Künstlerpapier
Wolff
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verlag
MATROSENHUNDE »Euphorie ist ein hartes Pflaster.« 12. Juli – 6. September 2012
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Falscher Monat, falsches Leben.
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Die Ausstellung Matrosenhunde im Wolff Verlag
Zwischen zwei Ausdrucksformen, zwischen Worten und Zeichnungen entspinnt sich die Möglichkeit eines Dazwischens. Grenzen werden ausgelotet, Beobachtungen getätigt, ein Dialog findet statt. Ein Dialog, der keiner Erklärung bedarf, ein Geschichtenerzählen ohne Gebrauchsanweisung. Matrosenhunde suchen und finden und verweben Erlebnisse mit den jeweils subjektiven eigenen Gedanken, Gefühlen und Erinnerungen. Es geht um das Hineinspüren in unterschiedlichste Zusammenhänge und das Fassbarmachen, zwischen den Zeilen, im Strich der Zeichnung, in einem Zwischenraum von Bild und Text. Die Grafikerin und Illustratorin Fine Heininger ist für die Bilder zuständig, die Texterin Madeleine Penny Potganski für die Worte. Eine Zeichnung antwortet auf einen Satz – und umgekehrt, es entstehen fragmentarische Verbindungen, ein Dialog aus Bild und Text, der eine weitere Erzählebene öffnet, 1+1=3. Die in ihrer poetischen und leicht großstadtmelancholischen Art ehrliche Kunst der Matrosenhunde wird von den beiden Künstlerinnen im Original, im Kunstbuch und auf ihrem Internetblog präsentiert. Im Projektraum des Wolff Verlags wird eine Auswahl ihres frischen Werkes präsentiert.
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Es geht nicht mehr um Optimierung: 端bermorgen bin ich weg.
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Madeleine Penny Potganski
Frage und Gegenfrage Wie Matrosenhunde kommunizieren
Matrosenhunde korrespondieren in Bild und Text. Ausgehend von der Projektarbeit „Matrosenhunde, Kapitänsfrauen und der weiß lackierte Zaun“, einem poetischen Tagebuch, das über ein halbes Jahr geführt wurde (September 2009 – Januar 2010); einer Residenz im „Spring House“ Dresden im April 2011 und einer Feld- und Flurforschung in Zempow, Brandenburg im Juni 2011 machen sich Matrosenhunde auf zu neuen Ufern. Den Augenblick einfangen, sein persönliches Gesicht, seine beispielhafte Wiederkehr, die Atmosphäre einer Begegnung mit einem Stück Realität. Zwischen Texten und Zeichnungen treffen sich Persönliches und Beispielhaftes. Matrosenhunde ist ein intermedialer Tanz, ein Tanz der Fragen stellt, der Neugier folgt, sich überraschen lässt. Matrosenhunde erweitern Horizonte: mit dem Fernglas auf der Lauer liegen, weiße Flecken auf der inneren Landkarte besiedeln, die kleinen und großen Alltäglichkeiten notieren. Matrosenhunde sammeln Eindrücke und suchen den Zusammenhang. Worte und Bilder reichen sich die Hand, machen sich auf den Weg, versuchen immer wieder, die mathematische Tangente zu beschreiben, sich leise zu nähern, zu Gast zu sein. Matrosenhunde sammeln unterwegs Puzzleteile und fügen sie zusammen, Worte und Bilder suchen nach der Verbindung zwischen den Dingen, der Möglichkeit einer Erzählung. Momentaufnahmen überlagern sich, werden untersucht und neu verknüpft. Handlungsräume und Protagonisten werden gefunden, Verbindungen gesponnen. Matrosenhunde loten den Raum zwischen sich und den zwischen Decke und Boden neu aus; lassen einen Ort auf sich wirken und seine ihm eingeschriebenen Geschichten: Die geheime Poesie der Dinge.
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Ganz und gar unn端tz sein, das wollte er versuchen, unn端tz und rebellisch.
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Florian Scherübl
Von Pasteten und Melancholie Über die Arbeitsweise der Matrosenhunde
Die Werke der Matrosenhunde sind sonderbar Pastiche-artige Momentaufnahmen der Wirklichkeit, keine humoristischen Zeichnungen oder einfache Comics. Letztere machen immer ein wenig Spaß über die Realität und die ernsthaften Weisen ihrer Abbildung oder stellen sie in einem ins Komische verzerrten Licht dar. Wenn die Sätze der Matrosenhunde mit gediegener Melancholie die allzu menschlichen Alltage von Großstadtbewohnern und Landmenschen beleuchten, so tragen die fragilen Blei- und Buntstiftzeichnungen ihren Teil zu dieser bei. Denn das Pastiche ist eine Sonderform der Parodie – eine, die das Original mit Hochachtung behandelt, es unangetastet lässt, sich davor hütet, wie es jede sonstige Parodie tut, sein Vorbild der Lächerlichkeit preiszugeben. Die vermeintlich objektiven Bilder der Wirklichkeit, deren Nachzeichnungen wir hier vor uns haben, wären melancholisch, weil die Wirklichkeit von der sie künden, unvermittelt traurig erscheint. So sind auch viele ihrer Arbeiten letztlich melancholische. Auch wenn vier nach vorne gebückte Gestalten ihre Köpfe in einem Meer aus dunklen Strichen versenken und die gemeinsam eingenommene Pose in ihrem Befremden den Betrachter lachen lassen möchte – die Bildunterschrift verrät: Nichts klappt mehr außer Kaviar. Ein Eingeständnis von Dysfunktion. Diese Pastiches sind Darstellungen von Elendsbildern, von einer Malaise, die Großstadtleben heißt. Auffallend an ihnen ist, wie Dinge und Menschen zwar beide gleichermaßen die skizzenhaften Zeichnungen bevölkern, einem jedoch nur selten zusammen unterkommen. Gegenstände und Personen wirken wie durch ein unsichtbares Absperrband voneinander getrennt, dass die Bilder nicht näher benennen, dafür aber in seiner Wirkung aufzuzeigen vermögen. Wer sind aber diese manchmal vollständig von Gegenständen und Landschaften separierten Kreaturen?
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Es sind Halbmenschen, ausschnitthafte Gestalten, Körperfragmente, deren Partien oft leichte Neigungen zum Geometrischen zeigen. Darin ähneln sie sich den herrenlosen Artefakten der anderen Bilder wieder an. Wie diese scheinen sie in der Schwebe zu hängen, in beständiger Stasis zu verharren, auf ihre Erlösung aus der Regungs- und Beziehungslosigkeit zu warten. Es sind gerade die unscheinbaren Alltagsgegenstände, denen diese Eigenschaften zukommen; diejenigen, mit denen der Umgang derart selbstverständlich und bedingungslos funktioniert, dass ihr Dasein über der reibungslosen Interaktion dem Vergessen anheimfällt: Stiefel, Toastbrot, Stühle, Kleider … Obwohl die Arbeiten bisweilen ein Lächeln aufs Gesicht zu zaubern vermögen, verfolgt das Matrosenhunde-Projekt mit seinen tiefen Blautönen und trüb getöntem Papier einen zutiefst ernsten Anspruch.
Ich habe alles zerstört, es sieht sehr schön aus.
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Robert Eberhardt
Kapitänsfrauen unter fremden Segeln Der Galerist über die Matrosenhunde
Mit einem teleskopischen wie mikroskopischen Blick durchstreifen Matrosenhunde das alltägliche Leben und entdecken dabei Wahrheiten, die sehr nahe bei uns wohnen. Konzentriert in einem Satz und einem Bild treten uns kleine wie große Überraschungen entgegen: Das zufallende Kastenschloss mit der Feststellung »Man kann nicht mit jedem, den man liebt, sein Leben verbringen.« ist dabei in einer kräftigen schwarzweißen Ästhetik gehalten. Andere Werke lassen sich dieser kontrastreichen Werkgruppe zuordnen, so das Porträt einer Jüdin mit der textlichen Aufforderung »Bitte, machen Sie Fehler!«. Andere Arbeiten sind koloriert und strahlen sanft, so das anatomische Herz mit seinem Diktum »Falscher Monat, falsches Leben«. Der Betrachter hat sich seine Gedanken zu machen und wird in seinen privaten Assoziationen freudig mehr als einen Bildsinn finden. Die Kunst der Matrosenhunde lebt von Andeutungen, von sprachlichen Substraten und zeichnerisch reduzierten Spuren. Bilder, Texte und das Mehr zwischen ihnen laden den Betrachter ein, genau hinzusehen, auch in seinem Leben, und einfach mitzuspielen beim ehrlichen Entdecken von wahren Momenten. Wenn das eigene Dasein dadurch – trotz ernsthafter Teilhabe – eine sommerliche Leichtigkeit bekommt und von Poesie und Zweideutigkeit ebenso durchzogen wird wir die Kunst der Matrosenhunde - dann ist ein großes Glück geschehen.
Foto: Wolf Abraham
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Vita
Fine Heininger, geboren 1984 in Berlin, studierte Visuelle Kommunikation an der Kunsthochschule Berlin Weißensee, Illustration & Druckgrafik an der École Nationale Supérieure des Arts Decoratifs in Paris, hospitierte in der Klasse Illustration bei Henning Wagenbreth an der Universität der Künste und in der Klasse Malerei bei Hanns Schimanski an der Kunsthochschule Berlin Weißensee. Sie schloss ihr Studium mit dem von Nanne Meyer betreuten illustrativen Buchprojekt »Wer ist schon ein Held?« sowie der von Walter Scheiffele betreuten Untersuchung »Sein und Haben und Behalten« mit Diplom ab. Zur Zeit arbeitet sie als freie Grafikerin und Illustratorin für Magazine, Verlage, Institutionen, Wände und das Internet. Sie lebt in Berlin, wo die Straße brennt und die Drachen fliegen und spaziert am liebsten mit ihrem Hollandrad an hängenden Gärten vorbei. Illustrationen, Influenzen und Koleopterologie gibt es hier: www.finemusique.com
Foto: Petra Glas
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Vita
Madeleine Penny Potganski, geboren 1985 in München, studierte in Wien und Berlin Theater-, Film- und Medienwissenschaft, Geschichte und Kunstgeschichte. Dort schlug sie sich Nächte bei Filmdrehs um die Ohren, schraubte an Bühnenteilen, begleitete Schauspieler durch dunkle Katakomben oder verwob Texte als Dramaturgin. Sie diplomierte zur Kinotheorie mit dem Titel »Die geliebteste aller lebenden Maschinen - Jean Epstein und das Kino, das die Welt verändert«. Zur Zeit arbeitet sie als Texterin, Lektorin und Projektassistentin für Kunstschaffende, Verlage und Start-Ups und beschäftigt sich mit Wortfindungen und kleinen & großen Rätseln. Sie lebt in Berlin, wo der Himmel weit und die Straßen breit sind und durchquert das Land am liebsten zu Wasser und zu Pferd. Beobachtungen am Wegesrand, Montagsfragen und etymologische Betrachtungen gibt es hier: www.umwege-im-orbit.tumblr.com
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MANIFEST
Kunst-
Zuerst stellen wir Regeln auf. Dann 체berlegen wir, ob wir sie wieder abschaffen:
1. Wir arbeiten. Immer. 1.1. Madeleine schreibt auf. 1.2. Fine krickelt.
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MATROSENHUNDE MOMENTAN MOMENTAN MATROSENHUNDE
Oder: Was tue ich, wenn du dies und das machst.
2. Wir denken; wir gucken nicht einfach nur aufs Wasser. 2.1. Darum sind wir vielleicht nicht hier. 3. Sprecht uns nicht an! 3.1. Das ist keine Performance. 3.2. Auch kein Bilderbuch. 4. Wir kommunizieren: [1 Satz (Madeleine) + 1 Bi ld (Fine)] x [Zeit + Ort] die Unabw채gbarkeit der Dinge = das unaussprechliche Dazwischen
Sonderausgabe EDITION ERFURT 2012
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bücher
»Matrosenhunde momentan – Sonderedition Erfurt« Berlin, März 2012, 16 Seiten
»Cool am Alex – Matrosenhunde unterwegs« Berlin, Januar 2012, 60 Seiten
»Matrosenhunde, Kapitänsfrauen und der weiß lackierte Zaun« Berlin, Februar 2010, 314 Seiten
Projekte & Ausstellungen
Juli/August 2012 »Euphorie ist ein hartes Pflaster« Einzelausstellung Projektraum Wolff Verlag, Berlin März 2012 Gemeinschaftsausstellung Kunstpreis Erfurt F.Ö.N. Klubhaus der Energiearbeiter, Erfurt seit November 2011 »Matrosenhunde suchen das Glück« Forschungsprojekt Juli 2011 »Zempower Beobachungen – Matrosenhunde zu Gast bei hupe-design« Arbeitsaufenthalt www.hupe-blog.de April 2011: »Matrosenhunde im Spring House« Symposiumsteilnahme Magazingestaltung Gemeinschaftsausstellung Springhouse Bettinastr. 18, Dresden www.spring-house.de Februar 2011: Gemeinschaftsausstellung, Kunstpreis Erfurt F.Ö.N. Petersberg, Erfurt Dezember 2010: »Fahrt ins Blaue« Gemeinschaftsausstellung Baystübl Galerie, Berlin
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Passieren statt Forcieren.
Wie ist es dort, wo andere Dinge wichtig sind? Heute mach ich Inventur, heute sammel ich Beweise.
Nichts klappt mehr außer Kaviar.
Zwischen uns: Ein Haufen vorgestellter Leben.
Ich wäre gerne ein wenig erstaunter.
»Bitte, machen Sie Fehler!«
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Ich roch den ganzen Sommer nach Autan-Ersatz.
Man sieht sich immer zweimal, heiĂ&#x;t es, aber das ist nicht genug; Abschiednehmen ist eine sehr ungleichgewichtige Sache. Unter dem Land: Heimatliebe und Eifersucht.
Dreh dich nicht um.
Schon schĂśn, wenn man sich so ein Monopol gesichert hat.
Man kann nicht mit jedem, den man liebt, sein Leben verbringen.
Hrg.
verlag
www.wolffverlag.de
Projektraum Wolff Verlag Unter den Linden 40 10117 Berlin
Robert Eberhardt
www.matrosenhun.de
kontakt@wolffverlag.de
Wolff
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