Wirtschaftsrat - Energie Egenda 2030

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Energie-Agenda 2030 Die Energiewende zum Treiber fßr ­Wachstum und Innovationen machen Positionspapier

Die Stimme der Sozialen Marktwirtschaft



Vorwort Kein EU-Staat hat mehr CO2-Emissionen in den vergangenen 30 Jahren eingespart als Deutschland. Trotz der ­großen bisherigen Erfolge bei der Energiewende liegen enorme Herausfor­de­ rungen noch vor uns. Wir müssen jetzt die Weichen für das Energiesystem von Morgen stellen und die Energiewende in eine industriepolitische Gesamtstrategie für Wachstum und Inno­ vationen einbetten. Versorgungssicherheit und Wettbewerbsfähigkeit müssen dabei gleich­ rangig zu nachhaltigem Klimaschutz behandelt werden und setzten Technologieoffenheit ­voraus, damit sich die besten und effizientesten Lösungen durchsetzen. Um die Chancen der Energiewende zu nutzen und den Energie- und Industriestandort Deutschland und Europa zu stärken, bedarf es eines offenen EU-Energiebinnenmarktes, eines marktwirtschaftlichen, mindestens euro­päischen Preissignals für CO2 in allen Sek­toren, ­zukunftsfähiger Energienetze und eines stabilen Marktrahmens, um breite Inno­vationsprozesse auszulösen. Mit der „Energie-Agenda 2030“ gibt der Wirtschaftsrat der B ­ undes- und Europapolitik hierfür ­kon­krete Lösungsvorschläge an die Hand. Der Wirtschaftsrat dankt an dieser Stelle den Mitgliedern der Bundesfachkommission Energiepolitik für die ertragreichen Diskussionen und die eingebrachte Expertise. Der Wirtschaftsrat wird den Transformationsprozess der Energiewende auch in Zukunft ­konstruktiv begleiten. Wir freuen uns, Sie dabei an unserer Seite zu wissen. Berlin, im März 2018

Wolfgang Steiger Generalsekretär Wirtschaftsrat der CDU e.V.

Dr. Karsten Wildberger Vorsitzender, Bundesfachkommission Energiepolitik Wirtschaftsrat der CDU e.V.

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Positionspapier: Energie-Agenda 2030

Energie-Agenda 2030: Die Energiewende zum Treiber für Wachstum und Innovationen machen Der weltweite Klimaschutz und der Umbau des Energiesystems sind in Verbindung mit dem Erhalt unserer industriellen Basis eine enorme Herausforderung, die zugleich große Chancen eröffnet. Der Wirtschaftsrat ist überzeugt: Wir müssen jetzt die Weichen für das Energiesystem von Morgen stellen und die Energiewende in eine industriepolitische Gesamtstrategie für Wachstum und Innovationen einbetten. Wir brauchen dabei einen offenen Binnenmarkt für Energie in Europa und ein marktwirtschaftliches, mindestens europäisches Preissignal für CO2 in allen Sektoren, vorgegeben durch den reformierten EU-Emis­ sionshandel. Überzogene staatliche Eingriffe lehnen wir ab. Stattdessen gilt es, einen stabilen grenzüberschreitenden Marktrahmen zu setzen, damit sich die besten und effizientesten Lösungen durchsetzen und breite Innovationsprozesse zur Digitalisierung von Energie und der Kopplung der Sektoren Strom, Wärme und Mobilität ausgelöst werden. Die Zukunft des Energie- und Industriestandortes Deutschland hängt davon ab, dass uns der Umbau der Energieversorgung gelingt. Versorgungssicherheit und Wettbewerbsfähig­keit sollten dabei gleichrangig zu nachhaltigem Klimaschutz behandelt werden und setzten Technologieoffenheit voraus. 1. Wettbewerbsfähig und klimafreundlich – eine lösbare Herausforderung! Fest steht: Deutschland ist beim Klimaschutz weit vorn. Kein EU-Staat hat mehr CO2-Emissionen in den vergangenen 30 Jahren eingespart. Entscheidend ist es, diesen Erfolg nicht klein zu reden, sondern zu verstetigen und auszubauen. Vor allem die Energiewirtschaft und die Industrie haben hierbei viel geleistet. Allerdings ist die Energiewende bisher vor allem auf den Stromsektor fokussiert. Ziel des Klimaschutzplans 2050 ist es, die bisherige Stromwende zu einer sektorübergreifenden Energiewende zu machen. Um den Klimaschutzplan 2050 zu konkretisieren, sollte die neue Bundesregierung einen verlässlichen, widerspruchsfreien Rahmen setzen, statt detaillierte Ziele und Pfade durch überzoge-

ne staatliche Planung vorzugeben. Alle Maßnahmen müssen technologieneutral und marktwirtschaftlich gestaltet werden. Nur so werden wir die effizientesten Lösungen auf den Weg bringen. Die Maßnahmen sollten europäisch ausgerichtet und harmonisiert sein. Somit können Wettbewerbsnachteile für deutsche Unternehmen vermieden werden. Notwendig ist dafür ein marktwirtschaftliches, mindestens europäisches CO2-Preissignal, das sektorenübergreifend wirkt. Das heutige System aus Steuern, Abgaben und Umlagen in Deutschland ist zu komplex. Es muss abgelöst, zumindest aber weiterentwickelt werden, um wettbewerbsfähige und klimafreundliche Innovationen anzuregen. Die Marktintegration der erneuerbaren Energien muss dabei konsequent vorangetrieben werden. Wir schlagen vor: • EU-Emissionshandel stärken und ausweiten: Die EU wird mit dem marktwirtschaftlichen Leitinstrument des Europäischen Emissionshandels (ETS) das Ziel erreichen, 43 Prozent der Emissionen der ETS-Sektoren gegenüber 2005 zu senken. Zukünftig bilden die Einführung einer Marktstabilitätsreserve und die Erhöhung des linearen Reduktionsfaktors von 1,74 auf 2,2 Prozent die neuen Rahmenbedingungen zur Erreichung des CO2-Minderungsziels in den ETS-Sektoren für 2030 ab. Durch die Mengensteuerung entsteht ein marktwirtschaftlicher und technologieoffener Anreiz, in die CO2-Vermeidung zu investieren. Der ETS muss dabei maximale Planungssicherheit für die kommende Handelsperiode gewährleisten. Die Beschränkung auf Energie und Industrie muss überdacht werden. Der EU-ETS ­sollte auf weitere Sektoren ausgeweitet werden, um auch dort ein CO2-Preissignal zu etablieren. Einen CO2-Mindestpreis oder eine CO2-Steuer lehnt der Wirtschaftsrat klar ab, da damit der Preisbildungsmechanismus für kosteneffiziente CO2-­ Vermeidung eingeschränkt werden würde. Rein nationale Maßnahmen führten zudem zu einer erheblichen Wettbewerbsverzerrung zum Nachteil der deutschen Industrie. Emissionen würden ledig-

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lich ins europäische Ausland verlagert. Sollten dennoch temporäre nationale Maßnahmen ergriffen werden, so müssen sie auf die Non-ETS-Sektoren beschränkt sein. • Internationales CO2-Preissignal etablieren: Die EU und Deutschland sollten sich mit Nachdruck dafür einsetzen, weltweit ein vergleichbares internationales Mengeninstrument wie den ETS zur Reduzierung von CO2-Emissionen zu etablieren. Nur auf diesem Wege kann ein fairer globaler Wettbewerb für die energieintensive Industrie gewährleistet werden. Solange nicht mindestens ein einheitliches CO2-Preisniveau auf G20-Ebene besteht, müssen für die im internationalen Wettbewerb stehende Industrie Entlastungen gewährleistet und Lösungen vorgelegt werden, um die Wettbewerbsfähigkeit in Deutschland und Europa zu erhalten. • Überstürzten Kohleausstieg vermeiden, Versorgungssicherheit als energiepolitisches Ziel fokussieren: Ideologisch geführte Diskussionen zu einem beschleunigten Ausstieg aus der Kohleverstromung im nationalen Alleingang sind nicht zielführend. Gerade auch mit Blick auf das anhaltende Wirtschaftswachstum ist kein Rückgang der Spitzenlast (Jahreshöchstlast) zu erwarten. Parallel wird weitere gesicherte Leistung, unter anderem durch die Schließung von Kernkraftwerken, bis 2022 stillgelegt. Eine bezahlbare und verlässliche Energieversorgung am Industriestandort Deutschland muss demgegenüber gerade bei einem steigenden Anteil volatiler erneuerbarer Energien oberste Priorität haben. Die einzusetzende Kommission für „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ der neuen Bundesregierung muss daher Maßnahmen vorlegen, damit genügend gesicherte Leistung zur Verfügung steht, um die Spitzenlast zu decken und Netzstabilität zu jedem Zeitpunkt zu erhalten. • EEG-Förderung für Erneuerbare-Neuanlagen abschaffen: Das EEG hat seine Aufgabe erfüllt, die erneuerbaren Energien breit in den Markt einzuführen und zu etablieren. Die letzten Ausschrei-

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bungsrunden für PV-Freiflächen, Wind-onshore und -offshore haben gezeigt, dass die Erneuerbaren wettbewerbsfähig sind. Die Förderung kann daher – bei finanziellem Bestandschutz für Alt­anlagen und Anlagen, die bereits in Planung sind – auslaufen. Daher sollte die Bundesregierung noch in dieser Legislaturperiode eine Road-Map mit Enddatum für die Förderung von Neuanlagen festlegen. Heute ­haben viele Technologien einen Reifegrad erreicht, der diese Art der risikofreien Förderung nicht mehr benötigt. Mehr energie­wirtschaftliche Integration ist auch im ­Bestand möglich und erforderlich. • Technologieoffene europäische Ausschreibungen statt ineffiziente regionale Steuerung einführen: Solange das EEG nicht ausläuft, sollten Ausschreibungen technologieübergreifend und im Sinne der Vollendung des EU-Binnenmarktes europäisch ausgestaltet und weiterentwickelt werden. Ziel ­ muss es sein, den Erneuerbaren-Ausbau maximal kosteneffizient zu bewerkstelligen. Eine kostentreibende regionale Steuerung der Erneuerbaren-­ Förderung lehnt der Wirtschaftsrat klar ab, da dies die Ausschreibungslogik durch eine künstliche Bevorzugung des Zubaus an ertragsschwächeren Standorten untergraben würde. Die Folge wäre eine deutliche Steigerung des Förderungsbedarfs. Ziel muss es stattdessen sein, die besten Erneuerbaren-Standorte netzsynchron auszubauen, um die Höhe der EEG-Umlage und der Netzentgelte zu beschränken. • Erneuerbare Energien in die Pflicht nehmen, neue Vermarktungsmodelle ermöglichen: Erneuerbare Energien müssen deutlich mehr Verantwortung für Versorgungssicherheit, die Bedarfsdeckung von Verbrauchern und Vermarktung übernehmen. Flexible Verkaufsoptionen durch neue Handelsprodukte an der Börse, die Verkürzung der Vorlaufszeiten im kontinuierlichen Handel, Echtzeit-Direktkontrakte zwischen erneuerbaren Erzeugern und Verbrauchern sowie die Erhöhung der Bilanzkreisverantwortung ermöglichen einen schrittweisen Übergang von einem auf EEG-Förderung basierten System für Strom


aus Erneuerbaren zu einem selbst tragenden Markt. Ziel sollte eine Verzahnung zwischen Erneuerbaren und Industrie, weniger staatliche Förderung, mehr Wettbewerb und eine Entlastung der Verbraucher sein. • Staatlichen Anteil am Strompreis absenken, Flexibilität steigern: Oberste Priorität ist es, Flexibilität und Energieeffizienz marktwirtschaftlich und technologieneutral zu steigern. Hierzu bedarf es Schnittstellen zwischen den Sektoren und eines Level-Playing-Fields in Bezug auf regulatorische ­ Rahmenbedingungen. In der Vergangenheit war es eine bewusste Entscheidung, durch Einführung einer Stromsteuer, den Verbrauch von Strom zu verteuern und damit ein energieeffizientes Verhalten anzureizen. Heute bedarf es jedoch keiner künstlichen Verteuerung des Stroms mehr – vielmehr haben staatlich induzierte Abgaben, Umlagen und Steuern, mittlerweile einen Anteil von über 50 Prozent am Strompreis. Zugleich haben wir immer mehr Stunden im Jahr, in denen das Angebot an erneuerbar erzeugtem Strom sehr hoch ist und eine Verlagerung einer hohen Stromnachfrage in diese Stunden sogar wünschenswert wäre. Zudem kann der Einsatz von Strom in den Bereichen Wärme, Mobilität und Industrieanwendungen einen wichtigen Beitrag leisten, um aus der Stromwende eine umfassende Energiewende zu machen. Die Technologien zur Steigerung von Flexibilität sind etabliert, setzen sich aber wegen staatlich-verteuerten Strompreisen am Markt nicht durch. Damit die Preissignale unmittelbar die Verbraucher erreichen und flexibles Verhalten anreizen, müssen die hohen Abgaben, Umlagen und Steuern auf den Strompreis konsequent abgebaut werden. Dies ermöglicht, Versorgungssicherheit und die Anpassungsfähigkeit von Verbrauchern sowie Erzeugern zu stärken. Der staatlich veranlasste Abgabenanteil am Strompreis sollte mindestens auf einen europäischen Durchschnittswert begrenzt werden, um Wettbewerbsnachteile bei den Energiekosten für Verbraucher in Deutschland abzubauen.

• Steuerliche Abschreibbarkeit von Effizienzmaßnahmen einführen: Die effizientere Nutzung von Energie ist eines der sinnvollsten Mittel zum Klimaschutz. Trotz aller Fortschritte liegen zum Beispiel im Bereich selbst genutzter Immobilien große Potenziale, die bei weitem noch nicht ausgeschöpft sind. Energieeffizienz ist ein Treiber der Energiewende auch im Wärmemarkt und im Verkehr. Es gilt, eine steuerliche Absetzbarkeit aller Maßnahmen einzuführen, die Effizienz in Energieverbrauchsbereichen verbessern. In keinem Fall dürfen diese noch zusätzlich mit Umlagen belastet werden. Das hilft dem Klimaschutz sowie dem Handwerk und der lokalen Wirtschaft. Industrieunternehmen können durch Einsatz moderner Effizienzlösungen ihre Wettbewerbsfähigkeit steigern. Möglichen Steuer-Mindereinnahmen stehen Mehreinnahmen aus zusätzlichem Wachstum und aus der Umsatzsteuer der realisierten Maßnahmen entgegen. Dies verdeutlicht das Beispiel der steuerlichen Förderung der energetischen Gebäudesanierung. Wie im Koalitionsvertrag verankert, gilt es, diese zusätzlich zum KfW-Instrumentarium umzusetzen, um Energieeffizienz im Gebäudebereich in die Breite zu tragen. 2. D igitalisierung in Europa muss Innovationsmotor werden! Der sichere und kostengünstige Betrieb des zunehmend vernetzten Energiesystems hat zwei wichtige Voraussetzungen: Einen gesicherten Datenzugang und eine sichere Datenkommunikation zwischen den verschiedenen Marktteilnehmern. Erst dann werden neue Geschäftsmodelle entstehen, die grenzüberschreitend digitale Innovationen nutzen und zur Versorgungssicherheit beitragen. Entscheidend sind technische Voraussetzungen, aber vor allem klare Regeln für Infrastruktur und Schnittstellen, eine justierte Rollenverteilung und die Beseitigung von Hindernissen, um die Chancen der Digitalisierung nutzen zu können. Wir schlagen vor:

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Positionspapier: Energie-Agenda 2030

• Die gesetzlichen Vorgaben zu Datenschutz und ­Digitalisierung europäisch harmonisieren: Digitalisierung im Bereich der Energiewirtschaft bedeutet vor allem Datenerhebung und -analyse bei der Steuerung der Energieflüsse und der Entwicklung digitaler Kundenlösungen. Diese Prozesse erfolgen immer kleinteiliger. Mit Blick auf die Ausweitung des sogenannten „Internet of Things“, also der direkten Einbindung einzelner Gegenstände und Lösungen in Internetdienste, sollten europäische Mindeststandards für Sicherheit, Datenschnittstellen und Datenschutz definiert werden. So werden neue Geschäftsmodelle, Produkte und Services ermöglicht und die bestehende Infrastruktur verlässlich gegen Missbrauch geschützt. Alle Unternehmen im Europäischen Digitalen Binnenmarkt brauchen daher vergleichbare Rahmenbedingungen und einfachere Datenschutzregeln, damit ein fairer Wettbewerb stattfinden kann. • Grenzüberschreitende Innovationen durch einen ungehinderten Datenfluss: Ohne Datenaustausch zwischen unterschiedlichen Unternehmensteilen und auch über Ländergrenzen hinweg werden Innovationen und das Zusammenwachsen der Energieinfrastruktur in Europa ausgebremst. Um europäischen Verbrauchern die besten Lösungen zu einem bestmöglichen Preis zugänglich zu machen, sollte der Austausch von Daten zwischen konzerninternen Legaleinheiten und Staaten („free flow of data“) ermöglicht werden. • Energieverbrauch transparenter machen: Für viele Transaktionen zwischen Kunden und Dienstleistern oder Lieferanten ist Transparenz durch einen schnellen und gesicherten Datenaustausch notwendig. Der Energiekunde allein ist der Eigentümer seiner Verbrauchsdaten. Er muss darüber entscheiden können, wer seine Daten wie nutzt. Damit Energiedaten sicher, verschlüsselt und nahezu in Echtzeit gespeichert und geteilt werden, sind auch Plattform-Lösungen zu etablieren, auf denen Dienstleistungen und Produkte entwickelt und angeboten werden können. Ein erfolgreiches Beispiel für eine solche Plattform ist die amerikanische Green-­Button Initiative.

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• Eine flexible Energiewelt braucht Echtzeit-Informationen: In einer von volatiler Stromerzeugung geprägten Energiewelt nimmt die Bedeutung des unmittelbaren Datenaustauschs zwischen den Marktakteuren, also Aggregatoren, Netzdienstleistern und Endverbrauchern zu. Damit dieser Datenaustausch fehlerfrei funktioniert und netz- und marktdienliche Dienstleistungen ermöglicht, muss der Datenaustausch standardisiert werden – auf Basis von Echtzeit. 3. Flexibilität marktwirtschaftlich und t­ echnologieoffen vorantreiben! Damit das zunehmend volatile Energiesystem jederzeit stabil ist, müssen Energieumwandlung und -verbrauch deutlich flexibler werden. Entscheidend ist es, Rahmenbedingungen zu schaffen, um Flexibilität einen Wert zu geben und Anreize für flexibles Verhalten zu setzen. Dazu ist es notwendig die Marktintegration der Erneuerbaren konsequent voranzutreiben und Hindernisse bei der Verzahnung von Strom, Wärme, Mobilität und Industrieproduktion abzubauen, damit die Anpassungsfähigkeit des gesamten Energiesystems verbessert wird. So kann zum Beispiel die Stromproduktion aus Erneuerbaren genutzt werden, um Kühl- oder Heizvorgänge zeitlich vorzuverlegen, um Batterien von Elektroautos zu laden oder um ­synthetisches Gas herzustellen, wenn der Strom zu dem Zeitpunkt nicht direkt genutzt werden kann. Energie kann somit gespeichert, CO2-Emissionen reduziert sowie die System- und Netzstabilität gesteigert werden. Wir schlagen vor: • Marktpreissignale in den Mittelpunkt stellen: Wenn viel Strom aus Erneuerbaren produziert wird, fallen die Preise an der Strombörse. Wenn wenig Strom aus Erneuerbaren eingespeist wird und gleichzeitig der Stromverbrauch in der Industrie hoch ist, steigen Preise und die Anforderungen an die Systemdienstleistungsbereitstellung. Auf diese Preisänderungen müssen Flexibilitätsanbieter, also Erzeugungsanlagen, Speicher, Verbraucher oder Aggregatoren, die in der Lage sind, den Verbrauch hoch- oder runterzuregeln oder zeitlich zu verschie-


ben, reagieren. So kann die Versorgungssicherheit kosteneffizient gestärkt werden. Erst wenn Abgaben, Umlagen und Steuern den Preis nicht mehr verzerren, können die Verbraucher oder Erzeuger kurzfristig Preissignale für Energie und die Bereitstellung von Flexibilität erhalten und entsprechend handeln. Dazu sollten auch einheitliche Rahmenbedingungen für moderne Mess-, Datenübertragungsund Steuerungstechnik geschaffen werden. • Erneuerbare-Energien im Markt nutzen statt ­abregeln: Mit dem zunehmenden Zubau der Erneuerbaren und dem immer noch schleppenden Ausbau der Stromnetze nehmen die Mengen von ungenutztem, abgeregeltem Strom deutlich zu. Neben Netzoptimierung, Netzverstärkung und dem prioritären Netzausbau auf allen Spannungsebenen ist Marktintegration erforderlich. So kann der Erneuerbaren-Strom, der nicht in das Stromnetz abgegeben werden kann, in den Sektoren Industrie, Wärme und Mobilität genutzt werden. So lassen sich Abregelungen vermeiden und die damit einhergehenden ­Kosten der Härtefallregelung von Bestandsanlagen reduzieren. Dazu muss geregelt sein, dass die Nutzung dieser Flexibilitäten immer erfolgen kann, wenn sie günstiger als die Abregelung von Windkraftanlagen ist. Investitionen in solche Flexibilitätslösungen sollten normalen unternehmerischen Risiken unterliegen und sich im freien Markt behaupten. Perspektivisch sollte die Härtefallregelung für Neuanlagen bei Stromnetzengpässen auf Basis eines beschleunigten Netzausbaus auslaufen. Für Bestandsanlagen sowie Anlagen, die bereits in Planung sind, muss Planungs- und Investitionssicherheit gelten. • Innovationen für systemnotwendige Stromnutzung wirtschaftlich voranbringen: Zeitweiliger Überschussstrom kann, wenn er in Wasserstoff, Methan, flüssige Chemierohstoffe oder Kraftstoffe umgewandelt wird (Power-to-X, P2X), kurzfristig und saisonal gespeichert oder für andere Anwendungen genutzt werden. Dies ermöglicht, ihn auch zur ge-

eigneten Zeit in anderen Bereichen zu nutzen, zum Beispiel im Winter zum Heizen. Noch stehen konventionelle Kraftwerke bereit, um bei Bedarf die Stromerzeugung hoch- oder runterzufahren. Wenn der Kernenergieausstieg vollendet und zunehmend fossile Kraftwerke außer Betrieb gehen, braucht es andere Lösungen. Daher sollten Power-to-X-Technologien heute erprobt und der Markteintritt vorbereitet werden, um eine wirtschaftliche Nutzung zu ermöglichen. • Planungssicherheit für hocheffiziente, flexible Kraft-Wärme-Kopplung (KWK): Eingriffe wie die rückwirkende Erhöhung der EEG-Umlage von 40 auf 100 Prozent für bereits errichtete hocheffiziente KWK-Anlagen ab dem 01.01.2018 führen zu regulatorischer Verunsicherung und stellen Investitionen in Frage. Um beim Umbau der Energieinfrastruktur erfolgreich voranzuschreiten, braucht es stabile Rahmenbedingungen. Unternehmen, die in KWK-Anlagen investiert haben, sollten weiterhin von einer Begrenzung der EEG-Umlage für KWK-Neuanlagen auf 40 Prozent profitieren. Hocheffiziente KWK-Anlagen verzahnen die Sektoren Strom und Wärme und leisten einen wichtigen Bei­ trag zum Klimaschutz. Zusatzbelastungen sollten vermieden werden, um industrielle Wertschöpfungsketten gerade auch im Mittelstand zu sichern. Ziel muss es dabei sein, das EEG auslaufen zu lassen. 4. N etzausbau auf allen Spannungsebenen ­beschleunigen, Netzentgeltsystematik neu ­ausrichten! Der Ausbau der erneuerbaren Energien und der Stromnetze muss besser aufeinander abgestimmt werden. Die zukünftige Energiewelt wird immer mehr durch lokale Erzeugung geprägt, nicht zuletzt aufgrund neuer stromgeführter Anwendungen im Mobilitätsund Wärmesektor. Neben den Übertragungsnetzen kommt Verteilnetzen daher eine bedeutende Rolle zu. Übertragungs- und Verteilnetze müssen ausgebaut, modernisiert und besser mit Erzeugung synchronisiert werden, um das Energiesystem zukunftsfähig zu gestalten. Neben dem nationalen sollte auch der

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Positionspapier: Energie-Agenda 2030

europäische Stromnetzausbau beschleunigt werden sowie die Systematik der Netzentgelte neuausgerichtet werden. In jedem Fall ist die europäisch vorgegebenen Entflechtung („Unbundling“) zu gewährleisten, um die Unabhängigkeit der Übertragungs- und Verteilnetzbetreiber von anderen Tätigkeitsbereichen der Energieversorgung sicherzustellen. Zudem ist hinsichtlich der Netzkosten die Situation der im internationalen Wettbewerb stehenden Branchen besonders zu berücksichtigen. Wir schlagen vor: • Grenzüberschreitende Integration stärken durch Ausbau von Kuppelkapazitäten: Die EU hat sich das Ziel gesetzt, die Kuppelkapazitäten zwischen Nachbarländern bis 2030 auf mindestens 15 Prozent der installierten Leistung auszubauen. Dieses Ziel ist wichtig, um den wachsenden Stromhandel und den diskriminierungsfreien Zugang zu den Kuppelstellen zu ermöglichen sowie eine einheitliche Preisbildung in Europa zu erreichen. Leider erfüllen bisher viele europäische Mitgliedstaaten diese Vorgabe nicht. Da die Realisierung des Netzausbaus einen langen zeitlichen Vorlauf hat, müssen die Weichen frühzeitig gestellt werden. Zur Überprüfung und Durchsetzung dieser Zielsetzung sollte daher ein Monitoring-Prozess aufgesetzt werden. • Stärkung der grenzüberschreitenden Kooperation: Eine Intensivierung der grenzüberschreitenden Kooperation von Netzbetreibern ist zielführend, allerdings sollten die Aufgaben dort erledigt werden, wo dies am sinnvollsten ist. Dies kann auf EU-Ebene, aber auch auf nationaler Ebene sein. Kompetenzverlagerungen aus Prinzip sind nicht notwendig, um Versorgungssicherheit und die Vollendung des EU-Energiebinnenmarktes zu gewährleisten. Eine umfassende europäische Verteilnetz-Interessenvertretung in Europa ist hilfreich, um die regulatorischen Herausforderungen mit Blick auf eine zunehmende Dezentralisierung der Erzeugung und Flexibilisierung der Nachfrage auf europäischer Ebene anzugehen.

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• Konsequente Synchronisierung von Erneuerbarenund Netzausbau: Die Synchronisierung von Erneuerbaren- und Netzausbau sollte über den Koalitionsvertrag hinaus gesetzlich konkretisiert werden, um ein weiteres Ansteigen der Netzentgelte und die Aufteilung der einheitlichen Strompreiszone am Wirtschaftsstandort Deutschland zu verhindern. In keinem Fall sollten die Netzkosten für Verbraucher durch eine überzogene Ausweitung der Erdverkabelung auf Wechselstromleitungen und wiederkehrende Entschädigungszahlungen für vom Netzausbau betroffene Grundstückseigentümer weiter in die Höhe getrieben werden. Weitere Subventionstatbestände durch Überkompensation von einzelnen Interessensgruppen können wir uns bei der Energiewende nicht leisten. • Netzentgeltsystematik zukünftig stärker an den tatsächlichen Kosten ausrichten: Das Stromnetz wird heute anders genutzt als früher. Kundennahe Erzeugung und Speicherung führen zu Stromflüssen in beiden Richtungen. Flexible Verträge und Elektromobilität werden das Nutzungsverhalten im Netz zunehmend verändern. Deshalb muss die Netzentgeltsystematik so weiterentwickelt werden, dass sich alle Netzkunden entsprechend ihrer Netznutzung an den Kosten beteiligen. Die Verteilung der Kosten sollte nach einem transparenten, verursachergerechten Ansatz erfolgen und muss die Wettbewerbsfähigkeit der im internationalen Wettbewerb stehenden Industrie gewährleisten. Die Netzentgeltsystematik sollte dabei im Hinblick auf ihre Anreize zu netzdienlichem Verhalten von Erzeugern und Verbrauchern überprüft und ­praktikabel angepasst werden. Die Aufnahmefähigkeit der Stromnetze sollte stärker in den Fokus genommen werden. Die Netzentgelte, als Kernelement der Netzentgeltsystematik, dienen vorrangig der Finanzierung der Netzinfrastruktur und des Netzbetriebes.


Verantwortlich: Wolfgang Steiger, Generalsekretär Dr. Rainer Gerding, Bundesgeschäftsführer Klaus-Hubert Fugger, Pressesprecher und Geschäftsführer Inhaltliche Betreuung und Konzeption: Dr. Bernd Weber, Bereichsleiter Industrie, Energie und Umwelt Dr. Cezara Missing, Fachgebietsleiterin Energieeffizienz, Umwelt und Klimaschutz

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