Beobachter Magazine 2014 gesundheitsdaten dacadoo

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DATEN

Die vermessene Gesundheit Gesundheitsdaten werden milliardenfach gehortet – in Arztpraxen, Spitälern und auf Smartphones. Nur: Wem gehören diese Daten? Und ersetzen die Gesundheits-Apps bald den Doktor?

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ufgereiht in Pink, Grün, Orange und Mint, sehen sie aus wie Ostereier: die Armbänder von Fitbit. Die modischen Dinger zählen Schritte, messen zurückgelegte Strecken und errechnen verbrannte Kalorien. Nachts zeichnen sie den Schlaf auf. Über Bluetooth gleichen sie diese Daten automatisch mit dem Smartphone oder dem Computer ab. «So hast du rund um die Uhr Echtzeit-Zugriff auf deine Werte», lautet das Versprechen. Zu haben ist ein Armband für gut 100 Franken.

Jede kleinste Regung wird festgehalten Yago Veith trägt ein Fitbit-Armband in diskretem Grau. «Seit zwei Jahren nonstop. Es geht darum, Verantwortung über die eigene Gesundheit zu übernehmen», sagt der 34-Jährige – in Anlehnung an den Slogan «It’s all about you» der Firma Dacadoo, für die er arbeitet. Veith – schlaksiger Typ, rote Hipsterbrille – gehört zum Schweizer Ableger von «Quantified Self». Die aus den USA stammende Bewegung hat sich der pausenlosen Körpervermessung verschrieben. Energieverbrauch, tägliches Training, Zuckerpegel, Puls oder Gewichtskurve – solche Daten und noch viel mehr sammeln Quantified-Self-Anhänger und (tendenziell weniger) -Anhängerinnen pausenlos, um sie mit der Community zu teilen. Sei es mit Armbändern und ähnlichen Gadgets, sei es über Sensoren auf dem Smartphone. Das Geschäft mit dem sogenannten Selftracking boomt. Ende April kaufte Facebook die Fitness-App «Moves». Sie ist nur eine von inzwischen 40 000 GesundheitsApps, die weltweit angeboten werden. Das Vermessen des Körpers ist mächtig en vogue. Und das Sammeln immenser

Datenmengen hat längst die 1000, zusammengesetzt aus Medizin erreicht – Big Data den metrischen Daten des wird auch hier zum grosKörpers, der Lebensqualität sen Treiber der Entwick(«Gefühle») und dem Lifestyle lung. «Diese Trends haeiner Person. Dacadoo spricht ben das Potenzial, das vor allem Firmen an, die «ein Gesundheitswesen radimodernes betriebliches Gekal umzukrempeln», sagt sundheitsmanagement» aufThomas Gauthier, Profesbauen wollen. Denn gesunde, sor an der Haute École de fitte Angestellte sind nicht nur Gestion in Genf. Während zufriedener, sondern vor allem die Medizin heute vor allem leistungsfähiger. 120 000 Kunreaktiv ist – darauf ausden nutzen die App weltweit, gerichtet, Krankheiten zu bis Ende 2015 sollen es eine behandeln –, werde sie Million sein. morgen «prädiktiv, präDer Fitteste ist Triathlet ventiv, personalisiert Der höchste bisher ermittelte und partizipativ sein», Health Score lag bei 917 Punkschreibt Gauthier in eiten, erreicht hat ihn der Euner Publikation des Zürropameister im Triathlon. cher Think Tanks Wire. Veiths Wert beträgt beachtTherapien, die auf Durchliche 750 Punkte. Dass der schnittswerten der Bevöl34-Jährige fit ist, sieht man kerung beruhen, würden auch von blossem Auge: Er künftig eine geringere Rolle ist gross (1,93 Meter), schlank spielen. Immer wichtiger (74 Kilogramm) und bewegt hingegen werden indiviSie registrieren alles, sich mit einer Lockerheit, die duelle Daten: Sie sind sozuob den Puls oder die vom vielen Biken und Laufen sagen der Rohstoff der perLänge der Schlafphasen: (mindestens 10 000 Schritte sonalisierten Medizin. Fitness-Messer täglich) kommen muss. Solche Daten erhebt Bei seinen Gefühlen aber auch Dacadoo, ein Start-up des Schweizers Peter Ohnemus mit Büros gebe es noch Luft nach oben, findet Veith. im Zürcher Seefeld und San Francisco. Zu viel Stress? Auch diesen Wert erfasst «Unser Produkt ist ein Health Score, also Dacadoo, unter anderem über die Herzein Gesundheitswert, mit dem man seine frequenz. So werden pausenlos Millionen persönliche Fitness und sein Wohlbefin- persönlicher Gesundheitsdaten generiert, den messen kann», erklärt Yago Veith, zu- die Dacadoo auf einem Server in den ständig für das digitale Marketing. Der Schweizer Alpen aufbewahrt. Wenn ein Health Score ist eine Zahl zwischen 1 und Kunde kündigt, werden sie gelöscht. Die

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Text: Irène Dietschi; Fotos: Basil Stücheli


«Es geht darum, Verantwortung über die eigene Gesundheit zu übernehmen.» Yago Veith, Marketingverantwortlicher bei der Gesundheitsplattform Dacadoo

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Datensicherheit, beteuert Veith, habe Nach dem gleichen Businessmodell benswert. Aber das Businessmodell von oberste Priorität. funktionieren Firmen, die genetische Tests 23andMe oder auch Patientslikeme unterAnderseits: Wie bei allen Social Media im Netz anbieten. 23andMe etwa, das stützt der ETH-Professor nicht. geht es auch bei Dacadoo ums Teilen, und Google-unterstützte Unternehmen aus Ernst Hafen ist davon überzeugt, dass die Quantified-Self-Szene tut es laufend. dem kalifornischen Mountain View, ver- der Einzelne in Zukunft als Eigentümer seiDasselbe gilt für Gesundheitsforen im In- treibt seine DNA-Analysen online für läp- ner Daten zum Dreh- und Angelpunkt von ternet. Das bekannteste ist das Webportal pische 99 Dollar. Dabei sind die Eigner Gesundheitsinformationen werden muss Patientslikeme.com, dessen 250 000 Nutzer aber nicht von Selbstlosigkeit getrieben. (siehe Interview, rechts). «Der Patient soll an chronischen Krankheiten wie multipler Ihnen geht es um die Daten. entscheiden, wem er seine Daten in welSklerose, Fibriomyalgie oder chem Umfang offenlegen will», Amyotropher Lateralsklerose sagt er. Erst dann gelinge es, leiden. Man muss nur E-MailBig Data nutzbringend für die «Die Daten widerspiegeln Adresse, Benutzername und Gesundheitsvorsorge und die den inneren Zustand einer Person.» Passwort sowie einige persönMedizin einzusetzen. John Stiffe, Coach und Suchtberater liche Angaben eintippen, schon ist man dabei. Dann folDer Schweizer Weg gen detailliertere Fragen: An Das gleiche Ziel verfolgt im welcher Krankheit, welchen Prinzip auch das elektronische Symptomen leiden Sie? WelPatientendossier, das der Bund che Medikamente nehmen Sie, im Rahmen seiner eHealthwelche Nebenwirkungen haStrategie schweizweit einfühben Sie festgestellt? ren will. Es soll ermöglichen, orts- und zeitunabhängig auf Wem gehört die Information? medizinische Informationen «Wir glauben, dass das Teilen zuzugreifen, sofern die Patienmedizinischer Informationen ten zustimmen. Die Gesundund Erfahrungen etwas Gutes heitsdaten sollen aber nicht ist», halten die Plattform-Bezentral gespeichert werden, treiber in ihrer «Philosophie sondern dezentral in «Silos» der Offenheit» fest. Warum? von sogenannten Gemein«Weil damit die Zusammen­ schaften, zum Beispiel bei den arbeit auf globaler Ebene und Ärzten, Spitälern, Apothekern. neue Behandlungen ermögBildlich gesprochen heisst das: licht werden.» Dass dies kein «Der Patient bekommt zwar leeres Versprechen ist, hat Pa­ als Eigentümer den Schlüsseltientslikeme bereits bewiesen, bund zu seinen Daten in die zum Beispiel in einer aufseHand. Um diese Datenräume henerregenden Online-Studie zu betreten, muss er aber jedes von 2011, in der sich Lithium Mal bei seinen Vormündern als Medikament bei Amyotroanklopfen», erklärt der Basler pher Lateralsklerose als wireHealth-Experte Martin Denz. kungslos zeigte. Voraussichtlich im Herbst wird Wem aber gehören all diese das Parlament über einen GeGesundheitsdaten? Im Fall von setzesentwurf zum PatientenPatientslikeme dem Nutzer – dossier beraten. wenn er zustimmt, verkauft die Die Vision von Ernst Hafen US-Firma die Daten aber weiter. Anfang «23andMe und ähnliche Firmen wollen und seinen Mitstreitern vom Verein «Daten April schloss Patientslikeme einen Vertrag an möglichst viele Datensätze herankom- und Gesundheit» geht aber noch viel weimit der Firma Genentech ab. Während fünf men, um sie weiterzuverwerten», sagt ter: Als Modell der Zukunft schwebt ihnen Jahren erhält nun das kalifornische Bio- Ernst Hafen, Professor für Molekularbiolo- eine Genossenschaft vor, die aus der «di­ tech-Unternehmen, das zu Roche gehört, gie an der ETH Zürich. In den Daten liege gitalen Leibeigenschaft» von Ärzten, SpitäZugang zu den Patientendaten, die es für der eigentliche Wert der Tests, der sich spä- lern und Versicherern befreit ist. Darin soldie Erforschung neuer Medikamente nut- ter in innovativen, individualisierten The- len die Bürgerinnen und Bürger ihre Daten zen will. Es ist die bislang grösste Koope­ rapien materialisieren könne. Dass dieses eigenverantwortlich aufbewahren und verration zwischen einem sozialen Netzwerk Potenzial genutzt und damit geforscht wer- walten (lassen). Nicht nur Gesundheits­ und einer Pharmafirma. den soll, findet Hafen zwar auch erstre- daten, sondern auch andere persönliche


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DATENKONTROLLE

«Wir sind Milliardäre» Daten, etwa zur Aus- und Weiterbildung. «Das genossenschaftliche Prinzip ‹Ein Mitglied – eine Stimme› ist für persönliche Daten besonders gut geeignet, da alle Menschen ähnlich viele persönliche Daten besitzen», so der ETH-Professor. Die Einrichtung eines solchen persönlichen Datenkontos soll allerdings so freiwillig sein wie ein Konto bei der Bank. Hafen verbringt sein im Sommer zu Ende gehendes Sabbatical damit, für diese Idee bei Politik und Wirtschaft zu lobbyieren. 320 Gespräche habe er bereits geführt.

Vom Stress, perfekt sein zu wollen Letztlich fragt sich aber: Was bringt das Sammeln von Gesundheitsdaten für die Einzelnen überhaupt? Und was ist von jenem Dacadoo-Nutzer Ende 60 zu halten, der seinen Health Score immer weiter nach oben treiben will und in Stress gerät, wenn er mal einen Punkt verliert? «Die praktisch unbegrenzten Daten, über die wir bereits verfügen, bergen die Gefahr, dass sie uns ein Gefühl der Allwissenheit vorgaukeln», meint der Genfer Experte Thomas Gauthier. «Wir könnten dem Trugbild einer falschen Objektivität und ‹Vollständigkeit› erliegen, indem wir datenbasierte Befunde und Diagnosen fraglos akzeptieren.» Doch Daten sind laut Gauthier kein Ersatz für professionelle Erfahrung und menschliche Sensibilität. Sie sind «ein wertvoller Assistent, aber nicht unser neuer Doktor».

FOTO: PRIVAT

Können Daten Selbstvertrauen schaffen? Nach dieser Maxime handelt der Kanadier John Styffe aus Thalwil. Auch er ist ein Mitglied von Quantified Self, auch er vermisst sich seit Jahren. Styffe arbeitet mit Neuround Biofeedback, um Erwachsenen mit Suchtproblemen oder von ADHS betroffenen Kindern zu helfen. Messungen von Hirnströmen, der Körpertemperatur oder dem Puls sind dabei wesentlich. «Solche Daten sind objektiv, sie widerspiegeln den inneren Zustand einer Person», sagt der 61-Jährige. Styffe selber versteht sich als Coach: Er hilft seinen Kunden, die Werte zu interpretieren und sie als Basis für das mentale Training zu nutzen. Das Ziel sei Selbst­ vertrauen. Am Ende gehe es nicht um das Kontrollieren der Daten. Sondern darum, sie loszulassen.

ETH-Professor Ernst Hafen kämpft dafür, dass Bürger die Hoheit über ihre Gesundheitsdaten bekommen. Interview: Irène Dietschi Beobachter: Warum interessieren Sie sich derart stark für Gesundheitsdaten? Ernst Hafen: In der Medizin sind wir heute so weit, dass Krankheiten auf molekularer Basis behandelt werden, also auf der Ebene einzelner Gene. Diese sind aber von Mensch zu Mensch verschieden. Kleinste Abweichungen im Erbgut führen zu grossen Unterschieden, auch bei Krankheiten. Es gibt nicht nur einen Typ von Brust- oder Prostatakrebs, sondern unzählige Formen. Um diese Unterschiede zu bestimmen und zielgerichtete Medikamente zu entwickeln, ­ braucht die Forschung viele Datensätze, die sie miteinander vergleichen kann.

nehmen kann. Im engeren Sinn geht es uns um Citizen Science, um die Nutzbarmachung medizinischer Daten für die Forschung. Ihnen schwebt eine genossenschaftlich geführte Gesundheitsdatenbank vor. Nur: Wie sollen die Daten von meiner FitnessApp auf ein solches Konto gelangen? Das ist erst einmal eine technische Herausforderung, indem man Schnittstellen schafft. Für medizinische Daten müssen Sie als Bürgerin von jedem Röntgenbild, jeder Laboruntersuchung eine Kopie verlangen, die Sie dann auf Ihr Gesundheitskonto einspeisen lassen. Ob diese Kopie gemacht wird, entscheiden Sie allein.

Was umfasst der Begriff Gesundheitsdaten überhaupt? Sehr vieles. Es sind einerseits Wie wollen Sie Missbräuche die medizinischen Daten, die Ernst Hafen, verhindern? beim Hausarzt, bei der Gynä­ ETH-Professor Indem man – das ist die recht­ kologin, im Spital oder bei den liche Seite – diese GesundheitsVersicherern gelagert sind. Aber auch die bank klug reguliert und zum Beispiel Fitnessdaten, die der Einzelne über seine missbräuchliche Datenzugriffe per Gesetz sanktioniert. Das genossenschaft­ liche Modell würde das ermöglichen, es «Den Datenschatz wollen ist urdemokratisch. wir nicht länger Google

oder Apple überlassen.» Ernst Hafen, ETH-Professor

Selftracking-Geräte sammelt, fallen darunter. Letztlich gibt auch meine Cumulus­ karte von der Migros einen Eindruck davon, was wir zu Hause essen. Im Internet hinterlassen wir noch viel mehr Spuren. Aufgrund unserer Klicks weiss Google wohl mehr über meinen momentanen Gesundheitszustand als mein Hausarzt. Für Google sind unsere Daten die Basis für ihr Geschäftsmodell. In den USA verordnete eine Versicherung jenen Kunden ein Abnehmprogramm, die online Kleider im XL-Format gekauft hatten. Solches gilt es zu verhindern. Was bezweckt Ihr Verein «Daten und Gesundheit»? Wir wollen eine Diskussion über die ­Rahmenbedingungen fördern, damit der Bürger die Hoheit über seine Daten über-

Das Gesundheitswesen würde dadurch stark verändert. Wie realistisch ist Ihr Szenario? Es braucht dazu einen Kulturwandel. Erstens bei den Bürgern, indem sie erkennen, dass ihre Daten einen Wert haben, unabhängig davon, ob jemand in der Schweiz oder den USA oder in Afrika lebt. Datenmässig sind wir alle Milliar­ däre, und diesen Schatz wollen wir nicht länger Google oder Apple überlassen. Zweitens braucht es ein Bewusstsein, dass man die persönlichen Daten in di­ gitaler Selbstbestimmung so verwalten kann wie das eigene Geld. So kann jeder und jede zu einer effektiveren Gesundheitsversorgung und zur Forschung einen Beitrag leisten. Das ist die wahre personalisierte Medizin. Ernst Hafen ist Professor für Molekulare Systembiologie an der ETH Zürich und Mitbegründer des Vereins «Daten und Gesundheit». Der Verein zählt 200 Mitglieder. www.datenundgesundheit.ch


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