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April 2017
O N L I N E
M A G A Z I N
Inhalt Vorwort............................................................................................................................................................................................4 Gopal in Deutschland.................................................................................................................................................................6 Reisezielvorstellung: Ladakh im Winter...............................................................................................................................8 Ladakh im Winter begegnen................................................................................................................................................ 10 Rezept: Tingmo mit Dal.......................................................................................................................................................... 12 Fotostrecke: Ladakh im Winter............................................................................................................................................ 14 Geschichte: Appu Appi .......................................................................................................................................................... 28 Rezension: Neun Leben ......................................................................................................................................................... 36 Trekvorstellung: Saira - Sumer (Rajasthan)..................................................................................................................... 37 Mitarbeitervorstellung: Shailendra Khachhawa............................................................................................................ 40 Foto mit Geschichte................................................................................................................................................................. 42 Top 50 ........................................................................................................................................................................................... 43 Lieblingsorte............................................................................................................................................................................... 44 Tipps............................................................................................................................................................................................... 45 Wenn Wirtschaftswachstum taub macht......................................................................................................................... 46 Neues von den Kamerakidz.................................................................................................................................................. 48
Impressum
Yangla e.K. Nana Ziesche Innerlohener Str. 8 D - 83324 Ruhpolding Tel. 08663-38 60 633 Mail: info@yangla.de Web: www.yangla.de
Š Text und Fotos: Nana Ziesche auĂ&#x;er S. 14-27: Angela Olze S. 46, 47: Gilbert Kolonko S. 48, 49: Kamerakidz Zanskar + Nyerma
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Vorwort J
ullay, Namaste und Guten Tag!
„Was machst du eigentlich immer im Winter in Ladakh, da ist es doch viel zu kalt!“ - die übliche Reaktion auf mein inzwischen jährliches Ansinnen, dort eine gewisse Zeit verbringen zu wollen. Ich fliege hin, ich steige aus dem Flugzeug, die klare kalte, dünne Höhenluft berauscht mich, die Sonnenstrahlen wärmen Herz und Füße und die Augen können sich gar nicht satt sehen an den reduzierten Winterfarben. Eine Freundin ist dabei, die immer lange im Sommer in Ladakh verweilt. Sie strahlt mich an. „Ist das schön! Und so gemütlich mit den Leuten! Ich kann dich jetzt gut verstehen. Ob ich den Sommer jetzt überhaupt noch mögen werde?“ Es gibt wenige, denen der Winter in Ladakh nicht gefallen hat. Und doch scheint es sich nicht herumzusprechen. Die Anzahl der westlichen Gesichter ist gleichbleibend niedrig über die Jahre. Das macht natürlich einerseits den Reiz aus. Andererseits kann Ladakh schon noch im Winter einige Gäste mehr vertragen. Vielleicht wird der eine oder die andere durch die Bilder, Artikel oder Tipps ein wenig angeregt? Wir täten uns freuen! Durchmischt haben wir dieses Magazin mit weiteren Berichten, Bildern, Rezept, Tipps aus anderen Gegenden. Und den Anfang machen wir auf der nächsten Seite mit einem ganz besonderen Bericht: die Erlebnisse eines Inders, der das erste Mal nach Deutschland reiste! Gopal ist unser Agenturkollege für Sikkim. Wer dorthin reisen möchte, kann sich gerne mit ihm austauschen. Oder ihn für die nächste Reise hierher einladen zu einem Kaffee. Oder Tee. Oder Kuchen. Nur kein Brot.... Es grüßt
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Gopal in Deutschland B
rot, Brot, überall und ständig gibt es nur Brot bei euch!
Unser Agenturkollege Gopal Chettri Basnett aus Sikkim ist das erste Mal nach Deutschland gereist. Ich begleite ihn und verfolge neugierig seine Beobachtungen. Wir starten in Berlin, wo die Internationale Tourismus Börse statt findet. Und wie ernährt man sich da am unkompliziertesten, wenn man privat wohnt? Brot, Brötchen, Gebäck.... Gopal kann nur den weicheren Teilchen etwas abgewinnen. Auf dem Weg zur U-Bahn kommen wir an 3 Bäckereien vorbei, auf der Messe gibt es Breznstände und belegte Brötchen. Gopal seufzt. „Und wie findest du Berlin sonst so?“ „Mhm, es ist viel öddeliger als ich dachte. Aber so schön großzügig. Viel Platz. Was wollen wir denn Sonntag besichtigen?“ Obwohl Gopal im Tourismus arbeitet, ist er selber ein lustiger Tourist. Am liebsten geht er zu beeindruckenden Sehenswürdigkeiten und möchte ein Foto mit sich davor. Dann weiter. Nicht rein. Nur in die Ausstellung zu den Opfern des Holocausts beim Stelenfeld gehen wir hinein. Er bleibt lange und liest sich alles durch, schaut sich alles an. „Puh, das war emotional. Das ist doch was anderes, ob man es im Buch liest oder so direkt erlebt.“ Das Essen bleibt ein Thema: kein Schwein, kein Rind. Keine berühmte Currywurst. Kein Wiener Schnitzel. Kein Schweinsbraten. Gopal isst gerne Fleisch, aber nur Geflügel und Lamm. Bei einem McDonald muss ich lachen. Gopal möchte zu gerne Sachen selber machen. Nach seinem Fischburger hat er noch Hunger und sieht die Käsebällchen. „Ist das Cheese-Pakora?“ „Ja, so ähnlich“. Er geht zum Tresen - und kommt mit Cheeseburger wieder. „Oh Gopal, was ist da schiefgelaufen, da ist Rind drin!“ Ich laufe zum älteren Verkäufer, der hilflos mit den Schultern zuckt. Er habe dreimal fragend „Cheeseburger“ wiederholt und Gopal hätte genickt. Burger und Pakora klingt aber auch zu ähnlich.... Ein anderes Lokal im Süden Deutschlands. Wenig Kundschaft und nur eine Bedienung. Gopal sinniert vor sich hin: „Weißt du, was mir an Deutschland super gefällt? Man sieht den Leuten ihre Stellung nicht an. Alle benehmen sich ziemlich gleich. Der Frau könnte auch das Lokal gehören. Hier sind sich Chefs nicht zu schade, einfachere Arbeiten zu erledigen und müssen nicht immer den Boss herauskehren wie in Indien.“ Wir reisen von Berlin nach Ruhpolding nach Freiburg, machen einen Kurzstopp in Heidelberg und beenden die Reise in Hamburg. Wir wohnen immer privat und Gopal freut sich riesig, so einen Einblick in den deutschen Alltag zu bekommen. „Viel besser als die Sehenswürdigkeiten! Ich glaube, jetzt verstehe ich besser, wie du unsere Reisen in Sikkim wünschst. Was wir den Leuten neben unseren Sehenswürdigkeiten bieten sollen.“ In fast jeder Wohnung macht er große Augen: „So viel Zeugs! Wieso sind eure Wohnungen so voll? Ich habe noch nie so viele Dinge in Wohnräumen gesehen. Und was ihr alles aufbewahrt!“ Am besten gefällt es ihm in meinem kleinen Ruhpolding. „Großstädte - die sind doch eigentlich überall ähnlich. Aber in den Dörfern, da merkt man, dass man in einem anderen Land ist.“ Seine Augen strahlen: „Mein Traum ist wahr geworden! Ich bin in Deutschland!“. Wir gehen auf eine Alm, er bestellt sich ein großes Bier, ich bekomme einen Kakao im Deutschlandfahnenbecher. Auf seinem Kopf prangt ein „Ruhpolding-Käppi“. Er war am Vortag alleine im Souvenirladen und kam mit einem kleinen Haufen Mitbringsel zurück. „Du hast gesagt, ich soll hier nicht handeln, aber ich habe das alles günstiger bekommen! Und der Verkäufer hat ein Selfie mit mir gemacht. Wir sind jetzt gute Freunde!“ Gopal möchte wiederkommen. In das Land, wo man 700 km in 7 Std. fährt und nicht in 2 Tagen. „Unglaublich!“
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Reisezielvorstellung: Winter in Ladakh W
inter in Ladakh ist ein besonderes Erlebnis: es gibt nur sehr wenige Reisende, die sich den teilweise sehr kalten Temperaturen aussetzen. Nachts kann das Thermometer auf kalte -30°C absinken, tagsüber herrschen bei Sonnenschein oft Temperaturen um die 0°C. Durch die trockene Luft fühlt sich die Kälte allerdings nicht so frostig an wie in Europa. Da die Niederschlagsmenge das ganze Jahr über sehr gering ist, muss nicht gegen große Schneemassen gekämpft werden, meistens überzieht das Land eher eine Puderzuckerschicht. Die Ladakhis verbringen viel Zeit um den Ofen in der Wohnküche mit Erzählen und Strick- oder Reparaturarbeiten. Neben dem vermehrten Beisammensein in der Familie wird der Winter auch für andere soziale Kontakte genutzt. In dieser Zeit finden die meisten Hochzeiten und Klosterfestivals statt. Außerdem wird das ladakhische Neujahr Losar gegen Ende Dezember mehrtägig gefeiert.
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Ladakh im Winter begegnen Losar
Das ladakhische Losar (= Neujahrsfest) richtet sich nach dem tibetischen Kalender und wird meistens zu einem Datum Ende Dezember gefeiert. In Leh laufen am Vorabend Jungen mit Feuerbällen durch die Innenstadt, einige Leute stellen Kerzen/Butterlampen draußen auf. Ob Feuerwerk und Böller genutzt werden, wird jährlich neu diskutiert. An Losar wird das Neue Jahr im Chowkhang Vihara gefeiert. In den Privathaushalten besuchen sich die Familien - als Reisender bekommt man die festliche Atmosphäre gut mit. Das tibetische Neujahr wird im Februar gefeiert. Zu dieser Zeit findet auch Gotchak statt, die traditionelle 2-Tages-Umrundung des Tsemo-Hills in Leh in Form von Niederwerfungen. Es ist eine Art heiliger Monat, in welchem viele Leute sich länger in den Klöstern aufhalten, zusammen beten, chanten, schweigen und buddhistische Texte lesen.
Appu Appi
In vielen Dörfern gibt es unterschiedliche Traditionen das alte Jahr zu verabschieden. Hauptsächlich gibt es in den Regionen Chuchot, Basgo und Hemis Schukpachen. Näheres im Artikel auf den nächsten Seiten.
Klosterfestivals
Während die Klosterfestivals im Sommer kaum noch von Einheimischen besucht werden, sind bei denen im Winter kaum Touristen zu sichten. Viele Klöster haben ihre Chams-Mysterien, Dosmoche oder anderen Klosterfestivals im Winter: Matho, Stok, Spituk, Likir, Yarma... In Stok und Matho treten auch Orakel auf, ein beeindruckendes Ereignis. Die Kloster-
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höfe, Ballustraden und jeder verfügbare Fleck ist gesteckt voll von zuschauenden Ladakhis.
Klosterbesuch
Selbstverständlich müssen Mönche und Nonnen auch in den kalten Wintermonaten ihrer buddhistischen Praxis nachgehen. Zwar nutzen einige die Zeit für Familienbesuche, andere verrichten Zeremonien in Privathäusern, aber es sind immer genügend in den Klöstern um die Räume zu zeigen. Die Puja im Thikse-Kloster, die im Sommer gestopft voll mit Touristen ist, erlebt man fast allein mit den Mönchen. Auch nehmen sich viele etwas mehr Zeit für nette Unterhaltungen. Die kleine Wanderung von Thikse zu den Nonnen von Nyerma ist immer gut zu machen.
Trekking
Die ganz Harten können sich an ein richtig kaltes Winterabenteuer heranwagen und mit Trägern (für Pferde liegt zu viel Schnee), einen höheren Trek angehen. Allerdings ist die Durchführung nicht immer gesichert. Gut gehen die Homestaytreks im Shamvalley und Hemis Nationalpark - da sind auch Einheimische unterwegs und man hat es abends gemütlich warm in der geheizten Stube.
Chadar-Trek
Seit Jahren boomt der Trek auf dem gefrorenen Zanskarfluss im Januar/Februar Für viele Zanskaris die einzige Möglichkeit, in ihre Gegend hinein- oder hinauszukommen ist es für Reisende ein spannendes Erlebnis, auf dem Eis zu wandern. Wem das zu viel ist, der kann auch nur einen Tag lang ab Chilling hin und wieder zurück gehen.
Wanderungen
Da der Schnee nicht so reichlich fällt, sind zahlreiche Wanderungen möglich. In der Winterstille ist die karge Gegend noch faszinierender.
Nubratal
Da das Militär den Khardong-la ganzjährig als Zufahrt zum Siachen-Gletscher nutzen muss, wird dieser Pass auch immer schnell geräumt. Das Nubratal liegt etwas niedriger als das Industal und bietet somit ein interessantes Ziel an. Man muss nur etwas Spielraum zum Rückflug lassen, falls das Wetter sich doch auf einmal verschlechtert.
Changthang
Die Seen im Changthang, Pangong, Tsomoriri und Tsokar, sind im Winter ganz besonders faszinierend anzuschauen. Hier haben es die Leute besonders kalt. Allerdings sind hier die Straßen nicht ganz so gut geräumt und man muss es vom Wetter abhängig machen, ob ein Besuch möglich ist. Die Nomaden haben ihre Winterquartiere bezogen. Ein ganz besonderes Erlebnis, einen Wintereinblick in ihr Leben zu bekommen.
Homestay
Im Winter haben nur die Hotels in Leh geöffnet - und die Homestays. Die Familien müssen ihre Tiere versorgen und freuen sich über BesucherInnen. Man kann auch ohne Trek in einem der Dörfer unterkommen und das dortige Leben genießen.
Schneeleopard
Eines der größten Erlebnisse im Winter in Ladakh ist die Pirsch nach dem Schneeleoparden. Das scheue Tier kommt im Winter weiter herunter auf der Suche nach Nahrung. So hat man gute Chancen, ihn zu erspähen. Von einem Camp zwischen Zinchen und Rumbak gibt es gute Wege in die Seitentäler, wo öfters Schneeleoparden gesichtet wurden. Im Sham-Valley kann man bequem im Homestay in Ulley oder Saspotse wohnen und Glück haben, dass der Schneeleopard sogar bis zum Dorf herunter schaut.
Manufakturen
Auch die Manufakturen in Choglamsar stehen im Winter nicht still. Weberinnen, ManisteinhauerInnen, Thangka-Maler, Holzschnitzer, Filztierherstellerinnen - es gibt viele Möglichkeiten, den Leuten über die Schulter zu schauen und evtl. auch etwas direkt zu erstehen.
Im Prinzip....
... kann man im Winter in Ladakh (fast) alles machen, was man auch im Sommer tut. Manches ist mit mehr Mühen verbunden, manches ist etwas unsicher ob der Realisierung auf jeden Fall ist es gut, etwas Flexibilität mitzubringen und sich auf den langsameren Wintergang des Lebens einzustellen. Belohnt wird man mit einem unvergesslichen Erlebnis einer ganz besonderen Region. Weitere Reiseideen gibt es auf der Webseite - schauen Sie in die Reisebausteine oder schicken Sie einfach eine Mail an: info@yangla-tours.de für Ihre Fragen oder weitere Informationen.
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Rezept: Tingmo mit Dal Zutaten (4 Personen): 1 Handvoll Mehl pro Person Backpulver etwas Öl 100 g rote Linsen 1 große Zwiebel 2 Knobizehen 2 Tomaten Kreuzkümmel Garam Masala Öl oder Ghee Koriander Zubereitung 1. Für die Tingmos das Mehl gut mit Backpulver mischen und soviel Wasser zugeben, dass es sich zu einem Teig verkneten lässt. 2. Ausrollen, leicht mit Öl bestreichen, Streifen schneiden und diese zu Tingmos drehen 3. In einer gefetteten Dämpfform ca. 20 min. dämpfen 4. Für das Dal Ghee oder Öl mit der kleingeschnittenen Zwiebel und dem Knoblauch in einem Topf erhitzen 5. Bei großer Hitze Kreuzkümmel und kleingeschnittene Tomate hinzufügen. Kurz umrühren 6. Linsen einrühren und mit Wasser ablöschen. Salz und Garam Masala hinzufügen und weich kochen. 7. Gehackten frischen Koriander derüber streuen. Anmerkungen Wer möchte, kann auch in den Tingmo-Teig Koriander einarbeiten (wie hier auf den Fotos) Dieses Gericht wird mit der Hand gegessen. Man bricht sich Teile vom Tingmo ab und schöpft damit das Dal aus dem Schälchen. Wer das so nicht mag, zerkleinert das Tingmo, tut es in das Dal-Schälchen und nutzt dann einen Löffel. Ghee Ghee ist geklärte Butter. Man kann sie selber herstellen, indem man Butter erhitzt und den Schaum abschöpft. Der klare Rest ist Ghee.
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Fotostrecke: Ladakh im Winter Kurzvorstellung
Fotografin: Angela Olze Reisezeit: Februar/März 2010 Highlights: Klosterfestivals in Matho und Stok, Homestaytrek Zinchen-Chilling „Ich und mein Mann kommen aus dem Erzgebirge. Dies war unser zweiter Winter-Urlaub in Ladakh (Erstmalig 2008). Am Winter in Ladakh faszinieren uns am meisten die Klosterfeste und allem voran das in Matho. Man gehört im Winter mit dazu und ist nicht nur einfach Tourist. Für Tierbeobachtung ist der Winter am geeignetsten, da alle Tiere für die Nahrungssuche in tiefere Regionen absteigen. Und wie man auf den Fotos sieht, ist selbst ein 5000 er Pass wie der Ganda La (Winterpass) möglich.“
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Appu und Appi In Ladakh das alte Jahr verabschieden
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eit Jahrhunderten wird das ladakhische Neujahr – Losar – tagelang traditionell in den Dörfern gefeiert. Jedes Dorf hat seine eigenen gemeinschaftlichen Zeremonien. Bei eine Winterreise durch die Dörfer Chushot, Basgo und Hemis Schukpachen lernt man Stoffmasken tragende Figuren wie Appu, Appi und Meme kennen, begegnet tanzenden Skyins, lacht über den Schabernack der Komödianten, bibbert mit den Burschen, die nackt in den eisigen Fluss springen und feuert bei den Reiterspielen an. In diese Minusgrade der Hochgebirgswüste Ladakh verirrt sich kaum ein Tourist. Wer es dennoch wagt, der kann das alte Jahr auf ganz besondere Weise verabschieden. Alle Köpfe schwenken zum Eingang. Von dort kommen zwei fast nackte Gestalten gerannt. Sie tragen nur kurze Röckchen, Brokatkrause, wilde Haarmähne, Stoffmaske und sind mit schwarzen Zeichen auf der Haut beschmiert. Ungestüm laufen und springen sie, ihre Säbel schwenkend, zu den dröhnenden Trommeln und klarinettenartigen Blasinstrumenten auf der Tanzfläche umher. Das Publikum springt von einem Fuß auf den anderen um sich bei zweistelligen Minusgraden wenigstens ein bisschen warm zu halten. Es ist Anfang Januar und seit sechs Stunden gehen schon die Feierlichkeiten, die sich nun ihrem Höhepunkt nähern. Chushot ist ein großes Dorf im oberen Industal in Ladakh auf 3.200 m Höhe. Hier wird gerade das ladakhische Losar gefeiert, das Neujahr. Im Gegensatz zum tibetischen findet es zwei Monate vorher statt, d.h. zu Beginn des zehnten Monats des tibetischen Kalenders, üblicherweise Ende Dezember/ Anfang Januar. Legenden nach gab es das tibetische Neujahr frühzeitiger und die Ausnahme ist das ladakhische, welches sich auf eine Geschichte im 16. Jhdt. zurückführen läßt, wo ein König in den Krieg ziehen wollte. Es war aber zweifelhaft, ob er vor dem Neujahrsfest wieder zurück sein würde und es zu verpassen wäre ein sehr schlechtes Omen gewesen. Und somit beschloss er, Neujahr einfach zwei Monate vorzuverlegen, feierte, zog in den Krieg, aber es ist nicht überliefert, ob er siegreich war. Wahrscheinlicher ist, dass das ladakhische Neujahr älter ist, da es wie überall in der Welt in die Zeit der Wintersonnenwende fällt. Die Feiernden in Chuchot kümmern die Hintergründe wenig. Es ist der 5. Tag und das Finale der Feierlichkeiten. Appu und Appi sind die Tage vorher durch alle Häuser der Gemeinde gezogen, haben getanzt, gesegnet, Getränke gereicht und darum gebeten, dass zukünftig Klatsch und Tratsch die Hausmauern nicht verlässt und auch von außen nicht hineinkommt. Appu und Appi sind die Alten, die wissen, was weise ist. Allerdings tragen sie auch unnötigen Ballast und schlechte Erinnerungen mit sich herum. Jedes Jahr schlüpfen zwei junge Männer aus verschiedenen Familien in die traditionellen Gewänder. Appu, der Opa, trägt einen dicken langen
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Schaffellmantel, eine Stoffmaske und wilde Yakhaarzottel auf dem Kopf. In der Hand hat er Pfeil und Bogen. Appi, die Oma, trägt ein gestreiftes Wollkleid, ein Rückentuch, ebenfalls eine Stoffmaske und einen schwarzen Hut. In der Hand trägt sie einen Teller mit einem Chapati, in der anderen einen Behälter mit Tsampa, geröstetem Gerstenmehl, und über der Schulter eine Umhängetasche. Am frühen Mittag kamen sie mit den Musikanten die Hauptstraße heruntergelaufen. Die begleitende Kinderschar wurde immer größer. Am Haus angekommen wurden Appu und Appi vom Hausherrn mit einem traditionellen Changbehälter und Räucherwerk begrüßt. Appi stellte Teller und Tsampatopf dazu und die beiden Alten tanzten herum. Im Haus wiederholten sie den Tanz, dann ging es hin zum Festplatz. An kleinen Tischchen, Choktses genannt, sitzen Männer. Die Musikanten lassen sich am Rand nieder. Vor Urzeiten gingen die heiligen Männer von Kaschmir, die Babas, zum Jahresende den Indus hinauf zum heiligen Berg Kailash, um bei den Göttern um ein gutes neues Jahr zu bitten. Dieses Ritual wird von den Ladakhis jährlich nachgespielt. In den Jahrhunderten kamen eigene Rituale dazu, die sich von Dorf zu Dorf leicht unterscheiden. Allen gemeinsam ist, dass man sich vom Schlechten aus der Vergangenheit befreien möchte, frisch und neu startet und für die Zukunft besonders viel Glück und Segen von den Göttern erhalten möchte. In Chuchot haben Appu und Appi das Publikum mit einem Butterklecks auf die Stirn gesegnet, Buttertee und Chang, das traditionelle Gerstenbier, ausgeschenkt und Schals zusammengesammelt. Diese warfen sie dann den Männern zu, die im alten Jahr geheiratet hatten. Diese legten sich die Schals um die Schultern so dass deren Enden in den Händen landen und eröffneten den traditionellen ladakhischen Tanz. Nach jeder Tanzeinheit gaben sie die Schals weiter und andere waren mit dem Tanz dran. Die dazu gesungenen Lieder und gespielten Rhythmen sind speziell für Losar.
nicht nur anzuschauen, sondern auch etwas beizutragen. Ein weiterer Appu erschien und brachte einen Brief vom König. Er hatte auch Gebete dabei und Opfergaben für die bösen Geister. Diese wurden angefleht: „Bitte belästigt uns nicht! Verführt uns nicht, böse Dinge zu tun!“
Inzwischen war ein Mönch aus dem Kloster Hemis angekommen, der sich in der warmen Stube sofort an die Arbeit machte. Mit zu einem festen Teig gerührtem Tsampa rieben sich einige Leute über den Körper, um „das Schlechte“ in den Teig übergehen zu lassen. Der Mönch formte aus diesem Teig zwei ca. 30 cm große Figuren, einen Mann und eine Frau. Sie wurden sehr liebevoll gestaltet mit Wollhaaren, Perak, angemalten Kleidern usw. Danach fertigte der Mönch ein Dos an, d.h. ein Fadengebilde, in welches weiteres „Schlechtes“ eingebunden wird. Als alles fertig war, sprach der Mönch eine Puja, ein Gebet, wo er „das Schlechte“ darum bittet, zu verschwinden. Damit hatte er insgesamt mehrere Stunden zugebracht. „Dieses Ritual existiert seit ca. 200 Jahren“ erzählt der Mönch. „Ich habe es von meinem Vorgänger gelernt, werde es jetzt einige Jahre ausüben und dann an meinen Nachfolger weitergeben.“ Draußen auf dem Festplatz ist es voller geworden. Die Tänze und Gesänge sind in vollem Gang und auch das Mittagessen, in riesigen Töpfen seit dem Morgen gekocht, wurde verteilt. Die Tänze der Dorfleute wurden abgewechselt von Showeinlagen. Es kamen als tibetische Handelsleute gekleidete Männer, die einen Tanz vorführten, als Ehepaar verkleidete Männer mit einem Felllumpen als Ziege, die ein lustiges Schauspiel aufführten. Das Publikum schüttete sich aus vor Lachen. Zwei als Sikh-Soldaten verkleidete Männer, die ihre Geschicklichkeit unter Beweis stellten, indem sie ein Ei auf einem Holzgerüst mit ihrem Säbel köpfen müssen ohne dass es hinunterfällt. Das gelang einem, der beklatscht wurde, der andere scheiterte und wurde liebevoll ausgelacht. Sie ereiferten sich in einem Showtanzkampf, welches Appu und Appi so begeisterte, dass diese es nachtun wollten. Allerdings erwischte Appi jedesmal doch die große Angst und statt Appu zu attackieren, sprang sie in dessen Arme. Das Publikum johlte. Den Soldatenauftritt gibt es seit 1834 als die Armee von General Zorawar Singh die Ladakhis besiegte und deren Unabhängigkeit damit beendete. Das Volk forderte die Besatzer damals auf, sich die Neujahrsfeierlichkeiten
Und dann, endlich, erscheinen die halbnackten Sadhus. Sie gebärden sich wie wild. Springen hierhin und dorthin und schütteln ihre wilden Mähnen. Appi hüpft schnell dazwischen und schaufelt aus ihrer Tasche Tsampamehl, mit dem sie eine Spur vom Haus fort zieht. Schnell rennt sie davon. Appu schnappt sich die beiden Figuren vom Mönch mit dem Fadenkreuz und zusammen mit den Saddhus und dem Publikum im Schlepptau folgen sie der Mehlspur. Und da, etwas außerhalb, steht auch schon die wartende Appi, die alles Böse vom Haus fortgelockt hat. Appu schießt seinen Pfeil mit dem Bösen weit fort und die Dorfleute rufen laut „Ki Ki Soso Lar Gyalo“ (Die Götter werden siegen). Dann gibt es ein wildes Drauflosdreschen auf die Figuren und das Fadenkreuz, Appu und Appi und auch die Saddhus ziehen ihre Verkleidung aus, werfen sie zornig auf den Haufen, schlagen auch darauf ein, bibbern kurz und werden von den Helfern in ihre schmucken Gonchas, dem traditionellen Wollgewand, gekleidet. Das schlechte Alte ist fort und hat dem frischen, schönen Jungen Platz gemacht. Das Publikum jubelt und begrüßt freudig das neue Jahr. Ein Helfer sucht noch schnell ein Stückchen Eis als Symbol für die Hoffnung, dass die Gletscher gutes Wasser spenden werden. Auch hat man die Mehlspur schnell wieder verwischt, damit das Schlechte den Weg zurück nicht mehr findet.
Unter Jubelrufen gehen alle wieder zurück, wo in der Dämmerung inzwischen kleine Feuer entfacht wurden und die Musikanten wieder zum Tanz aufspielen. Allerdings hat die Kälte dem Publikum inzwischen so zugesetzt, dass sich die meisten schon wieder in ihre behaglichen Stuben verzogen haben.
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Im Dorf Hemis Schukpachen dauern die Feierlichkeiten noch an. Hier gibt es nur einen Appu, Meme genannt, im Schaffellmantel ohne zottelige Yakhaare und ohne Appi. Er leitet die Feierlichkeiten und die kleine Jungsschar, genannt Karokpa. Neben dem Meme gibt es Balti Karpo und Balti Nakpo, zwei junge Burschen, ein in weiß (karpo) und ein in schwarz (nakpo) gekleideter Haupttänzer, sowie eben diese Jungen aus sieben Häusern. Sie ziehen zu einigen ausgewählten Häusern, wo sie tanzen, Rituale zelebrieren und zu essen und trinken bekommen. Hemis Schukpachen ist ein großes Dorf in der Sham-Region und so braucht es seine Zeit. Meme ist eine imposante Erscheinung mit einem Stock und einer herrischen Stimme, vor der der kleine Jungshaufen immer wieder erschrocken zusammenfährt, obwohl sie eigentlich Unsinn im Kopf haben. Besonders ein Kleiner ist nicht ganz bei der Sache und kugelt lieber ungestüm mit seinen Kumpels herum statt geordnet zu tanzen. Andauernd muss seine Kleidung wieder neu gerichtet werden. Dabei grinst er so niedlich-verschmitzt, dass ihm keiner böse ist.
In der Dämmerung gelangt der Zug zum Festplatz, der von einem Scheinwerfer bestrahlt wird. Meme treibt den Jungshaufen in eine Tanzordnung und leicht unbeholfen drehen sie sich im Kreis. Auf den eiskalten Steinen lassen sich die Dorffrauen und Mädchen nieder, kugelrund in diverse Schichten Goncha, Daunenjacken, Schals usw. gehüllt. Ab und an knallt ein Kracher durch die Dunkelheit. Chinesische Böller haben auch Hemis Schukpachen erreicht und werden fachsimpelnd von der männlichen Dorfjugend angezündet. Der kleine Verschmitzte ist ganz vorne dabei und saust aufgeregt von einem zum anderem in der Hoffnung, einen Böller abzustauben. Meme hat alle Hände voll zu tun, die aufgeregten Jungs zu bändigen. Nach und nach füllt sich der Festplatz, das kleine Feuer ist heiß begehrt, kalte Hände versuchen etwas Hitze abzustauben, ein leise rieselnder Schnee läßt sich auf die Peraks der jungen Mädchen nieder. Immer wieder gibt es Stromausfälle, dann ist alles stockduster und die Dorfleute lachen. Auf einmal gerät Bewegung in alle und Balti Karpo, Balti Nakpo, Perakmädchen und wichtig tuende Männer eilen
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zu den Tschörten, wo man die beiden Skyins gesichtet hat. Skyins sind eine Art Fabelwesen aus der Gruppe des Wilds. Sie werden als heilig angesehen. Jedes Losar kommen sie von den Bergen herab um den Menschen ein Frohes Neues Jahr und viel Glück zu wünschen. Die Dorfleute bilden eine Gasse, die Musikanten spielen auf und die Skyins wackeln in ihren Drahtgestellen im Takt hin und her. Dann verziehen sie sich wieder in die Berge und überlassen das Feld den jungen Burschen und Mädels, die in ihrer Festtracht tanzen. Früher war der Höhepunkt erreicht, wenn die Reiter auf ihren Pferden kamen. Aber heute hat niemand mehr Reitpferde. Als Ersatz haben sich Balti Karpo und Balti Nakpo Pferdeköpfe aus Holz an den Gürtel gebunden und kommen mit galoppierenden Schritten herbei. Sie haben Peitschen in der Hand. Ein Helfer baut einen Sandhaufen, auf den er einen Gegenstand stellt. Den müssen die Reiter mit der Peitsche herunterpeitschen – von einem Pferderücken erfordert es viel Geschick, als Pferd und Reiter gleichzeitig gelingt es den beiden Burschen immer sofort. Das Publikum geht trotzdem begeistert mit, drängelt sich um einen guten Sichtplatz, feuert an und bejubelt Erfolge. Diese Gegenstände symbolisieren das Schlechte aus dem alten Jahr, welche man am besten einfach wegpeitscht. Es ist inzwischen eiskalt geworden und die vielen Schichten der Zuschauermenge helfen nicht mehr wirklich. Das kleine Feuer und der langsame Schlurftanz der Dorfbevölkerung sind auch nicht geeignet, für etwas Wärme zu sorgen und so löst sich die Menge nach dem Höhepunkt schnell auf und strebt der heimischen Stube entgegen, um sich bei einer Tasse heißen Buttertee erst einmal aufzuwärmen. Die letzte und auch älteste und spannendste Zeremonie findet in Basgo statt. Basgo ist in Indusnähe direkt am National Highway No. 1 gelegen. Nachdem direkt neben der Straße junge Männer um Changkannen und Schaffelle getanzt haben, läßt sich auf dem Feld gegenüber der örtliche Lonpo, der Astrologe, nieder. Aus Tsampateig knetet er wie in Chuchot eine weibliche und eine männliche Figur, jedoch haben diese ein sehr archaisches Aussehen und keine Ähnlichkeit mit der Detailverliebtheit des dortigen Paares. Er läßt sich viel Zeit dabei, murmelt viele buddhistische Gebete.
Unterdessen sprechen einige junge Männer sehr dem Chang zu. Eine ausgelassene aufgeregte Stimmung macht sich breit. Und irgendwann ist es soweit, der Höhepunkt naht. Der Lonpo nimmt die Figuren auf den Arm und alle streben zum nah gelegenen Bach, einem Zufluss zum Indus. Es sind Minusgrade, aber noch widersteht das schnell fließende Gewässer der Eiswerdung. Die Männer drängen direkt zum Bach, die Frauen halten sich dezent im Hintergrund. Die größten Trinker schlüpfen aus ihren Kleidern und stehen splitterfasernackt in der Kälte. Schnell klettern sie die kurze Böschung hinunter und springen in das frierige Nass. Zitternd schütten sie schnell etwas Wasser über sich um sich stellvertretend für alle vom Schlechten des alten Jahres reinzuwaschen. Zähneklappernd geht es dann schnell wieder an das Ufer, wo die Freunde mit warmer schöner Festkleidung warten. Prachtvoll werden sie mit dem schönsten Schmuck behangen und von den nach unten geeilten Dorfschönhei-
ten mit warmem Tee auch von innen gewärmt. In fröhlicher festlicher Stimmung wird auch hier das neue Jahr mit einem „Ki Ki Soso Lar Gyalo“ begrüßt. Diese Wasserzeremonie gab es vor langen Zeiten überall, jetzt hat sie nur noch in Basgo überlebt. Wie überall auf der Welt wird das Wissen um und das Ausführen der Traditionen immer seltener. Manche erfüllen ihre Aufgaben ohne viel Nachdenken, wenn sie an der Reihe sind, manche sind aber auch stolz, die Rituale lebendig zu erhalten. Die Musikanten sind auf diese langen Feierlichkeiten angewiesen. Da sie bei den Hausbesuchen immer Lebensmittel und Geld bekommen, ist es für sie eine wichtige Einnahmequelle. Morup Namgyal, 67, berühmter Sänger und Hüter der traditionellen Liedtexte sagt: „Ich hoffe, dass das Wissen um die Rituale, die Gesänge, die Kostüme noch lange weitergegeben werden. Da steckt ein ganz großer Teil unserer Kultur drinnen.“
Ladakhisches Losar in den folgenden Wintern
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Meme in Hemis Schukpachen
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„Pferdewettbewerb“ in Hemis Schukpachen
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Rezension: Neun Leben
Neun Leben
William Dalrymple - Unterwegs ins Herz Indiens Übersetzt von Matthias Fienbork ISBN: 978-3-8270-7430-0
Neun Lebensläufe basierend auf ihrem Verhältnis zur Religion. Neun individuelle Lebensentwürfe verwoben in die Geschichte ihrer jeweiligen Glaubensrichtung. Neun Begegnungen mit verschiedenen spirituellen Aspekten im Kontext der sie umgebenden Welt, von denen William Dalrymple in seinem 2009 erschienen Buch (die deutsche Übersetzung erschien 2011) schreibt. Kann ein solcher Inhalt etwas über Politik erzählen? Einerseits ist Religion „out“, ist abgelöst durch moderne Lebensanschauungen, andererseits schürt sie Leidenschaft und sorgt gerade im politischen Leben weltweit für Abgrenzung und Krieg. Religion bestimmt das gesellschaftlich-politische aber auch das individuelle Leben von vielen Menschen in dieser Welt. Indien, mit Riesenschritten in die Moderne eilend, hat einen großen Rucksack dabei auf dem Rücken zu tragen. Ein Rucksack bis zum Rand vollgestopft mit dem religiösen-spirituellem Erbe aus Jahrtausenden. Nährt sich Indien aus diesem Rucksack? Oder hindert er es am Voranschreiten? William Dalrymple gibt keine Antworten auf diese Fragen, er lässt die Lebensgeschichten für sich sprechen: die der Jain-Nonne, deren beste Freundin sich zu Tode hungerte, des buddhistischen Mönches aus Tibet, der Chinesen getötet hat und jetzt Gebetsfahnen druckt, des Geschichtensingers aus Rajasthan, der sich um die Fortführung dieser Tradition sorgt, der Devadasis, den religiösen Huren, der Totenschädelsammlerin in Tarapith und der anderen. Der Autor zeigt die Personen nicht nur im individuellen, vielleicht sogar beispielhaften Dasein, sondern stellvertretend für die Historie der jeweiligen Aspekte im überwiegend hinduistischen Glauben und dafür, dass diese nie für sich allein stehen, sondern immer in der ihn umgebenden religiösen oder säkularen Welt bestehen müssen. Ich kaufte die englische Ausgabe von „Nine Lives“ in Pushkar und es wurde mir ein augenöffnender Begleiter bei meiner Erkundungsreise durch Rajasthan. Auch nach vielen Jahren in Indien finde ich es immer noch erstaunlich, dass es bei den Festtagen oder den Götterbitten bei Hochzeiten etc. meistens in erster Linie um Wohlstand geht und erst in zweiter um Gesundheit, Glück, Spiritualität. Diese Form der Weltlichkeit kommt ständig in den Ritualen vor. Und wenn man zu Geld kommt, dann heißt es, dass man gutes Karma aus dem vorigen Leben jetzt erntet. Dalrymples Buch brachte mir Aspekte näher, die ich vorher eher oberflächlich gestreift hatte, erzählte mir leichtfüßig von Zusammenhängen, die mich einiges begreifen ließen und machte mich neugierig auf eigene Entdeckungen.
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Trekvorstellung: Saira - Sumer (Rajasthan)
Länge: 4 Tage Jahreszeit: September/Oktober - März Schwierigkeit: leicht - mittel Ausrüstung: leichte Trekkingschuhe oder Outdoorhalbschuhe Tagesrucksack Trinkflasche
Dieser Trek ist im Aravelli-Gebirge in Rajasthan in der Gegend von Kumbalgrah und Ranakpur. Wir betreiben hier „interaktives Trekking“, d.h. die Begegnungen mit den Menschen sind eingeplant und machen neben der Landschaft den Charme des Treks aus. Außerdem sind das Kumbalgarh Fort und die Jain Tempel in Ranakpur zu besichtigen. Übernachtet wird in ordentlichen Unterkünften mit Duschen und weichen Betten. Nur in Sumer haben wir Zelte bzw. man kann auch gut unter dem Sternenhimmel nächtigen. Trekking ist in Rajasthan noch eher ungewöhnlich, aber sehr lohnenswert. So lassen sich viel besser die ganzen Unterschiede entdecken, die einem im Auto nicht auffallen. Man bekommt ein ganz anderes Gefühl zur Landschaft. Außerdem sind die Begegnungen mit den Menschen eher zwanglos und unkompliziert arrangiert. Eine ganz Besondere Weise auf die sich Rajasthan kennen lernen läßt.
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Saira - Sumer Tag 0 Fahrt nach Aranyawas Am günstigsten startet man in Udaipur - von dort sind es ca. 85 km zu dem schönen Resort in der Natur. Man kann deren Wellnessangebote annehmen, spazierengehen, im Pool schwimmen oder Vögel beobachten. Tag 1 Trek Saira - Ranakpur - Saira, 7 Std. Der erste Wandertag ist eine Rundtour in der Gegend. Direkt vom Resort geht es nördlich durch das Waldschutzgebiet. Diverse kleine Dörfer sind zu queren und laden zu Plaudereien ein. Überall fliegen viele Vogelarten umher, die gut zu beobachten sind. Zum Mittag sind die berühmten Jain-Tempel in Ranakpur erreicht. Auf einem anderen Weg geht es zurück zum Aranyawas Resort.
Tag 2 Trek Saira - Kumbalgarh, 6 Std. Gestartet wird im eher flachen Gelände. Nach einigen Kilometern startet der Anstieg zum Kumbalgarh Fort. Der Tag zeichnet sich aus durch eine gute Vielfalt von Pflanzen und mit glück können auch einige Tiere gesichtet werden. Nach Ankunft im bequemen Hotel ist noch Zeit das imposante Fort zu besuchen. Weite Ausblicke über die Landschaft zeigen die gute militärische Lage für das Fort.
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Tag 3 Trek Kumbalgarh - Ghanerao, 5 Std. Die Bergauf-Muskeln können sich ausruhen, dafür sind die Bergab-Muskeln gefragt. Durch das Landschaftsschutzgebiet geht es zuerst zum Thandi Beri, dem Krokodilssee, wo es keine Krokodile gibt. Dafür ist es ein schöner Picknickplatz. Auch hier sind wieder besonders viele Vögel zu beobachten. Weiter geht es zu einem kleinen Dorf mit Feldwirtschaft. Ein netter Ort um mehr von den dortigen Menschen zu erfahren. Ziel ist ein altes Heritage Hotel der Adelsfamilie in Ghanerao. Ca. 14 km.
Tag 4 Trek Ghanerao, - Sumer, 6 Std. Es gibt keine großen Steigungen und Abstiege mehr zu bewältigen. In der leicht welligen Landschaft geht es vorbei an kleinen Seen, Teichen, Dörfchen. Wieder gibt es viel zu entdecken. In Sumer werden auf dem Gelände des alten Forest Houses die Zelte aufgeschlagen (oder die Lager für das Sternenzelt bereitet) und der Trek gemütlich am Lagerfeuer beendet. Wem das zu unangenehm ist, der kann sich auch abholen lassen und gleich in ein Hotel weiterfahren.
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Mitarbeitervorstellung: Shailendra Khachhawa Name: Shailendra Khachhawa (genannt Jittu) Alter: ca. 48 Jahre* Wohnort: Bikaner in Rajasthan Beruf: Seit 20 Jahren Guide in Bikaner. Freelance mit einigen festen Agenturen
“Es gibt keinen besseren Lehrer als zu Reisen, und die erste Regel für eine Expedition ist, dass alle zusammen halten müssen” - Sanjeev Tamang, Sikkim Jittu war im Oktober 2010 der Guide für eine Reisegruppe, die ich leitete, für Bikaner und eine 8-tägige Kameltour. Zu der Wie kamst du zum Tourismus und wie hat sich deine Geschichte da entwickelt? Das ist eine ziemlich lustige Geschichte, wie ich Interesse am Tourismus bekam - und alles fing mit einer Frau aus Deutschland an! Ich bin aus einer Schneiderfamilie und war nicht sehr gut in der Schule. Ich ging nicht regelmäßig hin und hing lieber mit meinen Freunden rum. Das haben wir auch an dem einen besonderen Tag getan als ich ungefähr 16 Jahre alt war. Eine ausländische Frau kam zu uns und fragte nach dem Weg. Keiner von uns verstand englisch, aber ich hörte “temple” und da wir uns in der Nähe der Jain-Tempel befanden, ergriff ich die Chance, sagte “yes” und brachte sie zu diesen Tempeln. Das war wohl richtig, denn sie lächelte fröhlich. Ich konnte kein englisch sprechen, nur “yes” und “no”. Ich läutete die große Tempelglocke und sie lachte. Ich ging mit ihr zum Obergeschoss und sie fotografierte einige Bilder. Wir gingen wieder nach unten und sie gab mir 200 Rs. Ich sagte “no no” da das damals soviel wert war heute 2.000 Rs.! Viel zu viel! Aber sie bestand darauf und dann nahm ich es. Ich ging heim und konnte 3-4 Nächte nicht ordentlich schlafen - sooo viel Geld hatte ich verdient! Ich gab es meiner Mama und dachte, dass Tourismus ein guter und leichter Weg sei, viel Geld zu verdienen. Ich war nun interessiert, aber nichts passierte. Ich beendete die Schule und fing mit der Schneiderei an so wie es meine gesamte Familie tat. Aber ich lernte jetzt englisch. Nicht mit Lehrern, aber auf der Straße. 1993 war eine Anzeige in der Zeitung für einen Kurs in Jodhpur. In 2 Monaten würde man lernen, ein ordentlicher Guide zu werden. Da wir Verwandte in Jodhpur haben, ergriff ich die Gelegenheit, nahm an dem Kurs teil und nach 2 Monaten war ich ein Guide. Zu der Zeit gab es nicht viele Guides direkt in Bikaner und als ich somit meine Dienste den Agenturen anbot, nahmen sie mich. Aber es war nicht, wie ich erwartet hatte, ich verdiente nicht so viel, da die Bezahlung geringer ausfiel und die Leute
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gaben wenig Trinkgeld. Ich dachte schon, dass ich mich wieder der Schneiderei zuwenden würde. Aber wieder waren es deutsche Leute, die mich neu begeisterten. Da gab es dieses ältere deutsche Paar, welches im Lalgarh Palace übernachtete. Ich war ihr Guide, sie mochten mich und sie luden mich zu einem Drink ein. Das war das erste Mal und ich entschied mich für Saft. Und hinterher gaben sie mir ihr Tipp als Geschenk: es waren 300 Rs.! So viel! Ich sprang auf mein Fahrrad sauste zu meiner Mutter, nicht einmal auf dem Sattel sitzend, nur in die Pedale tretend. Ich gab ganz stolz das Geld meiner Mutter - und was geschah dann? Sie schimpfte mich aus und beschuldigte mich, das Geld gestohlen zu haben! Aber ich konnte sie überzeugen und dann freute sie sich genauso wie ich. Ich gab das Geld immer meiner Mutter und langsam langsam besserte sich die finanzielle Situation meiner Familie durch den Tourismus. 2000-2008 waren sehr gute touristische Jahre. Seitdem geht es eher abwärts; keine Ahnung warum. Aber ich mache weiter mit dem Freelance-Guiding. Ich habe angefangen französisch zu lernen. Ich mache es genauso wie mit dem englisch: ohne Lehrer. Nur per Fernseher und indem ich mit Leuten rede. Nun will ich mich mehr spezialisieren mit Heritage Walks in der großen Altstadt Bikaners, ich hoffe, das bringt etwas. Was ist deine Spezialität? Neben den Erklärungen über die Geschichte und die Struktur der alten Gebäude erzähle ich viel über das Leben in der
Wüste und den lokalen Gepflogenheiten. Ich bin eine stets lächelnde Person und nach all den Jahren kenne ich den Geschmack von den Ausländern. Ich finde heraus, was sie besonders interessiert und kann kann mich darauf einstellen. Ich lasse ihnen außerdem Zeit und eile mit ihnen nie durch die Besichtigungen wie es andere Guides manchmal tun. Ich kommuniziere auch gerne mit den Einheimischen. In dieser Hinsicht ist es gut, dass ich aus einer niederen Kaste bin, da die ganzen einfachen Leute in den Dörfern, die Handwerker und Arbeiter sich leicht tun, mit mir zu reden. Die Touristen bekommen dadurch leichter Zugang zu ihrem Leben und Gedanken. Das ist wichtig, um Rajasthan besser zu verstehen. Üblicherweise bekomme ich gute Rückmeldungen und so sehe ich, dass meine Art erfolgreich ist. Ich habe gehört, dass in anderen Orten die Heritage Walks durch die Altstädte sehr populär werden. Ich bin jetzt bereit, das auch zu machen. Unsere Altsatdt hier in Bikaner ist riesig und es gibt so viele verborgene Schätze wie schmale Alleen, alte Häuser, kleine Manufakturen, Treffplätze, schmale Läden - man kann Stunden hier verbringen, alle Ecken zu entdecken. Selbstverständlich kenne ich alles, weil ich ja hier geboren bin und als Kind schon durch die Gegend streifte. Ich hoffe, dass mich einige Leute bei diesen Spaziergängen begleiten wollen. Was magst du besonders am Tourismus? Ich kann es nicht verleugnen, ich mag sehr gerne das Geld, welches ich damit verdiene. Da ich aus ärmlicheren Verhältnissen stamme, meine ganze Familie ist jetzt so froh, dass sie einen etwas besseren Lebensstandard hat. Aber es gibt noch einen anderen Aspekt. Früher fühlte ich mich wie ein Frosch im Brunnen. Mit Kontakt zu den Touristen aus der ganzen Welt ist es als sei ich jetzt im Ozean.
In dem Brunnen war meine Welt sehr klein und begrenzt, aber jetzt hat sich meine Sicht geweitet. Ich habe so viel über meinen eigenen Ort und seine Geschichte gelernt und durch Gespräche mit den Leuten von außerhalb kann ich es besser in die große Welt einordnen. Und sie erzählen mir von ihrer Welt. Ich wurde sehr ehrgeizig im Tourismus. Es hat mein Selbstwertgefühl verstärkt. Ich bin so Stolz, wenn die Touristen mir Komplimente machen. Mit meiner Herkunft hatte ich mir niemals träumen lassen in das Hotel Laxmi Niwas zu spazieren, dem vornehmsten Ort, den ich kenne. Und nun gehe ich hier einfach rein und raus! Ich bekomme guten Respekt von all den Leuten, die einen höheren Status haben als ich. Ich glaube, ich habe das Maximum aus meinen Lebenschancen gemacht. Tourismus gibt auch den Menschen aus ärmeren Verhältnissen die Chance, etwas im Leben zu erreichen und das ist für mich der wichtigste positive Aspekt. Was würdest du gerne im Tourismus oder bei den Touristen ändern? Nichts, sie sind gut, wie sie sind! - Na gut, OK, ich bin jetzt ehrlich, das eben war meine indische Höflichkeit. Also die meisten von ihnen sind wirklich gut, respektvolle und freundliche Leute. Aber es gibt da etwas, womit ich ziemliche Schwierigkeiten habe. Auch wenn ich mich schon an die Gepflogenheiten der Touristen und ihren Kleidungsstil gewöhnt habe, bin ich immer noch unangenehm berührt, wenn die Frauen kurze Hosen, enge T-Shirts und tiefe Ausschnitte tragen. Ich wäre sehr froh, wenn sie sich mehr lockere Kleidungsstücke anziehen würden, die ja auch zum Reisen praktischer sind; insbesondere in der warmen Jahreszeit. Unser Salwar Kameez (lange Tunika und dünne Hose) wäre sehr geeignet, ich denke, es bringt auch Spaß eine oder zwei zu kaufen, sie sind nicht so teuer. Aber auch die Männer könnten manchmal mehr Wert auf ihre Kleidung legen, Shorts und Trägershirts sollten nicht auf der Straße getragen werden. In Indien machen das nur Arbeiter. Und ja, da gibt es noch einen weiteren Punkt. Ich verstehe nicht, warum sich manche Leute mit Witzen so schwer tun. Sie gucken immer so ernst. Es sind doch ihre Ferien und somit sollten sie glücklich sein, oder nicht? Ich mache sehr gerne lustige Anmerkungen, aber manchmal gelingt es mir einfach nicht, sie zum Lachen zu bringen. Es gibt manche, mit denen werde ich einfach nicht warm. Sie reden so wenig. Das ist für mich nciht leicht. Ich versuche, jeden aufzumuntern. Ich möchte jeden glücklich sehen und ich glaube auch, dass jeder es verdient, glücklich zu sein. Aber ich weiß nicht, was sie wirklich stört, das verwirrt mich manchmal. Aber glücklicherweise sind nicht viele Leute so. Im Großen und Ganzen bin ich sehr glücklich mit dem Tourismus und den Touristen, da sie mir die Chance gaben zu dem zu werden, der ich jetzt bin! 41
Foto mit Geschichte
Januar 2014 in Margao/Goa Hinter mir sind unglaubliche viele Hochzeiten in Rajasthan und ein paar in Ladakh. Ob ich wohl auch mal eine in Goa sehen würde? Ja, ich habe großes Glück. In der Kirche gegenüber von der Wohnung meines Kollegen Prashant stolziert gerade ein Paar aus der Tür. Sie in weißem Gerüsch, er in schwarzem Anzug. Ich stürze hinunter und tummel mich neugierig unter die Gäste, mache ein paar Fotos, lache die Leute an. Wie daheim! Außer dass statt Selt Mangosaft gereicht wird. Schnell löst sich die Feierlichkeit wieder auf. Schade. Ich gehe zurück. Und Prashant empfängt mich mit den Worten: „Wir sind da heute abend eingeladen! Sie sind irgendwie mit meiner Frau verwandt. Du magst Hochzeiten?“ Wenn er wüsste.... Ich war auch in Deutschland auf so wenigen Hochzeiten, dass mich die Rituale noch völlig fesseln und begeistern. Indien finde ich besonders spannend. Arrangierte und Liebesheiraten. Reichste Oberschicht im grandiosen Heritage-Hotel und ganz einfach auf dem Lande. Ladakhische Moslems ohne Musik und Tanz, ausflippende Straßentänzer in Jodhpur. Und jetzt also Goa. Eine christliche Hochzeit. Europäischer Kleidungsstil auch bei den Gästen. Eine Eisskulptur auf dem Buffet. Bei 30°C Sie tanzen Chachacha. Die Braut wirft den Brautstrauß. Abendroben und hoche Absätze. Disconebel. Ich weiß nicht mehr wo ich bin. Bis die Band aufhört und die neusten Bollywood-Schlager aus den Lautsprechern dröhnen. Und die Goanesen allen europäischen Einfluss wieder vergessen und sich auf der Tanzfläche gebärden wie überall in Indien. Aber davor gab es noch diesen einen Brautpaartanz. Diesen ganz besonderen. Wo alle Gäste im Kreis stehen und dem Paar bei dem Start in das Eheglück zuschauen. Nur ein paar Kinder nicht. Die toben lieber herum. Wie überall auf der Welt.
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Die Top 50!
Dankeschöns winken! - Von Kottayam nach Allepey auf den Backwaters mit der lokalen Fähre fahren und das Leben der dort wohnenden Leute hautnah mitbekommen - mit einer Nonne in der Padmasambhava-Höhle im Trakthok-Kloster sitzen und ihrem Chanting lauschen - auf einem hohen Pass zusammen mit einem/r Einheimischen eine Gebetsfahne anbringen und sich bedanken, dass das Leben einem solche Momente beschert - mit einer Inderin im Zug alle Worte aufzählen, die sie in englisch und man selber in hindi (oder wo man gerade ist) kann - Zusammen in Sikkim Momos herstellen und dabei neue Formen erfinden, weil die traditionellen einfach zu schwierig für die ungeübten Finger sind
Wir wissen selber, was für uns auf eine Top 50 Liste von Reiseerlebnissen nach Indien gehört. Aber wie sieht es bei Ihnen aus? Was haben Sie als besonderes Highlight in Erinnerung? Wir sind neugierig und freuen uns auf Ihre Erlebnisse! Einsendungen bitte per Mail an info@yangla.de. Es winkt dafür ein Dankeschön!
Außerdem
freuen uns über Beiträge. Schicken Sie uns: - Fotostrecken - Reiseberichte - Tipps - Zeichnungen/Cartoons/Comics - Rezensionen von Buch/Film/Musik Sie erhalten: Zwei Kamerakidz-Postkartensets nach Wahl für 1/2 - 1-seitige Beiträge 1 Buch aus dem Yangla-Press-Verlag für mehrseitige Beiträge
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Lieblingsorte Lernen Sie die Lieblingsorte der Einheimischen kennen! Vielleicht ist auch ein Tipp für die nächste Reise dabei? So wie dieses Momo-Lokal in Gangtok versteckt liegt, ist es ein absoluter Geheimtipp. Mein Tipp
Gauri Giri
Der Momo-Laden unterhalb der Touristen-Info. Der ist aber so versteckt, da muss man fragen. Eine kleine Tür in einem dieser superschmalen Spalten zwischen den Häusern.
Flower-Show-Mitarbeterin und Kochkurs-Lehrerin in Sikkim 39 Jahre
Momos* gehen immer! *Tibetische Teigtaschen
„Am liebsten koche ich selber. Und ich gebe auch gerne mein Wissen weiter. Das haben schon einige Gäste meines Mannes mitbekommen, mit denen ich bei uns daheim gekocht habe. Wir machen es am liebsten bei uns, da lernen die Reisenden dann auch gleich die familiäre Atmosphäre schätzen. Aber manchmal, insbesondere in der Nebensaison, wenn keine Reisenden da sind, dann habe ich keine Lust zum Kochen. Und dann gehe ich am liebsten in unseren kleinen Momo-Laden unterhalb der Touristen-Info.“
„Der ist superklein. Nur ein Raum, der mit Spiegeln optisch vergrößert wurde. Und es gibt dort nur Momos. Ganz frische selbstgemachte in der Miniküche nebenan. Durch die Enge ist es sehr gemütlich, man trifft immer jemanden oder kommt mit anderen ins Gespräch. Und diese Momos! Vorzüglich! Die Leute wissen, wie man etwas macht, was gut schmeckt! Außerdem sind sie immer fröhlich. Man findet das Lokal kaum, weil es so klein und versteckt zwischen den Häusern liegt. Aber alle Leute, die in der Gegend arbeiten, kennen es. Hier ist es einfach toll!“
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Tipps Bahnfahren
Bahnfahren in Indien ist ein einzigartiges Erlebnis. Die Organisation dieses riesigen Eisenbahnnetzes ist faszinierend. Eine gute Gelegenheit, ganz viel Einblick in Indien zu bekommen. Wie man sich das genauer feststellen kann, zeigt diese Webseite: http://www.seat61.com/India.htm#Travel%20tips
Chai
Die InderInnen lieben ihren heißen süßen Tee (Chai) am Straßenrand. Überall gibt es kleine Stände von Teekochern, die Ihnen schnell einen frischen Tee brauen. Unser Tipp: Stehen Sie ganz früh morgens auf. Wenn es noch dunkel ist. Stibitzen Sie sich aus ihrer Unterkunft und gehen Sie auf die Straße. Sie finden garantiert einen Teestand. Schauen Sie, wie die Stadt erwacht. Wer ist um diese Zeit schon unterwegs? Und genießen Sie die kleine Besonderheit!
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Nomadenkinder
In Ladakh werden unterstützt von unserer Buchautorin Ulli Fleber. Seit 2010 engagiert Sie sich mit ihrer NGO Ladakh Hilfe und besucht jährlich die Schule um gemeinsam zu planen, wo das Geld am besten für eingesetzt werden kann. Ausführliche Infos gibt‘s auf ihrer Webseite: http://www.ladakh-hilfe.org/
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Wenn Wirtschaftswachstum taub macht Text und Fotos von Gilbert Kolonko
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o in Indien Menschen zusammenkommen, gab es schon immer Lärm. Doch bestand er früher aus einem Gemisch aus lauten Stimmen, Fahrradgeklingel und ein paar Hupen, so hat er sich mit dem Wirtschaftswachstum zu einem schrillen Krankmacher entwickelt. Im südindischen Bangalore sind drei von vier Verkehrspolizisten nach vierjähriger Dienstzeit taub – in Pune sind es sogar 80% der Verkehrspolizisten. In Dehli kommen jeden Tag 1.100 neue Fahrzeuge in das Verkehrschaos auf der Straße dazu und die hupen, wie die Verrückten, damit die Tauben sie hören, denn die werden auch täglich mehr. In der 14 Millionen Metropole Kalkutta schiebt sich in der Nähe des SSKM Krankenhauses eine Blechlawine hupend Meter für Meter voran. Selbst in diesem verkehrsberuhigten Bereich wurde ein Lärmpegel von bis zu 109 Dezibel gemessen; das ist in etwa so, als stehe man einen Meter neben einen Presslufthammer. Im Rest der Stadt dröhnt es ähnlich, auch auf der Howrah Brücke über die sich täglich 80.000 Fahrzeuge drängeln - dazu 120.000 Fußgänger. Während die indische Mittelklasse sich mit Lärmfenstern schützt, wie mir ein amerikanischer Architekt, der hier arbeitet, bestätigte, boomen diese „Dinger“ gerade richtig in Indien, ist die Hälfte der Bevölkerung Kalkuttas dem Lärmterror den ganzen Tag ausgeliefert, da sie sich nicht einmal eine Mietwohnung in einen der verfallenen Häuser der Stadt leisten können. Wer am Morgen gegen fünf Uhr Kalkutta durchstreift, sieht wo ein Teil dieser Menschen lebt. Auf den Bürgersteigen beginnen Pappkartons und Plastikfolien auf und ab zu wiegen und eine Stunde später haben sich die Notschlafplätze in Verkaufsstände und Teebuden verwandelt. Von denen, die dort wohnen und arbeiten, wird sich kaum einer den Besuch bei einem Ohrenarzt leisten können, aber über 14 Prozent der Bewohner Kalkutta die es können, sagt der Arzt, dass sie einen schweren Gehörschaden haben. Kein Wunder; schon ein durchschnittlicher Lärmpegel von 85 Dezibel (Disco-Atmosphäre), kann auf Dauer zu Taubheit führen und dieser Lärmpegel ist in Indien normal. So bauen Audi und Volkswagen extra robuste und laute Hupen für den indischen Markt; der Sicherheit wegen. Wer es noch lauter will, kann im Internet Hupen bis zu 148 Dezibel erwerben, was weit über die ertragbare Schmerzgrenze des Menschen geht. In Dehli mußte wegen der ganzen „Hörgeschädigten“ sogar ein Projekt mit Elektro-Taxis aufgegeben werden. Die waren so leise, dass andauernd Fußgänger beim Überqueren der Straße in die Dinger rannten. Die offizielle Begründung war natürlich eine andere: Fehlende Nummernschilder. Der Lärmterror hat auch schon die Berggegenden erreicht. Wer in Darjeeling, der „Perle des Himalayas“, am Busbahnhof aussteigt, inmitten von Lärm und Gestank, denkt beim Anblick der ganzen Jeeps und Neuwagen, er hätte den falschen
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Bus genommen und sei wieder in Kalkutta gelandet. In den steilen Straßen hupen sich entgegen kommende Mittelklässer in ihren Neuerwerbungen an, scheinbar in der Hoffnung dass die in der Kolonialzeit angelegte Straße breiter wird. Doch die Infrastruktur in Indien ist mit dem Wirtschaftsboom und seinen technischen Errungenschaften schon jetzt heillos überfordert und das, obwohl es gerade mal 58 Fahrzeuge auf 1.000 Einwohner in Indien gibt; in Deutschland sind es 600. Das weiß auch ein Regierungsangestellter auf Urlaub in Darjeeling, mit dem ich an einem Teestand sitze. Auch hier in einer Fußgänger Zone dringt das schrille Dröhnen von Motoradhupen in unser Hirn, da sich die Motorradfahrer, die ihre Gefährte hier für 100 Meter schieben müssen, sich hupend durch die Menge drängeln. „Was sollen wir machen? Wenn wir in Kalkutta die Straßen modernisieren, bricht der Verkehr völlig zusammen. Dazu müssten wir die vielen (materiell) armen Menschen vertreiben. Gesetze für Lärmschutz haben wir schon, aber wie sollen wir die umsetzen? Außerdem ist es doch ein Fakt, dass jeder in Indien Wohlstand und steigende Wirtschaftszahlen will. Dass auf Dauer dazu eine moderne Infrastruktur gehört, ist auch der Regierung klar.“ „Ihr steckt in einem Dilemma. Macht ihr es wie China und siedelt mal eben eine Millionen Menschen um, schreien die Bürgerrechtler in aller Welt auf. In Delhi habt ihr es ja zu dem Commonwealth Spielen 2011 im Kleinen getan. Geht alles weiter wie gehabt, erstickt ihr bald im Dreck“, antworte ich, worauf der Beamte nachdenklich nickt. In Indien, Pakistan und Bangladesch leben zusammen 1,6 Milliarden Menschen und alle streben sie verständlicherweise nach dem gleichen Lebensstandard wie wir. Der Hugli Fluss in Kalkutta ist mit bis zu 1,5 Millionen Kolibakterien pro Zentiliter verdreckt, auch in Indien sind nur 500 erlaubt, aber da leben noch Fische drin.
Im schwarzen Buriganga Fluss in Dhaka lebt schon lange nichts mehr, genauso wenig wie im Lyari Fluss in Karatschi. 15 der verseuchtesten Orte der Erde befinden sich mittlerweile in diesen drei Ländern. Die Luft in Kalkutta, Lahore, Karatschi, Delhi, Bombay oder Dhaka erreicht regelmäßig Feinstaubwerte von über 400 Mikrogramm pro Kubikmeter auf; schon 25 Mikrogramm Feinstaub gelten laut WHO als schädlich. Laut einer aktuellen Studie von Forchern der University of British Columbia sterben allein Indien jedes Jahr 1,4 Millionen Menschen an den Folgen verdreckter Luft. Als ich einen jungen Anwalt in Kalkutta frage, ob ihn der Lärm und die Abgase nicht stören, funkelt er mich wütend an: „Ich bin 25 Jahre alt, kann keine 200 Meter am Stück gehen ohne eine Pause machen zu müssen und habe einen Hörschaden…“.
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Neues von den Kamerakidz
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as ist die Klasse 8 der Secpad-Schule in Zanskar 2011. Das war das erste Jahr, wo ich da das Kamerakidz-Projekt durchgeführt hatte. Ich war damals wahnsinnig aufgeregt, ob es wohl alles ungefähr so klappen würde wie ich es mir erhoffte. Es klappte. Damals war eine Kamera tatsächlich ein absolutes Novum in Zanskar. Es hatte so gut wie niemand eine und auch Smartphones hatten noch nicht ihren Weg in das abgelegene Tal gefunden. Wer hätte das damals geahnt.... Dass nur 6 Jahre später dieses Bild bei Facebook auftaucht und sich darunter mehr als die Hälfte der damaligen Klasse 8 tummelt? Die meisten sind nach der 8. Klasse 2 Jahre in die staatliche Schule nach Karsha gegangen, dann weiter in Padum - ohne regelmäßigen Busverkehr eine ziemliche Strapatze - und sie sind so gut und eifrig geblieben, dass sie jetzt außerhalb Ladakhs Colleges besuchen o.ä.
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Die meisten tummeln sich offensichtlich in Jammu herum. Und ich versuche auf Facebook die Jungerwachsenengesichter den Kindern auf diesem Bild zuzuordnen. Sie haben jetzt also Smartphones, hantieren wie selbstverständlich mit dem Internet herum und halten Kontakt unerteinander. Die damalige Klasse 8 fand ich besonders aufgeweckt. Und trotzdem hätte ich mir nie vorstellen können, so viele auf Facebook wiederzufinden. Und was mich zusätzlich dazu freut: mit den Kamerakidz haben wir damals quasi eine Art Grundstock für die „Erinnerungsfotografie“ gelegt. Unter diesem Foto tauchten ziemliche viele „weißt du noch“ und „schöne Erinnerungen“ auf. Auch für mich.
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ie jungen Nonnen in Nyerma haben im Sommer 2016 das erste Mal bei den Kamerakidz mitgemacht. Es war „nur“ ein kleines Nebenprojekt mit dem Ziel, einen Kalender herzustellen und somit weiter Geld in die Kasse der Nonnen zu wirtschaften. Es hat funktioniert! Die Verkäufe liefen gut und es konnten im Winter schon 230 Euro überreicht werden. Zur Losarzeit sind die alten Nonnen bei ihren Familien und das Kloster ausgestorben. Chamba hat die jungen Nonnen zu ihrer Familie mitgenommen, da ihre Heimat Zanskar zu weit fort ist. Dort haben wir sie besucht. Danach kam noch ein weiterer Betrag zusammen, den sie im Sommer bekommen werden. Mir scheint, es wird auch für 2018 wieder einen Nonnenkalender geben!
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