167. Ausgabe, ET 27.09.2014

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Ausgabe 168 am 27. September 2014

Ein Aufrechter Und die Welt Reinhard Mey kommt für ein Konzert nach Freiburg. Seit 50 Jahren macht er seine Musik und schreibt Texte, die bewegen. Seite 2

Murmeltier

Spektrum der Emotionen

SC Freiburg

Leben

In den letzten beiden Partien kassierte das Streich-Team den Ausgleichstreffer jeweils in der Nachspielzeit. Jetzt kommen offensive Leverkusener. Seite 9

Theater Pro zeigt „Die geliebte Stimme“, ein Stück von Jean Cocteau, in einer modernen Version im E-Werk Freiburg. Seite 13

Aus der Zeit gefallen Die Welt war analog, als Leonard Cohen begann, auf seiner Schreibmaschine Songs zu schreiben. Inzwischen nennen sie ihn The Godfather of Song und er hat zu seinem achtzigsten Geburtstag ein neues Album heraus gebracht. Von Michael Zäh

D

ie Welt war analog. Als der noch junge Leonard Cohen 1963 Gedichte schrieb, tat er das auf einer grünen Olivetti, also für alle, die das nicht mehr wissen: Eine kleine tragbare, mechanische Schreibmaschine ist das. Es heißt, er habe sie sogar mit in die Badewanne genommen, um unter Wasser zu schreiben. Als dann 1967 „Songs of Leonard Cohen“ erschien, war das eine Schallplatte. Und nichts passte besser zu dieser kühlen Melancholie in seiner Stimme als das Knistern, das die Nadel auf den Rillen erzeugte. Als er uns mit seinen Songs wie „Suzanne“ erreichte, war das so: Es gab keine Handys, keine iPods, kein Internet, noch nicht einmal CDSpieler. Und alle Musik, die wir liebten, konnte man nicht mit sich herumtragen oder von irgendwo runterladen. Also brauchte es eine Stereo-Anlage mit Plattenspieler, das heißt: Wir hörten die Songs in unseren Jugendzimmern, an einem festen Ort, oft zusammen mit einer Horde von Freunden, und manchmal allein bei Kerzenschein. Leonard Cohen fiel für uns aus der Reihe. Es waren ja die Zeiten der Beatles und der Rolling Stones, bald gefolgt von vielen lauten, wilden Rockbands. Lange Haare waren auch für Jungs angesagt, beim Tanzen hat sich so mancher fast die Mähne vom Kopf geschüttelt. Und dann dieser Poet, der völlig anders war. Leise, auch böse in seinen Zeilen, manchmal mit bissiger Ironie und immer mit beschwörender Liebe zu den Frauen. Weshalb natürlich die ersten Rendezvous gerne vor dem Plattenspieler endeten, zu zweit bei Kerzenschein, voller Sehnsüchte, die niemand so besang wie Cohen.

HALLO ZUSAMMEN

Ein Chip für jedes Wehwehchen

Selbst unsere Eltern, die sonst ja immer sagten, dass wir den „Krach“ nicht so laut stellen sollen, haben nichts gesagt, wenn Cohen aus den Boxen flüsterte. All die wilden Rockbands von damals sind – mit Ausnahme der Stones – heute eher belächelte Rock-Opas. Wenn Leonard Cohen auftritt, überall in der Welt, ist das wie eine Messe der Poesie, auf der die Gemeinde auch immer ein Stück eigene Lebensgeschichte mitsummt. So Long, Marianne. Cohen ist aus der Zeit gefallen, wie er uns schon mit seinem ersten Album aus der Zeit gefallen schien. Heute heißt das aber, dass sich an seinem unheiligen „Hallelujah“ auch Teenager am Klavier abmühen. Die Fangemeinde von Cohen geht quer durch alle Altersstufen. Selbst

die junge Generation, die Rapper und überhaupt Tempo liebt, also voll digital und ständig präsent im Netz, kann sich nicht ganz dieser Langsamkeit entziehen, die Cohen unwiderstehlich macht. Wohl kaum jemand sonst kann locker und leise drei Generationen vereinen. Sein Motto „Old Ideas“, unter dem er von 2010 bis 2013 seine Welttournee absolvierte, eine einzige große Feier mit seinen Fans, hat etwas von dem sanften Spott, den Cohen haben kann. Denn es ist eher Erneuerung als alter Kram, den er auch seinem jüngeren Publikum schenkt. Und überhaupt: Tonight will be fine. Viele unter uns können gefühlt tausend Textzeilen von Cohen in den Kopf bekommen, passend zu fast jeder Lebenslage. Etwa: The rich get rich, the poor stay poor,

wenn es einem gerade darum geht, das Establishment herausfordern zu wollen. Vergangenen Sonntag ist Leonard Cohen 80 Jahre alt geworden. Und dazu hat er ein neues Album gemacht: „Popular Problems“. Wir dachten ja damals als Teenager, dass seine Stimme bei „Bird on the Wire“ eine sehr tiefe sei. Im Laufe der letzten vierzig Jahre hat sich das als Irrtum heraus gestellt. Heute klingt „Joan of Arc“ oder „Famous Blue Raincoat“ fast hell, verglichen etwa mit „Slow“ auf dem neuen Album. Da sind wir froh, dass die Songs heute ohne das Knistern von früher, dafür in digitaler Reinheit den Bass des Godfather of Song ausloten. Er singt: So baby let me go.

Wenn mal wieder die Mülltonne fehlt, weil sie der Nachbar eingeheimst oder der Müllmann sie achtlos beiseite geschubst hat, dann kann sie jetzt mittels einem eingenieteten Computerchip eindeutig Herrchen oder Frauchen zugeordnet werden. Die Mitarbeiter der Abfallwirtschaft und Stadtreinigung Freiburg können dank der 350 000 Euro-Aktion nun auch zweifelsfrei feststellen, wer seinen Mülleimer mal wieder zu voll gepackt hat. Wie praktisch, mögen sich vielleicht die Stadträte der dänischen Gemeinde Odense gedacht haben, falls sie von den Freiburger Fortschritten gehört haben. Dann verpassen wir unseren Obdachlosen gleich mal einen GPS-Peilsender. Damit kann die Stadtverwaltung jeden Gang und Aufenthaltsort eines Stadtstreichers überwachen. Im Gegensatz zu den Freiburger Mülltonnen haben sich die dänischen Obdachlosen freiwillig mit den Peilsendern ausstatten lassen, als Lohn gab es drei Mahlzeiten am Tag. In den Mülltonnen mussten sie dann erst mal nicht mehr nach Essbarem suchen… B. Breitsprecher


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