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EINSTIEG IM INTERVIEW

» «Digitalisierung ist und bleibt das Thema der Stunde

München · Franz Xaver Peteranderl, Präsident der Handwerkskammer für München und Oberbayern, weiß, dass Betriebe händeringend qualifizierte Mitarbeiter suchen. Nachgefragt Nachgefragt Nachgefragt Nachgefragt

9.517 Lehrverträge neu erfasst

Wie nachhaltig hat Corona den Ausbildungsmarkt verändert?“

Franz Xaver Peteranderl: Die Corona-Pandemie hat nicht die Ausbildungsbereitschaft der Betriebe verändert, sondern uns den Zugang zu Schulabgängern deutlich erschwert. Wichtige Ausbildungsmessen, auf denen sich Schüler über die Berufswahl informieren können, wurden abgesagt oder ins Internet verlegt. Dabei haben wir deutlich gespürt, dass das beste Online-Format die persönliche Begegnung nicht ansatzweise ersetzt. Dies gilt für die Gespräche unserer Ausbildungsakquisiteure mit den jungen Menschen wie auch für den direkten Kontakt zwischen Betrieben und Lehrstellenbewerbern. Viele andere Aktionen zur Berufsorientierung konnten gar nicht oder nur in abgespeckter Form stattfinden. Dazu zählen auch die regelmäßigen Schulbesuche unserer Ausbildungsberater- und Akquisiteure. Nicht zuletzt konnten wir uns bei Elternabenden und in Informationsveranstaltungen für Lehrer nicht in gewohntem Umfang präsentieren. Eltern und Lehrer sind für uns wichtige Multiplikatoren. In Zahlen ausgedrückt wurden im Münchner und oberbayerischen Handwerk im vergangenen Jahr, dem zweiten Corona-Jahr, 9.517 Lehrverträge neu erfasst. Insgesamt liegen wir damit knapp hinter dem Ergebnis von 2020. Verglichen mit dem Vor-Corona-Jahr 2019 fehlen uns rund 1.000 Abschlüsse. Da unsere Betriebe dringend qualifizierte Handwerkerinnen und Handwerker und keine ungelernten Helfer brauchen, trifft uns dieser Rückgang hart.

Wichtiges Instrument

Wie verändert die Digitalisierung den Ausbildungsmarkt?

Franz Xaver Peteranderl: Parallel zum Auftritt auf klassischen Ausbildungsmessen und zusätzlich zur Information durch Printprodukt und Ausbildungsbroschüren präsentiert sich das Handwerk schon seit vielen Jahren in den sozialen Medien. Ich nenne als ein Instrument der Nachwuchsgewinnung und Berufsorientierung die bayernweite Kampagne „Macher gesucht!“.

Franz Xaver Peteranderl

Präsident der Handwerkskammer für München und Oberbayern

Franz Xaver Peteranderl ist nicht nur Präsident der Handwerkskammer für München und Oberbayern, sondern auch Präsident des Bayerischen Handwerkstages (BHT). FOTO: Handwerkskammer für München und Oberbayern

Berufsbildern zusammengestellt

Was erwarten Sie in Bezug auf die Digitalisierung für die Zukunft, wenn Sie an das Thema Ausbildung und Nachwuchswerbung denken?

Franz Xaver Peteranderl: Die Digitalisierung ist und bleibt das Thema der Stunde. Ein Beispiel sind unsere Schülerpraktika, die den Jugendlichen eine erste Orientierung über verschiedene Berufsfelder geben. Hier hatten wir als Handwerkskammer für München und Oberbayern im vergangenen Sommer gemeinsam mit einem Start-Up eine digitale Vermittlungsplattform für Schülerpraktika während der Ferien auf die Beine gestellt. Jugendliche hatten so die Chance, sich auf dieser Plattform anzumelden und damit wurde ihnen anhand ihrer Interessen eine individuelle Praktikumswoche in verschiedenen Betrieben mit verschiedenen Berufsbildern zusammengestellt.

» «Jeder einzelne Azubi ist für seinen Betrieb ein kostbares Gut

Wie nachhaltig hat Corona den Ausbildungsmarkt verändert?

Florian Kaiser: Die Coronapandemie hat in der Berufsausbildung wie in vielen anderen Lebensbereichen manches auf den Kopf gestellt, aber letztendlich läuft die berufliche Ausbildung in den IHK-Ausbildungsbetrieben nach Plan. Schon im ersten Lockdown im März 2020 haben sich die Ausbildungsbetriebe auf die neue Situation eingestellt. Sie haben Konzepte entwickelt, wie sie ihren Azubis unter Beachtung der vorgeschriebenen Hygiene- und Infektionsschutzmaßnahmen die vorgeschriebenen Lehrinhalte praxisgerecht vermitteln können.

Hat die Ausbildungsbereitschaft der Betriebe aufgrund der Corona-Krise nachgelassen?

Florian Kaiser: Jeder einzelne Azubi ist für seinen Betrieb ein kostbares Gut, denn er ist die dringend benötigte Fachkraft von morgen. Deshalb hat die Ausbildungsbereitschaft der Betriebe auch unter Corona-Bedingungen nicht nachgelassen. Doch allein 2021 blieben in München und Umland über 2.000 Ausbildungsplätze unbesetzt, weil die Bewerber fehlten. Welche Gründe sind dafür verantwortlich, dass doch so viele Ausbildungsplätze unbesetzt sind? Neben den sinkenden Schulabgängerzahlen ist auch ein Grund dafür, dass durch Corona die Angebote in der Berufsorientierung für Schüler sehr eingeschränkt werden mussten. Aufgrund der Vorschriften gab es keine Ausbildungsmessen. Berufsinfoabende oder die wichtigen Praktikumsmöglichkeiten waren und sind rar gesät. Digitale Angebote konnten die Vor-Ort-Veranstaltungen nicht ersetzen. Es bleibt dennoch dabei: Mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung in der Tasche haben junge Erwachsene auch künftig ausgezeichnete berufliche Aussichten. Die Auswahl an Ausbildungsplätzen wird 2022 groß bleiben. Wer jetzt die Initiative ergreift und Kontakt zu den Betrieben aufnimmt, um seine Bewerbungsmöglichkeiten auszuloten, hat eine große Auswahl und beste Chancen, den für ihn passenden Platz und Betrieb zu finden.

Wie verändert die Digitalisierung den Ausbildungsmarkt?

Florian Kaiser: In vielen Berufen, vor allem in den kaufmännischen, hat coronabedingt auch in der Ausbildung das Home Office Einzug gehalten. Im Berufsbildungsgesetz ist allerdings der Ausbildungsbetrieb als Ausbildungsstätte definiert, deshalb wird Homeoffice oder mobiles Ausbilden ohne Anwesenheit einer Ausbilderin oder eines Ausbilders nicht zur Dauerlösung werden. Wichtig ist, auch im Homeoffice sind Azubis auszubilden und anzuleiten. Ausbilder müssen ihnen als Ansprechpartner zur Verfügung stehen

Florian Kaiser

Leiter des Referats für Bildungsberatung und Bildungsprojekte der Industrie- und Handelskammer (IHK) für München und Oberbayern Bild: IHK

und regelmäßig Kontakt halten, zum Beispiel über Videokonferenzen. Vor allem geht es darum, die Ausbildungsfortschritte im Blick zu behalten, Erlerntes zu vertiefen oder auch einfache Nachfragen zu klären.

Was erwarten Sie für die Zukunft in Bezug auf die Digitalisierung und das Thema Ausbildung?

Florian Kaiser: Eine Ausbildung in ausschließlich digitaler Form wird und kann es in absehbarer Zeit nicht geben. Aber sicher werden die digitalen Anteile, sowohl bei den Inhalten als auch bei den Lerninstrumenten, eine größere Rolle spielen. Eine Ausbildung zu absolvieren, bedeutet ja mehr, als nur Fachwissen zu erlangen, um dann eine Prüfung zu bestehen. Mindestens genauso wichtig sind die vielen praktischen Fertigkeiten und auch die Soft Skills, die während einer Ausbildung vermittelt werden. Viele Ausbildungsberufe, etwa mit Kundenkontakt oder in der Produktion, lassen sich ohnehin nicht vollständig digitalisieren. Sicher ist jedoch, dass sich unsere Ausbildungsbetriebe auf eine zunehmende Digitalisierung der Ausbildung einlassen und die darin steckenden Chancen auch für sich erschließen müssen. red

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