übernimmt, stagnieren die Treibhausemissionen Deutschlands seit Jahren – 2014 waren es 904, 2015 um die 902, 2016 gut 909 und 2017 rund 905 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente. Hauptgrund: Während der niedrige Börsenpreis für

Strom emissionsarme Gaskraftwerke unwirtschaftlich macht, laufen vor allem alte abgeschriebene Kohlekraftwerke oft auf Volllast. An dieser Bilanz wird sich auch durch den horrend teuren Ausstieg Deutschlands aus der Kohleverstromung mit Stilllegungskosten um 600 Millionen Euro pro Gigawatt installierter Leistung so schnell nichts ändern. Denn erstens kommt es zunächst zu einem Rebound-Effekt: Versorger dürften die Kapazitäten auf die verbliebenen Kraftwerke konzentrieren. Da zweitens Speicherlösungen zu annähernd marktfähigen Preisen auf längere Sicht nicht zur Verfügung stehen und die Erneuerbaren auch künftig in der so genannten Dunkelflaute oft weniger als fünf Prozent des Strombedarfs decken, braucht das Industrieland Deutschland noch auf Jahrzehnte hinaus praktisch hundert Prozent nicht-grüne, grundlastfähige Kraftwerkskapazität. Zwischen Flensburg und den Alpen wird also auch nach 2022 oft Atomstrom durch die Leitungen fließen, und auch nach 2038 Kohlestrom. Er wird nur nicht mehr Made in Germany sein. Wenn polnischer Kohlestrom an trüben Wintertagen künftig die Lücke füllt, wird die Bundesrepublik zwar ihre CO2-Einsparung feiern – in Wirklich-

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AKTUELL Energiepolitik

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Autor Alexander Wendt Redakteur Focus Foto: privat

keit werden sich Millionen Tonnen an Emissionen aber nur verlagern. Den Erneuerbaren selbst steht ein tiefer Einschnitt bevor. Das EEG vom 1. April 2000 garantierte Grünstrom-Anlagenbetreibern Subventio­ nen auf 20 Jahre. Ab 2020 fallen die ältesten Anlagen aus der Förderung. Sehr viele dürften das wirtschaftlich nicht überleben. Schon nach dem im Januar 2017 eingeführten Wechsel von der festen Vergütung pro Kilowattstunde zum Ausschreibungsmodell, in dem der Anbieter mit geringstem Subventionsbedarf den Zuschlag e­rhält, brach der Ausbau der Windenergie nach Angaben der „Fachagentur Windenergie an Land“ im 1. Halbjahr 2018 um 31 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum ein. Wenn alte Wind- und Solaranlagen vom Markt verschwinden, der Zubau neuer sehr gedämpft vorangeht, wenn bis 2022 die letzten Atommeiler vom Netz gehen und Schritt für Schritt auch Kohlekraftwerke, dann dürfte das zu einem moderaten Anstieg an der Strombörse führen. Schon jetzt liegt der durchschnittliche Kilowattstunden-Preis zwischen 4,5 und fünf Cent. Auf diesen Trend jedenfalls wettet der Versorger EnBW. Er plant für 2020 den dann größten Solarpark Deutschlands im brandenburgischen Weesow-Wilmersdorf mit 175 Megawatt installierter Leistung – und Null Cent Subventionen. Mit den neuesten, im Preis stark gefallenen Solarmodulen aus China und einem Börsenstrompreis ab etwa sechs Cent könnte sich das Wagnis rechnen. Das gleiche Unternehmen will ab 2025 auch den 900-Megawatt-Offshorewindpark „He

„Trotz eines mit hunderten Milliarden Euro geförderten Solar-, Wind- und Biogas-Kraftwerksparks, der rund 35 Prozent der Strom­ produktion übernimmt, stagnieren die Treibhausemissionen Deutschlands seit Jahren.“ Dreiht“ in Betrieb nehmen – ebenfalls subventionsfrei. Ob die Kalkulation aufgeht, muss sich zeigen. Aber dass ein Unternehmen eine freie Stromvermarktung für machbar hält, müsste für die Politik das Signal sein, das EEG endlich zu streichen. Steigende Strompreise an der Börse könnten auch Gaskraftwerke wieder profitabel machen. Käme dann noch eine CO2-Besteuerung direkt am Schornstein wie in den USA dazu anstelle des wirkungslosen europäischen Zertifikatehandels, würden viele Versorger ganz ohne planwirtschaftliche Vorgaben aus der Kohleverstromung aussteigen. Genau so – mit einer CO2-Steuer plus massivem Schiefergas-Fracking – geht übrigens die USA seit Jahren vor. Anders als in Deutschland fallen die Kohlendioxidemissionen dort seit 2014. Hauptgrund: von Jahr zu Jahr sank die Menge der verfeuerten Kohle. l

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SCHWERPUNKT Handel und Ernährung

Alltag und gesunde Ernährung vereinbaren lernen E rnährung ist doch Privatsache.“ Das ist ein Satz, den ich immer wieder höre, wenn Politik sich mit Themen rund ums Essen befasst. Das stimmt zum großen Teil, aber eben nicht zu hundert Prozent. Ernährung hat viele Aspekte: Als grundlegender Bestandteil unseres Lebens kann sie einen wichtigen Beitrag leisten, um Wohlbefinden, Gesundheit und Leistungsfähigkeit zu erhalten. Eine unausgewogene Ernäh-

Autorin Julia Klöckner Foto: Torsten Silz

Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft

„Ziel der Strategie ist es deshalb, bei Fertigprodukten die Kalorien­ zahl zu senken und gleichzeitig die Nährstoffversorgung nicht aus dem Blick zu verlieren.“ 38

rung hat vielfältige negative Folgen: Sie kann zum einen zu einer unzureichenden Versorgung mit Nährstoffen, zum anderen zu Übergewicht und Adipositas sowie Folgeerkrankungen führen. Letzteres wird immer mehr zu einem bundesweiten Problem. In Deutschland sind nahezu 50 Prozent der Frauen und mehr als 60 Prozent der Männer übergewichtig. Fast ein Fünftel der Erwachsenen ist sogar adipös, also krankhaft übergewichtig. Besonders problematisch ist die Häufigkeit von Übergewicht bereits in jungen Jahren. So sind bereits mehr als 15 Prozent unserer Kinder und Jugendlichen übergewichtig. Auch angesichts dieser Zahlen bleiben viele dabei, dass jeder selbst dafür verantwortlich ist, wenn er durch Fehlernährung und Übergewicht Krankheiten begünstigt, wie etwa die klassischen ernährungsmitbedingten Krankheiten Diabetes oder Bluthochdruck. Aber Krankheiten bedeuten eben nicht nur individuelles Leid, sondern sie haben auch gravierende wirtschaftliche Folgen. Also alles Privatsache?

Gehen wir noch einen Schritt weiter: Spätestens bei unseren Kindern und Jugendlichen kann Ernährung keine Privatsache mehr sein. Sondern ein Grund zu handeln, auch als Bundesregierung. Denn wir haben hier eine Fürsorgepflicht. Deshalb handeln wir. Mit dem Ziel, eine gesunde Ernährung zur einfachen Wahl zu machen. Und um eine neue Vereinbarkeit von Alltag und gesunder Ernährung zu schaffen. Ziel: Gesunde Wahl leicht machen Deshalb haben wir eine „Nationale Reduktions- und Innovationsstrategie für Zucker, Fette und Salz in Fertigprodukten“ auf den Weg gebracht, wie es der Koalitionsvertrag vorsieht. Auch wenn es grundsätzlich empfehlenswert ist, selbst und mit frischen Zutaten zu kochen, sind Fertigprodukte Teil unseres Alltags geworden. Tatsache ist aber, dass sie oft nicht nur eine große Menge an Energie, sondern auch viel Zucker, Fette oder Salz enthalten. Ziel der Strategie ist es deshalb, bei Fertigprodukten die Kalorienzahl zu senken und gleichzeitig die Nähr-

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Foto: Fotolia.com ©Kzenon

nitoring: Auf einer Internetplattform sind alle Fortschritte einsehbar. Zusätzlich haben wir ein Begleitgremium eingerichtet, in dem Vertreter der Bundesregierung, der Bundesländer und verschiedener Verbände vertreten sind. Und, ganz wichtig: In dem die Wissenschaft eine wichtige Rolle spielt.

Viele Deutsche leiden unter Übergewicht. Oftmals einhergehend mit gravierenden Folgen wie Diabetes oder Bluthochdruck. ­Deshalb gilt seit Jahresanfang für Fertigprodukte die nationale Reduktions- und Inno­vationsstrategie für Zucker, Fette und Salz, die helfen soll, diesen Umstand zu überwinden. stoffversorgung nicht aus dem Blick zu verlieren. Außerdem soll der Gehalt an Salz und industriellen trans-Fettsäuren weiter reduziert werden. Das Rückgrat unserer Strategie bilden konkrete Prozess- und Zielvereinbarungen, die von der Wirtschaft erarbeitet und umgesetzt werden. Dabei geht es darum, dass wir uns jede Produktgruppe genau ansehen. Pauschale Zielvorgaben über alle Lebensmittelgruppen hinweg machen wissenschaftlich keinen Sinn: Wenn bei einem Fertigprodukt etwa der Zuckergehalt gesenkt, dafür aber Fett zugesetzt wird, haben wir für die Gesamtkalorienzahl des Produktes nichts gewonnen. Gleichzeitig wollen wir das Innovationspotential der Wirtschaft herausfordern. Und das geht nicht, indem

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wir uns als Politik in Rezepturen einmischen. Sondern indem wir fordern – und Innovationen fördern. Gerade unsere Kleinsten sind besonders zu schützen. Das Erlernen gesunden Essverhaltens fängt bei ihnen an. Die Wissenschaft ist sich einig, dass Säuglinge bei der Einführung der Beikost so wenig zugesetzten Zucker wie möglich zu sich nehmen sollen. Dabei ist Wasser das Getränk der Wahl. Deshalb werden wir zugesetzten Zucker und andere süßende Zutaten in Säuglings- und Kleinkindertees verbieten. Gleichzeitig werden wir uns in Brüssel dafür einsetzen, dass in Beikost wie Getreidebrei mit Milch oder Obst so wenig Zucker wie möglich zugesetzt werden darf. Die Strategie begleiten wir durch ein transparentes, engmaschiges Mo-

Investitionen in die Innovationsförderung Einen weiteren Schwerpunkt bildet die Forschungs- und Innovationsförderung. Gerade für das Lebensmittelhandwerk, aber auch für die vielen kleinen und mittelständischen Unternehmen, wollen wir dafür sorgen, dass sie nicht gegenüber den Forschungsund Entwicklungslabors der großen Unternehmen ins Hintertreffen geraten. Meinem Ministerium stehen für die Innovationsförderung jährlich 56 Millionen Euro zur Verfügung. Damit werden wir gezielt Forschungslücken identifizieren und weitere wissenschaftliche Arbeiten zur Reduktion von Zucker, Fetten und Salz in Lebensmitteln fördern. Ein Beispiel: Mit rund 1,6 Millionen Euro fördern wir ein Forschungsvorhaben mit dem Ziel, aus der Zuckerrübe einen neuartigen, kalorienarmen Zucker zu gewinnen. Ernährungskompetenz der Bevölkerung stärken Alltag und gesundes Genießen vereinbar machen – dazu gehört auch, dass wir gut darüber informiert sind, was eine ausgewogene Ernährung bedeutet. Dass wir intuitiv zu den richtigen Produkten greifen und die richtigen Entscheidungen treffen. Die dritte Säule der Strategie bildet deshalb die Stärkung der Ernährungskompetenz der Bevölkerung. Denn egal ob beim Einkauf, in der Kantine oder zu Hause: Ich möchte die gesunde Wahl zur einfachen Wahl machen. Und ich bin überzeugt davon, dass wir mit der vorgelegten Strategie einen ausgezeichneten Maßnahmenmix gefunden haben, damit eine ausgewogene, schmackhafte und abwechslungsreiche Ernährung gelebter Alltag wird. Denn Essen ist Genuss l – und das soll auch so bleiben.

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Reformulierung von Leb ein Beitrag zur Zucker, Salz und Fett – diese Zutaten wird die ­Lebensmittelindustrie jetzt freiwillig in ihren P ­ rodukten reduzieren. ­Interessant wird sein, ob die Verbraucher ihre E ­ inkaufskultur dann verändern.

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harakteristisch für Deutschlands Bevölkerung ist ein hoher Anteil an Übergewicht und Adipositas. Die Prävalenz ist in den letzten Jahren noch weiter angestiegen, wenn auch nur leicht. Danach sind 36,4 Prozent der Deutschen übergewichtig und 16,3 Prozent adipös. Es gibt typische Unterschiede im Altersverlauf und beim Geschlecht. Auch bei Kindern und Jugendlichen spielt Übergewicht und Adipositas eine Rolle. Daten der Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland (KIGGS) – Welle 2, zeigen im Durchschnitt bei 15,4 Prozent der Kinder und Jugendlichen Übergewicht, Adipositas bei 5,5 Prozent der Mädchen und 6,3 Prozent der Jungen. Im Vergleich zur KIGGS-Basisstudie im Jahr 2008 haben sich die Zahlen kaum verändert. Ein wesentlicher Einflussfaktor für die Häufigkeit von Adipositas ist das jeweilige sozioökonomische Level. Übergewicht muss nicht unbedingt zu Krankheiten führen. Allerdings ist bei Adipositas das Risiko an Bluthochdruck, Herz-Kreislauferkrankungen, Schlaganfall oder Diabetes mellitus Typ 2 zu erkranken, deutlich erhöht. Auch viele Krebsarten wie Brustkrebs oder das Coloncarcinom treten vermehrt auf. Eine Umkehr von dieser unerwünschten Entwicklung könnte mit einer gesundheitsfördernden Ernäh-

rung gelingen, wie sie die zehn Regeln der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) beschreiben. Zentrales Anliegen ist die Prävention von Krankheiten sowie die Förderung von Leistung und Wohlempfinden. Die Regeln lauten in der Kurzform: Lebensmittelvielfalt genießen, Gemüse und Obst – nimm 5 am Tag, Vollkorn wählen, mit tierischen Lebensmitteln die Auswahl ergänzen, gesundheitsfördernde Fette nutzen, Zucker und Salz einsparen, am besten Wasser trinken, schonend zubereiten, achtsam essen und genießen, auf das Gewicht achten und in Bewegung bleiben. Da kein Lebensmittel allein alle Nährstoffe in der wünschenswerten

Zusammensetzung enthält, erlauben die zehn Regeln eine große Diversität in der persönlichen Ernährung, sie lassen Raum für kulturelle und regionale Besonderheiten. Der Lebensmittelmarkt in Europa weist eine große Palette an Produkten auf. Einschlägig ausgebildete und interessierte Verbraucher werden ungeachtet der für Laien nicht einfachen Kennzeichnung von Produkten sichere Einkaufsentscheidungen treffen, andere sind darauf angewiesen, dass Produkte im Sinne der „healthy choices“ die leichtere Wahl zulassen. Eine Fokussierung der Reformulierung auf den Gesamtenergiegehalt von Lebensmitteln, den Fettgehalt und die Fettqualität, den Zucker- und

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ebensmitteln – Gesundheitsförderung? Stand 4/2015

Etwa 20 bis 30 Millionen Bundesbürger haben Bluthochdruck

Das ist fast jeder Dritte in Deutschland

Quelle: Epidemiologisches Bulletin 5/2015, Robert-Koch-Institut, Berlin www.hochdruckliga.de

S­ alzgehalt ist begründet und lässt sich aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Stellungnahmen ableiten. Siehe hierzu etwa die Stellungnahme der DGE zum Salzkonsum von 2016 oder das Konsensuspapier von DGE, Deutsche Adipositas Gesellschaft e.V. (DAG) und Deutsche Diabetes Gesellschaft e.V. DDG zu den quantitativen Empfehlungen für Zucker aus dem Dezember 2018. Das Max-Rubner-Institut (MRI) in Karlsruhe hatte bereits 2016 häufig im Lebensmittelhandel eingekaufte Produkte untersucht und Empfehlungen zum Beispiel für die Reduktion von Zucker- und Salzgehalten ausgesprochen. Darüber hinaus sind bei bestimmten Produkten konkrete Rezep-

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turveränderungen erprobt worden, um neben Geschmacksveränderungen auch die technologische Umsetzbarkeit sicherzustellen. Im Rahmen der „Nationalen Reduktions- und Innovationsstrategie für Zucker, Fette und Salz in Fertigprodukten“ wurde darüber hinaus ein Monitoring beauftragt, dessen Ergebnisse mit Spannung erwartet werden. Besonders interessant dürfte in diesem Kontext sein, ob Verbraucher ihr Einkaufsverhalten ändern, wenn Rezepturen nicht mehr die gewohnten Mengen geschmacksgebender Inhaltsstoffe aufweisen. Eine Befürchtung, die besonders häufig geäußert wird. Ergebnisse zu Effekten reformulierter Lebensmittel liegen bislang nur aus dem Ausland vor. Hier zeichnet sich ab, dass die Maßnahme in jedem Fall in eine Gesamtstrategie eingebun-

den werden muss, die sowohl Lebensstil relevante Aspekte wie Bewegung und Stressbewältigung als auch das Social Marketing oder eine verbraucherfreundliche Kennzeichnung von Lebensmitteln einschließt. Ausschlaggebend für die Prävention von Krankheiten ist letztlich das Verzehrmuster. Dabei stehen insbesondere die Vermeidung von Herz-Kreislauferkrankungen, Schlaganfall, Diabetes Typ 2 und Krebs im Fokus. Systematische Analysen der Global Burden of Disease Study lassen den Schluss zu, dass etwa bei Herz-Kreislauferkrankungen jeder zweite bis dritte Todesfall vermeidbar wäre, sofern die Ernährung ausgewogen und gesundheitsfördernd ist. Autorin Prof. Dr. Ulrike Arens-Azevedo Fakultät Life Sciences Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg

Foto: privat

Starkes Übergewicht erhöht das Risiko für Bluthochdruck

„Ausschlaggebend für die Prävention von Krankheiten ist letztlich das Verzehrmuster.“ Schon deshalb sollte die Industrie ihre Verantwortung wahrnehmen und aktiv einen Beitrag zu einer gesundheitsfördernden Ernährung leisten. Denn von gesundheitsfördernden Lebensmitteln profitieren alle, ungeachtet ihres Ausbildungsstandes oder ihres l Einkommens.

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Gamechanger Fleisch­alternativen Süßlupine: Eine wertvolle Alternative zu Fleisch.

Warum Deutschland veganes Fleisch braucht.

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as ist nach Überzeugung von Eric Schmidt, dem langjährigen Google-Chef, einer der revolutionärsten und wichtigsten Trends der nächsten Jahrzehnte? Autonomes Fahren? 3D-Druck? Künstliche Intelligenz? Nein, es ist: „veganes“ Fleisch. Fleisch, für das kein Tier getötet werden muss, weil es entweder aus Pflanzen oder aus Stammzellen hergestellt wird. Wer wissen möchte, warum Schmidt behauptet, veganes Fleisch sei einer der mächtigsten Game­ changer überhaupt, muss etwas früher ausholen. Schmidt glaubt an eine Reihe von Entwicklungen, die diesen Trend begünstigen. Der Lebensmit-

Autor Foto: Rügenwalder Mühle Carl Müller GmbH & Co. KG

Godo Röben Geschäftsführer Rügenwalder Mühle

„Veganes Fleisch ist der Trend der nächsten Jahrzehnte.“

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telkonzern Nestlé tut dies im Übrigen genauso wie mein Unternehmen und viele weitere mittelständische Betriebe in Deutschland: Zunächst einmal ist der Klimawandel zu nennen. Veganes Fleisch kann weltweit einen enormen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Hinzu kommt der noch immer weit verbreitete Hunger in der Welt. Immer lauter wird infrage gestellt, dass in ärmeren Regionen der Erde auf riesigen Flächen Futtermittel für Tiere angebaut werden, während die Bevölkerung dort noch immer hungert. Würden Futtermittel nicht mehr in den heutigen Mengen gebraucht, stünden in vielen Regionen größere Flächen wieder für die menschliche Nahrung zur Verfügung. Auch das wachsende Gesundheitsbewusstsein der Menschen beeinflusst den Trend zu veganem Fleisch. Die WHO hat 2016 mehr als 700 Studien ausgewertet. Das Ergebnis: Vor allem in Industrienationen konsumieren die Menschen viel zu viel Fleisch – und schaden dadurch sich selbst. Last but not least rückt bei vielen Menschen mehr und mehr das Tierwohl in den Mittelpunkt ihres ­ Denkens: Für eine steigende Zahl ist es nicht mehr tragbar, dass so viele

Tiere in Massentierhaltungen leben müssen. Dabei geht es nicht um kompletten Verzicht: Schon 25 Prozent weniger tierische Lebensmittel wie Käse, Joghurt, Milch, Fleisch und Wurst, ­ können auch in Deutschland Millionen Tonnen Kohlendioxid einsparen. Aber muss traditionelles Fleisch denn durch Fleischalternativen ­ersetzt werden? Schließlich gibt es doch ­Gemüse, Nudeln und vieles mehr. Ja, wir brauchen solche Fleisch­ alternativen! Denn wir Menschen wollen und werden nicht freiwillig auf etwas verzichten. Und weil auch Verbote keine Lösung sind, kommt den Unternehmen eine zentrale Rolle zu: Sie haben die Aufgabe mit Unterstützung der Politik, die vorhandenen Produkte durch attraktive Innova­ tionen wie Strom aus erneuerbaren Energien, Elektro- und Hybridautos und Fleischalternativen aus Pflanzen wie Weizen oder Erbsen besser zu ­machen. Und das schmeckt auch noch richtig lecker, hat den gleichen Biss und sieht genauso aus wie die klassischen Produkte mit Fleisch. Da fällt es den meisten Verbrauchern leicht, auch mal nach den pflanzlichen Angeboten zu l greifen.

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Foto: Jens Schicke

Aufklärung statt Überregulierung

Schlüssel für das Bewusstsein, sich gesund zu ernähren, bleibt der Verbraucher.

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ie Bundesfachkommission Handel, Ernährung, Verbraucherschutz im Wirtschaftsrat setzt auf das Prinzip des mündigen Verbrauchers. Die Lebensmittelwirtschaft zählt als drittgrößter Industriezweig mit rund 570.000 ­ ­­Beschäftigten und 171,3 Milliarden Euro Umsatz zu den bedeutendsten Wirtschaftsfaktoren Deutschlands. Die oftmals mittelständischen Betriebe versorgen die Bevölkerung mit sicheren, hochwertigen Lebensmitteln zu angemessenen Preisen. Die Branche steht für Ernährungswohlstand. Sie gilt es zu stärken und vor ausufernder Bürokratie und Überregulierung zu schützen. Deshalb ist die Freiwilligkeit der Nationalen Reduktions- und Innovationsstrategie zu begrüßen: E Rezeptur und Zusammensetzung der Produkte sind die Essenz der Unternehmen. Eine weitergehende staatliche Regulierung ist ein Angriff auf die geschmackliche Vielfalt, die unternehmerische Freiheit und ein massiver Eingriff in Markenrechte. E Zucker, Fett und Salz sind höchstrelevant für Geschmack, Haltbarkeit, Beschaffenheit, Textur und Konsistenz eines Lebensmittels. Neben ernährungsphysiologischen Wirkungen haben diese Stoffe auch wichtige technologische Funktionen bei der Herstellung. E Die Ernährungswirtschaft orientiert sich am Markt, den Wünschen von Verbrauchern und aktuellen Trends. Entsprechend werden die Rezepturen von Lebensmitteln ständig angepasst, auch der Nähstoffgehalt. So gibt es bereits eine große Vielfalt von Produkten mit reduziertem Zucker-, Fett- bzw. Salzgehalt. Dies gewährleistet für jeden individuellen Ernährungs- und Lebensstil das passende Angebot. E Das Problem des Übergewichts in der Gesellschaft ist äußerst komplex und man kommt ihm nicht mit vermeintlich einfachen Lösungen wie staatlichen Rezepturvorgaben bei. Die Diffamierung einzelner Lebensmittel als „ungesund“ ist jedenfalls keine Lösung, hier ist ein ganzheitliches Konzept gefragt.

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E Die Forschung bestätigt, dass ein untrennbarer Zusammenhang von Kalorienzufuhr und Kalorienverbrauch auf das Gewicht, das Wohlbefinden und die Gesundheit besteht. Der Verbraucher muss wissen, dass er nur so viel Kalorien zu sich nehmen darf, wie er am Tag verbraucht und sich ausgewogen ernähren sollte. Man kann genussvoll essen und Sport treiben oder man sollte seine Ernährungsvorlieben entsprechend anpassen. Dies kann jeder für sich selbst bestimmen. E Für eine von Vernunft gesteuerte Verbraucherpolitik fordert der Wirtschaftsrat eine Orientierung der Verbraucherpolitik am Leitbild des mündigen Verbrauchers, den Verzicht auf dirigistisches „Nudging“ und die Wahlfreiheit des Verbrauchers. E Dazu gehört ein vielfältiges Angebot sowie Wahrheit und Klarheit bei der Produktkennzeichnung zur Unterstützung des Verbrauchers in seiner mündigen Entscheidung. E Eine wichtige Rolle kommt auch der Förderung von ideologiefreier, wissenschaftlicher und objektiver Verbraucheraufklärung und -bildung zu. Zum Beispiel sollte Ernährungsbildung verstärkt Eingang in schulische Lehrpläne finden. Nur ein aufgeklärter Verbraucher ist l ein mündiger Verbraucher.

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Foto: Jens Schicke

STANDPUNKT STEIGER 44

„Der Kampf gegen Armut ist global wie national betrachtet eine Erfolgsgeschichte.“

Wolfgang Steiger Generalsekretär des Wirtschaftsrates der CDU e.V.

Armut ist trotz starker Zuwanderung gesunken

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reißig Jahre nach dem Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus sind Wachstum und Freihandel für viele Linke noch immer ein rotes Tuch. Gegen jede Vernunft gilt es weiterhin als chic, gegen Handelsabkommen oder die „Wachstumsideologie“ zu wettern. Fakt ist aber, dass die Welt dank freier Märkte und Globalisierung in den letzten Jahrzehnten einen historisch beispiellosen Rückgang der Armut erlebt hat. Nicht weniger, sondern mehr Globalisierung und Handel bieten den Menschen Aufstiegschancen und Wohlstand – das gilt überall auf der Erde. Denn mehr Wirtschaftswachstum bedeutet, dass die Kaufkraft steigt und sich die Menschen dadurch mehr Lebensmittel und Konsumgüter leisten können. Nichts b ­ elegt dies ­eindrucksvoller als die Zahlen der Weltbank: Noch 1960 lebte fast die Hälfte der Weltbevölkerung in extremer Armut. Seitdem sind die Armutsraten in allen Weltregionen drastisch gefallen. Im Jahr 1990 mussten 1,9 Milliarden Menschen mit weniger als 1,90 Dollar am Tag auskommen, heute sind es nur noch rund 736 Millionen – und das trotz einer rasant gewachsenen Weltbevölkerung. Damit dürfen wir selbstverständlich nicht zufrieden sein. Ein erwähnenswerter Erfolg ist es aber auf jeden Fall. Doch der Kampf gegen Armut ist nicht nur global, sondern auch national betrachtet eine ­ ­Erfolgsgeschichte. Armutsrate und Armutsrisiko sind für Einheimische ebenso wie für länger hier lebende Migranten dank der guten Wirtschaftslage seit Jahren deutlich zurückgegangen. Wenn Linkspopulisten eine angeblich wachsende Ungleichheit beklagen und als „Beweis“ anführen, dass ein Anstieg der F ­ a­mi­lien

mit Kindern zu verzeichnen ist, die auf Hartz IV angewiesen sind, lassen sie dabei oft bewusst einen entscheidenden Faktor unter den Tisch fallen: Im Zuge der Flüchtlingskrise sind nach und nach Hunderttausende Neuankömmlinge in den Sozialstaat eingewandert, der ihnen ein besseres Leben bietet. Doch trotz dieser starken Zuwanderung ist die Zahl der Hartz-IV-Haushalte erstmals seit der Einführung vor 14 Jahren auf unter drei Millionen gesunken, wie die Bundesagentur für Arbeit meldet. Und auch von mangelnder Umverteilung kann keineswegs die Rede sein: Die Sozialausgaben sind trotz guter Konjunktur rasant gestiegen und steuern inzwischen auf die schwindelerregende Höhe von einer Billion Euro pro Jahr zu. Gleichzeitig bezahlen zehn Prozent der Arbeitnehmer mehr als die Hälfte des Einkommensteueraufkommens. Die untere Einkommenshälfte der Arbeitnehmer hingegen ist ­ nur für 5,5 Prozent aller Einnahmen verantwortlich. Und rund jeder dritte Erwachsene zahlt überhaupt keine Einkommensteuer. Insgesamt belastet kein anderes Industrieland seine Fachkräfte, Handwerker und Unternehmer mit Steuern und Abgaben stärker als Deutschland. Jede Armutsdebatte müsste also für gute Laune sorgen, denn die Fakten weisen eindeutig in eine positive Richtung. Wer mit dem Armutsthema gegen die Globalisierung polemisiert, ignoriert die Realität. Bürgerliche Parteien und Wirtschaftsvertreter haben die Kraft der besseren Argumente auf ihrer Seite. Sie sollten sich offen zu den großartigen Erfolgen in der Welt und insbesondere unserem Land auch mal lautl stark bekennen.

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WIRTSCHAFTSRAT Mitgliederkarte

WirtschaftsratExklusiv

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Neuer Partner kantwert Unsere M ­ itgliederkarte Wirtschaftsrat­Exklusiv entwickelt sich nach dem Start im ­vergangenen Jahr weiter zu einer vielversprechenden Erfolgs­geschichte. Das liegt vor allem daran, dass die Mitgliederkarte von je her mehr als nur ein praktischer Ausweis für unsere Veranstal­tungen oder ein technisches ­Vehikel zu ­Mehrwerten war. Sie geht weit darüber hinaus und steht s­ inntragend für unseren Unternehmer-Dialog.

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n den vergangenen beiden Jahren haben sich mehr als 3.000 Unternehmer bundesweit für eine Mitgliedschaft entschieden. So unterschiedlich deren Expertise und so vielfältig ihre Branchen sind – Umfragen zeigen uns, dass mehr als 80 Prozent dieser Neumitglieder von u ­ nseren ­Zielen, aber auch vom starken unternehmerischen ­Netzwerk unseres Verbandes überzeugt sind. Letzteres haben wir ab dem Jahr 2018 mit der Mitgliederkarte Wirtschaftsrat Exklu­siv noch professioneller aufgestellt. E Business-Clubs Ob am Airport Club Frankfurt, im Berlin Capital Club oder im Industrie-Club Düsseldorf – profitieren Sie als Mitglied des Wirtschaftsrates vom besonderen Flair der Business­ clubs im Bereich von Wirtschaft, Wissenschaft sowie dem politischen und kulturellem Leben. E Hotel-Upgrades Unsere Mitglieder profitieren von HRS-Angeboten sowie bei Verfügbarkeit von kostenlosen Zimmer-Upgrades, unentgeltlichem Parkplatz oder WLAN und können mit einer einzigen Anfrage mehrere Angebote von Hotels für ­Tagungsräumlichkeiten und Gruppenreisen einholen. E kantwert Der BusinessGraph von kantwert visualisiert in einer ­ein­fachen Web-Anwendung das riesige Netzwerk der deutschen Wirtschaft. Besitzverhältnisse, Beteiligungsstruk­ turen von Unternehmen und die ­Netzwerke ihrer Entschei-

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der werden übersichtlich dargestellt – und um viele weitere ­Informationen ergänzt. Als Mitglied des Wirtschaftsrates erhalten Sie im Rahmen von WirtschaftsratExklusiv die Möglichkeit, ­kostenlose Testabfragen auf dem Portal der kantwert GmbH durch­zuführen. Über die Plattform www.kantwert.de/wr erhalten Sie ­Zugang zu diesem exklusiven Angebot. Sie melden sich dort ebenfalls mit Ihrer Mitgliedsnummer an, um den ­Service von kantwert abzurufen. Sollten Sie einen größeren ­Recherchebedarf haben, können Sie mit dem Anbieter‚ dem innovativen Unternehmen kantwert, einen kostenpflich­ ­ tigen Vertrag vereinbaren. Ihr Vertragspartner ist dabei l ­ausschließlich die „kantwert GmbH“.

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Max Max von von Musterhausen Musterhausen Nr. Nr.12345 12345 http://unternehmer-mehrwert.de

WirtschaftsratExklusiv 2019 2018

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JUNGER WIRTSCHAFTSRAT Positionen

Ideenwerkstätten gehen in die nächste Runde Agile Arbeitsgruppen entwickeln Positionen.

Foto: Christian Ströder

Text: D r. Sven Hildebrandt

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Foto: Christian Ströder

as neu gewählte Vorstandsteam des Jungen Wirtschaftsrates geht mit großem Elan an die inhaltliche Arbeit: Knapp 50 Mitglieder folgten dem Aufruf des neuen stellvertretenden Bundesvorsitzenden Dr. Sven Hildebrandt und meldeten Interesse an der Mitarbeit an. Insgesamt nehmen sechs Ideenwerkstätten die Arbeit auf, wobei sich die Themenvielfalt von europäischen Finanz- und Währungsthemen über Bildung bis hin zu rechtsstaatlichen Fragestellungen erstreckt. In diesen agilen Arbeitsgruppen diskutieren Mitglieder des Jungen Wirtschaftsrates aktuelle Themen wie etwa „Digitaler Staat“ intensiv und arbeiten Positionierungen für den Jungen Wirtschaftsrat heraus, die der Politik übergeben werden sollen. Um die Arbeit der Ideenwerkstätten noch besser zu kanalisieren, wurde am Konzept gefeilt:

Das neu gewählte Vorstandsteam des Jungen Wirtschaftsrates: Wiedergewählt wurden Marcus Ewald, Geschäftsführender Gesellschafter, Ewald & Rössing GmbH & Co. KG (Mitte), und Sarah Hagenkötter, Vice President - Private Equity and M&A Practice, Marsh GmbH (rechts). Neu im Team ist Dr. Sven Hildebrandt, HANSAINVEST Hanseatische Investment-GmbH (links).

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Neben einer adaptierten Strukturierung der Kommunikationswege und Verantwortlichkeiten, steht auch bereits der Termin der Arbeitsgruppenklausur fest: 21. bis 23. Juni 2019 in Frankfurt am Main. Die Klausur dient dazu, die bis d ­ ahin erarbeiteten Ergebnisse mit geladenen Fachexperten zu diskutieren. So soll die inhaltliche Arbeit optimiert und die Qualität des Outputs weiter erhöht werden. Ungeachtet des arbeitslastigeren Fokus der Veranstaltung kommt aber auch das Socializing nicht zu kurz: Nach getaner Arbeit steht bei einem gemüt­lichen Beisammensein der persönliche Austausch ganz oben auf der Agenda. Die Ideenwerkstätten und ihre Arbeit sind keineswegs statisch. Sollten sich weitere Interessenten für „Europa“, „Künstliche Intelligenz“, „Digitaler Staat“, „Bildung bringt Zukunft“, „Europäische & nationale Finanzmarktpolitik“ sowie „Staat: Versager? Wo Wille, Gesetz und Auftrag steht und trotzdem nichts passiert. Ein Lastenheft des Pragmatismus.“ finden, können sie sich gern via E-Mail bei Dr. Sven Hildebrandt, unter s.hildebrandt@me.com melden, der die Vernetzung mit den Ideenwerkstätten vornehmen wird. Und auch für den Fall, dass es noch neue Themenvorschläge gibt – der Junge Wirtschaftsrat freut sich über jeden Beitrag. Besonderer Dank gilt den beiden Wirtschaftsratsmitgliedern Maurice Quirin, Vorsitzender Junger Wirtschaftsrat in Rheinland-Pfalz, und Heiko Hector, Vorstandsmitglied Junger Wirtschaftsrat Landesverband Saarland, sowie Sine Sprätz, stellvertretende Landesvorsitzende Junger Wirtschaftsrat Hamburg, die tatkräftige Unterstützung bei der l Veranstaltungsorganisation leisten werden.

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WIRTSCHAFTSRAT Innenansicht

AUS DEN GREMIEN   

Spitzengespräche in Präsidium und Bundesvorstand Der Wirtschaftsrat konnte zu seinen Gremiensitzungen die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer und CDU-Frak­ tionschef Ralph Brinkhaus begrüßen. Beide betonten, dass angesichts der spürbaren Abkühlung der Konjunktur die Wirtschaftspolitik nun stärker in den Fokus rücken müsse. Annegret Kramp-Karrenbauer sagte, sie wolle eine Unternehmenssteuerreform anstoßen und angesichts hoher Haushaltsüberschüsse endlich die Leistungsträger durch eine vollständige Abschaffung des Solidaritäts­ zuschlags für alle entlasten.

Das Präsidium des Wirtschaftsrates beschloss außerdem eine Zehn-Punkte-Agenda mit Reformen für einen wirtschaftspoli­ tischen Aufbruch. Es gilt, durch ein konsequentes Maßnahmenpaket die wirtschaftliche Dynamik Deutschlands zu stärken und die Rahmenbedingungen für Wirtschaft und Industrie am Standort Deutschland nachhaltig zu verbessern.

Fotos: Jens Schicke

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STARTUPS

Deutschland braucht einen Markt für Venture Capital

Foto: Jens Schicke

v.l.n.r. Georg Vomhof, Wolfgang Stelzle, Tim Ockenga

BAU, IMMOBILIEN, SMART CITIES

Bauland ist der Flaschenhals Die Mitglieder der Bundesfachkommission Bau, Immobilien und Smart Cities diskutierten unter dem Vorsitz von Michael Zahn, CEO der Deutsche Wohnen SE, mit Gunther Adler, Staatssekretär, Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, über die Wohngipfel-Beschlüsse und prioritäre Maßnahmen in der ­Wohnungs- und Baupolitik. Die Mitglieder der Kommission verwiesen auf das schwierige politische Umfeld, in dem sich die Immobilienwirtschaft durch die angespannten Wohnungsmärkte befinde und mahnten angesichts der Enteignungsdebatte in Berlin mehr Vernunft an: Wir brauchen stabile Rahmenbedingungen für die Wohnungswirtschaft in Deutschland. Die Mehrheit der Akteure auf den Wohnungsmärkten sind private Kleinstvermieter. Einig war man sich, dass man das Problem nur durch den Neubau von Wohnungen realisieren könne. Aber hier sei der Flaschenhals immer noch das nicht ver-

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2018 z­ eige ganz klar, dass eigene Ersparnisse mit mehr als 80 Prozent immer noch die Finanzierungsquelle Nummer Eins seien, gefolgt von staatlichen Fördermitteln von knapp 35 Prozent. Dazu ­diskutierten die Unternehmer mit Georg Vomhof, Geschäftsführer im Family Office von Susanne Klatten und ­Stefan Quandt ­darüber, ob sich das deutsche Startup-System durch privates ­Kapital stärken lässt sowie mit Tim Ockenga, Leiter Kapitalanlagen, Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft, darüber, ob bei institutionellen Anlegern die Restriktionen bei Investitionen in Wagnis­ kapital fallen müssen. Quintessenz: Investitionen in ­Startups müssen attraktiver werden. Dies könne durch steuerliche Förderung von privaten Investitionen in Fonds, ­Risikominderung etwa durch Auffang-Fonds nach Vorbild des dänischen ­Dachfonds, durch das Hervorheben von Erfolgsgeschichten gelingen. Anbieter

Staatssekretär Gunther Adler (l.) diskutiert mit Mitgliedern der Bundesfachkom­­ mission, Michael Zahn (r.), Vorsitzender der Bundesfach­ kommission und CEO Deutsche Wohnen SE

fügbare oder kostengünstige Bauland. Alle investiven Maßnahmen seien nutzlos, solange es kein Bauland gebe. Der Bundesgesetzgeber dürfe sich nicht darauf zurückzuziehen, dass die Kommunen zuständig sind. Insgesamt kritisierten die Unternehmer, dass die Bundesregierung in dieser Legislatur bisher erschreckend wenig auf den Weg gebracht habe. Die Sonder-Abschreibung werde genauso in die überhitzten Baumärkte eingepreist wie das Bau­ kindergeld. Eine Straffung der Baugenehmigungsverfahren habe man überwiesen an die Baulandkommission.

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Foto: Hans Christian Plambeck

Wie lässt sich mehr privates Kapital für die Finanzierung von Start­ups gewinnen? Das ist zentrale Frage, zu der die Mitglieder der Bundesarbeitsgruppe Startups konkrete Handlungsempfehlungen entwickeln und der Politik mit auf den Weg geben möchten. ­ Vorsitzender Wolfgang Stelzle sagte, der Startup-­ Monitor


Fotos: Jens Schicke

WIRTSCHAFTSRAT Finanzmarktklausur 2019

Risiken beherrschen, Die Finanzmarktklausur des Wirtschafts­rates war ein voller Erfolg. Mehr als 100 Akteure aus Finanzbranche und Politik diskutierten unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

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ie inzwischen traditionelle Finanzmarktklausur des Wirtschaftsrats hat sich erneut als wichtige Plattform zum Austausch von Ideen, Perspektiven und politischen Reformvorstellungen für zentrale ­Finanzmarktakteure erwiesen. In turbulenten Zeiten kurz vor dem Brexit und den Europawahlen erörterten hochrangige Vertreter aus Politik und Wirtschaft die strategischen Leitlinien und den Reformbedarf für den europäischen Ordnungsrahmen. Einig in ihrer Einschätzung waren sich die Klausurteilnehmer zunächst darin, dass die deutsche, die europäische, aber auch die globale Wirtschaft vor großen Herausforderungen stehen. Die Risiken nehmen zu, die hohe Volatilität an den Aktienmärkten spiegelt die Unsicherheit der Marktteilnehmer wider. Brexit, die Sorge vor einem Erstarken von Populisten bei der Europawahl, insbesondere aber auch die ungeklärten Handelskonflikte rund um die USA prägen das Bild. Dabei gerät die Weltkonjunktur zunehmend in unruhiges Fahrwasser. Nicht zuletzt in Deutschland und Europa haben sich die Wachstumsaussichten eingetrübt. In den Vorträgen und Diskussionen auf den Panels wurde deutlich, dass Europa die Zeit der wirtschaftlichen Erholung und Nullzinspolitik nicht ausreichend genutzt hat, um sich gegen Stürme zu rüsten. Zwar ist der Finanzmarkt heute stabiler, die Banken sind robuster geworden. Die Staatsverschuldung in der Eurozone liegt jedoch deutlich höher als vor der Finanzkrise. Regierungen und Notenbanken sind deshalb kaum noch handlungsfähig, sollte es einen starken Abschwung geben. Trotz oder gerade wegen der Risiken appellierten die Konferenzteilnehmer daran, jetzt nicht in Agonie zu verfallen, sondern die wirtschaftspolitischen Gestaltungsaufgaben entschlossen anzugehen, auf europäischer wie auf nationaler Ebene und transatlantischer Ebene. Dazu gehört aus strategischer Sicht auch, das wurde in den Debatten auf vielfältige Weise deutlich, sich besonders für ein starkes heimisches Finanz- und Bankensystem einzusetzen, um in der globalen Ökonomie nicht den Anschluss zu verlieren. (Lesen Sie mehr dazu auf S. 28 bis S. 33.)

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„Wir haben keine europäische Bankenunion, und wir haben keine Kapitalmarktunion. Deshalb sind wir dazu verdammt, uns sehr national aufzustellen.“ Dr. Joachim von Schorlemer

Mitglied des Vorstands, ING-DiBa AG

„Das Erfolgsgeheimnis der Finanzbranche sehen wir in der konsequenten Verbindung der Stärken des etablierten Modells mit den Innovationen aus der digitalen Welt.“ Dr. Klaus-Peter Röhler

Vorsitzender des Vorstands, Allianz Deutschland AG

„Die Banken und unser System sind sicherer geworden. Aber man muss aufpassen, dass der Kranke nicht gesund stirbt.“ Philippe Oddo

Vorsitzender des Vorstands, Oddo BHF AG

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WIRTSCHAFTSRAT Finanzmarktklausur 2019

Finanzplatz stärken

„Wir müssen kapieren, dass wir es mit einer strategischen Frage zu tun haben: Unser wirtschaftliches und politisches Gewicht hängt auch von einem starken Finanzsektor ab.“ Dr. Florian Toncar MdB

Parl. Geschäftsführer und Finanzpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion

„Der deutsche Bankenmarkt hat eine Schwäche, insbesondere eine Profitabilitätsschwäche. Nur die griechischen Banken sind weniger profitabel.“

„Aus der Sicht der Europäischen Zentralbank ist es wichtig, dass Risiko und Haftung nicht auseinanderfallen.“ Dr. Alexandra Hachmeister

Chief Regulatory Officer, Deutsche Börse AG

„Die letzten Rentenpakete der Bundesregierung haben den Rentenkonsens der Nullerjahre massiv unterminiert. Die Rentenformel ist gefährlich verändert worden.“ Johannes Vogel MdB

Lutz Diederichs

Arbeitsmarkt- und rentenpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion

„Der Euro ist ein sehr starker Anker für unseren Finanz­platz, der durchaus wettbewerbsfähig zum US-Dollar ist.“

„2018 hatten wir extrem volatile Kapitalmärkte. Wenn man für 2019 und 2020 Ähnliches prognostiziert, lehnt man sich nicht gerade aus dem Fenster.“

Gerhard Hofmann

Dr. Stefan Hoops

Chairman des Group Management Board Germany, BNP Paribas

Mitglied des Vorstands, Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken

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Managing Director, Leiter Global Transaction Banking & Global Markets Germany, Deutsche Bank AG

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WIRTSCHAFTSRAT Engagement

Text: A rmin Peter

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tartups haben eine starke Lobby – zumindest rhetorisch. Der Gründergeist durchweht viele politische Sonntagsreden. Und im schwarz-roten Koalitionsvertrag sind 25 Maßnahmen vorgesehen, von denen Startups direkt profitieren sollen. In der Realität jedoch pflegt die Politik eher eine „Kultur des Scheiterns“: Von den 28 in der letzten Legislaturperiode versprochenen Maßnahmen zur Startup-Förderung sind gerade einmal zehn vollständig umgesetzt worden, so manche Idee findet sich im aktuellen Koalitionsvertrag wieder. Da verwundert es nicht, dass 1.500 Gründer, die 2018 für die jährliche Onlinebefragung un-

ter Gründern, den Deutschen Startup Monitor befragt wurden, der amtierenden Bundesregierung im Schnitt die Note Vier erteilten – die schlechteste Zensur seit 2014. „Es fehlt in der Politik einfach an einem echten Leader, also einer zentralen Person mit Erfahrung im Bereich Digitalisierung und Startups, die Ownership für das Thema hat“, sagt Wolfgang Stelzle. Der 35-Jährige ist Gründer und Geschäftsführer des Augmented Reality Startups RE’FLEKT und Vorsitzender der neu ins Leben gerufenen Bundesarbeitsgruppe (BAG) Startups des Wirtschaftsrates. „Bei der Startup-Förderung haben wir es mit einem Flickenteppich zu tun. Dinge werden tot diskutiert, gar nicht angepackt oder sie ziehen sich so lange hin,

dass der internationale Wettbewerb an uns vorbei zieht.“ Als Unternehmer kennt Wolfgang Stelzle die Stärken und Schwächen der deutschen Gründerkultur aus eigener Erfahrung, die er als „sehr differenziert“ bezeichnet. Bürokratische Hürden, steuerliche Probleme und Schwierigkeiten bei der Gewinnung von Wagniskapital in

„Deutschlands Stärke ist der industrielle Mittelstand – und der könnte noch viel erfolgreicher sein, wenn wir sein immenses Potential durch die Zusammen­arbeit mit Startups hebeln.“

Foto: Jens Schicke

den Finanzierungsphasen zählen zu den Hauptproblemen für Gründer, die auch Stelzle erlebt hat. Der Anteil des investierten Wagniskapitals am deutschen Bruttoinlandsprodukt (BIP) lag im Jahr 2017 bei 0,02, in den USA immerhin bei 0,3 Prozent. In absoluten Zahlen wird der Unterschied erst richtig deutlicher: Während in Deutschland das eingesetzte Wagniskapital 2018 bei 2,2 Milliarden Euro lag, betrug es in den Vereinigten Staaten rund 100 Milliarden Euro. Doch es gibt auch Positives zu berichten: „Deutschlands Stärke ist der industrielle Mittelstand – und der könnte noch viel erfolgreicher sein, wenn wir sein immenses Potential durch die Zusammenarbeit mit Start­ ups hebeln“, ist Stelzle überzeugt.

Mit der „Kultur der Beharrlichkeit“ zum ­ neuen ­Gründergeist 50

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Foto: RE’FLEKT GmbH

WIRTSCHAFTSRAT Engagement

Wolfgang Stelzle ist Vorsitzender der neu im Wirtschaftsrat gegründeten Bundes­­ arbeitsgruppe Startups. Sein Ziel ist es, die Startbedingungen in Deutschland für Gründer zu verbessern. Bürokratische Hürden, steuerliche Probleme und Schwierigkeiten bei der ­Ge­winnung von Wagniskapital in den Finanzierungsphasen zählen zu den Haupt­problemen Und Stelzle weiß, wovon er spricht: Der 35-Jährige ist Gründer und Geschäftsführer des Augmented Reality Startups RE’FLEKT. „Trotz signifikanter Stärken in der Technik gibt es nur sehr wenige erfolgreiche Technologiegründungen.“ In einigen Bereichen, wie etwa Augmented Reality, ist die Bundesrepublik derzeit sogar weltweit führend. Dennoch hat es bisher noch kein deutsches Google oder Netflix an den Markt geschafft. Laut Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) fiel die Zahl der Unternehmensneugründungen in Deutschland 2017 nochmals deutlich von 700.000 auf 557.000 – Tendenz seit Jahren sinkend. Dafür ging es bei den „digitalen Gründern“ – mit 144.000 Unternehmen immerhin ein Plus von drei Prozent – und den ­„innovativen Gründern“ – mit 76.000 Gründungen ein Zuwachs von 31 Prozent – b ­ ergauf. Es gibt also wieder mehr Unternehmer, die den Sprung ins Ungewisse wagen – so wie Wolf-

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gang Stelzle, der in schwierigen Phasen seiner ­Gründung natürlich auch schon mal daran gedacht hat, aufzugeben, wie er sagt. Einen Ausgleich zur harten Arbeit findet der Wahlmünchner in „eher riskanten als monotonen Sportarten“, wie etwa dem Freestyle-Snowboarding. Als Vorsitzender der BAG Startups formuliert Stelzle drei Kernforderungen: Erstens müssten die Rahmenbedingungen für Gründer verbessert werden. Dazu zählt auch eine maßvolle Umsetzung von Datenschutzvorgaben. „Natürlich können wir nicht akzeptieren, dass mit pri­vaten Daten frei gehandelt wird“, ­ erklärt Wolfgang Stelzle. „Das Konzept der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) ist vom Prinzip her gut, aber die Um­setzung in Deutschland viel zu radikal. Letztes Jahr habe ich mehrere

Wochen in dieses Thema investiert, die ich ­gerne anders genutzt hätte.“ Zweitens brauche es mehr (Privat-) Kapital im deutschen Startup-Ökosystem – auch durch eine bessere Vernetzung mit anderen EU-Ländern. „Ich selbst habe mit einer GmbH angefangen, wir kamen über unser Netzwerk gut an Wagniskapital“, erinnert sich der Gründer. „Aber gerade in späteren Finanzierungsrunden wird es oft schwieriger.“ Drittens müsste das Wissen, wie man ein Unternehmen erfolgreich gründet und skaliert, bereits in den frühen Bildungsprozess eingebettet sein. „Gerade bei Schülern gibt es kaum Vorstellungen über Startups und Unternehmensgründungen“, kritisiert er. Sein Lebensmotto „do what you love, love what you do” motiviert Wolfgang Stelzle immer wieder dazu, seinen Leidenschaften zu folgen und aus Komfortzonen auszubrechen. Diese Lust auf Neues möchte er allen vermitteln, denen die Digitalisierung Angst macht. „Statt uns Horrorszenarien auszumalen, sollten wir die Chancen sehen und Leuchttürme medial hervorheben“, fordert er. „Das würde viele Menschen weiterbringen und manchem den Mut machen, sich persönlich weiterzuentwickeln – zum Beispiel als Gründer.“ Und wenn das Projekt in die Binsen geht? Wie jeder Unternehmer musste sich auch Wolfgang Stelzle mit dem Worst Case auseinandersetzen – und formuliert eine Art kategorischen Imperativ für den neuen deutschen Gründergeist: „Ich wünsche mir eine ‚Kultur der Beharrlichkeit‘ statt einer ‚Kultur des Scheiterns‘“, sagt er. „Es geht darum, trotz aller Rückschläge immer wieder aufzustehen und weiterzumachen.“ Stelzle, der im Juni zum zweiten Mal Vater wird, nennt Tesla-Chef Elon Musk als Vorbild für dieses Prinzip: „Musk macht auch nicht alles richtig und wird oft durch den Dreck gezogen, investiert aber trotzdem Leib und Seele in seine Ideen.“ Die BAG Startups ist selbst noch in der Gründungsphase – vieles spricht dafür, dass Wolfgang Stelzle auch dieses Projekt höchst erfolgreich am Markt etablieren wird. l

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Rückblick Einblick Ausblick Bremen Neujahrsempfang mit CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer

im internationalen Handel.“ Die EU brauche eine starke Währung, damit Europa gegenüber China und den USA in Verhandlungen besser aufgestellt ist. Ohne eine Vertiefung der Integration könne dies nicht gelingen.

Foto: Frank Soens

WIRTSCHAFTSRAT Aus den Ländern

Ihre Exzellenz Anne-Marie Descôtes, Franzö­sische Botschafterin in Deutschland

Niedersachsen Neujahrsempfang mit Tilman Kuban Vor mehr als 120 Gästen sprach Tilman Kuban, Spitzenkandidat der Jungen Union zur Europawahl auf dem Neujahrsempfang: „Ich will versuchen, nicht in große Fußstapfen zu treten, sondern meine eigenen zu hinterlassen“, spielte Kuban auf den Wechsel des langjährigen Europapolitikers Burkhard Balz in den Vorstand der Bundesbank an. Kuban legte einen Schwerpunkt auf die deutsch-französische Freundschaft und forderte, gemeinsame Wirtschaftsprojekte zu fördern. Die Staatssekretärin beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Dr. Maria Flachsbarth, sagte: „Afrika ist Europa durch die Globalisierung näher gerückt – wir müssen die ­Herausforderungen und Chancen erkennen.“ Michael Hähnel nahm die Globalisierung in den Blick. Als Mitglied des Management Board der Bahlsen Gruppe zeigte Hähnel, wie ein kleines Familienunternehmen aus Tilman Kuban Hannover zum Global Player wurde.

Foto: Christian Ströder

Foto: Christian Ströder

Die Vorsitzende der CDU Deutschlands kritisierte auf dem Neujahrsempfang das Bildungssystem in der Hansestadt: „Es kann nicht sein, dass Schüler aus Bremen unter dem Verdacht stehen, ein Stück dümmer zu sein als der Rest in Deutschland. Ich halte das für einen Schlag ins Gesicht der Kinder.“ Zu Europa sagte Annegret Kramp-Karrenbauer: „Viele neue Tüfteleien und Ideen, entstehen heute nicht mehr in Deutschland und Europa. Deswegen ist eine der wichtigsten Aufgaben, dafür zu sorgen, dass Europa mit vereinten Kräften Impulse setzt. Gerade in Bremen wird deutlich, wie die europäische und Landes-Politik ineinandergreifen. Ohne das große europäische Projekt Raumfahrt, würde es etwa die OHB heute viel schwerer haben.“

Exklusiver Austausch Dirk Briese, Mitglied des Landesvorstandes; Theresa Gröninger, Landesvorsitzende J­ unger Wirtschaftsrat; Jörg Müller-Arnecke, Landesvorsitzender, Florian Würzburg, Stellvertretender Landesvorsitzender, Annegret Kramp-Karrenbauer, Vorsitzende CDU Deutschlands, Andreas Schomaker, Mitglied des Landesvorstandes, Katrin Roßmüller, Mitglied des Landesvorstandes, Udo Siemers, Mitglied des Landesvorstandes, Dr. ­Thomas Ull, Mitglied des Landesvorstandes

Hamburg

Ministerpräsident Stephan Weil sprach vor dem Wirtschaftsrat über Bildung, Digitalisierung und den Landeshaushalt. Er lobte die gute Zusammenarbeit der Großen Koalition und die Fortschritte bei der Umsetzung wirtschaftspolitischer Ziele. Die Unternehmer kritisierten die Finanzpolitik und forderten, Steuermehreinnahmen in den Schuldenabbau zu stecken. Mit Blick auf die Wettbewerbsfähigkeit müssten Bildungseinrichtungen, Forschung und Wirtschaft enger zusammenarbeiten.

Vor 400 Unternehmern warb die Französische Botschafterin in Deutschland, Anne-Marie Descôtes, auf dem Neujahrsempfang des Landesverbandes für ein starkes Europa und die deutsch-französische Zusammenarbeit. Der Landesvorsitzende Dr. Henneke Lütgerath: „Die Aussöhnung zwischen Frankreich und Deutschland ist bis heute die conditio sine qua non für den europäischen Integrationsprozess.“ Die Botschafterin nahm das deutsch-französische Tandem in die Pflicht: „Dabei denke ich vor allem an Populismus und nationale Egoismen, an unseren Rückstand in der Digitalisierung und die Spannungen

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Foto: Stefanie Lohde

Im Zeichen der deutsch-französischen Freundschaft

Ministerpräsident Stephan Weil über Bildung, Digitalisierung und Finanzen

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Nordrhein-Westfalen

Hessen

Diesel-Fahrverbote sind Enteignung der Fahrzeughalter

Hessen rüstet sich für ungeordneten Brexit

Gegen Fahrverbote sprach sich Landesvorstandsmitglied Eldach-Christian Herfeld auf einer Tagung mit der Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen, Ursula Heinen-Esser, aus: „Die Vorbehalte gegen die Grenzwerte wachsen, die Wirksamkeit von Fahrverboten bezweifelt die Wissenschaft.“ Um Fahrverbote zu vermeiden, sollen noch in Arbeit befindliche Luftreinhaltepläne umfangreiche Maßnahmen ermöglichen. „Diesel-Fahrverbote sind eine Enteignung der Fahrzeughalter!“, sagte die Ministerin. „Wenn wir es schaffen, die Luftqualität in belasteten Straßen zu verbessern, wird es keine Verbote geben. Die Gerichte haben Fahrverbote für Köln, Bonn, Essen und Gelsenkirchen verfügt, in Aachen als wahrscheinlich bezeichnet. Wir als Land sind in jedem dieser Fälle in Berufung gegangen. Die Verfahren dürfEldach-Christian Herfeld und Ursula Heinen-Esser ten 2019 abgeschlossen sein.“

Expertengremium weist Heils Grundrentenmodell zurück Einen Tag nach Veröffentlichung des Vorschlages zur Grundrente von Bundesminister Hubertus Heil tagten die Fachleute für Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik des Wirtschaftsrates Nordrhein-Westfalen mit Bundesminister a.D. Hermann Gröhe MdB und berieten über die Eckpunkte des Grundrentenmodells. In der Ablehnung waren sich die nordrhein-westfälischen Unternehmer einig. Fabian Kienbaum, Vorsitzender des Gremiums, erklärte: „Für den Wirtschaftsrat bleibt die Bedürftigkeitsprüfung unverzichtbar.“

Ende März soll der EU-Austritt Großbritanniens rechtskräftig werden. Ein Datum, das auch für die hessische Wirtschaft – insbesondere für den Finanzplatz Frankfurt von zentraler Bedeutung ist. Der hessische Staatssekretär für Europaangelegenheiten, Mark Weinmeister, erläuterte auf dem Unternehmerfrühstück des Wirtschaftsrates die Auswirkungen eines ungeregelten Brexits: „Ab 30. März stehen wir mit Großbritannien handelstechnisch auf demselben Stand wie mit Mosambik. Dann gelten für alle wirtschaftlichen Beziehungen nur noch die Basis-Leitlinien der Welthandelsorganisation.“ Das No-Deal-Szenario wirke sich maßgeblich auf die Wertschöpfungsmöglichkeiten der hessischen Industrie aus. „Es gibt einen ständigen Austausch zwischen Hessen und Großbritannien. Produktionsprozesse müssen umgestaltet, Lieferketten neu geplant werden. Standorte werden geschlossen, andere gewinnen an Bedeutung“, betonte Weinmeister. Das Land habe ein Rieseninteresse daran, dass die Produktion ungehindert weitergehe. Die schwierige politische Situation in Großbritannien gebe einem geregelten Brexit derzeit keinen Unternehmerfrühstück mit Staatssekretär Mark Weinmeister Raum.

Foto: Wirtschaftsrat

Foto: Wirtschaftsrat

WIRTSCHAFTSRAT Aus den Ländern

Berlin-Brandenburg Hauptstadtfrühstück mit Bundesminister Andreas Scheuer

v.l.n.r. Arne tom Wörden, Hermann Gröhe MdB, Fabian Kienbaum

Brüssel Soziale Marktwirtschaft im Fokus „Die von der EVP im Parlament durchgesetzten Investitionen, Strukturreformen und eine verantwortungsvolle Haushaltspolitik haben seit 2014 acht Millionen zusätzliche Arbeitsplätze in den EU-Mitgliedstaaten geschaffen“, sagte Daniel Caspary MdEP. Ein stetiges Wirtschaftswachstum und ein stabiler Euro seien weiterhin zentrale Schwerpunkte für die Europa.

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wir jede Mobilitätsvariante“, sagte Bundesminister Andreas Scheuer MdB vor Mitgliedern des Landesverbandes. „Wir sollten den Bürgern nicht die Mobilität – etwa über Fahrverbote – vorschreiben, sondern mehr Angebote machen. Das heißt auch, mehr Anreize für die E-Mobilität zu entwickeln.“ In der Fragerunde nahm der Minister zu regionalen Themen wie der Datenverbindung auf der Bahnstrecke Berlin-Hamburg und zur Bedeutung der Strecke Görlitz-Cottbus für Südbrandenburg Stellung. Beim BER wurde der Bundesminister deutlich: „Das hat der Reputation der deutschen Baupolitik nicht gut getan. Ich bin jedoch sicher, dass der Flughafen im Herbst Mobilität ist eines der zentralen Anliegen der nehmer der Metropolregion Berlin-Brandenburg 2020 eröffnet wird.“

Foto: Hans Christian Plambeck

Foto: Wirtschaftsrat

„Um den Wohlstand in Deutschland zu halten, brauchen

Unter­

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WIRTSCHAFTSRAT Thema

Foto: Christof Sage

Vor rund 300 Unternehmern sprach Kultusministerin Dr. Susanne Eisenmann nach Grußworten des Landesvorsitzenden Joachim Rudolf und des Gastgebers Stefan Kölbl, über Herausforderungen im Bereich Bildung: Angesichts der Digitalisierung müssten Schüler so ausgebildet werden, dass sie später fähig sind, sich weiterzubilden. Bei Qualität und Leistungsfähigkeit sieht die Ministerin an Baden Württembergs Schulen Luft nach oben. „Wir sind im unteren Mittelfeld angekommen, weil wir uns auf dem Spitzenplatz lange ausgeruht haben.“ Auch bei der Digitalisierung gestand Eisenmann Nachholbedarf ein. Das Land investiere inzwischen aber viel in Schulausstattung, um digitale Kompetenzen vermitteln zu können. Auch das v.l.n.r. Steffen Beck, Sprecher Sektion Stuttgart, ­Stefan Schulfach Informatik Kölbl, Vorstandsvorsitzender DEKRA, Kultusministerin habe man ausgeDr. Susanne Eisenmann und Landesvorsitzender Joachim Rudolf baut.

„Deutschland muss sich wetterfest machen“ Vor rund 90 Unternehmern eröffnete Konrad Walter, Sprecher der Sektion Baden-Baden/Rastatt, den Jahresauftakt: „Die Dieseldebatte gefährdet unsere Autoindustrie.“ Sylvia Felder MdL hob das Engagement der Daimler AG hervor: „Obwohl heute ein globaler Player, bekennt sich Daimler in Rastatt klar zu Deutschland.“ Wirtschaftsministerin Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut würdigte den Wirtschaftsrat als wichtige Stimme in der öffentlichen Diskussion. Deutschland stehe vor tiefgreifenden Transformationsprozessen, die einerseits wirtschaftliche und soziale Herausforderungen, aber auch große Chancen böten. „Deutschland muss sich wetterfest machen“, appellierte die Ministerin.

Foto: Wirtschaftsrat

Neujahrsempfang mit Kultusministerin Eisenmann

sicherheit im Land durch den noch nicht vollzogenen Ausstieg aus der Atomkraft und den geplanten Kohleausstieg. Umweltminister Untersteller gestand ein, dass sich der Netzausbau von Nord nach Süd verzögere. Aber die Entwicklung sei trotzdem tragbar und die Stromversorgung nicht gefährdet. Weitere Themen waren die EEG-Umlage, der Bau von Gaskraftwerken und die Evaluierung des Erneuerbare-Wärme-Gesetzes in ­Baden-Württemberg.

Mitglieder aus der Energiebranche diskutieren mit Minister Franz Untersteller (2.v.l.)

Rheinland-Pfalz Neujahrsempfang mit Annegret Kramp-Karrenbauer Landesvorsitzender Frank Gotthardt erinnerte Annegret Kramp-Karrenbauer an die Forderungen des Wirtschaftsrates, den Solidaritätszuschlag für alle vollständig abzuschaffen sowie eine Unternehmenssteuerreform einzuleiten. Die Vorsitzende der CDU sagte zu, beide Themen auf dem nächsten Koalitionsausschuss wieder anzusprechen, um auch für Personengesellschaften eine spürbare Entlastung zu erreichen. Aber auch die Kosten in den Bereichen Soziales, Energie und Bürokratie müssten auf ihre Wettbewerbsfähigkeit überprüft werden. Sie betonte ferner, dass der von der SPD geforderte Umbau von Hartz IV nur mit dem Prinzip des Förderns und des ForCDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer beim Neujahrsempfang derns einhergehen könne.

Foto: Wirtschaftsrat

Sachsen Made in Saxony zum Markenzeichen machen Auf dem Neujahrsempfang forderten die Landesvorsitzende v.l.n.r. Johannes-Georg Voll, Sprecher Sektion Karlsruhe, Sylvia Felder MdL, Manuel Bohé, Sprecher Sektion Ortenau, Ministerin Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut, Konrad ­Walter, Sprecher Sektion Baden-Baden/Rastatt und Joachim Rudolf, Landesvorsitzender

Energiepolitischer Lunch mit Umweltminister Franz Untersteller In kleinem Kreis nutzten Mitglieder des Landesverbands die Gelegenheit, sich mit Franz Untersteller, Minister für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft auszutauschen. Eckhardt Veil, Vorsitzender Landesfachkommission Energie, erläuterte die Bedenken seiner Kommission mit Blick auf die Versorgungs-

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Simone Hartmann und Politikprofessor Werner J. Patzelt, dass die Landespolitik kurzfristig spürbare Handlungserfolge erzielen müsse. „Made in Saxony“ gelte es zum Markenzeichen für Innovationen in Wirtschaft, Verwaltung und Gesellschaft zu machen. Das erzeuge Stolz und schaffe Vertrauen. Unternehmer wie Bürger müssten die Dienstleistungsbereitschaft in den Verwaltungen im Interesse des Gemeinwohls spüren. Der Unterschied zwischen Demokratie und Populismus sei nur erkennbar, so Patzelt, wenn wahres Gemeinwohl und nicht demagogische Zwecke vermittelt würden. Hierfür gab er Unternehmern wie Politikern seine „Landkarte zum Erkennen von und Umgang mit Populismus“ mit auf den Weg.

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Foto: Wirtschaftsrat

Baden-Württemberg


WIRTSCHAFTSRAT Thema

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© 2019 PricewaterhouseCoopers GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft. Alle Rechte vorbehalten. „PwC“ bezieht sich auf die PricewaterhouseCoopers GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, die eine Mitgliedsgesellschaft der PricewaterhouseCoopers International Limited (PwCIL) ist. Jede der Mitgliedsgesellschaften der PwCIL ist eine rechtlich selbstständige Gesellschaft.

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WIRTSCHAFTSRAT Aus den Ländern

Mecklenburg-Vorpommern

Thüringen Weimarer Wirtschaftsgespräch: Verleihung der Wilhelm-Röpke-Medaille Mit einer brillanten Rede zur Sozialen Marktwirtschaft setzte Wolfgang Clement, Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit a.D. auf dem 24. Weimarer Wirtschaftsgespräch Maßstäbe und den Rahmen für die erstmalige Verleihung der Wilhelm-­ Röpke-Medaille, die an den Unternehmer Frank Jüttner und Thüringens früheren Finanzminister Dr. Wolfgang Voß ging. Geprägt in schwerem Silber zeigt die Medaille das Porträt von Wilhelm Röpke, dem mit 24 Jahren jüngsten Professor in Jena und Vordenker der Sozialen Marktwirtschaft an der Seite Ludwig Erhards. Die Idee zur Verleihung der Medaille entstand in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Gerhard Wegner, Vorsitzender des Wilhelm-Röpke-Instituts e.V. Der Wirtschaftsrat wird nun jährlich diese Ehrung vergeben und so auf die Soziale Marktwirtschaft und ihre ordnungspolitischen Prinzipien aufmerksam machen. Karsten Seifert

Foto: Karsten Seifert

In Stralsund begrüßte der Landesvorsitzende Andreas Mau Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel MdB und den Oberbürgermeister der Hansestadt, Dr. Alexander Badrow. Es hat sich viel getan, sagte Letzterer. In Stralsund würden jetzt mit der Endeavour Class endlich wieder Schiffe gebaut – und was für welche! Zugleich sei die Gleisanbindung zum Frankenhafen fertiggestellt, ein Meilenstein für die Entwicklung des Stral­sunder Seehafens. Ein Schritt dazu, dass der Hafen bleibe. Bundeskanzlerin Merkel sprach über die großen Veränderungen in der Welt und welche Herausforderungen sich dadurch für Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel spricht vor dem Wirtschaftsrat in Stralsund Deutschlands Han-

Foto: Wirtschaftsrat

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Jahresempfang mit Bundeskanzlerin Merkel

delsbeziehungen ergeben. Sie warb für ein starkes Deutschland in einem starken Europa mit einem vollendeten Binnenmarkt: „Wir können international nur mitspielen und unsere Werte durchsetzen, wenn wir ökonomisch stark sind.“

v.l.n.r. Mihajlo Kolakovic, Mario Voigt, Wolfgang Voß, Frank Jüttner, G ­ erhard ­Wegner, Wolfgang Clement

Impressum

Bankverbindung: Deutsche Bank AG/Bonn, 3105590 (BLZ 380 700 59) IBAN: DE84 3807 0059 0310 5590 00, BIC: DEUTDEDK380

Herausgeber: Werner Michael Bahlsen, Präsident, für den Wirtschaftsrat der CDU e.V.

Verlag: Information für die Wirtschaft GmbH

Redaktion: Klaus-Hubert Fugger, Chefredakteur / Katja Sandscheper, Redakteurin Wissenschaftliche Beratung: Dr. Rainer Gerding, Bundesgeschäftsführer

Gesamtherstellung: STEINBACHER DRUCK GmbH Anton-Storch-Straße 15, 49080 Osnabrück Telefon 05 41 / 9 59 00-0, Telefax 05 41 / 9 59 00-33

Gemeinsame Postanschrift: Redaktion Trend Luisenstraße 44, 10117 Berlin Telefon 0 30 / 2 40 87-300/301, Telefax 0 30 / 2 40 87-305 Internet: www.trend-zeitschrift.de

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Im Spiegel der Presse ImSpiegel Bild vom 07.03.2019

Ex-Unionsfraktionschef Friedrich Merz kehrt nun doch zurück auf die politische Bühne: Merz soll Vizepräsident des ­Wirtschaftsrats werden. Die designierte Chefin des Wirt­schafts­ rates, Astrid Hamker, bestätigte die Personalie.

Welt vom 04.03.2019

„Steuerpolitik ist Standortpolitik“, sagt der Generalsekretär des Wirtschaftsrats, Wolfgang Steiger. Insbesondere Fami­lien­ unternehmen, die als Personengesellschaft organisiert seien, litten unter dem Maximalsteuersatz. „Viele von ihnen investieren inzwischen weniger oder gar nicht mehr in D ­ eutschland.“

Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 01.03.2019

WIRTSCHAFTSRAT Forum

Immobilien Zeitung vom 21.02.2019 „All jene, die sich für eine Enteignung stark machen, werden sich spätestens vor den Verfassungsrichtern bis auf die Knochen blamieren, wenn sie erklären müssen, welche anderen Maßnahmen sie zur Entspannung der W ­ ohnungsmärkte unternommen haben. Die Hürden für E ­ nteignungen sind zu Recht sehr hoch“, sagte Wolfgang Steiger, General­sekretär des Wirtschaftsrates, der zudem die Mietpreisbremse kritisiert. „Sozial ist, wenn man das Angebot an Wohnraum erhöht.“ Süddeutsche Zeitung vom 08.01.2019 CDU-Fraktionsvorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer sagte, statt vage Steuerpakete vorzubereiten sei es „klüger“, über Steuererleichterungen zu reden, damit eine Rezession gar nicht erst eintrete. Auch der Wirtschaftsrat forderte, Scholz dürfe „nicht untätig bleiben“. Fuldaer Zeitung vom 12.01.2019 Wenn SPD, Grüne und Linke die Agenda-Reformen zurückdrehen, führt dies zu mehr Armut durch Arbeitslosigkeit. Falls die SPD-Parteivorsitzende Andrea Nahles die Bezugsdauer für Arbeitslosengeld I verlängert oder die Kriterien für Hartz IV drastisch lockert, steuert sie zurück zum Alt-Modell „Arbeits­ losenhilfe“, das für Massen­arbeitslosigkeit mitverantwortlich war, schrieb Generalsekretär Wolfgang Steiger.

Neue Präsidentin des Wirtschaftsrats soll Astrid Hamker werden. Hamker hat eine kleine Beratungsfirma und ist G ­ esellschafterin der Piepenbrock-Gruppe, Anbieter von Dienstleistungen im Gebäudemanagement mit mehr als 26.000 Mitarbeitern und einer halben Milliarde Euro Umsatz, inhabergeführt in vierter Generation. Die Personalie sei auf einer außerordentlichen Präsidiumssitzung beschlossen worden.

Handelsblatt vom 16.01.2019 „Es sind zahlreiche politische Fehlentscheidungen getroffen worden, die die Schiene nachhaltig schwächen“, kritisierte Generalsekretär Wolfgang Steiger. „Da sind halbherziger Wettbewerb durch die fehlende Trennung von Netz und Betrieb sowie die auf Verschleiß gefahrene Infrastruktur und der grenzüberschreitende Schienenverkehr zu nennen.“

Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 15.02.2019

Welt vom 24.01.2019

In Deutschland drohe „die Entstehung eines neuen Preka­ riats“, schreibt der Wirtschaftsrat, und zwar „durch unqua­ lifizierte Einwanderung über den Asylparagraphen“, zitiert das Blatt aus einer Bewertung des Unternehmerverbandes.

Jede Debatte über Armut muss für gute Laune sorgen, denn die Fakten zeigen in eine positive Richtung: Der weltweite Anteil der Hungernden sinkt beständig trotz erheblichen Bevölkerungswachstums. Noch 1960 lebte fast die Hälfte der Weltbevölkerung in extremer Armut. Seitdem sind die Armuts­ raten in allen Weltregionen drastisch gefallen, schreibt ­Generalsekretär Wolfgang Steiger in einem Namensbeitrag.

Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 19.12.2018 Der Steuerzahlerbund, der Wirtschaftsrat und die FDP ­forderten einhellig, den Jahresüberschuss im Bundesetat „von mindestens 10 Milliarden Euro“ zur Entlastung von Bürgern und Wirtschaft zu verwenden.

WirtschaftsWoche vom 14.12.2018 ©Klaus Stuttmann

Generalsekretär Wolfgang Steiger schlägt eine Reformkom­ mission unter Leitung von Friedrich Merz vor. Ein solches Parteigremium könne „klar und deutlich konkrete Maßnahmen für verantwortliches Regierungshandeln formulieren“. Ohne Abschaffung des Solidaritätszuschlags und eine Unternehmenssteuerreform gehe es mit der CDU weiter abwärts.

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10.300.000 Die Zahl der Aktionäre in ­Deutschland stieg auf 10,3 ­Millionen Deutsche, die älter als 14 Jahre alt sind. Das ist die höchste Zahl seit 2007.

20.000.000.000 Hubertus Heils Vorschlag für die Grundrente würde die Rente von vier Millionen Deutschen aufbessern. Geschätzte Kosten: 20 Milliarden Euro. Unter eine Grundrente mit Bedürftigkeitsprüfung würden rund 300.000 Personen fallen. Geschätzte Kosten: 2 Milliarden Euro.

Quelle: Deutsches Aktieninstitut

Deutschland importiert rund 36 Millionen Tonnen (2016) Rohöl aus Russland. Damit ist Russland mit Abstand der wichtigste Öllieferant. Auf Platz 2 liegt Norwegen mit 11 Millionen Tonnen (2016). Quelle: Faz.net

3.669 Doppelt so viele Ausfälle von Fernzügen gegenüber dem Vorjahr verzeichnete die Deutsche Bahn. Das sind 1,2 Prozent aller Fahrten. Um gut ein Drittel auf 12.784 stiegen auch die Zahl der Fernzugfahrten, die teilweise ausfielen und erreicht damit 4,1 Prozent. Quelle: dpa

100 Das Wirtschaftsministerium wird 100 Jahre alt. Das Reichswirtschaftsamt wurde am 21. März 1919 in das Reichswirtschafts­ ministerium überführt. Vor allem die Einführung der Sozialen Marktwirtschaft unter Ludwig Erhard stellte die Weichen für Deutschlands wirtschaftlichen Erfolg in der Welt. Quelle: Bundeswirtschaftsministerium

42.478 2018 wurden an deutschen Grenzen 42.478 unerlaubt eingereiste ­Menschen fest­gestellt. Die meisten davon kamen mit 11.464 Personen aus Österreich. Quelle: Bild

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Die Langzeitarbeitslosigkeit ist 2018 um zehn Prozent gesunken. Im Schnitt waren 813.000 Personen länger als ein Jahr arbeitslos. Quelle: Bundesministerium für Arbeit und Soziales

Zahlen des Quartals

Quelle: Prof. Dr. Bernd Raffelhüschen, Ludwig-Albert-Universität Freiburg

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Fotos: Bundesagentur für Arbeit; European Union, 2015, Tzortzinis Angelos; Fotolia.com: ©Gina Sanders, ©peterschreiber.media, ©Perytskyy, ©nokturnal, ©pixelliebe, ©psdesign1

WIRTSCHAFTSRAT Forum

Du meine Güte, innerhalb weniger Tage wurden zwei Debatten geführt, die das ­Dilemma einer überzogenen Political Correct­ ness deutlich machen: Die ARD bezahlte eine Kom­ munikationsberaterin für ein „Framing“-Papier, in dem sie Sprechanweisungen für Führungskräfte der Senderfamilie entwickelte. Die politischen Ränder werden es danken. Denn der empfohlene „Neusprech“ – natürlich immer für das moralisch höhere Ziel – lullt auf eine Weise ein, die wenig mit freier Presse und schon gar nicht mit wahrhaftem Journalismus vereinbar ist. Zu erfundenden Artikeln eines Manipulators Relotius ist es da nicht mehr weit. Und die ARD-Kommentatoren waren auch unter den lautesten, die diesen Karnevals-Gag von Annegret Kramp-Karrenbauer geißelten: „Guckt euch doch mal die Männer von heute an. Wer war denn von euch vor kurzem mal in Berlin? Da seht ihr doch die Latte-Mac­ chiato-Fraktion, die die Toiletten für das dritte Geschlecht einführt. Das ist für die Männer, die noch nicht wissen, ob sie noch stehen dürfen beim Pinkeln oder schon sitzen müssen.“ Darüber kann der Latte-­ Macchiato-Trinker, der freilich am Örtchen immer sitzt, herzlich lachen. Ob er fürs Lachen wie die „Framing-NeusprechFraktion“ zukünftig immer in den Keller muss? TREND 1/2019


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