182. Ausgabe, ET 30.05.2015

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Ausgabe 182 am 30. Mai 2015

Mit hohen Idealen

Was ist „regional“ wert?

Interview

Interview

Anne-Sophie Mutter kommt für ein Recital-Konzert nach Freiburg. Die berühmte Geigerin plant ab 2018 eine Auszeit. Seite 2

Ulrich Reichenbach wünscht sich Transparenz für Konsumenten. Der Metzgermeister kritisiert fragwürdige „regionale“ Bezeichnungen. Seite 6

Viel Offensivgeist Pokal-Finale Beim Pokal-Finale in Berlin will Dortmund dem scheidenden Trainer Klopp ein Geschenk machen. Wolfsburg will Perspektiven schaffen. Seite 7

Blatters Fußball Mit der Verhaftung von hochrangigen Fifa-Funktionären durch die US-Behörden wird ein völlig neues Kapitel eingeleitet. Die scheinbare Gewissheit beim Weltfußballverband, außerhalb der realen Welt zu stehen, ist erschüttert. Von Michael Zäh

S

epp Blatter pflegt eine sehr blumige Sprache, immer nahe am Heilsbringerischen, aber auch am Größenwahn: „Die Fifa ist durch die positiven Emotionen, die der Fußball auslöst, einflussreicher als jedes Land der Erde und jede Religion“. Wenn man so lange in der Scheinwelt der Fifa der oberste Boss ist, der rund um die Welt jettet und sich von Putin und Papst hofieren lässt, glaubt man wahrscheinlich selbst daran, der realen Welt entrückt zu sein. Na ja, und jetzt kommt das FBI daher und lässt gleich sieben hohe Fifa-Funktionäre vom noblen Fleck weg verhaften. Die Illusion platzt wie eine Seifenblase. Es ist im Grunde völlig egal, ob Blatter an diesem Freitag erneut für vier Jahre im Amt als Fifa-Präsident bestätigt wurde (bei Redaktionsschluss nicht bekannt), denn mit dem Eingreifen der US-Behörden ist ein neues Kapitel aufgeschlagen. Jetzt ist Schluss mit einem Status als Godfather, gegen den keiner etwas tun könne. Vieles deutet darauf hin, dass Sepp Blatter selbst das Ziel der US-Ermittler ist und sie ihn mit den Festnahmen von Fifa-Freunden wie etwa Jeffrey Webb quasi umkreisen. Der ebenfalls verhaftete Jack Warner hat zu Protokoll gegeben, dass er habe lachen müssen, weil der Name Blatter auf der Liste der Verdächtigen fehlte. Aber es ist ja nicht mehr nur der Fifa-Präsident Blatter, dessen fortwährendes Schauspiel der Macht wohl allen Fußball-Fans schon längst gegen den Strich geht, um den es hier geht. Es geht jetzt auch um die Frage, ob es die Fifa in der jetzigen Form überhaupt braucht. Es wäre für den Fußball vielleicht von

HALLO ZUSAMMEN

Mit Putin im Rücken

großem Vorteil, wenn er nicht im Besitz der Fifa wäre. Denn dafür gibt es ohnehin keinen Grund. Es stimmt, dass überall auf der Welt Fußball gespielt wird. Aber die Emotionen, die der Fußball bei den Menschen überall auf der Erde auslöst, sind nicht zuallererst jene, die Blatter mit seinem Satz über den Einfluss der Fifa meinte: Originär sind diese Emotionen auf jedem Bolzplatz und in jeder Kreisklasse zu Hause, nämlich überall, wo der Ball rollt und sich eine Gruppe von Menschen zum Spielen zusammen findet. Hier reichen ja einfachste Regeln, oft von kickenden Kindern selbst aufgestellt, und ein Tor ist ein Tor, ganz ohne Torlinientechnik. Erst in zweiter Linie sind die mit dem Fußball verbundenen Freuden an die Stars gekoppelt, die sich zu Weltmeisterschaften treffen.

Da wird Fußball ja schon zum Event und in gewissem Sinne zur ganz großen Illusion. Den Einfluss, den die Fifa bei diesen Großveranstaltungen hat, nutzt sie nicht etwa, um die menschenverachtenden Zustände auf den WM-Baustellen in Katar zu unterbinden, sondern nur, um sich alles gut bezahlen zu lassen. Und es wundert ja längst niemanden mehr, dass dabei auch bestochen und betrogen wird. Die US-Behörden sprechen von einer „ungezügelten und systematischen Korruption“, im Zuge derer seit 1991 rund 150 Millionen Dollar geflossen seien. Und das ist nur das, was die bisherigen Anklagen so hergeben. Da kommt noch mehr. Was bringt es eigentlich, in der Fifa organisiert zu sein? Von den 209 angeschlossenen Verbänden gibt es viele, die Fifa-Mitglied sind,

weil sie das viele Geld gebrauchen können, das die Fifa jährlich ausschüttet, was Blatter dann als Entwicklungshilfe bezeichnet. Aber braucht auch der DFB diese Kohle um jeden Preis, braucht die Uefa das? Man müsste ja nicht Mitglied in der völlig verfilzten und heillos korupten Fifa sein, um große Fußballturniere zu organisieren. Eine Europameisterschaft der Uefa mit möglicherweise Einladungen an Top-Teams anderer Verbände wäre auch nicht schlechter als eine WM, die im Vorfeld verschachert wurde. Und müsste auch nicht zwingend in Katar oder Russland stattfinden. Braucht es wirklich eine Filz-Fifa? Braucht der Fußball einen Blatter? Die „positiven Emotionen“, die er auslöst, sind stärker.

Manchmal wird es mit einem Schlag hell: Wladimir Putin hat ja auch im Westen einige Anhänger, die ihm abkaufen, dass er ein unbedingt nötiges Gegengewicht zu den USA und deren „Weltherrschaft“ sei. Nun aber hat sich Putin hinter Sepp Blatter gestellt, was ja an und für sich ganz nett ist, zwei ganze Kerle wie sie sind. Dabei hat Putin aber vielleicht das Gegenteil von dem erreicht, was er wollte. Denn er hat gesagt, dass der Fifa-Präsident seine Unterstützung habe und gleichzeitig betont, dass sich die USA mal wieder in Sachen einmischen, die sie gar nichts angehen würden. Es handle sich um einen Versuch der USA, ihr Rechtssystem auf andere Staaten auszuweiten. Ob er damit die Schweiz oder die Fifa meinte, ist unklar. Dass Sepp Blatter seine Hilfe brauche, legt allerdings nahe, dass dieser selbst im Visier der unverschämten US-Fahnder stünde. Wo Blatter selbst doch noch die Strategie wählte, ganz unschuldig den Behörden zu danken, die ihm quasi die Augen geöffnet haben. Es ist wohl eher so, dass Putin um die WM 2018 in Russland fürchtet. Michael Zäh


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