Ausgabe 158 am 3. Mai 2014
Freihandelsabkommen Und die Welt Attac veranstaltet einen Protesttag gegen das geplante Freihandelsabkommen von USA und EU. Urban Priol kommt auch. Seite 2
Debakel für die Bayern
I EM Music-Festival
Champions-League
Leben
Nach dem 0:4 gegen Real Madrid nahm Trainer Pep Guardiola die Schuld auf sich. Einen „Riesenfehler“ habe er gemacht. Seite 9
Sommer-Open-Air auf dem Schlossplatz in Emmendingen mit Chris de Burgh, La Brass Banda und SWR1 Pop&Poesie. Seite 13
Geiseln sind keine „Gäste“ Während in der Stadt Slawjansk der prorussische Separatistenführer Ponomarjow vier deutsche OSZE-Militärbeobachter als Geiseln hält, feiert Altkanzler Gerhard Schröder mit Wladimir Putin. Vielleicht im rechten Moment. Von Michael Zäh
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HALLO ZUSAMMEN
Die Tomaten, die sind schlau
Montage: S. Schampera
em nutzt es eigentlich, wenn vor den Augen der Weltöffentlichkeit OSZEMilitärbeobachter, darunter vier Deutsche, als Geiseln genommen und dann auf einer Pressekonferenz vorgeführt werden? Selten hat ein Vorgang eine so eindeutige Symbolkraft. Und diese ist vernichtend. Was Wjatscheslaw Ponomarjow, der selbst ernannte Bürgermeister der Stadt Slawjansk da macht, entbehrt nicht nur jeder Legitimität, sondern strahlt Unrecht, Dummheit und Feigheit aus. Wenn etwa der deutsche Oberst Axel Schneider als Gefangener vor der Presse spricht und dabei für alle sichtbar jedes Wort so wählen muss, wie es seinem Entführer recht ist, trägt das doch nur die Botschaft einer infamen Erpressung in die Welt. Bis hin zu der Formulierung, dass die Verschleppten „Gäste“ von Ponomarjow seien, die der Oberst wohl so wählen musste, aber dann mit dem sehr geschickten Satz demaskiert, dass er „nicht einfach nach Hause gehen“ könne. Denn es ist eben ein Merkmal bei „Gästen“, dass sie jederzeit selbst bestimmen können, wann sie aufbrechen. Diese Symbolkraft von Rechtsbruch, kombiniert mit einer Art Größenwahn, kann nicht einmal Wladimir Putin in den Kram passen. Wenn es denn stimmt, dass Putin die Separatisten in der Ostukraine mit Waffen und Logistik unterstützt, oder sie gar heimlich steuert, rückt ihn die terroristisch geprägte Aktion von Ponomarjow weit ins Abseits. Schließlich war es bisher gerade bei den Deutschen noch so, dass viele die russischen Interessen durchaus nachvollziehen konnten. Wenn nun
aber der Verdacht besteht, dass Putin diese Geiselnahme (nicht nur weil Deutsche darunter sind) gut heißt, hat er jedes Verständnis für sein Vorgehen eingebüßt. Dies macht die neuste Äußerung von Ponomarjow überdeutlich, der die EU nun offen mit den Geiseln erpresst, nachdem diese weitere Sanktionen gegenüber Russland beschlossen hat: „Wir kehren erst zu einem Dialog über den Status der Kriegsgefangenen zurück, wenn die EU diese Zwangsmaßnahmen zurücknimmt", sagte der selbst ernannte Bürgermeister der Stadt Slawjansk der Agentur Interfax. „Daran werde ich auch meine Gäste von der OSZE erinnern. Und ich denke, die EU wird die Sanktionen zurücknehmen", sagte Ponomarjow weiter. Das dürfte wohl sogar Putin peinlich sein, wenn ein womöglich
von ihm (mindestens) geduldeter prorussischer Separatistenführer solche Töne von sich gibt. Bisher bestand Putins gesamte Taktik ja darin, sich Legitimation zu verschaffen, indem er die russische Bevölkerung in der Ukraine als Verfolgte darstellte, denen er Schutz gewähren müsse. Er ließ sich also offiziell um Hilfe bitten. Und er machte den Westen für die Zustände in der Ukraine verantwortlich, weil der eine von ihm nicht anerkannte Übergangsregierung unterstütze. Dies alles fällt wie ein Kartenhaus in sich zusammen, weil nun die „Hilfsbedürftigen“ mit Geiselnahme und Erpressung hantieren. Und wenn Altkanzler Gerhard Schröder ausgerechnet in dieser kniffligen Situation, während vier deutsche Bundeswehrsoldaten in Geiselhaft gehalten werden, seinen
70. Geburtstag in St. Petersburg mit Putin nachgefeiert hat, kann dies durchaus auch für ein feines Gespür sprechen. Nicht nur, dass Schröder seinen Freund Putin wohl besser kennt als viele andere. Es geht auch darum, dass der russische Präsident womöglich gerade jetzt für eine Kurskorrektur empfänglich ist. Prompt ließ Putin verlauten, dass die Geiseln bald freikommen werden. Damit hat er seinen Einfluss auf Ponomarjow deutlich gemacht, der die bevorstehende Freilassung nun auch bestätigte. Und an dieser Entwicklung könnte auch Schröder durchaus beteiligt sein. Die beiden Freunde werden sich schnell einig gewesen sein, dass die Geiselnahme nun wirklich niemandem nutzt, besonders Putin nicht. So geht sie auch, die Weltpolitik.
Da sitzen wir also im Garten und schauen ins Gemüse. Und was sehen wir da? Na klar, die Tomaten haben wir vor Augen, die ihrerseits auch genau schauen, wer sich ihnen denn nähert. Wie nun japanische Wissenschaftler entdeckt haben wollen, können sich Tomaten nämlich gegenseitig warnen, wenn Feinde im Anmarsch sind. Sie senden dann mal eben eine chemische Meldung aus, an ihresgleichen, die sogar noch den Grundstoff für die Verteidigung beinhaltet. Wie praktisch! Die Frage ist nur, was die Bohnen nebenan dazu sagen, die offenbar dumm wie Stroh sind. Denn diese werden von den Schnecken gefressen, während die Tomaten darüber nur herzhaft lachen können. Nun gut, aber wer zu früh lacht, den bestraft der Gärtner. Wir sitzen nämlich im Garten und lassen sie schön reifen, die sich gegenseitig warnenden Früchtchen. Aber dann, eines Tages, schlendern wir leise pfeifend, damit sie es nicht gleich merken, zu ihnen hin und schwupps landen die Tomaten auf der Pizza. Das wird ein ja Gejammer sein! Michael Zäh